Archiv der Kategorie: UWE MÜLLER ERZÄHLT

Der Autor erzählt über den Alltag – in Form von Essays, Kolumnen, Interviews, Geschichten.

VERZEIHEN BRAUCHT MEHR KRAFT ALS HASSEN

 

BIBEL-2021.10.18

#FASZINATION BIBEL
„Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen vergebt, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben.
Wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euch euer Vater eure Verfehlungen auch nicht vergeben.“
Matthäus 6, 14-15

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BIBELSPRUCH AM SONNTAG FÜR DEN ALLTAG

Bibel

BIBEL-2021.10.17

„Wer Klugheit erwirbt, liebt sein Leben; und der Verständige findet Gutes.“
Sprüche, 19,8

Meine Sicht:
Das Leben annehmen, wie es ist und in ihm das Schöne sehen.

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WER SEID IHR UND WAS WOLLT IHR HIER?

MEIN FREUND, DER ALLTAG-2021.10.15

VON DEM WILLEN UND DER LUST, BIS ZUM SCHLUSS SEINES LEBENS KREATIV ZU SEIN

Donnerstagabend. Wir mochten nicht die üblichen Fernsehberichte anschauen, die immer wiederkehrenden Bilder von den Sondierungsgesprächen sehen, durchsetzt von Statements, wie es nun mit der CDU weitergehen würde.

„Ich habe im Programm einen Bericht über eine Seniorenresidenz in Los Angelas entdeckt, in der wohl ausschließlich Filmschaffende und Autoren leben.

„Wollen wir uns das mal anschauen?“, fragte ich meine Frau.

„Ja gut, können wir machen“, antwortete sie, was lustloser nicht klingen konnte.

„Wir können sie uns schon aus der Mediathek holen“, sagte ich noch.

Klara nickte und ich begab mich mit der Fernbedienung auf die Suche.

Als ich den Beitrag gefunden hatte, da klickte ich darauf und sofort konnten wir in die sonnige Residenz eintauchen.

Überall Blumen, gepflegte Beete, gemähte Rasenflächen, ein Gärtner, der morgens die Pflanzen goss.

Auf dem Weg kam ein Senior im Rollator entlanggefahren und winkte.

„Wow, da möchte ich meine Rente auch verbringen!“, staunte ich.

„Hm“, kam es von Klara.

Sie schien weniger begeistert.

„Wir müssen das nicht bis zum Schluss gucken“, sagte ich zu ihr.

Sie nickte. Als klar war, dass ich jederzeit auf den Knopf drücken durfte, blieben wir weiter an dem Beitrag dran.

In einem Raum, in dem ein Flipchart stand, und auf dem ein Dozent etwas niederschrieb, saßen Frauen und Männer, die ihm dabei gebannt zuschauten und zuhörten.

Es war ein Seminar über das kreative Schreiben oder das ‚Creative Writing‘, wie es im Original hieß.

Jetzt wurde ich munter und setzte mich gerade auf die Couch, auf der ich noch kurz zuvor lustlos abgehangen hatte.

Alle Seniorinnen und Senioren waren wohl nicht jünger als 80 Jahre, und das waren die schon die jüngeren Semester unter ihnen.

Eine ehemalige Schauspielerin sprach vor der Kamera, die bereits über 100 Jahre alt war.

„Ich kriege hier so viel Inspirationen, warum das Leben immer noch schön ist, weshalb es sich lohnt, über das zu schreiben, was mich hier umgibt“, sagte sie.

Und ein Mann aus der gleichen Runde: „„Ich werde wohl über meiner Tastatur sterben.“

Er hatte ebenfalls die einhundert Jahre Lebensalter überschritten.

Im Szenenwechsel sah man ihn an seinem Computer sitzen, sah ihn beim Schreiben kämpfen – mit sich und mit seinen zwei Fingern, die über die Buchstaben auf der Tastatur zitternd hin- und her huschten.

„Verflucht, warum gehen hier jetzt schon wieder Fenster im Computer auf, wo ich doch noch nur hier draufgedrückt habe“, hörte man ihn sagen.

Zurück zum Seminar.

„Warum schreibst du noch?“, fragte der Dozent einen der Teilnehmer.

„Solange ich schreibe, lebe ich. Und wenn ich lebe, dann schreibe ich auf, was um mich herum passiert. Es ist herrlich, durch das Schreiben sein eigenes Leben noch lebenswert zu finden.“

„Donnerwetter, das hätte ich nicht gedacht, dass ich so etwas Spannendes sehe. Ich dachte, die zeigen uns nur, wie luxuriös die alle dort in der Residenz wohnen“, sagte ich zu Klara.

„Ich bin mit meiner Frau dabei, ein Buch darüber zu schreiben, wie man über 60 Jahre miteinander verheiratet sein kann, ohne sich umzubringen“, sagte ein weiterer Teilnehmer.

Seine Frau war fast blind. Und trotzdem sprach sie auf ein Band, was danach in den Computer getippt werden sollte. Die Buchstaben auf dem Bildschirm waren riesengroß, aber das schien alles nur Nebensache zu sein. Hauptsache war, man konnte schreiben, diskutieren, lachen.

Was in den Berichten und den gezeigten Interviews auffiel: Alle hatten einen guten Humor, obwohl es keinen gab, der nicht mit seinem körperlichen Zerfall zu tun hatte.

„Willst du uns etwas zu Beginn sagen?“, fragte einer der Dozenten einen Regisseur, der sich kaum auf den Beinen halten konnte.

„Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“, fragte der wiederum scherzhaft in die Runde, nachdem er sich mühsam von seinem Platz erhoben hatte.

Er schien mit einem Augenzwinkern den Eindruck vermitteln zu wollen, als sei er bereits dement und würde keinen erkennen.

Dabei hatte er gerade einen Film fertiggestellt, gemeinsam mit einigen Bewohnern, und wollte den nun zur Premiere vor dem Publikum vorführen.

Nach knapp 90 Minuten war die Dokumentation vorüber.

Ich war begeistert, von einem derartigen Lebensmut, einer Kreativität und dem Willen, das Leben bis zum Schluss zu genießen.

Und noch etwas war für mich wichtig zu sehen. Obwohl es sich in dem Beitrag offensichtlich vor allem um betuchte Seniorinnen und Senioren handelte, schien es nicht das zu sein, was sie strahlen ließ.

Ihr eigentlicher Reichtum kam von innen – von der Lust auf das Schreiben, auf den Austausch mit anderen im Seminar, einfach davon, weiter das Leben aktiv zu beobachten, daran teilzuhaben.

 

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‚LEINEN LOS‘ – ANNAS NEUES ZUHAUSE IM BETREUTEN WOHNEN

ANNA-2021.10.15

Rückblick: 
Peter und Klara haben Anna in der Kurzzeitpflege für einige Tage untergebracht.
Sie waren erleichtert, dass alles reibungslos und ohne größeren Widerstand von Anna geklappt hatte.

Peter und Klara waren wieder in Annas Wohnung angekommen. Es war komisch, dass Anna nicht mehr da war.

Aber Lukas ließ ihnen keine Zeit, groß darüber nachzudenken.
Die Schränke warteten darauf, auseinander gebaut zu werden. Ein Teil der Anbauwand sollte wieder in Annas Zimmer im ‚Betreuten Wohnen‘ aufgestellt werden.

„Ich werde verrückt“, sagte Klara, nachdem sie alle Kleidungsstücke auf das Bett geworfen hatte.

Blusen, Röcke, Kleider, Hosenanzüge, Kostüme stapelten sich auf dem Bett.

„Ich könnte heulen, wie soll ich hier zwischendurch finden?“, beklagte sie sich.

„Wir machen es so, wie auf dem Londoner Flughafen, als es zu einem Chaos wegen des Gepäcks kam. Da wurde alles nach Italien geflogen, dort sortiert und anschließend geordnet zurücktransportiert“, schlug Peter vor.

„Auf so eine blöde Idee kannst auch nur du kommen“, antwortete Klara.
Peter reagierte nicht, sondern schnappte sich einen Packen von den Kleidern und schleppte sie einfach ins Wohnzimmer. Nach und nach wurde der Haufen auf Annas Bett im Schlafzimmer kleiner und gleichzeitig wuchs er im Wohnzimmer an.

Peter trug nun die Sachen, einzeln und schon vorsortiert nach Hosenanzügen oder Kleidern zu Klara ins Schlafzimmer zurück.
Sie hatte eingesehen, dass Peters Idee doch nicht so schlecht war.
Montagfrüh.

Die Umzugsfirma kam und transportierte die ersten Möbel aus der Wohnung, um sie anschließend wieder im ‚Betreuten Wohnen‘ auszuladen.

Lukas und Peter schwitzten den ganzen Tag, bis sie alles an ihrem Platz hatten- ein Teil der Anbauwand stand links von der Tür. An der hinteren Wand hatten sie den Schlafzimmerschrank aufgebaut, wieder nur einen Teil, den aber mit Türen aus Spiegelglas versehen.

Es sah gut aus, und als Klara noch die Bilder an die Wand hängte und die Anbauwand mit Annas Sachen dekorierte, da kam Gemütlichkeit im Zimmer auf.

Ein paar Tage später war es so weit. Klara und Peter holten Anna aus der Kurzzeitpflege ab.
„Ach, ich freue mich so, dass ich wieder nach Hause komme“, sagte Anna.

Klara und Peter schwiegen.
Was würde wohl Anna sagen, wenn sie nicht vor ihrem Haus hielten, sondern in der Einrichtung am Strelasund?

„Du fährst in die falsche Richtung“, riss Klara Peter aus seinen Gedanken.

„Wieso? Hier geht’s doch zu Annas Wohnung“, sagte Peter.
Und im selben Moment fiel ihm ein, dass es genau in die entgegengesetzte Fahrtrichtung gehen musste.

Er wendete das Auto und sagte zu Klara: „Sorry, meine Schuld.“
„Was ist deine Schuld?“, fragte Anna.
„Ach nichts, ich habe nur nicht daran gedacht, dass wir einen Umweg fahren müssen.“

Peter lag dabei nicht einmal falsch, denn Annas neues Zuhause befand sich ja tatsächlich ein Stückchen weiter vom Stadtinneren entfernt.

Sie näherten sich dem Tor, das nur mit einem Code geöffnet werden konnte. Es stand offen, weil gerade ein Auto der Tagespflege durchgefahren war.

Klara und Peter schwiegen, sie waren angespannt.
„Wie geht es der Kleinen?“, fragte Anna nun.

„Ach, die ist so niedlich“, sagte Peter erleichtert und erzählte ihr, wie gern er mit Krümel auf dem Fußboden im Wohnzimmer saß und mit ihr gemeinsam mit den Autos spielte.

Anna war angetan, lachte und hörte gespannt zu, was Peter ihr erzählte.

So sehr es Klara nervte, wenn er ihr morgens die neuesten Wertungen der Politik versuchte nahezubringen. In dem Moment war sie ihm dankbar, dass er Anna mit seinen Worten fesseln konnte.

Sie hatten das Haus ‚Sörensen‘ endgültig erreicht.
Sie stiegen in den Fahrstuhl, fuhren in den 5. Stock und wurden von der Schwester freundlich begrüsst.

Anna war still und ließ alles über sich ergehen.
„Wir wollen uns erst einmal das Zimmer ansehen“, sagte Klara.
„Welches Zimmer?“, fragte Anna sofort nach.
„Mutti, du musst mal ein paar Tage hier zur Beobachtung bleiben“, sagte Klara zu ihr.

„Wer sagt das?“
„Dr. Silberfisch.“
„Der spinnt ja wohl!“, entgegnete Anna entrüstet.
„Sollen wir ihm das so übermitteln?“, fragte Peter und Klara stieß ihm von hinten ihre Hand in seinen Rücken.
„Na, das muss man ja wohl nicht machen“, sagte Anna.

„Und wer hat hier eigentlich meine Möbel reingebracht?“, fragte Anna.
„Das waren wir. Und wir haben auch deine Fotoalben mitgebracht“, sagte Peter weiter.
„Wollen wir uns die mal anschauen?“
„Die kenn‘ ich ja“, antwortete Anna trotzig.

„Guck mal hier. Was steht denn da?“
Anna schaute auf die Fotos in der ersten Seite und auf das, was sie danebengeschrieben hatte.

Das machte Anna vor Jahren mit großer Leidenschaft, die Bilder einkleben und notieren, wo sie gerade waren, ob der Kapitän des Schiffes einen Empfang gegeben hatte oder wie weit Petersburg von Rostock entfernt war.

„Leinen los“, rief Anna plötzlich mit einer fröhlichen Energie, dass Peter das Album vor Schreck fast von seinem Knie rutschte.
Anna und Peter waren beide in das Album vertieft.

Sie steuerten in ihrer Phantasie die offene See an, eine neue Welt, die Anna nun kennenlernen würde, während Klara Annas Taschen mit den Sachen auspackte und in den Schränken verstaute.

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SCHREIB‘ UND DU KOMMST BESSER HINTER DEN SINN IN DEINEM ALLTAGSLEBEN

ALLTÄGLICHES-2021.10.13

Schreiben kostet Überwindung, Energie, um durchzuhalten und ans Ziel zu gelangen - aber es lohnt sich für dich.
Schreiben strukturiert nicht nur deinen Alltag. Nein. Es bringt dich zugleich dorthin, wo du ganz persönlich den Sinn in deinem Leben siehst.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht darüber nachdenke, warum ich schreibe und worüber ich schreibe.

‚Klar, ist doch dein Beruf‘, wird jemand sagen, der mich kennt.
‚Tu‘ doch nicht so, es ist doch auch etwas, was du sehr gern magst, das Schreiben nämlich.‘

Das stimmt irgendwie und es stimmt irgendwie doch nicht.
Du musst dich ja trotzdem überwinden, enorme Energie aufbringen, um anzufangen und vor allem die Kraft entfachen, die dich bis zum Schluss durchhalten lässt.

Das klingt alles ein wenig nach jammern und ist es sicher auch.
Aber die interessantere Frage, die dahintersteckt, ist die: ‚Warum glaube ich an das, was ich tue, warum macht es mir trotzdem Spass, selbst wenn ich dafür enorme Anstrengungen unternehme, um zum Ziel zu gelangen?‘

Zunächst: Nur das, was dich Überwindung kostet, wozu du deine ganzen physischen und geistigen Fähigkeiten benötigst, um am Ziel anzukommem, das bleibt dir im Gedächtnis und im Herzen. Und es ist letztlich der Treibstoff, den du brauchst, um wieder von vorn zu beginnen.

Vom Selbstgespräch zum Aufschreiben

Schreiben hat für mich zur gleichen Zeit einen Selbstzweck, eine innere Funktion, die im Grunde noch bedeutender ist als die, die nach aussen sichtbar wird.

Es ist doch so: Wir führen jeden Tag unzählige Selbstgespräche. Manchmal rede ich sogar laut und meine Frau fragt dann, was ich gesagt hätte.

„Ach nichts!“, antworte ich in so einem Fall, weil ich nicht erklären will, aus welcher Motivation heraus ich etwas zu mir selbst gesagt habe.

„Du wirst alt“, sagt meine Frau in solchen Momenten. Und ich? Ja, ich sehe mich vor meinem geistigen Auge sabbernd und brabbelnd durch die Wohnung laufen. Der Gedanke lässt mich so erschaudern, dass ich die Selbstgespräche einstelle.

Aber können wir das überhaupt, die Gespräche mit uns selbst einstellen? Natürlich nicht. Wir würden nicht mehr leben.
Wir reden ununterbrochen mit uns selbst.

„Mist, du musst noch den Termin für den Reifenwechsel machen. Heute will ich unbedingt die E-Mail schreiben, die ich bereits in der vergangenen Woche rausschicken wollte.“

Oder du wachst morgens auf und weißt nicht, wo du bist, was für ein Tag auf dich zukommt.

Du hoffst, dass es der Sonntag ist. Aber Sonntag war, du fühlst dich nur, als wärst du noch im Sonntagsrausch, mit dem Liegenbleiben und dem Umdrehen im Bett, das Kissen zurechtknüllen und wieder sanft weiterschlafen.

Aber nein: „Verflucht, es ist Montag, die ganze verdammte Woche ist noch vor dir. Wie sollst du den Tag überstehen“, kommt dir in den Sinn.

Am liebsten würdest du den gesamten Denk- und Sprechapparat abstellen und gar nichts mehr fühlen.
Wäre das so, dann wärst du wahrscheinlich schon tot.

Also doch lieber aufstehen, den Automatismus der Tagesroutine abspulen.

Das Schreiben hilft mir dabei, dem Leben im Alltag einen Sinn zu geben.

Indem ich aufschreibe, was mir am Tag bevorsteht, wirkt das Ganze schon nicht mehr so grau und ich kann vor allem festlegen, was ich alles auf den nächsten Tag verschieben kann.

Das macht schon mal einen riesigen Spaß. Aber dazu musst du wenigstens einen Zettel und einen Bleistift zur Hand nehmen.
Schreiben ist nun mal zuallererst strukturiertes Denken.

Klingt ein wenig abstrakt. Ist es auch. Aber im positiven Sinne. Du abstrahierst nämlich ein Stück weit von den Zufällen des Tages, die dich also sprichwörtlich überfallen, ohne dass du sie vorhersiehst.

Manchmal sagt mir jemand: „Ich kann meinen Tag nicht schriftlich planen, weil es ohnehin anders kommt.“

Das ist sicher wahr und jeder von uns kennt das. Aber musst du deshalb nicht erst recht deinen Tag fest im Blick haben, um wenigstens die allerwichtigsten Dinge zu erledigen?
Wie dem auch sei.

Schreiben vermittelt dir das Gefühl zu leben, deinem Alltag einen Sinn zu geben.

Mir geht es weniger um den Sinn des Lebens. Dahinter werde ich wohl nicht mehr kommen. Nein, mir geht es darum, einen Sinn in meinen ganz konkreten Alltag zu bringen.

Diesen Alltagssinn zu finden, das gelingt dir am besten, indem du schreibst, was dir ganz persönlich in deinen Sinn kommt.

Ich schreibe manchmal mit dem Füllhalter morgens auf ein Blatt Papier, das schon von einer Seite beschrieben ist. Das gibt mir das Gefühl, dass ich nicht ganz von vorn anfangen muss.

Oder ich tippe mit zwei Fingern auf dem Tableau des iPads herum, so wie jetzt. Ganz selten tippe ich auf der Tastatur, und dass, obwohl ich blind mit zehn Fingern schreiben kann.

Das ist bei jedem anders und darauf kommt es auch nicht an. Wichtig ist, dass du schreibst, weil du lebst, weil du einfach mehr Sinn in dein Alltagsleben bringen kannst.

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2021: https://uwemuellererzaehlt.de/mein-freund-der-alltag/alltaegliches-2021/

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FASZINATION BIBEL FÜR DEINEN ALLTAG

MENSCHEN IM ALLTAG-2021.10.10

Sir 13, 30 
Reichtum ist nur dann gut, wenn keine Sünde an ihm klebt, und allein der Gottlose nennt die Armen böse. 

Bibel

WAS MAN NOCH DARAUS LESEN KANN:
Reichtum kann viel Gutes bewirken – sozial, mental, wirtschaftlich, persönlich.
Vorausgesetzt: Er ist die Folge von harter, ehrlicher Arbeit – auf einer sauberen ethischen Grundlage menschlichen Handelns

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ANNA GEHT IN DIE KURZZEITPFLEGE

ANNA-2021.10.08

Klara und Peter wachten im Gasthof ‚Soljanka‘ auf.
Sie checkten im Gasthof aus, und wollten abends in Annas Wohnung übernachten.
Vorher aber mussten sie Anna in die Kurzzeitpflege bringen. Der Arzt Dr. Silberfisch hatte ihnen dazu geraten.
Nur wusste keiner, wie sie es schaffen sollten, Anna dazu zu bewegen, aus ihrer Wohnung zu gehen.

Klara und Peter hatten die zweite Nacht besser geschlafen. Die Autos, die auf der Strasse vor dem Hotel vorbeiratterten, nahmen sie nicht mehr so deutlich wahr, wie es in der ersten Nacht der Fall gewesen war.

„Mir ist nicht wohl dabei, wenn ich an den heutigen Tag denke.“
„Geht mir genauso“, sagte Peter, während er in sein iPad schaute.
„Aber wir müssen da jetzt durch, wir haben keine Wahl.“

Beide schwiegen, während sie im Auto sassen und zu Annas Wohnung fuhren.

Als sie angekommen waren und vor Annas Tür standen, drückte Klara auf den Klingelknopf und holte vorsichtshalber schon mal den Wohnungsschlüssel aus aus ihrer Handtasche.

Die Tür ging auf und Anna schaute Klara und Peter mit weit aufgerissenen Augen an.

„Was wollt ihr denn hier?“, schleuderte sie den beiden entgegen.
„Guten Morgen, schön dich zu sehen“, sagte Peter übergangslos.
„Wir wollen dich abholen, damit wir eine kleine Fahrt durch Stralsund machen können“, entgegnete Peter.
„Hast du Lust dazu?“, fragte er gleich noch hinterher.
„Ja“, sagte Anna.

„Na bitte, dann freuen wir uns auf einen schönen Tag“, meinte Peter, während er Klara zuzwinkerte.
Anna antwortete nicht.

„Warum seid ihr hier?“, fragte sie stattdessen erneut.
„Wir wollen mit dir einen schönen Ausflug machen“, wiederholte Peter, ohne darauf einzugehen, dass Anna die Frage schon einmal gestellt hatte, ein paar Minuten zuvor.

Peter ging ins Wohnzimmer, schlug die Ostseezeitung auf und überflog flüchtig die Schlagzeilen. Aus dem Schlafzimmer hörte er, wie Anna sich sträubte, auch nur irgendein Kleidungstück anzuziehen.

„Mutti, wir können doch nicht so mit dir auf die Straße gehen“, sagte Klara zu ihr.

„Wieso auf die Straße, was soll ich da?“, fragte jetzt Anna erneut.
„Ich geh‘ schon mal zum Auto runter und warte dort auf euch“, sagte Peter.

Klara fragte ihn noch leise, ob er die Taschen vom Dachboden mit hinunternehmen würde.

Peter nickte und ging zur Tür hinaus. Er holte die Taschen vom Dachboden und begab sich zum Auto.

Klara hatte sie einen Tag zuvor dort deponiert, damit Anna sie nicht fand und wieder auspackte.

Es verging noch eine weitere Stunde, bevor Anna in der Hauseingangstür auftauchte.

Peter war sichtlich erleichtert. Der erste Schritt war getan.
„So, jetzt machen wir eine schöne Hafenrundfahrt und anschließend fahren wir in Richtung Sund-Krankenhaus“, sagte Peter, als Anna endlich im Auto saß.

Anna sagte nichts.
Sie fuhren durch die Stadt und Peter hielt in der Nähe des Hafens an.
„Kommen hier Erinnerungen an deine Kindheit hoch?“, fragte Peter.
„Ja, und wie“, sagte Anna.

„Guck mal, da lagen früher viel mehr Fischerboote und wir haben dort sehr gern als Kinder gespielt und beobachtet, wie die Fischer ihre Ware auf die Pier hievten“, erklärte Anna und lebte dabei zusehends auf.

Klara und Peter waren sichtlich erleichtert, dass Anna gute Laune zu haben schien.

Peter fuhr wortlos in Richtung Sund-Krankenhaus weiter und suchte einen geeigneten Parkplatz.
Klara war ihrer Mutter beim Aussteigen behilflich.

„Es ist besser, ich hole das Gepäck später aus dem Auto“, sagte Peter leise zu Klara.

In der Anmeldung zur Kurzzeitpflege wartete Peter gemeinsam mit Anna auf Klara, die in der Information fragen wollte, wo sie sich melden sollten.

„Was macht Klara da?“, fragte Anna.
„Du, ich habe keine Ahnung“, sagte Peter ausweichend.
Es war ihm unangenehm, dass er nicht die Wahrheit mit Anna besprechen konnte.

Dass es für sie besser wäre, nicht mehr Zuhause allein zu wohnen, und dass sie übergangsweise für ein paar Tage in der Kurzzeitpflege sein müsste.

Doch das hätte alles gefährdet. Der Arzt und das Pflegepersonal hatten ihnen abgeraten, alles zu erklären, sondern lieber eine Wahrheit zu sagen, die Anna auch akzeptieren könnte.

Ein schwieriger Akt, den man erst vollends begriff, wenn man selbst die Verantwortung dafür tragen musste.
Klara kam schnell wieder. Sie fuhren in die dritte Etage.

„Ach das ist ja wunderbar, Frau Sturm, dass Sie so pünktlich kommen“, sagte die Schwester.

„Was will die von mir?“, fragte Anna ihre Tochter, ohne auf die Begrüßungsworte der Schwester einzugehen.

„Ich bin Schwester Erika. Frau Sturm, kommen Sie doch gleich mal mit. Es gibt jetzt Mittagessen“, sagte die zu Anna.

„Was gibt’s denn?“, fragte Anna.
„Rouladen mit Rotkohl.“

Es war eines der Lieblingsgerichte von Anna.
Sie hakte sich wortlos bei Schwester Erika ein und ging, ohne sich noch einmal umzudrehen, in Richtung Speisesaal mit.

Klara und Peter waren verblüfft, aber vor allem froh, dass alles so reibungslos geklappt hatte.

Peter hastete zum Auto und holte Annas Gepäck.
Klara sortierte Annas Sachen aus dem Koffer gleich in den Schrank im Zimmer von Anna ein.

Es war ein Einzelzimmer, modern eingerichtet, mit eigener Toilette und Duschtrakt.

„Hättest du gedacht, dass wir das so gut hinbekommen?“, fragte Peter auf der Rückfahrt.

„Nie im Leben“, sagte Klara. Man merkte ihr an, wie erleichtert sie war.

In Annas Wohnung angekommen, blieb ihnen nicht viel Zeit, zu verschnaufen.

Die Schränke mussten ausgeräumt und die Sachen aussortiert werden, die Anna mit ins ‚Betreute Wohnen‘ mitnehmen sollte.

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SALOMOS SPRÜCHE – WEISHEITEN FÜR DEN ALLTAG

BIBEL-2021.10.07

 Sich immer und gegen jeden Ratschlag wehren, das ist nicht sinnvoll im Leben
 „Wer sich absondert, der sucht, was ihn gelüstet, und gegen alles, was gut ist, geht er an.“
Salomos Sprüche, 18,1

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VON DER MACHT DES AUFSCHREIBENS

SCHREIB-ALLTAG-2021.10.07

Schreiben ist effizienteste die Art, strukturiert zu denken

Ich stelle oft fest, dass ich mir zu einem Thema erst dann einen strukturierten Überblick verschaffen kann, wenn ich die wichtigsten Stichpunkte schriftlich festgehalten habe.

Meist tue ich das mit Füllfederhalter, also auf die ‚old school‘ – Art.
Dazu passt ein deutsches Sprichwort, das ich kürzlich gelesen habe:

‚Einmal geschrieben ist so gut wie zehnmal gelesen.‘

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DIE DEMENZ VON ANNA SCHRITT FORT – JEDER WUSSTE ES UND KEINER WOLLTE ES WIRKLICH WAHRHABEN

2. überarbeitete Auflage
ANNA-2021.10.07

Oktober 2021. Anna ist seit einem Monat im Betreuten Wohnen „Sörensen“ am Strelasund untergebracht.
Es scheint noch, als wäre das alles noch nicht passiert und Anna würde noch in ihrer Wohnung leben. Das war ein langer Prozess, bis alle begriffen, dass es nicht mehr lange so weitergehen konnte, dass Anna einfach allein weiterlebte.
Vor einem Jahr schienen es alle zu ahnen, aber handeln mochte da noch keiner.

 

KLARA WOLLTE IHRER MUTTER BEIM PUTZEN HELFEN
Klara klingelte an der Tür ihrer Mutter.
Es dauerte eine Weile, bis Anna die Tür öffnete.
Sie hatte sich ein wenig auf die Couch gelegt, obwohl es erst gegen neun Uhr am Morgen war.

„Wieso bist du hier in Stralsund und nicht in Berlin?“, fragte sie ihre Tochter.

„Mutti, ich bin seit Sonntag in Stralsund, und Montag habe ich dir gesagt, dass ich am Mittwoch wiederkomme, um deine Fenster zu putzen“, sagte Klara zu ihr.

Klara und Peter hatten sich ein paar Tage freigenommen, um ein wenig auszuspannen, gemeinsam mit Laura und Krümel. Klara nutzte den Aufenthalt, um Lukas zu entlasten und in Annas Wohnung beim gründlicheren Saubermachen zu helfen.

„Mittwoch?“, fragte Anna.
„Ja, Mittwoch ist heute.“
„Aber wieso sagt mit das keiner?“
Klara entgegnete darauf nichts, denn sie hatte nicht mehr die seelische Kraft, auf alle Fragen ihrer Mutter zu antworten.

Der Vormittag verging wie im Flug, obwohl sich Anna nach Kräften dagegen wehrte, dass ihre Tochter in ihrer Wohnung das Zepter übernahm.

Doch Klara hatte es gelernt, sich gegen ihre Mutter durchzusetzen, denn nur so konnte sie ihr wirklich helfen.
Und als Anna sah, wie ihre Fenster nach und nach sauber in der Sonne blinkten, da war sie ruhig und fand das alles recht schön.

KLARA LUD ANNA ZUM KAFFEETRINKEN MIT DER FAMILIE EIN
Am Nachmittag wollte sich die Familie versammeln, um gemeinsam Kaffee zu trinken.

Anna wollte sich nicht umziehen, sie wollte gar nichts und sich am liebsten auf die Couch schmeißen, wie sie ununterbrochen zu Klara sagte.

„Warum soll ich das Kostüm anziehen, gehen wir zu einer Hochzeit?“
Anna konnte sehr spöttisch reagieren, wenn ihr irgendetwas nicht in den Kram passte.

Annas Charakter hatte sich in letzter Zeit ins Gegenteil von dem verkehrt, was sie einmal ausmachte, ihre Güte, ihr bescheidenes Wesen, aber all das schien die Demenz in ihr allmählich auszulöschen.

Klara hatte es schließlich geschafft, Anna davon zu überzeugen, dass sie sich umzog und mit ihr nach draußen kam.
Unten wartete bereits Peter im Auto auf Anna und Klara.

„Oh, du siehst wirklich gut aus“, rief Peter schon von weitem Anna entgegen.

„So sind wir das gewohnt, wenn wir ausgehen“, antwortete Anna selbstbewusst, so als hätte sie sich nicht noch vor wenigen Augenblicken dagegengestemmt, das Kostüm auch nur aus dem Schrank zu holen.

KRÜMEL TURNT ZWISCHEN DEN STÜHLEN IM RESTAURANT UMHER
Sie fuhren zum größten Hotel in der Stadt.
In dem Saal, in dem die Plätze reserviert waren, saß kein Gast. Corona hatte auch Stralsund fest im Griff.

„Wozu haben wir überhaupt Plätze reserviert?“, fragte Peter.
Sie setzten sich trotzdem an den Tisch, der für sie vorgemerkt war. Krümel fand das alles herrlich.

Sie turnte zwischen den leeren Stühlen und Tischen hin- und her und juchzte vor Freude.

Inzwischen hatten am Tisch gegenüber zwei Gäste Platz genommen. Ausgerechnet in unmittelbarer Nachbarschaft des reservierten Tisches.

Es war ein Ehepaar, beide um die 70 Jahre herum. Der Mann sah brummig aus. Er schaute immer grimmiger, weil Krümel ausgelassen weiter umherlief und laut sang.

Peter erinnerte sich an seine eigene Kindheit, Er konnte sich nicht vorstellen, dass seine Eltern es auch nur im Ansatz zugelassen hätten, dass sie als Kinder so durch die Stuhlreihen eines Lokals hätten toben dürfen.

Aber Peter genoss gerade den Gedanken, dass seine Enkelin ausgelassen und fröhlich sein durfte, so ganz ohne Furcht.

Also blickte er zu dem Mann herüber, der Krümel mit finsterer Miene beobachtete. Peter fixierte ihn mit einem Blick, der keine Missverständnisse aufkommen ließ: ‚Sag‘ nur ein böses Wort zu der Kleinen und du wirst es bereuen.‘

Der Mann knickte ein, denn er schaute weg und seine Gesichtszüge lösten sich auf, fast hin zu einem gemütlichen Ausdruck.
Peter schaute nun seinerseits zu Krümel und lockte sie mit einem kleinen Spielzeughund, den er mitführte, an den Tisch zurück.

ANNA SCHIEN MIT IHREN GEDANKEN NICHT BEI DER SACHE ZU SEIN
Anna beobachtete das ganze Treiben ein wenig distanziert, so als würde sie gar nicht dazugehören.

Die Kellnerin kam an den Tisch und fragte, ob die Gäste schon Kuchen ausgesucht hätten.

„Ja, antwortete Klara. Meine Mutter und ich, wir wollen Frankfurter Kranz.“
„Ich auch“, sagte Peter.
„Ich auch“, rief Laura.
„Und was soll ich essen?“, fragte Anna in die Runde. Die Kellnerin schaute irritiert.
„Ihre Tochter hat für sie bereits mitbestellt“, sagte sie.

„Wieso bestellt sie einfach was für mich mit?“, tat Anna entrüstet.
„Weil wir dich eben gefragt haben, was du für einen Kuchen willst und du dich genau dafür entschieden hast, Mutti.“
Klara kochte innerlich, dass Anna so ein Theater vor der Kellnerin abzog.

„Ja gut, dann nehm‘ ich den auch“, sagte Anna.
Wenig später kamen der Kaffee und der Kuchen an den Tisch.
Krümel hing zwischen Peter und Klara und spielte mit dem Hund, während Klara versuchte, ihr zwischendurch ein Stück Kuchen in den Mund zu schieben.

„Da sind wir ja heute wieder auf der steilen Diätkurve“, sagte Peter.
Keiner antwortete ihm und Klara warf ihm einen Blick zu, der hieß: ‚Sei bloß still, oder ich platze vor Wut.‘

Peter wandte sich wieder Krümel zu und beide spielten mit dem kleinen Spielzeughund, bis die Tischdecke immer mehr verrutschte und Klara Peter einen warnenden Blick zuwarf, den Peter aber geflissentlich ignorierte.

ANNA WEISS NICHT MEHR, WIESO SIE GERADE DIESES STÜCK KUCHEN BESTELLT HATTE
„Wieso habe ich so ein Stück Kuchen?“, fragte nun Anna in die Runde mit vollem Mund.

Klara schien ihren Ohren nicht zu trauen.
„Weil wir ihn für dich bestellt haben und du ihn dir gewünscht hast“, sagte Peter schnell, bevor Lukas oder Klara etwas Unbedachtes antworteten.

„Schmeckt dir denn der Kuchen?“, fragte nun Lukas.
„Ja, sehr gut“, antwortete Anna.

Ein paar Minuten war es ruhig am Tisch. Nur Krümel war zu hören, die den Spielzeughund triezte.

„Wieso habe ich dieses Stück Kuchen bestellt?“, erklang erneut die Stimme von Anna.

„Weil er dir besonders gut schmeckt“, sagte Peter nun.
„Ja, das ist wahr, der schmeckt mir sehr gut“, antwortete Anna.

WIE SOLLTE ES NUR MIT ANNA WEITERGEHEN
Der Nachmittag war schön, Anna gehörte zur Familie, sie würde immer dazugehören, ganz besonders jetzt, wo die Krankheit fortschritt.

Nach dem Kaffee brachten Peter und Klara Anna gemeinsam nach Hause.
Anna stand noch auf dem Balkon und winkte zum Abschied.
Ein vertrautes Bild, aber auch ein trauriges Bild.

„Denk‘ nicht an das, was kommt, denk‘ an den schönen Moment, den wir Anna heute Nachmittag verschafft haben“, sagte Peter. Klara nickte kurz und blickte traurig aus dem Fenster des Autos.

„Ich weiß gar nicht, ob Mutti das alles noch so schön empfindet, wie wir denken. Oder ob es nicht viel mehr ihre ohnehin gedankliche Alltagsstruktur durcheinanderbringt“, setzte Peter noch nach.

Klara schwieg, denn sie wusste es auch nicht. Und sie wusste vor allem nicht, wie es in den nächsten Wochen und Monaten weitergehen sollte.

Mehr lesen: https://uwemuellererzaehlt.de/anna-ist-dement/

INTERVIEW MIT BARBARA WENDERS

MENSCHEN IM ALLTAG-2021.10.06

Dieses Interview habe ich vor fünf Jahren geführt. 
Wer sich dafür interessiert, welche beruflichen Hürden Menschen in der Pflege nehmen müssen und was faszinierend ist an dieser Tätigkeit ist - der sollte hier reinschauen.

Barbara Wenders war zum Zeitpunkt des Gespräches Mitinhaberin und Pflegedienstleiterin des ambulanten Pflegedienstes EPIS in Duisburg.

Frau Wenders, mit einem zeitlichen Abstand von über zwei Jahrzehnten: Was ist Ihnen am Anfang leichtgefallen und wo hatten Sie Schwierigkeiten, hineinzuwachsen?

Am schwierigsten war es, die betriebswirtschaftlichen Abläufe zu beherrschen – mit den Steuern und Abrechnungen klarzukommen.
Überhaupt war die ganze Verwaltungssache etwas, wo ich noch recht unerfahren war.

Ich habe mich da autodidaktisch hineinbegeben müssen.
Das alles bekam für mich später einen strukturierteren Hintergrund, nämlich als ich eine Ausbildung zur Pflegedienstleitung für ambulante Dienste absolvierte.

Da waren diese fachlichen Inhalte im Lehrprogramm mitenthalten.
Erschwerend kam damals hinzu, dass wir mit dem ersten Steuerberater erhebliche Probleme hatten.

Er kannte die Materie nicht. Wir haben dann zu einer anderen Steuerberatung gewechselt. Danach lief es gut und wir bekamen den kaufmännischen Part in den Griff.

Wie verlief Ihr beruflicher Werdegang vor der Gründung des Pflegedienstes?
Ich habe mit 16 Jahren die Schule verlassen, nach dem Abschluss der zehnten Klasse.
Danach war ich in einem katholischen Krankenhaus in Berlin – Friedrichshagen.

Dort begann ich ein praktisches Jahr. Das musste sein, da ich sonst keine Ausbildung an einer staatlichen Schule für Krankenschwestern hätte absolvieren können.

Nach drei Jahren habe ich die Schule abgeschlossen.
Kurz danach wurde ich schwanger. Ich ging nach Neustrelitz und habe dort in dem städtischen Krankenhaus gearbeitet.
1982 wurde meine erste Tochter geboren.

Wiederum später bin ich in ein städtisches Krankenhaus nach Berlin – Mitte gegangen.

Ich hatte inzwischen zwei Kinder und konnte nicht mehr im Schichtsystem als Krankenschwester arbeiten und bin in die Verwaltung eines Betriebsgesundheitswesens gewechselt.

Zur gleichen Zeit begann ich eine Fortbildung zum Ökonomen des Gesundheits- und Sozialwesens.

Wie ging es weiter?
Im Oktober 1989 bin ich aus der damaligen DDR in die Bundesrepublik geflohen – über die grüne Grenze.

Wir sind in Duisburg gelandet. Dort lebte eine Freundin von mir.
Zunächst begann ich in einer Sozialstation zu arbeiten.
Dort war ich anderthalb Jahre.

Die Arbeit hat mich einiges gelehrt.
Aber die Bedingungen waren schlecht.

Können Sie das erklären?
Ja. Wir haben faktisch im Akkord gearbeitet – 25 Patienten, die auf einer Tour zu versorgen waren. Deshalb gab es auch eine hohe Fluktuation.

Es war immer jemand krankgemeldet. Der Stress war einfach zu groß. Und jeder hat nur gewartet, bis ein anderer Kollege wieder da war und, um sich anschließend selbst krank zu melden.

Für mich waren das keine Zustände – weder für die Patienten noch für uns als Mitarbeiter. Schließlich habe ich gekündigt.

Und dann?
Ich ging zurück ins Krankenhaus und habe knapp zwei Jahre Nachtschichten gemacht.

Das war sehr hart für mich. Ich kam schwer damit klar. Deshalb wechselte ich wieder in einen ambulanten Pflegedienst. Dort lernte ich übrigens meinen zweiten Mann kennen.

Was war das ausschlaggebende Motiv, selbst einen Pflegedienst zu eröffnen?
Na ja, mein Mann und ich haben uns überlegt: Das alles können wir auch selbst organisieren. Also haben wir den Schritt im Oktober 1996 gewagt.

Wir begannen damit Patienten zu betreuen, die künstlich ernährt werden mussten. Das waren zum Beispiel Menschen mit einer HIV- Infektion, oder Krebspatienten.

Mit der Entwicklung unseres Pflegedienstes kamen andere Bereiche hinzu. Wir haben nach und nach alle wichtigen Leistungsbereiche in der Pflege angeboten, waren sozusagen mit der Zeit ganzheitlich im Portfolio aufgestellt.

Was hat sich geändert gegenüber 1996, wenn Sie heute die Pflege und Betreuung ansehen?
Wenn ich noch an die Sozialstation denke, wo ich vor über zwanzig Jahren begonnen habe – und jetzt unsere Art zu pflegen und zu betreuen sehe, dann weiß ich – da liegen einfach Welten dazwischen.

Wir haben einen Familienbetrieb aufgebaut. Das macht schon stolz. Unsere beiden Töchter arbeiten hier.

Und wir haben eine sehr geringe Mitarbeiterfluktuation bei uns. Ich denke, das liegt daran, dass sich in den vergangenen Jahren ein sehr gutes Team zusammengefunden hat.

Mitarbeiter, die wie wir engagiert sind. Wir haben zum Beispiel eine Pflegedienstleiterin, Frau Thyssen – Fett: Sie ist echt eine Perle.
Wir haben schon manchmal scherzhaft gesagt: Wenn sie aufhört, dann machen wir unsere Einrichtung zu.

Oder: Es gibt eine Mitarbeiterin, die bereits 19 Jahre mit uns zusammenarbeitet.
Andere sind ebenfalls bereits über 10 Jahre oder sehr lange bei uns. Das bekommen Sie doch nur hin, wenn das Klima stimmt, die Leute sich einfach wohlfühlen.

Die Firma ist heute der älteren Tochter überschrieben – Maria Spellier. Sie hat inzwischen zusätzlich eine Ausbildung zur Qualitätsmanagerin gemacht.

Die jüngere Tochter Stefanie ist Altenpflegerin und macht gegenwärtig eine Ausbildung zur Praxisanleiterin.

Wie war die Zusammenarbeit mit Ihrem Mann?
Die Zusammenarbeit war sehr gut. Er war der Praktiker. Ihn hat nie die Verwaltung interessiert, sondern nur die Pflege und Betreuung.
Ich musste mich also darum allein kümmern.

Und es war nicht leicht am Anfang alles unter einen Hut zu bekommen – die Pflege, die Verwaltung, die Mitarbeiterführung und die Erziehung der Kinder.

Aber mein Mann war ein Fachexperte, ging einfach in seinem Beruf auf und hat mir auf seine Weise viel Kraft gespendet und den Rücken gestärkt. Heute ist er in Rente.

Was ist aus Ihrer Sicht der Grund, dass es in anderen Einrichtungen und Pflegediensten nicht so klappt, der Ruf mitunter eher schlecht ist?
Wissen Sie, es gibt immer schwarze Schafe. Oft kann der einzelne Mitarbeiter dafür ja gar nichts.

Wenn zum Beispiel zu einem Kunden stets andere Mitarbeiter kommen. Oder: Die Zeiten sind stets unterschiedlich, zu denen die Pflegebedürftigen besucht werden.

Dann bekommen die Pflegebedürftigen natürlich einen schlechten Eindruck von dem Pflegedienst, der dafür zuständig ist.

Was sagen Sie dazu, die Ausbildung jetzt generalistisch zu organisieren?
Es gibt Aspekte, die dafür sprechen und Argumente dagegen.

Welche?
Dafür spricht sicherlich, die Ausbildung in Gesundheit und Pflege weiter zu vereinheitlichen, sie stärker in der Gesellschaft aufzuwerten, junge Leute für den Beruf zu gewinnen.

Und dagegen?
Weiter diskutieren sollte man: Was ist zum Beispiel, wenn ein kleiner ambulanter Pflegedienst einem Auszubildenden die Pflege und Betreuung im Alltag nahebringen will, der jedoch zum Praktikum ins Krankenhaus geht?

Wie ausgewogen wird das zum Beispiel organisiert? Müssen wir eventuell eine junge Fachkraft später nachqualifizieren, weil die praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten für die Pflege nicht ausreichen?

Das ist ja auch eine wirtschaftliche Frage.
Ich denke, hier brauchen wir noch mehr Klarheit.

Was macht für Sie individuelle Pflege und Betreuung aus?
Wichtig ist für uns die Bezugspflege – jeder Kunde soll wissen, wer für ihn zuständig ist. Das schafft Vertrauen.

Individuell pflegen und betreuen heißt für uns, die wirklichen Wünsche und Bedürfnisse der Menschen zu respektieren, also das, was er an Hilfebedarf benötigt. Es sind ja nun auch zusätzliche Beratungsbesuche bei Veränderungen der Pflegesituation möglich. Das war früher nicht so.

Es gibt mit der Einführung der neuen Begutachtungsrichtlinien ab nächstes Jahr ganz andere Möglichkeiten, die Situation der einzelnen Pflege- und Hilfsbedürftigen spezifisch zu erfassen.

Allein die Eingangsfragen, die hier gestellt werden, führen zielgenauer dorthin, wo die wirklichen Probleme der einzelnen Menschen liegen – zum Beispiel: Was ist das Hauptproblem der Pflegesituation? Was würden Sie sofort ändern, wenn Sie es könnten? Welche Informationen könnten helfen?

Das sind nur einige wenige Beispiele. Wir werden das alles sehr genau in den nächsten Wochen und Monaten mitverfolgen und in unserem Bereich umsetzen – für die weitere Verbesserung der Pflegequalität für unsere Kunden.

Frau Wenders, ich danke Ihnen für das Gespräch.



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2021: https://uwemuellererzaehlt.de/ueber-menschen-erzaehlen/menschen-im-alltag-2021/

2020:https://uwemuellererzaehlt.de/ueber-menschen-erzaehlen/menschen-im-alltag-2020/

2019: https://uwemuellererzaehlt.de/ueber-menschen-erzaehlen/menschen-im-alltag-2019/

2017: https://uwemuellererzaehlt.de/ueber-menschen-erzaehlen/menschen-im-alltag-2017/

 

„DAS IST MEIN OPA, ABER ER IST JA SCHON EIN ALTER MANN“

ALLTÄGLICHES-2021.10.05

Vom Nachsinnen über dein Leben im gewöhnlichen Alltag

Krümel war am Wochenende bei uns gewesen.
Wir ließen uns dann ganz auf unsere Enkelin ein. Klara kochte und backte, versorgte sie mit Süßigkeiten, mehr als ihre Mama es zulassen würde.

Ich schmiss mich auf den Fußboden, holte die Spielzeugkiste hervor, in denen die kleinen Autos verstaut waren.

Und wir schauten mit Krümel die ‚Hunde‘, einen Zeichentrickfilm, in dem wir mittlerweile schon mitspielen können.

Ich hätte gern im Fernsehen etwas über die Sondierungsgespräche der Parteien erfahren, aber wir wollten Krümel natürlich nicht stören, wenn sie auf der Couch saß, ein Bein über meinen Arm legte und mit dem Kopf auf der anderen Seite lag.

Sie kaute an einer Banane und war ansonsten nicht ansprechbar, denn sie verfolgte ‚ihre Hunde‘ in der Zeichentrickserie hartnäckig.
Na klar, es war auch anstrengend mit Krümel.

Meist sind wir nach ihrem Besuch so kaputt, dass wir hinterher irgendeinen Film anmachen und uns nur noch knapp unterhalten.

Diesmal habe ich Krümel erst am Montagmorgen zurückgebracht. Wir sind sofort in Richtung Kita gefahren. Krümels Mama hatte Frühdienst und so wollten wir nicht, dass unser kleiner Liebling so früh aufstehen musste.

„Ich schlafe in deinem Arbeitszimmer und Krümel kann in meinem Bett schlafen, damit wir sie früh nicht wecken und du trotzdem gleich den Laptop für dein Homeoffice um halb Sechs anschmeißen kannst“, habe ich zu Klara gesagt.

Die war sofort einverstanden, Krümel natürlich auch.
„Oma!“, rief sie nachts freudig, als sie noch einmal aufwachte, kerzengerade im Bett saß und sich dann gleich wieder in eine andere Richtung auf die Bettdecke schmiss.

Ich wachte früh auf, fühlte mich zerschlagen, war aber guter Dinge, weil wir so ein schönes Wochenende hinter uns hatten.

Auf dem Weg zur Kita kam ich nur langsam vorwärts, die B 2 nach Berlin rein war gesperrt und die Autos stauten sich.

„Geht weg, Autos, wir wollen in die Kita!“, rief Krümel laut. Es störte sie wenig, dass sie wohl keiner der Fahrer in den anderen Autos neben und vor uns hört.

Mit einer Stunde Verspätung kamen wir an und Krümel hüpfte fröhlich die Treppen zu ihrer Kita-Gruppe hoch.

„Hallo Krümel!“, riefen zwei Mädchen, die uns entgegenkamen.
„Das ist mein Opa“, sagte Krümel und zeigte auf mich.
„Aber er ist ja schon ein alter Mann“, sagte sie noch, und senkte dabei ihre Stimme.

Ich war geschockt, hielt inne, obwohl ich ebenfalls im hohen Tempo die Treppen mithochgestiegen war. Gerade hatte mir im Fitness-Studio jemand gesagt, dass ich noch jung aussehen würde.

Aber Krümel sprach unerbittlich die Wahrheit aus.
Ja, ich bin tatsächlich ein alter Mann.

Ich dachte kurz an meine Oma, die für mich schon mit 56 Jahren eine alte Frau war.

Ich kam ins Grübel, als ich auf der Rückfahrt von der Kita war.
‚Warum lebst du eigentlich so und nicht anders? Wieso arbeitest du noch im Alltag, obwohl du dich doch mit anderen Dingen beschäftigen könntest?

Machte es überhaupt noch Spaß, im Alltag Geschichten zu schreiben, Interviews mit interessanten Menschen zu führen, oder sollte ich mich zurückziehen, nur noch im Wald laufen, morgens ein bisschen Kraftsport im Fitness-Center machen?

Es ist komisch: Erst wenn du einen Impuls von außen erhältst, du vielleicht krank wirst, dann fängst du an, über den Sinn deines Lebens im Alltag nachzudenken.

So ging es mir mit der klaren Ansage von Krümel auf der Kita-Treppe.

Aber war es nicht das, was das Alltagsleben ausmachte – dass ich Krümel zur Kita brachte, mich danach an den Schreibtisch setzen und arbeiten würde?

Es ist schon wichtig, sich immer wieder bewusst zu machen, über wieviel Reichtum du gerade im Alltag verfügen kannst, wenn du den entsprechenden Blickwinkel wählst.

Am Wochenende wird Krümel vier, und ich, ich bin ja schon viel älter, einfach ein alter Mann eben.

Ich habe ihr die Jahre voraus, sie hat noch ihr ganzes Leben vor sich.
Ich weiß inzwischen, wie wertvoll die Momente sind, wo ich mit ihr auf dem Fußboden sitzen und die Spielzeugautos über den Teppich schieben kann.

Wir sind beide glücklich in dem Moment, trotz des großen Altersunterschiedes.
Und darauf kommt es an, wenn es um den Sinn im Alltagsleben geht.

 

 

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2021: https://uwemuellererzaehlt.de/mein-freund-der-alltag/alltaegliches-2021/

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SALOMOS SPRUCH – DEMUT KOMMT VOR DER ERLANGUNG VON EHREN

 

BIBEL-2021.10.04

„Wenn einer zugrunde gehen soll, wird sein Herz zuvor stolz; und ehe man zu Ehren kommt, muss man demütig sein.“ 
Salomo 18, 12

Was man daraus mitnehmen kann?
Selbst in Niederlagen steckt eine Chance.
Nur wer Herausforderungen ernst nimmt, sich nicht über andere Menschen erhebt, Energien im Team nutzt, bescheiden bleibt, der hat die größte Aussicht auf Erfolg.

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ANNA IST DEMENT – RÜCKBLICK UND VORSCHAU

ANNA-2021.10.02

DER TAG NACH DER ANREISE IM GASTHOF

Die Nacht im Dorfgasthaus war schnell vorüber. Klara und Peter hatten unruhig geschlafen.
Vor dem Hotel verlief die Straße abschüssig und die Autos donnerten darauf mit einem ohrenbetäubenden Lärme vorbei, auf Kopfsteinpflaster.

DAS FRÜHSTÜCK
Im Frühstücksraum kam ihnen eine ältere Mitarbeiterin entgegen, die sie freundlich mit einem ‚Guten Morgen‘ begrüßte.

„Hier am Büfett ist alles aufgebaut, den Kaffee bringe ich gleich.“
„Soljanka auch?“, fragte Peter. Klara stand hinter ihm und stieß ihm mit der Hand in den Rücken.

„Die können Sie sehr gern haben, hier gibt es aber auch frisch gepressten Orangensaft, ein wenig Haferkleie und Obst“, sagte die Mitarbeiterin und fixierte Peters Bauch.

‚Haferkleie, die esse ich zuhause‘, dachte Peter.
„Wunderbar, dann kann der Tag ja nur gut werden“, antwortete Peter laut und ging schnurstracks auf den Behälter mit dem Rührei zu.

KLARA FUHR ZU ANNA, PETER BLIEB IM HOTEL
Nach dem Frühstück fuhren beide nach Stralsund rein, zu Annas Wohnung.

Peter begab sich danach sofort zurück zum Hotel, holte seine Arbeitssachen heraus und begann sich auf dem kleinen Tisch einzurichten.

Zuerst musste der Fernseher beiseite gerückt werden, damit das iPad und die Tastatur Platz fanden.
Er hatte seine Sachen in der Tasche verstaut, die er täglich mit ins Fitness-Studio nahm.

Jetzt lagen dort Bleistifte, Papier, Klebestifte, Kabel für das iPad und Unterlagen für Annas Kurzzeitpflege drin. Sie rutschten von einer Seite auf die andere und Peter erfühlte mehr das, was er brauchte, als dass er es sah.
Endlich hatte er alles aufgebaut.

PETERS GEDANKEN SCHWEIFTEN AB
Er versuchte sich auf das Schreiben zu konzentrieren. Obwohl er mit zehn Fingern blind auf der Tastatur schreiben konnte, nützte ihm das wenig. Er starrte nämlich auf das weiße Display und versuchte einen Satz hinzubekommen.

Es nützte nichts, ihm fiel nichts ein. Seine Gedanken schweiften ab zu Klara. Wie mochte sie wohl Anna angetroffen haben? Peter war nicht mit hochgegangen.
Er wollte sich nicht Annas Fragen aussetzen, warum sie in Stralsund seien.

Der Regen tropfte ans Fenster und Peter kam allmählich zur Ruhe.
Eigentlich ging es ihm doch gar nicht so schlecht. Er saß in einem Hotelzimmer, wurde nicht nass, konnte ein wenig schreiben, die Akquise für die Werbeeinnahmen vorbereiten und zwischendurch gedanklich auch noch abschweifen.

DEN AUGENBLICK SCHÖN FINDEN
Und jetzt saugte er die Ruhe in sich auf. Die Autos ratterten immer noch vorbei, aber es war irgendwie wie aus einer weiten Ferne.
Auf der gegenüberliegenden Seite hastete eine Frau auf dem Fußweg vorbei, wahrscheinlich zur Arbeit.

Ihr Gesicht war verkrampft, nichts sah danach aus, dass sie Freude an dem hatte, was sie gerade tat.

Peter war Jahre, ja Jahrzehnte seinen Träumen nachgerannt, die spätestens mit der Wende platzen und er wieder ganz von vorn anfangen musste.

Also warum sollte er sich jetzt nicht freuen, dass er im Zimmer saß, trocken, und schreiben konnte?

Wer weiß, wie es ihm in zehn Jahren gehen würde. Vielleicht war er dann auch schon in einem Heim und musste sich ein Zimmer mit einem Nachbarn teilen.
Wie es wohl Klara bei Anna angetroffen hatte?

https://uwemuellererzaehlt.de/2021/09/30/anna-2021-09-30/

KLARA VERSTECKTE ANNAS GEPACKTE TASCHE AUF DEM DACHBODEN

Klara ging die fünf Treppen hoch, zu Annas Wohnung. Sie merkte, dass es ihr schwerer viel, schwungvoll bis nach oben zu kommen.

Dabei waren sie früher als Kinder die Stufen hochgestürmt, hatten oft genug zwei auf einmal genommen.
Aber die Zeiten waren vorbei.

„Wer ist da?“, hörte sie plötzlich Annas Stimme aus dem Schlafzimmer.

„Mutti, ich bin’s, guten Morgen.“
„Wieso kommst du mitten in der Nacht, ich habe mich gerade hingelegt“, sagte Anna mit einem vorwurfsvollen Unterton.

Klara dreht den Schlüssel im Schloss um, öffnete die Tür und stand kurze Zeit darauf im Schlafzimmer.

Auf ihrem Bett lagen Sachen, Kleider, Blusen und der Schlafanzug.
Anna blickte verwirrt.
„Wo bin ich?“
„Mutti, du bist in deiner Wohnung.“

ANNA MUSSTE PROFESSIONELL BETREUT WERDEN
Da half auch nicht, dass Lukas täglich kam, fast jeden Tag jedenfalls und Klara mindestens einmal im Monat aus Berlin anreiste, um wenigstens eine gewisse Struktur in den Alltag von Anna zu bekommen.

Klara half ihrer Mutter, sich anzuziehen, nachdem sich Anna gewaschen und die Zähne geputzt hatte.
Das dauerte eine gefühlte Ewigkeit für Klara.

KLARA VERSUCHTE ANNA ABZULENKEN, UM UNGESTÖRT IHRE TASCHE ZU PACKEN
Klara kochte Anna einen Tee und schmierte ihr ein halbes Brötchen mit Marmelade.

„Mutti, komm‘, setz dich hier in Ruhe hin und frühstücke“, sagte Klara.

Anna kam in die Küche, setzte sich schweigend auf den Stuhl und begann langsam zu kauen.

Das war die Chance für Klara, unbeobachtet von Anna die Sachen für die Kurzzeitpflege zu packen und auf den Dachboden zu stellen.

„Warum willst du die Tasche auf den Dachboden bringen?“, hatte Peter sie noch einen Tag zuvor gefragt.

„Mutti wieder alles ausräumen würde. Wir müssen uns hier wirklich an den Rat von Dr. Silberfisch halten“, entgegnete Klara.

ANNA MUSSTE AM NÄCHSTEN TAG UNBEDINGT INS AUTO STEIGEN
„Letztlich geht es um das Wohl deiner Mutter, dass sie rund um die Uhr betreut wird“, bestärkte Peter Klara. Er wusste, wie schwer es Klara fiel, dass alles durchzuziehen.

„Morgen kommt es darauf an. Da geht es um alles. Wir müssen es schaffen, Anna davon zu überzeugen, ins Auto zu steigen, damit wir überhaupt die Chance haben, mit ihr zur Kurzzeitpflege zu kommen“, sagte Peter noch.

Klara seufzte nur.
https://uwemuellererzaehlt.de/2021/10/01/anna-2021-10-01/

AUSBLICK:
Die vorerst letzten beiden Beiträge: 
ANNA GEHT IN DIE KURZZEITPFLEGE (08.10.2021)
ANNAS NEUES ZUHAUSE IM BETREUTEN WOHNEN (15.10.2021)

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KLARA VERSTECKT ANNAS GEPACKTE TASCHE AUF DEM DACHBODEN

ANNA-2021.10.01ANNA-2021.10.01

Rückblick:
Peter und Klara hatten im Gasthof die erste Nacht schlecht geschlafen.
Der Lärm der vorbeifahrenden Autos und die Gedanken daran, wie es jetzt mit Anna weiterging, liess sie nicht zur Ruhe kommen. Nachdem sie morgens im Gasthof gefrühstückt hatten, fuhren beide zu Annas Wohnung nach Stralsund. Peter begab sich danach sofort ins Hotelzimmer zurück, er wollte arbeiten.

Intro:
Klara räumt die Wohnung von Anna auf, badet sie und macht ihr anschliessend die Haare. Wenn Anna abgelenkt war, packte Klara die Sachen für Annas Aufenthalt in der Kurzzeitpflege.

Klara ging die fünf Treppen hoch, zu Annas Wohnung. Sie merkte, dass es ihr schwerer viel, schwungvoll bis nach oben zu kommen. Dabei waren sie früher als Kinder die Stufen hochgestürmt, hatten oft genug zwei auf einmal genommen.

Aber diese Zeiten waren vorbei.
Klara verschnaufte für einen kurzen Augenblick vor der Wohnungstür.

Sie setzte sich auf den Stuhl, der auf dem Flur stand und kramte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel für Annas Wohnung. Sie stand vom Stuhl auf, nachdem sie ihn gefunden hatte und drückte auf die Klingel.

Klara horchte an der Tür, aber drinnen war nichts zu hören.
Sie klingelte noch einmal.

Als sich nichts rührte, da klopfte sie leise an die Tür und nahm gleichzeitig den Wohnungsschlüssel zur Hand, um aufzuschließen.

„Wer ist da?“, hörte sie plötzlich Annas Stimme aus dem Schlafzimmer.

„Mutti, ich bin’s, guten Morgen.“
„Wieso kommst du mitten in der Nacht, ich habe mich gerade hingelegt“, sagte Anna mit einem vorwurfsvollen Unterton. Klara dreht den Schlüssel im Schloss um, öffnete die Tür und stand kurze Zeit darauf im Schlafzimmer.

Auf ihrem Bett lagen Sachen, Kleider, Blusen und der Schlafanzug.
Anna blickte verwirrt.

„Wo bin ich?“
„Mutti, du bist in deiner Wohnung.“
„Und wieso bist du hier?“, fragte Anna und schaute sie mit einem leeren Blick an.

Klara hätte auf der Stelle losheulen können, aber sie musste sich zusammenreißen.

Sie konnte ihrer Mutter nur helfen, wenn sie jetzt stark war.
Ihr wurde immer mehr klar, dass es gar keine Alternative mehr dazu gab, Anna in einem Heim unterzubringen.

Da half auch nicht, dass Lukas täglich kam, fast jeden Tag jedenfalls und Klara mindestens einmal im Monat aus Berlin anreiste, um wenigstens eine gewisse Struktur in den Alltag von Anna zu bekommen.

Klara half ihrer Mutter, sich anzuziehen, nachdem sich Anna gewaschen und die Zähne geputzt hatte.

Das dauerte eine gefühlte Ewigkeit für Klara.
Aber sie zwang sich, nichts zu sagen.

„War denn die Schwester heute Morgen schon hier und hat dich gespritzt?“

„Hier war keiner“, sagte Anna.

„Mutti, das kann aber nicht sein, denn schau mal hier, die Schwester hat dir doch sogar das Frühstück zubereitet.“

„Das kann doch alles nicht wahr sein. Ich weiß gar nichts mehr!“, sagte Anna niedergeschlagen, verbunden mit dem Vorwurf, warum Klara sie überhaupt danach fragte.

Klara kochte Anna einen Tee und schmierte ihr ein halbes Brötchen mit Marmelade.

„Mutti, komm‘, setz dich hier in Ruhe hin und frühstücke“, sagte Klara.

Anna kam in die Küche, setzte sich schweigend auf den Stuhl und begann langsam zu kauen.

Das war die Chance für Klara, unbeobachtet von Anna die Sachen für die Kurzzeitpflege zu packen und auf den Dachboden zu stellen.

„Warum willst du die Tasche auf den Dachboden bringen?“, hatte Peter sie noch einen Tag zuvor gefragt.

„Mutti wieder alles ausräumen würde. Wir müssen uns hier wirklich an den Rat von Dr. Silberfisch halten“, entgegnete Klara.
Peter nickte. Sie hatte recht in dem, was sie tat.

Es war für ihn nur erstaunlich, wie sehr sich hier Klara entwickelt hatte. Vor einigen Monaten war es für Klara noch unvorstellbar gewesen, dass sie hinter dem Rücken ihrer Mutter das alles vorbereitet hätte.

Aber es ging nicht anders.
„Letztlich geht es um das Wohl deiner Mutter, dass sie rund um die Uhr betreut wird“, bestärkte Peter Klara. Er wusste, wie schwer es Klara fiel, dass alles durchzuziehen.

„Morgen kommt es darauf an. Da geht es um alles. Wir müssen es schaffen, Anna davon zu überzeugen, ins Auto zu steigen, damit wir überhaupt die Chance haben, mit ihr zur Kurzzeitpflege zu kommen“, sagte Peter noch.
Klara seufzte nur.

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DER TAG NACH DER ANREISE IM GASTHOF

ANNA-2021.09.30

Rückblick:
Klara und Peter sind im Dorfgasthof ‚Soljanka‘ angekommen, haben das Gepäck nach oben getragen. Beide waren so erschöpft, dass sie darauf verzichteten, abends noch in das Restaurant zu gehen, um die Soljanka zu probieren.
Peter ahnte nicht, wie viel und wie oft er in den nächsten Tagen noch Taschen aus Annas Wohnung schleppen musste.

Intro:
Klara geht morgens zu ihrer Mutter, um die Fahrt in die Einrichtung der Kurzzeitpflege für den nächsten Tag vorzubereiten. Sie muss dabei sensibel vorgehen, denn Anna war nicht bereit, so ohne weiteres mitzuhelfen. Peter fuhr zurück ins Hotel, versuchte zu arbeiten, was nicht wirklich gelang. Seine Gedanken schweiften ab.

Die Nacht im Dorfgasthaus war schnell vorüber. Klara und Peter hatten unruhig geschlafen.

Vor dem Hotel verlief die Straße abschüssig und die Autos donnerten darauf mit einem ohrenbetäubenden Lärme vorbei, auf Kopfsteinpflaster.

Peter rüttelte im Schlaf gefühlt mit, wenn ein größerer LKW, noch dazu mit Anhänger, vorbeifuhr.

„Ich dachte, wir sind hier in einem idyllischen Dorf und du hörst morgens die Hähne krähen, aber die müssen ja jedes Mal eine Lücke zwischen zwei fahrenden Autos erwischen, damit sie überhaupt gehört werden“, sagte Peter, während er sich aus dem Bett drehte und versuchte endgültig wach zu werden.

Klara antwortete nicht. Sie hätte lieber noch ein wenig weitergeschlafen, aber die Gedanken an den Tag mit ihrer Mutter trieben sie aus dem Bett.

Im Frühstücksraum kam ihnen eine ältere Mitarbeiterin entgegen, die sie freundlich mit einem ‚Guten Morgen‘ begrüßte.

„Hier am Büfett ist alles aufgebaut, den Kaffee bringe ich gleich.“
„Soljanka auch?“, fragte Peter. Klara stand hinter ihm und stieß ihm mit der Hand in den Rücken.

„Die können Sie sehr gern haben, hier gibt es aber auch frisch gepressten Orangensaft, ein wenig Haferkleie und Obst“, sagte die Mitarbeiterin und fixierte Peters Bauch.
‚Haferkleie, die esse ich zuhause‘, dachte Peter.

„Wunderbar, dann kann der Tag ja nur gut werden“, antwortete Peter laut und ging schnurstracks auf den Behälter mit dem Rührei zu.

Er klappte den Deckel hoch und sah neben den Eiern kleine Bratwürstchen liegen, die herrlich dufteten.

Das war Peters Welt. Er nahm zwei kräftige Löffel von dem Rührei und legte sich noch zwei Würstchen auf den Teller dazu.
Alles unter dem kritischen Blick von Klara.

„Ich denke, du wolltest abnehmen? So machst du dir wieder alles kaputt“, tadelte Klara ihn leise.

Peter hasste diese Ansagen. Er wusste es selbst, und deshalb ärgerte es ihn erst recht, wenn Klara sich einmischte.
Prüfte er etwa, was sie sich auf den Teller packte?

„Du verstehst mein Konzept vom Intervallfasten nicht“, antwortete er, drehte sich um und ging zum Tisch. Dort stand bereits der Kaffee, Peter goss sich eine Tasse ein und nahm einen Schluck. So sollte der Tag beginnen.

Peter wollte sich nicht mehr weiter ärgern und lieber den Moment genießen. Mittags, ja da wollte er nur noch eine Banane essen.
Aber jetzt, da waren die Rühreier und kleinen Bratwürste dran.

‚Zuhause musst du dich aber wirklich zusammenreißen`, sagte er sich im Stillen, ohne sich den Kopf über das ‚wie` zu zermartern.
Nach dem Frühstück fuhren beide nach Stralsund rein, zu Annas Wohnung.

Peter begab sich danach sofort zurück zum Hotel, holte seine Arbeitssachen heraus und begann sich auf dem kleinen Tisch einzurichten.

Zuerst musste der Fernseher beiseite gerückt werden, damit das iPad und die Tastatur Platz fanden.

Er hatte seine Sachen in der Tasche verstaut, die er täglich mit ins Fitness-Studio nahm.

Jetzt lagen dort Bleistifte, Papier, Klebestifte, Kabel für das iPad und Unterlagen für Annas Kurzzeitpflege drin. Sie rutschten von einer Seite auf die andere und Peter erfühlte mehr das, was er brauchte, als dass er es sah.

Endlich hatte er alles aufgebaut.
Es war stickig im Raum, also öffnete er das Fenster. Damit es wieder zufiel, legte er sein neues Brillenetui in den Rahmen. Das Fenster bewegte sich trotzdem und bohrte ein Loch in das Brillenbehältnis.

Peter ärgerte sich und schloss das Fenster wieder. Na prima, jetzt musste er sich noch ein neues Etui besorgen.

Er versuchte sich auf das Schreiben zu konzentrieren. Obwohl er mit zehn Fingern blind auf der Tastatur schreiben konnte, nützte ihm das wenig. Er starrte nämlich auf das weiße Display und versuchte einen Satz hinzubekommen.

Es nützte nichts, ihm fiel nichts ein. Seine Gedanken schweiften ab zu Klara. Wie mochte sie wohl Anna angetroffen haben? Peter war nicht mit hochgegangen.

Er wollte sich nicht Annas Fragen aussetzen, warum sie in Stralsund seien.

Peter schaute aus dem Fenster. Es regnete inzwischen heftig und das Kopfsteinpflaster sah spiegelglatt aus, was die vorbeifahrenden Autos aber nicht dazu anhielt, die Geschwindigkeit zu drosseln.

Er setzte sich wieder hin und beschloss, seiner Kreativität auf die Sprünge zu helfen.

Dazu nahm er eine Holzunterlage aus der Tasche, die er mit weißen Blättern überklebt hatte.

Es war ein Bild von Anna, das Peter so umfunktioniert hatte. Klara durfte davon nichts wissen.

Aber die Rückseite des Rahmens eignete sich hervorragend für seine Zwecke.

Außerdem – sie hatten so viele Bilder im Keller zuhause liegen, sodass dieses eine Bild gar nicht ins Gewicht fiel. Klara sah das natürlich völlig anders.

Wenn Peter aber mit dem Füllhalter auf dem Papier Kreise malte und einfach das aufschrieb, was ihm einfiel, dann kam er voran. Später konnte er es immer noch korrigieren.

Das Einzige war, dass Peter alles noch einmal abschreiben musste. Aber was nützte es ihm, wenn er auf den Bildschirm starrte und ihm doch nichts einfiel?

Der Regen tropfte ans Fenster und Peter kam allmählich zur Ruhe.
Eigentlich ging es ihm doch gar nicht so schlecht. Er saß in einem Hotelzimmer, wurde nicht nass, konnte ein wenig schreiben, die Akquise für die Werbeeinnahmen vorbereiten und zwischendurch gedanklich auch noch abschweifen.

Er versuchte möglichst nicht mehr zu weit in die Zukunft zu schauen. Das Leben hatte ihn gelehrt, das als Geschenk anzunehmen, was vor ihm war.

Besuchte Krümel ihn zuhause, dann setzte er sich nicht an den Schreibtisch, sondern mit ihr auf den Fußboden und spielte mit ihr.
Und jetzt saugte er die Ruhe in sich auf.

Die Autos ratterten immer noch vorbei, aber es war irgendwie wie aus einer weiten Ferne.
Auf der gegenüberliegenden Seite hastete eine Frau auf dem Fußweg vorbei, wahrscheinlich zur Arbeit.

Ihr Gesicht war verkrampft, nichts sah danach aus, dass sie Freude an dem hatte, was sie gerade tat.

Peter war Jahre, ja Jahrzehnte seinen Träumen nachgerannt, die spätestens mit der Wende platzen und er wieder ganz von vorn anfangen musste.

Also warum sollte er sich jetzt nicht freuen, dass er im Zimmer saß, trocken, und schreiben konnte?

Wer weiß, wie es ihm in zehn Jahren gehen würde. Vielleicht war er dann auch schon in einem Heim und musste sich ein Zimmer mit einem Nachbarn teilen.

Peter schüttelte sich. Das wollte er auf jeden Fall vermeiden. Er wollte doch mehr Sport machen, gesünder essen, vor allem weniger.

Er schaute auf die Banane, die auf dem Tisch lag, sein Mittagessen.
‚Das Grauen kommt ohne Ankündigung‘ dachte er dabei.
Wie es wohl Klara bei Anna angetroffen hatte?

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SPASS AM SCHREIBEN HABEN – DAS IST AUCH EINE FRAGE DES WOLLENS

SCHREIB-ALLTAG-2021.09.29

Ich schreibe jeden Tag und jeden Tag muss ich dazu überwinden.
Sich an den Schreibtisch setzen, Konzepte formulieren, Interviews vom Band abhören und aufschreiben, die Geschichte um ‚Anna ist dement‘ weiterspinnen, das erfordert viel Energie und Einsatzwillen.

‚Warum jammerst du? Du hast es dir doch so ausgesucht‘, wird jemand sagen, der das liest. Stimmt, ich habe es mir ausgesucht,

Trotzdem gibt es Phasen, wo ich am liebsten alles hinschmeissen möchte und lieber etwas Praktisches machen. Aber ich glaube, das geht wohl jedem so, und wenn er seinen Beruf noch so liebt.

Ich helfe mir damit, indem ich mir kleine Eselsbrücken baue. Ich überlege mir zum Beispiel schon eine Woche vorher, welche Themen ich in der kommenden Woche behandeln will.

Danach lege ich über Word die Dokumente an. Die Texte sind dann auch auf dem iPhone abgelegt. Und so kann ich zusätzlich in den Zeiten schreiben, in denen ich nicht am Schreibtisch sitze.

Gerade warte ich im Auto auf meine Frau. Sie ist im Supermarkt einkaufen und geht lieber allein dort rein. Also bleibe ich im Jeep und tippe auf dem Telefon diesen Text.

Zugegeben, es hat lange gedauert, bis ich alles so hinbekommen habe, wie es jetzt ist. Lange Zeit wusste ich nicht, wie ich auf dem Telefon das Word-Dokument unterbringe.

Es hat alles seine Zeit gedauert, doch schliesslich habe ich es über die Cloud hinbekommen.

Parallel habe ich trainiert, im Stehen auf dem Handy schnell zu schreiben. Ich habe im Fitness-Center geschrieben, zwischen den Trainingseinheiten natürlich, und so bin ich immer besser geworden, was die technische Seite des Schreibens anbetrifft.

Und trotzdem, wenn es um Ideen geht, was ich hintereinander aufschreiben will, dann greife ich immer noch zum Füllhalter und schreibe auf Papier.

Ich habe schon alles ausprobiert. Vor dem Urlaub habe ich mir eine neue Tastatur zugelegt, die vom Design wie eine Schreibmaschine aussieht. Sie kommt aus China und die Schriftzeichen auf der Tastatur stimmen nicht mit der deutschen Version überein.

Ich tippe auf die Tasten, so als hätte ich die deutsche Variante. Das klappt, weil ich beim Schreiben nicht auf die Tasten schauen muss.

Der Kauf für knapp 100 Euro war ein Reinfall, aber man muss schliesslich experimentieren.

Eines bleibt, nämlich der Wille, etwas zu Papier zu bringen, und dann kommt auch irgendwann der Spass am Schreiben zurück.

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INTERVIEW MIT SUSANNE ROSENBERGER

MENSCHEN IM ALLTAG-2021.09.28

Susanne Rosenberger ist die Inhaberin des Pflegedienstes S. Rosenberger und der Tagespflege am Nordbad in Castrop-Rauxel.

Was mir besonders im Gespräch im Gedächtnis geblieben ist: Susanne Rosenberger berichtete sehr authentisch über die sensiblen Aufgaben in der Palliativbetreuung - pflegerisch und vor allem psychisch.

Sie sprach aber auch darüber, wie ehrlich Menschen ihr Leben sahen, so kurz vor dem eigenen Tod, und wie sie dadurch selbst erkannte, wie wertvoll die kleinen Momente im Alltag sind.

Frau Rosenberger, bereuen Sie den Tag, an dem Sie den Entschluss gefasst haben, in die Pflege zu gehen?

Also ich bereue das auf keinen Fall. Natürlich gibt es immer Momente, die nicht so schön sind.

Aber die gibt es überall.
Ich kann mit Bestimmtheit sagen: Die Pflege, das ist mein Leben.
Das Zusammenspiel mit allen im Team macht das Besondere aus. Es ist nicht ein einzelner Baustein.

Es ist das Puzzle, was jeden Tag aufs Neue zusammengesetzt werden muss – im Team, im Gespräch mit den Angehörigen und den Pflegebedürftigen.

Das Besondere an diesem Beruf ist: Wir gehen mit Menschen um, die unserer Hilfe bedürfen.

Und wenn ein dankbarer Blick kommt oder ein Lächeln des Pflegebedürftigen, ja dann ist das schon wahres Glück.

Wir schieben nicht nur die Papiere von links nach rechts. Das muss natürlich auch. Aber alles was wir tun, das ist für die Menschen, die wir pflegen und betreuen. Ich bereue nichts und möchte auch nichts anderes machen.

Wo sind Sie aufgewachsen?
In Castrop Rauxel.

Welchen Bildungsweg haben Sie genommen?
Ich habe Abitur gemacht. Danach habe ich eine Ausbildung zur Krankenschwester durchlaufen.
Ich war dann anschließend im Augusta Krankenhaus in Bochum tätig – auf einer Intensivstation in der Chirurgie.

Wie lange waren Sie dort?
Insgesamt sechs Jahre lang.

Wie sind Sie zur Pflege gekommen?
Durch meine Oma. Sie war Altenpflegerin in einem Altenheim und führte dort nebenbei eine Schneiderstube.

Später wurde meine Oma schwerkrank. Mein Vater und ich haben sie bis zum Schluss begleitet.

Danach kam meinem Vater und mir der Gedanke, einen Pflegedienst zu gründen. Mein Vater hat dafür noch einmal umgeschult und eine Ausbildung zum Altenpfleger absolviert.

2000 war es dann so weit und wir haben den heutigen Pflegedienst eröffnet.

Was belastet Sie, wenn Sie heute an die Pflege denken?
Beflügelndes und Bedrückendes – beide Momente liegen oft dicht beieinander. Mir liegt die Palliativpflege sehr am Herzen. Das gibt es natürlich sehr traurige Momente.

Was bedrückt Sie da ganz besonders?
Während der Palliativpflege werden wir ein Teil der Familie.

Und wenn Sie dann eine Mutter im Sterben begleiten, die erst 42 Jahre alt ist und Kinder hinterlässt, dann ist das sehr bitter – auch für uns als professionelle Begleiter.

Aber es gibt auch viel Positives.

Was meinen Sie?
Nun, man sieht die eigenen Sorgen und Nöte in einem anderen Licht.
Sie erscheinen einem so unwichtig und klein angesichts dessen, was andere Menschen durchmachen.

Und: Es ist ein ungeheurer Reichtum, Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten.

Manch einer spricht darüber, was er anders gemacht hätte.
Die überwiegende Mehrheit ist klar und ehrlich in der Betrachtung ihres zurückgelegten Lebensweges.

Der Tod lässt das Leben als das erscheinen, was es ist, nämlich ein Geschenk. Und das ist unwiederbringlich.

Frau Rosenberger, vielen Dank für das Gespräch.

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FÜR EINEN AUGENBLICK IM WALD SEIN UND ABSCHALTEN

2021.09.27

ALLTÄGLICHES-2021.09.27

Die Heckklappe des Jeeps ist hochgeklappt und ich sitze auf der Kante.

Es ist etwas unbequem, aber ich will schnell noch aufschreiben, was mir gerade beim Nordic Walking durch den Kopf gegangen ist.

Manchmal denke ich, ich könnte das auch hinterher tun, aber dann ist das Gefühl schon wieder ein anderes und ich muss nachdenken, was mir eigentlich wichtig war, an dem bisschen Nordic Walking.

Nichts Spektakuläres.

Nur das: Wenn ich den Text am Montag veröffentlicht habe, nachdem ich aufgestanden bin,  dann ist es dunkel und ich erinnere  mich an das satte Grün im Wald.

Es ist einfach schön hier in der Schorfheide. Von Weitem sind vorbeifahrende Autos zu hören. Sie rauschen eher vorüber.
Hier ist es still.

Ich rieche das Farnkraut am Wegrand und sehe, dass manche Pflanzen bereits braun werden. Ich laufe an einem Hochstand vorbei. Ich höre nur noch das Gezwitscher der Vögel.

Der Wind ist zu spüren, im Gesicht und an den Händen. Ich atme tief ein, sehe in das satte Grün und bin irgendwie glücklich.

Nur das man sich das nicht eingestehen will, oft nicht bereit ist, den Augenblick wirklich in sich aufzusaugen.

Bin ich wieder am Schreibtisch, dann überfallen mich andere Gedanken- Termine, liegengebliebene Aufgaben.

Aber jetzt habe ich die Chance, für eine Stunde wenigstens, das alles fallenzulassen, gedanklich und mental.

Und am Montag, in den dunklen Morgenstunden werde ich mich daran erinnern.

 



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MANCHMAL LOHNT STREITEN NICHT

 

BIBEL-2021.09.26

„Ein Tor hat nicht Gefallen an Einsicht, sondern will kundtun, was in seinem Herzen steckt.“
Salomos Sprüche 18,2

Wer hat das nicht schon erlebt: Du versuchst Argumente mit deinem Gegenüber auszutauschen, aber der beharrt auf seinem Standpunkt, redet einfach weiter.

Du kannst noch so kluge Sätze formulieren, mündlich oder schriftlich, aber er zeigt keine Einsicht.

Er will einfach weiter und weiter seine eigene Meinung loswerden.
Ich habe dazulernen müssen: Heute breche ich so ein Gespräch ab, höflich, aber schon bestimmt und ziehe mich zurück.

Das ermöglicht beiden Seiten das Gesicht zu wahren, es wird nicht weiter unnötige Energie verbraucht und man kann sich wieder anderen Dingen zuwenden, solchen, die aussichtsreicher sind.

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GEPÄCK SCHLEPPEN IM DORFGASTHAUS – PETER WUSSTE NICHT, DASS ES NUR DER LEICHTE ANFANG FÜR DIE KOMMENDEN TAGE WAR

ANNA-2021.09.25

Rückblick:
Klara und Peter meldeten sich im Dorfgasthof ‚Soljanka‘ an. Es roch leicht muffig in der Gaststube. Die Mitarbeiterin am Tresen war wortkarg, aber dennoch freundlich.

Intro:
Peter erzählte der Mitarbeiterin, dass sie beide selbst aus Stralsund kommen, bevor er den Schlüssel von ihr erhielt und die vielen Taschen nach oben ins Zimmer zu tragen begann.

„Na dann ist es ja umso schöner, wenn Sie von hier sind“, sagte die Frau.

„Hier ist der Schlüssel. Sie müssen nur die zwei Treppen im Flur hochgehen und dann sind Sie schon da.“

Die hat gut Reden, dachte Peter und sah sich schon die Koffer hochschleifen.

Sie gingen zurück zum Auto, um das Gepäck zu holen. Als Peter die Heckklappe des Wagens öffnete, blickte er in einen prall gefüllten Kofferraum.

Klara war eine Meisterin im Verstauen von Behältern und Taschen und in die dazwischenliegenden Lücken passte immer noch eine Reihe von Kleinigkeiten rein, die gebraucht würden.

„Sind wir jetzt zehn Tage hier oder zehn Wochen?“, fragte Peter.
„Du weißt genau, dass es schwer ist abzuschätzen, wie wir mit den Sachen klarkommen“, antwortete Klara.

„Gut, dann gib mir mal die beiden großen Beutel“, sagte er.
Als Peter in den Eingangsbereich des Hotels kam, grüßten ihn zwei Mitarbeiter aus der Küche freundlich.

Peter keuchte die Treppen hoch und war froh, als er die Taschen erst einmal vor der Tür fallenlassen konnte.

Das Zimmer war, der Ausblick war zur Straße raus, aber sie wollten ja keinen Erholungsurlaub antreten.

Er ruhte sich für einen Augenblick auf dem Bett aus, bevor er die Treppen wieder hinunterstieg.

Klara hatte das andere Gepäck, das mit nach oben aufs Zimmer sollte, bereits auf den Boden vor das Auto gestellt.

Peter schnappte gleich zwei Taschen und einen kleineren Beutel.
Als er an den beiden Mitarbeitern vorbeikam, die immer noch Pause machten, bemerkte er deren Blicke, die wohl sagten, was er alles für diesen Kurzurlaub mitschleppte.

„Das ist nur das kleine Gepäck für zwei Tage“, sagte Peter trocken zu ihnen.

Die beiden schauten sich an und prusteten vor Lachen los.
Endlich. Alle Taschen und Beutel waren oben im Zimmer angelangt.

Das wär‘s für heute, ich geh‘ nicht mehr vor die Tür.
Klara hatte noch ein paar Schnitten von der Fahrt aufgehoben, die sie nun auf den Tisch legten.

„Heute brauchen wir keine Soljanka mehr“, sagte Klara zu ihm.
Peter nickte stumm und begann in eine der Stullen hineinzubeißen und an den Programmen des Fernsehapparates herumzuspielen.

Endlich, er hatte 3 Sat gefunden. Es lief ein Dokumentarfilm über die Alm in der Schweiz und die Kühe, deren Glocken bimmelten.
„Das ist jetzt das richtige für mich“, sagte Peter, legte die Beine auf den anderen Sessel und schaute in den Fernseher.

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ANKUNFT IM DORFGASTHAUS ‚SOLJANKA‘

ANNA-2021.09.24

RÜCKBLICK:
Klara und Peter waren auf dem Weg zur Ostsee. Während der Anreise drehten sich ihre Gedanken nur um Anna und wie alles werden sollte, mit der Kurzzeitpflege und ihrer Unterbringung danach im ‚Betreuten Wohnen Sörensen‘.

Intro:
Klara und Peter haben das Dorfgasthaus ‚Soljanka‘ erreicht. Der Name des Gasthauses rief in Peter Erinnerungen an DDR-Zeiten hervor.

Ich krieg‘ Hunger auf eine große Schüssel Soljanka, ein Bockbier und eine Scheibe Schwarzbrot, als Peter das Schild an der Eingangstür betrachtete, auf der die Frau mit der Suppenschüssel zu sehen war.

Dabei hatte er gerade noch im Auto gesagt, dass er jetzt endlich abnehmen wolle, ja müsse.

Aber das hatte er bereits wieder vergessen, für den Augenblick der Ankunft zumindest.

„Jetzt lass uns doch erst einmal ankommen und die Sachen aus dem Auto auspacken.

Peter seufzte. Er fürchtete, dass er wieder Taschen die Treppen raufschleppen musste. Das Hotel jedenfalls machte auf ihn nicht den Eindruck, als dass es dort einen Fahrstuhl geben würde.

Er steuerte das Auto auf einen Hof hinter dem Gasthaus, wo auf einer freien Wiese bereits Fahrzeuge abgestellt waren. Im Hintergrund war ein Pfarrhaus zu sehen.

„Sind wir hier richtig?“, fragte Peter ungläubig.
„Die Autos können ja wohl kaum alle dem Pfarrer gehören“, sagte Klara.

„Dem Pfarrer nicht, aber der Gemeinde“, versuchte Peter einzuwenden, doch Klara winkte ab.

Sie stiegen aus und gingen auf den Eingang des Hotels zu.
Als sie eintraten, schlug ihnen ein etwas muffiger Geruch von alten Möbeln entgegen.

Trotzdem sah alles sehr sauber aus. An der Wand hing ein Plakat, auf dem eine junge Frau in russischer Tracht eine Schüssel mit Soljanka hochhielt.

Auf dem Tresen war eine Klingel angebracht, auf die Peter mit voller Wucht schlug.

„Musst du immer so laut sein?“, wies ihn Klara zurecht.
„Bin abgerutscht“, brummte Peter.

Eine Flügeltür, direkt hinter der Theke, schwang auf und eine Frau, ebenfalls so gekleidet wie das Mädchen auf dem Plakat, nur nicht so jung aussehend, trat heraus.

„Einen schönen guten Tag, herzlich willkommen“, flötete die Frau in ihrem etwas altbacken anmutenden Kleid.

‚Dobrü den‘, antwortete Peter auf Russisch. Klara warf ihm einen tadelnden Blick zu.

„Sie müssen sich hier anmelden“, sagte die Frau an der Anmeldung, ohne auf Peter einzugehen.

Sie legte die Anmeldeformulare auf den Tisch und schob einen Kugelschreiber hinterher.

„Sind Sie geimpft?“, fragte die Frau jetzt.
„Ja, zweimal mit Astrazeneca. Mal sehen, ob’s hilft“, versuchte Peter zu scherzen.

„Kann ich mal Ihre Impfausweise sehen?“, fragte die Frau ungerührt weiter.

Sie war offensichtlich aus etwas härterem Holz geschnitzt.
„Sind Sie aus diesem Dorf hier?“, fragte Peter sie neugierig.

„Ja, ich bin hier geboren und aufgewachsen“, sagte die Frau nun mit etwas Trotz in der Stimme.

„Warum fragen Sie?“
„Nun, wir sind hier aus der Nähe, haben viele Jahre in Stralsund gewohnt und sind oft an diesem Dorf vorbeigefahren. Wir hätten uns niemals träumen lassen, dass wir eines Tages mal hier übernachten würden.“

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ERNEUTE REISE AN DIE OSTSEE

ANNA-2021.09.23
Rückblick:
Saskia Pesic, Altenpflegerin im ‚Betreuten Wohnen Sörensen‘ hat gekündigt.
Eine neue Mitarbeiterin hat sich bereits bei Schwester Ulrike beworben.

Intro:
Klara und Peter sind erneut auf dem Weg nach Stralsund, diesmal nicht in den Urlaub.
Sie müssen Annas Aufenthalt in der Kurzzeitpflege vorbereiten. Die Hotels sind durch die Urlaubssaison immer noch ausgebucht. Sie reservieren deshalb ein kleines Zimmer in einem Dorfgasthaus in der Nähe von Stralsund.

Klara und Peter saßen schweigend im Auto nebeneinander, als sie Richtung Stralsund fuhren.

Der Urlaub war gerade zu Ende gegangen, und beide hatten sich so einigermaßen wieder daran gewöhnt, zu Hause zu sein.

Nun mussten sie wieder los, Richtung Ostsee.
Doch Urlaubsfeeling wollte nicht aufkommen. Klara dachte daran, was ihr bevorstand.

Am nächsten Tag musste sie Annas Besuch in der Kurzzeitpflege vorbereiten.

Dr. Silberfisch hatte sie darauf gebracht, doch Anna für ein paar Tage dort unterzubringen. Solange jedenfalls, bis alles für ihren Umzug ins ‚Betreute Wohnen Sörensen‘ erledigt war.

Klara seufzte, wenn sie nur daran dachte.

„Denkst du auch daran?“, fragte Peter sie, ohne den Blick von der Autobahn zu lassen.

Er hatte die Geschwindigkeit auf 120 km in der Stunde eingestellt und so konnte er sich etwas im Sitz zurücklehnen.

„Meine Gedanken drehen sich nur um Mutti. Auf der einen Seite haben wir keine Chance anders zu handeln und andererseits tut es mir in der Seele weh, wenn ich daran denke, dass sie nicht mehr in der Wohnung bleiben kann.“

Peter nickte und schwieg.

„Wenn wir jetzt nicht handeln, dann tun es andere für uns“, sagte er nun.

„Du hast doch gehört, was die Pflegedienstleiterin zu dir gesagt hat“, schob er nach.

„Sie müssen etwas unternehmen! Ihre Mutter kann auf keinen Fall mehr allein in der Wohnung sein. Sie ist nicht mehr in der Lage, sich selbstständig zu ernähren, genügend Flüssigkeit zu sich zu nehmen“, hatte sie Klara am Telefon gesagt.

Klara wusste, dass es so kommen würde. Peter wusste es auch und Lukas ebenso.

Aber jeder hoffte, dass es wenigstens für ein paar Monate gut weitergehen würde, sie vielleicht noch Weihnachten in ihren eigenen vier Wänden verbringen konnte.

„Wir dürfen jetzt nicht mehr warten, sonst nehmen sie uns das Heft des Handelns aus der Hand“, sagte Peter.
Klara war das alles klar, aber sie hatte Probleme damit, es emotional zu verarbeiten.

Stralsund kam in Sicht. Sie hatten kein Hotel mehr direkt in der Stadt buchen können, denn es war ja immer noch Ferien- und Urlaubszeit.

Also hatten sie sich entschlossen, einen kleinen Gasthof im Vorort für zwei Übernachtungen zu reservieren.

Danach wollten sie für eine Nacht in Annas Wohnung schlafen und anschließend in eine Ferienwohnung umziehen, die Lukas für sie organisiert hatte.

Sie hatten das kleine Dorf erreicht und Peter bog von der Autobahn ab.

„Hättest du gedacht, dass wir jemals hier übernachten werden?“, fragte Peter.

„Im Leben nicht“, antwortete Klara knapp.
Das Dorfgasthaus kam in Sichtweite. Peter rollte über eine Straße, die mit Kopfstein gepflastert war.

Auch wenn es ruckelte, fand er es schön, dass hier noch alles so war, wie er das Dorf schon vor über dreißig Jahren kannte.

Nur der Name des Hotels hatte inzwischen gewechselt. Früher hieß es ‚Roter Oktober‘, in Anlehnung an die Große Sozialistische Oktoberrevolution in Russland.

Nun war daraus ‚Soljanka‘ geworden, in Anlehnung an die Suppe, die Klara und Peter zu DDR-Zeiten gern gegessen hatten.
„Ob die wohl noch eine Schüssel Soljanka für uns haben?“, fragte Peter.

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WARUM ICH IN ‚ANNA IST DEMENT‘ LIEBER AUF DIE BELLESTRISTISCHE ERZÄHLWEISE ZURÜCKGREIFE

SCHREIB-ALLTAG-2021.09.22

Es macht Spaß, zu schreiben.

Wirklich?
Ja, aber diese Feststellung treffe ich meistens erst, wenn ich fertiggeschrieben habe.

Vorher ist es verdammt anstrengend, und dabei weiß ich noch nicht einmal, wen meine Zeilen tatsächlich ansprechen.

Das Schreiben an sich ist gar nicht so anstrengend, für mich jedenfalls.

Doch, bevor ich alles zusammengestellt habe, da vergehen einige Stunden.

Und das ist das eigentlich Anstrengende.

Was war bisher? Wie mache ich weiter? Welche Figuren muss ich neu einführen, welchen Faden will ich weiterspinnen?

Klar, ich schreibe keinen Roman, ich bin kein Schriftsteller.

Trotzdem muss ich mich als Autor ebenso an die Gesetze des Schreibens halten.

Welches Konzept verfolge ich weiter? Wie ist der konkrete Handlungsstrang?

Welche Protagonisten sollen in dem jeweiligen Textabschnitt auftauchen?

Manchmal überlege ich, warum ich mir das alles antue. Würde ich nur bei den kleinen Alltagsgeschichten, dem ‚Alltäglichen‘ bleiben, so wäre es für mich einfacher.

Auf der anderen Seite verarbeite ich erlebte Realität ganz anders, wenn ich es in Form der belletristischen Schreibweise tue.

Ich habe bereits darübergeschrieben, wie wir Klaras Mutter in die Kurzzeitpflege gebracht haben. Das waren Momente, die psychisch von mir und Klara alles abverlangt haben.

In einem Sachtext kann ich das lediglich andeuten, oberflächlich beschreiben.

In einer Erzählung sind Dialoge da; ich kann auf die Gefühlswelt der einzelnen Protagonisten näher eingehen, detaillierter, emotionaler.

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VON DER HYGIENEINSPEKTORIN IM OSTEN ZUR GESCHÄFTSFÜHRERIN EINER SOZIALSTATION NACH DER WENDE

MENSCHEN IM ALLTAG-2021.09.21

Es wird wieder viel über die Pflege diskutiert, gerade jetzt, in der Zeit des Bundeswahlkampfes.
Wie sich eine ehemalige Hygieneinspektorin nach der Wende in die Pflege hineinbegab, mit den Anforderungen wuchs und heute eine Sozialstation erfolgreich führt, darüber habe ich mit Ute Grüner gesprochen.

Das ist jetzt rund vier Jahre her, aber beim Durchlesen des Interviews habe ich festgestellt, dass es jungen Menschen bei dem Gedanken hilft, sich für den Pflegeberuf zu entscheiden und auch am Entschluss festzuhalten, auch wenn es mal schwierig wird.

Frau Grüner, wie verlief ihr beruflicher Werdegang vor der Gründung Ihres Pflegedienstes?
Von 1982 bis 1985 habe ich eine Fachschule zum Hygieneinspektor absolviert.

Das entspricht in etwa dem heutigen Berufsbild des Gesundheitsüberwachers. Danach war ich als Hauswirtschafterin bei der Volkssolidarität beschäftigt.

Anschließend ging es in ein Pflegeheim. Dort habe ich auch meine Ausbildung zur examinierten Altenpflegerin absolviert.

Daran schloss sich eine Qualifizierung zur Pflegedienstleitung an. 2001 bin ich dann in die Selbstständigkeit gewechselt.

Was war die Initialzündung dafür, als Unternehmerin in die Pflege zu gehen?
Das Motiv war: Ich wollte einen eigenen ambulanten Pflegedienst gründen.

Warum?
Weil ich im Pflegeheim gesehen habe, wie die Bewohnerinnen und Bewohner zum Teil an der Tür ihr Leben abgegeben haben. Trotz alledem haben wir als Mitarbeiter alles getan, damit sich die Bewohner wohlfühlten.

Ich hätte gar nicht zufrieden nach Hause gehen können, wenn ich nicht alles in meiner Kraft Stehende unternommen hätte, um die Heimbewohner gut zu pflegen und zu betreuen.

Also war das schon ein wichtiger Antrieb für Sie, mit einem eigenen Pflegedienst noch mehr für die Pflege- und Hilfsbedürftigen zu tun?

Ja, uns ging es darum, pflegebedürftigen Menschen in unserer Umgebung möglichst lange zu ermöglichen, im eigenen häuslichen Umfeld zu verbleiben.

Sie sollten ihr eigenes Leben selbstbestimmt führen, solange jedenfalls, wie das ging. Das war für mich schon ein wichtiger Antrieb.

Später haben wir dann noch die Tagespflege gegründet, weil es uns wichtig war, dass Menschen am Tag die Möglichkeit hatten, betreut zu werden.

Was sind das für Gäste, die zu Ihnen in die Tagespflege kommen?
Zum einen sind das Menschen, die einfach eine neue und interessante Sicht auf den Tag bekommen wollen – durch Begegnungen mit anderen Gästen und indem sie an den Aktivitäten teilhaben können.

Das sind aber auch Gäste, die unter Demenz leiden – abends sind ja in dem Fall die Angehörigen wieder da und können sich kümmern.
Sie alle zusammen fühlen sich bei uns am Tag sehr wohl

Haben Sie das alles allein geschafft?

Anfangs ja. Später, genauer 2006, ist mein Mann, Jens, mit in die Firma eingestiegen.

Als was?
Als Mitinhaber natürlich und verantwortlich für die Technik, die Verwaltung den Fuhrpark. Heute leitet er die ambulant betreute Wohngruppe.

Was ist Ihnen anfangs leichtgefallen und wo hatten Sie Schwierigkeiten, hineinzuwachsen?
Die Akquise von Patienten ist mir leichtgefallen. Ich kannte viele im Dorf und man kannte mich. Ich hatte auch von Anfang an ein gutes Verhältnis zu den Ärzten.

In kürzester Zeit haben wir ca. 30 Patienten betreut. Schwer ist mir die gesamte Büroarbeit gefallen. Ich bin heute noch lieber beim Patienten, als die Dokumentation zu erstellen.

Aber: Das ist ja wichtig. Und so habe ich mich in vieles einarbeiten müssen – das ganze Vertragswesen, die kaufmännischen Angelegenheiten, die Planung und Organisation der Pflege und Betreuung.

Haben Sie heute noch Kontakt mit Patienten?
Auf jeden Fall, wo denken Sie hin? Ich kenne alle Patienten persönlich, spreche mit ihnen, wenn es Wünsche oder Probleme gibt.

Außerdem bei Dienstübergaben oder beim Erstaufnahmegespräch – da bin ich immer dabei.

Was macht Ihrer Meinung nach ein starkes Team aus?
Ein starkes Team? Im Notfall ist jeder für den anderen da – das macht meiner Meinung nach ein wirklich starkes Team aus.

Und zwar ohne große Worte. Dies wissen auch die Patienten und vertrauen uns nicht zuletzt deshalb.

Welche Rolle spielt für Sie die Kommunikation mit den Pflegebedürftigen?
Die Kommunikation spielt für uns eine extrem wichtige Rolle.
Man kann bei jeder Maßnahme, zum Beispiel bei der Körperpflege, Kommunikation und Aktivität miteinander verbinden.

Also: erklären, was man gerade macht, was wichtig ist bei einer mobilisierenden Tätigkeit. Und außerdem: Auf dem Dorf wird immer gesprochen. Wir sprechen viel über Ereignisse und Menschen, die für uns interessant und wichtig sind.

Das mögen die Pflegebedürftigen sehr gern. Sie nehmen ja dadurch weiter am Leben außerhalb der häuslichen Umgebung teil.
Ich denke: Mitunter ist ein Gespräch bei einer Tasse Kaffee wichtiger als die Pflegemaßnahme selbst.

Oder anders ausgedrückt: Ich habe mich nie von der Minutenpflege drücken lassen. Das geht immer auf die Qualität. Natürlich muss ich ebenfalls auf die Zeit schauen.

Aber im Fokus sind für mich die Menschen, die wir pflegen und betreuen. Und da muss man eben auch mal eine Minute hinten dranhängen.

Meine Mitarbeiter wissen ebenfalls, dass ich so denke.
Ich will gern in diesem Zusammenhang an unseren Leitspruch erinnern.

Nämlich?
Helfen ist unsere Berufung!

Frau Grüner zum Abschluss: Was ist für Sie persönlich Glück?
Glück ist für mich ein Zustand der inneren Zufriedenheit, zum Beispiel, wenn der Tag gut war.

Zu meinem Glück gehört meine Familie: Mein Mann, ohne den ich das hier gar nicht schaffen würde; meine Tochter Annett – sie ist 25 Jahre alt und studiert Journalismus.
Frau Grüner, vielen Dank für das Gespräch.

Sozialstation Grüner GmbH Pflegedienst
Lobensteiner Str. 9, 07924 Ziegenrück

Mehr lesen:

2021: https://uwemuellererzaehlt.de/ueber-menschen-erzaehlen/menschen-im-alltag-2021/

2020:https://uwemuellererzaehlt.de/ueber-menschen-erzaehlen/menschen-im-alltag-2020/

2019: https://uwemuellererzaehlt.de/ueber-menschen-erzaehlen/menschen-im-alltag-2019/

 

 

 

GEDANKEN NACH DER DOKUMENTATION ÜBER MICHAEL SCHUMACHER

ALLTÄGLICHES-2021.09.20

Leidenschaftlich arbeiten, Energie entwickeln, Ziele anpeilen und erreichen – das sind wohl mit die größten Glücksmomente im Leben

Das eigene Leben, die eigenen Erfolge, die eigenen Niederlagen- sie bestimmen wesentlich mit, ob du glücklich oder unglücklich bist.

Ich habe mir in der vergangenen Woche die Dokumentation über das Leben von Michael Schumacher angesehen.

Ich finde seinen Weg bemerkenswert, ja ich war fasziniert davon, wie er sich an die Spitze in der Formel -1 herangekämpft hat, um sie dann über Jahre zu dominieren.

Deshalb schmerzt es einen umso mehr, wenn man weiß, wie sich alles von einem Tag auf den anderen durch einen schweren Schicksalsschlag ändern kann.

Mich hat nach dem Film noch ein Gedanke beschäftigt. Nämlich, wie Michael Schumacher seinen Beruf geliebt haben muss, mit welcher Energie und auch Begeisterung er sich Tag für Tag auf Rennen vorbereitet hat.

Irgendwie kam in mir der Gedanke hoch, ob nicht gerade diese Art des Herangehens an seinen eigenen Lebensweg das wirkliche Glück ausmacht.

Ich merke es an mir selbst. Ich könnte nicht nur Hobbies nachgehen.
Nein, ich brauch‘ eine Tätigkeit, in die ich meine ganze Leidenschaft stecken kann; wo das Ankommen nicht das Wichtigste ist, sondern der Weg zum Ziel den eigentlichen Reiz ausmacht.

Ich brauche die Anerkennung für das, was ich tue.
Und die bekomme ich über das Feedback, das mir die Leser geben.

Aber die meiste Energie entwickele ich dann, wenn ich morgens aufstehe, mich irgendwann nach dem Sport an den Schreibtisch setze und schreiben darf.

Selbst dann, wenn der Beitrag vielleicht mal nicht so gelingt, ist es das, was ich am Alltag so liebe, zu arbeiten und sich so erst recht auf den Feierabend zu freuen.

2021: https://uwemuellererzaehlt.de/mein-freund-der-alltag/alltaegliches-2021/

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SALOMOS SPRUCH UND MEINE ERKENNTNIS DARAUS

Bibel

BIBEL-2021.09.19

Ein gekränkter Bruder ist abweisender als eine feste Stadt, und Streitigkeiten sind hart wie der Riegel einer Burg.
Salomo 18,19

Dieser Spruch erinnert mich an einen Streit, den ich kürzlich erlebt hatte.
Meine Erkenntnis heute:
‚Der Klügere gibt nach‘, Kompromisse eingehen, deeskalierend im Gespräch wirken.
Wie kam es zu diesen Einsichten?

Wir waren nervlich am Ende, Klara, ihr Bruder Lukas und ich.
Wir mussten den Umzug von Klaras Mutter ins Heim organisieren, die Möbel für ihr neues Zuhause dorthin transportieren, Sachen ordnen, die alte Wohnung für die Übergabe vorbereiten.

Das alles haben wir geschafft. Der schwierigste Teil aber bestand darin, Klaras Mutter zunächst in die Kurzzeitpflege zu bringen, anschließend von dort wieder abzuholen und in ihr Zimmer im betreuten Wohnen zu bringen.

Klaras Mutter wohnte über 60 Jahre in ihrer Wohnung. Sie wollte nicht in ein Heim. Niemals. Dagegen hätte sie sich mit allen Mitteln gewehrt.

Wir haben es trotzdem geschafft. Wir konnten sie überreden.
„Bitte kümmert ihr euch darum“, hatte Lukas uns angefleht.
„Ich kann das nicht!“, sagte er noch.

Als wir es tatsächlich geschafft hatten, Klaras Mutter in ihrem neuen Zimmer unterzubringen und sie sogar einigermaßen zufrieden war, da haben wir freudig Lukas angerufen.

„Es ist vollbracht und sie ist sogar zufrieden mit ihrem Zimmer“, sagte ich zu Lukas und hatte auf ein kleines Dankeschön gehofft.
Stattdessen konnten wir ihm nur ein brummiges Räuspern entlocken.

„Hm“, das war alles, was er herausbrachte.
Mich brachte das auf die Palme, ja es gab mir einen Stich ins Herz.

Was hatte er erwartet? Dass seine Mutter Freudentänze in ihrem neuen Zuhause aufführte?

„Ist das alles, was du zu sagen hast?“, fragte ich ihn.

Ich war sauer und Lukas merkte es.
Wir beendeten das Telefongespräch, kurz und sachlich.

Ein paar Tage später ärgerte ich mich immer noch über Lukas Verhalten.

Aber ich entwickelte ein besseres Verständnis für seine Gefühlshaltung.

Künftig wollte ich nicht gleich reagieren, sondern abwarten und eine Situation suchen, in der man in Ruhe über die eigenen Befindlichkeiten und die Sicht des anderen darauf reden konnte.

Denn an einer Eskalation hatte niemand Interesse, schließlich ging es darum, sich mit vereinten Kräften weiter um Klaras und Lukas‘ Mutter zu kümmern.

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SASKIA IST NICHT MEHR DA

ANNA IST DEMENT – 2021.09.18

Saskia Pesic hat gekündigt, ohne vorher irgendetwas davon verlauten zu lassen.

Niemand wusste etwas davon, nicht Schwester Ulrike, nicht die Mitarbeiter, auch nicht die Heimbewohner.

Olaf Knaspe ging ins Zimmer von Schwester Ulrike. Er klopfte an den Rahmen, die Tür stand offen.

Ulrike telefonierte mit der Angehörigen einer Heimbewohnerin.

„Wo ist Saskia?“, fragte Olaf, ohne Umschweife.

„Die kommt heute nicht. Sie hat sich die restlichen Tage Urlaub genommen. Sie will uns verlassen“, antwortete Ulrike.

Olaf riss die Augen auf. Hatte er gerade richtig gehört. Saskia hatte ihm nichts davon erzählt, dass sie gekündigt hatte, und sie hatte ihm nicht einmal ein kleines Zeichen dafür gegeben?

„Warum?“, fragte Olaf.

„Sie hat etwas Besseres gefunden. Das glaubt sie jedenfalls“, man hörte die Enttäuschung bei Schwester Ulrike aus ihrer Stimme heraus.

„Das gibt’s doch nicht“, schnaubte Olaf. Er war ehrlich empört.
Im selben Moment beschlich ihn ein weiteres Gefühl.

Ob sie wohl gegangen war, weil Olaf ihre Annäherungsversuche so komplett ignoriert hatte?

Er wusste es nicht.

Wie aus der Ferne hörte Olaf jetzt wieder Ulrikes Stimme.
„Ich bin auch ein wenig traurig“, untertrieb sie das Ausmaß ihrer

Enttäuschung, das Saskia mit ihrem Weggang bei ihr hervorgerufen hatte.

Immerhin war Ulrike es, die Saskia ‚das Laufen in einer Pflegeeinrichtung beigebracht hatte. Sie war stets dagewesen, wenn

Saskia mit einer Frage zu ihr kam. Sie hat sie auf Fortbildungslehrgänge geschickt, ihr ans Herz gelegt, sich intensiv mit den Biographien ihrer Heimbewohner auseinanderzusetzen.

„Wir müssen jetzt nach vorn schauen“, unterbrach Ulrike sich selbst in ihren Gedanken.

Olaf schaute nach vorn, direkt über den Kopf von Ulrike hinweg, durch das Fenster hindurch auf das Wasser, das stürmisch und grau aussah. Der Herbst begann.

„Ich habe eine Bewerbung erhalten, die vielversprechend ist. Die neue Kollegin kann noch in diesem Monat bei uns anfangen.

Vielleicht hörst du dir mit an, was sie zu sagen hat?“

„Ich?“, fragte Olaf. Er wollte nicht.

„Olaf, deine Meinung ist mir wichtig. Und auf diese Weise lernt ihr euch gleich ein wenig kennen.“

„Hm“, brummte Olaf.

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SO GEHT’S IN DEN HERBST

SCHREIB-ALLTAG-2021.09.17

MONTAGS: ‚ALLTÄGLICHES‘
DIENSTAGS: ‚MENSCHEN IM ALLTAG‘
MITTWOCHS: ‚SCHREIB-ALLTAG‘
DONNERSTAGS: ‚ANNA IST DEMENT‘
FREITAGS: ‚ANNA IST DEMENT‘
SAMSTAGS: ‚ANNA IST DEMENT‘
SONNTAGS: ‚ALLTÄGLICHES‘ (BIBEL)

Ich habe mich in der letzten Zeit ein bisschen mit dem Handwerkszeug des Schreibens beschäftigt, mir grundlegende Erkenntnisse ins Gedächtnis gerufen.

Zum Beispiel: Geistige Arbeit verlangt, methodisch zu denken, Zusammenhänge zu erkennen.

Oder: Indem ich mein Thema untergliedere, setze ich mich gleichzeitig intellektuell damit auseinander.

Und: Die Struktur gibt mir den Rahmen vor, wie ich den Text in eine passable Form bringen kann, so formuliere, dass es flüssig zu lesen ist.

Aber irgendwie bin ich nicht zufrieden mit mir. Wenn du lange nichts am Blog gemacht hast oder nur sporadisch zum Schreiben gekommen bist, dann drehen sich deine ‚Gedankenräder‘ trotzdem, und zwar ob du es willst oder auch nicht.

Selbst in der Zeit, als ich die vielen Treppen zur Wohnung von Klaras Mutter hoch und runtergehastet bin, außer Atem war, selbst da ging mir das Schreiben nicht aus dem Kopf.

Ich bin irgendwie unzufrieden mit mir.
Einerseits will ich den geschäftlichen Erfolg des Blogs vorantreiben, ja ich muss das tun, um Geld zu verdienen.

Das heißt, ich muss Kunden gewinnen – für ein Firmenporträt, Interviews führen, die Texte dazu schreiben und wieder von vorn beginnen.

Das ist sehr anstrengend, aber es macht auch sehr viel Spaß.

Warum?
Weil du unglaublich viele Menschen kennenlernst, die du wahrscheinlich ansonsten niemals getroffen hättest.

Und dann ist da noch die Frage, wie du deinen Blog mit Beiträgen füllst.

Ich schwanke oft hin- und her.
Einerseits denke ich, dass ich eher Texte schreibe, die unmittelbar aus dem Alltag sind und die ich aus meinen Beobachtungen heraus einfach aufschreibe.

Aber ist es das, was ich wirklich will?
Ja, irgendwie schon.

Und trotzdem reizt es mich auch, Geschichten zu erzählen. Die sind zwar fiktiv, aber sie haben stets einen realen Hintergrund, ja sind von meinen persönlichen Erlebnissen geprägt.

Ich muss mich entscheiden.

Also gehe ich wie folgt vor:
Montags schreibe ich über den Alltag – über Beobachtungen, Erlebnisse, was ich zum Beispiel im Fitness-Center erlebe.

Dienstags will ich mich ganz dem Thema „Menschen im Alltag“ widmen.
Hier sollen Interviews mit interessanten Unternehmerpersönlichkeiten erscheinen, aber auch mit ganz normalen Menschen, die etwas Interessantes zu erzählen haben.

Ich werde auch auf Interviews aus vergangenen Jahren hinweisen, schreiben, warum ich das Gespräch mit einem Menschen interessant fand.

Am Mittwoch schreibe ich über meinen „Schreib-Alltag“, was mich bewegt, was ich denke, warum ich gerade ein bestimmtes Thema ausgesucht habe.
Aber auch darüber, wie ich einzelne Figuren in meine Geschichte, ‚Anna ist dement‘ einführe. Welche Charaktereigenschaften ich ihnen zuschreibe.

Donnerstags, freitags und am Samstag will ich „Anna ist dement“ weiterschreiben.
Später soll eine weitere Geschichte hinzukommen.
Der Titel steht bereits fest: ‚Thure aus Schebsand‘.

Und am Sonntag? Da veröffentliche ich einen Spruch aus der Bibel.
Warum? Weil ich so viel Weisheit über meinen Alltag erfahren habe, dass ich einfach nicht mehr davonlassen kann.

Das ist der Plan, mal sehen, wie weit ich damit komme.
Weihnachten ziehe ich ein erstes Resümee.

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DEN MOMENT DES ALLTAGS GENIESSEN

ALLTÄGLICHES-2021.09.15
In den Tagen, als wir die Wohnung von Klaras Mutter ausräumten, überlegten, was mit soll in das Heim und was letztlich zurückbleibt, entsorgt werden muss, da wurde mir eines klar:

Das, was hier passiert, das kann auch dir passieren. Auch du kannst an Demenz erkranken und nicht mehr fähig sein, deinen Alltag allein und selbstständig zu bewältigen.

Wenn du in einer halb ausgeräumten Wohnung sitzt, in den Dokumenten blätterst, Fotoalben aufschlägst, dann zieht an deinem Auge unwillkürlich dein eigenes Leben vorbei.

Du stellst dir die Frage, ob du mit deinem Alltag zufrieden bist, was dein eigenes Leben eigentlich ausmacht.

Und schnell wird dir klar, dass es in der überwiegenden Mehrheit der Erinnerungen die kleinen Dinge sind, die dir im Gedächtnis haften bleiben und die darüber entscheiden, wie du dein eigenes Leben bewertest.

Ist es der 7er BMW, mit dem du so gern gefahren bist?
Vielleicht.

Aber siehst du ein Foto, auf dem dein Kind mit ihrem Großvater zu sehen ist und einen großen geangelten Fisch stolz in die Kamera zeigt, dann ist es eher das, was dir auch noch Jahre später ein Lächeln abringt.

Die wichtigste Schlussfolgerung, die ich für mich ziehe, ist, den Augenblick zu genießen, Lebensfreude in den kleinen Dingen des Alltags entdecken.

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