„Gibt’s was Neues bei deiner Mutter?“, fragte Peter, nachdem Klara mit Lukas telefoniert hatte.
„Lukas hat es geschafft, dass Anna endlich den Blumenkohl aus dem Gefrierfach freigegeben hat, für den Mülleimer“, sagte Klara.
„Was ist so Besonderes dabei?“, fragte Peter.
„Eigentlich gar nichts, wenn du die Tatsache außer Acht lässt, dass der Blumenkohl seit Monaten vor sich hingammelt.“
„Das verstehe ich“, meinte Peter daraufhin.
„Und das erste, was Mutti sagte war, dass sie nicht begreifen kann, warum der Blumenkohl so steinhart geworden sei“, meinte Klara noch.
„Ruf doch deine Mutter noch einmal an und erkläre ihr das in Ruhe“, meinte Peter jetzt.
„Ach, da habe ich sogar keine Lust zu.“
„Frag sie am Anfang erst einmal danach, ob sie mitbekommen hat, dass auf Rügen die ‚Königslinie‘ Sassnitz-Trelleborg eingestellt wurde, und das nach 111 Jahren.“
Peter wusste es von Lukas. Der hatte ihm gerade einen Zeitungsausschnitt per Post zugeschickt. Darin wurde ausführlich über das Ereignis berichtet.
Lukas hatte den Artikel feinsäuberlich ausgeschnitten, und ihn noch dazu exakt an den Zeitungsrändern beschnitten.
„Das gefällt mir“, meinte Peter.
„Lukas weiß doch, wie ‚pingelig‘ du bist“, entgegnete Klara.
„Das stimmt schon, aber Lukas liebt auch die Ordnung“, sagte nun Peter.
„Ihr nehmt euch beide nicht viel“, sagte Klara.
„Sei froh, dass wir so sind“, meinte Peter.
„Schau dir doch nur mal deinen Schreibtisch an, da kann doch keiner durchfinden.“
„Wer hat denn vorige Woche nicht seinen Impfausweis gefunden, wo du gegen die Pneumokokken geimpft worden bist?“
Peter sagte nun nichts mehr, denn er hatte seinen Impfausweis tatsächlich nicht gefunden.
Das lag vor allem daran, dass er zwar alles auf Kante legte, aber ständig sein Ablagesystem neu strukturierte, es im Computer wechselnd neu vermerkte. Und wenn es ernst wurde, fand er nichts wieder, weder in seinen Dateien, noch auf seinem Schreibtisch.
Klara nahm den Hörer in die Hand, um die Nummer von Anna zu wählen.
„Sturm“, erklang es am anderen Ende des Hörers.
„Hallo Mutti, ich bin’s“, rief Klara in den Hörer, bemüht fröhlich zu klingen.
„Ja, was gibt’s?“, fragte Anna mit verschlafener Stimme.
Immer öfter legte sie sich auch vormittags auf die Couch, statt nach draußen zu gehen.
Das tat sie gar nicht mehr. Klara wollte nicht gleich mit einer Predigt beginnen, dass Anna doch darauf achten sollte, alte Lebensmittel aus dem Kühlschrank zu entsorgen.
„Hast du denn in der Ostseezeitung gelesen, dass die Fährverbindung Sassnitz – Trelleborg eingestellt wurde?“
„Hier bei uns in Stralsund?“
„Nein, Mutti, in Sassnitz auf Rügen, also wenn du über die Rügendammbrücke fährst.“
„Da fahre ich ja nicht mehr“, meinte Anna mit gleichgültiger Stimme. Klara versuchte es noch einmal.
„Mutti, du und Papa, ihr seid doch so gern nach Sassnitz gefahren und von da aus weiter mit der Fähre nach Trelleborg.“
„Und warum fährt das Schiff nicht mehr, ist der Fahrer gestorben?“
Klara gab es auf und wechselte das Thema.
„Mutti“, du kannst die Lebensmittel nicht so lange im Kühlschrank aufbewahren, wie zum Beispiel den Blumenkohl.“
„Ach, der Blumenkohl, der war sowieso steinhart. Wie kann das eigentlich sein, sag mir mal?“ Jetzt klang Annas Stimme angriffslustig, fast bockig.
Sie verstand es, den ‚schwarzen Peter‘ noch geschickt an den Gesprächspartner weiterzureichen. Sie traf ja keine Schuld.
„Na, weil du ihn vorher nicht blanchiert hast.“
„Blanchiert? Ich? Oh, wie ‚smiets‘ du mit ‚de‘ Fremdwörter,“ gab Anna auf ‚Platt‘ zurück.
„Mutti, das erkläre ich dir ein anderes Mal“, sagte Klara.
Auf jeden Fall hast du den Blumenkohl einfach so ins Gefrierfach geschmissen, und selbst da war er schon alt.
Sie war erschöpft und traurig zugleich und mochte nicht mehr sprechen. Sie verabschiedete sich von Anna und legte den Hörer auf.
„Also wirklich, wie vornehm du sprichst, das ist mir auch aufgefallen“, versuchte Peter nun Klara noch aufzuziehen, nachdem sie das Gespräch mit Anna beendet hatte.
„Was meinst du?“
„Na, ‚bloonchiiieren‘, das kenne ich auch nicht“, sagte Peter.
Klara schwieg, sie hatte keine Kraft mehr und auch keine Lust, nach dem Telefonat auf vermeintliche lustige Einwürfe von Peter zu reagieren.
Sie war einfach nur genervt und verzweifelt zugleich.
Doch es gab keinen Ausweg aus dieser Situation. Am besten, sie nahmen es tatsächlich mit Humor.
Auf jeden Fall wollte Klara am nächsten Tag Anna noch einmal anrufen und ihr erklären, wie sie den Blumenkohl frisch halten konnte.