THURE LIEBTE SEIN DORF UND ERINNERTE SICH TROTZDEM GERN AN SCHWERIN – DEN ORT SEINER KINDHEIT
Was bisher war:
Schebsand befand sich am Rand von Berlin, im Norden von Brandenburg.
Im Osten grenzte Schebsand an riesige Flächen von Weideland, die der ehemaligen LPG gehörten, die sich nach der Wende in eine Genossenschaft umgewandelt hatte.
Thures Haus lag im Süden von Schebsand.
Er war früh aufgestanden, saß auf der Holzbank in der Küche und schien zufrieden mit sich und der Welt.
Thure sah vom Küchenfenster aus, wie die Wiesen noch von einem Nebelschleier bedeckt wurden und das Gras noch feucht vom Morgentau war.
In der Ferne beobachtete er einen roten Streifen am Himmel.
Es würde wohl schön werden, an diesem Tag, und so beschloss Thure, nach dem Frühstück einen Spaziergang durch das Dorf zu machen, vielleicht Jakub Zlobinski, dem Besitzer des Gasthofes vorbeizuschauen.
Thure war in Schwerin geboren und er war nun bereits im siebzigsten Lebensjahr.
„Wenn ich mit 70 einmal so aussehen sollte, wie Sie, dann freue ich mich“, sagte ein Bestatter zu ihm, mit dem er etwas über das Marketing besprach.
„Das ist sehr nett“, hatte Thure geantwortet.
„Aber über kurz oder lang kriegen Sie mich trotzdem in ihre Hände“, schob Thure noch nach.
In Thure schossen Erinnerungen aus der Kindheit hoch
Thure erinnerte sich gern an seine Kindheit. Wie er im Schweriner Schloss herumgetobt war, da, wo heute das Parlament saß.
„Woran denkst du?“, fragte Maria ihn, die gerade das Frühstück zubereitete.
Thure drehte sich zu Maria um und setzte sich auf die Holzbank am Fenster, Emma war nicht da und so konnte er ein Bein ausgestreckt auf die Bank legen, das Kissen hinter sich im Rücken verkeilen und die Gedanken schweifen lassen.
„Ach weißt du, ich denk‘ gerade zurück“, wie glücklich wir in Schwerin als Kinder waren.
Vor allem, dass wir uns um nichts kümmern mussten“.
„Ja“, seufzte Maria, „das stimmt.“
Thure war nun in Fahrt gekommen.
„Eines Tages lief meine Mutter mit einem griesgrämigen Gesicht umher, und wir durften sie nicht ansprechen, weil sie nach der Arbeit ihre Ruhe wollte“, erzählte Thure.
Er kam ins Schwelgen: „Wir haben Oma Mathilde gefragt, warum Mama so schlecht Laune habe.“
„Und, was hat sie geantwortet?“, fragte Maria nach, obwohl sie die Antwort kannte.
„Oma Mathilde hat gesagt, dass unsere Mama so viele Sorgen hätte.
Irgendwie wollten wir Kinder dann auch Sorgen haben“, erinnerte sich Thure weiter.
Oma Mathilde war für die Kinder immer da, für Thure, seinen Bruder Thorben und seine Schwester Gabriella.
Sie kam jeden Morgen bereits kurz nach sechs Uhr aus ihrer Wohnung auf dem Obotriten Ring in die ‚Straße der Nationalen Einheit‘, wie sie in den 50 er und 60 Jahren noch hieß.
Im Winter kniete sie sich als erstes vor den Ofen im Kinderzimmer und spaltete mit dem Küchenmesser Holzscheite, knüllte die Zeitung ‚Neues Deutschland‘ zusammen und stopfte sie in den Ofen.
Dann zündete sie das Papier an und allmählich war das Knacken der Holzscheite zu hören und es roch ein wenig nach dem Rauch, der im Ofen aufstieg.
Maria unterbrach Thures Kindheitserinnerungen abrupt
„Wir wollten nicht aufstehen, aber daran führte kein Weg vorbei“, schwelgte Thure weiter in Erinnerung.
„Das Frühstück ist fertig und steht vor dir“, unterbrach ihn Maria.
Sie wollte in der Küche weiterkommen, schnell nach dem Frühstück das Geschirr abräumen und später im Dorf Einkaufen fahren.
Nur widerwillig hörte Thure auf, in seinen Erinnerungen zu kramen. Er biss in ein Brötchen und schwieg.
Er dachte an Emma, seine Enkelin. Würde sie ebenfalls eines Tages so gern an ihren Opa denken, wie er sich an seine Oma zurückerinnerte?
Das war nicht klar, aber er hatte in ihr bereits in seinen Tagen einen guten und aufmerksamen Zuhörer in ihr.
„Opa, erzähl über die Scheune“, sagte sie zu ihm. Dann durfte Thure auch sein Bein weiter bei ihr auf der Bank über ihre kleinen Beinchen legen.
Emma liebte es, wenn Thure dabei stets die gleichen Figuren agieren ließ.
Da waren die Katze Benni, der Hund Bobby, der Spatz Pipeva, und Emma halbe Kita, die mit am Tisch saßen- Bauzu, Viki, Piatessa.
Ganz hinten im Stall war der Esel la der an einer Möhre kaute.
Thure hatte schon überlegt, ob er nicht Esel anschaffen sollte.
„Ein Esel reicht in der Familie“, hatte Maria das aber trocken abgeschmettert.
Thure drückte sich vor der Hausarbeit
Thure erhob sich von der Holzbank und wollte sich aus der Küche verdrücken.
„Du kannst auch ruhig mal das Geschirr in den Spüler räumen“, sagte Maria zu ihm.
„Da ist es zu eng für zwei“, sagte Thure trocken und verschwand im Flur.
„Ich dreh‘ mal ne Runde im Dorf“, sagte er.
Thure zog sich die Jacke über und ging aus der Tür. Es roch nach frischem Gras. In der Ferne strebte der glutrote Ball der Sonne dem Himmel entgegen.
Thure streckte die Arme und entschloss sich, einen Blick in die Gaststube von Jakub Zlobinski zu werfen.
„Wo willst du hin?“, fragte Maria ihn, die plötzlich in der Haustür stand.
„Ach nur mal ein paar Schritte auf der Straße entlanggehen, Richtung Gaststube“, antwortete Thure knapp.
„Aber nicht, dass du da zu Jakub reingehst und einen Kaffee trinkst. Du weißt, dass dies nicht gut ist für deinen Blutdruck“, sagte Maria zu ihm.
„Nö, nö“, brummte Thure und machte sich von dannen.
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