Peter litt unter der Corona-Zeit wie jeder in diesem Land.
Und wenn er mit etwas nicht so gut umgehen konnte, dann baute er sich eine Brücke, Erklärungs- und Motivationsmodelle, mit ich denen er sich durch den Alltag mogelte.
„Mensch, dieses Jahr feiern wir in kleinem Kreis. Die Besuchszeiten von Krümel und Laura sind stark eingegrenzt, da brauchen wir uns doch jetzt keinen Stress machen, oder?“, fragte er Klara.
Klara schwieg. Sie gab keine Antwort. Nein, die Antwort stand für sie fest, sie war auf jeden Fall für ‚oder‘.
‚Oder‘ hieß: also doch in die Discounter, rein in die Kaufhäuser, am letzten Tag, vor dem Lockdown.
Peter hatte noch am Montag den Weihnachtsbaum besorgt, weil er nicht wusste, ob diese Märkte auch schließen würden.
Als er beim Händler ankam, da sagte der zu ihm: „Ich kenn‘ Sie. Sie waren letztes Jahr schon hier.“
„Ja“, entgegnete Peter freudig.
„Ich brauche einen Weihnachtsbaum, diesmal nicht so groß.“
Der Verkäufer nickte und zog einen kleinen Baum aus dem Gewühl.
„Hier, der ist gut“, sagte er. Peter drehte ihn um und schaute auf die Rückseite. Da war er ein bisschen dünn, was die Zweige anbetraf. Aber vorn, ja da war er in Ordnung.
„Der ist es“, meinte Peter, so als hätte er seinen Baum aus dem vergangenen Jahr wiedererkannt.
„In Ordnung, macht 30 Euro.“
Peter bezahlte, verabschiedete sich, schleppte den Baum zum Auto und wuchtete ihn über die
geöffnete Kofferklappe und die umgeklappten Rücksitze ins Wageninnere.
Er fuhr schnurstracks nach Hause, hievte den Baum wieder aus dem Auto und schleppte ihn auf die Terrasse, stellte ihn ab und ging anschließend ins Haus hinein.
Peter setzte sich wortlos an seinen Schreibtisch.
„Und, wo ist der Baum?“, ertönte es aus dem Nebenzimmer.
„Hier, neben meinem Schreibtisch“, antwortete er.
„Willst du mich veräppeln?“ Klara war aufgesprungen und zu ihm hinübergekommen.
„Na, wo soll er wohl sein? Auf der Terrasse, wo sonst, wie immer.“
„Kann ich ihn vom Fenster aus betrachten?“, fragte Klara.
„Das kann ich dir nicht sagen!“, antwortete Peter schnoddrig.
„Von meinem Fenster auf jeden Fall nicht, denn ich muss weiterarbeiten und kann jetzt nicht aufstehen“, setzte Peter noch nach.
„Du bist so ein Macho!“, sagte Klara jetzt.
‚Macho, hatte sie Macho gesagt?‘, dachte Peter.
War er es nicht, der vom Schreibtisch aufgesprungen war, um zum Händler zu eilen? Hatte er sich nicht mit dem Baum bis nach Hause gequält?
„Das finde ich jetzt aber nicht schön, dass du das sagst.“
Klara antwortete nicht. Sie war die Treppe hinuntergegangen, um den Baum aus nächster Nähe zu begutachten.
Peter ging hinterher.
„Der ist aber klein. Hatten die keinen größeren?“
Peter schnaubte innerlich. Gerade hatte sie ihm in der vergangenen Woche noch morgens um fünf Uhr am Bahnhof gesagt, bevor sie aus dem Auto stieg, um ihren Zug erreichen:
„Du, wenn du einen Weihnachtsbaum kaufst, dann nicht so groß. So, diese Größe reicht“, meinte sie und reckte ihre rechte Hand in Richtung Brusthöhe.
„Ich will heute keinen Baum kaufen, das steht nicht auf meinem Plan“, meinte Peter.
„Ach, ich dachte ja nur“, sagte Klara nun leicht eingeschnappt.
Peter hasste es, wenn Klara ihn morgens mit irgendetwas überfiel, was sie abends nicht besprochen hatten und was deshalb auch nicht in seiner Planung berücksichtigt worden war.
Gerade die unliebsamen Dinge, die brauchten für ihn eine Gewöhnungsphase, in der er sich damit abfand, wieder etwas zu tun, wozu er nun überhaupt keine Lust verspürte.
Ja gut, wenn sein neues iPhone geliefert würde, ja, da könnte er schon mal eine Ausnahme machen. Aber Weihnachtsbaum kaufen? Auf keinen Fall.
Und nun hatte er den Weihnachtsbaum gekauft, auch noch in der Größe und Klara zeigte keine Regung der Dankbarkeit.
„Der ist genauso groß, wie du es mit deiner rechten Hand vor ein paar Tagen angezeigt hattest. Erinnerst du dich?“
Klara antwortete erst gar nicht.
„Und wieviel hat der gekostet?“, fragte sie stattdessen.
„30 Euro.“
„Was, das ist nicht dein Ernst!“
„Der Verkäufer hat auf mich nicht den Eindruck gemacht, dass er mit mir scherzen wollte“, sagte Peter.
Dabei war ihm auch aufgefallen, dass er ein Jahr zuvor einen viel größeren Baum für nur 20 Euro vom gleichen Verkäufer erstanden hatte.
Und er hatte sich noch mit ihm gestritten.
„Ich denke, jede Nordmanntanne kostet nur 10 Euro?“, fragte er den Verkäufer.
„Ja, aber nur bis zu einer bestimmten Größe. Und der hier, der ist definitiv größer.“
Das leuchtete Peter damals ein. Aber in diesem Jahr war der Baum ja wesentlich kleiner und kostete dafür gleich noch 10 Euro mehr.
Peter wollte sich nicht streiten.
Im vergangenen Jahr hatte der Verkäufer ihm auch noch geholfen, den Baum zum Auto zu bringen.
Diesmal machte der überhaupt keine Anstalten.
Und nun stichelte Klara: „Da hast du dich ja mal wieder grandios über den Tisch ziehen lassen.“
Peter war sauer. Er drehte sich auf der Stelle um und ging zurück an seinen Schreibtisch.
Als er eine Weile dort gesessen hatte und merkte, dass er sich nicht konzentrieren konnte, polterte er die Treppenstufen hinunter, ging ins Wohnzimmer und stellte den Fernseher an.
Es lief ‚Monk‘, sein Lieblingsfilm. Monk brauchte Ordnung, Verlässlichkeit, Struktur.
Der Film gefiel ihm. Peter legte die Beine auf die Couch und schlief ein, während Detektiv Monk ermittelte.
Weihnachten konnte kommen.