Archiv der Kategorie: MEIN FREUND, DER ALLTAG

Dem Alltag als Freund begegnen, das heißt für mich:
die eigene Lebensphilosophie im Alltag begreifen und sich mit ihr auseinandersetzen;
mehr Erfüllung finden, indem man die guten und schönen Seiten des alltäglichen Lebens sieht – beruflich und privat – und: sie auch bewusst annimmt;
die Faszination des Bibellesens entdecken; die Worte der Bibel als persönlichen Kraftquell nutzen, daraus eigene Lebensenergie und Lebensfreude für den Alltag schöpfen;
Erlebnisse und Beobachtungen im Alltag für sich nutzbar machen; erkennen, dass in den alltäglichen Dingen oft die großen Momente einer anhaltenden Lebensqualität zu finden sind;
die kleinen Geschichten aus dem Alltag erzählen, sie wertschätzen als etwas, das sehr kostbar und oftmals unwiederbringlich ist.

BEI DIESEM BUCH BIN ICH FÜNDIG GEWORDEN

INTERVALLFASTEN

 E-Book, Prof. Dr. Andreas Michalsen, ‚MIT ERNÄHRUNG HEILEN, BESSER ESSEN, EINFACH FASTEN, LÄNGER LEBEN, NEUESTES WISSEN AUS FORSCHUNG UND PRAXIS, Insel Verlag. 
Andreas Michalsen ist seit über zehn Jahren als Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel Krankenhaus Berlin tätig und er arbeitet außerdem als Professor für klinische Naturheilkunde an der Charité.

Schon seit geraumer Zeit überlege ich, wie ich mehr Kontinuität in meine Aktivitäten zur Gewichtsreduktion bekomme. Eine Freundin gab mir bereits vor einem Jahr den Tipp, es mit Intervallfasten zu versuchen.

Ich war begeistert, aber ich war nicht hartnäckig genug darin, durchzuhalten.

Vor einiger Zeit entdeckte ich dann das Buch von Prof. Dr. Andreas Michalsen „Mit Ernährung heilen, besser essen, einfach fasten, länger leben.“

Was mir an dem Buch sofort gefallen hat ist die Tatsache, dass der Autor sich nicht ins ‚wissenschaftliche Weltall‘ verflüchtigt, sondern mit dem Leser auf gleicher Augenhöhe kommuniziert.

So beschreibt er im Vorwort, dass es für ihn eine Zeit gab, in der nicht auf gesunde Ernährung geachtet hat, sich zum Beispiel mit Fast-Food während der Schichtdienste im Krankenhaus begnügte. (Vgl. ebenda, Vorwort)

Bis er selbst merkte, dass er etwas gegen einen zu hohen Blutdruck und seine schlechten Blutfettwerte tun musste.

Das kommt mir bekannt vor, nur dass er es mit Anfang 30 bemerkt hat und sein Leben diesem Thema widmete, während ich im 68. Lebensjahr damit anfange, mich intensiv mit dieser Problematik auseinanderzusetzen und so mein Ziel, nämlich 50 Kilo abzunehmen, tatsächlich erreiche.

Ich bin ein Mensch, der die Dinge lesen und Zusammenhänge begreifen muss – vor allem dann, wenn sich in meinem Denken und später auch in meinem Handeln etwas nachhaltig ändern soll.

Am liebsten konspektiere ich solche Bücher sogar, zumindest die für mich wichtigen Inhalte.

Erst dann ‚sickern die Sachverhalte allmählich in mein Gehirn ein‘, bis sie mich schließlich nicht mehr loslassen.

Der Autor hat es bereits geschafft, dass ich mit dem Buch schlafen gehe, es im Liegestuhl im Garten lese.

Im Kern geht es ihm in seiner inhaltlichen Darstellung darum, Ernährung und Heilfasten miteinander zu verbinden.

Bereits im Vorwort unterstreicht er, dass sich diese beiden Elemente sehr gut miteinander verknüpfen lassen und einander gut ergänzen.

„Fasten und Essen ergänzen sich ideal. Die beeindruckenden Erkenntnisse und die Heilungserfolge an Tausenden von Patienten der Fasten-Forschung legen nahe, dass die Kombination aus regelmäßigem Fasten und gesundem Essen das Beste ist, was wir unserem Körper geben können.“ (Vgl. ebenda, Vorwort)

Wahrscheinlich werde ich nicht alles lesen, sicher auch nicht in der aufgeführten Reihenfolge. Aber es steht schon jetzt fest: Dieses Buch wird mein Leitfaden für meine nicht leichte Reise, auf der ich 50 Kilo verlieren will.

 

 

 

DIE SACHE MIT DER PERSPEKTIVE AM MONTAG

 Als ich heute früh hochschreckte und mich aufrichtete, um die Uhr bei Klara deutlicher zu sehen, da hoffte ich inständig, dass es noch nicht vier Uhr sein sollte.

Es war tatsächlich noch nicht soweit. Der Wecker zeigte nämlich ‚erst‘ 3.59 Uhr an.

In einer Minute würde er losklingeln.

„Das kann doch nicht wahr sein“, fluchte ich laut und Klara musste lachte, denn sie war ebenfalls bereits wach.

Ich schwang die Füße hoch und blieb noch eine Weile auf dem Bett sitzen.

Jetzt kamen mir all die Gedanken, die ich zu Wochenbeginn gar nicht haben wollte: Ich musste heute die Autowerkstatt anrufen und die Überweisung von knapp 800 Euro für die neuen Reifen zur Bank bringen.

Überhaupt wurde mir klar, dass ich nach dem Frühstück und nachdem ich Klara zum Zug gebracht hatte, spätestens 6. Uhr am Schreibtisch sitzen musste. Meine Laune war auf dem Tiefpunkt.

Als Klara in die Küche kam, da sagte sie: „Der Radiomoderator hat gesagt, dass es erwiesen ist, dass der Montag definitiv ein Grund ist, warum man so schwer aus dem Bett kommt und nicht die beste Laune hat.“

„Du, das war mir auch ohne den Moderator klar, das sitzt mir quasi in den Genen, die schlechte Laune zu Wochenbeginn“, antwortete ich.

Als ich zum Briefkasten ging, um die Zeitung herauszuholen, und diese nicht da war, rutschte meine Motivationskraft auf den Tiefpunkt.

Später, gegen 07.00 Uhr las ich im ersten Kapitel von Bronnie Ware. „Perspektivwechsel“ (1), so war es überschrieben.

Sie beschreibt, wie sie beim Einkaufen auf eine Frau trifft, die vor ihr stark gebeugt geht.

Bronnie Ware erfasste Mitleid mit dieser Frau.

Später schreibt sie: „Aber dann dachte ich an… die Sache mit der Perspektive“.  (2)

Was meinte sie damit?

Es kommt ja immer darauf an, aus welchem Blickwinkel du die Dinge betrachtest. Für mich war es am Montagmorgen schrecklich, vier Uhr aufzustehen und sechs Uhr anfangen zu arbeiten.

Aber konnte ich mich nicht glücklich schätzen, dass ich von Zuhause aus arbeiten durfte, in bequemer Kleidung am Schreibtisch saß? Und zwischendurch lief ich auch noch am Liepnitzsee. Ich tat etwas für die Gesundheit, wozu andere in der Arbeitszeit gar nicht kamen.

Ich habe die Autorin so verstanden, dass es nur darauf ankommt, die eigene Sicht zu verändern und das Leben neu zu betrachten.

Bronnie Ware schreibt: „Es ist ganz egal, wie beschwerlich das Leben zuweilen ist. Wenn wir die Perspektive wechseln, sieht alles gleich ganz anders aus.“

Ich habe gleich bessere Laune und schreibe auf ‚Hochtouren.‘

(1)Bronnie Ware: „Leben ohne Reue. 52 Impulse, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist.“ Wilhelm Goldmann Verlag, München, 5. Auflage, Taschenbuchausgabe September 2016 Kapitel 1 Perspektivwechsel, S. 21ff)
(2) ebenda, S. 22

VORLESEN FÜR KRÜMEL – DAS PASST IN DIE ZEIT

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Wir wollen wieder mehr für Krümel tun, per Skype, Video und Whats App. Aber was? Vorlesen!

Genau darüber wird viel gesprochen und geschrieben in letzter Zeit. Ich sah mehrere Berichte darüber im Fernsehen. Spontan habe ich mit Laura telefoniert.

„Ich übernehme das Vorlesen bei Krümel. Wenn ihr wollt, dann werde ich Krümel Geschichten vorlesen – Märchen, vielleicht eigene Erzählungen, Kinderbücher“, sagte ich zu Laura. Sie findet das gut.

Allerdings, als ich das letzte Mal bei ihr war, vor den Schutzmaßnahmen für Corona, da habe ich mit Krümel probehalber in einem Buch geblättert, in dem verschiedene Dinge abgebildet waren – eine Tomate zum Beispiel, eine Gießkanne oder ein Sandkasten.

Krümel hat einen Augenblick mitgespielt. Dann hat sie mir kurzerhand das Buch weggenommen, es zugeklappt und stattdessen den Schakal aus Stoff, den mit den hässlichen Ohren, zum Trinken genötigt, und zwar durch die Nasenlöcher.

Naja, ich muss eben Geduld haben.
Ich habe vor einigen Jahren schon einmal als Vorleser fungiert – in der örtlichen Bibliothek. Meist waren es Märchen, die von den Kindern gewünscht zum Vorlesen gewünscht wurden.

Da ist mir noch einmal so richtig deutlich vor Augen geführt worden, wie grausam einzelne Inhalte sind: bei ‚Aschenputtel‘ wird bei dem einen Mädchen hinten ein wenig vom Hacken weggenommen, damit der Schuh passt, ‚Der Struwwel-Peter‘ verhungert, weil er zulange Fingernägel hat.

Das Vorlesen ist noch mal eine Aufgabe, die mir viel Spaß machen wird.

Wir können nicht nur immer die Welt retten, indem wir über die großen Katastrophen reden. Das ist notwendig, ja unabdingbar. Natürlich. Wir können aber auch was im Kleinen tun – Lesen ist enorm wichtig. Damit fängt alles an.

Internet, digitale Medien – da wird Krümel ihre Mutter Laura überholen und mich sowieso.

Aber das kann sie umso schneller, je besser sie lesen kann, je mehr sie weiß, je intensiver ihr Verstand geschult wird. Also verknüpfen wir mal digitale Technik mit etwas sehr Nützlichem, dem Vorlesen.
Ich fange mal mit dem Buch ‚Tilda Apfelkern‘ an.

WAS KRÜMEL JETZT WOHL MACHT? (FORTSETZUNG)

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Krümel hatte Fieber und sollte  auf jeden Fall ihren Mittagsschlaf machen.

„Komm‘, wir gehen in dein Zimmer, suchen uns den Schlafanzug heraus und danach darfst du mal ausnahmsweise im Wohnzimmer Mittagsschlaf machen.“

Krümel nickte und fing sofort an in Richtung ihres Zimmers zu laufen. Als ich hereinkam, da hatte sie sich bereits auf ihr Bett geschmissen und den rosaroten Schlafanzug hervorgeholt.

Ich war erleichtert, dass Krümel aktiv mitmachte. Sie zog von allein ihre Hosen aus und ich knöpfte in der Zwischenzeit den Schlafanzug auf.

„Wo ist hier eigentlich oben und unten Krümel?“, fragte ich sie.
„Mein Schlafanzug“, antwortete sie stattdessen.

„Und das soll auf jeden Fall so bleiben, denn Opa will zwar wieder ‚Modelmaße‘ durch sein Training bekommen, aber hier hinein, das werde ich wohl nicht schaffen“, sagte ich zu ihr.

Inzwischen versuchte ich, ihre Arme in den Schlafanzug zu zwängen.
„Arme, Opa“, sagte Krümel.

„Ja klar Arme“, sagte ich zu ihr und sah nun, dass ich versuchte ihre Arme da hineinzubekommen, wo ihre Füße reinsollten. Also alles noch einmal zurück. Ich drehte den Schlafanzug um, bugsierte ihre Hände Richtung Ärmel und hatte es endlich geschafft.

Jetzt musste ich nur noch die Druckknöpfe zubekommen. Als ich das geschafft hatte sah ich, dass die Knöpfe falsch zugeknöpft waren.
„Würde Monk so etwas hinnehmen?“, fragte ich mich im Stillen.

Ich liebte die Fernsehserie aus den USA. Nicht nur, weil die Figur so genial Kriminalfälle aufklärte, sondern weil sie fanatisch auf Ordnung bedacht war.

Obwohl Monk eigentlich in einer Serie ein Rennen beobachten wollte, kam ihm ein älterer Herr vor das Fernglas, dessen Jacke falsch zugeknöpft war. Monk drängte den älteren Herrn so lange, bis der entnervt seine Jacke aufknöpfte und wieder ordentlich zumachte.

Daran musste ich nun denken. Also wieder alles bei Krümel aufknöpfen und von vorn beginnen. Krümel hatte kein Verständnis dafür und fing an zu weinen.

„Wir sind ja gleich fertig“, versuchte ich beruhigend auf sie einzuwirken, obwohl ‚gleich‘ in diesem Fall eher relativ gemeint war. Laura hätte in der Zeit sicherlich Krümel den Schlafanzug fünfmal ausgezogen, wieder angezogen und zugeknöpft. Aber ich war untrainiert.

Überhaupt musste ich mich daran gewöhnen, dass der Anzug schräg zugeknöpft wurde. Allein das war für mich schon eine Herausforderung. Ich war eben mehr für die geraden Sachen.

Mit dem Rest an Krümels Geduld war es nun endgültig vorbei. Sie schrie ihren Unmut laut hinaus. Ich fühlte mit der Hand an ihrer Stirn. Sie war heiß, als hätte sie eine Stunde in der glühenden Sonne gelegen.

Ich hob sie hoch, sie legte ihre Ärmchen um meinen Hals und ich trug sie ins Wohnzimmer, legte sie auf die Couch und versuchte sie zu beruhigen.

Dann fiel mir ein, dass wir den Nuckel im Schlafzimmer vergessen hatten. Ich eilte über den Flur, griff im Vorbeigehen noch die Micky Maus und kam mit beiden Utensilien zurück.

Ich steckte Krümel den Nuckel in den Mund und drückte ihr die Stoffpuppe in die Hand. Sie legte die Puppe auf ihr Gesicht. Sie machte die Augen zu und schlief sofort ein.

Ich schaute sie erleichtert an. Zugegeben, ich war fertig, mit ‚Jack‘ und ‚Büx‘, aber ich war auch glücklich, als ich Krümel so friedlich schlafen sah.

„Werd‘ wieder gesund“, sagte ich leise, legte mich auf die gegenüberliegende Seite der Couch und schlief ebenfalls sofort ein. Ohne Nuckel und Stoffpuppe.

Als wir aufwachten, stand Laura in der Tür.
Der Nuckel flog aus Krümels Mund, sie stürmte auf ihre Mutter zu. Laura nahm sie hoch und Krümel sah zufrieden aus, sehr zufrieden.

Da hast du als Opa keine Chance, und wenn du eine Rolle rückwärts machst und dabei ‚…kommt ein Vogel geflogen‘ zwitscherst.

WAS KRÜMEL JETZT WOHL MACHT ? (FORTSETZUNG)

MAL SCHNELL ERZÄHLT
„Was willst du denn essen?", fragte ich Krümel, nachdem sie den Kartoffelbrei mit Möhren abgelehnt hatte.

„Butter“, sagte Krümel. Für sie war alles Butter, ob ein Brot mit Butter, mit Käse oder auch Wurst drauf.

Also nahm ich ein Knusperbrot und beschmierte es mit Butter. Ich ging in das Wohnzimmer, setzte mich neben Krümel und reichte es ihr.

Krümel biss einmal ab und gab es mir zurück. Sie würgte an dem einen Bissen und ich verdrückte neben ihr den Rest, den größten Teil des verbliebenen Knusperbrotes.

Dabei saßen wir nebeneinander und schauten einen Kinderfilm, in dem es um ein gestohlenes Passwort für ein wichtiges Computergeheimnis ging.

Ob es Laura gutheißen würde, dass wir nicht in der Küche saßen, am Tisch, nebeneinander, so wie es sich gehörte? Egal. Krümel war krank und da sollte eine Ablenkung nur recht sein.

Wir schauten, und wir waren im Film drin, krochen nahezu gebannt in den Bildschirm hinein. Würde die Polizei den Dieb rechtzeitig fassen, um ein Unglück zu verhindern?

Krümel stand vom Sofa auf und ging direkt vor den Fernseher.
„Krümel nein, komm‘ wieder hierher zurück!“

„Ne“, sagte Krümel.
„Ne“ sagen, das hatte sie schnell gelernt, schneller, als auf das zu hören, was ich ihr in dem Moment sagte.

„Krümel, bitte“ wiederholte ich meine Aufforderung.
„In Ruuuuhe…!“, antwortete Krümel nun trotzig. Da war sie wieder die Ablehnung für etwas, was sie nicht tun wollte.

Ich musste etwas unternehmen, damit sie nicht länger vor dem Fernseher stand.

Ich drückte auf die Fernbedienung, der Bildschirm wurde dunkel und Krümel fing an zu weinen.

„Komm‘, Opa zieht dir den Schlafanzug an und dann schläfst du schön, damit wieder ganz gesund wirst“, sagte ich mit möglichst einschmeichelnder Stimme.

Jetzt ging Krümels Sirene so richtig an. Sie weinte noch stärker. Es war schon eher ein Plärren. Was sollte ich nur tun?

„Was willst du denn?“, fragte ich sie erneut.
„In Ruuuhe“, schleuderte sie mir entgegen.

Was sollte ich nur tun? Laura anrufen? Die wäre nur noch beunruhigter.

„Oh, oh“, sagte ich mit möglichster tiefer Stimme und hob meinen Zeigefinger.

Krümel lief weinend aus dem Wohnzimmer, über den Flur und warf sich im Kinderzimmer auf den Boden.

Ich saß ratlos daneben.
„Möchtest du einen Nuckel haben?“

„Ja“, antwortete sie sofort.
„Aber ich weiß nicht, wo der Nuckel ist.“

Krümel schaute mich sehr prüfend an, bereit, erneut in den passiven Widerstand zu gehen.

„Ruf mal nach dem Nuckel“, sagte ich zu ihr.
Und schon rief Krümel aus voller Kehle: „Nuckel, wo bist du?“ Donnerwetter, mit einem Mal konnte sie einen ganzen Satz bilden.

Ich zog den Nuckel aus der Hosentasche.
„Hier ist der Nuckel, er hat dich gehört.“
Krümel nickte und steckte ihn sofort in den Mund.

Gut, dass Laura dies alles nicht sah. Aber schließlich waren wir im Notstand, Krümel hatte hohes Fieber. Da musste ich Zugeständnisse machen.

„Willst du im Wohnzimmer bei mir auf der Couch liegen?“, fragte ich weiter.

„Ja“, sagte sie kurz und schmerzlos.
‚Na bitte, geht doch‘, dachte ich bei mir und hörte schon, wie Laura alle diese Regelverstöße auf eine Tafel mit quietschender Kreide schrieb. Aber das war nur so ein Tagtraum.

Jetzt kam die nächste Hürde. Ich musste Krümel den Schlafanzug als ein tolles Kostüm verkaufen.
Fortsetzung (48-6)

WAS KRÜMEL JETZT WOHL MACHT?

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Ich denke jetzt mehr an Krümel, als ich es in normalen Zeiten getan habe. Wahrscheinlich, weil es schmerzt, dass ich sie nicht in den Arm nehmen kann, oder sie einfach im Vorbeilaufen an meinem Sessel auf den elektrischen Knopf drückt und dann meine Beine beim Lesen nach oben schnellen.
Also lehne ich mich im Sessel zurück und denke weiter an unsere Enkelin, die wir in Corona-Zeiten eben nicht sehen können.
Was mich fasziniert ist, dass Kinder ihr ehrliches Gesicht zeigen, sie nicht ihren Unmut, ihren Ärger hinter einem freundlichen oder undurchsichtigen Ausdruck verbergen. Das ist toll. Aber wenn sie das sagen oder wenigstens in der Mimik ausdrücken, was sie denken und fühlen in dem Moment, dann ist es uns Erwachsenen manchmal auch nicht recht. Krümel sagt zum Beispiel in Momenten, in denen sie was nicht möchte: „Lass mich in Ruhe, oder einfacher, weil sie es mit ihren zweieinhalb Jahren noch nicht sagen kann „…in Ruhe“. Dabei zieht sie das ‚u‘ energisch auseinander und es kommt „…in Ruuuhe“ heraus. So auch mehrfach, als ich Krümel für zwei Tage betreute, weil sie Fieber hatte.

„Keine Zeit!“, sage ich knapp, wenn ich arbeiten will und erntet daraufhin oft einen verständnislosen Blick von meiner Frau oder meinen Freunden.

Es gibt eine Ausnahme, und zwar dann, wenn meine Tochter einen Hilferuf absetzt und ich auf Krümel aufpassen soll.
Dann schiebe ich alles beiseite, mach‘ den Computer aus und eile zu Krümel und Laura nach Hause, um zu helfen.

Erst kürzlich klingelte das Telefon, als ich gerade vom Sport zurück war und mich auf eine zweite Tasse Kaffee freute, bevor ich dann an den Schreibtisch wollte.

„Krümel hat fast 40 Grad Fieber, sie ist am ganzen Körper heiß, kannst du auf sie aufpassen?“, fragte Laura mich.

„Klar, kann ich“, antwortete ich, ohne zu zögern.
„Wo ist sie denn jetzt?“, fragte ich weiter.
„In der Kita, hier bei mir“, sagte Laura.

„Gut, ich komme, so schnell ich kann.“
Ich duschte mich kurz, verzichtete auf den Kaffee, stieg ins Auto und eilte in die Kita.

Krümel schaute mich mit einem erstaunten Blick an.
„Opa“, sagte sie leiser als sonst.

Ich bekam von Laura noch ein paar Instruktionen und schon war ich mit Krümel auf dem Weg in ihre Wohnung.

Sie lag still im Kinderwagen. Es war ungewöhnlich. Sonst sangen wir auf dem Rückweg solche Lieder wie „…kommt ein Vogel geflogen…“. Ich singe vor und Krümel wiederholt ein Wort aus der Liedzeile, „…auf mein ‚Fuuuuß‘“, zum Beispiel.

Dann geht es mit „la la“ munter weiter, bis wir nicht mehr können. Und meist kann ich zuerst nicht mehr.

Jetzt aber hörte man von Krümel gar nichts.
Endlich – wir waren Zuhause angekommen. Ich zog ihr schnell die Wintersachen aus und Krümel lief ins Wohnzimmer.

„Willst du einen Trickfilm sehen?“, fragte ich sie.
„Ja‘, sagte sie leise. Ich wusste nicht, ob es Laura recht war, aber ich wollte Krümel erst mal beschäftigen.

Ich ging in die Küche. Dort hatte Laura schon das Mittagessen vorbereitet. Im Mixer waren Kartoffeln und Möhren. Ich sollte noch ein bisschen Butter dazutun, ein wenig Salz und dann das Ganze verrühren.

Als alles fertig war, rief ich Krümel und füllte ihr einen kleinen Klecks davon auf den Teller.

Es war ulkig. Ich konnte diesen Brei nicht sehen und nicht riechen, obwohl alles frisch war.

„Krümel, komm‘ essen“, rief ich erneut und Krümel schlurfte den Flur entlang.

Als sie auf dem Stuhl saß und ich den Brei vor mir hatte, musste ich würgen und aufpassen, dass ich mich nicht übergab.
Krümel schaute mich aufmerksam an.

„’Leecker‘!“, rief ich. „Willst du einen Löffel haben?“, fragte ich danach schnell. Krümel sah auf den Löffel, dann auf mein Gesicht. Ich verzog es immer noch und würgte ein wenig.

Krümel hatte sich entschieden. „Nee!“, sagte sie entschieden und rutschte vom Stuhl.

„Probier‘ doch mal, Opa hat auch schon davon genascht“, sagte ich so salbungsvoll wie möglich.

Krümel hatte mich durchschaut, „in Ruuuhe…“, rief sie beim Rauslaufen aus der Küche. Ich konnte ihr nichts vormachen, aber was sollte ich ihr nun zu essen geben?

Ich musste mir was einfallen lassen.

EIN TAG MIT KRÜMEL

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Wenn du einen Tag mit deiner Enkelin verbringen kannst, dann tu' es, und flieh vom Schreibtisch - dafür bekommst du wahrscheinlich keine zweite Chance mehr.
Das habe ich vor ein paar Monaten geschrieben. Ich wusste noch nicht, wie dankbar ich sein sollte, dass ich mich stets vom Schreibtisch gelöst hatte, wenn ich mit Krümel zusammen sein konnte. Wie wertvoll das ist, das merke ich es jetzt, in der Zeit von Kontaktsperren und Mundschutz.

VOR EIN PAAR MONATEN
Laura rief am Mittwoch an: „Papa, ich habe einen ‚Anschlag‘ auf dich vor.“
„Was denn?“, fragte ich.
„Krümel kann noch nicht in den Kindergarten, die Ärztin sagt, sie braucht noch ein paar Tage. Und du bist der einzige, der Morgen auf sie aufpassen kann.“

Ich habe gar nicht überlegt, sondern gleich gesagt: „Geht klar! Wann soll ich da sein?“
Dabei musste ich erst sehen, dass alles klar ging. Der Schreibtisch war voll. Aber das rückte nun alles in den Hintergrund. Sollte ich etwa einen Text oder eine Geschichte meinem geliebten „Krümel“ vorziehen?

Das kam gar nicht in Frage. Ich traf pünktlich bei Laura ein. Vorher hatte ich noch an einer Kreuzung gewartet, es ging nicht vorwärts.

Also konnte ich die Kinder beobachten, die auf der gegenüberliegenden Seite vor der Schule standen und offensichtlich warteten, bis sie reingelassen wurden.

„Warum um Himmelswillen, müssen die draußen in der Kälte stehen?“, dachte ich bei mir.

Wahrscheinlich, weil ein Hausmeister hier auf Pünktlichkeit pochte. Na gut, ich wollte nicht ungerecht sein, und auch noch auf die schimpfen, die bestimmt ihre Gründe für dieses Vorgehen hatten. Ich kann es gar nicht glauben, dass dies schon so lange her ist, mit dem normalen Schulalltag.

Krümel empfing mich mit einem kleinen Lachen. Ihre Mausezähnchen leuchteten mir entgegen. Ich nahm sie auf den Arm und Laura begann mich einzuweisen.

„Hier liegen die Windeln. Das Essen stellst du in die Mikrowelle. Da liegen die Sachen, wenn du mal mit ihr spaziergengehen willst. Und mittags ziehst du ihr den Schlafanzug über.“

Würde ich das alles behalten? Und dann noch die Verantwortung dafür, dass Krümel nichts passierte. Laura war weg. Zur Arbeit. Krümel schaute mich an und ich schaute Krümel an.

„Oma?“, krähte sie mit einer dünnen Stimme.
„Oma?“, fragte sie wieder.
„Opa!“, sagte ich zu ihr.
„Oma?“, ertönte es wieder.

Ich gab es auf und setzte mich in die Spielecke. Krümel kam zu mir und schob ihr kleines Hinterteil ebenfalls auf die kleine Matratze.

Dann zog sie ein Stofftier aus dem danebenstehenden Regal. Dort waren viele niedliche Tiere – ein Bär, eine Giraffe, ein Affe.
Wen nahm Krümel? Einen kleinen Schakal mit großen hässlichen Ohren.

Er wurde von ihr gedrückt und geherzt, bekam die kleine Trinkflasche in die Nase gedrückt. Dann holte Krümel alle Autos aus dem Regal.

Nach und nach gab sie mir diese in die Hand und ich sollte die Musik anmachen. Ich fummelte an den Autos solange herum, bis ich alle Hebel gefunden hatte. Jetzt tönte aus jedem Gefährt ein anderes Lied.

„Krümel, wir machen das jetzt wieder aus, sonst sind wir hinterher beso…, äh, ich meine betrunken.“
Krümel krächzte, was wohl sowas wie ein ‚ok‘ war. Später bin ich mit Krümel ein Stück spaziergengegangen. Ich musste mich hinsetzen, um ihr die Schuhe anzuziehen.

Krümel wollte dabei mithelfen und das machte es so kompliziert. Dann kam das Mittagessen. Nudeln, etwas Tomatensauce, und das alles aus einer Flasche.

Anfangs lief es super. Krümel riss den Mund auf und ich schaufelte den Löffel hinein. Später fing sie an zu spielen, spuckte auch mal wieder ein klein wenig von dem bereits Geschluckten aus. Das kleine Oberteil war mit roten Flecken übersät.

Mittagsschlaf. Ich hatte auf den Bauch eines kleinen Schlumpfes gedrückt.
„Drück‘ dreimal, Papa, dann kommt nur die leise Musik und nicht das blaue Licht“, hatte mich Laura noch eingewiesen.

Das funktionierte. Dann stand ich noch einmal auf, um das Fenster im Wohnzimmer an zu klappen.

„Opa?“, hörte ich sie rufen.
„Ich komm‘ mein Liebling“, sagte ich, eilte zurück ins Schlafzimmer und schwang mich ebenfalls ins Bett neben ihr, streckte meine Hand zu ihr aus. Sie umklammerte den Mittelfinger der rechten Hand und ich hörte bald das gleichmäßige Schnaufen ihres Atems.

Vorsichtig versuchte ich den Finger wieder aus ihrem Händchen zu ziehen. Keine Chance. Wir schliefen zwei Stunden. Plötzlich spürte ich, wie mich zwei Augen anschauten. Ich machte ein Auge auf und zwei kleine Zähnchen aus ihrem Mund blitzten mich freundlich an.

Dann Windeln wechseln. Es lief gut. Das hätte ich gar nicht gedacht.
Wir spielten noch ein wenig. Ich baute einen Turm und Krümel setzte alles daran, ihn möglichst schnell wieder umzustoßen. Es entstand ein Wettkampf zwischen schnell aufbauen und noch schneller wieder einreißen.

Laura kam von der Arbeit. Krümel juchzte. Ihre Mama war wieder da. Über die Mama, da geht eben gar nichts. Da kannst du auf den Händen stehen und singen. Kann ich nicht. Ich meine nur mal so.

Aber Krümel und ich, wir waren an dem Tag beste Freunde. Sie kam zwischendurch immer mal wieder zu mir dicht heran und legte ihre Wange an mein Gesicht.

Sollte ich etwas dieses Gefühl für einen Tag am Schreibtisch aufgeben? Niemals.

BRIEF AN MEINE ENKELIN ÜBER EIN NEUES BUCH MIT KINDERLIEDERN

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Der Brief liegt nun auch schon wieder ein Jahr zurück.
Trotzdem erinnere ich mich gern daran, weil er zeigt, wie schnell sich Krümel entwickelt. Das Liederbuch nehmen wir gern zur Hand. Aber noch lieber singen wir ‚Oh Tanne-Baum‘. Und dann fragt Krümel: „Opa, noch maaal?!!“
Das ist der Brief:

Lieber Krümel,
während du dich wahrscheinlich noch im Bett herumdrehst und hoffentlich schöne Träume hast, habe ich heute mit etwas ganz Besonderem begonnen. Nämlich, ein neues Liederbuch für Kinder anzuschauen.

Oma brachte gestern so ein Buch mit. So etwas habe ich noch nicht gesehen. Auf dem Deckel ist ein Bär abgebildet. Er läuft, lacht und singt. Woran ich das erkenne?

Nun, daneben sind kleine Noten abgebildet. Das ist aber nur die eine Hälfte des Buchdeckels. Auf der anderen Seite gibt es einen Notenschlüssel. Und wenn du dort auf die einzelnen Bilder drückst, dann ertönt ein Lied. Im Buch selbst sind dann einzelne Liedtexte abgebildet.

Zum Beispiel: Kommt ein Vogel geflogen. Jetzt muss ich nur noch herausbekommen, welcher Text zu welcher Melodie passt. Damit bin ich heute Morgen beschäftigt.

Oma sagt: „Jetzt kannst du mal deine Lieder vergessen.“
„Welche?“, habe ich gefragt.
„Na, ‚…auf der Reeperbahn… zum Beispiel“, sagte sie.

Aber mit den neuen Liedern ist es so, wie mit den neuen Spielzeugen. Wir bekamen früher zwar nicht so viele neue Sachen zum Spielen. Cowboys mit Pistolen schon. Und wir freuten uns, wenn wir diese Cowboys hatten, und wir sie in den Kampf schicken konnten.

Doch nach einer gewissen Zeit, da holten wir die alten Wäscheklammern hervor und der Cowboy lag in der Ecke.

Was ich damit sagen will?
Also, wir werden bestimmt mit dem Buch so einiges anstellen, schöne Kinderlieder singen oder besser, ich brumme und du rufst dann wieder ‚lala‘, oder so ähnlich. So richtig kann ich es ja noch nicht verstehen, was du ausdrücken willst.

Pure Lebenslust ist es allemal. Aber schließlich wirst du wieder das alte Staubtuch hervorholen und es über das Buch decken und danach eine deiner vielen Puppen damit einrollen oder das Feuerwehrauto einwickeln.

Auf jeden Fall wird dich das Tuch erneut in seinen Bann ziehen. Das Liederbuch ist auch noch da, liegt aber zwischen der kleinen Küche, deinem Roller und den Puppen.

Und das ist der Zeitpunkt, wo ich dann zu „Auf der Reeperbahn…“ übergehen kann. Ich wünsch‘ dir einen schönen Tag. Einen wirklich schönen Tag, an dem du lachst und durch die Wohnung rennst, um etwas Neues zu entdecken oder die Videos von Mama aus dem Regal schmeißt.

ICH GRATULIERE ZUM MUTTERTAG!

Ich ertappe mich immer noch dabei, dass ich den Muttertag einfach vergesse. Da bin ich eben ein Ossi, der seiner Mutter und Oma und später seiner Frau eher zum 8. März gratulierte, dem Internationalen Frauentag.

„Wann ist eigentlich Muttertag?“, habe ich gestern Abend noch Klara gefragt.

„Morgen!“, sagte sie knapp und ich meine, dass ich einen leisen Vorwurf herausgehört habe.

„Hast du das immer noch nicht begriffen?“ Oder: „Du wirst es wohl nie begreifen?“, so in der Art wird sie gedacht haben, als sie meine Frage hörte.

Na klar denke ich heute an meine ‚Frauen‘!

Zuerst gratuliere ich meiner Mama, die im Pflegeheim liegt, im 91. Lebensjahr, nicht mehr aufstehen kann und dement ist.
„Liebe Mama, ich bin in Gedanken bei dir, und ich weiß, dass du gut betreut und gepflegt wirst. Das macht deine Tochter, meine Schwester, und ich bin ihr sehr dankbar dafür.

Ich denke an meine Oma, die mich in den ersten zehn Jahren in Schwerin betreut, gepflegt und von Herzen geliebt hat. Meine Mutter war arbeiten und Oma hat für uns gesorgt, morgens Streuselkuchen mitgebracht, mittags Pudding zum Nachtisch gekocht und zwischendurch mir ein Messer an die Stirn gehalten, weil ich mal wieder gegen die Teppichstange mit dem Roller gerast bin.

Und sie hat mich gewarnt, weil ich nach Moskau zum Studium gehen wollte.
„Geh‘ nicht dorthin, werd‘ lieber Koch“, hat sie gesagt.
Wie recht sie hatte. Trotzdem habe ich nicht auf sie gehört.

Und dann ist da noch die andere Oma, die von Klara. Was haben wir gelacht, wenn sie abends in Sassnitz in unsere Wohnung kam und kleine Geschichten erzählt hat. Ich vermisse sie noch heute und wir erzählen viel am Sonntagsfrühstückstisch von ihr.

Klaras Mutter, Lauras Oma – sie war stets für uns da und ich habe nie ein böses Wort von ihr gehört. Wir werden sie heute anrufen und ihr gratulieren.

Klara habe ich bereits zum Muttertag gratuliert.
Laura ist nun auch schon seit fast drei Jahren Mutti.
Unser größtes Glück, Krümel, hat ja zu Klara erst jüngst gebrabbelt:

„Oma, nicht Mutti zu Uroma sagen. Mutti da oben.“ Und sie hat dabei mit ihrem kleinen Finger zu ihrer Mutter gezeigt.
„Meine Mama!“, das sagt sie manchmal und damit ist alles gesagt, die ganze Liebe, die sie für ihre Mutter mit zweieinhalb Jahren empfinden kann, ausgedrückt. Das andere ist noch zu kompliziert für sie.

Ich denke aber auch an meine Freunde.
Kürzlich habe ich mit der Mutter meines Freundes telefoniert. Sie ist bescheiden, sehr fleißig, und sie liebt ihre Kinder und ihre beiden Enkel über alles.

Sie hat ihre Kinder allein großgezogen, ist stets arbeiten gegangen und sie hat sich ihren Humor bewahrt.
Eine großartige Frau.

Oder die Frau meines Freundes, die im vergangenen Jahr zum zweiten Mal Mutter wurde, unter großen Schmerzen.
Und wie sie das alles weggesteckt hat, heute ihre ganze Liebe ihren beiden Söhnen schenkt und nebenher einen großartigen Beruf ausübt, und das ganz bescheiden, ohne sich in den Mittelpunkt zu rücken – das ringt mir Hochachtung ab.

Was wären wir ohne Euch, liebe Frauen und Mütter?
Zunächst einmal wären wir gar nicht auf dieser Welt.
Früher, da habe ich wenig im Haushalt geholfen, und wenn ich von der Arbeit kam, und ein Fussel auf dem Teppich auf dem Boden lag, dann habe ich das natürlich angemahnt.

Und heute? Heute, ja da schwinge ich selbst den Staubsauger, helfe in der Küche und im Garten und verstehe nicht, wie Klara das früher alles allein geschafft hat.
Ich verneige mich vor Euch, liebe Frauen und Mütter, und das ist ausnahmsweise mal ohne ein Augenzwinkern gemeint.

KANNST DU KRÜMEL VON DER KITA ABHOLEN?

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Sonst war Krümel schon in der Wohnung, wenn ich sie betreut habe. Aber nun sollte ich sie vom Kindergarten abholen. Es war das erste Mal für mich.

„Weißt du, wie du da hinkommst, Papa?“, fragte mich Laura.
„Ja, sag mir nur wie der Name der Kita ist“, meinte ich zu ihr.
„Pusteblume.“

Und weiter: „Du gehst direkt unten bei uns am Spielplatz vorbei.“
„Warum kann ich mit dem Auto nicht dort direkt hinfahren?“
„Kannst du auch. Aber laufen tut dir doch auch mal gut, oder? Außerdem kannst du dann Krümel ein bisschen den Kinderwagen auf dem Rückweg schieben lassen.“

„Ja, ist gut. Da ist was dran.“
„Jetzt, Papa, pass gut auf, damit du nichts vergisst!“
„Sind wir hier in der Schule? Und wer ist hier eigentlich der Schüler und wer die Lehrerin?“, fragte ich Laura.
„Papa, in der Reihenfolge. Du hast die Frage gerade selbst beantwortet.“

„Gut, dann sag‘ mal an. Aber warte mal. Ich mach‘ gleich mal mein iPhone auf. Da schreibe ich alles rein.“
„Hoffentlich findest du das auch wieder.“
„Denkst du, du kannst nur digital?“
„Ich bin da auch fit.“

Schweigen. Laura antwortet nicht.
„Und wieso hast du mich denn angerufen, als du wieder mal dein Passwort nicht gefunden hast?“, fragt sie dann doch noch.

„Das war etwas völlig anderes. Lass uns anfangen“, sage ich.
„Ach so, bevor ich es vergesse“, werfe ich noch ein: Wie war noch der Name der Kita?“

„Pusteblume! Papa.“
„Warum klingst du so genervt. Man wird doch noch mal fragen dürfen.“
„Ja, aber nicht fünfmal!“
„Warum eigentlich nicht?“

„Papa. Du sagst mir immer, ich soll mich konzentrieren, alles aufschreiben. Schreiben strukturiert das Denken.“
„Das soll ich gesagt haben?“
„‘Jahaa‘ Können wir jetzt anfangen?“

„Ich bin bereit.“
„Du gehst am Spielplatz vorbei, dann die Straße runter, überquerst sie, hältst dich links.“
„Ach, das weiß ich doch“, sage ich.
„Gut, Papa, dann jetzt zu den Sachen.“
„Ja, bitte.“

Laura spricht von einem roten Schal, einer Brotbüchse, einer Wickeltasche, von Schuhen, einem Rucksack, blau-rot.
„Nicht so schnell. Ich schreibe zwar mit 10 Fingern auf der Tastatur.

Aber nicht auf dem Telefon. Da passt immer nur einer meiner Wurstfinger drauf. Meist reicht der Daumen auch noch bis zum Nachbarbuchstaben.“
Endlich hatte ich alles aufgeschrieben. Ich fühlte mich gut vorbereitet.

Nächster Tag. Der Tag der Wahrheit
Ich habe das Auto abgestellt und bin auf dem Weg zur Kita, am Spielplatz vorbei, die Straße runter.

Wie sollte ich mich dann halten? Links oder rechts?
Mir lief der Schweiß, weil ich schnell gegangen war. Es war aber kalt und es wehte ein ziemlich starker Wind.

Den Mantel hatte ich zu Hause vergessen. Ich war zu aufgeregt.
Ich schaute mich um. Eine junge Frau kam mir entgegen.

Die muss das wissen. Die ist bestimmt auch Mutter, dachte ich.
„Bitte entschuldigen Sie, können Sie mir vielleicht sagen, wo es hier zum Kindergarten geht?“
„Welchen meinen Sie?“
„Gibt’s hier mehrere?“
„Ja, natürlich.“
„Mohnblume.“
„Mohnblume?“
„Die Kita gibt‘ s hier nicht.“
„Nein?“
„Nein!“
„Vielen Dank trotzdem.“

Warum hatte ich mir das nicht aufgeschrieben?
Ich habe die richtige Kita von Krümel dann doch noch gefunden. Zuerst habe ich Krümel die Sachen angezogen, die dem Nachbarkind gehörten. Gott sei Dank, ich bemerkte es rechtzeitig.
Was tun?

Die fremden Sachen wieder ausziehen und die richtigen danach an. Zwischendrin hat Krümel ein Stück Kuchen gegessen. Krümel krümelte dabei mächtig.

Ich suchte einen Papierkorb, fand aber keinen. Also habe ich die Kuchenreste in meine Hosentasche gestopft und sie dort vergessen. Das fiel mir auf die Füße, im wörtlichen Sinne. Nämlich, als ich abends die Hose umgekehrt auf den Bügel hängte.

Zurück zur Kita. Ich musste noch den richtigen Kinderwagen finden.
Habe ich auch. Aber erst einmal habe ich mir den falschen Wagen gegriffen und bin damit losgefahren. Zu meiner Ehrenrettung: Ich hatte den neuen Kinderwagen noch nicht so oft gesehen.

Klara kam mir entgegen und danach sind wir noch einmal zur Kita zurück. Der Erzieherin am Eingang habe ich gesagt, dass wir nun den richtigen Kinderwagen gegen den falschen austauschen müssten. Ich glaube, die wissen jetzt, wer Krümels Opa ist.

Krümel und Laura sind wieder Zuhause. Klara ist arbeiten. Ich habe meine Ruhe. Ich sitz‘ am Schreibtisch, kann was schaffen. Doch ich krieg‘ Entzugserscheinungen. Chaos beim Abholen von Krümel ist besser.

EIN BUCH, DAS DEINE SICHT AUF DAS LEBEN VERÄNDERT

BRONNIE WARE: ‚LEBEN OHNE REUE‘ 
'52 Impulse, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist'

Im letzten Drittel deines Lebens spürst du besonders intensiv, was kostbar für dich ist, was du noch erreichen willst, und auch, was du bisher versäumt hast, und was du wahrscheinlich auch nicht mehr aufholen wirst.

Der Schmerz ist dann sehr groß, wenn du fühlst, dass du es nicht mehr schaffen kannst, deine Fehler im Leben zu korrigieren.

Hier setzt das Buch von Bronnie Ware ‚Leben ohne Reue‘ an, nämlich, dir möglichst in einem frühen Stadium deines Lebens darüber klar zu werden, was du wirklich willst.

Ich habe nach dem Abitur vier Jahre lang ein technisches Studium zum Diplom-Ingenieur absolviert, habe anschließend noch einmal vier Jahre Volkswirtschaft studiert und wiederum vier Jahre darin promoviert.

Klingt das gut? Ja, klingt gut.

Und dennoch: Ich wollte mein Leben lang nichts anderes tun, als zu schreiben.

Einfach Autor sein. Ich könnte jetzt eine lange Liste an Ausreden aufführen, warum das nicht so einfach war, mir meinen Traum zu erfüllen.

Aber ich bin dafür zu einer wichtigen Erkenntnis gekommen, die im Buch von Bronnie Ware eine große Rolle spielt: Die Schönheit des Lebens vor allem in den kleinen Dingen des Lebens zu sehen.

Die Autorin war selbst viele Jahre als Krankenschwester für Palliativpatienten zuständig. In den Gesprächen mit ihnen hat sie herausgefunden, was Sterbende im Rückblick in ihrem Leben für wichtig hielten, und was sie möglicherweise hätten mehr tun sollen.

Es ist spannend, das zu lesen, und ich bin froh, dass ich es getan habe.

Ich habe aus diesem Buch viele Einsichten mitgenommen und mit meiner Situation verglichen, und ich lege es deshalb vor allem denjenigen ans Herz, die nach mehr Erfüllung in ihrem eigenen Leben suchen.

 

KRÜMEL TANZT IM KLEID, DAS ÜBER 80 JAHRE ALT IST

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT
Es ist etwas Besonderes, wenn uns Krümel, unsere Enkelin, besucht. Sie bringt unseren ganzen ‚Laden' in Schwung und durcheinander. 
Sie ist im Herbst 2017 geboren und wird in diesem Jahr drei Jahre alt. Wie konnten wir vorher nur ohne sie auskommen?

Gestern noch, da saß sie auf meinem Schreibtisch und hat sich gemeinsam mit mir Lieder angehört. Heute ist der Schreibtisch wieder verwaist, nur Stifte und bekritzeltes Papier liegen auf dem Tisch und erinnern mich an gestern.

Der Alltag hat mich wieder und ich muss ihn mir erst wieder zum Freund machen.

Am Samstag, da hatten wir eine kleine Vorstellung von Krümel. Sie hatte das Kleid an, was Klara getragen hat, davor Laura und zuerst Anna.

Es muss an die 80 Jahre alt sein und sieht immer noch hübsch aus. Krümel hat sich darin zur Musik bewegt und ein wenig mit den Hüften gewackelt.

Warum sind das eigentlich die Dinge, die einen wirklich freuen?

Wahrscheinlich, weil du kein Geld dafür brauchst und dich trotzdem unsäglich reich fühlst.

Wie haben wir es nur die ganzen Jahre zuvor ohne sie ausgehalten?

URLAUB IN SASSNITZ – ACH GOTT, WAR DAS SCHÖN – BIS AUF DEN ERSTEN TAG

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Wir haben dieses Jahr wieder unseren Urlaub in Sassnitz geplant und die Hotelbuchung steht. Wir überlegen, was wir tun sollen, Zeiten von Corona.
Ich denke erst einmal an den Urlaub im vergangenen Jahr zurück, besonders den ersten Tag.

Wir waren kaum in Sassnitz angekommen, da war ich auch schon mit Krümel auf der einzigen großen Straße in der Stadt unterwegs, in der Hauptstraße eben.

Dort gibt es ein Kaufhaus und da wollte ich mit Krümel reinschauen.
Laura war dort kurz vorher hineingegangen, um noch etwas Urlaubslektüre zu bekommen.

Klara war in der Ferienwohnung geblieben.
„Wollen wir mal deiner Mutter hinterhergehen?“, fragte ich Krümel und die nickte und wollte sofort losstürmen, direkt über die Straße.

„Halt, halt, nicht so schnell, Krümel“, rief ich und bekam sie am Arm zu fassen. Ich hob sie hoch und trug sie über die Straße.

„So, jetzt kannst du ins Kaufhaus laufen und nach Mama sehen“, sagte ich zu ihr, während ich sie absetzte.

Krümel lief in Richtung des Kaufhauses, blieb plötzlich stehen, machte kehrt und sauste auf die Straße zu.
Mit schreckgeweiteten Augen erkannte ich die Gefahr.

„Bleib stehen!“, schrie ich. Doch Krümel hörte nicht.
Was sollte ich tun? Ich stürzte mich in Richtung Straße, auf die Krümel bereits gelaufen war.

Mit einem Hechtsprung erwischte ich sie noch. Ich hatte sie im Arm, aber ich konnte mich nicht halten und flog mit meinem ganzen Gewicht auf den Asphalt zu.

Krümel war in meinem Arm und in Bruchteilen von Sekunden hielt ich sie über mir hoch, streckte sie geradezu in die Luft. Aber, ich konnte nicht verhindern, dass sie ebenfalls mit stürzte. Sie fiel leicht auf den Kopf und fing an zu weinen.

Ich lag auf dem Bauch, auf der Straße und konnte mich nicht bewegen.
„Hättest du doch schon mehr an Gewicht verloren“, fluchte ich im Stillen.

Passanten kamen zu Hilfe. Sie nahmen Krümel, trösteten sie und zu meiner Beruhigung sah ich aus den Augenwinkeln, dass ihr offensichtlich nichts Schlimmes passiert war.

Aber ich konnte mich nicht bewegen. Das Bein tat weh, der gesamte Oberkörper auch und ich bekam kaum Luft.
„Wir müssen ihn an den Straßenrand rollen“, hörte ich einen jungen Mann sagen.

„Können Sie aufstehen?“, fragte er mich.
„Geben Sie mir einen kurzen Augenblick“, rang ich mir ab und schnappte nach Luft.

Mehrere Menschen halfen, mich auf den Gehsteig zu rollen.
Inzwischen waren Schaulustigen da, die mich umringten.
Auf der anderen Seite hielt ein Autofahrer an und fragte: „Soll ich den Notarzt rufen?“

„Nein, nein, mir geht es gleich wieder besser!“
„Wirklich?“
„Ja, ich schaffe es allein“, sagte ich leise und versuchte aufzustehen.
„Soll ich Sie hochziehen?“, fragte der junge Mann.
„Tun Sie sich das nicht an“, antwortete ich.
„Wir schaffen das gemeinsam“, sagte er daraufhin.

Ich nickte, reichte ihm meinen Arm und er begann mich hochzuziehen.
Sein Gesicht lief rot an, seine Muskeln spannten sich unterhalb des Hemdes.

Schließlich stand ich wieder.
„Sollen wir jemandem Bescheid sagen?“, fragte die Begleiterin des jungen Mannes. Auf ihrem Arm saß Krümel und schaute schon wieder fröhlich durch die Gegend. Mir wurde gleich leichter ums Herz.

„Ja bitte, meine Tochter ist in das Kaufhaus gegangen.“
Es dauerte nicht lange und Laura kam herausgestürzt.
„Papa, dich kann man auch nicht einen Augenblick allein lassen“, schimpfte sie.

„Alles halb so schlimm“, presste ich hervor und schleppte mich mit ihr und Krümel von dannen.
Klara war in der Ferienunterkunft geblieben.
Sie erschrak, als sie mein blutendes Knie und die Wunde am Oberarm entdeckte.

„Was ist denn nun schon wieder los?“, fragte sie und schaute mich vorwurfsvoll an.
„Wir brauchen Verbandsmaterial“, sagte sie, ohne eine Antwort von mir abzuwarten.

Wir gingen in die nächste Apotheke und bekamen alles, was wir brauchten.
Den restlichen Urlaub lief ich mit Pflaster und Binden am Arm und Knie umher.

Wieder in Berlin.
Wir holten Krümel aus dem Kindergarten ab. Sie war auf der Treppe hingefallen und hatte sich die Lippe gestoßen.

„Hast du ‚Aua‘?“, fragte ich sie.
Krümel nickte.

„Lass mal sehen“, sagte ich.
Krümel zeigte nicht auf ihre Lippe. Nein, sie zog die Hose hoch und deutete mit ihrem kleinen Finger auf ihr Knie, und zwar auf eine heile Stelle

„Aua“, sagte sie und schaute mich an.
Dann zeigte ich ihr die Stelle an meinem Arm.

„Hier auch Aua?“
Krümel nickte.
Sie hatte es nicht vergessen, was in Sassnitz mit mir passiert war.

‚NEIN, NICHT MUTTI ZU OMA SAGEN‘

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Krümel versteht nicht, dass Klara zu Anna 'Mutti' sagt. Für sie gibt es nur eine Mutti, und das ist Laura, die sich gerade im 1. Stock des Hauses aufhält, und zu der Laura mit ihrem kleinen Finger hochzeigt. Klara hingegen ist für sie ausschließlich ‚meine Oma‘.

Klara und Peter freuten sich auf den 1. Mai.
Klara hatte Peter überzeugt, dass sie Krümel am Vortag gemeinsam abholen, um mit ihr den Tag zu verbringen.

Abends dann sollte Laura nachkommen. Peter sorgte sich darum, dass es vielleicht zu leichtfertig sei, den Kontakt zu Krümel und Laura wiederaufzunehmen.

„Ich hoffe nur, dass wir keinen Fehler machen, wegen Corona“, sagte er zu Klara.

„Nun hab‘ dich nicht so, ich muss doch am Montag auch wieder zur Arbeit. Es wird schon gut gehen“, entgegnete Klara.

Sie hielt es nicht mehr aus, mit ihrer Sehnsucht nach Krümel, und so wischte sie alle Bedenken vom Tisch. Peter ging es ähnlich. Er wollte seine Enkelin ebenfalls sehen, aber sie und sich selbst nicht in Gefahr bringen.

Dann saßen sie doch alle beim Frühstück und genossen den Feiertag.

Krümel wollte mal wieder nicht so richtig essen. Da griff Peter in die Trickkiste und holte Annika heraus.

Annika war ein kleines Mädchen, so alt wie Krümel, das Peter zu einer Fantasiefigur aufgebaut hatte.

Er erzählte schon Laura früher von Annika, die besser und mehr aß, als es Laura damals tat, so jedenfalls stellte es Peter ihr gegenüber jedenfalls dar.

Und nun war Krümel bereit, mit Annika in den Wettbewerb zu treten.

„Krümel, Annika hat bereits von ihrer Marmeladenstulle abgebissen und kaut kräftig“, sagte Peter.
Krümel schaute ihn an, griff prompt zu ihrem Marmeladenbrot und steckte es schnell in den Mund. Sie lachte dabei und fragte mit vollem Mund: „Opa, ’noo…maaal‘?“

„Noch einmal, Opa“, sollte es eigentlich heißen, aber das bekam sie mit ihren zweieinhalb Jahren noch nicht so hin.

Krümel liebte die Spiele mit Annika und Peter liebte sie auch.
Annika ‚saß hinter dem Küchenradio‘, so hatte Peter es Krümel gezeigt und Krümel ging voll in ihrer Fantasie mit. Laura und Klara freuten sich, dass Krümel auf diese Weise immer wieder von ihrer Stulle abbiß.

Laura ging für einen Moment nach oben, um ein Taschentuch zu holen, als das Telefon klingelte.
Anna war dran.

„Wie geht es euch?“, fragte sie.
„Mutti, uns geht es gut, wir sitzen hier alle beim Frühstück zusammen“, antwortete Klara.

„Nicht Mutti sagen“, mischte sich plötzlich Krümel in das Telefonat ein.

„Warum nicht?“, fragte Klara und lachte.
„Mutti da“, sagte Krümel und zeigte mit ihrem kleinen Finger nach oben, in den 1. Stock, in den Laura gegangen war. Nur Laura sollte in ihren Augen Mutti genannt werden.

Sie verstand es nicht, dass Klara auch eine Mutti hatte. Klara war für sie nur Oma. Fertig.

„Das ist deine Uroma und meine Mutti“, versuchte nun Klara zu erklären.

„Nein, nicht Mutti, Anna“, sagte da Krümel. Sie hatte eben ihr eigenes Bild davon, wie jeder genannt werden sollte.

Ihr Opa saß neben ihr, ihre Oma telefonierte, Annika saß hinter ihrem Küchenradio, Uroma direkt im Telefon und ihre Mutti, ja die war da, wo Krümel mit ihrem kleinen Finger hinzeigte, oben im 1. Stock.

Die Welt war also in Ordnung für Krümel und alle freuten sich auf den Spaziergang am Werbellinsee nach dem Frühstück.

AUF DIE KLEINEN DINGE KONZENTRIEREN

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Mai 2019
Ich hatte Schwierigkeiten im Umgang mit einem Kassenautomaten eines Parkhauses. Nicht, weil ich es nicht begriff, was zu tun war, sondern weil ich mich nicht konzentrierte – auf das, was vor mir war.

Uhlandstraße, in der Tiefgarage. Ich stand vor dem Kassenautomaten und musste nur noch das Parkticket einlösen, bevor ich mich ins Auto setzen und in mein Dorf düsen konnte.

Es war ein stressiger Tag gewesen und interessant zugleich. Ich hatte an einem Seminar für kreatives Schreiben teilgenommen und lustige, intelligente Leute kennengelernt.

Neben mir saß ein Arzt aus Wismar. Nett, 65, klug und humorvoll. Wir verstanden uns sofort. Trotzdem war ich abends froh, dass ich das alles hinter mir lassen und nach Hause fahren konnte. Dort warteten auf mich meine Frau, meine Tochter und Krümel, meine Enkelin.

Krümel war mit ihrer Mutter spontan bei uns aufgetaucht, ausgerechnet an dem Tag, an dem ich am Seminar teilnehmen wollte. Und deshalb freute ich mich nun umso mehr, dass ich zu ihnen zurückkonnte. Vorher musste ich noch über den Ku‘ Damm in Richtung Uhlandstraße.

Die Straßen waren am Samstagabend voller Menschen. Die Autos rauschten an mir vorbei. Ich eilte in einem günstigen Moment über die Straße und musste noch einmal auf dem Mittelstreifen halt machen, weil ein weißer Mercedes mit dröhnender Musik an mir vorbeifuhr.

Der Fahrer des Autos schaute mich provozierend an. So, als würde ich gleich etwas zu ihm sagen wollen.
Wollte ich aber nicht. Früher hätte ich das vielleicht getan. Aber inzwischen habe ich eingesehen, dass es ziemlich nutzlos ist, sich über Dinge zu ärgern, die ich nicht ändern konnte.

Als ich in die Uhlandstraße einbog und auf die Tiefgarage zustrebte, war es schon wesentlich ruhiger geworden. Der Lärm vom Ku’Damm drang nur noch gedämpft herüber.

Endlich. Ich war am Kassenautomaten und schob mein Parkticket in den dafür vorgesehenen Schlitz. Ich hatte das Ticket schon eine Weile zwischen die Zähne geklemmt und so war er inzwischen von meiner Spucke durchgeweicht. 25,50 Euro zeigte das Display an.

„Das ist ja Wucher“, fluchte ich laut.
„Ja, das ‚isch‘ teuer“, erwiderte hinter mir eine Stimme.
Es war eine der beiden Frauen, die direkt hinter mir standen. Ansteckungsgefahr durch Corona gab es ja noch nicht.
Ich hatte die Frauen gar nicht bemerkt.

„Sind Sie Schwäbinnen?“, sprach ich sie möglichst politisch korrekt an.
Statt einer Antwort kicherten die beiden Frauen los. Ich war irritiert und fragte sie, ob ich etwas Falsches gesagt hätte.

„Wir sind aus Baden und nicht aus Württemberg“, sagten sie mit vorwurfsvollem Blick zu mir.
„Ach schade, ich dachte, sie würden vielleicht Lörrach oder Freiburg kennen“, sagte ich.

„Ja, freilich kennen wir das, aber Baden ist trotzdem nicht Württemberg.“

„Das mag sein. Und kennen Sie denn den Unterschied zwischen Mecklenburg und Vorpommern?“, fragte ich zurück.
„Wozu?“ Die Damen schauten mich ein wenig von oben herab an und kicherten weiter.

„Ja, wozu auch“, antwortete ich drehe mich abrupt wieder zum Kassenautomaten um. Ich wartete darauf, dass meine Geldkarte wieder zum Vorschein kam.

„Bitte Ihre Geldkarte eingeben!“, stand stattdessen auf dem Display.
„Geht es nicht weiter“, fragte mich jetzt eine der beiden Frauen.
„Nein geht es nicht. Sie hätten den Unterschied zwischen Mecklenburg und Vorpommern kennen müssen.

Das war hier eine Testfrage“, meinte ich im Scherz.
Die beiden Frauen schauten mich an, als ob ich nicht ganz dicht sei. Doch ich hatte ohnehin andere Sorgen.
Ich drückte den Telefonknopf. Am anderen Ende ertönte eine Stimme, die mich nach meinem Anliegen fragte.

„Es kommt jemand vorbei“, sagte der Mitarbeiter am Telefon, nachdem ich meine Frage vorgetragen hatte.
„Ja, aber woher wissen Sie denn, wo ich gerade bin?“, fragte ich zurück.

„Ich beobachte sie“, antwortete der daraufhin.
„Ja, klasse, das ist ja wie früher“, erwiderte ich.
Die beiden Damen wünschten mir Glück und eilten die Treppe zum nächsten Kassenautomaten hinunter.

Glück, das war es nicht, was ich nun brauchte. Eher Geduld. Nach einer guten halben Stunde kam der Mitarbeiter.
„Die meisten stecken ihre Geldkarte dort hinein, wo normalerweise die Geldscheine hineinkommen“, sagte er gleich.

„Nein. Das habe ich schon alles richtig gemacht. Dement bin ich ja noch nicht“, antwortete ich bestimmt. Der Mitarbeiter reagierte nicht, schloss die Tür auf und ich sah sofort meine Geldkarte.

So freute ich mich selten, wenn ich meine MasterCard sah. Denn zur Freude gab es meistens keinen wirklichen Anlass. Dafür sorgte schon der Kontostand.

„Ich könnte Sie umarmen“, sagte ich zu dem Mitarbeiter.
„Wahrscheinlich habe ich durch mein Gespräch mit den beiden Damen, die gerade gegangen sind, aus Versehen die Geldkarte doch falsch eingesteckt.“

Der Mitarbeiter schmunzelte nur.
„Wenn Sie mögen, können Sie bei ‚Google-Maps‘ eine Wertung abgeben, denn darüber würde ich mich freuen“, sagte er zu mir. „Oh, das tue ich gern“, sagte ich und verabschiedete mich.

Vorher hatte ich noch den Mitarbeiter mit meiner Geldkarte das Ticket bezahlen lassen. Sicher war sicher.

Ich stürzte zu meinem Auto. Aber auf dem Platz stand mein kleiner Jeep nicht. Verdammt, ich musste noch einen Stock tiefer. Endlich, ich sah mein Auto, stieg ein und verließ rasch das Parkdeck. Zuhause angekommen, parkte ich das Auto unter meinem Carport und stieg aus.

In der Tür stand Krümel, mit meiner Mütze auf dem Kopf, einer kleinen Gurke in der Hand, die sie von meinem Abendbrotsteller genommen hatte und quietschte vergnügt, als sie mich sah.

Ich hob sie hoch, und sie strampelte freudig mit den Beinen. „Hast du ein Glas Wein da?“, fragte ich meine Frau und fiel erschöpft in einen der Sessel.

Am nächsten Tag schrieb ich die Einschätzung und vergab die Höchstpunktzahl für den Service. Doch ich glaube, ich habe den Eintrag beim Kempinski-Hotel vorgenommen. In genau der Tiefgarage war ich aber nicht.

Ich sollte den kleinen Dingen des Alltags wieder mehr Aufmerksamkeit schenken, sonst würden daraus große Dinge werden. Meist mit weniger erfreulichen Nebeneffekten.

KLARA KANN KEINE KNAPPEN ANWEISUNGEN GEBEN

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Klara muss sich in der Klinik zur Gymnastik anmelden, traut sich nicht, mir das klar zu sagen und danach erinnert sie mich den ganz Tag daran, dass ich den Termin nicht vergessen soll. 
Naja, sie meint es gut. 
Außerdem bin ich nicht mehr allein, so wie noch bis kurzem, als Klara in der Reha war und ich Schwierigkeiten hatte, die Waschmaschine anzustellen.

„Denk‘ dran, wir müssen heute in die Parkklinik. Ich muss mich zur Gymnastik anmelden und das geht nur donnerstags.“

Das sagte Klara mir donnerstagfrüh, bevor sie kurz nach fünf Uhr dem Bahnsteig zustrebte. Warum sollte ich daran denken, wenn Klara mir sagte, dass sie donnerstags in die Klinik müsse, um sich anzumelden?

Sie hatte mit der Information am Montag begonnen, und nun hatten wir Donnerstag. Ich hörte es also jetzt zum vierten Mal. Selbst wenn ich dement wäre, würde ich das wohl behalten. Ich nickte nur zustimmend.

„Holst du mich denn 15.00 Uhr hier ab?“, fragte Klara noch. Das war eine geschlossene Frage. Ich konnte also mit ‚ja‘ antworten.

Aber es wäre noch spannender, wenn ich die anderen Antwortmöglichkeiten ebenfalls ausschöpfen würde: ‚nein‘, ‚ich weiß noch nicht‘, vielleicht, ‚ich überleg‘ es mir noch am Vormittag und ruf dich zurück‘.

Aber mit Klara konnte man das nicht machen. Sie war entschieden dagegen, auf den Arm genommen zu werden. Sie kam auch nicht auf die Idee mir zu einfach zu sagen, dass ich 15.00 Uhr pünktlich am Bahnhof sein sollte.

Das wäre eine klare Ansage für mich. Und der Ticker würde bei mir ab 14.40 Uhr laufen – Computer aus, Schreibtischhose ausziehen, Jeans anziehen, Portemonnaie, Handy, Autoschlüssel, Schuhe anziehen, Tür zuzuziehen, einsteigen, losfahren und sich fragen, ob man die Tür auch wirklich zugezogen und abgeschlossen hat. Aber all das ersparte ich mir.

Gegen 14.30 Uhr kam noch einmal ein Anruf von Klara:
„Ich bin 15.12 Uhr da. Holst du mich dann ab?“

„Ich ziehe gerade die Jeans an“, sagte ich.
„Ist das nicht ein bisschen früh?“, fragte Klara jetzt besorgt.
Ich könnte ja noch eine Salsa im Wohnzimmer tanzen. Der Computer war ja schon aus. Doch ich kannte keine Salsa.

Also stieg ich ins Auto. Wenn ich Zeit hätte, würde ich mir zum Vertreib noch einmal das Video ansehen, auf dem zu sehen ist, wie Krümel mit mir telefoniert und wie sie auf meine Fragen mit einem Augenaufschlag reagiert.

Klaras Zug kommt auf dem Bahnsteig an.

„Hast du lange warten müssen?“, fragt Klara mich beim Einsteigen.
„Ja, ich habe aber zum Zeitvertreib noch ein paar Turnübungen auf dem Dach gemacht, zum Aufwärmen sozusagen für deinen Gymnastikkurs.“

Klara schwieg. Sie konnte diese Art von Humor nicht ausstehen.

Wir fuhren in die Klinik und hielten auf dem Parkplatz davor. Klara war schon vorgegangen, weil sie bis 16.00 Uhr bei der Anmeldung gewesen sein musste. Ich ging gemächlich den Weg zur Eingangshalle hoch. Es roch nach frisch gemähtem Gras.

Es war doch schön, dass Klara wieder Zuhause war.

KLARA IST WIEDER ZUHAUSE

MAL SCHNELL ERZÄHLT
April 2019
Endlich. Heute sind die drei Wochen von Klara in der Reha-Klinik zu Ende. 
Die Eier im Kühlschrank sind alle, das Toastbrot auch und ich war noch nicht einkaufen.
Die schwarzen Unterhosen haben gereicht und heute hat Klara erst einmal die Waschmaschine gefüttert. Wird jetzt alles wie früher?

Ein wenig müssen wir uns wieder aneinander gewöhnen. Klara sitzt neben mir im Auto und erzählt von Garbo, dem Ungarn, und vom Kniffel-Würfelspiel, abends nach dem Essen, und davon, was sie künftig in der Gesundheit alles beachten will.

„Du kannst mir ruhig sagen, wenn ich dich mal wieder nerve“, antworte ich.

Klara schweigt dazu. Also, wir müssen uns wieder aneinander gewöhnen.

Es soll so sein wie immer. Vielleicht nicht ganz. Gesünder leben, ein bisschen mehr auf einander Rücksicht nehmen, nicht nur die eigenen Dinge sehen und darüber sprechen. Ich habe mir viel vorgenommen.

Mal sehen, was ich davon durchhalte. Ich bin guten Mutes und freue mich auf die neue Zeit mit Klara.

 

 

MEIN ZWIEGESPRÄCH MIT DEM ROSENEIBISCH

ALLTÄGLICHES (47-4)

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Klara kommt am Samstag nach Hause, auf Urlaub. Ich hole sie von der Reha ab und bringe sie am Sonntagabend wieder zurück. Und ich habe vergessen, die Blumen zu gießen. Ehrlich gesagt, ich habe total vergessen, dass überhaupt Pflanzen in der Wohnung sind.

Für mich waren andere Dinge wichtig – Fernseher, Kaffeetasse, Schreibtisch, Computer, genügend saubere Unterhosen.
Aber Blumen?

Dabei hatte ich mir doch akribische Notizen gemacht an dem Tag, als Klara mich einwies. Den Roseneibisch, zum Beispiel im Wohnzimmer, den sollte ich einmal in der Woche gießen.

Der ließ die Blätter hängen und hatte sich wohl in sein Schicksal ergeben.
Oder der Flamingo auf der Kommode hinter dem runden Tisch. Ich machte mich sofort an die Arbeit. Zuerst der Roseneibisch.

Ich hatte gelesen, dass Pflanzen auch Gefühle hätten, dass man mit ihnen sprechen sollte. Immer mehr Biologen kommen jetzt um die Ecke, um uns für ihre Sachbücher gefügig zu machen, ich meine natürlich zu sensibilisieren.

Erst kürzlich stand in der Zeitung ein Artikel zu diesem Thema. Und darüber war ein Bild zu sehen, wo nackte Menschen auf einem Baum saßen, zusammengekrümmt, ineinander verschlungen. War das nun ein Werbefoto eines Nacktclubs oder sollten wir jetzt auf Bäume kriechen, um gesund zu bleiben, nackt?

Ich werde mal Klara fragen, was sie davon hält. Die wird sich ihren Teil wieder denken und gar nicht antworten.

Auf jeden Fall habe ich mal den Roseneibisch angesprochen, weil der die Blätter am auffälligsten nach unten baumeln ließ: „Du, entschuldige, dass ich dich erst jetzt bemerkt habe.

Aber wenn ich hier hereingekommen bin, dann musste ich sehr zügig die Fernbedienungen aktivieren, damit ich nicht meine Lieblingsserie verpasste. Doch nun bist du dran. Sauf‘ ordentlich und erzähl‘ der Klara nichts. Sie hat dann noch mehr Oberwasser.

Außerdem habe ich auch nicht die schwarze Wäsche in der Waschmaschine gewaschen. Ich habe die Tragezeit der Unterhosen einfach verlängert. Also nichts für ungut, das nächste Mal gebe ich dich in meinen Erinnerungstool vom iPad ein. Bis bald mal, lieber Roseneibisch.“

Ich keuchte in die Küche, um neues Wasser in die kleine Kanne einzufüllen, für die anderen Pflanzen. Es wurde Zeit, dass Klaras Kur zu Ende geht und sie endgültig nach Hause zurückkam.

 

 

DER ERSTE BESUCH BEI KLARA IN DER REHA-KLINIK

ALLTÄGLICHES (47-3)

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Frühjahr 2019
Am Sonntag habe ich Klara in der Reha in der Nähe von Potsdam besucht. Ich wollte ganz gemächlich dort hinfahren und später mit Klara in Potsdam Essen gehen. Es kam anders. Kurz vor meiner Abfahrt rief Laura an, sie wollte mit. Krümel natürlich auch.

Eigentlich bin ich gegen diese planlosen, chaotischen Aktivitäten. Aber angeblich ist das ja gerade kreativ. Ich bin nur anders geprägt. Aber was soll’s? Wenn ich Krümel höre, werde ich weich. Also löste ich meinen inneren Alarm aus, saß 10 Minuten später im Auto und steuerte Hohenschönhausen an.

Laura und Krümel standen schon unten, vor ihrem Haus.
Laura bekam alles schnell hin, setzte Krümel in den Kindersitz und schnallte sie an. Sie kann das am besten.

Wir fuhren Richtung Reha-Klinik, in die Nähe von Potsdam,  los.
„Wir fahren jetzt durch die Stadt, nicht über die Autobahn“, sagte ich zu den beiden auf der hinteren Sitzbank.

Beide guckten mich an, als würden sie sagen wollen: „Quatsch‘ nicht, fahr einfach los.“ Die Tante vom Navi gab mir laufend Hinweise. Entweder zu früh, dann musste ich anschließend umkehren, oder zu spät. Dann musste ich auch umkehren.

Plötzlich übergab sich Krümel. Ein regelgerechter ‚Vulkan‘ brach aus ihr heraus. Ich bin wahrscheinlich zu viel im Kreis und um die Ecken gefahren. Das tat mir in der Seele weh für sie und ich hatte ein schlechtes Gewissen.

Aber es ist alles so schnell vorbeigegangen, wie es gekommen war. Nur zum Schluss, als ich um einen Kreisverkehr herum musste, da ging das alles von vorn los. Schließlich hatten wir es geschafft.

Wir stiegen aus und sahen erst dann das gesamte Ausmaß des ‚Vulkanausbruchs‘. Der Kindersitz war übersät von Erbrochenem und ähnlich sah es mit den Sachen aus, die Krümel am Körper trug. Klara stand schon im Eingang und freute sich riesig, als sie Krümel in die Arme nehmen konnte.

„Das riecht ja so säuerlich“, sagte Klara. Wir antworteten erst einmal nicht. Auf dem Zimmer von Klara befreite Laura die Kleine von den schmutzigen Sachen.

Klara und Laura machten sich sofort ans Waschen und anschließend ans Trocknen. Der Haartrockner von Klara war dafür bestens geeignet. Krümel kümmerte das erst einmal nicht. Sie erkundete das Zimmer, probierte alle Schuhe aus, die im Zimmer umherstanden. Im Handumdrehen sah es im Zimmer aus, als würden dort 30 Leute auf engstem Raum hausen.

Schließlich saßen wir alle im Sessel und auf dem Stuhl. Ich lag auf dem Bett. Mit dem Ausflug nach Potsdam wurde es nichts. Dafür lag Krümel auf dem Teppich, auf dem Bauch, und schaute unter das Bett. Laura kniete daneben und versuchte ebenfalls, unter das Bett zu schauen.

Klara rutschte im Sessel immer weiter nach hinten, um einen Blick unter das Bett zu bekommen. Ich habe mich auf dem Bett zur Seite gerollt und hing mit dem Kopf nach unten. Da war ein Taschentuch. Krümel sollte es unter dem Bett hervorholen, dachte aber nicht daran. Wir bewegten uns auch nicht.

Wer sich jetzt regte, musste den Arm unter das Bett schieben und das Taschentuch hervorzerren. Ich harrte aus, Krümel auch, Klara sagte nichts.

„Also gut“, rief Laura und fasste unter das Bett, um das Taschentuch hervorzuholen. Dafür sind waren wir nun so weit gefahren.
Wollen wir in die ‚Kartoffelkiste‘ gehen?“, fragte Klara.
„Vorher zeige ich dir das Haus und die Schwimmhalle“, sagte sie noch.

„In Ordnung“, antwortete ich. Laura blieb auf dem Zimmer und Krümel sollte ihren Mittagsschlaf machen. Sie dachte nicht daran und fand es unerhört, dass wir das Zimmer verlassen wollten, um durchs Haus zu gehen. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

 

 

DIE BEDIENUNG DER WASCHMASCHINE IST EIN BISSCHEN SO, ALS WÜRDE MAN INS ALL FLIEGEN

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Ich habe noch nie in eine Waschmaschine Wäsche getan und sie anschließen zum Laufen gebracht:
„Ich schwöre", so heißt es doch heute unter den Jugendlichen, oder? Es ist jedenfalls die Wahrheit. Ich kann es ja selbst nicht glauben. Und schämen müsste ich auch dafür.
Aber seit der Einweisung durch Klara im vergangenen Jahr beherrsche ich das jetzt auch.

Ich habe inzwischen viel gelernt, was Hausarbeit anbetrifft. Ich weiß, welche Blumen ich gießen muss und wo sie stehen. Komisch, dass ich einige vorher gar nicht gesehen habe.

Heute ist die Einweisung in die Bedienung der Waschmaschine dran.
Dabei habe ich mich mit so vielen technischen Fragen beschäftigt, zum Beispiel mit den Autos. Ich bin in der ganzen Zeit meiner Ehe vom Trabbi auf einen Lada umgestiegen, ich habe die Bedienungsanleitung des Citroen studiert, den Audi in seiner Fahrweise analysiert, bin mit einem 7er BMW durch die Gegend gedüst. Naja, damals habe ich mich noch nicht so für Stickstoffwerte interessiert.

Was ich vor allem in der ganzen Zeit nie wirklich getan habe – eben die Waschmaschine bedienen.
Das sollte nun mit dem heutigen Tag vorbei sein.

Klara ging mit mir in die Waschküche und ich musste mit dem Finger auf die Waschmaschine zeigen, die uns gehörte.
Wir sind vier Parteien in einem Mehrfamilienhaus. Wir haben zwar einen separaten Eingang und können von unserem Keller aus direkt in die Waschküche gehen. Dort aber stehen eben noch die anderen drei Waschmaschinen.

Ich schaute sie alle der Reihe nach an und zeigte anschließend zielsicher auf unsere. Sie war sauber, die Sachen lagen ordentlich, das konnte nur unsere Maschine sein.

„Du machst die Tür auf und legst die Sachen rein“, sagte Klara zuerst.
„Du meinst das Bullauge hier?“, fragte ich fachmännisch interessiert. Klara pflegte auf diese Art von Einwänden nicht zu reagieren.
„Nun stellst du die Plastikkugel rein, gefüllt mit der Flüssigkeit für dunkle Wäsche.“

„Und der bleibt dort stehen?“, fragte ich.
„Stell‘ dich doch nicht so an“, seufzte Klara. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass nur dunkle Wäsche gewaschen würde. Das andere sollte ich zu einem späteren Zeitpunkt erfahren, in einem Fortbildungsseminar sozusagen.

Also vor allem Unterhosen und schwarze Pullover. Die Unterhosen könnte ich ja auch nur jeden zweiten Tag wechseln, dachte ich bei mir.

„So, jetzt machst du die Klappe zu, bis es klickt. Dann stellst du den Schalter auf 40 Grad für Buntwäsche. Und schließlich musst du noch in das mittlere Fach einen Weichspüler kippen.“

Wir probiertes es gleich aus. Ich drückte auf ‚Start‘.
Ein tolles Gefühl. So muss man sich fühlen, wenn die Sojus-Rakete ins All abhebt.

 

ICH WAR VOM WEG ABGEKOMMEN

INTERVALLFASTEN
50 KILO ABNEHMEN (28-1)
Die Corona – Krise hat mich aus der Bahn geworfen.

Wiedermal bin ich vom Weg abgekommen, ja regelgerecht aus der Bahn herausgeworfen worden.

Nichts stimmte mehr in den letzten Wochen – nicht die Zahl 8: 16, also 8 Stunden etwas Essen und dann 16 Stunden pausieren, oder aber die Tatsache, dass ich die Mengen reduziere, die ich zu mir nehme.

Klara war Zuhause, wir frühstückten ausführlich, der Sport fiel aus meist aus, mittags aßen wir reichlich. Danach gabt es Kaffee, natürlich mit einem Stückchen Kuchen. Nur abends, da hatte ich es so einigermaßen geschafft, wenig zu essen.

Aber am Wochenende, da war manchmal Wein im Spiel oder auch ein Glas Sekt. Alles im Rahmen, könnte man denken, aber nicht für mich. Ich bekam am Sonntag heftige Gallenschmerzen und musste auf Tee umsteigen.

Dieser Umstand brachte mich zurück zum Intervallfasten.
Wie bin ich eigentlich auf die Idee gekommen?

Ich stand eines Morgens in der Friedrichstrasse und wartete auf ein Treffen mit einem Kollegen.

Ich hatte noch Zeit, also ging ich in den S-Bahnhof hinein und steuerte direkt auf den Buchladen zu.

Ich drehte Bücher um, las in den Klappentexten.
Plötzlich stieß ich auf ein Cover, das mich neugierig machte.

‚Mit Ernährung heilen‘ stand dort drauf. Der Autor, Andreas Michalsen versprach ‚Besser essen, einfach fasten, länger leben‘.

Ich wollte das ausprobieren. Kurzentschlossen kaufte ich das Buch und begann noch auf dem S-Bahnhof, stehend, darin zu blättern und schließlich zu lesen.

Das war es, was ich wollte. Ich stellte meine Ernährung um. Anfangs aß ich erst mittags was, dann spätestens gegen 19.00 Uhr machte ich Schluss mit dem Essen.

Später habe ich wieder gegen 05.00 Uhr gefrühstückt und dann ab 13.00 Uhr nichts mehr zu mir genommen.

Ich stellte mich jeden Morgen auf die Waage, und siehe da, es half.
Doch dann kam Corona und ich kam vom Weg ab. Seitdem habe ich das Intervallfasten nahezu aufgegeben.

Aber heute, da habe ich das Buch wieder herausgeholt.
Das allein motiviert mich schon. Ich werde wieder regelmäßig darin lesen, und: vor allem wieder mit dem Intervallfasten dranbleiben.
Ich berichte davon.

KLARA IST FÜR EINE WEILE WEG – DAS BIN ICH NICHT GEWOHNT VON IHR

MAL SCHNELL ERZÄHLT
VOR EINEM JAHR: 
Was du an einem Menschen hast, das fällt dir erst so richtig auf, wenn er mal nicht da ist.
Klara ist zur Kur und ich stehe erst am Anfang mit meinen Sorgen – Waschmaschine bedienen, Essen kochen, allein ins Bett gehen, Fernseher nicht erst nachts ausschalten.
Gott sei Dank ist das jetzt schon wieder ein Jahr her, als Klara zur Kur fuhr. Ich erinnere mich noch genau daran. 

Dienstag, 03.30 Uhr. Ich stehe auf, weil ich nicht mehr schlafen kann. Heute bringe ich Klara zur Kur. Der schwere Koffer ist bereits im Auto verstaut. Gestern war die Aufregung noch groß, denn Klara fand ihr Handy nicht.

„Ich weiß, dass ich es im Auto abgelegt habe“, sagte sie noch.
„Ich habe nachgeschaut, aber da ist nichts“, habe ich geantwortet.
Also haben wir die Karte sperren lassen und sind zu Laura gedüst, weil sie noch ein Ersatzhandy und eine weitere SIM-Karte hatte.

Laura ist mit Krümel zu Hause geblieben. Krümel ist stark erkältet. Als wir in Berlin aussteigen und Klara die Tür vom Auto schließen will, da schreit sie plötzlich auf – zwischen den beiden Vordersitzen klemmte das Handy fest.

„Dass du das nicht entdeckt hast“, sagte sie zu mir und ich meinte einen leisen Vorwurf herauszuhören. Das mit dem Ersatzhandy hatte sich nun erledigt.

Wir sind trotzdem noch zu Laura hoch gegangen.
Krümel empfing uns nicht so freudig wie sonst.
Sie lehnte sich bei uns an. Man merkte ihr an, dass sie nicht gesund war.

Erst als ich für sie einen Turm aus Bausteinen gebaut habe und sie konnte nach Kräften dagegen hauen, damit alles auseinanderflog, da lachte sie mich an und schaute mit dem Blick, der meinte: „Noch mal.“

Heute Morgen 06.00 Uhr. Wir starten in Richtung Reha-Klinik, fahren auf die Autobahn Richtung Tegel und dann weiter nach Potsdam.

Blechlawinen wälzen sich über die Straßen. Im Tunnel von Tegel rieche ich förmlich die Autoabgase.

„Hier sollten sie mal den Stickoxidwert messen“, sage ich zu Klara. Die antwortet nicht. Sie ist angespannt.

Wir sind nach einer guten Stunde in der Reha-Klinik angekommen. Klara wird freundlich am Empfang begrüßt. Die Schwester besorgt ihr einen Wagen, auf dem sie das Gepäck abstellen kann.

Ich sitze im Sessel in der Vorhalle und beobachte die Leute, die an mir vorbeigehen und die schauen wiederum mich an. Manche Patienten tragen einen Mundschutz.

Ich kann darüber nicht mehr nachdenken, denn ich muss mich von Klara verabschieden und wenig später bin ich schon wieder auf dem Rückweg.

Es ist komisch, als ich in der Wohnung zurück bin. Sie wirkt leer und ich bin antriebslos. Ich gehe in den Keller und schaue, was Klara mir für Konserven besorgt hat.

„Von diesen Dosen kannst du dir mittags immer mal eine warm machen“, sagte sie noch am Wochenende zu mir. Ich nehme eine Büchse aus dem Regal, auf der ‚Gulaschsuppe‘ steht.

Gulaschsuppe ist gut. Die mag ich. Ich nehme sie mit nach oben. Ich öffne die Dose und ziehe den Deckel ab. Zum Vorschein kommen Fleischstücke und Soße. Für einen Moment stutze ich.

Das wird ja wohl nicht Hundefutter sein, denke ich so bei mir. Egal, ich habe es aufgewärmt und danach auf den Teller gefüllt. Es schmeckt köstlich. Anschließend beschließe ich, mich für eine Weile hinzulegen und danach mit der Arbeit zu beginnen.

Nur eine Viertelstunde, denke ich noch. Es klingelt. Das hört nicht auf. Ich stehe schlaftrunken von der Couch auf und schaue zur Uhr. Sie zeigt 16.15 Uhr an. Ich schnelle hoch und sitze wenige Minuten später am Schreibtisch. Ich nehme den Hörer zur Hand und rufe Anna an.

„Wie geht’s?“, frage ich.
„Ach hör bloß auf“, ich hatte heute einen Termin bei Dr. Silberfisch und habe ihn verpasst.

„Das kann nicht sein, denn das wüssten wir, wenn heute ein Termin wäre“, sage ich.

Im Stillen denke ich: „Das kann nicht wahr sein, kaum ist Klara weg und nichts ist so, wie es sonst war.“

 

DER VORRAUM EINER BANK – NACHTS DER SCHLAFPLATZ FÜR EINEN OBDACHLOSEN

ALLTÄGLICHES (46-3)

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Wir machen uns Sorgen um uns und unsere Lieben.
Aber wieviel Mitgefühl bringen wir wirklich auf, wenn wir unmittelbar einem Obdachlosen begegnen?
Das ging mir durch den Kopf, als ich früh morgens einen Mann im Vorraum der Sparkasse antraf – eingerollt in einen Schlafsack.

Kurz nach 05.00 Uhr, morgens. Es regnet, die Straßen sind noch wie leergefegt und dafür voller Pfützen, durch die ich hindurchfahre. Vor der Sparkasse steuere ich auf einen freien Stellplatz zu, ziemlich dicht vor der Eingangstür der Bank.

Ich halte, steige aus, gehe schnurstracks in Richtung Eingang los und zwänge mich erst einmal durch zwei Büsche hindurch, deren Zweige schon vereinzelt grüne Blätter tragen. Sie wischen an mir entlang und als meine nackten Hände die Blätter berühren und ich deren Nässe spüre, ärgere ich mich, dass ich nicht den ordentlichen Zugang gewählt habe.

Meine Füße geraten auf der rutschigen Erde ins Schlingern und ich fluche still vor mich hin. Ich bin froh, als ich die Eingangstür erreicht habe. Die Türen schieben sich nach links und rechts auf und verschwinden rumpelnd und quietschend in den dafür vorgesehenen Nischen in der Wand.

Ich hole meine Geldkarte aus dem Portemonnaie und als ich wieder aufschaue, sehe ich einen Mann am Boden liegen. Er hat es sich bequem gemacht, im Schaltervorraum der Sparkasse. Seine Beine sind angewinkelt, er liegt auf der Seite und hat die Arme unter dem Kopf verschränkt.

Es riecht nach Tabak, Schweiß und abgestandenen Kleidern, so als wären diese wochenlang nicht gewaschen worden. Das Gesicht des Mannes sieht friedlich aus. Er ist noch nicht so alt. Vielleicht Mitte 30, schätze ich.

Behutsam gehe ich an ihm vorbei, in Richtung Geldautomat. Ich schiebe die Karte in den Schlitz des Automaten und warte, bis die Aufforderung zur Eingabe der Geheimzahl auf dem Display erscheint.

„Was ist, wenn der jetzt aufspringt und versucht, mir die Geldbörse aus den Händen zu reißen?“, denke ich bei mir. Vorsichtig drehe ich mich zu ihm um, doch der schläft weiter.

Endlich, die Klappe am Automaten geht auf und die Geldscheine tauchen auf. Ich ergreife sie hastig und stopfe sie in ein Fach des Portemonnaies. Ich bewege mich wieder ziemlich leise an dem Mann vorbei, versuche möglichst keine Geräusche zu machen.

Als ich draußen bin und mich erneut durch die nassen Zweige der Büsche bewege und auf dem feuchten Boden mehr rutsche als laufe, atme ich trotzdem erleichtert auf. Dann, im warmen Auto, drehen sich meine Gedanken um diesen schlafenden Mann am Boden der Sparkasse.

Wer mag das sein, warum übernachtet er auf dem harten Boden, ohne eine Decke, nur mit einem Beutel neben sich, auf dem der Name eines Einkaufsmarktes steht?

Was ist die Lebensgeschichte dieses Mannes? Und noch eine Frage schießt mir durch den Kopf: Hättest du ihn nicht wecken sollen, ihm nicht anbieten müssen, mit nach Hause zu kommen? Ihm eine warme Dusche ermöglichen, einen heißen Kaffee und ein Brötchen dazu?

Ich verwerfe diesen Gedanken gleich wieder und rechtfertige mein Handeln damit, dass ich ja nicht wüsste, wer das eigentlich sei, ob er ein Obdachloser ist, der auf der Straße leben will oder ein Alkoholiker, dem es egal ist, wo er seinen Rausch ausschläft.
Und trotzdem, ein Restfunken von schlechtem Gewissen bleibt.

THEORETIKER

ALLEIN MIT MEINEN INNEREN STIMMEN
Bisher habe ich zwei innere Stimmen charakterisiert - Draufgänger und Sensibler.
Heute ist die dritte Stimme, der Theoretiker dran.

Werde ich überhaupt damit meinen komplexen Gefühlen und Gedanken gerecht, die mir alle durch den Kopf schießen bzw.in mir hochsteigen, wenn ich in eine bestimmte Situation gerate oder mit einem Menschen spreche?

Sicherlich nicht vollständig. Aber gerade diese Komplexität von Gedanken und Gefühlen bewältigt unser Gehirn ja nur dann, wenn wir gewisse Strukturen, von mir aus auch Schubladen aufmachen.

Der Theoretiker ist eher zurückhaltend, übernimmt von sich aus kaum die Initiative und hält lieber zum Gegenüber Abstand. Nicht schlecht in Zeiten von Corona.

Im Gespräch argumentiert er nie hitzig, sondern eher überlegt. Ich kann mich an eine Situation vor Jahren erinnern, wo ich einen Kunden vor mir hatte, der ein Haus kaufen wollte.

Wir besprachen den Kaufvertrag, weil wir am nächsten Tag zur notariellen Beurkundung gehen wollten.
Der Kunde war jemand, der sehr stark von seiner inneren Stimme, dem Theoretiker, dominiert wurde.

Der Kunde fragte mich, wie dick die Außenmauer des Hauses sei und wieviel vom mineralischen Wärmedämmputz darauf sein müsse.

„Wenn das alles ist, was sie bewegt, so können wir ja schon heute zum Notar gehen“, entgegnete ich, statt seine Frage fachgerecht zu beantworten.

Der Kunde hat den Notarvertrag noch am selben Tag abgesagt. Ich hatte das zu spät erkannt, weil derjenige, der stark von den Impulsen des Theoretikers getragen wird, seine Gefühle gut zu verbergen weiß, seine Körpersprache kaum Signale aussendet und er sich auch abkapselt, wenn er sich ärgert.

Der Ordnungswille, die Fähigkeit, zu strukturieren, das alles sind Eigenschaften, die den Theoretiker kennzeichnen.

Diese Stimme hat bei mir ebenfalls einen großen Stellenwert.
Sie ist aber fast gleichauf mit Draufgänger und Sensibler.
Deshalb ist das Zusammenspiel meiner inneren Stimmen ja so wichtig.

SENSIBLER

ALLEIN MIT MEINEN INNEREN STIMMEN
Sensibler so habe ich den ‚zweiten Mann‘, meine zweite innere Stimme genannt.
Ich frage mich manchmal, warum ich mir überhaupt die Mühe mache und mich so eingehend mit meinen inneren Gedanken, Stimmen befasse.

Ich glaube, dass ich auf diese Weise nicht nur in der Lage bin, mich selbst besser einzuschätzen.

Vielmehr kann ich dadurch besser Erkenntnisse gewinnen, die es mir leichter machen, andere Menschen zu verstehen und zu akzeptieren.

Man könnte meinen, wenn du in dem Alter bist, wie ich es bin, dann solltest du das gelernt haben.

Da ist schon was dran. Und trotzdem glaube ich, dass du bis an dein Lebensende damit zu kämpfen hast, dich selbst in schwierigen Situationen richtig zu verhalten, andere Menschen zu verstehen und letztlich auch so zu akzeptieren, wie sie nun mal sind.

Das sind Worte, die fließen dir leicht aus der Feder oder aus der Tastatur. Ich glaube aber, dass es schon erheblicher Anstrengungen bedarf, um letztlich mehr zu. verstehen – von dir selbst und von anderen.

Sensibler drängt mich dazu, im ersten Kontakt entgegenkommend zu sein, die Nähe zum anderen Menschen zu suchen.

Dabei schwappt die Stimme von Sensibler im Gespräch manchmal über, auch wenn sie als innere Stimme ja nicht zu hören ist.
Sensibler ist gefühlsbetont, reagiert stets sehr persönlich, manchmal erzählt er auch umständlich und ausschweifend.

Sensibler lässt die eigenen Gefühle schnell erkennen, und sein Ausdruck ist stets mitgeprägt von ausladenden Handbewegungen.

Da bin ich doch froh, dass Draufgänger und Theoretiker ihn manchmal zurückdrängen und ihn zur Ordnung rufen, nämlich erst zu denken und dann zu sprechen.
Theoretiker stelle ich beim nächsten Mal vor.

Wer lernen will, wie man Charaktere von Figuren skizziert, humorvoll und detailgenau, der sollte das Buch von Dora Heldt lesen:

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KRÜMEL ENTDECKT ZUFÄLLIG EIN LOCH IN MEINEM STRUMPF

ALLTÄGLICHES (46-2)

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Früher musste alles perfekt durchgeplant sein, wenn wir zum Beispiel Geburtstag feierten.
Inzwischen haben wir entdeckt, dass es oft die ganz kleinen, sich zufällig ergebenden Ereignisse sind, die das ‚Salz in der Suppe‘ der Geburtstagsfeier ausmachen.

Es war alles anders geplant. Klara hatte Geburtstag und wir wollten den Tag zusammen verbringen – Klara, Laura, unsere Enkelin Krümel und ich.

Ich wollte Laura und Krümel von Hohenschönhausen abholen und sie nachmittags, nach dem Kaffee, wieder zurückbringen. Doch Krümel hatte Fieber. Also mussten wir uns was Neues einfallen lassen. Wir sind zu Krümel gefahren, zu ihr nach Hause.

Die Kleine empfing uns schon an der Fahrstuhltür. Sie quietschte, juchzte und warf die Arme in die Luft. Wir haben zusammen Kaffee getrunken und ich wollte mit Krümel gemeinsam Kinderlieder singen. Das Buch mit den Texten hatte Klara besorgt.

Du drückst vorn auf ein Bild und dann ertönt eine Melodie. Doch Krümel hatte ihren eigenen Willen. Sie schob meine Hand beiseite und wollte selbst auf den Musikknopf drücken und so spielte sie immer wieder die gleiche Melodie. Bis wir sie nicht mehr hören konnten und Krümel Gott sei Dank das Interesse verlor, den Knopf weiter zu drücken.

Jetzt musste ein neues Erlebnis her.
Ich hatte mich auf die Couch gesetzt und die Füße hochgelegt. „Das gibt’s doch nicht, du hast an meinem Geburtstag Strümpfe mit Löchern an“, sagte Klara. Das war das Signal für Krümel. Sie blickte hoch, lachte mich an und steuerte auf mich zu. In der einen Hand hatte sie ein Tuch, in der anderen ein Kabel, das sie irgendwo herausgezogen hatte.

Nun entdeckte sie das Loch in meinem Strumpf und prüfte, ob sie es zum Spielen nutzen konnte. Klara zeigte ihr, wie sie das Kabel dort verstecken konnte und es dann wieder zum Vorschein kam. Das ganze Zimmer war voll von Spielzeug, voll Puppen, kleinen Holzautos, sogar eine Spielküche war vorhanden und ein kleines Dreirad. Und so mancher Holzklotz lag unterhalb der Schränke.

Zum Schluss aber musste eine löchrige Socke und ein Stück Kabel herhalten und Krümel konnte nicht genug davon bekommen, mit dem kleinen Kabel an meinen Zehen zu kitzeln. Wenn ich dann noch hinterher mit den Zehen wackelte, konnte sie sich ausschütten vor Lachen. Es kommt also stets anders.

Früher, da saßen wir an gedeckten Kaffeetafeln, erzählten, tranken. Es musste ringsherum alles stimmen. Heute freuen wir uns schon, wenn Krümel aus vollem Herzen lachen kann, und wenn sie es nur tut, weil sie ein Loch in der Socke entdeckt hat. Wir fuhren glücklich nach Hause. Der Geburtstag von Klara war gerettet.

DER MANN MIT DEN VIER BUCHSTABEN AUF DEM RÜCKEN

ALLTÄGLICHES (46-1)

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT
Ich denke oft darüber nach, was mir am meisten Spaß macht, und was ich vor allem vermisse, wenn ich im Homeoffice festhänge.
Es sind die Alltagserlebnisse, die mir quasi vor die Füße rollen.
Und im Nachhinein stelle ich immer wieder fest:
Das Unaufgeregte ist meist das Wertvollste, was dir im Alltag passieren kann.

„Du kannst mal wieder bei meiner Mutter anrufen?“, sagte Klara zu mir, bevor sie aus dem Auto stieg, um zum Bahnsteig zu gehen. Es war dunkel, kein Mensch zu sehen.

Nur einige Meter entfernt lief der Mann mit den „Vier Buchstaben“ auf dem Rücken. Wir nennen ihn so, weil der Firmenname groß auf seinem Rücken steht.

Besser gesagt auf der Arbeitsjacke, die er trägt. Der Mann mit den „Vier Buchstaben“ geht schon jahrelang zur nahezu gleichen Uhrzeit wie wir eben auch zum Bahnsteig.

Nur, dass wir fahren und ihn schon von weitem erkennen, an seinen leuchtenden Buchstaben auf dem Rücken. Er wankt von einem Bein auf das andere. Rennen würde ihm wohl nicht in den Sinn kommen.

Aber auf ihn ist Verlass. Ich kann mich kaum an einen Morgen erinnern, an dem er nicht zum Bahnsteig watschelt.
Es hat so etwas Vertrautes, was Beruhigendes. Klara mag das auch. Hier sind die Leute noch zu unterscheiden.

Wenn Klara erst in die S-Bahn gestiegen ist, wo sich Hunderte auf einmal in die Waggons hineindrängen, drücken, schubsen, drängeln, mit missmutigen Gesichtern, dann ist dieses Gemütliche vorbei.

Und das hier vor Ort, das Ruhige, gibt dir ja irgendwie Sicherheit, ein Gefühl, dass du nicht in der Masse untergehst. Selbst wenn dazwischen Dinge passieren sind, über die du dich eigentlich aufregen müsstest.

Nachmittags zum Beispiel, wenn ich Klara vom Bahnhof wieder abhole, dann sehe ich den Mann mit den „Vier Buchstaben“ nicht. Dafür erkenne ich andere wieder.

Da ist zum Beispiel ein Fahrer, der seinen Pick-up grundsätzlich auf den Behinderten-Parkplatz steuert. Das ist der erste Platz, der zu erreichen ist, wenn du zum Bahnsteig willst oder von dort kommst.

Ist der Zug da, quellen die Menschen aus ihm heraus und der Pick-up fährt schon mal ein Stück vor. Und sowie die Frau des Pick-up – Fahrers eingestiegen ist, drückt der aufs Gas, obwohl auf dem Parkplatz Menschen zu ihren Autos eilen, schnell nach Hause wollen.

‚Würdest du dich ihm anvertrauen, falls du Hilfe brauchst?‘, frage ich mich in diesen Momenten im Stillen. ‚Naja, nur bei drohender Lebensgefahr‘, denke ich.

Und jeden Abend kommt noch ein kleiner Smart um die Ecke gesaust. Er braucht wenige Bewegungen und Drehungen, bis er in der Lücke steht. Rollt der Zug in den Bahnhof, schmeißt er den Motor an, fährt schon vom Stellplatz rückwärts in Richtung Fußgängerzone.

Er ist also in der ‚Pool-Position‘. In dem Fall versperrt er sogar dem Pick-up-Fahrer den Weg. Das ist das einzig Gute, das ich darin sehe.
Und nun kommt die Freundin vom Smart-Fahrer angerannt.

Vielleicht sind sie ja auch verheiratet. Jedenfalls rennt sie gleich vom Bahnsteig aus los, hastet an denen vorbei, die sich ebenfalls in Richtung Parkplatz in Bewegung gesetzt haben. Am Smart angelangt springt sie förmlich ins Auto und während sie die Tür zuschmeißt, ruckt der Smart bereits an.

Wohin müssen die nur so schnell? Springen die erstmal in die Betten, wenn sie zu Hause sind oder wartet dort der Hund, der ausgeführt werden will? Ich weiß es nicht. Und es ist ja auch nicht etwas, worüber ich länger nachdenken will.

Aber worüber ich nachdenke ist: Wem würde ich mich anvertrauen, wenn ich etwas wissen wollte, oder vielleicht ein Abschleppseil brauchte?

Dem Pick-up-Fahrer? Um Gottes will. Wenn du ihn fragst würde der wahrscheinlich knurren: „Pfoten weg von meinem Auto oder ich rolle über deinen Plattfuß.“

Oder der Smart-Fahrer? Naja, da müsste ich wohl neben dem kleinen Flitzer nebenher sprinten, um meine Frage loszuwerden. Und ich glaube nicht, dass der Fahrer, nur weil ich ihn etwas fragen will, die Fensterscheibe herunterkurbeln würde.

Dann doch lieber der Mann mit den ‚Vier Buchstaben‘. Aber hat der überhaupt ein Auto? Ich glaube nicht. Ich werde aus meinen Gedanken gerissen.

„Also rufst du heute an bei Anna?“, fragt Klara mich. Anna ist dement. Und sie braucht die Aufmunterung.
„Ja“, sage ich, verabschiede mich und fahre los, ins Dunkle, nach Hause, wo die Berliner Zeitung auf mich wartet.

Ich werde sie wieder ausführlich lesen, damit ich nicht so schnell an den Schreibtisch muss. Es ist schön, dass sich mein Arbeitsplatz nur eine Treppe von mir entfernt befindet.

Aber am Montag, ja da geht es wieder los. Wir fahren um 05.00 Uhr zum Bahnhof, werden nicht allzu gut gelaunt sein.
Doch plötzlich kommt der Mann mit den ‚Vier Buchstaben‘ um die Ecke. Und dann ist alles im Lot. Der Alltag kann beginnen.

 

 

ICH DENKE AN MEINEN AUSFLUG IN DEN SCHREIBWARENLADEN VOR EINEM JAHR

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Selbst die kleinsten Momente im Alltag sind schön. Leider merkst du es erst dann, wenn du nicht einmal mehr in den Schreibwarenladen kannst, zumindest nicht ohne Mundschutz, wegen Corona.

Ich war heute in unserem Dorf, im Schreibwarenladen. Nicht das ich dringend etwas gebraucht hätte. Nein, das nicht.

Doch es ist einfach schön, dort hineinzugehen. Das ist schon eine kleine Sucht. Ich schaue mir gern die Blöcke und Hefte an, die Stifte, die vielen kleinen Büroutensilien, die dort herumstehen und dich anzuflehen scheinen: „Nimm‘ mich mit, sonst muss ich hier verrecken, in der hintersten Ecke des Ladens.“

Ich antworte, natürlich in Gedanken: „Du, ich versteh‘ dich voll. Und ich würde dich auch mitnehmen, aber dann habe ich hinterher die Hölle auf Erden, wenn ich mit dir nach Hause gehe und du heute Abend von Klara entdeckt wirst.“

Es reichte heute Morgen schon, dass ich zu ihr am Telefon sagte, dass ich bereits zwei Stunden gearbeitet hätte und jetzt eine kleine Pause brauchte.

„Geh‘ doch Sport machen“, hat sie gesagt.
„Was willst du schon wieder im Schreibwarenladen?“
Hatte sie ’schon wieder‘ gesagt?

Das letzte Mal war ich vor Monaten hier drin. Klara geht in der Woche zwei Mal, manchmal auch noch mehr in Kaufhäuser am Alex oder in Kreuzberg, oder wenigstens ins ‚KiK‘ in Wandlitz.

„Na, hast du das ‚KiK‘ – Dach eingerissen, weil die Einkaufsbeutel nicht mehr durchgepasst haben?“, frage ich sie in den Momenten scherzhaft. Sie reagiert darauf nicht.

„Schau mal. Für Krümel, ist das nicht schön?“
Ja, das sind doch ‚Totschlagargumente‘. Was soll ich schon sagen, wenn Krümel im Spiel ist als nur ‚toll, klasse, wunderbar‘?

Krümel ist der Zaubername, der alle Türen öffnet. Da sagt keiner von uns: „Oh, das ist jetzt aber zu viel. Das reicht nun, sonst liegt das Spielzeug nur rum.“

Nein, da wird zugeschlagen, eingepackt und sich gefreut.
Aber jetzt? Jetzt ist es anders.

„Was willst du überhaupt kaufen?“
Ich schweige beharrlich, denn alles was ich nun sage, würde sofort gegen mich verwendet werden.

„Ach nur so“, sage ich und merke, dass es die falsche Antwort war.
„Na, das glaube, wer will!“, sagt Klara prompt.

Ich sage nichts mehr und verabschiede mich am Telefon.
Zurück zur hinteren Ecke im Schreibwarenladen:
„Kann ich Ihnen helfen?“, spricht mich eine junge Frau an. Sie ist die Inhaberin, sehr engagiert und dabei nicht aufdringlich.

„Ja, können Sie. Ich suche ein Tintenfass. Blau.“
Sie schaut mich an, als wäre ich aus dem Urwald gekommen und hätte die letzten Jahrzehnte des Computerzeitalters nicht miterlebt.

„Ich schreibe ja viel mit der Tastatur vom iPad“, sage ich schnell.
„Aber wenn ich tiefer nachdenke, dann muss ich mit der Hand schreiben.“

Die junge Frau schaut mich prüfend an, von oben bis unten.
„Du siehst schon so aus. Als würdest gerade du überhaupt einen Computer bedienen können, geschweige denn ein iPad“, schien sie gerade zu denken.

Ich beließ sie in ihrem vermeintlichen Glauben. Was sollte ich ihr schon sagen? Dass ich mit zehn Fingern über die Tastatur fliege?
Ich traue mir sogar zu, an einem Schreibwettbewerb teilzunehmen, mit Aussichten auf einen der vorderen Gewinnplätze.

Sollte ich sagen, dass ich manchmal auf einer Schreibmaschine herumhacke, weil ich Spaß daran habe und mir gleich mehr einfällt, weil ich denke, dass es ja erst einmal ins „Unreine“ geschrieben ist?

„Ich brauche noch Klebestifte“, sage ich stattdessen.
„Wieviel?“
„Fünf.“
„Noch etwas?“
„Ja. Buntstifte.“

„Sind Sie Rechtshänder?“
„Ja, aber zur Not nehme ich auch einen Stift für Linkshänder“, antworte ich.

„Welche Farbe?“
„rot.“
„Noch einen?“
„Ja.“
„Welche Farbe?“
„rot.“
„Wieder rot?“
„Ja, rot!“

Endlich bin ich wieder zu Hause. Ich fülle die Tinte aus dem Fass um in einen dafür vorgesehenen Behälter auf meinem Schreibtisch.
Na klar, jetzt sind die Hände blau. Also schrubbe ich sie gründlich, bevor ich mich den Stiften zuwende. Den roten Stiften.

Sie haben alle Kerben. Nachdem ich sie angefasst habe, bemerke ich den „Rechtsdrall“.

Auf jeden Fall gehen die Kerben in diese Richtung. Es ist ein wunderbares Gefühl. Ich tauche den Füller ins Fass mit der Tinte, schreibe etwas auf das Blatt und anschließend unterstreiche ich das Geschriebene mit dem neuen roten Stift.

„Ah“, sage ich laut, so als hätte ich gerade einen teuren Rotwein verkostet. Aber wir schwelgen hier nicht im Luxus. Nein. Wir können uns noch an Farbstiften erfreuen. ‚Wir‘ stimmt nicht ganz. Klara wird wahrscheinlich wieder die Augen verdrehen.
Aber ich, ja ich freue mich, dass ich den Abstecher ins Dorf gemacht habe.

Das Leben kann so schön sein. Selbst in einem Schreibwarenladen.

VOR EINEM JAHR TRÄUMTE ICH NOCH VOM WARENRÄUMEN IM MINIJOB

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Ich wollte einen Minijob annehmen. Die Rente ist nicht groß, die Schreiberei bringt nicht so viel ein, und die Hauptlast der aktuellen Einnahmen blieben also an Klara hängen. Das bedrückte mich. 
Also entschloss ich mich, etwas zu tun, einen Nebenjob für mich zu suchen.
Vor einem Jahr kam mir der Zufall zu Hilfe, ausgerechnet in unserem Einkaufsmarkt.

April 2019

Wir waren in einem großen Einkaufsmarkt. Nachdem ich vormittags allein im Schreibwarenladen gewesen war und meine stillen Abenteuer bestanden hatte, ging es nun in den größten Einkaufsmarkt am Ort. Ich hatte Klara vom Bahnhof abgeholt. Sie war aus der Weltstadt Berlin zurück von der Arbeit und tauchte nun mit mir in die dörfliche Idylle ein.

Und mittendrin eben dieser große Supermarkt. Ich hatte Klara versprochen, dass wir dort noch hinfahren. Ich mochte es nicht sehr, mit hineinzugehen. Doch diesmal wollte ich mit rein.

Klaras Geburtstag stand bevor und ich hatte noch kein Geschenk.
„Du musst mir nichts kaufen. Ich habe bereits etwas besorgt“, wirkte sie auf mich beruhigend ein.

Aber mein Gewissen konnte sie nicht beruhigen. Es war schwer, etwas für Klara zu kaufen. Mal passten die Kleidergrößen nicht, mal nicht die Farben.

Und als ich ihr eine Uhr schenkte, da wetterte sie, dass diese keine Ziffernblätter hätte. Ich bin noch an ihrem Geburtstag zum Alex ins Kaufhaus zurückgefahren, in Pantoffeln, so wütend war ich und habe mir einen Umtauschschein geben lassen.

Seitdem bin ich vorsichtig geworden. Dann bin ich auf die Idee gekommen, Gutscheine zu schreiben, handschriftlich, einen Laptop für Klara zum Beispiel.

Naja, den hat sie nie eingelöst, obwohl ich ihn sogar zu Weihnachten erneut an sie verschenken wollte. Also sind wir jetzt so verblieben, dass ich ihr Tulpen schenke.

„Wenn du ohnehin noch in den Einkaufsmarkt willst, dann kann ich ja gleich mitreinkommen und die Blumen aussuchen“, sagte ich.
„Ja, das kannst du machen.“

Ich zog mir extra Jeans über und nicht die Turnschuhe, sondern die Lederschuhe mit den dicken Sohlen. Die trage ich im Winter und im Sommer. Sie sind so schön bequem und ich sehe größer aus.

Ich war also für den supergroßen Markt inmitten unseres Dorfes gut gewappnet, kleidungsmäßig jedenfalls.

Sonst behielt ich die Trainingshose an und wartete im Auto. Das ist praktisch meine Arbeitshose. Ich saß ja auch eben mit dieser Trainingshose am Schreibtisch. Ich habe schon oft gehört, dass schreibende Menschen ein bisschen verkommen, kleidungsmäßig.

Weil sie ständig in ihrer Meinung nach bequemen Sachen am Schreibtisch herumhängen, die Bleistifte anknabbern, durch die ungekämmten Haare fahren und wenn der Postbote kommt, ganz ungern die Tür öffnen.

Jedenfalls stand ich nun in meinen Jeans neben Klara.
„Gib den Einkaufswagen her, du kannst damit nicht umgehen.“
„Das ist ja wohl eine Unverschämtheit“, zischte ich und griff umso fester um die Stangen des Wagens.

Wir waren bei den Blumen angekommen. Ich hätte einen Strauß gekauft. Klara nahm drei Sträuße mit – Narzissen, Tulpen und Rosen. Ich sagte nichts, denn ich war froh, dass sie ihre Blumen selbst ausgesucht hatte. Schließlich standen wir an der Kasse.

Ich drängelte mich an den Leuten vorbei und wartete im Vorraum. Ich drehte mich um und sah eine große Stele mit einer Stellenanzeige drauf.

„Wir suchen Sie im Minijob für unsere Warenräumung“, stand da drauf. Ich ging zurück zu Klara und erzählte ihr was davon.

„Ja, du wolltest doch immer Sport machen, das ist was für dich, und Geld kommt auch noch rein, neben deinen Einkünften für die Texte.“
Ich schwieg und erwog, ob ich mich unter der angegebenen Telefonnummer melden sollte.

Plötzlich fiel mir ein Mitarbeiter auf, der genau diese Funktion auszuüben schien, um die es in der Stellenanzeige ging. Er kniete und keuchte vor einem Regal. Seine Blicke irrten das Regal auf und ab. Dann richtete er sich ächzend auf, sein Kopf war rot. Das Blut war ihm ins Gesicht geschossen.

Dann plumpste er zurück auf die Knie und zerrte ein Gerät aus dem Pappkarton. Er drehte die Ware hin- und her, suchte wohl, wo er einscannen sollte. Plötzlich sah ich nicht ihn dort hocken, sondern mich. Mein Bauch drückte, die Knie taten mir in der eingeknickten Stellung weh. Ich hatte den Überblick verloren, wohin die Waren eingeräumt werden sollten.

Plötzlich stand hinter mir der Einkaufsleiter und sagte: „Sie sind zu langsam und sie haben schon wieder die Waren falsch eingeräumt, das müssen wir Ihnen vom Lohn abziehen.“

Ich schrak aus meinem Tagtraum auf. Klara hatte bereits an der Kasse bezahlt und ich eilte schnurstracks mit dem Einkaufswagen aus der Halle heraus.

Im Auto sagte ich zu Klara: „Du, ich habe morgens noch Kapazitäten, um ein paar Texte zu schreiben und zu verkaufen.“
Klara schmunzelte, sagte nichts und nickte nur, und ich war froh darüber.

Ein Jahr später, im April 2020
Ich wollte einen erneuten Anlauf nehmen.

Diesmal im Patientenhotel in der Waldsiedlung.Die Geschäftsführerin war erst skeptisch, ob ich es tatsächlich ernst meinte.

„Ich will Teller spülen oder den Fußboden wischen, meine Arbeit machen und danach nach Hause gehen. Wenn es bei Ihnen nicht geht, dann muss ich mich woanders bewerben“, sagte ich zu ihr.

„Oh nein, bitte nicht zur Konkurrenz gehen. Wir haben hier auch eine Frau vom Fernsehen eingestellt. Die wollte auch nur saubermachen“, meinte sie.

Wir waren uns einig, dass ich persönlich vorbeikomme, wenn die Corona-Krise abgeschwächt ist.
Jetzt ist die gesamte Waldsiedlung abgesperrt – wegen der zahlreichen Corona-Verdachtsfälle.

„Schade“, sagte ich zu Klara und vertiefte mich zufrieden in die Berliner Zeitung.
„Also ich, ich hätte mich jetzt vorgestellt“, sagte ich noch hinter vorgehaltener Zeitung.
Klara erwiderte nichts. Sie kannte mich eben doch zu gut.

 

WELCHE INNERE STIMME IST BESONDERS DOMINANT?

ALLEIN MIT MEINEN INNEREN STIMMEN
Corona bringt mich dazu, mehr in mich hineinzuhören.
Ist das gut? 
Naja, wenn man es übertreibt, dann sicherlich nicht, denn irgendwie brauchst du ja für deine kommunikative Interaktion die Außenwelt.
Aber dafür, um dein eigenes Verhalten besser zu versteuern und auch zu steuern, ist es schon eine ganz passable Sache.

Bisher habe ich darüber nachgedacht, welche inneren Stimmen mich beeinflussen, wer mich zu einer Handlung, einer Aussage, einem Gefühlsausbrauch bewegen kann.

Zuerst habe ich den Draufgänger beschrieben, also den, der stets nach vorn will, etwas bewegen möchte.

Dann beeinflusst mich aber auch der Sensible, derjenige, der oft nicht ’nein‘ sagen kann.

Und dann ist da noch der Theoretiker, der stets alles planen will, die Bleistifte ordnet, bevor er anfängt zu schreiben.

Über den Sensiblen und den Theoretiker schreibe ich noch näher.
Mich beschäftigt die Frage, ob nur ich diese Stimmen habe, die mich beeinflussen, oder ob es jedem so geht.

Ich denke, das ist ein allgemeingültiges Phänomen, dass wir uns von unseren Impulsen aus dem Großhirn, dem Zwischenhirn oder dem Stammhirn beeinflussen lassen.

Und je nach Persönlichkeit ist das immer ein bisschen anders, wer in welcher Situation von seiner Stimme, seinen Gefühlen, seinen Impulsen beeinflusst wird.

Auf jeden Fall gehören diese Faktoren zu meiner Persönlichkeitsstruktur dazu.
Gibt es sie wirklich in mir, diese Stimmen?

Gefühlt ja. Ich habe ihnen Namen gegeben, damit ich sie besser sichtbar machen – für mich und andere.

Diese inneren Stimmen sind stets dar, mal merklich und manchmal unmerklich.

Dabei kann ich nicht immer genau sagen, welche von den drei Stimmen den größten Einfluss auf mich ausübt.

Mein Persönlichkeitsgrundgerüst wird wohl von allen drei Stimmen nachhaltig beeinflusst.

Es gibt auch keine reine innere Stimme, die als Draufgänger, Sensibler oder Theoretiker auftritt.

Natürlich, es kommen mitunter Momente, wo sich eine innere Stimme besonders nach vorn drängelt.

Oft ist das bei mir der Draufgänger. Aber die beiden anderen, Sensibler und Theoretiker ziehen ihn dann oft zurück, damit er nicht zuviel Porzellan zerschmeißt oder zu schnell voranstürmt, ohne auf die anderen zu warten.

Deshalb sind mir alle drei Stimme gleich wichtig und sie geben mir im Alltag die Stabilität, die ich als Gesamtpersönlichkeit auch brauche.