DER TAG NACH DER ANREISE IM GASTHOF

ANNA-2021.09.30

Rückblick:
Klara und Peter sind im Dorfgasthof ‚Soljanka‘ angekommen, haben das Gepäck nach oben getragen. Beide waren so erschöpft, dass sie darauf verzichteten, abends noch in das Restaurant zu gehen, um die Soljanka zu probieren.
Peter ahnte nicht, wie viel und wie oft er in den nächsten Tagen noch Taschen aus Annas Wohnung schleppen musste.

Intro:
Klara geht morgens zu ihrer Mutter, um die Fahrt in die Einrichtung der Kurzzeitpflege für den nächsten Tag vorzubereiten. Sie muss dabei sensibel vorgehen, denn Anna war nicht bereit, so ohne weiteres mitzuhelfen. Peter fuhr zurück ins Hotel, versuchte zu arbeiten, was nicht wirklich gelang. Seine Gedanken schweiften ab.

Die Nacht im Dorfgasthaus war schnell vorüber. Klara und Peter hatten unruhig geschlafen.

Vor dem Hotel verlief die Straße abschüssig und die Autos donnerten darauf mit einem ohrenbetäubenden Lärme vorbei, auf Kopfsteinpflaster.

Peter rüttelte im Schlaf gefühlt mit, wenn ein größerer LKW, noch dazu mit Anhänger, vorbeifuhr.

„Ich dachte, wir sind hier in einem idyllischen Dorf und du hörst morgens die Hähne krähen, aber die müssen ja jedes Mal eine Lücke zwischen zwei fahrenden Autos erwischen, damit sie überhaupt gehört werden“, sagte Peter, während er sich aus dem Bett drehte und versuchte endgültig wach zu werden.

Klara antwortete nicht. Sie hätte lieber noch ein wenig weitergeschlafen, aber die Gedanken an den Tag mit ihrer Mutter trieben sie aus dem Bett.

Im Frühstücksraum kam ihnen eine ältere Mitarbeiterin entgegen, die sie freundlich mit einem ‚Guten Morgen‘ begrüßte.

„Hier am Büfett ist alles aufgebaut, den Kaffee bringe ich gleich.“
„Soljanka auch?“, fragte Peter. Klara stand hinter ihm und stieß ihm mit der Hand in den Rücken.

„Die können Sie sehr gern haben, hier gibt es aber auch frisch gepressten Orangensaft, ein wenig Haferkleie und Obst“, sagte die Mitarbeiterin und fixierte Peters Bauch.
‚Haferkleie, die esse ich zuhause‘, dachte Peter.

„Wunderbar, dann kann der Tag ja nur gut werden“, antwortete Peter laut und ging schnurstracks auf den Behälter mit dem Rührei zu.

Er klappte den Deckel hoch und sah neben den Eiern kleine Bratwürstchen liegen, die herrlich dufteten.

Das war Peters Welt. Er nahm zwei kräftige Löffel von dem Rührei und legte sich noch zwei Würstchen auf den Teller dazu.
Alles unter dem kritischen Blick von Klara.

„Ich denke, du wolltest abnehmen? So machst du dir wieder alles kaputt“, tadelte Klara ihn leise.

Peter hasste diese Ansagen. Er wusste es selbst, und deshalb ärgerte es ihn erst recht, wenn Klara sich einmischte.
Prüfte er etwa, was sie sich auf den Teller packte?

„Du verstehst mein Konzept vom Intervallfasten nicht“, antwortete er, drehte sich um und ging zum Tisch. Dort stand bereits der Kaffee, Peter goss sich eine Tasse ein und nahm einen Schluck. So sollte der Tag beginnen.

Peter wollte sich nicht mehr weiter ärgern und lieber den Moment genießen. Mittags, ja da wollte er nur noch eine Banane essen.
Aber jetzt, da waren die Rühreier und kleinen Bratwürste dran.

‚Zuhause musst du dich aber wirklich zusammenreißen`, sagte er sich im Stillen, ohne sich den Kopf über das ‚wie` zu zermartern.
Nach dem Frühstück fuhren beide nach Stralsund rein, zu Annas Wohnung.

Peter begab sich danach sofort zurück zum Hotel, holte seine Arbeitssachen heraus und begann sich auf dem kleinen Tisch einzurichten.

Zuerst musste der Fernseher beiseite gerückt werden, damit das iPad und die Tastatur Platz fanden.

Er hatte seine Sachen in der Tasche verstaut, die er täglich mit ins Fitness-Studio nahm.

Jetzt lagen dort Bleistifte, Papier, Klebestifte, Kabel für das iPad und Unterlagen für Annas Kurzzeitpflege drin. Sie rutschten von einer Seite auf die andere und Peter erfühlte mehr das, was er brauchte, als dass er es sah.

Endlich hatte er alles aufgebaut.
Es war stickig im Raum, also öffnete er das Fenster. Damit es wieder zufiel, legte er sein neues Brillenetui in den Rahmen. Das Fenster bewegte sich trotzdem und bohrte ein Loch in das Brillenbehältnis.

Peter ärgerte sich und schloss das Fenster wieder. Na prima, jetzt musste er sich noch ein neues Etui besorgen.

Er versuchte sich auf das Schreiben zu konzentrieren. Obwohl er mit zehn Fingern blind auf der Tastatur schreiben konnte, nützte ihm das wenig. Er starrte nämlich auf das weiße Display und versuchte einen Satz hinzubekommen.

Es nützte nichts, ihm fiel nichts ein. Seine Gedanken schweiften ab zu Klara. Wie mochte sie wohl Anna angetroffen haben? Peter war nicht mit hochgegangen.

Er wollte sich nicht Annas Fragen aussetzen, warum sie in Stralsund seien.

Peter schaute aus dem Fenster. Es regnete inzwischen heftig und das Kopfsteinpflaster sah spiegelglatt aus, was die vorbeifahrenden Autos aber nicht dazu anhielt, die Geschwindigkeit zu drosseln.

Er setzte sich wieder hin und beschloss, seiner Kreativität auf die Sprünge zu helfen.

Dazu nahm er eine Holzunterlage aus der Tasche, die er mit weißen Blättern überklebt hatte.

Es war ein Bild von Anna, das Peter so umfunktioniert hatte. Klara durfte davon nichts wissen.

Aber die Rückseite des Rahmens eignete sich hervorragend für seine Zwecke.

Außerdem – sie hatten so viele Bilder im Keller zuhause liegen, sodass dieses eine Bild gar nicht ins Gewicht fiel. Klara sah das natürlich völlig anders.

Wenn Peter aber mit dem Füllhalter auf dem Papier Kreise malte und einfach das aufschrieb, was ihm einfiel, dann kam er voran. Später konnte er es immer noch korrigieren.

Das Einzige war, dass Peter alles noch einmal abschreiben musste. Aber was nützte es ihm, wenn er auf den Bildschirm starrte und ihm doch nichts einfiel?

Der Regen tropfte ans Fenster und Peter kam allmählich zur Ruhe.
Eigentlich ging es ihm doch gar nicht so schlecht. Er saß in einem Hotelzimmer, wurde nicht nass, konnte ein wenig schreiben, die Akquise für die Werbeeinnahmen vorbereiten und zwischendurch gedanklich auch noch abschweifen.

Er versuchte möglichst nicht mehr zu weit in die Zukunft zu schauen. Das Leben hatte ihn gelehrt, das als Geschenk anzunehmen, was vor ihm war.

Besuchte Krümel ihn zuhause, dann setzte er sich nicht an den Schreibtisch, sondern mit ihr auf den Fußboden und spielte mit ihr.
Und jetzt saugte er die Ruhe in sich auf.

Die Autos ratterten immer noch vorbei, aber es war irgendwie wie aus einer weiten Ferne.
Auf der gegenüberliegenden Seite hastete eine Frau auf dem Fußweg vorbei, wahrscheinlich zur Arbeit.

Ihr Gesicht war verkrampft, nichts sah danach aus, dass sie Freude an dem hatte, was sie gerade tat.

Peter war Jahre, ja Jahrzehnte seinen Träumen nachgerannt, die spätestens mit der Wende platzen und er wieder ganz von vorn anfangen musste.

Also warum sollte er sich jetzt nicht freuen, dass er im Zimmer saß, trocken, und schreiben konnte?

Wer weiß, wie es ihm in zehn Jahren gehen würde. Vielleicht war er dann auch schon in einem Heim und musste sich ein Zimmer mit einem Nachbarn teilen.

Peter schüttelte sich. Das wollte er auf jeden Fall vermeiden. Er wollte doch mehr Sport machen, gesünder essen, vor allem weniger.

Er schaute auf die Banane, die auf dem Tisch lag, sein Mittagessen.
‚Das Grauen kommt ohne Ankündigung‘ dachte er dabei.
Wie es wohl Klara bei Anna angetroffen hatte?

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