ÜBER EINFACHE ALLTAGSTHEMEN SCHREIBEN IST NICHT EINFACH, ABER SPANNEND (FORTSETZUNG)

SCHREIB-ALLTAG (6)
BISHER:
Ich glaube, dass es für mich nur so möglich ist, authentisch zu bleiben, indem ich über meine eigenen Erfahrungen, Erlebnisse schreibe. Das ist ein Grund, warum ich inzwischen regelmäßig ein Tagebuch führe. 
Ich beginne damit schon morgens, wenn ich im Fitness-Center bin. Ich kann darüber nur berichten, wenn ich unmittelbar erlebe, wie es ist, sich zu überwinden, die Übung an einem Trainingsgerät wieder und wieder zu absolvieren. Oder die Tatsache, dass jemand mit seinem Handtuch einen Platz blockierte, selbst aber an einem völlig anderen Gerät trainierte.
„Stell‘ dir nur mal vor, das würde jeder so machen und zwei Plätze blockieren. Was glaubst du, wieviel hier trainieren könnten?“

Er hat mich verdutzt angesehen und dann hat er mich angeschnauzt.
Ich habe ihm einfach den Rücken zugedreht und bin zu einem anderen Gerät gegangen.

Aber in Wirklichkeit war das Training für mich an diesem Tag gelaufen, so hatte ich mich innerlich aufgeregt. Ich war so sauer, dass ich diese Auseinandersetzung nicht auf dem Notizblock meines Handys festgehalten habe.

Und jetzt, wo die Emotion verraucht ist, da klingt der Bericht banal, trocken, gibt nicht das wieder, was ich in dem Moment an Wut und Enttäuschung über das unfaire Verhalten des ‚Sportfreundes‘ empfunden habe.

Also dieser ganz spezielle, unverwechselbare Moment, den hätte ich sofort notieren müssen.

Es ist nicht leicht, jeden Tag zu schreiben. Das gebe ich gern zu. Ich muss mich ständig überwinden, es zu tun. Auf der anderen Seite fließen aus mir nur so die wirklichen Ideen raus, die, die ich dann in einer Geschichte gebrauchen und umsetzen kann.

‚Du musst aus ‚Anna ist dement‘ eine richtige Familiengeschichte machen. Nicht nur über Anna oder Lukas berichten, nein, über alle, die an der Betreuung von Anna teilhaben‘, denke ich manchmal. Aber nur denken, das reicht nicht.

Damit allein entsteht auch nichts. Viele sagen mir, sie hätten keine Zeit zum Schreiben.

Sie meinen aber: Sie finden nicht die Kraft, sich zu überwinden. Und diese Ehrlichkeit, die versuche ich manchmal ebenfalls zu umgehen, indem ich allerlei Ausflüchte finde, was ich noch alles tun will und was ich zu tun habe, bevor ich anfangen kann, aus ‚Anna‘ die echte Familiengeschichte zu erschaffen.

Alles Ausreden.
Ich weiß das, aber es sich einzugestehen, das ist ein wichtiger Meilenstein, auf dem Weg, der ja gleichzeitig mein Ziel ist – regelmäßig schreiben.

Ich glaube, nein, ich bin überzeugt, dass man sich seiner eigenen Situation, seiner eigenen Position im Leben erst richtig bewusst wird, wenn man anfängt, sie aufzuschreiben.

Denn vorher muss man die Gedanken ordnen, sie strukturieren.
Ich habe von Frauen gelesen, die den ganzen Tag mit dem Haushalt, den Kindern und ihrer Versorgung beschäftigt waren und die sich mittags an den Küchentisch gesetzt haben, um zu schreiben.

Ehrlich gesagt, ich würde wohl dabei einschlafen. Ich helfe meiner Frau am Freitag damit, dass ich beide Etagen sauge und wische. Und danach bin ich total fertig, muss mich in den Sessel setzen und schlafe oft ein. Von Schreiben ist dann keine Spur.

Also, diese Frauen, sie sind mein echtes Vorbild. Ich weiß übrigens erst seit den Jahren meiner Arbeit im Home-Office, wie schwer es, Haushalt, Kindererziehung und kreative Arbeit unter einen Hut zu bringen.

Als ich mich im vergangenen Monat mit meiner Nachbarin darüber unterhielt, wie schwer es ist, in Corona-Zeiten zuhause am Computer diszipliniert zu arbeiten, da habe ich ihr gestanden: „Ich bereite mich seit über zehn Jahren auf diese Krisenzeit vor, und ich habe noch heute Probleme, den Rasen zu mähen, einzukaufen, meine Frau zur Arbeit zu bringen, den Teppich zu saugen und dann noch gute Texte zu schreiben.“

Was ich ihr nicht gesagt habe ist, dass ich bis heute nicht begreife, wie meine Frau das alles geschafft hat, ohne sich auch mit einem Wort über ihre Situation zu beklagen.

Drei Gedanken am Schluss:
Zum Einen:
Ich bin nur dann gut, wenn ich über das schreibe, was ich wirklich kenne, was ich erlebt habe, oder worüber mir ein anderer berichtet. Ich kann nicht über die Betreuung einer an Demenz erkrankten Angehörigen schreiben und dabei die Position eines Pflegedienstinhabers oder einer Pflegedienstinhaberin zu 100 Prozent einnehmen.

Ich muss schon aus meiner eigenen Sicht schreiben. Und ich kann die Sicht einer Pflegekraft in einem Interview detaillierter wiedergeben, wenn ich meine Erfahrungen in den Schreibprozess miteinfließen lasse.

Manchmal überlege ich, was den Leser wohl interessiert, wenn er auf Texte auf meinem Blog anklickt. Ich kann es nur ahnen. Aber ich wecke auf keinen Fall sein Interessen nicht , wenn der spürt, dass es nicht ehrlich ist, worüber ich schreibe, wenn er merkt, dass mich der Inhalt eigentlich gar nicht interessiert.

Zum Zweiten:
Ich werde anfangen für die Familiengeschichte ‚Anna ist dement‘ mehr in meinen Erinnerungen zu kramen. Kürzlich habe ich mir Fotos angesehen, die ich von meinem im vergangenen Jahr verstorbenen Vater erhalten habe.

Schaue ich auf irgendeines dieser Bilder, dann kommen die Erinnerungen ganz von allein. Also werde ich weiter kramen, alte Tagebuchaufzeichnungen hervorholen.

Zum Dritten:
Die Interviews mit Menschen aus dem Alltag geben mir interessante Einblicke in das Leben von Pflegekräften, Unternehmern, Kreativen. Genauso wichtig ist es, dass, dass meine Fragen die zu Interviewenden dazu anregen, selbst über sich nachzudenken, wo sie stehen, was sie wollen, wovon sie sich lösen sollten und wo sie vielleicht noch hinwollen.