LÖWE DU MUSST FRESSEN, DU BIST DOCH HUNGRIG

Es schien ein tristes Wochenende zu werden, im Lockdown – bis Peter sich daran erinnerte, wie er mit Krümel auf dem Teppichboden im Wohnzimmer lag und sie gemeinsam auf die Jagd gingen, nach einem kleinen, imaginären Hasen.

Samstag. Der Schnee rieselte ohne Unterbrechung vom Himmel und bei Peter kam der Gedanke von heiler Welt auf.

Doch die Welt war nicht heil. Der Gedanke an den Lockdown und Corona blieb. Peter und Klara hätten sich gewünscht, dass Krümel sie besuchte, aber das Risiko war zu groß, dass sie sich gegenseitig ansteckten.

Also blieb ihnen nur übrig, zum Telefon zu greifen und ein paar Momente mit Krümel am Telefon zu erleben.

„Hallo Opi, kann ich bei dir den Film sehen ‚von dem mit ohne Zahn‘?“, fragte Krümel ihn.

„Naja, dieses Mal können wir uns nicht sehen, aber ich kann dir was vorsingen, willst du das?“

„Ja“, flüsterte Krümel mit ihrer zarten Stimme.
„Oh, Tannebaum, an deinem Ast hängt ne Pflaum…“

„Opa, nicht Pflaum, unterbrach Krümel ihn sofort. Peter wollte einmal kreativ sein und schon wurde er zurechtgewiesen.

Krümel wollte das Lied so hören, wie Peter es ihr immer vorsang.
Also begann er wieder von vorn und lies nun keine Zeile aus.

„Du kannst dir auch mal was Neues einfallen lassen“, meldete sich Laura nun.

„Ich hätte noch ‚Auf der Reeperbahn‘ im Angebot“, sagte Peter.
„Wehe“, mischte sich nun Klara ein.

Peter war raus, sein Entertainment für Krümel wurde nicht mehr gewünscht.

Dabei waren sie noch vor zwei Wochen auf dem Fußboden des Wohnzimmers umhergekrochen und hatten Löwe und Hase gespielt. Peter schmunzelte, während er sich daran erinnerte.

„Ich fress‘ jetzt den Hasen“, knurrte Peter möglichst echt, obwohl er in dem Moment überlegte, ob Hase und Löwe überhaupt in der Hitze von Afrika aufeinandertrafen.

„Nicht fressen“, rief Krümel.
„Nein, der Löwe ist zwar hungrig, aber er lässt den Hasen am Leben“, versuchte Peter Krümel zu beruhigen.

„Ich fang einen Hasen“, rief Krümel plötzlich und bewegte sich mit Armen und Beinen geschmeidig auf den Wohnzimmertisch zu.

Peter robbte hinterher, keuchend versuchte er mitzuhalten, obwohl sein Bauch ihn daran hinderte, es Krümel gleichzutun und wie eine Echse am Boden entlang zu schleichen.

Als er auf der Höhe von Krümel ankam, legte die ihren kleinen Finger auf den Mund.

„Leise Opa!“ Peter nickte, obwohl es ihm schwerfiel, den keuchenden Atem unter Kontrolle zu halten.

„Da, der kleine Hase“, flüsterte Krümel. Peter sah nichts.
Urplötzlich schoss ihre Hand in Richtung Stuhllehne und hielt sie triumphierend hoch.

„Hier Opa, hier ist der kleine Hase, den kannst du jetzt fressen.
Peter schaute auf Krümels Hand und sah förmlich den kleinen Hasen zappeln.

„Opa kann den nicht fressen, der soll weiterleben“, sagte Peter entschuldigend zu Krümel

Krümel schaute ihn verwundert an.
„Löwe, du musst fressen, du hast doch Hunger!“, flüsterte Krümel beschwörend auf Peter ein, so als könne der Hase in ihrer Hand noch einmal entkommen.

„Nein weißt du, ich bin der einzige Löwe, der nur Blätter frisst. Komm, wir laufen mal zu Oma in die Küche und schauen, wir dort was Grünes finden.“

Krümel war damit nicht einverstanden, dass ihr Löwe sich plötzlich ächzend erhob und auf vier Beinen der Küche zustrebte. Sie stand noch vor ihm, in der erhobenen Hand den zappelnden Hasen.

Sie beide sahen den Hasen ängstlich zappeln, vor ihrem inneren Auge zumindest. Krümel war bereit ihn für den hungernden Löwen zu opfern, aber nur, weil sie ihn nicht in Stoffform vor sich sah. Der Stoffhase lag oben in der Puppenkiste, wohlbehalten.

Und Peter wunderte sich selbst, wie schnell er zum Vegetarier mutiert war.

„Der Hunger vom Löwen ist nicht groß, wir lassen ihn am Leben“, meinte Peter zu Krümel, die immer noch ihre Hand mit dem imaginär zappelnden Hasen in die Luft hielt.

Krümel ließ den Hasen plötzlich fallen und schoss in die Küche.
„Opa hat mich geärgert, Oma.“

„Was hast du denn nun wieder angestellt?“, fragte Klara ihn vorwurfsvoll.

Ich bin mal schnell zum Vegetarier geworden, und das als Löwe.

Klara holte einen Fruchtzwerg aus dem Kühlschrank, was Krümel begierig und aufmerksam verfolgte.

„Der Löwe ist satt, der braucht nichts ab“, sagte Klara noch.

„Nein, Löwe, du kriegst nichts ab“, rief Krümel und ihre Augen leuchteten wieder.