ALLTÄGLICHES-2021.11.01
Kein Fitness-Studio mehr und Klara blieb auch noch zuhause, im Homeoffice.
Der Wecker klingelte, wie immer viel zu früh.
Irgendwas war komisch, dachte ich. Ich setzte mich gerade aufs Bett und dann fiel es mir ein.
‚Ich werde heute nicht ins Fitness-Studio fahren. Ich komme dem Lock-down zuvor.‘
Klara hätte es gern gesehen, dass ich noch einmal mit reingefahren wäre, denn sie musste nun morgens wieder auf die Bahn umsteigen.
Ich nahm mir vor, zwischendurch ein paar Übungen zu machen, wenigstens vom Schreibtisch aufzustehen, Arme und Beine zu lockern.
An der Rückseite der Tür zum Arbeitszimmer klebte ein großes Plakat, auf dem Übungen abgebildet sind, die ich machen konnte, ohne dass ich groß Geräte brauchte.
Habe ich das getan? Nein.
Doch eine Sache war gut: Ich habe drei Säcke mit Grünzeug aus dem Garten zur Abfallstation gebracht.
„Wer weiß, ob die nächste Woche noch aufhaben“, schoss es mir durch den Kopf.
„Sollte ich die Blätter auf dem Rasen auch noch zusammenhaken und mit in einen der Säcke stopfen? Das wäre ja auch sowas wie Gymnastik“, dachte ich bei mir.
Ich schaute auf die Blätter, dann auf die Säcke und schließlich auf den Schuppen, wo die Harke stand.
„Kommt gar nicht in Frage, noch zu harken. Es reicht, wenn ich die Säcke hier wegfahre, schließlich hast du danach noch zu arbeiten“, sagte ich in strengem Ton zu mir selbst.
Ich hievte die Säcke in den Wagen und fuhr in Richtung Abfallentsorgung los.
Als ich ankam, stand eine Mitarbeiterin auf dem Hof, schaute mir beim Aussteigen zu und fragte schließlich: „Wie viel Säcke sind es?“
„Es sind vier“, sagte ich.
„Wieso vier? Hier hinten sind nur drei“, entgegnete sie, nachdem sie in das Innere des Wagens geschaut hattte.
„Der größte und der dickste Sack steht vor Ihnen“, sagte ich trocken und beobachtete, wie sie sich vor Lachen ausschüttete.
„Ach ich liebe Ihren Humor“, meinte sie und nahm wortlos den einen Euro Trinkgeld an, den ich ihr zusteckte.
„Ja, wir werden demnächst nicht viel zu lachen haben“, meinte ich und sie nickte stumm.
Ich stieg ins Auto und nahm mir vor, am nächsten Tag mit einer Übung zu beginnen, die auf dem Plakat an der Rückwand der Tür zum Arbeitszimmer abgebildet war. Sollte ich wirklich damit anfangen?
‚Aber morgen ist Freitag und da hantiere ich doch immer mit dem Staubsauger und schüttele vorher die Teppiche aus‘, eine gute Ausrede, wie ich fand.
„Ich werde mir mal einen Tee machen und mich danach erneut an die Arbeit begeben“, dachte ich, als ich wieder zuhause angekommen war.
Während ich das Wasser in den Teekessel füllte, sah ich, dass die roten Lampen an der Spülmaschine leuchteten.
„Verflucht, auch das noch!“, brummte ich vor mich hin.
Ich kippte die Klappe der Spülmaschine nach vorn und hob mit einer Hand den Behälter raus, in dem das Besteck aufbewahrt war.
Eine Gabel hakte sich an einem Kuchenteller fest und hob ihn mit an. Ich fluchte, beugte mich nach unten, um die Gabel zu befreien.
„Verdammt, ich komme hier im Homeoffice aber auch zu gar nichts“, dachte ich.
Und dann musste ich mich immer und immer wieder nach unten beugen, um das Geschirr herauszunehmen.
Als es geschafft war, seuftze ich erleichtert auf. Ich würde Klara von meinen Heldentaten nachher berichten. Aber die würde wohl wieder nur die Augenbrauen nach oben ziehen und nichts sagen.
Naja, wenigstens hatte ich doch noch ein paar Rumpfbeugen gemacht. Der Anfang war getan.
KLARA ARBEITETE IM HOME-OFFICE – ES WAR SO UNGEWOHNT
Für mich war das ein komisches Gefühl. Ich konnte gar nicht so ‚herumlungern‘, wie ich das sonst morgens immer am Computer tat, um in Schwung zu kommen: Mal hier surfen, da mal nachlesen.
Jetzt war hier eine gespenstische Ruhe, obwohl wir zu zweit waren.
Ich hätte das Klara nie zugetraut, dass sie das mit dem Laptop hinbekam.
Laura hatte ihr geholfen. Sie sind noch extra zum Alex gefahren, hatten den Computer gekauft und Laura hatte ihn eingerichtet.
Und wie es immer so am Anfang war: Der Laptop konnte sich noch nicht ins System einloggen.
„Dann muss Klara ja am Montag doch reinfahren und ich kann hier wie gewohnt arbeiten, oder zwischendurch auch nicht, weil ich mal eine Serie gucken kann, ‚Seal-Team‘“, dachte ich bei mir.
Ach, ich liebte es, wenn ich die ‚Seals‘ sah, wie sie in der Serie eine Tür eintraten.
Doch ich hatte die Rechnung ohne Klara gemacht, die saß drüben, ganz diszipliniert und rührte sich nicht. Sie hatte ja noch ihren Dienst-Laptop mitgebracht, vorsichtshalber. Und der loggte sich ein.
Naja, was soll’s. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder ob ich weinen sollte.
„Kannst du so lange auf deinem Schreibtischsessel sitzen?“, rief Klara herüber.
„Oh ja, da bin ich ganz diszipliniert“, rief ich ungerührt zurück, obwohl ich gerade dachte, dass ich mir mal eine Pause verdient hatte.
Kurzum, ich fühlte mich beobachtet.
„Alles ‚guut‘, Löwe“, hörte ich Krümel in Gedanken rufen, so als würde sie mit mir spielen wollen.
Aber Krümel war gar nicht da, sie war in der Kita und würde wohl nicht an mich denken, sondern mit den Kindern in ihrer Gruppe spielen.
Nicht mal jammern konnte ich, dass ich laufend abgelenkt wurde.
Bis jetzt fand ich das ja gut mit dem Home-Office.
Ich hatte da allerdings mehr an mich selbst gedacht. Bis der Lock-down begann.
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