IM SCHREIB-ALLTAG SEIN HANDWERK BEHERRSCHEN

2021.08.26-SCHREIB-ALLTAG

Es gibt in der Technik des Schreibens Eckpfeiler, die man stets beachten sollte. Dazu gehören: die richtigen Informationen und Notizen auszuwählen, sie zu gliedern und schließlich daraus ein Thema strukturiert zu entwickeln.

Lässt du dieses Handwerkszeug außer Acht, um vermeintlich schneller und bequemer ans Ziel zu kommen, so machst du letztlich Umwege und verstrickst dich in einer Vielzahl von Verästelungen.

Selbst wenn ich Themen des Alltags wähle, so will der Leser ja nicht von meinen hin- und herspringenden Gedanken gefesselt oder besser verwirrt werden.

Nein, er will, dass ich einen Gedankengang nach dem anderen entwickle.

Nur so kann ich die Botschaften verständlich transportieren, in die Worte gießen, die mir wichtig sind.

Im Urlaub habe ich kürzlich meiner Enkelin morgens nach dem Frühstück kleinere Geschichten erzählt.

Und obwohl ich das frei formulierte, habe ich dabei fieberhaft überlegt, was zuerst gesagt werden sollte, was danach kommen könnte, kurzum, wie die Geschichte gegliedert und aufgebaut werden musste.

Und wenn Krümel dazu meine linken Zeigefinger mit ihrer kleinen Hand fast zerquetschte, dann wusste ich, dass ich es geschafft hatte, nämlich sie zu fesseln.

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https://uwemuellererzaehlt.de/schreiballtag/

 

URLAUB, INSEL RÜGEN, FREIHEIT

ALLTÄGLICHES-2021.08.15

Urlaub ist nichts Anderes, als kleine Dinge im Alltag intensiver wahrzunehmen, an einem anderen Ort, in lockerem mentalen Zustand, mit einem Gefühl, dass du es gerne tust.

Wann wachst du schon  mal morgens auf und musst nicht sofort wissen, was du an dem Tag tun willst. Das nenne ich Urlaub, auch wenn die Disziplin auf der Strecke bleibt. Ich haue beim Essen über die Stränge, habe bisher noch keinen Sport gemacht, bin faul und träge. Es sei denn, ich laufe zum Imbissstand.

Samstag, Krümel ist mit ihrer Mama in den Dinosaurier-Park in der Nähe von Bobbin gefahren. Ich habe sie dort mit ‚Jeepy‘, Krümels Lieblingsauto hingebracht.

Es war komisch, als ich durch das Tor des Parks fuhr. Die verrosteten Gitterstangen sahen aus, als wären sie in den letzten 40 Jahren nicht ausgewechselt worden. Ich hab nämlich zu dieser Zeit eine sogenannte ‚Kartoffeleinheit‘ von 400 Mann angeführt. Wir haben Kartoffeln für Russland verladen, weil die dort mal wieder knapp waren.

Aber das ist lange her. Heute stehen dort die ‚Dinos‘, die verrückteste und spannendste Welt für Krümel. Ich bin umgekehrt und zurück in die Ferienwohnung gefahren, um diesen Bericht in den Blog zu tippen. Ich will mich wenigstens in dieser Hinsicht fit halten.

Ein Tag zuvor, Freitag, der Blick von der nördlichsten Spitze auf Rügen über die Ostsee. Das Wasser glitzerte in der Sonne, es roch nach Meer und Seetank.

Krümel war mal wieder ganz unten, auf den  Steinen  vor dem Wasser. Man bekommt Angst, wenn man sieht, wie furchtlos sie dort umherspringt. Aber wir bleiben  vorsichtig und holen sie von dort weg.

Und wieder gestern, abends, Hanse Sail im Hafen: Viele Menschen, schöne Musik.

Krümel und ich schauen uns die Boote von der Wasserschutzpolizei an.

Es war aufregend  für Krümel, aber für mich auch.

DER ERSTE RICHTIGE URLAUBSTAG NACH DER ANREISE

Am ersten Tag, dem der Anreise, bist du kaputt, möchtest nur noch liegen oder im Sessel sitzen und nichts mehr sagen.

Aber das geht natürlich nicht, wenn Krümel mit in der Ferienwohnung ist.

„Opa, wann kommst du spielen?“, fragt sie, kaum nachdem wir die Sachen einigermaßen verstaut hatten.

Also habe ich mich auf den Fussboden begeben, das Feuerwehrauto ausgepackt, den Polizeiwagen mit der Sirene und viele der anderen kleineren Autos. Nicht zu vergessen den Hubschrauber, der nur noch einen Flügel hat, was aber keinen von uns störte.

Dann haben wir die Sirene vom Polizeiauto angestellt und so laut gespielt, dass wir von Krümels Mama zur Ordnung gerufen werden mussten.

Am nächsten Morgen dann sind wir gleich ans Wasser gefahren.

Der Strand war nahezu menschenleer. Ein Traum.

Wir bauten unseren Sichtschutz unmittelbar vor dem Meer auf, sodass es Krümel nicht weit bis ins Wasser hatte.

„Ist das nicht herrlich?“, rief ich Karsta zu, während ich mit Schwung die Stangen in den Ostseestrand rammte.

Ich legte mich danach auf ein Laken, fest entschlossen, nicht so schnell wieder aufzustehen. Ich nahm mein Buch zur Hand und fand, dass diese paradiesische Zustände wären.

Bis zu dem Zeitpunkt, als direkt neben uns eine größere Gruppe ihr Domizil aufschlug, laut diskutierend und sehr gestenreich. Es war eine  Familie aus Sachsen, wie unverkennbar zu hören war. Der Vater schritt wichtig durch den Sand, das Handy am Ohr und sagte: „Nu, das könn‘ mä doch näschte Woche kläären.“

Dafür war ich auch. Aber es zog keine Ruhe ein. Die Jungen holten einen Ball raus und spielten aus Rücksicht ihren Eltern gegenüber in einigermaßen sicheren Abstand von ihnen. Also direkt neben unserem Sichtschutz. Ich hörte nur, wie ihre  Füsse gegen den Ball knallten und anschließend gegen die Wand unseres Sichtschutzes. Ich schnellte sofort hoch,  obwohl ich mir geschworen hatte, liegenzubleiben.

„Tschuldigung“, riefen sie zu mir.

„Nicht so schlimm“, log ich.

Ich ging runter zum Wasser und schmiss mich todesmutig in das viel zu kalte Naß.

„Opa, ich komme“, rief Krümel und zog in Windeseile ihre Sachen aus.

Ach irgendwie war es doch schön und vielleicht sollte auch alles so sein, redete ich mir ein.

Der Aufenthalt war noch  schön, eine  Stunde jedenfalls, bis die ersten Tropfen vom Himmel  fielen.

DAS BESTE AM GEBURTSTAG IST DER TAG DANACH

ALLTÄGLICHES-2021.08.07

Mir war wichtig, dass ich den Tag wie immer begann- mit dem Training im Fitness-Studio. Also bin ich wie immer früh aufgestanden, um rechtzeitig dort zu sein. Es war morgens gegen vier Uhr, als ich losfuhr. Die Strassen waren menschenleer. Man merkte, dass es nicht mehr der Monat Juli war. Die Sonne ließ noch auf sich warten und die Temperaturen waren nicht nur angenehm, sie waren auch kühl.

Ich absolvierte mein Training und setzte mich danach auf die Bank vor dem Studio. Ein Hausmeister fegte den Platz und ich sprach ihn einfach an.

„Das ist das Schönste für mich, nach dem Training hier zu sitzen.“

„Der Hausmeister guckte mich an, stützte sich auf seinen Besen und sagte: “ ‚Det glob ick‘.“

Wir kamen schnell ins Gespräch.

„Ich bin heute 69 Jahre alt geworden“, sagte ich zu ihm und hätte mir anschließend am liebsten auf die Zunge gebissen. Was interessierte ihn das.

„Ick bin 59 Jahre alt“, sagte er. Zehn Jahre jünger also. Doch er sah aus, als hätte er aber auch schon mein Alter erreicht. Das allerdings sagte ich ihm nicht.

Wir verabschiedeten uns.

„Vielleicht trifft man sich ja mal wieder“, sagte er noch und ich nickte.

Zuhause angekommen hatte Klara alles vorbereitet – das Frühstück war fertig und der Geburtstagstisch war auch gedeckt.

Ich freute mich riesig. Es lagen lauter Dinge darauf, die ich ausgesprochen gern mochte – zwei Bücher, eins von Robin Alexander, dem Polit-Journalisten und ein weiteres von John Grisham, einem meiner Lieblingsschriftsteller.

Ausserdem hatte Klara mir ein paar Notizbücher geschenkt und einen Kalender.

„Ich habe es satt, nur ins iPhone zu schreiben oder auf der Tastatur des iPads herumzuhacken“, hatte ich ihr mal vor Wochen gesagt.

Sie hatte geschwiegen, aber natürlich alles gespeichert.

Die Hefte mussten teuer gewesen sein. Klara wusste, dass ich entweder Zettel übereinander klebte und darauf mit dem Füller herumkritzelte oder aber wirklich hochwertiges Papier liebte, das zudem noch in einer guten Hülle steckte.

Wir hatten außerdem unseren Hochzeitagstag und wie immer war ich in der Verlegenheit, etwas zu schenken, was Klara auch gefiel.

Kleidung? Keine Chance, sie war entweder zu klein oder zu groß oder die Farben und der Zuschnitt passte nicht. Außerdem war ich froh, dass ich nach Jahren mir den Begriff ‚Blazer‘ eingeprägt hatte.

Blumen sollte ich auch nicht kaufen, weil wir ja in den Urlaub fuhren.

Es blieb nur bei Kleinigkeiten, zu denen sie sich aber auch freute.

„Wir sind immer noch ein gutes Team“, sagte ich zu ihr und drückte ihr einen Kuß auf die Wange.“

Dabei liebte ich sie immer noch, wüsste nicht, wie ich ohne sie  leben konnte. Wir regten uns auf, hatten zu vielen Dingen verschiedene Ansichten. Ich war der Theoretiker, der Träumer, sie die Pragmatische und zusammen eben dieses Dreamteam, das sich auch noch nach so langer Zeit so innig liebte.

Vormittags fuhr ich das Auto in die Waschanlage. Ich fuhr dazu zwei Dörfer weiter, weil es dort so ruhig war. Hinter Anlage kamen gleich Felder und Wiesen, auf denen du das satte Grün betrachten und riechen konntest. Manchmal kam auch ein Pferd den Hang hinunter und fraß das Gras, das dort wucherte.

Später überprüfte ich noch die Luft auf den  Reifen. Als ich damit fertig war, fuhr ich fröhlich nach Hause. Unterwegs ging  ein Warnsignal an – ‚zu geringer Luftdruck‘.

Ich fluchte, fuhr zurück und überprüfte das Ganze noch einmal. Wieder war ich fertig, stieg ins Auto machte mich auf den  Rückweg. Das Display zeigte wieder die Warnung an.

Aber ich fuhr nach Hause, denn Klara wartete mit dem Mittagessen.

„Ich muss noch mal los und den Luftdruck erneut überprüfen. Ich will nicht, dass der Luftdruck nicht stimmt, wenn Krümel am Sonntag mit im Auto sitzt und wir an die Ostsee fahren“, sagte ich zu Klara.

Klara kam nach dem Essen mit, sie wollte noch ein Brot im Supermarkt holen.

Jetzt schaute sie im Wageninneren auf das Display und ich pumpte den jeweiligen Reifen auf. Wenn ich mit dem einen fertig war, dann zeigte der andere wieder zu niedrigen Luftdruck. Ich schwitzte, die Hände waren dreckig, die Sonnte brannte sich auf meinem gebeugten Rücken ein.

Endlich, wir hatten den Luftdruck so, dass auf den rechten Reifen ein  Druck von 2,4 bar war und auf den linken 2,5 bar.

„Ich lass das jetzt so“, sagte ich erschöpfte. Ich holte die Sprühflasche  mit dem Glasreiniger aus dem Heck und drückte auf den Knopf. Es kam nichts, nur ein paar Tropfen. Ich wischte mir die Hände kurzerhand an der Hose ab. Klara wollte sie ohnehin in die Wäsche tun.

„Hast du dir die dreckigen Hände an deiner Hose abgewischt?“, fragte sie. Sie stand hinter mir, so urplötzlich.

„Nein, nur die sauberen, aber noch feuchten Finger“, antwortete ich schnell, ohne mich auf weitere Diskussionen einzulassen.

Wir stiegen ins Auto, fuhren noch zum Supermarkt, ich schwitzte auf dem Parkplatz noch ein bisschen in der Sonne, während Klara das Brot holte und schließlich begaben wir uns nach Hause.

Als alles ausgepackt war, öffnete ich eine Flasche Sekt, Klara bereitete frische Erdbeeren zu und ich trank anschließend den Sekt fast alleine aus.

Auf unserem Programm stand die Netlix-Serie ‚Krieg und Frieden‘.

Liebe, nochmal Liebe und ein bisschen Krieg.

Als ich vor dem Fernseher einschlief, da weckte mich Klara erst, als wir ins Bett wollten.

Soviel zu meinem Geburtstag und dem Hochzeitstag. Wir hatten schon heftiger gefeiert.

Aber am nächsten Tag wurde es schön. Wir aßen in Ruhe, ich erläuterte Klara kurz die neuesten Corona-Regeln und hörte aber damit auf, als Klara begann, die Augen zu verdrehen.

Später konnte ich an meinen Schreibtisch, in den Notizbüchern blättern, den Kalender ausfüllen, der von Juli bis Juli lief und in den beiden Büchern lesen. Es war herrlich. Schön, das alles vorbei war und der Alltag mich wieder hatte, auch wenn es ein Samstag war.

DIE MEISTERHAFTE BESCHREIBUNG VON DETAILS DURCH DIE SCHRIFTSTELLERIN ALICE MUNRO

ALLTÄGLICHES-2021.08.06

Manchmal gefällt dir der Film besser als das Buch, das ihm zugrunde liegt.

Aber die Beschreibungen von Alice Munro sind so präzise, dass es schwer ist, sie im Film nachzustellen.

Ich schreibe jeden Tag eine halbe Seite aus einem Buch ab und formuliere diese Sätze danach um.

Es ist ein Schreibtraining, das ich mir über Jahre angewöhnt habe.
Oft sehe ich erst dann, wieviel der Autor sich um die Satzkonstruktionen, die Formulierungen gemacht hat.

Ich greife besonders gern auf die Kurzgeschichten von Alice Munro zurück. Mich begeistert, wie sorgfältig die kanadische Schriftstellerin Details beschreibt. Das ist schon großes Kino.

Gerade lese ich die Geschichte ‚Der Bär klettert über den Berg‘ von ihr. (1)

Der Inhalt ist schnell erzählt. Fiona erkrankt an Demenz, geht ins Heim und Grant, ihr Mann, besucht sie dort.

Grant ist jahrelang fremdgegangen, mit Studentinnen, die er unterrichtet hat.

Nun muss er miterleben, wie sich seine Frau im Heim zu Aubrey, einem anderen Mann hingezogen fühlt.

Die schleichende Demenzerkrankung und die Liebelei von Fiona mit Aubrey stürzt ihn in eine Sinnkrise.

Er geht zu der Ehefrau von Aubrey, um zu ergründen, wie sie mit der neuen Liebe ihres Mannes klarkommt.

Aubreys Frau sagt, dass sie in der Küche bleiben müssten. Trotzdem versucht Grant einen kurzen Blick ins Wohnzimmer zu bekommen.

Ich habe diese Szene im Film „An deiner Seite gesehen“.
Die Kamera erfasst die Einrichtung des Wohnzimmers. Du registrierst es, aber es ist eher langweilig.

Und jetzt die Beschreibung von Alice Munro:
„Sie führte ihn am Durchgang zum Wohnzimmer vorbei und sagte: Wir müssen uns in die Küche setzen, wo ich Aubrey hören kann. Grant erhaschte einen Blick auf zwei Schichten Wohnzimmergardinen, beide blau, die eine aus hauchdünnem, die andere aus seidigem Stoff, auf ein Sofa in passendem Blau, auf einen abschreckend bleichen Teppichboden, auf diverse blinkende Spiegel und anderen Zierrat.“ (2)

Sicher: Man kann hier beides nicht direkt miteinander vergleichen. Aber mir gefällt die Beschreibung der Szene im Buch besser, detaillierter, einfach anschaulicher.

Dabei hatte ich mich so auf die Verfilmung gefreut. Meine Frau sagte zu mir hinterher: „Das ist immer so, wenn du das Buch kennst.“

Das ist was dran.

(1)
Alice Munro „Ferne Verabredungen“, Fischer Verlag GmbH, 2016, S.169 ff
(2)
Ebenda, S. 218

PRIMA BALLERINA ERWARTET IHR DRITTES KIND

Iana Salenko

MENSCHEN IM ALLTAG-2021.08.05

Einführung:
Ich habe mit Iana Salenko, der Prima Ballerina vom Staatsballett Berlin, in der zweiten Hälfte Juli gesprochen - in ihrem Haus in Berlin.

Wir sprachen darüber, wie es ihr aktuell geht, was sie besonders glücklich macht und welche Neuigkeiten es gibt.

„Wir erwarten Ende September ein Kind und sind überglücklich, dass unsere Familie größer wird.“

Was mich immer wieder an der Persönlichkeit von Iana fasziniert: Sie ist bodenständig, bescheiden und herzlich in unseren Begegnungen.
Sie antwortet spontan, und sie ist ehrlich.

Iana ist eine Frau mit viel Charisma, es fällt nicht schwer, sich von ihrer Persönlichkeit in den Bann ziehen zu lassen.

Das ist das Interview, das ich mit ihr am 20. 07.2021 geführt habe.

Iana, du machst einen sehr fröhlichen Eindruck auf mich. Täusche ich mich da, oder geht es dir tatsächlich so gut?
Nein, du täuscht dich nicht. Es geht mir prima, körperlich und mental.

In welchem Monat bist du schwanger?
Im siebenten Monat.

Also kommt das Kind im September?
Ja, Ende September, Anfang Oktober.

Wie sehr freust du dich auf das Kind?
Ich freue mich natürlich sehr.
Immer wenn ich Kinder umhertollen sehe oder meinen eigenen Kindern, Marley und William, zuschaue, dann freue ich mich noch mehr auf das dritte Kind.

Ich bin auch ruhiger, weil ich wieder in das gleiche Krankenhaus wie vor zwei Jahren gehe, die Ärzte kennen mich. Ich vertraue dem medizinischen Personal dort sehr.

Wird es dein letztes Kind sein?
Ich denke, es ist das letzte Kind, das ich zur Welt bringe.
Aber ich will mich natürlich nicht generell festlegen. Das Leben ist ja deshalb spannend, weil es nicht bis ins letzte Detail vorhersehbar ist.

Ich will ja auch wieder in meinen Beruf rein und möchte mich noch weiterentwickeln.

Außerdem bin ich in einem Alter, indem ich wahrscheinlich mit der Familienplanung allmählich abschließen sollte. Also ist das für den gegenwärtigen Zeitpunkt erst einmal das letzte geplante Kind.

Und trotzdem: Alles, was die Familie ausmacht, das macht schon sehr viel Spaß.

Iana, wir haben oft ein Interview geführt, wenn du schwanger warst. Ein Zufall sozusagen.
Ist das nicht ein positives Omen?
Ja, das war 2008, 2019 so. Und jetzt wieder. Das stimmt und ich freue mich, dass wir wieder miteinander sprechen können.

Danke, das Kompliment kann ich nur zurückgeben. Ich finde auch, dass du über die Jahre sehr viel lockerer geworden bist. Wie siehst du dich selbst?
Ich spreche die deutsche Sprache natürlich viel fließender, als es noch vor Jahren der Fall war.

Ich interessiere mich heute für die Philosophie der Kindererziehung, lese sehr viel, bin dadurch kommunikativer geworden. Alles zusammen, was hier hineinspielt hat mit dazu beigetragen, dass ich mich stärker geöffnet habe.

Ich denke ebenso an meine Kindheit zurück, überlege, was ich daraus an Positivem in die Erziehung meiner Kinder einfließen lassen kann und was ich an negativen Erlebnissen habe, die ich heute vermeiden will, wenn es um meine Kinder geht.

Woran denkst du da konkret?
Zum Beispiel, wie viel Freiraum ich meinen Kindern lasse und wann ich eingreifen will, also Grenzen setzen muss.

Wie geht es weiter, wenn das Kind da ist?
Ich bin nach der Geburt im Mutterschutz, ca. 8 Wochen und danach gehe ich zurück ins Ballett.

Und wer übernimmt dann die Versorgung und Betreuung der Kinder?
Diese Aufgabe teile ich mir mit Marian. Außerdem: Die ganze Familie steht bereit, um zu helfen – meine Mutter, Marians Mutter, die Tante. Wir haben sehr viele Familienmitglieder, die mich gern unterstützen wollen.

Marians Mutter ist dann in Rente, seine Tante ebenfalls und sie wollen auf jeden Fall helfen.

Meine Mutter möchte mich auch sehr gern unterstützen. Wir brauchen es nur zu sagen.
‚Ruft an, ich komme sofort‘, hat sie mir gesagt.

Bist du aktuell glücklich mit deiner Situation?
Ja, absolut. Allein die Tatsache, dass ich Kinder habe und noch eins dazukommt, das macht mich schon glücklich.

Meine letzte Schwangerschaft war sehr gefährlich, und so wusste ich nicht, ob ich noch einmal Kinder bekommen kann. Deshalb bin ich jetzt schon sehr froh, dass alles normal verläuft.

Was sagt Marian jetzt zu deiner dritten Schwangerschaft?
Er ist auch sehr glücklich und hilft, wo er kann. Er ist ein sehr guter Vater für unsere beiden Söhne, spielt mit ihnen. Sie haben Spaß zusammen, aber er kann ebenfalls streng sein, wenn es angebracht ist. Er ist liebevoll und streng zugleich.

Wenn alles gut läuft, dann könntest du ja im Dezember bereits wieder auftreten, oder?
Ich möchte so schnell wie möglich nach der Geburt meines Kindes wieder zurück an die Arbeit.

Ich bin bereit, wieder voll einzusteigen, aber ich will berücksichtigen, dass ich wahrscheinlich eine gewisse Zeit benötige, in der ich mich wieder an die Arbeit anpasse, an das Training und erst allmählich die Leistungen steigere.
Es braucht eben alles seine Zeit.

Iana, wie sehen für dich die nächsten Jahre aus, was stellst du dir vor?
Natürlich stehen die Kinder im Vordergrund, denn es macht ja viel Spaß, sie aufwachsen zu sehen.

Ich hoffe, dass ich entscheiden kann, was ich tanzen will.
Früher habe ich alle Aufträge angenommen, jede Gala, habe nicht auf meine Gesundheit geachtet.

Zwischen den Auftritten waren ja zusätzlich die Flüge, das Reisen überhaupt, und so war ich oft todmüde.
Das hat natürlich an meinem Körper gezerrt und es laugt dich dann ebenso mental aus.

Ich wollte immer mehr, ich war zum Teil wie im Rausch, und das geht nicht ein Berufsleben lang gut.

Jetzt möchte ich da mehr aussuchen, schauen, was am besten zu mir passt. Denn nur so kann ich zu Höchstleistungen gelangen. Das ist für das Staatsballett wichtig, für das Publikum und für mich selbst.
Ich möchte auf die Qualität achten und dann in weniger Vorstellungen mehr von meinem Können reingeben.

Wie lange willst du noch tanzen?
Mein Plan ist es, noch zehn Jahre zu tanzen.
Bis ich 50 Jahre alt bin, solange will ich noch aktiv sein. Klar, ich muss auf die Ernährung achten, gesund leben, damit ich die nötigen Leistungen abrufen kann.

Dabei spielt eine große Rolle, dass ich von Kindheitsbeinen an im Wettbewerb stand, schon an der Ballettschule in Donezk. Ich will gewinnen, ich will meine Ziele erreichen. Diese Haltung verfolgt mich schon mein ganzes Leben.

Dazu gehört, dass man bereit ist zu leiden, es gehören Schmerzen dazu. Und das erträgst du nur, wenn dein Kopf es will, dass du gewinnst.

Wie gehst du damit um, wenn du an deine Grenzen stößt?
Zunächst will ich bis an meine Grenzen kommen, sie austesten und möglichst noch überschreiten.

Aber ich möchte nicht ohne Rücksicht auf Verluste meine Ziele erreichen.
Wenn es absolut nicht geht, dann akzeptiere ich das.

Hat die Tatsache, dass du Kinder hast, jetzt ein drittes bekommst mit dazu geführt, dass du dich vielleicht mehr zurücknimmst?
Ja, schon. Man überlegt mehr, wo es sich lohnt, die Kräfte einzusetzen. Ich möchte mein Leben nicht nur dafür opfern, zu gewinnen, zu kämpfen, Geld zu verdienen.
Ich denke, das Leben hält mehr bereit.

Was zum Beispiel?
Früher bin ich von einem Termin zum nächsten gehastet. Jetzt arbeite ich ebenfalls hart, aber ich bin mehr bereit, das Erreichte zu genießen.

In den vergangenen Zeiten da kam es vor, dass ich einen Preis gewann und ihn nicht würdigen konnte, sondern ich wollte sofort zum nächsten Wettbewerb eilen, um noch mehr zu erreichen.

Meine Eltern haben mir manchmal gesagt, ich solle mich noch mehr anstrengen, um weitere Erfolge zu haben. Aber das ist verständlich, weil sie für mich das Beste wollten, dachten, ich müsste meine Zeit nutzen. Nur die Zeit, die Lebenszeit verstreicht dabei ebenso und das ist unwiederbringlich.

Was haben in deinem Leben deine Eltern für eine Erwartungshaltung an dich aufgebaut und wie siehst du das heute?
Bei meiner Mutter durfte ich vieles nicht. Sie fragte, warum ich etwas Bestimmtes so gemacht habe und nicht so, wie es sich meine Mutter vorstellte.

‚Du musst es so machen‘, hat sie mir in solchen Momenten gesagt.
Das war für mich ein großer Druck, der von ihr ausging.

Mein Vater hat mich zwar unterstützt, aber er hat oft gesagt: ‚Dein Bruder Jaroslaw ist besser als du.‘

Das demotiviert dich mit der Zeit. Vielleicht hat es aber auch geholfen, dass er das zu mir gesagt hat, um mich nach vorn zu treiben. Aber eine wirkliche anhaltende Motivation war das für mich nicht.

Meine Oma hat eine große Rolle in meiner Kindheit gespielt. Das ist bis heute in meinem Denken und Fühlen so.  Sie war gelassener.

Sie hat mich machen lassen, was ich machen wollte. Und was ich nicht wollte, das habe ich eben nicht gemacht. Sie gab mir das Gefühl frei zu sein. Das ist der beste Weg, um sich zu entfalten.

Was war das Schönste daran, dass du viel auf dem Dorf bei deiner Oma warst?
Ich war allein dort, kein Bruder war mit. Ich konnte im Baum sitzen, mir die Knie beim Runterspringen aufschlagen, frei herumtoben.

Für meine Mutter war es ja schwer, weil wir fünf Kinder zuhause waren. Ich war die kleinste und ein Mädchen. Die anderen waren alle Jungs und jeder in einem anderen Alter.

Das war schon schwierig für meine Mutter, das alles zusammenzuhalten. Und deshalb bin ich eben gern zwischendurch mal bei meiner Oma gewesen und für meine Mutter war dies ebenfalls eine Unterstützung, die meine Oma ihr gab.

Meine Oma war das Beste, was mir in meiner Entwicklung passieren konnte. Sie hat nie viel gesagt.
Aber sie war fröhlich, hat mir meine Wünsche von den Augen abgelesen.

Ich war dort einfach glücklich und konnte mich selbst entwickeln.
Es ist schon gut, wenn sich dein Kind ausprobieren kann und nicht gleich in die Schranken gewiesen wird.

Würdest du den Weg, den du als Kind und Jugendliche gegangen bist noch einmal gehen?
Ich wollte damals aus der Familie raus, wollte für mich sein. Das war ein wichtiger Beweggrund, warum ich so früh in der Ballettschule in Donezk angefangen habe.

Ich wollte einfach weg von meinem Zuhause und das war eine Möglichkeit, mit 12 Jahren rauszukommen aus der Familie, frühzeitig meinen Weg zu gehen. Ich denke, meine Kinder haben hier bei uns zuhause viel bessere Bedingungen, sodass man das nicht so vergleichen kann.

Welche Schlussfolgerungen ziehst du daraus für die Erziehung deiner Kinder?
Grundsätzlich kann ich viel Positives aus meiner Erziehung weitergeben.

Ich habe einen Beruf gelernt, den der Tänzerin, ich hatte ein gutes Elternhaus, die fürsorglich für mich waren. Aber ich mache das heute mit meinen Kindern mehr spielerisch, zum Beispiel bei Marley.
Er dreht gern Videos und ich mache ihm Mut, stärke ihn, dranzubleiben.

Dazu gehört auch, dass ich sage, wenn ich entdecke, dass ein Kind sich noch mehr entwickeln kann und vielleicht sogar schon mal weiter war.

Das ist stets eine Frage des Ausbalancierens und das Ganze ist verbunden mit der Liebe der Eltern zu ihrem Kind.

Was machst du, wenn du dich mal zurückziehen willst?
Ich schlafe dann und danach sehe ich die Welt schon wieder mit anderen Augen.

Manchmal ist mir etwas zu viel. Marian war an Covid-19 erkrankt, Marley kommt allmählich in die Pubertät und dann noch das Kleinkind, da gab es Phasen, wo ich mich zurückziehen wollte.

Nach dem Schlafen ist es besser für mich, ich bin dann wieder positiv drauf.

Was magst du an Marian besonders?
Er ist ein Familienmensch, ist für mich da, hilft mir, kann sich zurücknehmen.

Das ist für mich ganz besonders wertvoll in unserer Beziehung.
Wir haben 2005 geheiratet und unsere Liebe hat Bestand.

Wie geht Ihr mit Konflikten in dieser Zeit um?
Meine Erfahrung ist, dass ich in Konfliktsituationen loslasse.
Marian kämpft noch mit den Langzeitwirkungen aus seiner Covid-19-Erkrankung.

Das hindert ihn daran, aktuell richtig durchzustarten, sich wieder voll auf seine berufliche Karriere zu konzentrieren.

Er kämpft mit seinen Zweifeln, Träumen, Ängsten und daraus entstehen schon mal stressige Gespräche. Aber das ist es ja auch, was das Leben spannend macht.

Niemand kann ja ernsthaft von sich behaupten, dass er ohne Widersprüche und Konflikte durch das Leben kommt.

Sie sind ja gerade oft die eigentlichen Treiber dafür, dass man weiter vorangeht seinen Weg findet.

Kurzum, Konflikte gehören zum Leben einfach dazu, wir reden sie nicht herbei, aber wir gehen mit ihnen um und letztlich stärkt das unsere Liebe.

Bist du ein glücklicher Mensch?
Ja, bin ich. Ich liebe meinen Mann, meine Kinder, was für ein größeres Glück könnte man haben?
Ich bin natürlich auch stolz auf das, was ich erreicht habe.

Iana, ich wünsche dir alles Gute für dich und deine Gesundheit und das alles gut verläuft mit der Geburt.

 

WAS GLÜCK IM ALLTAG IST – DARÜBER KÖNNEN DIE MEINUNGEN SCHON AUSEINANDERGEHEN

ALLTÄGLICHES-2021.08.04

‚Mein Haus, mein Pferd, mein Auto‘ – manchmal denkst du, dass dies nur übertriebene Werbung sein kann, dass es so etwas nicht gibt, schon gar nicht unter Menschen, die du geglaubt hast, zu kennen.

Das Telefon klingelte. Ich war nicht gewillt, mich jetzt von einem Anrufer ablenken zu lassen.

Trotzdem war ich neugierig und schaute deshalb auf das Display. Es war eine Nummer von der Ostsee.

War etwas passiert mit Klaras Mutter, rief die Einrichtung des Betreuten Wohnens an?

Das konnte nicht sein, denn die Vorwahl war eine andere.
Ich war neugierig geworden und drückte auf die grüne Taste des Telefons.

„Hallo Uwe, hier ist der Dieter“, ertönte eine sonore Stimme

„Dieter, welcher Dieter?“ Ich wusste nicht, wer das sein sollte.

Plötzlich schoss es mir durch den Kopf. Die wohlgesetzte Betonung der deutlich artikulierten Worte, das richtige Einhalten von Pausen. Das konnte nur einer sein.

„Bist du es Dieter, der jetzt an der Ostsee wohnt?“
Ich kam mir blöd vor, so zu fragen, aber Dieter verstand mich.
„Ja, der bin ich.“

Ich hatte Dieter bestimmt zehn Jahre nicht gesehen und nichts gehört von ihm.

Wir waren damals befreundet, hatten gemeinsame Coachingsseminare abgehalten.

Dieter wollte in der Zeit unbedingt eine Immobilie erwerben, zur Kapitalanlage, und ich sollte ihm dabei helfen.
Und zwar dort, wo ich wohnte.

Ich hatte gar keine Lust dazu, weil ich wusste, was es bedeutete, Dieter zu helfen.

Er war anspruchsvoll, verliebt in Details und konnte dich damit nerven.

Trotzdem, ich half ihm, lud sogar den Bauträger zum Abendessen ein, um über den Verkaufspreis zu verhandeln und einen ordentlichen Rabatt zu erkämpfen.

Das alles ist mir gelungen und ich war mächtig stolz darauf, dass ich meinem Freund helfen konnte.

Die Jahre vergingen, wir verloren uns aus den Augen.
Zwischendurch rief Dieter mich noch einmal an.
„Ich habe mir noch eine Eigentumswohnung an der Ostsee gekauft, in die ich auch selbst eingezogen bin“, sagte er zu mir und erwartete mein Staunen.

„Wow!“, stieß ich aus, mehr pflichtgemäß, weil ich wusste, dass Dieter das von mir erwartete

„Dieser freie Blick auf das Wasser, du glaubst nicht, wie phantastisch das ist“, schob er noch nach.

Er wollte, dass ich erneut meine Wertschätzung für so viel Glück ausdrückte.

Doch ich hatte nicht mehr die Nerven an diesem Tag, vor vielen Jahren, denn ich war gerade nach Hause gekommen, nach einem zwölf Stunden Tag, vollgestopft mit Meetings und teils nutzlosen, aber nervenaufreibenden Diskussionen über die richtige Strategie in der Steuerung eines internationalen Projektes.

Dieter sagte mir noch, dass er sich nun auf die Rente vorbereiten würde. Er wollte sich ein ganzes Netzwerk aus Kunden erarbeiten, die er dann später coachen wollte.

Wie gesagt, das ist lange her und die Jahre waren vergangen.
Ich hörte nichts mehr von Dieter.

Bis auf den Anruf in der vergangenen Woche.
„Ich habe das Haus verkauft und wollte dir das nur mitteilen“, sagte er.

„Donnerwetter, gratuliere! Für wieviel hast du es denn verkauft?“, fragte ich ihn.

„Darüber möchte ich nicht sprechen.“

„Aber ich habe dir doch geholfen, die Immobilie für einen ordentlichen Preis zu erwerben, da wäre es schon interessant, den Verkaufserlös zu erfahren“, ließ ich nicht locker.

„Bitte versteh`, wenn ich darüber nicht reden möchte“, sagte er.
Ich verstand es nicht, bohrte aber nicht weiter nach.

„Und, wie geht es dir sonst?“, lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung.

„Ach, ich habe meine Wohnung an der Ostsee auch verkauft und mir ein lebenslanges Wohnrecht gesichert.“

„Donnerwetter, musstest du ein zusätzliches Bankkonto eröffnen oder einen zusätzlichen Safe anmieten?“, versuchte ich zu scherzen.
Aber Dieter scherzte nicht.

Nicht, wenn es darum ging, seine großartigen Erfolge kundzutun.
Er sprach dann ganz besonders ausdrucksvoll, bedacht auf die Wirkung jedes einzelnen Wortes.

„Nein, stell‘ dir nur einmal den Blick auf die Ostsee vor. Kannst du dir ihn vorstellen?“

Ich merkte, wie in mir langsam Puls anschwoll.

„Dieter, möglicherweise ist dir entgangen, dass ich mich in meiner Zeit nach dem Abitur im ersten Studium mit dem Fach Schiffsmaschinenbetrieb beschäftigt habe und zur See gefahren bin. Also auch, wenn ich oft im Maschinenraum war, so bin ich doch ab und zu an Deck gegangen, um auf das weite Meer zu schauen.“

„Ja, natürlich“, entgegnete er, obwohl er das nun gar nicht von mir hören wollte.

Dieter wollte einfach nur, dass ich staunte, selbst nach so vielen Jahren.

„Was machst du denn jetzt? Wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe, so wolltest du doch jetzt richtig Geld verdienen, mit dem Coaching loslegen, oder?“.

Ich wollte Dieter herauslocken und sehen, ob er sich selbst gegenüber Wort gehalten hatte.

„Nein, ich muss doch nun meine Hobbies ausleben.“
„Was meinst du?“

„Nun, ich schwebe mit meinem Mercedes über die Autobahn und genieße es, diesen Luxus zu haben.“

„Hm“, gab ich von mir.
„Und dann war ich erst kürzlich mit einem Wohnmobil im Urlaub. Einem Mercedes-Wohnwagen.

Du glaubst nicht, was das für einen Spaß gemacht hat. Allein, die Dusche, getrenntes WC, einfach Luxus pur.“

Warum erzählte Dieter mir das alles?
Glaubte er, ich würde ihm dieses Leben neiden oder vielleicht traurig sein, weil ich nicht mit einem Luxus-Wohnmobil in den Urlaub fuhr?

„Dieter, wer wird da nicht schwach, wenn er solche Möglichkeiten hat. Aber was ist mit deiner Familie? Hast du geheiratet, oder bist du mit jemandem zusammen?“

Dieter antwortete nicht, er ging darauf nicht ein.

Ich wusste, dass er stets davon gesprochen hatte, die einzig Richtige für sich zu finden und dafür zu warten.

Doch offensichtlich hatte das nicht geklappt.
Das alles war nicht schlimm, schließlich war es sein Leben.

Aber warum schob er seine vermeintlichen materiellen Vorteile so in den Vordergrund?

Ich würde es nicht klären können, und ich wollte das auch nicht.

Wir sprachen noch kurze Zeit über Belangloses und verabschiedeten uns dann.

Ich wollte ihm noch sagen, dass ich ziemlich glücklich war mit dem, was ich hatte.
Wie ich mich zu Krümel freute, wie Klara und ich gern an die Ostsee fuhren, unser beider Heimat. Wieviel Spaß mir die Arbeit machte.

Aber: Würde ich dann nicht in die gleiche Kerbe hauen, wie es Dieter gerade getan hatte?

Ich ließ es also sein, beglückwünschte ihn zu all seinen Errungenschaften und wünschte ihm alles Gute für den weiteren Weg.

„Was war?“, fragte Klara mich, nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte.

„Ach nichts“, sagte ich.
„Mir ist eben nur wieder klar geworden: Du musst nicht alles haben, aber du solltest das Richtige haben.“

Dieter glaubt das von sich und ich glaube das von mir auch.

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DER MONTAG IM TELEGRAMM-STIL

ALLTÄGLICHES-2021.08.03

Ich bin gegen 03.10 Uhr aufgewacht. Sollte ich mich wieder hinlegen?

Nein, ich wollte ja schon gegen vier Uhr losfahren. Meine Frau schüttelte darüber nur mit dem Kopf.

Aber ich blieb bei meinem Vorhaben. Ich wollte möglichst schon 05.00 Uhr früh auf dem Laufband stehen und mit dem Training beginnen.

Denn dann war es noch leer im Studio. Fast leer jedenfalls.
Irgendeiner war immer an den Geräten.

Ich überwand mich also, schwang die Beine aus dem Bett und fuhr pünktlich los.

Es war still, als ich die Umgehungsstraße im Wald hochfuhr, mich mit dem Jeep durch die Vertiefungen im Sand kämpfte. Vor mir blitzten zwei Augen auf. War das ein Fuchs oder ein Dachs?

Ich konnte es nicht erkennen und war froh, dass der schnell über den Weg huschte.

Tiefgarage. Ich nahm die Tasche heraus und ging schwungvoll die beiden Stockwerke nach oben.

Als ich oben ankam, da war ich das erste Mal schon kaputt.
Ich schleppte mich erst einmal zur Bank und ließ mich darauf fallen.

Ich keuchte und war schon völlig fertig. Wie sollte das nur dreißig Minuten auf dem Laufband werden?

Aber es wurde.

Ich baute sogar Steigungen ein, erhöhte die Geschwindigkeit des Laufbandes, immer für eine Minute.
Ich schnaufte und tat mir selbst unendlich leid.

Keiner sah, wie heldenhaft ich hier kämpfte. Nur die kleine Reinemachfrau stieß mit ihrem Staubsauger gegen das Band.

Ich riss mich zusammen, straffte meinen Körper, versuchte den Bauch weiter einzuziehen und so zu tun, als wäre ich der ‚Ironman‘ bei seinem Training für Hawai.

Viel später, am zehnten oder elften Gerät, da rief mir jemand entgegen: „Hallo mein Freund, wie geht es dir?“

Es war mein türkischer Trainingskollege, mit dem ich mich schon ein wenig angefreundet hatte.

„Du hast noch alles vor dir, aber ich bin gleich fertig“, rief ich zurück.
Er lachte und winkte im Vorbeigehen.

Endlich. Ich war wieder draußen. Ich setzte mich noch einmal auf die Bank. Diese Minuten genoss ich, wenn ich beobachten konnte, wie die Menschen ankamen und in das gegenüberliegende Bürogebäude hasteten.

Ich war froh, dass ich das nicht mehr musste.
Zuhause wartete auf mich zwar auch ein Interview, das mal wieder unbedingt fertiggestellt werden musste, aber zuerst würde ich mal frühstücken und die Berliner Zeitung auf dem iPad lesen.

Klara hatte ihren Homeoffice-Tag. Das Frühstück war deshalb schon fertig, als ich ankam.

Sie war schon wieder nach oben in ihr Zimmer gegangen, um weiterzuarbeiten.

Ich saß noch im Sessel und las einen Artikel, in dem Wilhelmshaven mit ‚f‘ geschrieben war.

Ich freute mich, dass sogar der Zeitung solche Fehler unterliefen.
Die Augen fielen mir zu und mein Kopf sank nach hinten weg.

Erst dadurch, dass ich mich nicht anlehnen konnte, schrak ich wieder hoch und rieb mir die Augen.
Ich sollte mal überlegen, ob es morgens nicht reicht, wenn ich eine Stunde später losfahren würde.

 

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