GUTE WORTE UND GUTE GEDANKEN HELFEN – FÜR DEN MOMENT

ANNA IST DEMENT (65)

Anna fröstelte, obwohl es ein warmer Maiabend war. Sie stand auf dem Balkon und konnte so das Treiben im Stralsunder Hafen und auf dem Wasser beobachten.

Es war einer jener Momente, in denen sie alles klar sah, sogar Zusammenhänge gedanklich herstellen konnte.

Sie grübelte. Warum musste Wilhelm nur so früh sterben und sie allein zurücklassen?

Anna fühlte sich einsam, wurde depressiv und fand nichts Schönes mehr an dieser Welt.

An jenem Abend dachte sie an ihre Kinder und es wurde ihr warm ums Herz, so wohlig, dass sie schon weniger fror.

„Ach, es ist schön, dass Lukas mich so oft besucht und fragt, wie es mir geht“, dachte sie.

„Wie gut hatte sich der Junge nur entwickelt, so fleißig und zuverlässig, wie er jetzt war, einfach schön.

Und dann hat er ja noch diese ‚Scheißarbeit‘ mit den vielen Ferienwohnungen in Stralsund und auf Rügen.“

Anna seufzte, als sie im Stillen an ihn dachte.

Ja, Anna hatte Glück gehabt mit ihren Kindern und die auch mit ihrer Mutter.

Das machte es für Klara und Lukas so schwer, die richtigen Worte ihr gegenüber zu finden, und manchmal auch etwas energischer aufzutreten.

Anna fühlte es, dass Klara und Lukas ihr halfen. Nur was sie taten, das vergaß sie regelmäßig.

„Lukas kommt ja so gern zu mir und er mag es, für mich einzukaufen“, erzählte sie Klara kürzlich am Telefon.

Anfangs hatte Klara noch etwas darauf entgegnet, wie schwierig es war, von ihr einen Einkaufszettel zu bekommen.

Es klingelte und Anna ging vom Balkon ins Wohnzimmer.

Klara war am Telefon: „Hallo Mutti, wie geht es dir?“

„Naja, wie soll’s mir schon gehen“, sagte Anna mit einem traurigen Unterton in der Stimme.

„Warst du nicht auf dem Balkon? Es ist doch so schön heute gewesen“, versuchte Klara sie aufzumuntern.

„Ach, es ist war ja so herrlich, ich komme doch gerade vom Balkon. Du glaubst ja nicht, wie schön es hier bei mir ist.“

Klara glaubte es ihr aufs Wort, denn Lukas hatte vor ein paar Tagen Blumen für ihren Balkon besorgt, alles aufgeräumt und die Stühle hingestellt.

„Mutti, was siehst du denn heute von deinem Balkon?“

Anna begann mit Eifer zu erzählen, Klara hatte sie dazu gebracht, dass sie aufstand, während sie erläuterte, wie toll doch alles aussah. Und die Aussicht erst.

Morgen würde wieder Lukas kommen, nach ihr schauen, etwas zu trinken hochholen, den Einkaufszettel durchgehen und abends, da war Klara wieder am Telefon.