Einen Preis im Fotowettbewerb der Schönheiten werde ich wohl nicht mehr gewinnen. Und wenn ich ehrlich bin: Das habe ich auch noch nie. Aber was habe ich empfunden, als ich das Foto unmittelbar nach dem dreißigminütigen Laufband-Training mit dem iPhone gemacht habe? Von außen betrachtet? Alt und hässlich - das ist die nackte Wahrheit. Vom Kopf her? Eine halbe Stunde Laufband mit Steigerungen geschafft - Ziel erreicht. Vom Herzen her? Glücklich, weil ich durchgehalten habe.
Es war kurz vor sechs Uhr, als ich durch die Eingangstür des Fitness-Studio schlurfte.
Drinnen stand ein Schild, auf dem noch einmal die Einhaltung der 2 G- Regel gefordert wurde.
Eine freundliche Mitarbeiterin kontrollierte meinen QR-Code und ich konnte durch die Absperrung gehen – nicht bevor ich sie noch bedauert hatte, dass sie alles überwachen musste.
Wenig später stand ich auch schon auf dem Laufband. Ich fing langsam an. Alle Geräte waren unbesetzt, für mich ein herrliches Gefühl.
Ein paar Minuten später kam ein Sportsfreund herein, schaute sich um und stellte sich zu meiner linken Seite auf das Band.
Was musste ihm durch den Kopf gehen? Alles frei und ausgerechnet das Gerät unmittelbar neben mir wählte er aus.
Nennt man das ‚den Herdentrieb‘?
Ich überlegte, ob ich ihm was sagte.
Vielleicht so: „Hallo, kannst du ein Gerät weiter von mir trainieren? Du weißt schon, wegen der Abstandsregeln! Vielen Dank.“
Hab‘ ich das gemacht? Nein, natürlich nicht. Stattdessen schaute ich zu ihm herüber, mit grimmigem Gesicht.
Ich glaube, er verstand das falsch, dachte wohl, dass ich ihn bewunderte, wie leichtfüßig und grazil er sich bewegte, während ich mehr auf dem Band herumstampfte.
Ich versuchte mich abzulenken, dachte daran, dass ich oft genug auf einem Parkplatz mit dem Auto hielt, und zwar so, dass mehrere freie Plätze zwischen mir und den anderen Autos waren.
Doch es dauerte meist nicht lange, da parkte genau neben mir ein weiterer PKW, so dicht, dass der Fahrer sich aus der Tür quetschen musste.
Ich versuchte in solchen Momenten die Gedanken dieser Menschen zu erraten. Dachten sie überhaupt nach?
Würde ich aber etwas sagen, so wäre ich wahrscheinlich der kleinliche, spießbürgerliche Mensch, der nur brabbelte.
Also unterließ ich es und erduldete meine auf Zeit unerwünschten Nachbarn.
Ich schielte noch einmal zu meinem Sportsfreund herüber. Der hielt schon das Band an und stieg ab.
‚Jaja, den großartigen Sportler spielen, mich in psychische Bedrängnis bringen und dann schon nach zehn Minuten aufhören‘, dachte ich.
Aber darüber könnte ich doch froh sein. Ja, schon. Doch dieses Gefühl wollte ich nun auch wieder nicht zulassen.
Nach dem Laufen absolvierte ich noch fünf Stationen – Rückenstrecker, Seithebemaschine, Bauchbank, was mich quälte, aber meinen Bauch wiederum nicht juckte, Schulterpresse und Brustmaschine.
Als ich fertig war, stieg ich ins Auto und fuhr glücklich aus der Tiefgarage heraus. Es wurde langsam hell. Mir entgegen kam eine Schlange von Autos, Stoßstange an Stoßstange.
Es gefiel mir, dass ich in die entgegengesetzte Richtung fuhr.
Im Radio sang Roland Kaiser: „Zieh dich aus, ‚Amore Mio‘.
Ich summte mit und dachte: ‚Gleich, aber erst muss ich mal zuhause ankommen, bevor ich unter die Dusche kann.‘
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