LIES ALICE MUNRO, DENN DAS BRINGT DICH WEITER – ALS LESER, ALS SCHREIBER, ALS MENSCH

SCHREIB-ALLTAG-2021.12.22

Ich kann gar nicht so richtig erklären, warum ich so ein begeisterter Leser der Kurzgeschichten von Alice Munro bin.

Ihr Schreibstil wirkt auf mich eher beruhigend. Was mich fasziniert ist ihre Fähigkeit, kleine Details, kleine Situationen zu beschreiben, hinter denen der große Bogen eines menschlichen Lebens zum Vorschein kommt.

Ich gebe es zu: Mir würde es wohl kaum gelingen, in so ausgefeilter Weise die Sätze zu formulieren.

Immerhin ist sie die Literaturnobelpreisträgerin und ich bin jemand, der auf dem Blog kleinere Geschichten schreibt, zum Beispiel „Anna ist dement“.

Aber wenn ich nicht in „Schreiblaune“ bin, dann brauch‘ ich mir nur eine Seite vorzunehmen und darin zu lesen.

Am liebsten aber schreibe ich ab und zu einen Absatz aus ihrem Buch ab. Nicht im Sinne von abschreiben und verwenden. Nein, da liegen wie gesagt Welten zwischen mir und ihr. Aber von ihr lernen, das muss erlaubt sein.

Und das kann ich am besten, indem ich mit einem Bleistift und einem Stück Papier bewaffnet, ein paar Zeilen von ihr per Hand aufschreibe.

Manchmal formuliere ich die Sätze zu Trainingszwecken um. Und genau dann merkst du, warum sie das Genie ist und du derjenige, der von ihr lernen kann.

Ich war mein Leben lang eher Wissenschaftler. Erst jetzt komme ich dazu, mich dem belletristischen Schreiben zu nähern. Ich will keine Gipfel mehr erstürmen. Ich will nur noch das, was ich erlebt und gesehen habe, in kleinen Geschichten verpackt, auf den Blog bringen.

Es soll Spaß machen. Alice Munro bereitet mir gute Laune.
Damit du weißt, was ich meine, hier ein kleiner Ausschnitt ihrer großen Schreibkunst.

Inhaltlich geht es in der Geschichte „Der Bär klettert über den Berg“ (1) darum, dass Grant und Fiona ein Leben zusammen verbracht haben. Grant ist allerdings viel fremdgegangen.

Nun hat Fiona Demenz und lebt in einem Heim. Grant besucht sie und erfährt, dass Fiona sich mit einem Mann angefreundet hat. Es schmerzt ihn, aber er hat die Größe, es zu akzeptieren, vor allem vor seinem eigenen Hintergrund.

Vor allem: Er will, dass es Fiona gutgeht.
Eines Tages holt die Ehefrau den Mann aus dem Heim zu sich nach Hause zurück, der mit Fiona befreundet ist.

Sie konnte es nicht ertragen, dass ihr Mann eine Freundin hatte.
Grant überwindet sich und fährt zu dieser Frau nach Hause und versucht sie zu überzeugen, dass er den Mann ab und an ins Heim fährt. Das lehnt dessen Frau entschieden ab.

Hier ein kleiner Auszug:
„Selbst wenn ich das übernehme?“, sagte Grant in hoffnungsvollem und vernünftigem Ton.

„Es stimmt. Sie sollten nicht die Mühe damit haben.“
„Das können Sie gar nicht“, sagte sie entschieden.
„Sie kennen ihn nicht. Sie werden nicht mit ihm fertig. Er würde sich das gar nicht von Ihnen gefallen lassen. So viel Plackerei, und was hätte er davon?“

„Es wäre sinnvoller, mit ihm ins Einkaufszentrum zu fahren“, sagte sie.

„Da bekommt er Kinder und alles Mögliche zu sehen. Wenn es ihm nicht ans Herz geht wegen seiner beiden Enkelkinder, die er nie zu Gesicht kriegt.

Oder jetzt verkehren die großen Frachtschiffe wieder auf dem See, vielleicht hat er Spaß daran, die zu beobachten.“ (2)

(1)
Alice Munro: „Ferne Verabredungen“,
„Der Bär klettert über den Berg“
S. 169-234
S. Fischer Verlag GmbH, 2016
Hedderichstraße 114
60 596 Frankfurt am Main
ISBN 978-3-10-0024 84-8

(2)
Vgl. ebenda, S. 221

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