ALLTÄGLICHES-2022.03.16
„Guten Morgen, mein Freund“, riss mich der Alltag aus meinen Gedanken.
„Hm.“
„Schlecht gelaunt?“
„Nein, nur keine Lust zu sprechen, Alltag.“
„Das Wetter ist schön, der Tag beginnt herrlich und du bist schlecht gelaunt?“
„Alltag, du kannst nerven!“
„Warum?“
„Weil ich aufwache und denke: ‚Warum kannst du dich nicht freuen?“
„Und warum kannst du dich nicht freuen?“
„Alltag, du lässt aber auch nicht locker.“
„Warum auch?“, blieb mir der Alltag auf den Fersen.
„Also gut, weil ich gleich wieder an den Krieg in der Ukraine denken musste. Aber ich habe ja versucht, mich abzulenken.“
„Und, wie hast du das gemacht?“
„Ich habe an meinen Termin heute in Buch gedacht.“
„Wie ging es dir bei diesem Gedanken?“
„Noch schlechter.“
„Warum?“
„Weil ich im Klinikum aufs Fahrrad steige, verdrahtet werde und strampeln muss.“
„Was ist schlimm daran?“, fragte der Alltag verwundert.
„Naja, weil ich wieder ein Kilo zugenommen habe.“
„Aber das ist doch nicht so schlimm“, versuchte der Alltag mich zu beruhigen.
„Doch, ist es. Vor allem schmeißt mein schlechtes Gewissen in solchen Situationen Sätze raus, wie:
‚Eigentlich treibe ich viel Sport, aber gegenwärtig haben mich die Ereignisse in der Ukraine aus der Bahn geworfen.“
Der Alltag wartete mit seiner Antwort, was schon nichts Gutes bedeutete.
Schließlich räusperte er sich und sagte mit leicht ironischer Stimme:
„Weißt du, wenn du schon den Satz mit ‚eigentlich‘ beginnst, dann hast du bereits zweimal gelogen.“
„Alltag, ich verbitte mir diese Unterstellung!“
„Oh, wir werden vornehm und unser Gewissen sendet Bestätigungssignale und deshalb werden wir leicht bockig“, amüsierte sich der Alltag.
„Nein, Alltag, aber ich war doch ehrlich zu dir.“
„Warst du nicht!“
„Wieso?“
„Als du ‚eigentlich‘ sagtest, da meintest du tatsächlich: ‚Mist, ich wollte doch schon länger wieder mit dem Sport angefangen haben, aber es kam was dazwischen.“
„Hm, da ist was dran, Alltag. Und die zweite Lüge?“
Die tischt du der Krankenschwester auf, die dich vor deinem ‚Fahrrad-Trip‘ verdrahtet.
Sie wird dich anschauen, nichts sagen und du denkst: ‚Oh Gott, was die wohl denkt?
‚Ist der dick‘ oder so ähnlich.
Und du wirst vorauseilend haspeln: ‚In letzter Zeit hapert es mit dem Sport und dem Abnehmen, aber bald, ja bald geht es wieder los.“
„Meinst du wirklich? Und was glaubst du, Alltag, was die Krankenschwester darauf sagt?“
Sie wird wahrscheinlich lächeln und das denken, was sie immer in solchen Momenten denkt.“
„Sag‘ schon, Alltag, was denkt sie in solchen Momenten?“
„Sie denkt: ‚Ja, mein Dicker, das alles haben wir vor dir schon von vielen Patienten gehört und nach dir werden noch viele Schwätzer kommen, die das gleiche sagen.“
„Meinst du wirklich? Alltag, was soll ich machen?“, fragte ich verzweifelt.
„Halt einfach deine Klappe, trete stattdessen in die Pedalen, stöhne nicht, jammere nicht, sei einfach ein Alltagsheld!“
„Ein Held, auch noch dein Held, Alltag?“
„Ja, nimm‘ den Tag wie er ist, versuch‘, dich an etwas zu erfreuen.“
„Na gut, Alltag, ich sehe schon, du lässt mich mal wieder allein mit meinen Ängsten.
Ich geh‘ mal rüber und wecke Klara. Ich finde, die könnte jetzt mal aufstehen und Frühstück machen.“
„Der lernt es nicht mehr“, seufzte der Alltag.
„Hast du was gesagt?“
„Nö.“