LUXUS IST, AM ALLTAG AM SEE ZU LAUFEN

Der Tag begann für mich so, wie ich es mir vorstelle, wenn ich ihn planen kann, ohne dass mir jemand reinredet.

Ich bin gegen halb fünf Uhr aufgestanden und habe mir einen Tee gekocht, um munter zu werden.

Klara hasst es, wenn ich so früh aufstehe.
„Du bist Rentner“, sagt sie dann.
Sie hat recht, aber auch wieder nicht.

Sicher, ich könnte bis 07.00 Uhr im Bett bleiben, aber dann schaffe ich nichts, nicht so viel jedenfalls.

Außerdem macht es mir Spaß, mich selbst anzustoßen und bis zum Frühstück schon ein bisschen was geschafft zu haben. Ich bin dann ganz anders drauf.

Damit ich munter werde, gehe ich auf die Terrasse und schwinge meine Gewichte in die verschiedensten Richtungen.
Ich merke, wie ich abgebaut habe und nehme mir vor wieder viel mehr zu trainieren.

Im vergangenen Jahr, da sind Klara und ich kurz vor vier Uhr aufgestanden und eine Stunde später waren wir schon Richtung Berlin-Mitte unterwegs.

Nachdem ich Klara im Zeitungsviertel abgesetzt hatte, bin ich ins Fitness-Studio im Prenzlauer Berg gefahren.
Dort war ich fünfmal in der Woche.

Ich kann es gar nicht glauben, dass ich das so lange durchgehalten habe.

Immerhin sind drei Jahre zusammengekommen.
Jetzt ist Klara auch zu Hause und mir ist der Weg zu weit.
Dafür habe ich mir ein Fahrradergometer angeschafft. Aber ehrlich,

ich steige da kaum rauf. Dafür laufe ich wieder regelmäßig.
Ich habe als neue Laufstrecke den Weg am Rahmer See für mich entdeckt.

Es ist herrlich, dort direkt am See zu laufen, auf das Wasser zu sehen und mental in die Ruhe und die bunte Herbstlandschaft einzutauchen.

Ich habe nie aufgehört zu arbeiten, aber die Möglichkeit, tagsüber vom Schreibtisch aufzustehen, in die Laufsachen zu schlüpfen und loszustürmen, das ist Luxus pur für mich.

Das macht natürlich nur, wenn ich schon ein bestimmtes Pensum geschafft habe und meine To-Do-Liste zusammengeschrumpft ist.

Dann gönne ich mir sogar einen kleinen Mittagsschlaf, um danach mit leicht schlechtem Gewissen wieder an den Schreibtisch zu stürzen.

Aber würde ich das alles so schätzen, wenn ich gar nichts mehr tun würde und mich nur noch den Hobbies widmen würde?

‚Sorgen sind wie Nudeln, man macht sich immer zu viele‘, sagt die Autorin Sabine Bode.
Was im Alltag wichtig ist, sehr humorvoll von der Autorin beschrieben.

IN GEDANKEN IM HAUS AM ANDEREN UFER WOHNEN

Ich sitze wieder auf der Bank, direkt am Rahmer See.
Es ist kein Mensch hier. Ganz still.

Im Hintergrund vernehme ich den stark gedämpften Verkehr auf der Straße.

Ich schaue auf den See und erblicke am gegenüberliegenden Ufer Häuser, eingebettet in die Landschaft.

Muss das schön sein, dort zu wohnen!
Ich seufze in mich hinein.

Aber würde ich dann schon gelaufen sein, Sport gemacht haben?
Eher nicht. Ich würde wahrscheinlich am Schreibtisch sitzen, hinausschauen und auf der anderen Seite einen dicken Nordic Walking – Menschen sehen, der auf der Bank herumlungert, neben sich die Stöcke, die Füße lang ausgestreckt.

„Die arme Sau“, würde ich denken und erhaben auf mein Grundstück hinunterschauen.

Dann würde mich der Alltag einholen und schlechte Laune würde in mir trotz der schönen Wohnsituation hochsteigen.

„Ich muss den Artikel noch fertigschreiben, das Laub fegen, den Bootssteg reparieren.“

Der Mann auf der anderen Seite erhebt sich.
„Wie der sich wohl fühlt?“, würde ich mich fragen.
„Bestimmt bescheiden.“

AUS DEN GEDANKEN GERISSEN UND WIEDER BEI MIR SELBST

Ich erhebe mich von der Bank, schnappe mir die Stöcke, schmeiß sie über die Schulter und werfe einen letzten Blick auf das Haus am See.

„Schön, dass ich das alles sehen und erleben kann. Gott sei Dank, muss ich dafür gar nichts tun, nur herfahren, sich bewegen, auf der Bank sitzen, den Blick aufs Wasser genießen, das Haus bewundern und denken, dass es schön ist, dass du keine Arbeit damit hast“, denke ich auf dem Weg zum Auto bei mir.

MEIN FREUND, DER ALLTAG

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