„Gut, dass ich den Termin gemacht habe“, sagte Anna zu Lukas, als dieser sie wieder vom Friseur abholte.
Anna saß noch auf dem Friseurstuhl, auf dem Tisch vor ihr stand ein halbvolles Glas Sekt. Sie lachte und erzählte mit der Friseuse. Lukas verschlug es die Sprache.
Er musste gerade daran denken, wie viel Mühe es ihn gekostet hatte, Anna bis hierher zu bringen.
Zwei Stunden vorher: Lukas hatte Anna endlich soweit, dass sie loskonnten, um noch rechtzeitig beim Friseur zu sein. „Wo ist jetzt mein Briefkastenschlüssel?“, fragte Anna und wühlte in ihrer Tasche umher.
„Mutti, das kannst du doch machen, wenn wir vom Friseur zurückkommen. Ich möchte nicht zu spät kommen. Wir haben doch schon zweimal den Termin absagen müssen“, drängte Lukas sie.
„Absagen? Wieso absagen? Ich habe nichts abgesagt“, sagte Anna und schaute Lukas grimmig an.
„Mutti, ich habe einmal den Termin vereinbart, dann haben wir ihn wieder storniert, weil du nicht wolltest. Danach hat es Klara noch einmal versucht. Und wieder wolltest du nicht.“
„Ich? Das kann überhaupt nicht sein! Und wieso machen überhaupt die Berliner Termine beim Friseur für mich? Was soll das!“
„Mutti, wir meinen es doch nur gut.“
„Wo ist denn jetzt mein Schlüssel?“ Anna kramte weiter in der Tasche. Endlich hatte sie ihn gefunden und steckte ihn in das Briefkastenschloss und versuchte ihn umzudrehen. Er ließ sich aber nicht drehen.
„Was ist das hier alles? Ich werd‘ noch verrückt“, schnaubte Anna.
„Mutti, kann ich mal?“, fragte Lukas vorsichtig.
Es war geschafft, die Briefkastentür ging auf und als erstes fielen Lukas die Werbebriefe entgegen.
„Die schmeiße ich gleich weg“, sagte Lukas.
„Nein, wie kannst du so was machen! Ich will die lesen. Die schreiben mir.“
„Ja, Mutti, weil sie dein Bestes wollen, dein Geld. Deshalb haben sie dich so lieb.“
Anna schaute Lukas an, als würde der gerade von der Berechnung der optimalen Mondlandung sprechen. Als sie im Auto saßen und Anna schließlich angeschnallt war, konnte Lukas das Auto starten.
Anna schaute verdrossen aus dem Fenster. Ihre Stirn war gerunzelt und ihr Mund verzog sich zu einer Grimasse. Dazu stöhnte sie unentwegt.
„Mutti, jetzt freu dich doch ein bisschen. Schau mal, ich habe extra den Weg am Hafen vorbei genommen, damit du ein wenig auf das Wasser schauen kannst“, versuchte Lukas sie aufzuheitern.
Anna aber reagierte nicht.
„Hier lag das Boot von Onkel Gottfried“, sagte sie plötzlich.
Anna schien sich zu erinnern, ihr Gesicht hellte sich auf und sie schien in Gedanken von ihren schönen Kindheitsjahren eingenommen zu sein.
„Wir sind da“, riss Lukas sie aus ihren Erinnerungen.
„Weißt du, ich will gar nicht aussteigen“, sagte Anna jetzt.
„Mutti, du gehst jetzt da rein“, sagte Lukas mit letzter Verzweiflung zu ihr.
„Rede nicht in dem Ton mit mir“, sagte Anna zu ihm.
Lukas schwieg und Anna stieg aus.
„Schön, dass Sie kommen konnten“, begrüßte die Inhaberin des Friseurladens Anna.
„Ja, ich habe mir die Zeit genommen“, sagte Anna.
Lukas schaute betreten auf den Fußboden. Es sah aus, als versuchte er die dort herumliegenden Haare zu zählen, die noch nicht weggefegt worden waren.
„Möchten Sie ein Glas Sekt, Frau Sturm“, fragte die Inhaberin Anna.
„Ach ja, ein Glas kann man ja mal trinken.“
Die Inhaberin zwinkerte Lukas zu und der zog sich leise zurück.
„Wissen Sie, ich war ja früher viel auf dem Hof von meinem Onkel Taube. Er war Fischer“, sagte Anna zu der Friseuse, während die sich um die Haare von Anna kümmerte.
„Taube? Gottfried Taube“, fragte die Friseuse.
„Ja“, sagte Anna.
„Den kenn ich auch“, sagte die Friseuse zu Anna.
„Sagen Sie bloß!“, staunte Anna.
„Ja, mein Großvater hat mir ab und zu von ihm erzählt. Damals, als der selbst noch ein Fischer war.“
Lukas traute sich nicht Anna zu sagen, dass sie wieder loswollten.
Annas Wangen waren rot, sie saß aufrecht im Sessel und es schien, als wäre sie glücklich. Für den Augenblick wenigstens.