ANNA VERGISST DEN VATERTAG

 

AUDIO: https://uwemuellererzaehlt.de/2020/09/15/anna-ist-dement-2/

ANNA IST DEMENT (2)

Anna war der Vatertag immer wichtig. Sie vergaß ihn nie. Nur in diesem Jahr war es anders.

25. MAI 2017

Es war Christi Himmelfahrt. Manche sagten auch Vatertag oder Herrentag.

Der Tag, an dem man mit dem Bollerwagen durch die Straßen ziehen konnte und Lieder grölen musste, um ernst genommen zu werden.

Peter hatte keine Lust darauf. Er freute sich auf seinen Schreibtisch. Er konnte in Ruhe die Sachen ordnen, vielleicht ein wenig schreiben, aber eben ohne Druck und ohne, dass er angerufen wurde und selbst jemanden anrufen musste.

Jedoch Laura rief an. Sie gratulierte zum Vatertag.

„Danke“, brummte Peter. Er war noch nicht ganz da und saß schweigend am Frühstückstisch.

„Na, ich bin gespannt, ob deine Mutter heute anruft“, sagte Peter zu Klara, so wie nebenher.

„Das hat dich doch bisher eher gestört, wenn dich deine Schwiegermutter angerufen hat und zum Herrentag gratulierte“, antwortete Klara.

„Na so ist es ja nun auch nicht. Ich habe mich schon gefreut.“

Aber der Disput brachte ja gar nichts, denn  das Telefon blieb stumm.

Anna hatte den Vatertag schlichtweg vergessen.

Sie hatte auch vergessen, ihrem Sohn, Lukas, zu gratulieren.
Lukas wohnte in Stralsund, ganz in ihrer Nähe.

Er hatte ein Haus mit einem Hof.  Anna ging dort täglich vorbei. Und an solchen Tagen hatte sie Lukas meist eine Packung mit alkoholfreiem Bier mitgebracht.

Klara rief bei Lukas an: „Hat Mutti dich angerufen und gratuliert?“
„Nein, hat sie nicht.“

Peter war geschockt. Wieder mal war es ein sicheres Zeichen dafür, dass Anna mehr und mehr vergaß.

Klara nahm den Hörer noch einmal in die Hand und fragte Anna direkt: „Mutti, du weißt schon, dass heute Vatertag ist, oder?“

„Ja, ja weiß ich“, beteuerte sie.

„Also grüß‘ Peter schön“, sagte Anna noch und legte auf.

„Das hat sie doch sonst immer selbst gemacht und mir gratuliert“, sagte Peter.

Jetzt war er doch ein wenig beleidigt, obwohl er wusste, dass es einen Grund dafür gab.

Ein Grund, für den Anna nichts konnte – sie war dement.