ANNA IST DEMENT (56)

LUKAS FREUT SICH AUF SEIN FEIERABENDBIER

Es ist spät geworden an diesem Dienstag. Lukas war noch bei einem Eigentümer einer Ferienwohnung. Die Wohnung ist begehrt, sie hat einen direkten Blick auf den Stralsunder Hafen und den Sund. Im Hintergrund kann man die Brücke sehen, die nun schon seit fast anderthalbhalb Jahrzehnten Stralsund mit Rügen verbindet.

„Ist das nicht ein fantastischer Blick“, empfängt der Eigentümer ihn in der Ferienwohnung.

Lukas kümmert sich um die Gäste der Wohnung, regelt die An- und Abreisen, sorgt dafür, dass die Wohnungen sauber sind, führt kleinere Reparaturen durch oder kümmert sich um Handwerker, wenn größere Aufgaben anfallen.

Lukas hat alles im Griff und im Blick. Nur der Blick dafür, was die Schönheiten ausmacht, wenn man aus dem Fenster schaut, der geht ihm mitunter im Trubel verloren.

„Wir sollten reden, wie wir es den Urlaubern noch angenehmer machen, damit sie unseren Service voll genießen können“, sagt Lukas stattdessen zum Eigentümer.

„Was meinen Sie mit noch mehr Service?“, fragt der Eigentümer zurück. Sein Blick verrät, dass er augenblicklich nicht noch mehr Geld in den Standard der Wohnungsausrüstung stecken will.

„Ach, die Urlauber sind stets sehr zufrieden, es sind also nur Kleinigkeiten“, meint Lukas und kramt einen Zettel aus seiner für ihn so typischen Handwerkerhose.

Das Gespräch dauert länger, als Lukas es gedacht hätte, aber schließlich ist alles besprochen und beide verabschieden sich zufrieden voneinander.

Lukas schaut auf die Uhr und will noch schnell bei Anna vorbeischauen. Eigentlich war der Tag stressig genug und das Bier wartet auf ihn, die Katze, seine stille Wegbegleiterin über den Tag, ebenfalls.

„Wo kommst du denn jetzt her?“, empfängt Anna ihn an der Tür.
„Mutti, ich wollte nur schauen, ob bei dir alles in Ordnung ist“, sagte Lukas und ließ sich erschöpft in einen der Sessel fallen. Dabei fiel ihm ein Schreiben auf, das auf der Anbauwand neben der Couch lag.
Er nimmt das Papier in die Hand und beginnt zu lesen.

„Liebe Frau Sturm, wir bestätigen den Eingang Ihres Schreibens und bedauern es zugleich sehr, dass Sie
unser Vertragsverhältnis kündigen wollen.“
Lukas sitzt nun mit einem Schlag kerzengerade im Sessel.

„War wieder jemand hier, der deine Versicherungsverträge durchgesehen hat, Mutti?“

„Wo denkst du hin, natürlich nicht“, sagt Anna barsch.
Lukas steht auf, verabschiedet sich und beeilt sich nach Hause zu kommen.

Er will nachdenken, wie er herausbekommt, wieso schon wieder von einer Versicherungsgesellschaft ein Schreiben vorlag, in der Annas schriftliche Kündigung bestätigt wurde.
Anna kann nicht mal mehr einen Einkaufszettel selbstständig schreiben.

Die Freude auf das alkoholfreie Feierabendbier ist Lukas vergangen.