WENN WIR TRAURIG SIND, WIRD’S AUCH NICHT BESSER

ANNA IST DEMENT (64)

Samstagmorgen.
„Endlich, die Woche ist geschafft.“

Peter atmete hörbar aus, als er das sagte. Klara war noch dabei, das Frühstück auf den Tisch zu stellen, während sich Peter bereits hingesetzt hatte und dabei war, die Füße auf den zweiten Korbstuhl hochzuhieven.

„Wovon bist du denn so kaputt?“, fragte Klara.
„Du bist doch nicht einmal mit der S-Bahn nach Berlin reingefahren“, setzte sie noch nach.

„Ja, das stimmt schon, aber ich habe doch hier am Schreibtisch gesessen und wie verrückt geplant.“

Klara sagte nichts darauf, denn sie fürchtete, dass Peter ihr sofort einen längeren Vortrag darüber halten wollte, wie schwer es sei, von Zuhause aus zu arbeiten.

„Ach, du arbeitest von Zuhause aus?“, hatte Anna ihn schon oft gefragt. Das klang für Peter immer so, als wäre das in ihren Augen keine richtige Arbeit.

Dabei war es oft intensiver am eigenen Schreibtisch zu sitzen und zu arbeiten, als es in einem Bürojob der Fall wäre. Die Ablenkungen sind Zuhause nicht so groß, weil keiner da war, der stören konnte.

Nur Peter selbst konnte das tun, was er auch mehr als einmal am Tag tat.
Peter hatte aber auch keine Lust, dieses Thema erneut zu diskutieren. Seit Corona hatte er ohnehin den Eindruck, dass die Leute der Arbeit im Homeoffice mehr Beachtung schenkten.

„Wie geht es eigentlich Anna?“, fragte Peter stattdessen.
„Ach, alles wie immer“, sagte Klara. Sie klang bedrückt.
„Ist wirklich alles in Ordnung oder ist irgendwas?“, hakte Peter noch einmal nach.

„Ja, es macht einen irgendwie traurig, wenn du erlebst, wie Anna zusehends verfällt, geistig und auch körperlich“, sagte Klara nun doch.

„Aber jetzt stell‘ dir mal vor, wie es Lukas ergeht. Er hat nahezu täglich mit Anna zu tun und es bleibt ja trotzdem seine Mutter. Wenn du es direkt im Gegenüber siehst, dann fühlst du dich ganz anders“, versuchte Peter Klara aufzumuntern.

„Das ist es ja, dass wir nicht viel tun können, eigentlich gar nichts, um die Krankheit aufzuhalten“, sagte Klara.

„Was bringt es uns, wenn wir die ganze Zeit traurig sind?“, fragte Peter.
Klara nickte stumm.

„Wir werden das alles nicht aufhalten, aber wir können etwas für den Moment tun, für Anna und auch für uns.“

Klara wusste, was Peter meinte. Sie fühlte, dass es besser war, selbst in diesen Zeiten glücklich zu sein, das Leben zu genießen und ein Stück dieses guten Gefühls an Anna weiterzugeben.

„Die Demenz ist da, Anna vergisst immer mehr, aber sie hat auch ihre lichten Augenblicke. Und dann sollten wir sie zum Lachen bringen, auch wenn es schwerfällt. Und wir können auch selbst über Annas kuriosen Antworten lachen, denn wir lachen sie ja nicht aus“, sagte Peter.

„Das stimmt, es ist besser, sich auf das Gute zu konzentrieren, denn die Krankheit bleibt so oder so. Und auf diese Weise können wir meine Mutter vielleicht ebenfalls ein wenig glücklicher machen, antwortete Klara.

„Das meine ich doch.“ Peter hatte die Füße vom Stuhl genommen.
„Lass uns den Tag genießen“, sagte Peter und goss Klara Kaffee in die Tasse.

Das Telefon klingelte.
Laura kündigte ihren Besuch an. Sie wollte in zehn Minuten mit Krümel gemeinsam am Bahnhof im Dorf ankommen. Peter biss in das Brötchen, nahm noch einen Schluck Kaffee, verbrannte sich dabei die Zunge und eilte zum Bahnhof.

Wenig später stiegen Krümel und Laura aus dem Zug aus.
Krümel hatte ihren Sturzhelm auf und auf dem Rücken ihren kleinen Rucksack.

„Opa, ich ‚pomme‘“, rief sie schon von Weitem.
‚Das wird ein schöner Tag‘, dachte Peter und fing Krümel auf, die auf ihn zustürzte.