DER VORRAUM EINER BANK – NACHTS DER SCHLAFPLATZ FÜR EINEN OBDACHLOSEN

ALLTÄGLICHES (46-3)

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Wir machen uns Sorgen um uns und unsere Lieben.
Aber wieviel Mitgefühl bringen wir wirklich auf, wenn wir unmittelbar einem Obdachlosen begegnen?
Das ging mir durch den Kopf, als ich früh morgens einen Mann im Vorraum der Sparkasse antraf – eingerollt in einen Schlafsack.

Kurz nach 05.00 Uhr, morgens. Es regnet, die Straßen sind noch wie leergefegt und dafür voller Pfützen, durch die ich hindurchfahre. Vor der Sparkasse steuere ich auf einen freien Stellplatz zu, ziemlich dicht vor der Eingangstür der Bank.

Ich halte, steige aus, gehe schnurstracks in Richtung Eingang los und zwänge mich erst einmal durch zwei Büsche hindurch, deren Zweige schon vereinzelt grüne Blätter tragen. Sie wischen an mir entlang und als meine nackten Hände die Blätter berühren und ich deren Nässe spüre, ärgere ich mich, dass ich nicht den ordentlichen Zugang gewählt habe.

Meine Füße geraten auf der rutschigen Erde ins Schlingern und ich fluche still vor mich hin. Ich bin froh, als ich die Eingangstür erreicht habe. Die Türen schieben sich nach links und rechts auf und verschwinden rumpelnd und quietschend in den dafür vorgesehenen Nischen in der Wand.

Ich hole meine Geldkarte aus dem Portemonnaie und als ich wieder aufschaue, sehe ich einen Mann am Boden liegen. Er hat es sich bequem gemacht, im Schaltervorraum der Sparkasse. Seine Beine sind angewinkelt, er liegt auf der Seite und hat die Arme unter dem Kopf verschränkt.

Es riecht nach Tabak, Schweiß und abgestandenen Kleidern, so als wären diese wochenlang nicht gewaschen worden. Das Gesicht des Mannes sieht friedlich aus. Er ist noch nicht so alt. Vielleicht Mitte 30, schätze ich.

Behutsam gehe ich an ihm vorbei, in Richtung Geldautomat. Ich schiebe die Karte in den Schlitz des Automaten und warte, bis die Aufforderung zur Eingabe der Geheimzahl auf dem Display erscheint.

„Was ist, wenn der jetzt aufspringt und versucht, mir die Geldbörse aus den Händen zu reißen?“, denke ich bei mir. Vorsichtig drehe ich mich zu ihm um, doch der schläft weiter.

Endlich, die Klappe am Automaten geht auf und die Geldscheine tauchen auf. Ich ergreife sie hastig und stopfe sie in ein Fach des Portemonnaies. Ich bewege mich wieder ziemlich leise an dem Mann vorbei, versuche möglichst keine Geräusche zu machen.

Als ich draußen bin und mich erneut durch die nassen Zweige der Büsche bewege und auf dem feuchten Boden mehr rutsche als laufe, atme ich trotzdem erleichtert auf. Dann, im warmen Auto, drehen sich meine Gedanken um diesen schlafenden Mann am Boden der Sparkasse.

Wer mag das sein, warum übernachtet er auf dem harten Boden, ohne eine Decke, nur mit einem Beutel neben sich, auf dem der Name eines Einkaufsmarktes steht?

Was ist die Lebensgeschichte dieses Mannes? Und noch eine Frage schießt mir durch den Kopf: Hättest du ihn nicht wecken sollen, ihm nicht anbieten müssen, mit nach Hause zu kommen? Ihm eine warme Dusche ermöglichen, einen heißen Kaffee und ein Brötchen dazu?

Ich verwerfe diesen Gedanken gleich wieder und rechtfertige mein Handeln damit, dass ich ja nicht wüsste, wer das eigentlich sei, ob er ein Obdachloser ist, der auf der Straße leben will oder ein Alkoholiker, dem es egal ist, wo er seinen Rausch ausschläft.
Und trotzdem, ein Restfunken von schlechtem Gewissen bleibt.