‚ICH HELFE, WO ICH NUR KANN‘

ANNA

ANNA-2022.01.28

WAS BISHER WAR:

Schwester Beate schlief unruhig, seitdem Ulrike ihr vorgeschlagen hatte, die Leitung der Tagespflege zu übernehmen.
Was sollte sie tun? Das Angebot von Ulrike annehmen?

Eigentlich wollte sie nicht mehr Verantwortung übernehmen, sich mit den Kolleginnen herumstreiten oder vor dem Computer sitzen und die Planung für die nächsten Wochen aufstellen.

Aber sie hätte auch ihr ‚eigenes Reich‘, könnte sich kreativ entfalten, den Tagesgästen mit ihren Ideen ein paar schöne Momente am Tag bereiten.

Anna bekam von Klara einen Anruf.
„Ich sitze gerade in der Drogerie auf der Treppe“, sagte sie zu ihrer Tochter in einem Ton, der keinen Zweifel aufkommen lassen sollte, wo sie wirklich war.

Anna saß gerade in der Küche des ‚Betreuten Wohnens‘ während sie mit Klara telefonierte.

Klara sprach noch kurz mit Schwester Beate, die sich kurz darüber empört hatte, was Anna am Telefon von sich gegeben hatte: ‚Hier gibt’s kein Frühstück‘.

„Gibt es noch irgendwas, was ich wissen sollte oder was ich tun kann“, fragte Klara.

„Nein, im Prinzip nicht.“
„Vielleicht“, begann Schwester Beate und stockte, weil sie überlegte, wie sie es Annas Tochter sagen sollte.

„Ja?“, fragte Klara und wartete ab, was nun kommen würde.
„Ach wissen Sie, Ihre Mutter hat hier ganz schön zugelegt und ihr passen die Hosen gar nicht mehr, die in ihrem Schrank hängen“, sagte nun Beate.

„Gut, das mach‘ gern und kaufe ihr ein paar neue Hosen“, antwortete Klara, während Peter in den Raum kam.

„Ach, mein Mann kommt gerade herein. Meine Mutter unterhält sich so gern mit ihm.“

Peter wehrte sich, den Hörer zu übernehmen. Er wedelte lautlos mit den Händen, so als wolle er eine Boeing 747 zum Stoppen auffordern.

„Sind Sie noch dran?“, fragte Schwester Beate.
„Ja, ich übergebe mal“, sagte Klara und reichte Peter im gleichen Moment den Hörer.

Peter zog die Augenbrauen hoch, seufzte, so als würde er sich einen dicken Stoffballen aufladen müssen und wusste, dass er es nicht schaffen würde.

„Hallo?“, fragte er knapp.

„Ja guten Tag Peter, ich freue mich, dass ich auch mal höre.“
„Wie geht es dir?“, fragte Peter, ohne auf Annas Bemerkung einzugehen.

„Ach, mir geht es sehr gut. Die Sonne scheint, ich schaue auf das Meer. Das ist doch viel.“

Peter wunderte sich, dass Anna vom Meerblick sprach. Sie saß offensichtlich in der Küche und konnte von da aus gar nicht auf den Sund blicken.

„Was machst du so den ganzen Tag“, fragte er weiter, während Klara ihn mit einem Blick streifte, der wohl hieß: ‚Was fragst du sie, wo sie doch kaum weiß, was sie gerade in der letzten Minute getan hat.‘

Peter beschloss, Anna aufzumuntern. Er begann von Krümel zu erzählen.

„Stell dir vor, die Kleine war für eine ganze Woche bei uns und wir bekamen sie kaum gebändigt, so viel Energie hatte sie mitgebracht.“

„Ach, wie schön“, sagte Anna, wobei nicht ganz klar war, worauf sie das bezog.

„Morgens beim Frühstück“, da habe ich der Kleinen stets eine Geschichte erzählt, von einer Scheune, einem Esel, dem Hund ‚Bobby‘ und der Katze ‚Penni‘.

„Weißt du“, fing Anna an zu schwärmen, „ich war früher selber gern auf dem Hof von Onkel Gottfried.

‚Ich hätte Anna die gleiche Geschichte erzählen können‘, dachte Peter, nur dass Anna sich wesentlich weniger merken konnte.

Peter vergaß oft, den Hasen ‚Hoppel‘ zu erwähnen, was Krümel sofort anmahnte, „und Hoppel?“

„Hilfst du denn auch in der Küche mit?“, wechselte Peter das Thema.
„Oh ja, ich helfe, wo ich kann“, sagte Anna.

„Was machst du denn zum Beispiel in der Küche?“
Es entstand eine Pause, Anna wußte wohl nicht, was sie auf Peters Frage sagen sollte.

„Anna, du schnippelst doch viel“, war die Stimme von Schwester Beate aus dem Hintergrund zu hören.
„Ja, das stimmt, ich schnipple viel.“

„Schälst du Kartoffeln mit und wäscht du das Gemüse ab?“
Peter wollte Anna helfen, aber zwei Fragen in einem Satz, das war zu viel für Anna.

„Bestimmt putzt du viel das Gemüse.“
„Ja, das mach‘ ich“, kam es nun von Anna.
„Also ist auf dich Verlass“, sagte Peter.

„Das kann man wohl so sagen“, stimmte Anna zu.
Es war leicht, sich darüber lustig zu machen, aber Peter konnte das nicht.

Er hatte zwar seine eigene Art von Humor, jedoch an der Stelle half er lieber Anna, sich zu erinnern, zu sprechen, einfach sie aufzumuntern.
Peter verabschiedete sich von Anna.
„Es war so schön, dass du auch mal am Hörer warst“, sagte Anna zum Schluss.

Klara hatte das nicht gehört, und er wollte ihr davon nichts sagen, denn dann hätte er gleich einen Plan der Telefongespräche mit Anna aufstellen müssen.

Es war schon komisch. Bei Krümel bettelte er geradezu darum, ihr abends am Telefon eine ‚Gute Nacht Geschichte‘ erzählen zu können und hier musste er sich überwinden.

Aber wie würde es bei ihm sein, wenn er in der Lage von Anna wäre?
Würde Laura sich um ihn so kümmern, wie es Klara und er bei Anna taten?

Peter verdrängte den Gedanken, wollte sich nicht mit diesen Aussichten beschäftigen.

ANNA IST DEMENT

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