ANNA IST DEMENT (44)

ICH BITTE UM DIE TABLETTEN AUS DER KISTE
Lukas ist auf dem Weg zu Anna, wie jeden Tag.
Anna schaut ihn mit wirrem Blick an.
Sie versteht nicht, warum die Kiste mit den Spritzen verschlossen ist, und warum nur der Pflegedienst sie aufmachen darf.

Lukas ist auf dem Weg zu Anna.

Vorher hatte er noch im Stralsunder Hafen bei einem älteren Ehepaar aus Hamburg vorbeigeschaut, die in ihrer Ferienwohnung Urlaub machten, und die ihn mit der Betreuung der Feriengäste betraut hatten.

Im Herbst, wenn der Ansturm der Urlauber abflaute, kamen die Eigentümer selbst, um sich ein wenig von Hamburg zu erholen.
Sie freuten sich, wenn Lukas vorbeikam und sich nach ihrem Befinden erkundigte.

Aber nun war er auf dem Weg zu Anna. Als er in der Tür stand, schaute sie ihn mit wirrem Blick an.

„Du kommst ja ganz schön viel, hast du nichts zu tun?“

Lukas schwieg. Er kämpfte seinen Ärger hinunter. Er hatte sich extra beeilt. Und nun dieser Vorwurf von Anna.

„Jetzt lass mich doch erst einmal hereinkommen!“, sagte er stattdessen.

In seine Stimme war ein klein wenig mehr Schärfe gekommen, als er es selbst wollte. Er ging ins kleine Zimmer, in der die Kiste mit den Spritzen und Tabletten stand.

„Ich versteh‘ nicht, warum die Kiste hier verschlossen ist“, sagte Anna mit vorwurfsvollem Unterton zu Lukas.

„Mutti, damit du dort nicht rangehst und dir eigenständig die Spritzen und Tabletten rausholst.“

„Aber wer soll das denn sonst tun?“, fragte Anna.

„Mutti!“, Lukas hielt inne, weil er Angst hatte, dass er zu laut wurde. Sein Blick fiel auf zwei Zettel, die auf der Kiste lagen.

„Achtung! Wer gibt mir die Tabletten aus der Kiste?“, hatte Anna dort draufgeschrieben.

„Wie regeln? Morgens muss ich meine Tabletten einnehmen. Das ist alles in der Kiste!“

Lukas stockte der Atem. Anna hatte nichts begriffen, im Gegenteil, sie versuchte immer noch an die Kiste heranzukommen.

„Habe also nichts eingenommen. Abends kann ich so nicht arbeiten.“

„War der Pflegedienst schon hier und hat dich gespritzt?“, fragte Lukas.

„Nein, hier war keiner. Und die Kiste ist auch zu. Es ist zum Verzweifeln.“

Lukas schlug das Buch auf, in dem die Mitarbeiter des Pflegedienstes regelmäßig eintrugen, wann sie dagewesen waren.

„Hier steht doch, dass vor zehn Minuten der Pflegedienst da war, dich gespritzt hat und dir die Tabletten verabreicht hat.“

„Das kann doch nicht sein, dass ich das schon wieder vergessen habe“, sagte Anna resigniert.