ALLTÄGLICHES (50-2)
HERTA UND KURT (2)
Kurt hat zusammen mit Hanna das Auto erreicht. Ein Stück weiter ab standen Arthur und Sieglinde und winkten.
„Die können es nicht abwarten, bis sie dich los sind“, sagte Kurt, während der Dackel ihn immer noch anknurrte. Kurt hatte die beiden gebeten, nicht bis zum Auto mitzukommen, damit ihnen der Abschied nicht so schwerfiel.
Außerdem wollte Kurt den Hund als ‚warm-up‘ allein ins Auto bugsieren.
„Nun geh‘ doch schon rein“, brummte Kurt. Dabei lächelte und winkte er Sieglinde freundlich zurück. Die hatte inzwischen ein Taschentuch gezückt, das sie ständig zu ihren Augen führte.
„Jetzt sei mal für einen Augenblick eine ganz brave Hanna. Zeig‘ deinem Frauchen, wie lieb du in Wirklichkeit bist und lass dich von mir in das Auto heben“, sagte Kurt zum Dackel, während der ihn mit unvermindertem Hass anknurrte.
„So, jetzt rollen wir dich hier in die Decke ein und schon bist du auf dem Sitz von Jimmy.“
Hanna bellte nun noch lauter. „Sollen wir dir nicht doch helfen, wenigstens beim Einsteigen?“, riefen Arthur und Sieglinde.
‚Das fehlte noch‘, knurrte Kurt. Das hörte sich jetzt schon genauso wie Hannas Hassgebell an, nur eben leiser.
„Nein danke, alles gut“, rief Kurt laut zurück. Dann erinnerte er sich an die dunkelblaue Decke, die im Kofferraum lag. Sie war mal ein Gratisgeschenk, das Kurt in einer Tankstelle ergatterte. Herta hatte die Decke anschließend an den Seiten zusammengenäht, damit sie darin die Fahrräder im Kofferraum des Autos transportieren konnten.
Sie hatten mit den Jahren eine ausgefeilte Technik entwickelt, wie das jeweilige Fahrrad in die Öffnung der Decke zu bugsieren war. Morgens, um fünf Uhr, war Hertas Fahrrad dran und später dann das von Krimi, Hertas und Kurts Tochter.
Krimi hieß eigentlich Kriemhild, doch dass mochte keiner sagen. Es war Kurts Einfall, sie so zu nennen. Herta wollte ihre Tochter eigentlich Kalinka nennen, denn sie waren gerade von ihrem vierjährigen Aufenthalt aus Moskau zurückgekehrt.
Das fand Kurt auch gut, aber er wollte einen Namen, der ausgefallen war. Heute sagte keiner mehr Kriemhild zu ihr, sondern der Name stand nur noch im Personalausweis, und den würde sie am liebsten auch noch ändern lassen.
Aber jeder kannte sie ohnehin nur als Krimi. Krimis Tochter Emma, die Enkelin von Herta und Kurt, rief ihre Mutter mit ihren zweieinhalb Jahren manchmal ‚Kiiimi‘, was aber wie ‚Kiwi‘ klang.
Kurt schreckte aus seinen Gedanken hoch, denn Hanna stand noch immer vor der geöffneten Autotür und bellte, was das Zeug hielt. Kurt eilte nun kurz entschlossen nach hinten, öffnete die Hecktür und holte die blaue Decke heraus.
Er machte sie auf, legte sie auf den Boden vor Hanna hin und griff mit beiden Händen nach dem Dackel, der von dem blitzartigen Überfall überrascht wurde.
Kurt kullerte Hanna in die Decke, hob sie mitsamt Decke mit einem Schwung hoch, und endlich – Hanna landete auf dem Sitz. Sie war nicht mehr zu hören.
Als Kurt die Decke öffnete, um sie herauszuholen, schnappte sie sofort nach seiner Hand. Kurt riss seine Hand vor Schreck und Schmerzen zurück und schaute Hanna verdutzt an, und die blickte wiederum ihn mit ihren großen hübschen Augen an.
Sie hatte aufgehört zu bellen. Sie zuckte ängstlich, in der Erwartung, dass sie wohl einen Hieb bekam. Das musste tief in ihr drinsitzen. Kurt wusste von Arthur und Sieglinde, dass Hanna von ihren Vorbesitzern sehr stark misshandelt worden war und sich deshalb vor allem Männern gegenüber sehr misstrauisch zeigte.
„Also, das war jetzt aber nicht sehr lieb von dir, Hanna“, sagte Kurt, nachdem sie ihn immer noch anschaute, was nun passieren würde. „Wir sind jetzt quitt. Ich hab‘ dich mit der Decke in einem Schwung auf den Sitz befördert und du hast mir dafür deine Fleischerzähne in meine Schreibhand gehauen“, sagte Kurt und staunte selbst, dass er so ruhig blieb.
„Komm‘ Jimmy, lass uns los düsen, auf nach Basdorf“, sagte Kurt, so als würde Jimmy nicht starten, wenn Kurt nicht vorher mit ihm geredet hatte. Kurt kurbelte das Fenster runter, winkte noch einmal zu Arthur und Sieglinde und dann brauste er mit Jimmy davon.
Hanna lag zusammengerollt auf der Decke und von ihr war nur noch ein weinerliches Jaulen zu hören. Kurt drehte den Radioknopf an, ‚Radio B2, Schlagerradio‘.
‚Wir fahren gemeinsam ins Glück, komm‘ lass uns Freunde sein…‘ trällerte eine piepsige Stimme und Kurt summte die eingängige Melodie mit.
Doch Hanna kläffte dagegen sofort an.
„Ist ja gut, wir werden schon noch Freunde, die Frage ist nur, wann“, sagte Kurt zu ihr und schaute dabei in den Rückspiegel.
Hannas misstrauischer Hundeblick verriet, was sie von alledem hielt, was Kurt in ihre Richtung sagte.