Archiv der Kategorie: ALLTÄGLICHES

Mehr Erfüllung im Alltag finden; über einen winzigen Moment im Alltäglichen freuen;
nicht nur über die Arbeit stöhnen, lieber die guten und schönen Seiten in der eigenen Tätigkeit sehen, sie bewusst annehmen.

DER DICKE UND DER TÄNZER – ZWEI FREUNDE IM AUSTAUSCH ÜBER DEN ALLTAG

Der Dicke, das bin ich, der über den Alltag schreibt, und der mit seinem Übergewicht kämpft. Der Tänzer, das ist Marian Walter, Solotänzer am Staatsballett Berlin.
Wir sind schon lange befreundet, unsere Familien auch. Wir sehen uns aber selten, sehr selten, denn jeder hat mit der Familie und seinem Alltag zu tun.
Aber wir tauschen uns regelmäßig über WhatsApp aus.
Heute Morgen zum Beispiel habe ich Marian nach seiner Meinung über meinen Beitrag gefragt, den ich gerade veröffentlicht hatte – Beitrag siehe unten.

Hier der Dialog danach:
Der Dicke:
Was hältst du von meinem Beitrag, den ich heute unter der Überschrift ‚WENN SCHON NICHT ABNEHMEN – DANN BLOSS NICHT NOCH WEITER ZUNEHMEN‘ veröffentlicht habe?

Der Tänzer:
Schick‘ mal, obwohl ich noch schlafe. ‚Der Frühaufsteher und der Langschläfer‘ würde besser passen, wenn ich den Zeitpunkt deiner Veröffentlichung sehe.

Der Dicke
‚Fauler Sack‘ würde ich sagen, aber um es lesekonform zu formulieren – ‚Der Künstler, der noch nicht auf Betriebstemperatur ist‘.

Der Tänzer:
Genau, aber lesen kann ich schon so früh.

Der Dicke:
Also, was sagst du?

Der Tänzer:
Was die Vorhaben anbetrifft, da bin ich auch super. Vielleicht solltest du dich mit ein bisschen weniger zufriedengeben und das konsequenter durchziehen.

Der Dicke:
Nett gesagt, und doch ‚direkt auf die Fresse‘.

Der Tänzer:
Das würde ich nie schreiben.

Der Dicke:
Nein, aber denken.

Der Tänzer:
Ich glaube, du kommst wieder in die Spur beim Abnehmen.
Du hast doch schon ein wenig erreicht.
Genieß doch jetzt einfach das Leben, dein altes Leben, das Essen, wenig bewegen.
Jetzt kannst du es doch auf Corona schieben.

Der Dicke:
Danke für die aufmunternden Worte. Sie schmecken süß und auch bitter.
Schlaf weiter.

Der Tänzer:
Nein, ich bin schon aufgestanden. Und mein Glück wuselt beim Frühstückmachen um mich herum – der kleine William.

Der Dicke:
Na dann, einen schönen Tag.
(Veröffentlichung erfolgte nach Absprache mit Marian Walter und nach dessen Zustimmung).

WENN SCHON NICHT ABNEHMEN – DANN BLOSS NICHT NOCH WEITER ZUNEHMEN

IANA SALENKO IM TELEFONINTERVIEW

MENSCHEN IM ALLTAG-2020.12.12

Freitag, 11.00 Uhr. Iana Salenko antwortet auf meine Fragen, die ich ihr am Telefon stelle. Obwohl es ihr selbst noch nicht wieder hundertprozentig gutgeht, schafft sie es, gute Laune zu verbreiten. Ich stelle immer wieder fest – Iana ist ein Profi, vor allem aber ein wunderbarer Mensch.

Iana, wie geht es Euch in dieser Zeit, in der alles und alle unter Covid-19 zu leiden hat?
Uns geht es heute schon wieder viel besser. Vor vierzehn Tagen habe ich erfahren, dass ich mich mit dem Virus infiziert habe.

Hast Du Dich testen lassen?
Ja, und wenig später bekam ich die Nachricht, dass der Test positiv war.

Was hast Du in dem Moment gedacht, als Du von dem Ergebnis erfahren hast?
Naja, du erschrickst dich schon, bekommst Angst, weil du ja nicht weißt, wie der Verlauf deiner Krankheit sein wird.

Welche Symptome sind bei Dir aufgetreten?
Ich war vor zwei Wochen, noch bei den Proben und fühlte mich danach nicht so gut.

Ich hatte Muskelkater, der ganze Körper schmerzte und am nächsten Tag spürte ich, dass mir mal kalt und dann wieder heiß wurde.

Was hast Du dagegen unternommen?
Zunächst war mir noch nicht bewusst, dass ich überhaupt krank bin.
Ich dachte, es sei eine leichte Erkältung.

Ich bin ja sogar noch in die Sauna gegangen, um den Schnupfen und den Husten wieder loszuwerden.

Und, hat die Sauna geholfen?
Nein, natürlich nicht. Die Symptome wurde sogar noch stärker.
In der Nacht darauf hatte ich eine erhöhte Temperatur – 37,5 Grad zwar nur, aber es fühlte sich an, als hätte ich 39 Grad Fieber.

Gab es dafür einen besonderen Grund?
Ich glaube, dass das mit meinen starken Schmerzen im Rücken zu tun hat, die ich stets bekomme, wenn ich Fieber habe.

Wie ging es weiter?
Ich bin Zuhause geblieben, habe viel geschlafen, mich ausgeruht. Ich wollte keine Tabletten nehmen und gedacht, ich bekäme es so in den Griff.
Aber dann wurde der Husten stärker, ich hatte teilweise keinen Geschmack mehr, fühlte mich einfach schlapp.

In der Staatsoper wurden wir zweimal in der Woche getestet. Ich habe mich also auch nach einer Probe entsprechend vorsorglich testen lassen. Als ich das Ergebnis mitgeteilt bekam, da bin ich sofort in die Quarantäne gegangen.

Hat Marian diese Symptome auch gehabt?
Ja, er hatte tagelang Kopf- und Rückenschmerzen, seine Augen brannten und er war auch ständig müde.
Des Weiteren hatte er einen starken Husten und auch ein Brennen in der Nase.

Wie geht es Euch heute, 14 Tage, nachdem Du positiv getestet wurdest?
Es geht uns beiden schon sehr viel besser. Wir fühlen uns noch nicht wieder zu 100 Prozent fit, aber es geht merklich aufwärts.

Iana, ich weiß, dass Du mental ein sehr starker Mensch bist und Dich immer wieder selbst motivieren kannst. Gelingt Dir das in dieser Zeit ebenfalls?
Ja, schon.
Es gibt sogar etwas Positives, dass ich gar nicht missen möchte.
Nämlich, dass ich William ganz anders aufwachsen sehe.

Bei Marley war ich gleich nach der Geburt schon wieder sehr schnell in Auftritte eingebunden. Heute kann ich Zuhause bleiben und mich intensiver mit den Kindern beschäftigen.

Wie kommt Ihr beide miteinander klar. Gibt es Phasen, wo Ihr Euch wünschen würdet, dass Ihr nicht beide die ganze Zeit im Haus zusammen seid?
Uns geht es wie allen Menschen in dieser Situation.

Also gibt es auch mal Zeiten, wo wir uns lieber mal für eine Zeit aus dem Weg gehen oder eben eine Meinungsverschiedenheit austragen.
Aber überwiegend stärkt uns der Zusammenhalt in der Familie, weil wir viel miteinander reden und einfach Spaß haben.

Marian ist es ja gar nicht gewohnt, dass ich so viel Zuhause bin. Für ihn ist das eher ungewohnt. Er denkt manchmal, ich sei genervt von ihm, weil er nun so oft um mich herum ist.

Und ist das so?
Nein, überhaupt nicht. Ich genieße das richtig, auch mit den Kindern zusammen zu sein.

Ich sitze manchmal nur auf der Couch und beobachte William, wie er auf dem Fußboden herumkrabbelt. Das sind einfach schöne Momente.

Wie hältst Du Dich fit in dieser Zeit, und unter diesen ungewöhnlichen Bedingungen?
Ich trainiere sehr viel an der Sprossenwand im Arbeitszimmer, oder ich mache Bodenübungen. Yoga – und Pilatis Übungen kommen hinzu.

Manchmal laufe ich mit William die Treppe hoch. Er mag das so sehr. Wir können ihn in seinem Alter nicht allein hochlaufen lassen und müssen schauen, dass ihm beim Klettern auf der Treppe nichts passiert.

Also machen wir das beste daraus und treiben gleich ein bisschen Sport. Das muss ja alles auch ein wenig Spaß machen.

Wie ist die Hausarbeit zwischen Euch aufgeteilt?
Marian kocht sehr gern. Er liebt das. Ich wasche meistens ab.
Ich stehe meistens sehr früh auf.

Dafür bereitet Marian wiederum die Flasche Milch für die Nacht für William vor. Morgens, da bekommt der Kleine Haferflocken und Marian kann weiterschlafen. Er rührt sich auch nicht.

Wie kommt Dein Mann insgesamt mit der Situation klar?
Marian versucht vor allem die positiven Seiten im jetzigen Alltag zu sehen.

Er beschäftigt sich viel mit den Kindern, genießt unser Zusammensein.

Iana, vielen Dank für das Telefoninterview

https://uwemuellererzaehlt.de/ueber-menschen-erzaehlen/iana-salenko-primaballerina/

ZUHÖREN IST HÄRTER ALS REDEN

Wie der Alltag mich manchmal erneut zu Einsichten bringt, die ich längst schon wieder vergessen hatte – nämlich ein besserer Gesprächspartner zu sein, indem ich viel mehr zuhöre und zum Ausgleich dafür weniger rede.

Der Tag begann trüb und ich hatte Mühe, mich an meinen festgelegten Arbeitsplan zu halten.
Ich schaute nach draußen, blickte runter in den Garten und sah, wie der Wind einzelne Blätter auf der Wiese verstreute.

‚Eigentlich müsstest du doch jetzt runtergehen und den Carport vom Laub befreien‘, dachte ich bei mir, während ich den wolkenverhangenen Himmel betrachtete.

Ich schwenkte den Bürosessel zurück an den Schreibtisch, seufzte, weil mir nichts mehr einfiel, was mich ablenken konnte und setzte meine Arbeit vor.

Zwei Stunden später wurde ich müde. Die Augen klappten zu, während ich weiterschrieb.

Schließlich saß ich ja bereits seit kurz nach 5 Uhr am Tisch und kämpfte mich durch meinen Tagesplan.
Ich gab mir einen Ruck, stand auf, zog mir alte Sachen an und ging nach draußen, um den herumliegenden Blättern den Kampf anzusagen.

‚Wieso müssen eigentlich die Blätter von dem Baum da drüben ausgerechnet auf unsere Seite fliegen‘, fluchte ich innerlich, während ich bereits den Besen in der Hand hielt.

Ich machte mich daran, die Straßenseite zu fegen und die Blätter vor mir herzuschieben.

„Hallo, wie geht’s?“, hörte ich hinter mir die vertraute Stimme meines Nachbarn.

„Ach danke, ganz gut. Offensichtlich haben wir ja den gleichen Gedanken“, sagte ich und zeigte auf den Blätterhaufen vor mir, den ich gerade aufgetürmt hatte.

„Ich musste mal raus. Ich arbeite ja jetzt für einen Tag im Homeoffice“, sagte mein Nachbar.

„Donnerwetter. Das ist ja ein Ding, meine Frau hat gestern ebenfalls begonnen von Zuhause aus zu arbeiten. Ebenfalls für einen Tag“, sagte ich zu ihm.

Er ging nicht darauf ein, sondern sprach weiter darüber, wie er seinen Homeoffice-Arbeitsplatz organisiert hatte.

„Mittags machen wir genau eine halbe Stunde Pause“, schob ich schnell einen Satz ein, mitten hinein in seinen Redeschwall.
Wieder keine Reaktion von ihm.

„Arbeitet denn deine Frau ab und zu auch vom Homeoffice aus?“, fragte ich ihn.

„Oh ja, was denkst du denn!“, antwortete er forsch.
„Wir haben alles gut organisiert, schreiben uns auf dem Handy an, wenn wir miteinanderkommunizieren.“

Mein Nachbar war in Plauderlaune. Er weihte mich in die kleinsten Details seines neuen virtuellen Arbeitstages ein.
„Schön, dass wir mal wieder miteinander gesprochen haben“, sagte er zum Schluss.

„Ja, finde ich auch“, entgegnete ich, obwohl ich kaum zu Wort gekommen war.

„Wieso interessiert sich mein Nachbar eigentlich nur für sich?“, fragte ich abends Klara.
„Na warum wohl?“, fragte sie.

„Weil du nie vergessen solltest, dass sich die meisten Menschen vor allem für sich interessieren und nicht für andere“, sagte sie weiter.

„Das stimmt“, antwortete ich.
Wenn ich ehrlich war, so fand ich es ja auch am spannendsten, was ich gerade tat.

Oft genug hämmerte ich mit Worten und vielen Gesten auf Klara morgens beim Frühstück ein, was ich nicht alles für ‚bedeutungsschwangere Projekte in der Pipeline‘ hatte.

Klara hörte sich das stets schweigend an.
Sie sprach nie von ihrer Arbeit, ganz wenig nur und ich fragte nicht danach, weil ich mich mehr für mich interessierte.
Also warum sollte der Nachbar anders sein?

„Weißt du, ich hatte aber den Eindruck, dass ihm unser Gespräch, besser sein Monolog gut gefallen hat“, sagte ich jetzt zu Klara.
„Ja, wenn du ihn für dich gewinnen willst, dann hör‘ ihm weiter mehr zu, viel mehr, als du selber preisgibst“, sagte Klara zu mir und musste sofort lachen.

Sie wusste, wie schwer es mir fiel, nur zuzuhören. Das gelang mir ganz gut, wenn ich zum Interview ging, aber bei privaten Gesprächen war ich auch ganz gern mal an der vorderen ‚Redefront‘.

Ich nahm mir vor, künftig noch mehr an mir zu arbeiten, auch wenn es manchmal hart war, nichts zu sagen, dem Nachbarn nicht ins Wort zu fallen und sich dann noch für seine Probleme zu interessieren, und zwar aufrichtig.

Doch ich wollte es weiter versuchen, ein guter Zuhörer zu sein, möglichst viele Fragen zu stellen und wieder zuzuhören.
Dann wird aus meinem Nachbarn ein noch besserer Freund, als er es ohnehin schon war.

VOM FLUCH UND SEGEN, ÜBER ALLTAGSBEGEBENHEITEN ZU BERICHTEN

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT
Ich schreibe nun schon einige Jahre darüber, was ich im Alltag beobachte, welchen Menschen ich begegne, was mich glücklich macht und natürlich auch, was mich nervt.
Kurzum, es geht immer um ein Stück Leben in einem bestimmten Moment.

Manche sagen mir: „Du hast so viel in deinem Leben bewegt, und jetzt nimmst du dir ausgerechnet diese unwichtigen Dinge des Alltäglichen vor.“

Aber sind es wirklich unwichtige Dinge, über die ich schreibe?
Besteht unser ganzes Leben nicht aus lauter solchen kleinen und großen Begebenheiten – Freudentränen, wenn etwas Besonders gelungen ist, herzlich lachen über eine gelungene Komödie, wütend sein, weil der andere Mensch nur eines im Kopf hat, nämlich sich selbst.

Was ist der Fluch, besser die Herausforderung, wenn ich darüber erzähle?
Nun, ich muss genau beobachten, die Dialoge möglichst detailgetreu wiedergeben, die Hintergründe, Motive für das Handeln anderer Menschen offenlegen.

Aber ist das wirklich ein Fluch? Nein, für mich nicht. Ich bin glücklich damit, über den Alltag zu schreiben, über Menschen, die ich kennengelernt habe, die ich vielleicht sogar interviewen durfte.
Na klar ist es etwas Besonderes, wenn ich mit der Prima Ballerina der Staatsoper sprechen und über sie schreiben kann.

Doch vor allem bin ich bin neugierig auf ganz ‚normale‘ Menschen, denen ich begegne, auf ihre Reaktionen, ihre Sicht auf das Leben, auf das, was bei ihnen den Alltag ausmacht.

Und: darüber zu schreiben, was unser Leben im Alltag bereichert, und meist unbeobachtet und unbemerkt von den großen medialen Ereignissen stattfindet, ganz im Stillen, im Normalen eben.

Mir bleiben oft die Kleinigkeiten im Gedächtnis, die ich erlebt habe, die Augenblicke, die dich irgendwie glücklich machen.
Wenn ich an der Ostsee im Herbst sitze, der Strand fast leer ist, ein rauer Wind weht, die Wellen auf den Sand peitschen und sich dann wieder zurückziehen, die Möwen schreien, ja dann bin ich glücklich. Reicht dieses Glück lange?
Naja, nicht immer.

Aber die Kraft von uns besteht auch meiner Meinung darin, nicht nur zu stöhnen, sondern sich aufzuraffen, etwas schön zu finden im Alltag, in den Begegnungen, die man mit Menschen hat – das ist schon ein gehöriger Reichtum.

Alltägliches kann banal sein, aber vieles davon verdient mehr Aufmerksamkeit, mehr Anstrengung herauszufinden, warum gerade ein bestimmter Moment schön ist.

OMA MARTHA HAT HEUTE GEBURTSTAG


OMA MARTHA

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT

Heute Morgen habe ich Geburtstagsglückwünsche an eine gute Freundin verschickt. Sie wird 80 Jahre alt.

‚Das gibt’s doch nicht, wie die Zeit vergeht‘, habe ich gedacht, als ich die Zeilen geschrieben habe.

Dann fiel mir meine Oma ein. Sie hat heute auch Geburtstag – geboren am 26. August 1906 in Schwerin.

Sie ist schon lange tot. Und trotzdem: Ich denke noch oft an sie.
Wenn mich jemand fragt, an wen ich denke, wenn ich einen Menschen nennen soll, der wirklich von Herzen gut war, dann fällt mir sofort Oma Martha ein.

Sie lebte in Schwerin und wir Kinder damals auch.
Wir konnten uns nicht vorstellen, außerhalb von Schwerin zu leben.
Und es kam uns schon gar nicht in den Sinn, dass wir eines Tages ohne Oma Martha sein sollten.

Sie brachte uns morgens Streuselschnecken mit, die in einer Papiertüte verstaut waren, am oberen Ende eingerollt, sodass wir stets mit viel Neugier die Tüte aufmachten – jeden Tag aufs Neue.
Oma Martha ließ uns alles durchgehen, so ziemlich alles.

Wenn wir auf dem Hof spielten, um die Teppichstange rasten und ich mit dem Roller dagegen prallte, mir eine Beule an der Stirn holte, dann lief ich schreiend und heulend zu meiner Oma.

Die holte ein Messer aus der Schublade, hielt es mir an die Stirn und sagte: „Geheilt, nu ga wedder nach buten‘!“ Und ich ging wieder nach draußen, tobte weiter mit den anderen.

Ich könnte noch viele Geschichten von Oma Martha erzählen, davon, dass ich sie nie vergessen werde, solange ich lebe.
Später habe ich die Oma meiner Frau kennengelernt. Wir verstanden uns sofort. Sie mochte mich und ich mochte sie.
Sie ist ebenfalls schon lange tot.

Heute sprechen meine Frau und ich manchmal von Oma Martha und von ihrer Oma. Und manchmal von beiden gleichzeitig.

Das hat nur einen Grund: Beide waren einzigartige Persönlichkeiten – bescheiden, lebten und arbeiteten für die Familie und hatten einfach einen umwerfenden Humor, und sie konnten beide ‚Platt‘.

Aber das alles Entscheidende war: Sie waren herzensgute Menschen, die zuerst an uns dachten und danach an sich.

Morgen holen wir Krümel ab – sie soll bei uns übernachten.
Als ich es ihr gestern mitteilte, da sagte sie spontan: „Opa, kommst du gleich?“

Was willst du mehr von dieser Welt?
Wir denken an Oma Martha, an Oma meiner Frau und wir geben unsere Erinnerungen weiter, indem wir uns an manche Tugend von ihnen erinnern und vor allem, indem wir mit Krümel Spaß haben.

DER BLICK NACH DRAUSSEN IST SCHÖN – DER NACH INNEN IST WICHTIGER

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT

Es ist 07.00 Uhr und ich sitze schon wieder auf der Veranda der Ferienwohnung, lasse den Blick über die Dächer von Altsassnitz schweifen und schaue auf das Meer.

Ein phantastischer Anblick. Es ist das letzte Mal, dass ich hier so sitze, bevor wir in wenigen Stunden von hier abreisen.

Und wenn dieser Beitrag am Freitag erscheint, dann sitze ich längst wieder an meinem Schreibtisch.

Ich könnte deshalb traurig sein, aber bin ich nicht.

Alles hat mal sein Ende. Das muss man einfach akzeptieren. Und wirklich glücklich bin ich nur dann, wenn ich auch arbeiten kann, meiner kreativen Tätigkeit nachgehe.

Würde ich das lieber tun, mit diesem Blick auf das Wasser?

Na klar!

Aber noch schöner ist zum Beispiel, dass ich in Berlin bald wieder Krümel sehen kann.

Wir haben gestern Abend noch gegrillt. Und ich habe ein kleines Video an Laura geschickt. Die hat dann über WhatsApp einen Audio-Beitrag geschickt. Darauf ist zu hören, wie Laura alle begrüßt.

Krümel spricht das nach. Sie hält bis zum dritten Namen durch.

Dann sagt sie kurzerhand: „Mama, ich will auch was essen!“

Das vermisse ich noch mehr, als vielleicht den Blick auf das Wasser.

Die Arbeit, die Familie – sie sind und bleiben die stärksten Anker.

Und das macht mich wirklich glücklich.

WAS VOM URLAUB BLEIBT

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT

Der Alltag streckt schnell wieder seine Klauen nach dir aus und drückt fest zu, wenn er dich hat.

Ich denke zurück an den letzten Tag am Strand.

Der Blick auf die Ostsee, auf das blaue Meer bringt dir innere Gelassenheit. Das Rauschen der Wellen lässt dich zur Ruhe kommen und obwohl du Stimmengewirr um dich herum wahrnimmst, kannst du dabei einschlafen.

Wie kann ich diese Erinnerungen speichern und sie am Tag wieder hervorholen, wenn ich mal wieder so gar keine Lust auf Arbeit habe?

Ich setze mich in meinen Lieblingssessel, schließe die Augen und stellen mir vor, wie die Wellen rauschen.

Wenn ich beim Nordic Walking bin, dann nehme ich das Rauschen der Kiefern wahr.

Das könnte ein Ersatz sein für das Wellenrauschen .  Ich werde das ausprobieren.

Den Blick auf das Meer kann ich nicht nach Hause holen – den inneren Blick darauf aber schon.

Ich denke, wenn ich für ein paar Augenblicke, möglicherweise für nur ein paar Sekunden, diese inneren Bilder ins Gedächtnis rufe, dann hat sich der Urlaub noch mehr gelohnt und ich habe ihn sogar ein wenig mit in den Alltag geholt.

 

 

DIE KLEINEN ALLTAGSDINGE WAHRNEHMEN

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT

Nimm‘ die kleinen Alltagsdinge wahr, und selbst wenn du dich dabei anstrengen musst: finde heraus, warum sie schön sind.

Ich bin heute ganz früh aufgestanden, nicht ganz so früh, als wenn wir nach Berlin reinfahren würden. Es ist ja unser erster Urlaubstag, und es ist schön, zumindest das Gefühl zu haben, man könne ausschlafen. Jetzt kommt der andere Stress, die Vorbereitungen vor der Abfahrt an die Ostsee.

Also habe ich schon mal im Garten die Sonnenschirme aufgemacht, Tische und Stühle abgewischt, damit wir vor dem ganzen Packen in Ruhe im Garten frühstücken können.

Ich habe die Pflanzen gegossen, weil sie sich jetzt noch gut mit Wasser vollsaugen können und die Tropfen nicht schon an der Oberfläche verdampfen.

Wenn du morgens so stehst, den Schlauch an die Wurzel einer Pflanze vor dir hältst, du hörst, wie die Vögel im Vorbeifliegen mit den Flügeln heftig schlagen, dann wirst du zum Philosophen. Und du fragst dich, was für dich eigentlich wichtig ist im Leben? PR-Texte schreiben und Anzeigen verkaufen?

Ist wichtig. Noch mehr Geld verdienen? Ja, ich würde lügen, würde ich so einen Gedanken bestreiten.

Aber was ist für dich wirklich das, was dich von innen her antreibt? Na ja, das hier: die morgendliche Stille geniessen, das Gras riechen, den Blumenduft einsaugen, spüren, wie du den Pflanzen was Gutes tust, wenn du sie wässerst – eben diese ganzen Kleinigkeiten, die scheinbar ganz unwichtigen Dinge im Weltgetriebe.

Mehr nicht? Schon, du kannst noch eine Menge mehr aufzählen.

Doch jetzt ist es eigentlich das, der Moment, in dem du lebst. Banal? Ja, das macht es ja so schwierig, es als etwas ganz Wertvolles anzusehen.

Also wichtig, es sich vor Augen zu führen?
Unbedingt!

IM WARTERAUM DER ZAHNARZTPRAXIS

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT

Du kannst Menschen in vielen täglichen Situationen beobachten, ihnen im Gespräch zuhören, deine Schlüsse ziehen.
Manches davon ist banal, ja langweilig, aber es ist dein Leben, das Leben der anderen, auf die du triffst. Du kannst es mögen oder auch nicht, aber du solltest selbst diese Augenblicke nicht geringschätzen.

Ich sitze im Warteraum in der Zahnarztpraxis. Ich bin etwas früher da. Komisch, das ist so tief in mir drin, das mit der Pünktlichkeit. Ich bin meistens 20 bis 30 Minuten früher da, als es eigentlich nötig wäre.

Woran liegt das? Ist es meine Zeit, in der ich zur See gefahren bin und wo das Schiff nicht auf dich gewartet hat, wenn du dich verspätet hast?

Oder ist es die Erziehung? Mein Vater war in diesen Dingen besonders streng. Vielleicht von jedem ein bisschen, dass dazu geführt hat, das ich jetzt hier sitze und warte, bis es losgeht.

Es ist ein gewöhnlicher Termin, indem die Zähne durchgesehen werden sollen. Und trotzdem, es bringt meine Routine durcheinander. Ich konnte heute Morgen nicht zum Sport fahren, Klara ist mit dem Zug gefahren, anstatt bei mir im Auto zu sitzen.

Das Gute daran: Wir sind nicht vier Uhr aufgestanden, sondern erst fünf Uhr.

Für manch einen immer noch zu früh, aber für uns am Alltag ist eine Stunde später aufstehen schon Luxus. Also fühle ich mich ausgeschlafen, während ich hier auf der Couch sitze und auf den Aufruf warte, ins Praxiszimmer zu gehen.

Während ich hier auf dem iPhone schreibe, muss ich den Mundschutz umhaben und durch den Atem beschlägt laufend die Brille.

Ich ziehe die Maske ein wenig nach unten, sodass ich besser durch die Nase atmen kann.

Mir gegenüber sitzt ein älterer Herr und zur Tür herein kommt in dem Moment ebenfalls ein älterer Mann, vielleicht Mitte 70.

„Was machst du denn hier?“, fragt der ältere Herr, der sitzt.

„Wat‘ soll ich hier denn machen?“, fragt der Mann, vielleicht Mitte 70, mit einem leicht schnoddrigen, vorwurfsvollen Unterton.

„Zahnarzt, ‚wa‘?“, sagt der Herr, der sitzt.

„Hm, für ‚de Kneipe isses‘ noch zu früh“, entgegnet der Mann, vielleicht Mitte 70.

„Gott bewahre!“, sagt der ältere Herr, der sitzt. Der Mann, vielleicht 70, antwortet darauf nicht.

„Und ‚de‘ Frau?“, lässt der ältere Herr, der sitzt, nicht nach.

„Hüfte“, antwortet der andere.

„Oh, ich habe ‚jerade‘ eine schwierige Operation hinter mir“.

„Du, ‚ick‘ muss meinen Termin neu vereinbaren“, sagt der Mann, vielleicht Mitte 70.

Ich bekomme nicht mehr mit, wie das Gespräch ausgeht, denn ich werde aufgerufen, und ehrlich: Ich bin froh darüber.

Hoffentlich geht mir nie der Gesprächsstoff aus, und es würden nur noch die Krankheiten als Thema übrigbleiben, denke ich noch, als ich die Zahnarzthelferin begrüße.

Wenn ich wieder hier raus bin, setze ich mich sofort an meinen Schreibtisch und fange an zu arbeiten, kreativ zu sein, das nehme ich mir zumindest vor.

WARUM DIE BIBEL LESEN?

FASZINATION BIBEL
Wie ich kürzlich auf die Idee kam, mir die Bibel vorzunehmen und was ich für Erwartungen daran knüpfe.

MITTE JULI 2020

Es war in der vergangenen Woche. Ich stand kurz vor sechs Uhr an einer Kreuzung in Mitte und wollte in Richtung Fitness-Studio einbiegen.

Die Ampel stand lange auf Rot und so hatte ich Muße, dem Radiokommentar eines Pfarrers zuzuhören. Er sprach davon, dass du selbst in Zeiten deiner größten Not, deiner Hilflosigkeit dankbar sein sollst für das Leben.

‚Hat der noch alle Latten am Zaun?‘, dachte ich bei mir.
Und in dem Moment sagte er auch schon: „Ich weiß, Sie denken jetzt bestimmt, dass ich fernab von jeder Realität bin. Nein, das bin ich nicht.“

Dann fuhr er damit fort, dass es besser sei, sich seinen Schmerzen zu stellen, sich zu fragen, wie man wieder aus einer schwierigen Situation wieder herauskäme.

Das fand ich dann wieder nicht so schlecht. Zum Schluss berief er sich darauf, dass er diese Worte und Botschaften der Bibel entnommen hatte.

„Die Bibel ist das Wort Gottes an uns.“
Ich war so neugierig geworden, dass ich in den Pausen zwischen den Trainingseinheiten im Fitness-Studio bereits mit meinem iPhone googelte, ob es eine passable aktuelle Übersetzung der Bibel geben würde, die ich auch verstehen konnte.

So richtig bin ich nicht fündig geworden und habe erst einmal mit den Übungen weitergemacht.

Doch die Worte des Pfarrers gingen mir nicht mehr aus dem Kopf.
Hatte ich nicht vor vier Jahren schon einmal damit begonnen, mich für die Heilige Schrift zu interessieren?

Ich fand damals die Worte so gewaltig, die ich gleich am Anfang der Bibel gelesen hatte, war fasziniert von den Formulierungen und den Ausdrucksweisen der kurzen Sätze.

Wer sich ein wenig für Deutsch interessiert, den lässt das natürlich nicht kalt.

Aber dann bin ich wieder von abgekommen. Warum?
Weil ich bei mir im Arbeitszimmer nur eine Ausgabe hatte, die in alter deutscher Schrift abgefasst war.

Zurück vom Training, machte ich mich im Internet auf die Suche. Ich wollte herauskriegen, wer mir helfen kann, die Bibel zu verstehen.

Ich stieß auf das Buch von Pater Anselm Grün: „Die Bibel verstehen: Hinführung zum Buch der Bücher“ – (E-Book, ISBN – 978-3-451-33627-0; Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2010).

Das war es!
„Für die frommen Juden und für die frühen Christen waren die Worte der Bibel immer leitende und wegweisende Worte“, schreibt Anselm Grün in seiner ‚Einladung‘. (Vgl. ebenda)

Er geht auch darauf ein, dass sich heute viele Christen schwer damit tun, die Bibel zu lesen. (Vgl. ebenda)

Oh, diese Worte sind Balsam für mich. Ich als jemand, der kaum etwas mit der Kirche und dem Christentum zu tun hatte, für den war es ja noch schwerer.

Ich hatte das Kapital studiert, vier Jahre lang. Und im Gegensatz zu vielen Leuten, die darüber nur reden, hatte ich es auch verstanden, kannte die hervorragende ökonomische Analyse der damaligen Verhältnisse und wusste auch um die Schwäche in der daraus folgenden Prognosen für die Zukunft.

Das Gute daran ist, dass ich es über viele Jahre und Jahrzehnte gewohnt war, mich mit schwierigen theoretischen Texten zu befassen.

„Wir brauchen die richtige Brille, um die Worte der Bibel so zu lesen, dass sie heilsam ist und wegweisend für uns sind, dass es Worte des Lebens und Worte zum Leben werden.“ (Vgl. ebenda)

Dieser Satz von Anselm Grün hat mich endgültig überzeugt. Ich werde mich mit den Worten aus der Bibel auseinandersetzen, sie versuchen zu verstehen.

Und vor allem: Ich werde herausfinden, worin die Heilsamkeit dieser Ideen besteht.

Darauf freue ich mich in den nächsten Wochen und Monaten.

Wer Lust hat, der kann hier mitlesen, was ich so rausbekomme, welche Schlussfolgerungen ich für mich, für meinen Alltag daraus ziehe.

Ich habe mir zum Geburtstag in der nächsten Woche einen dicken Wälzer gewünscht – die Stuttgarter Erklärungsbibel. Sie ist nicht ganz billig, aber sie ist wohl das umfassendste Werk, dass dich in die biblische Geschichte einführt.

Ich freu‘ mich drauf‘ und darf nicht darüber vergessen, dass ich ja zwischendurch noch ein bisschen arbeiten muss. Naja, irgendwie kriegen wir das schon hin.

GUTE BILDER IM KOPF HELFEN UNGEMEIN

Heute Morgen: dieselbe Prozedur – wie jeden Tag. Ich sitze noch auf dem Bett.

Ich bin schlecht gelaunt, weiß nur vage, wo ich gerade bin.
Dann fällt mir ein, dass ich zum Training will. Der Gedanke zieht mich noch mehr runter.

‚Wir holen ja heute Krümel aus der Kita ab“, schießt es mir plötzlich durch den Kopf.

Ich sehe die Kleine vor mir: Ich warte draußen, Klara geht rein, zieht sie um und die beiden gehen die Treppe runter. Schließlich sieht sie mich durch die großen Glasscheiben im Flur.

Sie reißt sich von ihrer Oma los, ich höre sie rufen, zumindest sehe ich, wie aufgeregt sie mit den Füssen aufstampft. Endlich geht die Eingangstür auf und Krümel kann losstürmen.

Ich habe Angst, dass sie fällt, während sie auf mich zuläuft.
„OOHPAAA!“, klingt es in meinen Ohren; die schönste Musik überhaupt.

Ich fange Krümel auf, hebe sie hoch, drücke ihr einen Kuss auf die Wange.

Ich bin vom Bett aufgestanden, kenne meine Motivation für den heutigen Tag und beginne ihn mit viel Schwung.

Übrigens: Ich habe danach noch zweieinhalb Stunden trainiert, mit viel Power, guter Musik und guter Laune.

ZIEH‘ DICH AM EIGENEN SCHOPF ANS LICHT


ALLTÄGLICHES (55)

„Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied“, besser kann man wohl den Kern der Botschaft nicht auf den Punkt bringen, nämlich Herr über sein eigenes Leben zu bleiben oder zu werden.“
Und genau da liegt zugleich der ‚Hund begraben‘.

Wer hat nicht schon sein eigenes Schicksal beklagt, sich darüber ausgelassen, wie ungerecht das Leben es mit ihm meint.
Ich bin da keineswegs eine Ausnahme.

Natürlich, Schicksalsschläge wird es immer geben, die über einen hereinbrechen, ohne dass du dich darauf auch nur irgendwie vorbereiten konntest.

Aber es gibt noch eine andere Seite unseres Lebens, die du im Blick haben solltest:

Wie oft hast du dich nicht schon gefragt, warum es dir im Moment so schlecht geht, du nicht über das nötige Geld verfügst, du dir nicht das kaufen kannst, was dir vorschwebt, damit du glücklich bist?

Es ist dein gutes Recht, das zu beklagen. Doch wird es dir deshalb besser gehen?
Wohl kaum.

DEIN EIGENES ICH ZU ERKENNEN IST TAUSENDMAL WICHTIGER ALS SO MANCHER COACHING-TIPP VON AUSSEN

Ich denke, dass du deine wirkliche Bestimmung nur dann entdeckst, wenn du beginnst, selbst an dir zu arbeiten.
Dazu gehört, sich über das eigene Potenzial im Klaren zu werden.

Nur wenn du deine eigenen Kräfte wirklich einschätzen und sie danach steuern kannst, wirst du überhaupt erst etwas zum Positiven für dich verändern können.

Und oft ist es dabei besser, sich den Stärken zuzuwenden, sie zu noch weiter zu profilieren, als unentwegt vergeblich zu versuchen, sämtliche Schwächen auszumerzen.

Mein Physiklehrer sagte mal zu mir: „Aus dir wird nie ein grandioser Schwan werden, du bleibst eine Ente.“
Er hatte recht damit. Was er aber nicht sah, nicht sehen wollte, über welche Stärken ich in anderen Fächern verfügte, was mir Spaß bereitete und woran ich arbeiten wollte.

Nur du kennst deine Stärken, deine Schwächen wirklich bis in die kleinste Ecke, und deshalb kannst du am besten daran arbeiten, und dir dann auch Hilfe von außen holen.

Du brauchst an irgendeiner Stelle, möglichst da, wo auch deine Stärken sind, eine riesige Portion an Leidenschaft, um deine Ziele zu erreichen, welche das auch immer sein mögen.

Ich lese gerade darüber ein Buch, wie der Ironman Jan Frodeno für sein Training brennt, welche Leidenschaft er stets aufs Neue entwickelt, um seine Ziele Tag für Tag auf dem Rad, beim Joggen oder im Schwimmbecken zu erreichen.

Diese Leidenschaft fasziniert mich. Und wenn ich morgens im Fitness-Studio so gar keine Lust habe, auch nur eine Übung zu machen, dann denke ich an ihn, an seine Disziplin, seine Ausdauer – und ich beginne mich so zu motivieren, fange mit den Trainingseinheiten an, bekomme gute Laune.

Frodeno und mich trennen Welten, das ist wohl so und so wird es bleiben.

Was mich mit ihm eint ist die Überzeugung, dass nur du selbst deine Grenzen ausloten und erweitern kannst.

Ich werde in knapp drei Wochen 68 Jahre alt. Und ich höre dich schon sagen: „Was hast du ‚alter Sack‘ noch mit Leidenschaft, Training, Zielen und Selbstcoaching zu tun?“
Alles! Es ist mein Leben, mich zu verändern, meine Stärken weiter zu stärken, mit Schwächen zu leben.

Das geht nur, wenn ich das auch wirklich will. Und ich will es.

Motivation sollte am besten von innen herkommen. Nur sie macht es, dass du dich dahin bewegst, wo du tatsächlich hinwillst. Also coache dich selbst, motiviere dich selbst.

DER INNERE SCHWEINEHUND UND MEINE INNEREN STIMMEN

ALLEIN MIT MEINEN INNEREN STIMMEN

Fitness-Studio, 06.29 Uhr
Ich habe schon einige Trainingseinheiten hinter mich gebracht und kann mir eine kleine Pause leisten. Ich stehe am Fenster und schaue nach draußen, beobachte, wie die Leute der Straßenbahnhaltestelle zustreben.

Ein älterer Mann, mit dickem Bauch, einem sehr dicken Bauch, schwenkt seine Tasche lustlos hin- und her. Sein Gang ist schwer, und er wankt von einer Seite auf die andere.

Sein Gesicht zeigt an, wie er den Morgen verflucht, weil er sich in die enge Hose zwängen musste, sein Bauch durch den Gürtel eingeklemmt wird und das Fett im Rhythmus seiner Schritte über dem Gürtel schwabbelt.

‚Ja, mein Freund, wärst du mal vor der Arbeit hier hochgekommen und hättest dich auf die Bauchbank gelegt, auf den Rücken, versteht sich. Und dann hättest du deine Beine hoch und runter bewegt. Aber nein, das war ja zu anstrengend für dich.

Also beschwer‘ dich jetzt nicht, dass du beim Gehen nicht vorwärtskommst.‘
Endlich hatte ich jemanden gefunden, der noch mehr an Bauchfett herumzutragen hatte, als ich selbst.

Ich musste eine Stunde zurückdenken, als ich mit dem Auto an der Kreuzung stand.

Sollte ich nach rechts abbiegen, in Richtung Heimat, oder sollte ich nach links fahren, direkt in die Tiefgarage des Fitness-Studios?

‚Komm‘, wir machen blau‘, sagte eine innere Stimme zu mir. Es war Draufgänger, der wohl auch keine Lust hatte.

‚Ja, gönn‘ dir doch eine Pause, fahr‘ zurück und trink statt des harten Trainings eine schöne Tasse Kaffee‘, rief nun die zweite innere Stimme.

Es war der Sensible, der stets Mitfühlende.
„Merkt doch keiner“, meinte er noch.

‚Auweia, wenn das rauskommt‘, meinte nun die dritte Stimme, der Theoretiker.

‚Unser Plan sieht das kein Aussetzen vom Training vor. Wir trainieren von 05.50 bis 07.30 Uhr, dann fahren wir zurück und gegen 08.15 Uhr ist der Waldlauf runter zum Liepnitzsee geplant.‘

‚Oh Mann, du nervst. Kannst du nicht einmal von deinem Plan abweichen, nur einmal?‘

‚Nein, das kann ich nicht, und du solltest als Draufgänger uns alle mitreißen, motivieren‘, sagte nun Theoretiker. Seine Stimme klang pikiert.

‚Ach streitet euch doch nicht, wir wissen ja gar nicht, wie sich unser Dicker entscheidet.‘

Hatte der Sensible mich Dicker genannt? Frechheit.
Ich steuerte das Auto nun direkt auf das Tor der Tiefgarage zu.
‚Na bitte, geht doch‘, meinte der Theoretiker.

‚Du gehst mir sowas von auf die Eier, du glaubst es gar nicht‘, schnaufte Draufgänger wütend und enttäuscht, dass sein Herr auf Theoretiker gehört hatte.

‚Sei‘ doch mal ein bisschen netter zu deinen Freunden‘, meinte jetzt der Mitfühlende. Er war schon wieder eingeknickt und hatte sich auf die neue Situation eingestellt.

„Schnau…, äh ich mich meine, schon gut‘, brummte nun Draufgänger.
Oben angekommen, wollte Draufgänger gleich an die Bizepsmaschine.

‚Zieh‘ heute mal durch, mach viermal hintereinander fünfzehn Trainingseinheiten, und beim letzten Schub, legst du noch 5 kg drauf.
‚Das ist nicht der Plan‘, meinte nun Theoretiker. Wir wollen ja anderthalb Stunden durchhalten.

‚Du Schlappschw….‘, wollte gerade Draufgänger brüllen, als ich die Halter an der Bizepsmaschine zum vierten Mal nach oben hievte.

Die Straßenbahn näherte sich der Haltestelle, die Bremsen quietschten, der Mann mit dem überquellenden Bauch quälte sich die Stufen ins Innere des Straßenbahnwaggons hoch.
Als sich die Bahn wieder in Bewegung setzte, riss sie mich aus meinen Gedanken.

Ich drehte mich vom Fenster weg, schaute im Studio umher, welches Gerät ich als nächstes nehmen sollte.

Die inneren Stimmen sagten nichts mehr, sie hatten mit dem Luftholen zu tun.

MEIN DENK-ZETTEL (1)


ALLTÄGLICHES (53)

Kennst du das auch? Du arbeitest am Tag, hast Stress, telefonierst, nimmst Termine wahr und trotzdem hast du abends das Gefühl, du hättest nichts geschafft?
Wahrscheinlich ist es jedem schon mal so gegangen.
Du bist dann unzufrieden mit dir und deiner Welt, die du nur noch als belastend empfindest.

Obwohl ich vielen anderen Menschen mit meinen Coachings und Gesprächen geholfen habe, Auswege aus dem Alltagsgestrüpp zu finden, und sich auf das zu konzentrieren, was wirklich wichtig ist, verrenne ich mich selbst oft genug.

Ich habe mir inzwischen angewöhnt, einen kleinen Zettel zu nehmen, darauf zu notieren, was ich noch tun will, ihn aber dann wieder beiseite zu legen.

Ich möchte damit verhindern, dass ich mich andauernd ‚verzettele‘.
Wenn ich daran zurückdenke, als ich noch Bereichsleiter in einer Unternehmensberatung war oder als Coach viel umhergereist bin, dann hatte ich aus Vorbildgründen immer einen kleinen Zettel in der Tasche.

Darauf stand, was ich an dem konkreten Tag auf gar keinen Fall aus dem Auge verlieren wollte – zum Beispiel einen wichtigen Kunden kontaktieren, ein Gespräch mit einem Mitarbeiter führen, oder zum Valentinstag nicht den Blumenstrauß zu vergessen.

Das waren meine Erinnerungen, meine ‚Denk-Zettel‘.
Oft habe ich auch darauf vermerkt, was ich mir als Ziel für den Tag vorgenommen hatte.

Die Sätze waren stets die gleichen, nämlich: „Am 29.06. des Jahres habe ich 19.00 Uhr folgendes erreicht: Ich habe mit dem Mitarbeiter Alex das Gespräch geführt, eine persönliche Zielvereinbarung mit ihm für das nächste Jahr erarbeitet und über eine Gehaltserhöhung mit ihm gesprochen.“

Ich musste tagsüber nicht mehr auf den Zettel schauen. Nein, wenn ich es einmal mit der Hand notiert hatte, dann war es gespeichert bei mir.

Die Ziele waren wiederum abgeleitet aus ganz konkreten Glaubenssätzen, aus Werten, die mir wichtig waren, und die ich eben nicht am Alltag aus dem Auge verlieren wollte.

Ich habe das auch mit Klienten getan. So erinnere ich mich, dass ich eine Ärztin in einem Krankenhaus gecoacht habe, die einen ihrer Kollegen nicht ausstehen konnte.

„Ich kriege schon schlechte Laune, wenn der nur zur Tür hereinkommt“, sagte sie zu mir.

Ich habe ihr als Aufgabe gestellt, sich jeden Morgen erneut auf einem kleinen Zettel zu notieren, was sie Gutes an dem Kollegen fand, den sie nicht mochte.

Stück für Stück wurde aus einem Feindbild eine Charakterskizze über ihren Kollegen, an den sie später sogar wegen seiner profunden Fachkenntnisse nicht mehr beneidete, sondern ihn dafür bewunderte.

Kleinigkeiten? Vielleicht. Aber wirksam in der Methode.

Ich kann nur empfehlen, es auszuprobieren: 
Nimm' einen Zettel, schreib' in dein iPhone, gib' es in dein iPad ein, aber schreibe, und zwar darüber, was dir wichtig ist, woran du glaubst, was du erreichen willst, und was du auf gar keinen Fall im Alltagsstreß aus den Augen verlieren möchtest.


DIE WUT DES ANDEREN SOLLTE NICHT ZU DEINER EIGENEN WUT WERDEN


ALLTÄGLICHES (52)

Mir ging lange das Erlebnis im Fitness-Studio aus der vergangenen Woche nicht aus dem Kopf, und der Gedanke, ob ich mich richtig verhalten hatte.

Was war passiert?
Es war so kurz nach 06.00 Uhr morgens, das Studio war noch leer und ich steuerte zielstrebig auf die Bizepsmaschine zu. Eine halbe Stunde weiter und sie wäre ständig besetzt gewesen. Also begann ich mit den Übungen, solange es noch möglich war.

Ein ungeschriebenes Gesetz ist, dass man auf den Sitz des Trainingsgerätes, in diesem Fall auf den der Bizepsmaschine, ein Handtuch legte.

War man mit den Übungen fertig, so stand man auf, nahm das Handtuch weg, desinfizierte den Sitz und machte den Platz frei für den nächsten Trainingswilligen.

Einige wenige der Teilnehmer meinten, mehrere Plätze belegen zu können. So auch an diesem Morgen. Jemand hatte sein Handtuch auf die Bizepsmaschine gelegt und trainierte parallel an einem zweiten Gerät.

So sicherte er sich die Möglichkeit, immer wieder zur Bizepsmaschine zurückkehren zu können, ohne dass sie ein anderer belegt hatte. Ziemlich egoistisch, wie ich fand.

Ich überlegte kurz, nahm das Handtuch hoch und legte es an die Seite auf eine daneben befindliche Bank.

Es dauerte nur wenige Sekunden und ich hörte einen wütenden Ruf: „Öh, das ist mein Handtuch“. Hinter mir schnaubte ein junger Fitness-Teilnehmer und schaute mich dabei aggressiv und angsteinflößend an.

Was sollte ich tun? Ihm genauso begegnen und einen riesigen Streit vom Zaun brechen?

Ich wollte mir aber den Morgen nicht verderben lassen, schon gar nicht von jemandem, der seine Emotionen nicht im Griff hatte.
„Oh, bitte entschuldigen Sie, aber ich war fest davon ausgegangen, dass hier jemand sein Handtuch vergessen hatte.

Denn ich konnte mir nicht vorstellen, dass bei dem Andrang an der Bizepsmaschine es jemand ausnutzt und einfach sein Handtuch liegenlässt, um hintereinander zu trainieren.“

Der junge Mann schaute mich verdutzt an.
Dann schrie er: „Das ist mein Handtuch!“.

„Ich verstehe Sie, dass Sie jetzt sauer sind, und dafür entschuldige ich mich jetzt noch einmal, dass ich unaufmerksam war. Aber glauben Sie nicht auch, dass es besser ist, sein Handtuch am Mann zu tragen, so wie es jeder tut?“, fragte ich ihn weiter.

Mein Ton war ruhig, obwohl ich innerlich kochte. Mein Sternzeichen Löwe brüllte nach innen, so als hätte mir jemand eine Reißzwecke in den Allerwertesten gerammt.

Der junge Mann sah mich jetzt genauer an. Dann murmelte er noch etwas und zog von dannen.

Klar, meine gute Laune war jetzt auch verflogen. Aber ich hatte es geschafft, mir nicht den giftigen Ton meines Gegenübers zu eigen zu machen. Faktisch ist seine negative Energie an mir abgeprallt.

Darauf bin ich ein wenig stolz, denn das bekam ich früher nicht so gut hin, vor allem, wenn ich mich im Recht glaubte. Aber es ist ja nie zu spät, schlechte Erfahrungen durch gute zu ersetzen.

Ich fuhr gerade an einem Feld mit roten Mohnblumen vorbei, als mir das alles noch einmal durch den Kopf ging.

Nun konnte ich das alles endgültig abstreifen und ich freute mich, dass ich wieder nicht auf die Wut eines anderen Menschen eingegangen war.

Ich glaube, wer besonnen reagiert, der erntet mehr Verständnis, sendet eher noch Mitgefühl aus, lässt den anderen mit seiner Wut auf jeden Fall hinter sich.
Ich war mit mir im Reinem.

WIE DEN INNEREN SCHREIBWIDERSTAND ÜBERWINDEN?

ALLTÄGLICHES (51)
Schreiben hilft dir, dich selbst besser zu erkennen. Wie aber damit beginnen?
Meine Erfahrungen sind:
Schreib‘ einfach los, hör‘ nicht auf deine Ängste oder auf mögliche Vorbehalte, die du dir einredest.
Schreibe über deine eigene Situation, sei dabei ehrlich, bleib‘ bei dir, bleib‘ einfach.

Bring‘ schwarze Buchstaben auf weißes Papier. Das klingt einfach.
Ist es auch, wenn nur dieser verdammte innere Widerstand nicht wäre.

„Wie schreib‘ ich das jetzt auf? Gerade ist es mir doch noch durch den Kopf gegangen. Ich wusste genau, wie ich es schreiben wollte, und jetzt weiß ich gar nichts mehr“

Kommt dir das bekannt vor? Ja? Mir auch.
Ich glaube, es gibt wohl kaum einen Menschen auf dieser Erde, dem es noch nicht so ergangen ist, der nicht mit dem inneren Widerstand, häufig auch noch mit dem inneren Schweinehund zu kämpfen hatte, wenn er was Vernünftiges zu Papier bringen wollte.

Wie kann man das Dilemma verhindern? Ich nehme mir oft am Anfang einen Bleistift und ein Blatt Papier. Besser, ich klebe eine ausgedruckte Seite auf eine andere und beschreibe die Rückseite.
Psychologisch überliste ich mich ein wenig, indem ich denke: „Da auf der anderen Seite steht ja schon allerhand.“

Es gibt Autoren, die haben auf Briefumschlägen geschrieben, nur damit sie das große weiße Blatt vermeiden konnten.

Und dann schreibe ich einfach los, skrupellos und ohne daran zu denken, wer so alles mein Geschriebenes ganz blöd findet.

Dieser Weg hat auch noch einen positiven Nebeneffekt. Wenn ich nämlich einen Einfall habe, mein Thema kenne, dann entwickle ich während des Schreibens meinen ersten gedanklich gesponnenen ‚zarten logischen Faden‘ auf dem Papier weiter.

Erst jetzt merke ich, wie ich weiterkomme, was vielleicht fehlt und woran ich noch feilen muss.

Auf jeden Fall versuche ich möglichst einfach zu schreiben, anschaulich zu bleiben. Früher glaubte ich, in der Wissenschaft sei es angebracht, möglichst viel mit abstrakten Begriffen zu hantieren.
Ein Selbstbetrug.

Warum? Weil du selbst noch nicht durch dein eigenes Erdachtes, deine eigenen Gedanken hindurchgestiegen bist.

Ich habe für diese simple Erkenntnis sehr lange gebraucht, Jahre und Jahrzehnte.

Willst du in dir selber etwas verändern mit dem, was du aufschreibst, dann mußt zu dir selber ehrlich bleiben, dich nicht hinter klobigen Begriffen verstecken, die zudem das  Geschriebene irgendwann so überlagern, dass du am Schreiben und am sich anschließenden Durchlesen die Lust verlierst.

Fang‘ einfach damit an aufzuschreiben, wovon du träumst, wo du in fünf Jahren sein willst.

SCHREIBEN GEHÖRT ZUM LEBEN

ALLTÄGLICHES (48-9)

Schreiben ist nichts Elitäres, nein, es hilft dir im Alltag, dich besser zu fühlen, fokussierter zu werden.

Schreiben ist nicht nur auf eine kleine Gruppe von Menschen beschränkt, die vielleicht damit auch noch ihr Geld verdienen, mal mehr oder meist weniger.

Nein, Schreiben gehört zum Leben, wie das Essen, Trinken oder die Arbeit. Ich beginne oft morgens damit, auf einem Blatt Papier loszuschreiben und komme so in den Tag, weiß danach, wo ich die Schwerpunkte in der Arbeit setzen will.

Außerdem trainiert es mich, lebendiger zu schreiben.
Und: Lebendig zu schreiben, das ist nicht nur was für andere Menschen, zum Beispiel, diejenigen, die den Text gerade lesen.
Es ist vielmehr: Wenn ich schreibe, spreche ich nämlich mit mir selbst.

Man könnte das als Tagebuch ansehen. Ich glaube, dass es wichtig für das eigene Verständnis ist, weil ich ansonsten keine Botschaften aussenden kann, an mich selbst und an andere mir wichtige Menschen.

Im Laufe meines Lebens habe ich erfahren, wie wichtig es ist, sich über seine Gedanken und Gefühle klar zu werden. Und das geht am besten, wenn du die Dinge aufschreibst.

Du kannst am See sitzen, über das Wasser schauen und über deinen Alltag nachdenken. Das ist eine gute Sache.

Willst du aber tatsächlich etwas verändern, so musst du es konkret machen. Das kriegst du aber nur hin, wenn du schreibst, deine Gedanken ordnest, Vereinbarungen mit dir selber triffst.

LERNE DICH SELBST BESSER KENNEN

ALLEIN MIT MEINEN INNEREN STIMMEN

‚Warum willst du uns eigentlich ständig bei dir haben?‘, fragen mich manchmal meine inneren Stimmen ‚Draufgänger‘, ‚Sensibler‘ und ‚Theoretiker‘.

‚Das ist gar nicht so leicht zu beantworten‘, sage ich dann.
Und weiter: ‚Ihr seid ja ohnehin bei mir, egal, was ich über euch denke‘.

‚Das stimmt schon‘, meint Theoretiker, ‚aber es muss doch einen Grund dafür geben.‘

‚Theoretiker‘ hat recht. Meine inneren Stimmen machen schon zu einem großen Teil auch meine Individualität aus.

Sind wir nicht ständig dabei, zu messen und zu vergleichen, unsere Normen an andere anzulegen?

Gibt es überhaupt eine objektive Beurteilungsmöglichkeit für andere Menschen?

Sicher, wenn man zum Beispiel die Werte und Normen, die die Gesellschaft vorgibt, zugrunde legt.

Und trotzdem: Ich beurteile einen Menschen, der mir etwas sagt, stets danach, wie ich die Dinge einordne, was ich fühle, und was ich glaube.

Ich denke, wenn wir andere Menschen kennenlernen wollen, so legen wir zuallererst unsere eigenen subjektiven Maßstäbe an. Wie auch können wir entscheiden, ob uns jemand sympathisch ist oder eben auch nicht?

Das kannst du nur aus der eigenen individuellen Natur heraustun.
Kennt man sich also selbst sehr gut, geht man sicherlich mit anderen Menschen in bestimmten Situationen nachsichtiger um.

Im Straßenverkehr werde ich oft wahnsinnig, wenn jemand vor mir mit 40 km/h fährt, anstatt dass er wenigstens auf die 50 km/h hochgeht. Das ist meine innere Stimme ‚Draufgänger‘, die mich dann nervt und nach vorn peitscht.

‚Sensibler‘ hingegen sagt zu mir: ‚Reg‘ dich doch nicht auf. Vielleicht hat der Fahrer vor dir ein persönliches Problem, das an ihm nagt, oder er ist generell nicht von der schnellsten Sorte. Gib‘ ihm den Freiraum, den er braucht, um sicher fahren zu können. Du hast auch was davon.“

Und nur weil ich weiß, wie ‚Sensibler‘ reagiert, kann ich an mir halten und verurteile den Menschen vor mir nicht vorschnell, fälle kein ungerechtes Vorurteil.

„Also, ‚Sensibler‘, ‚Theoretiker‘ und auch ‚Draufgänger‘, je besser ich euch kennenlerne, wie ihr reagiert, lerne ich, auch andere Menschen besser einzuschätzen, mit ihnen besser umzugehen.“

‚Na hoffentlich!‘, schallt es mir von allen drei Stimmen gemeinsam entgegen.

WAS MICH AM SCHREIBEN ÜBER DEN ALLTAG BEGEISTERT (TEIL 1)

SCHREIB – ALLTAG (1)

Ich schreibe schon lange, eigentlich schon mein ganzes Leben.

Aber zum Geschichtenerzählen komme ich erst so richtig in letzter Zeit, und da bin ich auch noch ganz am Anfang.

Ich schreibe vor allem Geschichten, die mit dem Alltag zu tun haben.

Bin ich deshalb ein Schriftsteller?
Nein, sicher nicht.

Aber ich muss mich natürlich trotzdem an die Regeln des Schreibens halten, und deshalb muss ich sie mir auch aneignen. Auf jeden Fall ist das ein stetiger Prozess des Lernens, Übens und Schreibens.

Mehr und mehr stelle ich mich dabei den Anforderungen an das belletristische Schreiben. Das ist für mich wie ein Abenteuer, eine Reise in ein unbekanntes Land.

Ich schreibe in dieser Rubrik darüber, was mir am Alltag ‚über den Weg läuft‘, wie ich es verarbeite, und , wie ich das Handwerk des Schreiben trainiere und was es mir bringt.

Ich will dem Leser Menschen aus dem Alltag  näherzubringen, ihre Konflikte, ihre Hoffnungen, Sehnsüchte und die Schwierigkeiten zeigen, mit denen sie in ihrem Umfeld zu tun haben.
Mich reizt das Banale, das, was wir am Tag erleben, eben das, was wir oftmals nicht aufmerksam genug hinterfragen.

Dabei gibt es viel mehr schöne Dinge als hässliche Erlebnisse im Alltag, humorvolle Episoden, die es lohnt, festzuhalten.

Sicher ist es ja auch interessant, quasi den Weg des Schreibens zu dokumentieren – mein handwerkliches Verständnis davon, die Erfolge und Niederlagen, die Fehler und vor allem die Motive, warum ich weitermache.

Schreiben und verwerfen, wieder schreiben, lesen und dann wieder schreiben. Eintönig?
Ja, irgendwie schon. Anstrengend? Und wie.
Trotzdem: Es bleibt faszinierend.

 

DACKEL HANNA WILL NICHT ZU KURT INS AUTO

ALLTÄGLICHES (50-2)

HERTA UND KURT (2)

Kurt hat zusammen mit Hanna das Auto erreicht. Ein Stück weiter ab standen Arthur und Sieglinde und winkten.

„Die können es nicht abwarten, bis sie dich los sind“, sagte Kurt, während der Dackel ihn immer noch anknurrte. Kurt hatte die beiden gebeten, nicht bis zum Auto mitzukommen, damit ihnen der Abschied nicht so schwerfiel.

Außerdem wollte Kurt den Hund als ‚warm-up‘ allein ins Auto bugsieren.

„Nun geh‘ doch schon rein“, brummte Kurt. Dabei lächelte und winkte er Sieglinde freundlich zurück. Die hatte inzwischen ein Taschentuch gezückt, das sie ständig zu ihren Augen führte.

„Jetzt sei mal für einen Augenblick eine ganz brave Hanna. Zeig‘ deinem Frauchen, wie lieb du in Wirklichkeit bist und lass dich von mir in das Auto heben“, sagte Kurt zum Dackel, während der ihn mit unvermindertem Hass anknurrte.

„So, jetzt rollen wir dich hier in die Decke ein und schon bist du auf dem Sitz von Jimmy.“

Hanna bellte nun noch lauter. „Sollen wir dir nicht doch helfen, wenigstens beim Einsteigen?“, riefen Arthur und Sieglinde.

‚Das fehlte noch‘, knurrte Kurt. Das hörte sich jetzt schon genauso wie Hannas Hassgebell an, nur eben leiser.

„Nein danke, alles gut“, rief Kurt laut zurück. Dann erinnerte er sich an die dunkelblaue Decke, die im Kofferraum lag. Sie war mal ein Gratisgeschenk, das Kurt in einer Tankstelle ergatterte. Herta hatte die Decke anschließend an den Seiten zusammengenäht, damit sie darin die Fahrräder im Kofferraum des Autos transportieren konnten.

Sie hatten mit den Jahren eine ausgefeilte Technik entwickelt, wie das jeweilige Fahrrad in die Öffnung der Decke zu bugsieren war. Morgens, um fünf Uhr, war Hertas Fahrrad dran und später dann das von Krimi, Hertas und Kurts Tochter.

Krimi hieß eigentlich Kriemhild, doch dass mochte keiner sagen. Es war Kurts Einfall, sie so zu nennen. Herta wollte ihre Tochter eigentlich Kalinka nennen, denn sie waren gerade von ihrem vierjährigen Aufenthalt aus Moskau zurückgekehrt.

Das fand Kurt auch gut, aber er wollte einen Namen, der ausgefallen war. Heute sagte keiner mehr Kriemhild zu ihr, sondern der Name stand nur noch im Personalausweis, und den würde sie am liebsten auch noch ändern lassen.

Aber jeder kannte sie ohnehin nur als Krimi. Krimis Tochter Emma, die Enkelin von Herta und Kurt,  rief ihre Mutter mit ihren zweieinhalb Jahren manchmal ‚Kiiimi‘, was aber wie ‚Kiwi‘ klang.

Kurt schreckte aus seinen Gedanken hoch, denn Hanna stand noch immer vor der geöffneten Autotür und bellte, was das Zeug hielt. Kurt eilte nun kurz entschlossen nach hinten, öffnete die Hecktür und holte die blaue Decke heraus.

Er machte sie auf, legte sie auf den Boden vor Hanna hin und griff mit beiden Händen nach dem Dackel, der von dem blitzartigen Überfall überrascht wurde.

Kurt kullerte Hanna in die Decke, hob sie mitsamt Decke  mit einem Schwung hoch, und endlich – Hanna landete auf dem Sitz. Sie war nicht mehr zu hören.

Als Kurt die Decke öffnete, um sie herauszuholen, schnappte sie sofort nach seiner Hand. Kurt riss seine Hand vor Schreck und Schmerzen zurück und schaute Hanna verdutzt an, und die blickte wiederum ihn mit ihren großen hübschen Augen an.

Sie hatte aufgehört zu bellen. Sie zuckte ängstlich, in der Erwartung, dass sie wohl einen Hieb bekam. Das musste tief in ihr drinsitzen. Kurt wusste von Arthur und Sieglinde, dass Hanna von ihren Vorbesitzern sehr stark misshandelt worden war und sich deshalb vor allem Männern gegenüber sehr misstrauisch zeigte.

„Also, das war jetzt aber nicht sehr lieb von dir, Hanna“, sagte Kurt, nachdem sie ihn immer noch anschaute, was nun passieren würde. „Wir sind jetzt quitt. Ich hab‘ dich mit der Decke in einem Schwung auf den Sitz befördert und du hast mir dafür deine Fleischerzähne in meine Schreibhand gehauen“, sagte Kurt und staunte selbst, dass er so ruhig blieb.

„Komm‘ Jimmy, lass uns los düsen, auf nach Basdorf“, sagte Kurt, so als würde Jimmy nicht starten, wenn Kurt nicht vorher mit ihm geredet hatte. Kurt kurbelte das Fenster runter, winkte noch einmal zu Arthur und Sieglinde und dann brauste er mit Jimmy davon.

Hanna lag zusammengerollt auf der Decke und von ihr war nur noch ein weinerliches Jaulen zu hören. Kurt drehte den Radioknopf an, ‚Radio B2, Schlagerradio‘.

‚Wir fahren gemeinsam ins Glück, komm‘ lass uns Freunde sein…‘ trällerte eine piepsige Stimme und Kurt summte die eingängige Melodie mit.

Doch Hanna kläffte dagegen sofort an.

„Ist ja gut, wir werden schon noch Freunde, die Frage ist nur, wann“, sagte Kurt zu ihr und schaute dabei in den Rückspiegel.

Hannas misstrauischer Hundeblick verriet, was sie von alledem hielt, was Kurt in ihre Richtung sagte.

POLCHOW – UNSER RÜCKZUGSORT

Du brauchst einen Rückzugsort, jeden braucht ihn.
Am besten ist, du dir einen solchen Ort im Kopf einrichten. Ich tue das, und damit ich ein noch besseres Gefühl habe, entstehen schöne Bilder vor meinem inneren Auge.

Sie stammen aus der Gegenwart oder auch aus Erinnerungen der vergangenen Jahre.
Eine Erinnerung, eine sehr starke, verbindet mich mit Polchow auf Rügen. Wir hatten dort 25 Jahre unseren Rückzugsort.

Dieser Morgen war sonnig und klar. Es war die schönste Zeit, wenn alle noch schliefen und ich im Bademantel, mit einem Handtuch bewaffnet, vom Bungalow aus zum Hafen am Bodden hinunterging.

Vom Hafen selbst war nicht viel übriggeblieben, und gerade das machte ihn so anziehend. Schon von weitem sah ich einige Holzpfähle, die man in den Boden des Boddens gerammt hatte, um den Hafeneingang vor Sturm zu schützen.

Sie waren im Laufe der Zeit morsch geworden, manche Pfähle ragten nur noch wie abgebrochene Streichhölzer aus dem Wasser.

Auf ihnen saßen kreischende Möwen, so als würden sie sagen wollen, dass nur sie dort zuhause wären und kein anderer. Rechts und links des Hafengeländes wogte Schilf im Wind und es roch nach Tank.

Eine frische Brise wehte herüber, sanft genug, um sie tief einzuatmen, sich dabei gleichsam zu strecken und die Stille ringsherum in sich aufzunehmen.

Auf dem Wasser waren kleine Schaumkronen zu sehen, die auf den Strand zutrieben. Ich ging zum Bodden hinunter, um zuerst die Badehose auszuziehen und dann ins Wasser zu gleiten.

Vorher schaute ich mich noch um, ob wirklich kein Mensch zu sehen war. Etwas weiter weg, über die Straße rüber, am Ostseestrand, da war die Sache klar. Es gab faktisch keinen Textilstrand, sondern die Badenden liefen fast ausnahmslos nackt ins Wasser.

Hier an der Boddenseite aber, da war es etwas anders. Es ging ‚gesitteter‘ zu und die wenigsten waren Anhänger der Freikörperkultur.

Ich schon, aber nur, wenn ich in den frühen Morgenstunden allein hier unten war. Doch ich war vorsichtig. Manchmal lugte ja hinter dem Schilf plötzlich noch eine ältere Dame hervor und wackelte auf den Strand zu, direkt dorthin, wo mein Handtuch lag.
Splitterfasernackt rief sie mir schon von weitem ein fröhliches ‚Guten Morgen‘ zu.

„Warum kann hier nicht mal eine Meerjungfrau aus dem Wasser steigen?“, fragte ich mich in diesen Momenten.

Heute war keiner zu sehen, die ältere Dame auch nicht. Also streifte ich zügig die Badehose ab, lief mit schnellen Schritten ins Wasser, um mich dann kopfüber gänzlich hineinzustürzen und hastig los zu schwimmen, mich dann sofort auf den Rücken umzudrehen und heftig mit den Beinen zu strampeln, in der Hoffnung, ich würde die Kälte nicht mehr so spüren.

Ich hielt es aber nie lange aus und eilte aus dem Wasser, um mir mit dem Handtuch den Rücken abzurubbeln. Erst wenn ich wieder im Bademantel eingehüllt war, ließ ich den Blick über das Wasser, die eingerahmten Pfähle, das Schilf schweifen.

Bis hin zum gegenüberliegenden Ufer, an dem in Sommerabenden ‚Störtebeker‘ aufgeführt wurde und zum Schluss das Feuerwerk den Hafen erhellte.

Bücher, solche, die ich mag, lassen ebenfalls schöne Bilder vor meinem Auge erstehen und ein gutes Gefühl. Und darauf kommt es an.

DACKEL HANNA – DER VERKAPPTE KAMPFHUND

ALLTÄGLICHES (50 -1)

HERTA UND KURT (1)

„Kannst du für eine Woche auf unseren lieben Hund aufpassen?“
Für eine Weile sagte Kurt gar nichts.
„Hat es dir die Sprache verschlagen?“, ertönte es am anderen Ende der Telefonleitung.

„Naja, ein bisschen schon!“, brummte Kurt.
‚Ihr habt sie ja nicht alle! Soll‘ ich wirklich auf diese Töle aufpassen? Wie hieß sie noch? Hanna, richtig‘, schoss es Kurt durch den Kopf.

„Hanna freut sich auf dich, und du weißt ja, sie ist ein bisschen schüchtern und verängstigt“, flötete Sieglinde mit süßer Stimme.
‚Hanna schüchtern und verängstigt? Bissig, hässlich und knurrig, das waren die richtigen Merkmale von Hanna‘, dachte Kurt und schwieg noch immer.

„Was habt ihr denn vor?“, fragte Kurt jetzt.
„Ach wir wollen uns mal ein paar Tage eine Auszeit gönnen, raus aus der Corona-Isolation und den Kopf freikriegen“, sagte Sieglinde weiter.

„Arthur hat da was entdeckt, wo wir schnell hinfahren können, trotz Urlaubssperre.“

‚Was das wohl für ein Ort war, und warum mussten sie nun schon wieder verreisen? Dabei waren sie doch noch kurz vor der Corona-Krise aus Südtirol zurückgekommen.‘

Aber Kurt konnte es egal sein, er wollte nur auf keinen Fall die bissige und knurrige Hanna an seinem Bein kleben haben.
„Meint ihr wirklich, wir wären die richtigen Aufpasser für die Tö… eh, ich meine für die süße Hanna?“

„Auf jeden Fall, Kurt, du schaffst das schon.“
„Naja, Sieglinde, du weißt, ich sitze von morgens bis abends am Schreibtisch über meinen Texten.“

Kurt war bereits Rentner. Doch das war für ihn kein Zustand. Er legte Wert darauf, dass er noch freiberuflich tätig war. Herta ging noch arbeiten und Kurt wollte nicht nur der sein, der sie morgens zum Zug brachte und abends wieder von da abholte.

„Na gut, dass du das erwähnst, denn auf deinen letzten Umsatz-Abrechnungen ist nichts davon zu merken, dass du noch arbeitest“, antwortete Sieglinde.

Sie war seine Steuerberaterin und sah, dass für seine PR-Kampagnen kaum etwas hereinkam.
Sieglinde hatte recht. Trotzdem ärgerte sich Kurt im Stillen, jedoch sagte er nichts daraufhin.

„Wann wollt‘ ihr denn los?“
„Weißt du, morgen schon. Es wäre also schön, wenn wir Hanna bereits heute bringen könnten“, sagte Sieglinde.

„Gut, ich komme gleich vorbei, dann haben wir es hinter uns“, sagte Kurt. Er glaubte es nicht, dass er so schnell eingeknickt war.

Er hatte eben doch einen zu weichen Kern. Außerdem waren Sieglinde und Arthur sehr gute Freunde, die auch halfen, wenn es darauf ankam. Es kam nicht darauf an, Kurt und Herta fragten einfach nicht.

Kurt ging aus der Haustür zum Carport, zu seinem Jeep. Den mit Kulleraugen vorne dran.
‚Since 1941‘, konnte man im Innenraum lesen, direkt neben dem Lenkrad aufgedruckt.

Kurt liebte sein Auto, obwohl es von hinten so klein aussah.
„Wie ein Renault – Twingo, da musst du dich nicht wundern, dass dich jeder überholen will“, sagte er oft zu Herta. Die schwieg dazu.

„Es passt aber in unser Budget“, antwortete sie, wenn Kurt gar nicht mehr aufhörte, darüber seine Witze zu machen.

Kurt sagte: „Du Jimmy, wir kriegen Besuch, also zeig‘ dich von deiner besten Seite. Und wenn die Töle bei dir reinpinkelt, keine Sorge, wir legen die dunkelblaue Decke auf deinen Rücksitz.“

Jimmy antwortete nicht, konnte er auch nicht, er war ja ein Jeep. Aber das störte Kurt nicht im Geringsten.
Im Gegenteil, er liebte es, wenn er keine Widerworte bekam.

Kurt bog von der Dorfstraße auf die Hauptstraße ab, in Richtung Schönwalde.
Als er in Schönwalde in die Siedlung einbog, da erkannte er schon von Weitem Sieglinde und Arthur.

Ganz unten, zu ihren Füßen, war Hanna angeleint.
Als Kurt den Motor von Jimmy abstellte und aus dem Wagen stieg, da schlug ihm ein herzliches Knurren und Bellen entgegen. Hannas Schnauze schäumte und sie zerrte an der Leine, dass Sieglinde Mühe hatte, sie an ihrer Seite zu halten.

„Na, wer ist denn da? Ist das die liebe Hanna, mit den krummen Beinchen? Du bist ja ein aufgeweckter Dackel, na, wir werden bestimmt viel Spaß miteinander haben!“, sprach Kurt Hanna an. Sein ironischer Unterton blieb Sieglinde und Arthur nicht verborgen.

„Das ist nur am Anfang so. Mit der Zeit wandelt sie sich, du wirst schon sehen“, sagte nun Arthur.

„Ja, wenn ihr wiederkommt, dann wird sie euch ihr wahres Wesen zeigen!“, entgegnete Kurt.
„Nicht wahr, du kleiner verkappter Kampfhund“, setzte er noch in Richtung von Hanna nach.

Die war auf einmal still und schaute ihn zum ersten Mal mit neugierigen Augen an.
„Reicht täglich eine Tracht Prügel, oder muss ich auch noch Hundefutter besorgen“, fragte Kurt nun Sieglinde.

Wenn das Herta wüsste, wie Kurt hier redete. Sie würde vor Scham in den Erdboden versinken. Aber sie war ja nicht da, sie war arbeiten.

Und dass sie ab heute einen Abendgast hatten, der noch dazu eine Woche blieb, das wusste sie auch noch nicht.
Arthur kannte Kurt und nahm es ihm nicht krumm, wenn der so redete.

Er wusste, dass Kurt ein gutes Herz hatte, und es meist hinter seinen Sprüchen zu verstecken suchte.

„Na, dann komm‘ mal du kleiner Regenpinscher“, sagte Kurt und übernahm die Leine von Sieglinde.

Hanna versuchte sich zu wehren, mit allen Kräften. Sie stellte sich auf die Hinterpfoten und versuchte mit dem Maul ihre Leine loszuwerden.

Aber Kurt zog sie in Richtung von Jimmy. Hanna lief nicht mit, nein, sie wurde bis zum Auto geschleift.

Arthur und Sieglinde beobachteten das alles mit schreckgeweiteten Augen. Man sah ihnen an, dass sie bereits bereut hatten, Kurt überhaupt anzusprechen.

„So, nun sag‘ schön guten Tag zu ‚old Jimmy‘, das ist nämlich mein bester Freund. Und es kann durchaus auch deiner werden, vorausgesetzt, du pinkelst ihm nicht die Sitze voll“, sagte Kurt zu Hanna. Die fing nun an in Richtung Sieglinde zu jaulen. Sieglinde zitterte leicht und hatte Tränen in den Augen.

„Na komm‘, heute Abend lernst du Herta kennen. Ja, die wird sich freuen, wenn sie kurz vor dem zu Bettgehen noch einmal mit dir vor die Tür darf. Ach, das wird fein.“

DIE SACHE MIT DER PERSPEKTIVE AM MONTAG

 Als ich heute früh hochschreckte und mich aufrichtete, um die Uhr bei Klara deutlicher zu sehen, da hoffte ich inständig, dass es noch nicht vier Uhr sein sollte.

Es war tatsächlich noch nicht soweit. Der Wecker zeigte nämlich ‚erst‘ 3.59 Uhr an.

In einer Minute würde er losklingeln.

„Das kann doch nicht wahr sein“, fluchte ich laut und Klara musste lachte, denn sie war ebenfalls bereits wach.

Ich schwang die Füße hoch und blieb noch eine Weile auf dem Bett sitzen.

Jetzt kamen mir all die Gedanken, die ich zu Wochenbeginn gar nicht haben wollte: Ich musste heute die Autowerkstatt anrufen und die Überweisung von knapp 800 Euro für die neuen Reifen zur Bank bringen.

Überhaupt wurde mir klar, dass ich nach dem Frühstück und nachdem ich Klara zum Zug gebracht hatte, spätestens 6. Uhr am Schreibtisch sitzen musste. Meine Laune war auf dem Tiefpunkt.

Als Klara in die Küche kam, da sagte sie: „Der Radiomoderator hat gesagt, dass es erwiesen ist, dass der Montag definitiv ein Grund ist, warum man so schwer aus dem Bett kommt und nicht die beste Laune hat.“

„Du, das war mir auch ohne den Moderator klar, das sitzt mir quasi in den Genen, die schlechte Laune zu Wochenbeginn“, antwortete ich.

Als ich zum Briefkasten ging, um die Zeitung herauszuholen, und diese nicht da war, rutschte meine Motivationskraft auf den Tiefpunkt.

Später, gegen 07.00 Uhr las ich im ersten Kapitel von Bronnie Ware. „Perspektivwechsel“ (1), so war es überschrieben.

Sie beschreibt, wie sie beim Einkaufen auf eine Frau trifft, die vor ihr stark gebeugt geht.

Bronnie Ware erfasste Mitleid mit dieser Frau.

Später schreibt sie: „Aber dann dachte ich an… die Sache mit der Perspektive“.  (2)

Was meinte sie damit?

Es kommt ja immer darauf an, aus welchem Blickwinkel du die Dinge betrachtest. Für mich war es am Montagmorgen schrecklich, vier Uhr aufzustehen und sechs Uhr anfangen zu arbeiten.

Aber konnte ich mich nicht glücklich schätzen, dass ich von Zuhause aus arbeiten durfte, in bequemer Kleidung am Schreibtisch saß? Und zwischendurch lief ich auch noch am Liepnitzsee. Ich tat etwas für die Gesundheit, wozu andere in der Arbeitszeit gar nicht kamen.

Ich habe die Autorin so verstanden, dass es nur darauf ankommt, die eigene Sicht zu verändern und das Leben neu zu betrachten.

Bronnie Ware schreibt: „Es ist ganz egal, wie beschwerlich das Leben zuweilen ist. Wenn wir die Perspektive wechseln, sieht alles gleich ganz anders aus.“

Ich habe gleich bessere Laune und schreibe auf ‚Hochtouren.‘

(1)Bronnie Ware: „Leben ohne Reue. 52 Impulse, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist.“ Wilhelm Goldmann Verlag, München, 5. Auflage, Taschenbuchausgabe September 2016 Kapitel 1 Perspektivwechsel, S. 21ff)
(2) ebenda, S. 22

ICH GRATULIERE ZUM MUTTERTAG!

Ich ertappe mich immer noch dabei, dass ich den Muttertag einfach vergesse. Da bin ich eben ein Ossi, der seiner Mutter und Oma und später seiner Frau eher zum 8. März gratulierte, dem Internationalen Frauentag.

„Wann ist eigentlich Muttertag?“, habe ich gestern Abend noch Klara gefragt.

„Morgen!“, sagte sie knapp und ich meine, dass ich einen leisen Vorwurf herausgehört habe.

„Hast du das immer noch nicht begriffen?“ Oder: „Du wirst es wohl nie begreifen?“, so in der Art wird sie gedacht haben, als sie meine Frage hörte.

Na klar denke ich heute an meine ‚Frauen‘!

Zuerst gratuliere ich meiner Mama, die im Pflegeheim liegt, im 91. Lebensjahr, nicht mehr aufstehen kann und dement ist.
„Liebe Mama, ich bin in Gedanken bei dir, und ich weiß, dass du gut betreut und gepflegt wirst. Das macht deine Tochter, meine Schwester, und ich bin ihr sehr dankbar dafür.

Ich denke an meine Oma, die mich in den ersten zehn Jahren in Schwerin betreut, gepflegt und von Herzen geliebt hat. Meine Mutter war arbeiten und Oma hat für uns gesorgt, morgens Streuselkuchen mitgebracht, mittags Pudding zum Nachtisch gekocht und zwischendurch mir ein Messer an die Stirn gehalten, weil ich mal wieder gegen die Teppichstange mit dem Roller gerast bin.

Und sie hat mich gewarnt, weil ich nach Moskau zum Studium gehen wollte.
„Geh‘ nicht dorthin, werd‘ lieber Koch“, hat sie gesagt.
Wie recht sie hatte. Trotzdem habe ich nicht auf sie gehört.

Und dann ist da noch die andere Oma, die von Klara. Was haben wir gelacht, wenn sie abends in Sassnitz in unsere Wohnung kam und kleine Geschichten erzählt hat. Ich vermisse sie noch heute und wir erzählen viel am Sonntagsfrühstückstisch von ihr.

Klaras Mutter, Lauras Oma – sie war stets für uns da und ich habe nie ein böses Wort von ihr gehört. Wir werden sie heute anrufen und ihr gratulieren.

Klara habe ich bereits zum Muttertag gratuliert.
Laura ist nun auch schon seit fast drei Jahren Mutti.
Unser größtes Glück, Krümel, hat ja zu Klara erst jüngst gebrabbelt:

„Oma, nicht Mutti zu Uroma sagen. Mutti da oben.“ Und sie hat dabei mit ihrem kleinen Finger zu ihrer Mutter gezeigt.
„Meine Mama!“, das sagt sie manchmal und damit ist alles gesagt, die ganze Liebe, die sie für ihre Mutter mit zweieinhalb Jahren empfinden kann, ausgedrückt. Das andere ist noch zu kompliziert für sie.

Ich denke aber auch an meine Freunde.
Kürzlich habe ich mit der Mutter meines Freundes telefoniert. Sie ist bescheiden, sehr fleißig, und sie liebt ihre Kinder und ihre beiden Enkel über alles.

Sie hat ihre Kinder allein großgezogen, ist stets arbeiten gegangen und sie hat sich ihren Humor bewahrt.
Eine großartige Frau.

Oder die Frau meines Freundes, die im vergangenen Jahr zum zweiten Mal Mutter wurde, unter großen Schmerzen.
Und wie sie das alles weggesteckt hat, heute ihre ganze Liebe ihren beiden Söhnen schenkt und nebenher einen großartigen Beruf ausübt, und das ganz bescheiden, ohne sich in den Mittelpunkt zu rücken – das ringt mir Hochachtung ab.

Was wären wir ohne Euch, liebe Frauen und Mütter?
Zunächst einmal wären wir gar nicht auf dieser Welt.
Früher, da habe ich wenig im Haushalt geholfen, und wenn ich von der Arbeit kam, und ein Fussel auf dem Teppich auf dem Boden lag, dann habe ich das natürlich angemahnt.

Und heute? Heute, ja da schwinge ich selbst den Staubsauger, helfe in der Küche und im Garten und verstehe nicht, wie Klara das früher alles allein geschafft hat.
Ich verneige mich vor Euch, liebe Frauen und Mütter, und das ist ausnahmsweise mal ohne ein Augenzwinkern gemeint.

EIN BUCH, DAS DEINE SICHT AUF DAS LEBEN VERÄNDERT

BRONNIE WARE: ‚LEBEN OHNE REUE‘ 
'52 Impulse, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist'

Im letzten Drittel deines Lebens spürst du besonders intensiv, was kostbar für dich ist, was du noch erreichen willst, und auch, was du bisher versäumt hast, und was du wahrscheinlich auch nicht mehr aufholen wirst.

Der Schmerz ist dann sehr groß, wenn du fühlst, dass du es nicht mehr schaffen kannst, deine Fehler im Leben zu korrigieren.

Hier setzt das Buch von Bronnie Ware ‚Leben ohne Reue‘ an, nämlich, dir möglichst in einem frühen Stadium deines Lebens darüber klar zu werden, was du wirklich willst.

Ich habe nach dem Abitur vier Jahre lang ein technisches Studium zum Diplom-Ingenieur absolviert, habe anschließend noch einmal vier Jahre Volkswirtschaft studiert und wiederum vier Jahre darin promoviert.

Klingt das gut? Ja, klingt gut.

Und dennoch: Ich wollte mein Leben lang nichts anderes tun, als zu schreiben.

Einfach Autor sein. Ich könnte jetzt eine lange Liste an Ausreden aufführen, warum das nicht so einfach war, mir meinen Traum zu erfüllen.

Aber ich bin dafür zu einer wichtigen Erkenntnis gekommen, die im Buch von Bronnie Ware eine große Rolle spielt: Die Schönheit des Lebens vor allem in den kleinen Dingen des Lebens zu sehen.

Die Autorin war selbst viele Jahre als Krankenschwester für Palliativpatienten zuständig. In den Gesprächen mit ihnen hat sie herausgefunden, was Sterbende im Rückblick in ihrem Leben für wichtig hielten, und was sie möglicherweise hätten mehr tun sollen.

Es ist spannend, das zu lesen, und ich bin froh, dass ich es getan habe.

Ich habe aus diesem Buch viele Einsichten mitgenommen und mit meiner Situation verglichen, und ich lege es deshalb vor allem denjenigen ans Herz, die nach mehr Erfüllung in ihrem eigenen Leben suchen.

 

KRÜMEL TANZT IM KLEID, DAS ÜBER 80 JAHRE ALT IST

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT
Es ist etwas Besonderes, wenn uns Krümel, unsere Enkelin, besucht. Sie bringt unseren ganzen ‚Laden' in Schwung und durcheinander. 
Sie ist im Herbst 2017 geboren und wird in diesem Jahr drei Jahre alt. Wie konnten wir vorher nur ohne sie auskommen?

Gestern noch, da saß sie auf meinem Schreibtisch und hat sich gemeinsam mit mir Lieder angehört. Heute ist der Schreibtisch wieder verwaist, nur Stifte und bekritzeltes Papier liegen auf dem Tisch und erinnern mich an gestern.

Der Alltag hat mich wieder und ich muss ihn mir erst wieder zum Freund machen.

Am Samstag, da hatten wir eine kleine Vorstellung von Krümel. Sie hatte das Kleid an, was Klara getragen hat, davor Laura und zuerst Anna.

Es muss an die 80 Jahre alt sein und sieht immer noch hübsch aus. Krümel hat sich darin zur Musik bewegt und ein wenig mit den Hüften gewackelt.

Warum sind das eigentlich die Dinge, die einen wirklich freuen?

Wahrscheinlich, weil du kein Geld dafür brauchst und dich trotzdem unsäglich reich fühlst.

Wie haben wir es nur die ganzen Jahre zuvor ohne sie ausgehalten?

THEORETIKER

ALLEIN MIT MEINEN INNEREN STIMMEN
Bisher habe ich zwei innere Stimmen charakterisiert - Draufgänger und Sensibler.
Heute ist die dritte Stimme, der Theoretiker dran.

Werde ich überhaupt damit meinen komplexen Gefühlen und Gedanken gerecht, die mir alle durch den Kopf schießen bzw.in mir hochsteigen, wenn ich in eine bestimmte Situation gerate oder mit einem Menschen spreche?

Sicherlich nicht vollständig. Aber gerade diese Komplexität von Gedanken und Gefühlen bewältigt unser Gehirn ja nur dann, wenn wir gewisse Strukturen, von mir aus auch Schubladen aufmachen.

Der Theoretiker ist eher zurückhaltend, übernimmt von sich aus kaum die Initiative und hält lieber zum Gegenüber Abstand. Nicht schlecht in Zeiten von Corona.

Im Gespräch argumentiert er nie hitzig, sondern eher überlegt. Ich kann mich an eine Situation vor Jahren erinnern, wo ich einen Kunden vor mir hatte, der ein Haus kaufen wollte.

Wir besprachen den Kaufvertrag, weil wir am nächsten Tag zur notariellen Beurkundung gehen wollten.
Der Kunde war jemand, der sehr stark von seiner inneren Stimme, dem Theoretiker, dominiert wurde.

Der Kunde fragte mich, wie dick die Außenmauer des Hauses sei und wieviel vom mineralischen Wärmedämmputz darauf sein müsse.

„Wenn das alles ist, was sie bewegt, so können wir ja schon heute zum Notar gehen“, entgegnete ich, statt seine Frage fachgerecht zu beantworten.

Der Kunde hat den Notarvertrag noch am selben Tag abgesagt. Ich hatte das zu spät erkannt, weil derjenige, der stark von den Impulsen des Theoretikers getragen wird, seine Gefühle gut zu verbergen weiß, seine Körpersprache kaum Signale aussendet und er sich auch abkapselt, wenn er sich ärgert.

Der Ordnungswille, die Fähigkeit, zu strukturieren, das alles sind Eigenschaften, die den Theoretiker kennzeichnen.

Diese Stimme hat bei mir ebenfalls einen großen Stellenwert.
Sie ist aber fast gleichauf mit Draufgänger und Sensibler.
Deshalb ist das Zusammenspiel meiner inneren Stimmen ja so wichtig.

SENSIBLER

ALLEIN MIT MEINEN INNEREN STIMMEN
Sensibler so habe ich den ‚zweiten Mann‘, meine zweite innere Stimme genannt.
Ich frage mich manchmal, warum ich mir überhaupt die Mühe mache und mich so eingehend mit meinen inneren Gedanken, Stimmen befasse.

Ich glaube, dass ich auf diese Weise nicht nur in der Lage bin, mich selbst besser einzuschätzen.

Vielmehr kann ich dadurch besser Erkenntnisse gewinnen, die es mir leichter machen, andere Menschen zu verstehen und zu akzeptieren.

Man könnte meinen, wenn du in dem Alter bist, wie ich es bin, dann solltest du das gelernt haben.

Da ist schon was dran. Und trotzdem glaube ich, dass du bis an dein Lebensende damit zu kämpfen hast, dich selbst in schwierigen Situationen richtig zu verhalten, andere Menschen zu verstehen und letztlich auch so zu akzeptieren, wie sie nun mal sind.

Das sind Worte, die fließen dir leicht aus der Feder oder aus der Tastatur. Ich glaube aber, dass es schon erheblicher Anstrengungen bedarf, um letztlich mehr zu. verstehen – von dir selbst und von anderen.

Sensibler drängt mich dazu, im ersten Kontakt entgegenkommend zu sein, die Nähe zum anderen Menschen zu suchen.

Dabei schwappt die Stimme von Sensibler im Gespräch manchmal über, auch wenn sie als innere Stimme ja nicht zu hören ist.
Sensibler ist gefühlsbetont, reagiert stets sehr persönlich, manchmal erzählt er auch umständlich und ausschweifend.

Sensibler lässt die eigenen Gefühle schnell erkennen, und sein Ausdruck ist stets mitgeprägt von ausladenden Handbewegungen.

Da bin ich doch froh, dass Draufgänger und Theoretiker ihn manchmal zurückdrängen und ihn zur Ordnung rufen, nämlich erst zu denken und dann zu sprechen.
Theoretiker stelle ich beim nächsten Mal vor.

Wer lernen will, wie man Charaktere von Figuren skizziert, humorvoll und detailgenau, der sollte das Buch von Dora Heldt lesen:

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DER MANN MIT DEN VIER BUCHSTABEN AUF DEM RÜCKEN

ALLTÄGLICHES (46-1)

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT
Ich denke oft darüber nach, was mir am meisten Spaß macht, und was ich vor allem vermisse, wenn ich im Homeoffice festhänge.
Es sind die Alltagserlebnisse, die mir quasi vor die Füße rollen.
Und im Nachhinein stelle ich immer wieder fest:
Das Unaufgeregte ist meist das Wertvollste, was dir im Alltag passieren kann.

„Du kannst mal wieder bei meiner Mutter anrufen?“, sagte Klara zu mir, bevor sie aus dem Auto stieg, um zum Bahnsteig zu gehen. Es war dunkel, kein Mensch zu sehen.

Nur einige Meter entfernt lief der Mann mit den „Vier Buchstaben“ auf dem Rücken. Wir nennen ihn so, weil der Firmenname groß auf seinem Rücken steht.

Besser gesagt auf der Arbeitsjacke, die er trägt. Der Mann mit den „Vier Buchstaben“ geht schon jahrelang zur nahezu gleichen Uhrzeit wie wir eben auch zum Bahnsteig.

Nur, dass wir fahren und ihn schon von weitem erkennen, an seinen leuchtenden Buchstaben auf dem Rücken. Er wankt von einem Bein auf das andere. Rennen würde ihm wohl nicht in den Sinn kommen.

Aber auf ihn ist Verlass. Ich kann mich kaum an einen Morgen erinnern, an dem er nicht zum Bahnsteig watschelt.
Es hat so etwas Vertrautes, was Beruhigendes. Klara mag das auch. Hier sind die Leute noch zu unterscheiden.

Wenn Klara erst in die S-Bahn gestiegen ist, wo sich Hunderte auf einmal in die Waggons hineindrängen, drücken, schubsen, drängeln, mit missmutigen Gesichtern, dann ist dieses Gemütliche vorbei.

Und das hier vor Ort, das Ruhige, gibt dir ja irgendwie Sicherheit, ein Gefühl, dass du nicht in der Masse untergehst. Selbst wenn dazwischen Dinge passieren sind, über die du dich eigentlich aufregen müsstest.

Nachmittags zum Beispiel, wenn ich Klara vom Bahnhof wieder abhole, dann sehe ich den Mann mit den „Vier Buchstaben“ nicht. Dafür erkenne ich andere wieder.

Da ist zum Beispiel ein Fahrer, der seinen Pick-up grundsätzlich auf den Behinderten-Parkplatz steuert. Das ist der erste Platz, der zu erreichen ist, wenn du zum Bahnsteig willst oder von dort kommst.

Ist der Zug da, quellen die Menschen aus ihm heraus und der Pick-up fährt schon mal ein Stück vor. Und sowie die Frau des Pick-up – Fahrers eingestiegen ist, drückt der aufs Gas, obwohl auf dem Parkplatz Menschen zu ihren Autos eilen, schnell nach Hause wollen.

‚Würdest du dich ihm anvertrauen, falls du Hilfe brauchst?‘, frage ich mich in diesen Momenten im Stillen. ‚Naja, nur bei drohender Lebensgefahr‘, denke ich.

Und jeden Abend kommt noch ein kleiner Smart um die Ecke gesaust. Er braucht wenige Bewegungen und Drehungen, bis er in der Lücke steht. Rollt der Zug in den Bahnhof, schmeißt er den Motor an, fährt schon vom Stellplatz rückwärts in Richtung Fußgängerzone.

Er ist also in der ‚Pool-Position‘. In dem Fall versperrt er sogar dem Pick-up-Fahrer den Weg. Das ist das einzig Gute, das ich darin sehe.
Und nun kommt die Freundin vom Smart-Fahrer angerannt.

Vielleicht sind sie ja auch verheiratet. Jedenfalls rennt sie gleich vom Bahnsteig aus los, hastet an denen vorbei, die sich ebenfalls in Richtung Parkplatz in Bewegung gesetzt haben. Am Smart angelangt springt sie förmlich ins Auto und während sie die Tür zuschmeißt, ruckt der Smart bereits an.

Wohin müssen die nur so schnell? Springen die erstmal in die Betten, wenn sie zu Hause sind oder wartet dort der Hund, der ausgeführt werden will? Ich weiß es nicht. Und es ist ja auch nicht etwas, worüber ich länger nachdenken will.

Aber worüber ich nachdenke ist: Wem würde ich mich anvertrauen, wenn ich etwas wissen wollte, oder vielleicht ein Abschleppseil brauchte?

Dem Pick-up-Fahrer? Um Gottes will. Wenn du ihn fragst würde der wahrscheinlich knurren: „Pfoten weg von meinem Auto oder ich rolle über deinen Plattfuß.“

Oder der Smart-Fahrer? Naja, da müsste ich wohl neben dem kleinen Flitzer nebenher sprinten, um meine Frage loszuwerden. Und ich glaube nicht, dass der Fahrer, nur weil ich ihn etwas fragen will, die Fensterscheibe herunterkurbeln würde.

Dann doch lieber der Mann mit den ‚Vier Buchstaben‘. Aber hat der überhaupt ein Auto? Ich glaube nicht. Ich werde aus meinen Gedanken gerissen.

„Also rufst du heute an bei Anna?“, fragt Klara mich. Anna ist dement. Und sie braucht die Aufmunterung.
„Ja“, sage ich, verabschiede mich und fahre los, ins Dunkle, nach Hause, wo die Berliner Zeitung auf mich wartet.

Ich werde sie wieder ausführlich lesen, damit ich nicht so schnell an den Schreibtisch muss. Es ist schön, dass sich mein Arbeitsplatz nur eine Treppe von mir entfernt befindet.

Aber am Montag, ja da geht es wieder los. Wir fahren um 05.00 Uhr zum Bahnhof, werden nicht allzu gut gelaunt sein.
Doch plötzlich kommt der Mann mit den ‚Vier Buchstaben‘ um die Ecke. Und dann ist alles im Lot. Der Alltag kann beginnen.

 

 

WELCHE INNERE STIMME IST BESONDERS DOMINANT?

ALLEIN MIT MEINEN INNEREN STIMMEN
Corona bringt mich dazu, mehr in mich hineinzuhören.
Ist das gut? 
Naja, wenn man es übertreibt, dann sicherlich nicht, denn irgendwie brauchst du ja für deine kommunikative Interaktion die Außenwelt.
Aber dafür, um dein eigenes Verhalten besser zu versteuern und auch zu steuern, ist es schon eine ganz passable Sache.

Bisher habe ich darüber nachgedacht, welche inneren Stimmen mich beeinflussen, wer mich zu einer Handlung, einer Aussage, einem Gefühlsausbrauch bewegen kann.

Zuerst habe ich den Draufgänger beschrieben, also den, der stets nach vorn will, etwas bewegen möchte.

Dann beeinflusst mich aber auch der Sensible, derjenige, der oft nicht ’nein‘ sagen kann.

Und dann ist da noch der Theoretiker, der stets alles planen will, die Bleistifte ordnet, bevor er anfängt zu schreiben.

Über den Sensiblen und den Theoretiker schreibe ich noch näher.
Mich beschäftigt die Frage, ob nur ich diese Stimmen habe, die mich beeinflussen, oder ob es jedem so geht.

Ich denke, das ist ein allgemeingültiges Phänomen, dass wir uns von unseren Impulsen aus dem Großhirn, dem Zwischenhirn oder dem Stammhirn beeinflussen lassen.

Und je nach Persönlichkeit ist das immer ein bisschen anders, wer in welcher Situation von seiner Stimme, seinen Gefühlen, seinen Impulsen beeinflusst wird.

Auf jeden Fall gehören diese Faktoren zu meiner Persönlichkeitsstruktur dazu.
Gibt es sie wirklich in mir, diese Stimmen?

Gefühlt ja. Ich habe ihnen Namen gegeben, damit ich sie besser sichtbar machen – für mich und andere.

Diese inneren Stimmen sind stets dar, mal merklich und manchmal unmerklich.

Dabei kann ich nicht immer genau sagen, welche von den drei Stimmen den größten Einfluss auf mich ausübt.

Mein Persönlichkeitsgrundgerüst wird wohl von allen drei Stimmen nachhaltig beeinflusst.

Es gibt auch keine reine innere Stimme, die als Draufgänger, Sensibler oder Theoretiker auftritt.

Natürlich, es kommen mitunter Momente, wo sich eine innere Stimme besonders nach vorn drängelt.

Oft ist das bei mir der Draufgänger. Aber die beiden anderen, Sensibler und Theoretiker ziehen ihn dann oft zurück, damit er nicht zuviel Porzellan zerschmeißt oder zu schnell voranstürmt, ohne auf die anderen zu warten.

Deshalb sind mir alle drei Stimme gleich wichtig und sie geben mir im Alltag die Stabilität, die ich als Gesamtpersönlichkeit auch brauche.