ALLEIN MIT MEINEN INNEREN STIMMEN
Fitness-Studio, 06.29 Uhr
Ich habe schon einige Trainingseinheiten hinter mich gebracht und kann mir eine kleine Pause leisten. Ich stehe am Fenster und schaue nach draußen, beobachte, wie die Leute der Straßenbahnhaltestelle zustreben.
Ein älterer Mann, mit dickem Bauch, einem sehr dicken Bauch, schwenkt seine Tasche lustlos hin- und her. Sein Gang ist schwer, und er wankt von einer Seite auf die andere.
Sein Gesicht zeigt an, wie er den Morgen verflucht, weil er sich in die enge Hose zwängen musste, sein Bauch durch den Gürtel eingeklemmt wird und das Fett im Rhythmus seiner Schritte über dem Gürtel schwabbelt.
‚Ja, mein Freund, wärst du mal vor der Arbeit hier hochgekommen und hättest dich auf die Bauchbank gelegt, auf den Rücken, versteht sich. Und dann hättest du deine Beine hoch und runter bewegt. Aber nein, das war ja zu anstrengend für dich.
Also beschwer‘ dich jetzt nicht, dass du beim Gehen nicht vorwärtskommst.‘
Endlich hatte ich jemanden gefunden, der noch mehr an Bauchfett herumzutragen hatte, als ich selbst.
Ich musste eine Stunde zurückdenken, als ich mit dem Auto an der Kreuzung stand.
Sollte ich nach rechts abbiegen, in Richtung Heimat, oder sollte ich nach links fahren, direkt in die Tiefgarage des Fitness-Studios?
‚Komm‘, wir machen blau‘, sagte eine innere Stimme zu mir. Es war Draufgänger, der wohl auch keine Lust hatte.
‚Ja, gönn‘ dir doch eine Pause, fahr‘ zurück und trink statt des harten Trainings eine schöne Tasse Kaffee‘, rief nun die zweite innere Stimme.
Es war der Sensible, der stets Mitfühlende.
„Merkt doch keiner“, meinte er noch.
‚Auweia, wenn das rauskommt‘, meinte nun die dritte Stimme, der Theoretiker.
‚Unser Plan sieht das kein Aussetzen vom Training vor. Wir trainieren von 05.50 bis 07.30 Uhr, dann fahren wir zurück und gegen 08.15 Uhr ist der Waldlauf runter zum Liepnitzsee geplant.‘
‚Oh Mann, du nervst. Kannst du nicht einmal von deinem Plan abweichen, nur einmal?‘
‚Nein, das kann ich nicht, und du solltest als Draufgänger uns alle mitreißen, motivieren‘, sagte nun Theoretiker. Seine Stimme klang pikiert.
‚Ach streitet euch doch nicht, wir wissen ja gar nicht, wie sich unser Dicker entscheidet.‘
Hatte der Sensible mich Dicker genannt? Frechheit.
Ich steuerte das Auto nun direkt auf das Tor der Tiefgarage zu.
‚Na bitte, geht doch‘, meinte der Theoretiker.
‚Du gehst mir sowas von auf die Eier, du glaubst es gar nicht‘, schnaufte Draufgänger wütend und enttäuscht, dass sein Herr auf Theoretiker gehört hatte.
‚Sei‘ doch mal ein bisschen netter zu deinen Freunden‘, meinte jetzt der Mitfühlende. Er war schon wieder eingeknickt und hatte sich auf die neue Situation eingestellt.
„Schnau…, äh ich mich meine, schon gut‘, brummte nun Draufgänger.
Oben angekommen, wollte Draufgänger gleich an die Bizepsmaschine.
‚Zieh‘ heute mal durch, mach viermal hintereinander fünfzehn Trainingseinheiten, und beim letzten Schub, legst du noch 5 kg drauf.
‚Das ist nicht der Plan‘, meinte nun Theoretiker. Wir wollen ja anderthalb Stunden durchhalten.
‚Du Schlappschw….‘, wollte gerade Draufgänger brüllen, als ich die Halter an der Bizepsmaschine zum vierten Mal nach oben hievte.
Die Straßenbahn näherte sich der Haltestelle, die Bremsen quietschten, der Mann mit dem überquellenden Bauch quälte sich die Stufen ins Innere des Straßenbahnwaggons hoch.
Als sich die Bahn wieder in Bewegung setzte, riss sie mich aus meinen Gedanken.
Ich drehte mich vom Fenster weg, schaute im Studio umher, welches Gerät ich als nächstes nehmen sollte.
Die inneren Stimmen sagten nichts mehr, sie hatten mit dem Luftholen zu tun.