ALLTÄGLICHES-09.11.2021
Warum du ab und zu einen Rückzugsraum brauchst – nicht nur für den Körper, auch für die Seele
Der Wald roch nach feuchtem Laub, Kiefern und frischer Erde. Ich stakte auf dem Weg mit den Nordic Walking-Stöcken in den weichen Boden und schaute auf das Farnkraut, das sich mehr und mehr dem Boden zuneigte.
Es sind die schönsten Augenblicke, wenn ich mich vom Schreibtisch hochgerafft und in die Sportsachen geschmissen habe.
Morgens, da ist es eine klare Sache. Du stehst auf, ziehst dich an und fährst wie selbstverständlich in das Fitness-Center.
Da ist der schwierigste Moment, dass du dich aufraffst, aufzustehen, wenn dich der Wecker genügend genervt hat. Ich wachte heute Morgen gegen 03.00 Uhr auf, ganz von allein.
Dann sah ich zur Uhr und mir fiel ein, dass ich noch weitere drei Stunden schlafen könnte, weil ich ja Klara gesagt hatte, dass ich am Montag nur laufen würde.
Also zögerte ich nicht lange, sondern schmiss mich wieder mit meinem ganzen Gewicht auf die Seite des Bettes, sodass Klara fragte, ob irgendetwas passiert sei. Ich brummte nur, mochte nicht sprechen.
Ein paar Stunden weiter, nach dem Schreiben und Anrufen, da war es so weit. Ich wollte los. Aber zuerst kamen die inneren Stimmen mit den Ausreden:
‚Musst du wirklich los, oder hast du nicht genügend zu tun, dass du gar keine Zeit für den Sport hast?‘
, Morgen fährst du wieder rein und dann machst du doch genügend Training, vorweg sogar eine halbe Stunde auf dem Laufband!‘
Aber ich blieb tapfer, zog mich um und fuhr einfach in Richtung Schorfheide los, hörte nicht auf meine inneren Stimmen, die nach Gründen für das Weglassen des Nordic Walkings suchten
Bin ich im Wald und laufe, dann freue ich mich, dass ich mich überwunden habe.
Du tauchst ein in die Natur, du atmest und riechst intensiver, du hörst auf ganz andere Geräusche als den Straßenlärm, von dem du dich immer weiter entfernst.
Und mit einem Mal bist du auch in einer anderen Art zu denken angekommen.
Es kommen Gedanken, die du ansonsten verdrängst, weil es viel zu hektisch ist am Arbeitsplatz, am Schreibtisch oder wo auch immer.
‚Wo siehst du den Sinn für dein Leben, warum ackerst du noch so, obwohl du doch aufhören könntest?‘
‚Warum ist es so wichtig, zu arbeiten, nicht nur irgendetwas zu genießen?‘
‚Wieso ist es eigentlich eine oberflächliche bedeutungsleere Bemerkung, wenn dir jemand sagt, dass du nun deinen Ruhestand genießen kannst?‘
‚Was ist, wenn du lieber bis zum Tod ein Spannungsfeld aufrechterhalten willst, dass aus Arbeit und dem Genießen besteht?‘
‚Warum ist es harte Arbeit, andere Menschen zu interviewen, das aufzuschreiben und wieso ist es auch ein großes Privileg, das zu tun?‘
‚Wie gehst du mit dem Gedanken an den Tod um und warum gehört er irgendwie mit zu deinem Leben, selbst wenn du es nicht wahrhaben willst?‘
Ich finde nicht auf alles eine Antwort, wenn ich so durch den Wald stampfte.
Aber die Tatsache, dass ich mich am Tag für einen kleinen Moment herausnehme, aus dem Alltagstrott des Denkens, des vielleicht nicht Zufriedenseins, die erdet mich, bringt mich zurück zu dem, was es eigentlich bedeutet, nach dem Sinn im Leben zu suchen, nämlich Freude und Kraft in dem Moment zu entwickeln, in dem du gerade lebst; nicht zu warten auf die großen Situationen des Glücks, die vielleicht nie eintreten.
Ich laufe gerade an einem Hochstand vorbei und sehe Krümel vor mir, die mir zuruft „Opa gib‘ mir ein bisschen Zeit, damit ich hier spielen kann, ja?“
Ich muss innerlich schmunzeln, laufe weiter und sehe in der Ferne das rote Dach meines Jeeps.
Auf der Rückfahrt höre ich eine CD von Roland Kaiser.
„Sie ließe sich so gerne fallen, doch im Hotel nebenan, da wartet schon ihr Ehemann…“
Ich summe mit. Manchmal ist es doch gut, sich fallenzulassen. Du musst es ja nicht gleich wörtlich nehmen.
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