MAL SCHNELL ERZÄHLT
Ich denke jetzt mehr an Krümel, als ich es in normalen Zeiten getan habe. Wahrscheinlich, weil es schmerzt, dass ich sie nicht in den Arm nehmen kann, oder sie einfach im Vorbeilaufen an meinem Sessel auf den elektrischen Knopf drückt und dann meine Beine beim Lesen nach oben schnellen. Also lehne ich mich im Sessel zurück und denke weiter an unsere Enkelin, die wir in Corona-Zeiten eben nicht sehen können. Was mich fasziniert ist, dass Kinder ihr ehrliches Gesicht zeigen, sie nicht ihren Unmut, ihren Ärger hinter einem freundlichen oder undurchsichtigen Ausdruck verbergen. Das ist toll. Aber wenn sie das sagen oder wenigstens in der Mimik ausdrücken, was sie denken und fühlen in dem Moment, dann ist es uns Erwachsenen manchmal auch nicht recht. Krümel sagt zum Beispiel in Momenten, in denen sie was nicht möchte: „Lass mich in Ruhe, oder einfacher, weil sie es mit ihren zweieinhalb Jahren noch nicht sagen kann „…in Ruhe“. Dabei zieht sie das ‚u‘ energisch auseinander und es kommt „…in Ruuuhe“ heraus. So auch mehrfach, als ich Krümel für zwei Tage betreute, weil sie Fieber hatte.
„Keine Zeit!“, sage ich knapp, wenn ich arbeiten will und erntet daraufhin oft einen verständnislosen Blick von meiner Frau oder meinen Freunden.
Es gibt eine Ausnahme, und zwar dann, wenn meine Tochter einen Hilferuf absetzt und ich auf Krümel aufpassen soll.
Dann schiebe ich alles beiseite, mach‘ den Computer aus und eile zu Krümel und Laura nach Hause, um zu helfen.
Erst kürzlich klingelte das Telefon, als ich gerade vom Sport zurück war und mich auf eine zweite Tasse Kaffee freute, bevor ich dann an den Schreibtisch wollte.
„Krümel hat fast 40 Grad Fieber, sie ist am ganzen Körper heiß, kannst du auf sie aufpassen?“, fragte Laura mich.
„Klar, kann ich“, antwortete ich, ohne zu zögern.
„Wo ist sie denn jetzt?“, fragte ich weiter.
„In der Kita, hier bei mir“, sagte Laura.
„Gut, ich komme, so schnell ich kann.“
Ich duschte mich kurz, verzichtete auf den Kaffee, stieg ins Auto und eilte in die Kita.
Krümel schaute mich mit einem erstaunten Blick an.
„Opa“, sagte sie leiser als sonst.
Ich bekam von Laura noch ein paar Instruktionen und schon war ich mit Krümel auf dem Weg in ihre Wohnung.
Sie lag still im Kinderwagen. Es war ungewöhnlich. Sonst sangen wir auf dem Rückweg solche Lieder wie „…kommt ein Vogel geflogen…“. Ich singe vor und Krümel wiederholt ein Wort aus der Liedzeile, „…auf mein ‚Fuuuuß‘“, zum Beispiel.
Dann geht es mit „la la“ munter weiter, bis wir nicht mehr können. Und meist kann ich zuerst nicht mehr.
Jetzt aber hörte man von Krümel gar nichts.
Endlich – wir waren Zuhause angekommen. Ich zog ihr schnell die Wintersachen aus und Krümel lief ins Wohnzimmer.
„Willst du einen Trickfilm sehen?“, fragte ich sie.
„Ja‘, sagte sie leise. Ich wusste nicht, ob es Laura recht war, aber ich wollte Krümel erst mal beschäftigen.
Ich ging in die Küche. Dort hatte Laura schon das Mittagessen vorbereitet. Im Mixer waren Kartoffeln und Möhren. Ich sollte noch ein bisschen Butter dazutun, ein wenig Salz und dann das Ganze verrühren.
Als alles fertig war, rief ich Krümel und füllte ihr einen kleinen Klecks davon auf den Teller.
Es war ulkig. Ich konnte diesen Brei nicht sehen und nicht riechen, obwohl alles frisch war.
„Krümel, komm‘ essen“, rief ich erneut und Krümel schlurfte den Flur entlang.
Als sie auf dem Stuhl saß und ich den Brei vor mir hatte, musste ich würgen und aufpassen, dass ich mich nicht übergab.
Krümel schaute mich aufmerksam an.
„’Leecker‘!“, rief ich. „Willst du einen Löffel haben?“, fragte ich danach schnell. Krümel sah auf den Löffel, dann auf mein Gesicht. Ich verzog es immer noch und würgte ein wenig.
Krümel hatte sich entschieden. „Nee!“, sagte sie entschieden und rutschte vom Stuhl.
„Probier‘ doch mal, Opa hat auch schon davon genascht“, sagte ich so salbungsvoll wie möglich.
Krümel hatte mich durchschaut, „in Ruuuhe…“, rief sie beim Rauslaufen aus der Küche. Ich konnte ihr nichts vormachen, aber was sollte ich ihr nun zu essen geben?
Ich musste mir was einfallen lassen.