2021.05.11
Ich bin am Montag kurz nach vier Uhr aufgestanden, obwohl Klara ihren Homeoffice-Tag hatte und ich getrost eine Stunde hätte länger schlafen können.
„Ich laufe Morgen früh“, habe ich Klara noch am Tag zuvor gesagt.
„Dann sei aber leise, poltere nicht herum, fluche nicht, wenn du deine Zehen mal wieder irgendwo stößt und vor allem, mach kein Licht an.“
„Gut“, habe ich widerwillig gebrummt.
Der Wecker war zwar auf halb fünf Uhr gestellt, aber ich war schon früher wach. Mir wurde schlagartig bewusst, dass das Wochenende endgültig vorbei war und ich keine Chance hatte, liegenzubleiben. Zumindest nicht, wenn ich meine mir selbst auferlegten Versprechen einhalten wollte.
Ich gab mir einen Ruck, schnellte aus dem Bett hoch und schlurfte, so leise ich konnte, in Richtung Flur.
Ich zog die Schlafzimmertür hinter mir zu. Dann ging alles sehr schnell. Ich kochte mir einen Tee, nachdem ich meine Sportsachen angezogen hatte. Zwanzig Minuten später war ich auf dem Parkplatz am Liepnitzsee.
Dort stand ein Wohnmobil, ein alter klappriger Mercedes-Wohnwagen. Ich versuchte meine Autotüren leise zuzuklappen, um die Leute, die vermutlich im Inneren des Campingautos schliefen, nicht aufzuwecken.
Ich stapfte in Richtung See, im Grunde ziemlich lustlos am Anfang.
Die Bäume waren noch grüner geworden und der Wald schien dadurch dichter geworden zu sein.
Unten am Wasser angekommen, machte ich an der Holzbank halt, schnallte meine Stöcke ab und schoss zwei Fotos vom See am frühen Morgen.
Hinter mir klapperte es. Ich erschrak und drehte mich schnell um. Das Geräusch kam von einer Frau, die gerade mit dem Fahrrad angekommen sein musste und in den Papierkörben die hingeschmissenen Flaschen herausangelte.
Schließlich schwang sie sich auf ihr Fahrrad und bewegte sich von dannen. Ich setzte mich auf die Holzbank und schaute für einen Moment auf den See.
Die Vögel waren laut, ab und zu hörte man Enten, die im Wasser schnatternd vorbeischwammen.
‚Du kannst hier unten Philosoph werden‘, dachte ich bei mir, während ich die Stille und die frische Luft einsaugte.
Im Grunde genommen unterbrach ich ungern meinen Lauf, und ich setzte mich normalerweise schon gar nicht bereits nach dreißig Minuten hin.
Aber es war es wert, aufs Wasser zu schauen, die leicht kräuselnde Oberfläche zu betrachten und zu sehen, wie sich am anderen Ende des Sees ein roter Feuerball allmählich über die Wolken erhob.
Ich stand auf, schnallte die Stöcke wieder um die Hände und lief zurück.
Zu Beginn des Laufes denke ich oft, wie ich das eigentlich durchhalten soll, mich eine ganze Stunde hintereinander durch den Wald zu quälen .
Doch wenn du dich erst einmal bewegt hast, ein Bein vor das andere setzt, dann läuft es fast automatisch.
Ich teile mir die Strecke in kleine Etappen, lege auf dem Rückweg kleinere Spurts ein und vergesse so, dass es eine ganze Stunde ist, die ich durchhalten muss.
Endlich, ich war wieder auf dem Parkplatz angekommen. Im Wohnmobil nebenan regte sich immer noch nichts.
Zuhause wartete Klara auf mich.
„Na, wie war’s?“.
„Gut“. Klara merkte mir an, dass ich mit dem Morgensport zufrieden war.