ANNA IST DEMENT (31)

ANNA WILL NICHT ZUM FRISEUR

Anna will nicht den Friseurtermin wahrnehmen, zum zweiten Mal nicht.

Anna lag auf der Couch und hielt eine Banane in der Hand, die sie ab und zu zum Mund führte, um ein Stück davon lustlos abzubeißen. Ihr Gesicht schien ausdruckslos und als Lukas das Zimmer betrat, verharrte sie in ihrem nahezu regungslosen Zustand.

„Mutti, wir haben doch gleich einen Friseurtermin und du hast dich immer noch nicht umgezogen.“

Annas Gesicht verdunkelte sich noch mehr. Ihre Gemütsregungen waren am Vormittag ganz besonders überschattet von ihrer Krankheit.

Sie hatte Angst, rauszugehen, auf andere Menschen zu treffen, sich in neue Situationen hineinzufinden.

Die Demenz hatte sie mürrisch, ja aggressiv gemacht. Erst zum Mittag hin, wenn die Krankenschwester zum Spritzen kam, wurde sie munterer.

Lukas ließ sich in einen der Sessel fallen und schwieg. Es war kurz vor zwölf und die Schwester musste jeden Augenblick an der Tür klingeln.

„Ach Schwester schön, dass Sie kommen und mir helfen, ich hab‘ ja sonst keinen“, sagte Anna bereits an der Tür zu ihr.
„Aber Sie haben doch Ihren Sohn.“
„Ach, der muss doch nur arbeiten.“

Anna schaute missmutig zu Lukas herüber. Lukas trafen diese Worte mitten ins Herz. Er wusste, seine Mutter war dement und man konnte nichts mehr von dem, was sie sagte, auf die Goldwaage legen. Aber es schmerzte ihn, trotz alledem.

„Was willst du eigentlich hier?“, fragte Anna ihn nun.
„Mutti, will nicht schon wieder bei der Friseuse den Termin absagen müssen, nur weil du keine Lust hast.“

„Ich will nicht und ich will mich dafür nicht entschuldigen“, sagte sie mit der Bockigkeit eines kleinen Kindes in der Stimme.

„Dann können wir dir nicht mehr helfen und wir müssen überlegen, ob wir dich für ein Heim anmelden.“

Anna saß eine Weile still und sagte plötzlich: „Meine Strähnen sind grau. Die müssen gefärbt werden. Kannst du mir mal den Mantel geben?“

Lukas schnellte aus dem Sessel hoch und holte aus der Flurgarderobe den Mantel seiner Mutter.

Er hatte ein schlechtes Gewissen. Schon wieder hatte er ihr mit dem Heim gedroht, aber was sollte er tun?

„Kommst du nun endlich?“, fragte Anna ihn und schwenkte ungeduldig den Haustürschlüssel.