ALLTÄGLICHES-2021.10.18
Warum schreibe ich ununterbrochen? Ist das nicht bescheuert? Mag sein. Aber ich komme so besser hinter den Sinn des Alltagslebens. Und das kannst du nur, wenn du notiert hast, was du so an Alltäglichem erlebst, womit du dich gerade befasst hast. Manches wird belanglos sein, anderes langweilig, für mich ist alles spannend, denn es ist nun mal das eine Leben, was du hast, und du kannst dir erst einmal nichts neues ‚stricken‘. Bestimmt erkennst du auf diese Weise auch, was du verändern kannst. Ich habe immer wieder gelesen, dass es keinen Schriftsteller gibt und sei er noch so berühmt, der nicht die Figuren, die Ereignisse an seine persönlichen Erlebnisse angelehnt hat, der nicht aus der Vielfalt der zahlreichen Augenblicke Inspirationen für seine Werke gezogen hat. ‚Pur‘ heißt, dass ich nahezu ungefiltert veröffentliche, was ich vorher aufgeschrieben habe. Das geschieht, indem ich das iPhone benutze, oder ich schreibe mit Bleistift auf einem weißen Blatt und tippe es hinterher ab, was natürlich nervt. Der Vorteil dabei, wenn du etwas mit der Hand schreibst, ist, dass du fasst keinen Schreibwiderstand spürst. Prompt bedeutet, dass ich es in dem Moment aufschreibe, indem ich es erlebe. Manchmal geht mir durch den Kopf: „Oh Gott, was werden die anderen denken, wenn sie dies lesen? Sie werden sich lustig machen - na der hat vielleicht Sorgen“, oder so ähnlich werden manche urteilen. Kann sein, aber du musst dich immer ein wenig ‚nackig‘ machen, wenn du etwas zu Papier bringst. Wichtig ist auch nicht, dass es andere lesen, wichtig ist, dass du eine Form findest, in der du durch das Schreiben besser hinter den Sinn deines Alltags kommst. Hier nun die ersten Notizen, Gedankenfetzen, was weiß ich, wie ich es bezeichnen soll - einfach pur und prompt aufgeschrieben, was mir durch den Kopf ging.
Samstagvormittag
Ich stehe auf dem Parkplatz vor dem Drogeriemarkt im Dorf. Laura ist hineingegangen.
Wir wollen für Krümel Schnuller holen, weil sie es gewohnt ist, dass sie abends einen Schnuller bekommt, wenn sie bei Oma und Opa schläft. Ihre Mama sieht das nicht so gern, aber sie nimmt es hin.
Später:
Krümel sitzt vor mir und schaut eine Serie, die sie ‚Die Hunde‘ nennt.
Wir haben ein schlechtes Gewissen, wenn wir sie das zwischendurch sehen lassen.
Aber ich habe mit ihr fast eine Stunde auf dem Fußboden gesessen und mit den Autos gespielt. Der Rücken tat mir weh, der Nacken auch und ich kam kaum noch vom Fussboden hoch.
Also musste ich zwischendurch mal sitzen und so hänge ich nun im Sessel ab, die Füsse hochgelegt und schreibe ins iPhone.
Krümel sitzt mir gegenüber und blickt gebannt in den Fernseher, wen ihre ‚Hunde‘ jetzt wieder retten wollen.
Ist Krümel hier, dann wirkt die Wohnung wie auf den Kopf gestellt, so als würden alle Sachen einmal durchgeschüttelt werden.
Auf dem Tisch steht ein kleiner Dinosaurier, den wir ihr zum Geburtstag geschenkt haben.
Auf dem Fussboden liegen zahlreiche Spielzeuge herum, Autos, ein Karton, den wir als Krankenhaus nutzen, ein Hubschrauber mit einem kleinen Piloten.
Dazwischen Papier von ausgewickelter Schokolade. Eine dicke Holzkiste steht so, dass du sie umlaufen musst, wenn du aufstehst und rausgehen willst.
Ich habe sie schon ein paar Mal beiseitegeschoben, aber ich habe es jetzt aufgegeben, denn sie steht auf wundersame Weise wieder an der gleichen Stelle.
Nachmittags
Wir sind mit Krümel auf dem Spielplatz.
Sie hat erst eine ‚Strassensperre‘ aus Hölzern gebaut und jetzt krabbelt sie an einem Stein hoch, der für sie allein nicht zu bewältigen ist. Sie ist fast oben, rutscht wieder runter, stampft mit dem Fuss auf, kreischt, weint.
Und dann versucht sie es wieder. Jetzt hat ihre Mama nachgeholfen. Sie ist oben.
Geschafft.
Ich staune auf jeden Fall, wie hartnäckig Krümel geblieben ist, um den Stein zu erklimmen.
Sonntagvormittag
Ich fahre Krümel und ihre Mama zurück nach Berlin.
Krümel sitzt im Auto hinten und fragt mich, warum die Blätter vom Baum fallen. Sie ist traurig darüber.
Ich tröste sie und sage ihr, dass wir im nächsten Frühjahr die Bäume und Sträucher betrachten, wenn die ersten Blätter wieder sprießen.
„Opa, wer ist unser Anführer, fragt mich die Vierjährige?“
„Von Deutschland?“
„Ja“, sagt sie, obwohl ich mir nicht sicher bin, dass sie wirklich weiß, wozu sie ja gesagt hat.
„Die sitzen noch im Zelt um ein Feuer herum und streiten sich, wer das ‚Sagen‘ haben soll.“
Krümel gibt sich mit der Antwort zufrieden.
„Opa kannst du mir eine Geschichte erzählen?“, fragt Krümel weiter.
Ich erzähle ihr von der Ostsee und den kreischenden Möwen. Ich mache das Geschrei nach, sodass Laura sich neben mir die Ohren zuhält, wenn Krümel begeistert ruft: „Mach‘ weiter, Opa.“
Also mach‘ ich weiter und die Zeit vergeht wie im Flug.
Wir sind in Berlin an Krümels Wohnung angekommen.
Ich hebe sie draußen noch einmal hoch und mir wird schwer ums Herz.
„Tschüss Opa“, ruft sie noch einmal, bevor sie an der Haustür an einer Zeitung zieht, die aus einem der zahlreichen Briefkästen heraushängt.
Ich bin traurig. Im Auto ist es still, als ich wieder losfahre. Ich stecke den Stick von Roland Kaiser in der Radioanlage rein.
Laura hat mir 150 Lieder aufgespielt. „Santa Maria…“ ertönt es aus dem Lautsprecher und ich summ‘ leise mit.
Zuhause angekommen, steht der Staubsauger auf dem Flur herum, während Klara die Treppen wischt.
Das ist das letzte, was ich am Sonntag will. Aber wann sollte es sonst passieren?
Wenn Krümel zu Besuch war, dann wollten wir die Zeit nicht damit vertun.
„Oh, das ist ja schon alles schön sauber hier“, sage ich laut.
„Kannst du die Papierkörbe mal mit nach oben nehmen und vorher deinen Lüfter in den Keller stellen?“, fragte Klara mich, ohne auf mein Lob einzugehen.
Ich hasste es, jetzt auch noch Anweisungen zu erhalten, obwohl ich eigentlich nur in mein Arbeitszimmer an meinen Schreibtisch wollte.
Also stapfte ich mit dem sperrigen Lüfter die Treppen zum Keller hinunter, passte auf, dass ich nicht auf die schmutzigen Sachen trat, die auf den einzelnen Stufen herumlagen, um später für die Waschmaschine eingesammelt zu werden.
Ich sag nicht, wer das macht, obwohl es ja nur eine geben konnte, die die Sachen aufhob, wenn ich es nicht tat – Klara.
Ich warf in der Regel nur die Kleidung von oben herunter und später stieß ich sie noch durch die Stufen im Flur weiter runter, in Richtung Keller. Das machte mir Spaß, aber weiter kümmerte ich mich nicht mehr darum.
„Du musst die Bürste am Staubsauger mitbenutzen, wenn du im Schlafzimmer saugst, sonst wird das nicht richtig sauber“, hörte ich im Hintergrund Klara rufen.
Erst hatte sie oben an der Verlängerung mit Pflaster die Öffnungen zugeklebt, damit angeblich der Saugdruck erhöht wurde. Ich konnte dann schieben, bis der Schweiß auf der Stirn stand.
Jetzt sollte ich auch noch die Bürste benutzen.
Na, dann würde ich oben wieder das Pflaster abmachen.
„Ich möchte mal wissen, wer hier laufend das Pflaster locker macht?“, sagte Klara in solchen Momenten und schaute mich an.
„Du musst es mir beweisen, dass ich es bin“, dachte ich dann.
Ich hatte es in einer amerikanischen Serie gesehen, in der es darum ging, mit einem Mord vor Gericht davonzukommen, mit einer guten Anwältin eben.
Gut, dass mit dem Mord, das war wohl ein bisschen zu viel. Aber mit dem Pflaster, ja, da konnte ich schon mal die Aussage verweigern. Also drehte ich mich in diesen Situationen um und tat so, als ob ich nichts gehört hätte.
„Wieso klebt schon wieder an deinem Pullover Zahnpasta?“, ruft Klara von unten.
Ja, das war schon wieder eine andere Geschichte, eine, in der ich mit Krümel um die Wette die Tube, angefüllt mit Zahnpasta ausgedrückt hatte. Nicht alles landete auf der Zahnputzbürste, naja, aber das meiste.
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2021: https://uwemuellererzaehlt.de/mein-freund-der-alltag/alltaegliches-2021/
2020: https://uwemuellererzaehlt.de/mein-freund-der-alltag/alltaegliches-2020/
2019: https://uwemuellererzaehlt.de/mein-freund-der-alltag/alltaegliches-2019/
2018: https://uwemuellererzaehlt.de/mein-freund-der-alltag/alltaegliches/