NICHT IMMER NUR FITNESS-STUDIO, AUCH MAL WAS ANDERES

MEIN FREUND, DER ALLTAG

ALLTÄGLICHES-2022.01.26

Von Nordic-Walking im Stockdunklen, vom Heraufkeuchen auf einen Berghang und von einem pinkelnden Umweltsünder am See.

Gestern bin ich zum Wochenanfang am Liepnitzsee gelaufen, seit langem mal wieder.

Allerdings war es bereits mittags und du begegnest dann einer Reihe von Leuten, die ihre Hunde ausführen. Für die Tiere bin ich ein ‚gefundenes Fressen‘.

Sie stürzen mit herausgelassener Zunge hechelnd auf mich zu und bleiben kurz vor mir stehen.

‚Wer ist dieser Dicke mit zwei Stöcken, einen in der linken und einen in der rechten Hand?‘, werden sie sich fragen.
Meist geht alles gut und die Besitzer pfeifen ihre Bestien kurz vor deren Angriff zurück.

Nur der Dackel vom Förster, der hatte mich schon mal gebissen. Ich habe mich erschrocken, geflucht, aber der Förster hat so getan, als wäre nichts passiert.

Ich liebe Hunde, aber wenn ich sie auf mich zustürzen sehe, bezweifle ich, ob sie auch meine Liebe spüren oder vielleicht doch nur mein dickes und saftiges Fleisch am Körper spüren?

„Ich laufe morgen schon früh los, so gegen halb sieben Uhr, einfach ins Helle rein“, sagte ich zu Karsta.

„Meinst du wirklich, dass du etwas sehen kannst?“, fragte sie mich mit einem zweifelnden Gesichtsausdruck.

„Oh ja, ich gewöhne mich schnell an das Dunkle im Wald“, antwortete ich.

Heute Morgen, kurz nach sechs Uhr bin ich aufgestanden, immerhin nicht so früh, als wenn ich ins Fitness-Studio nach Berlin reinfahren müsste.

Ich habe einen Schluck Tee getrunken und bin losgefahren, Richtung Liepnitzsee.

Auf dem Parkplatz war es nicht nur dunkel, es war stockdunkel.
Ich bin trotzdem tapfer ausgestiegen, habe die Nordic-Walking-Stöcke herausgeholt und versucht, die Laschen zu finden, um den Stock an der Hand zu befestigen.

Links von mir, in einiger Entfernung ging die Scheinwerfer eines Autos an.
Dann stiegen zwei Arbeiter, in rot-weiße Westen gekleidet, aus und schmissen ein rostiges altes Fahrrad auf die hintere Ladefläche des Pick-ups.

Ich freute mich darüber, dass auf Ordnung geachtet wurde. Genauso eben, wie ich mich gestern über das rostige Fahrrad geärgert hatte, eigentlich mehr über den Besitzer, der es offensichtlich einfach stehen gelassen hatte.

Endlich, die Schlaufen der Stöcke waren nun auch an meinen Händen befestigt. Die Fummelei im Dunklen hatte ein Ende.
Ich lief los.

Ich tastete mich vorwärts, es knirschte unter meinen Füssen, manchmal stieß ich mit meinen Fußspitzen an eine Wurzel.

Ich tastete mich weiter und plötzlich war vor mir ein riesiger Baumstamm, der mitten über dem Weg lag.

‚War der gestern schon hier?‘, überlegte ich.
Ich kletterte über ihn hinweg und lief weiter.

‚Wo war ich? Und wieso stand ich mit einem Mal oben auf einem Berg und blickte nach unten, wo die Konturen des Sees durch die Baumwipfel blitzten?‘

Egal, ich lief weiter. Schließlich erreichte ich auf Umwegen den kleinen Strand am See. Ich stapfte durch den Sand, stieg auf den befestigten Holzweg und nahm die Stöcke nach hinten hoch.

Jetzt war ich wieder richtig. Vor mir lag die größte Herausforderung: der Berghang.

Ich nahm Anlauf und stampfte los. Die Erde bebte unter mir, so jedenfalls kam es mir vor.

Als ich fast oben angekommen war, da war ich froh. Aber ich hatte die langgestreckte Ebene Hanges unterschätzt, die ebenfalls noch genommen werden musste.

Ich lief keuchend weiter. Schließlich hatte ich es geschafft.
Nun konnte ich auf der anderen Seite wieder Richtung See hinunterlaufen.

Ich röchelte und ächzte, lief aber tapfer weiter.
Vorsichtshalber schaute ich mich um, ob niemand hinter mir war, der mit Sicherheit sofort einen Krankenwagen rufen würde.
Es war inzwischen hell geworden.

Vor mir lag der See und der Blick auf das Wasser, das Gezwitscher der Vögel – all das entschädigte mich für die unterwegs erlittenen Qualen.

Ich hatte noch eine halbe Stunde vor mir. Am Ufer entdeckte ich ein Ehepaar.

Sie hockte und fotografierte vorbeischwimmende Enten, während er seelenruhig ins Wasser pinkelte.

Vor ihm schwamm ein Schwan, der interessiert zuzuschauen schien.

„Guten Morgen“, sagte ich laut.

Der Mann ging vor Schreck ruckartig rückwärts, und ich war mir sicher, dass seine Hose vorn nun nicht mehr trocken war. Aber Strafe für diese Umweltverschmutzung musste sein.

Endlich saß ich wieder im Auto. Das Handy klingelte.
„Wo bleibst du nur?“, fragte Klara.
„Ach es war so schön, da bin ich noch ein Stück weitergelaufen“, sagte ich.

Ich konnte ihr nicht sagen, dass ich mich verlaufen hatte, über Wurzeln gestolpert war und einen pinkelnden Umweltsünder ertappt hatte.

Klara hatte kein Verständnis für diese Extratouren. Sie würde mir einfach Stubenarrest geben.

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