STENOGRAMM FITNESSSTUDIO – SEIT LANGEM MAL WIEDER

ALLTÄGLICHES-2021.07.15

Mit dem morgendlichen Training im Fitness-Studio kannst du deinen Alltag nicht wirklich verändern, die Sicht darauf aber schon.

Es ist wieder anstrengend geworden, im JR-Studio im Prenzlauer Berg.
Ich habe ja erst in der vergangenen Woche erneut mit dem Training begonnen, nach dem Lockdown.
Klar, ich merke, dass ich lange nichts gemacht habe.

Alle guten Vorsätze, nämlich täglich im Homeoffice Übungen durchzuführen, die habe ich im Kalender immer wieder auf den nächsten Tag verschoben.

Vorausschauend planen, so nannte ich das.
Aber jetzt kann ich mich nicht mehr rausreden. Meine Frau arbeitet heute im Homeoffice.

Ich bin also allein aufgestanden, eine Viertelstunde vor vier Uhr morgens, wie sonst auch.

Halb fünf Uhr war ich auf der Piste und eine halbe Stunde später im Prenzlauer Berg.

05.20 Uhr war die erste Übung dran – Beine auf der Bauchbank heben und senken.

Das hört sich leicht an, ist es wahrscheinlich auch, nur nicht für mich. Ich habe gekeucht und zum Schluss darum gekämpft, dass die Beine einigermaßen gerade wieder nach unten kamen.

Dann ging es alles Schlag auf Schlag – Rücken strecken, Bizepsmaschine, Trizepsmaschine, Bauchmaschine.

Zehn Minuten nach sieben Uhr war ich heute Morgen fertig.
Anderthalb Stunden Training, stellt euch das mal vor. Aber erzählen kann ich darüber nicht groß, denn ich ernte stets misstrauische Blicke.

„Na Dicker, wieder mal davon geträumt, dass du dort warst?“, oder so ähnlich.

Aber ich war da und ich habe fünfzehn Trainingsstationen absolviert.
Die Arme tun weh, im Rücken spüre ich Muskelkater.
Kurzum, wozu das Ganze?

Ich könnte jetzt von ‚gesünder leben‘ schwadronieren, vom Abnehmen und meinen zerbrochenen Träumen erzählen.
Heute nicht.

Ich weiß nur eines: Ich bin unmutig hineingegangen, aber voller Power, vor allem mental, wieder herausgekommen.

Als ich nach insgesamt zwei Stunden draußen auf den Treppenstufen stand und meine Maske in der Tasche verstaut habe, da fühlte ich mich wie ein Held.

Doch als ich hochblickte, da war dieses Gefühl erst einmal vorbei.
Auf der auf dem gegenüberliegenden Fußweg, da machte ein relativ jung aussehender Mann auf dem Gehweg Liegestütze, mit hoher Taktzahl.

Ich traute meinen Augen nicht. Als die Ampel auf grün schaltete, da schnappte er sich den vor ihm stehenden Kinderwagen und joggte auch noch über die Straße.

Irgendwie nötigte mir das alles Respekt ab. Ob ich wohl auf dem Weg mit Krümel zur Kita noch zwischendurch auf die Hände fallen würde, um ein paar Liegestütze zu machen?

Eher unwahrscheinlich; wahrscheinlicher wäre, ich würde bei meinem Gewicht nach der ersten Übung zusammenbrechen und Krümel würde wohl fragen: ‚Opa, alles ‚dut‘?‘

Also Hut ab, Fremder, du hast mit Sicherheit mehr Stress und schaffst es trotzdem noch, dich zwischendurch zu bewegen, dich fit zu halten.

Ich stieg in mein Auto und fuhr trotzdem stolz nach Hause.
Klara hatte Frühstück gemacht. Ich hatte einen Bärenhunger.

„Wieso kriege ich nur zwei Brötchen?“, habe ich sie gefragt.
„Du willst abnehmen, also tu‘ etwas dafür“, kam die trockene Antwort.

Ich habe nichts darauf geantwortet.

„Und wie war ich heute Morgen?“, fragte ich stattdessen.
Ich wollte so etwas hören, wie: „Ach toll, dass du dich so früh aufraffen konntest, dass du was für deinen Körper tust, einfach deine Ziele verfolgst.“

„Du warst ziemlich laut heute Morgen. Und wieso hat es so lange gedauert, bis du endlich losgefahren bist?“

Ich habe nicht geantwortet, aber ich habe den Käsesalat einfach mit dem Löffel aufgegessen, wenn ich schon kein weiteres Brötchen bekam.

Klara war da ja schon wieder nach oben gegangen.
Sie sagte, sie müsse arbeiten, sie können nicht die ganze Zeit bei mir sitzen.

Ich habe auf dem iPad die App für „Die Zeit“ geöffnet.
‚Die Macht des Bauchgefühls‘, stand da. Naja, darüber könnte ich ja eine Menge berichten.

Aber ich ging dann wenig später doch an meinen Schreibtisch.
„Rufst du heute Kunden an?“, hörte ich aus dem Nebenzimmer Klara fragen.

‚Jetzt werde ich da auch noch kontrolliert‘, dachte ich.
„Ich mach mal die Tür zu, damit du in Ruhe arbeiten kannst“, habe ich geantwortet.

Trainieren im Studio macht Spaß, weil du im Team bist, und dich doch keiner fragt, wie viel du eigentlich schaffen willst.

Naja, Klara meint es nur gut, mit der Haushaltskasse und damit irgendwie auch mit mir.

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