WAS VOM TAG HÄNGENBLEIBT (38)

MEIN FREUND, DER ALLTAG

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DAS LEBEN MAL VOM ENDE HER DENKEN UND SCHON SIEHST DU DEINEN ALLTAG MIT ANDEREN AUGEN

Sonntag.

Ich bin eine Runde um den See gelaufen.

Und nun sitze ich am Strand, besser ich liege halb auf dem nackten Boden.

Der besteht aus Sand, vereinzelten Grasstellen, durchzogen von alten Baumwurzeln, die aus der Erde ragen.

Ich fühle mich so nicht ganz wohl, bin aber zu faul, mich erneut zu erheben, die Sitzunterlage aus dem Rucksack zu ziehen und mich ordentlich hinzusetzen.

Ich schaue auf das Wasser.

Von weitem dringt zu mir Kindergeschrei.

Ein Junge und ein Mädchen – sie hocken halb im Wasser und spielen mit einem kleinen Boot.

Offensichtlich muss das Wasser schon so warm sein, dass sie es als angenehm empfinden, sich dort aufzuhalten, und nicht gleich wieder herauskommen.

Währenddessen sitze ich hier oben, habe Trainingshosen an, einen dicken Pulli und fühle mich auch wohl.

Ich habe lieber dicke Sachen an, durch die keine Mücken durchdringen.

Am Baumstumpf lehnen meine Nordic Walking Stöcke.

Als ich den Waldweg entlanggelaufen kam, schrie ein kleiner Junge:

„Opa, da läuft ein Skifahrer!“

Der Mann schaute mich an, schmunzelte und wir liefen wortlos aneinander vorbei.

Jetzt ruhe ich mich aus, bin froh, dass ich eine Runde geschafft hatte.

Mich plagen immer noch die Rückenschmerzen, die ich mir im Fitness-Center zugezogen hatte.

Ich hatte es an der Rudermaschine übertrieben.

Es weht ein leiser Wind und ich komme ins Grübeln: Eigentlich hatte ich ja ein schönes Leben.

Manchmal, da denke ich trotzdem: ‚Warum gehst du noch arbeiten, verdienst dein Geld mit Trauerreden?‘

Eine simple Frage, die im Kern den Sinn des Lebens in den Mittelpunkt rückt.

Ich will aber in diesem Moment keine tiefgründigen philosophischen Gedanken zulassen, lieber über das Alltägliche nachdenken.

Klar, ich will noch Geld verdienen.

Sicher, mir macht die Arbeit Spaß – zu reden, den Leuten auf einer Trauerfeier Trost spenden, spüren, dass es ihnen guttut, dass jemand da ist, der über den Schmerz redet, über das Leben, das der Verstorbene geführt hat.

Und dennoch: Das entscheidende von alledem ist etwas anderes:

Mit allem, was ich tue, merke ich, wie endlich das Leben ist, wie

wichtig es ist, den Alltag nicht als Beschwernis zu sehen, sondern als das, was er ist, nämlich ein unwiederbringlich schönes Erlebnis, ein Puzzle, das irgendwann zu Ende gelegt ist.

Das Leben vom Ende herdenken, das ist schon nicht schlecht, wenn man gerade mal wieder meint, man hätte es besonders schwer im Leben.

Ich quäle mich von einer Sitzposition aus nach oben, schnalle den Rucksack um, schnappe mir die Stöcke und laufe in Richtung Auto.

So etwas wie ein leichtes Glücksgefühl steigt in mir hoch.

ALLTÄGLICHES

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