MAL SCHNELL ERZÄHLT
Selbst die kleinsten Momente im Alltag sind schön. Leider merkst du es erst dann, wenn du nicht einmal mehr in den Schreibwarenladen kannst, zumindest nicht ohne Mundschutz, wegen Corona.
Ich war heute in unserem Dorf, im Schreibwarenladen. Nicht das ich dringend etwas gebraucht hätte. Nein, das nicht.
Doch es ist einfach schön, dort hineinzugehen. Das ist schon eine kleine Sucht. Ich schaue mir gern die Blöcke und Hefte an, die Stifte, die vielen kleinen Büroutensilien, die dort herumstehen und dich anzuflehen scheinen: „Nimm‘ mich mit, sonst muss ich hier verrecken, in der hintersten Ecke des Ladens.“
Ich antworte, natürlich in Gedanken: „Du, ich versteh‘ dich voll. Und ich würde dich auch mitnehmen, aber dann habe ich hinterher die Hölle auf Erden, wenn ich mit dir nach Hause gehe und du heute Abend von Klara entdeckt wirst.“
Es reichte heute Morgen schon, dass ich zu ihr am Telefon sagte, dass ich bereits zwei Stunden gearbeitet hätte und jetzt eine kleine Pause brauchte.
„Geh‘ doch Sport machen“, hat sie gesagt.
„Was willst du schon wieder im Schreibwarenladen?“
Hatte sie ’schon wieder‘ gesagt?
Das letzte Mal war ich vor Monaten hier drin. Klara geht in der Woche zwei Mal, manchmal auch noch mehr in Kaufhäuser am Alex oder in Kreuzberg, oder wenigstens ins ‚KiK‘ in Wandlitz.
„Na, hast du das ‚KiK‘ – Dach eingerissen, weil die Einkaufsbeutel nicht mehr durchgepasst haben?“, frage ich sie in den Momenten scherzhaft. Sie reagiert darauf nicht.
„Schau mal. Für Krümel, ist das nicht schön?“
Ja, das sind doch ‚Totschlagargumente‘. Was soll ich schon sagen, wenn Krümel im Spiel ist als nur ‚toll, klasse, wunderbar‘?
Krümel ist der Zaubername, der alle Türen öffnet. Da sagt keiner von uns: „Oh, das ist jetzt aber zu viel. Das reicht nun, sonst liegt das Spielzeug nur rum.“
Nein, da wird zugeschlagen, eingepackt und sich gefreut.
Aber jetzt? Jetzt ist es anders.
„Was willst du überhaupt kaufen?“
Ich schweige beharrlich, denn alles was ich nun sage, würde sofort gegen mich verwendet werden.
„Ach nur so“, sage ich und merke, dass es die falsche Antwort war.
„Na, das glaube, wer will!“, sagt Klara prompt.
Ich sage nichts mehr und verabschiede mich am Telefon.
Zurück zur hinteren Ecke im Schreibwarenladen:
„Kann ich Ihnen helfen?“, spricht mich eine junge Frau an. Sie ist die Inhaberin, sehr engagiert und dabei nicht aufdringlich.
„Ja, können Sie. Ich suche ein Tintenfass. Blau.“
Sie schaut mich an, als wäre ich aus dem Urwald gekommen und hätte die letzten Jahrzehnte des Computerzeitalters nicht miterlebt.
„Ich schreibe ja viel mit der Tastatur vom iPad“, sage ich schnell.
„Aber wenn ich tiefer nachdenke, dann muss ich mit der Hand schreiben.“
Die junge Frau schaut mich prüfend an, von oben bis unten.
„Du siehst schon so aus. Als würdest gerade du überhaupt einen Computer bedienen können, geschweige denn ein iPad“, schien sie gerade zu denken.
Ich beließ sie in ihrem vermeintlichen Glauben. Was sollte ich ihr schon sagen? Dass ich mit zehn Fingern über die Tastatur fliege?
Ich traue mir sogar zu, an einem Schreibwettbewerb teilzunehmen, mit Aussichten auf einen der vorderen Gewinnplätze.
Sollte ich sagen, dass ich manchmal auf einer Schreibmaschine herumhacke, weil ich Spaß daran habe und mir gleich mehr einfällt, weil ich denke, dass es ja erst einmal ins „Unreine“ geschrieben ist?
„Ich brauche noch Klebestifte“, sage ich stattdessen.
„Wieviel?“
„Fünf.“
„Noch etwas?“
„Ja. Buntstifte.“
„Sind Sie Rechtshänder?“
„Ja, aber zur Not nehme ich auch einen Stift für Linkshänder“, antworte ich.
„Welche Farbe?“
„rot.“
„Noch einen?“
„Ja.“
„Welche Farbe?“
„rot.“
„Wieder rot?“
„Ja, rot!“
Endlich bin ich wieder zu Hause. Ich fülle die Tinte aus dem Fass um in einen dafür vorgesehenen Behälter auf meinem Schreibtisch.
Na klar, jetzt sind die Hände blau. Also schrubbe ich sie gründlich, bevor ich mich den Stiften zuwende. Den roten Stiften.
Sie haben alle Kerben. Nachdem ich sie angefasst habe, bemerke ich den „Rechtsdrall“.
Auf jeden Fall gehen die Kerben in diese Richtung. Es ist ein wunderbares Gefühl. Ich tauche den Füller ins Fass mit der Tinte, schreibe etwas auf das Blatt und anschließend unterstreiche ich das Geschriebene mit dem neuen roten Stift.
„Ah“, sage ich laut, so als hätte ich gerade einen teuren Rotwein verkostet. Aber wir schwelgen hier nicht im Luxus. Nein. Wir können uns noch an Farbstiften erfreuen. ‚Wir‘ stimmt nicht ganz. Klara wird wahrscheinlich wieder die Augen verdrehen.
Aber ich, ja ich freue mich, dass ich den Abstecher ins Dorf gemacht habe.
Das Leben kann so schön sein. Selbst in einem Schreibwarenladen.