Schlagwort-Archive: MENSCHEN IM ALLTAG

DIE BETREFFZEILE

RÜCKBLICKE-ANNA-01.12.2022

Anna bekam einen Brief von einer Behörde.
„Rentenanpassung“, stand dort in der Betreffzeile. Anna verstand nicht, was das sollte und rief Klara an.

RÜCKBLICKE-ANNA IST DEMENT

„Meine Reise zu mir selbst: Finde die Antwort in dir selbst, die dir sonst niemand beantworten kann.“ (Sabrina Fleisch)

 
ANNA

MATSCHI, DIE NERVENSÄGE

PETER ERINNERT SICH  (3)

 WAS BISHER WAR:
„Leinen los“, hieß das Fotoalbum, das sich Peter mit Anna gemeinsam anschaute, während Klara mit der Pflegerin im ‚Betreuten Wohnen‘ besprach, was Anna noch an Sachen brauchte.
Anna war wieder in ihre frühere Welt eingetaucht. Sie sah auf den Bildern das Schiff, mit dem sie die schöne Reise nach St. Petersburg und Danzig gemacht hatte, und sie fühlte sich gut dabei, das alles gemeinsam mit Peter anzuschauen.
Peter taten bereits die Knie weh, weil das Fotoalbum so schwer war, das auf seinen Beinen lag.

 „Na, schaut ihr schön die Fotos an?“, fragte Klara, die von dem Gespräch mit der Betreuerin zurückgekehrt war.

Peter fühlte sich beim Spielen ertappt, so als hätte er gerade unter dem Tisch gesessen und mit Klammern gespielt.

Dabei hatte er das Album auf Geheiß von Klara herausgeholt.

„Oh ja, wir spielen schön“, sagte Peter mit leicht beißendem Spott, denn er wäre lieber sofort aus dem Zimmer gegangen, hätte sich auf den Balkon gestellt und in die Ferne geschaut.

„Du kannst ja jetzt mit deiner Mutter die Bilder weiter ansehen“, schob Peter hinterher.

Klara schaute ihn strafend an. Ich muss noch mal los und ein paar Sachen besorgen.

„Wieso musste du Sachen besorgen?“, fragte nun Anna.

„Mutti, ich zeig‘ dir nachher, wenn ich wiedergekommen bin, was ich geholt habe.“

Anna zog die Mundwinkel nach unten, so als wollte sie sagen: „Das verstehe ich nicht.“

Sie verstand es ja auch wirklich nicht. Bevor die Fragerei von Annas Seite aber weiterging und Klara nicht zum Einkaufen loskam, blätterte Peter mit einem Seufzer eine Seite im Fotoalbum um und zeigte auf ein Foto: „Was steht da unten?“

„Beim Kapitänsempfang“, sagte Anna wie aus der Pistole geschossen.

„Weisst du Peter, ich durfte mit am Tisch vom Kapitän sitzen“, sagte Anna.

„Der wird ja dafür bezahlt, dass er mit dir an einem Tisch Platz nimmt.“

„Bezahlt? Der wird doch nicht bezahlt!“, sagte Anna und schaute Peter missbilligend an.

Gut, dass Klara gerade nicht da war. Sie hätte ihm schon wieder einen Schubs gegeben, damit er seine Bemerkungen ließ.

„Nein“, sagte Peter, „das war nur ein kleiner Scherz.

„Wer ist das denn hier auf dem Foto?“

„Das ist ja Annemarie. Du, die war oft mit. Die fuhr so gern mit mir.“

„Und du nicht mit ihr?“, fragte daraufhin Peter.

„Wie meinst du das?“, Anna zog die Augenbrauen hoch.

Peter sah ein, dass er so nicht weitermachen konnte und sich zusammenreißen musste.

Was musste das für eine Kraftanstrengung für die Pflegekräfte, sich jeden Tag wieder aufs Neue mit den Heimbewohnern zu beschäftigen, ohne dabei die Freude am Umgang mit den Menschen, die sie betreuten, zu verlieren.

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„Ich muss mal kurz nach draußen und frische Luft schnappen“, sagte Peter und ging schnell aus dem Zimmer.

Am anderen Ende des Ganges kam ihm ein junger Mann entgegen, der einen Rollstuhl mit einer Heimbewohnerin schob.

„Guten Tag“, rief der Peter sehr freundlich zu, fast ein bisschen schleimig.

Jetzt erinnerte sich Peter. Das musste Klaus-Peter Matschig sein.

Das Personal nannte ihn hinter seinem Rücken ‚Matschi, die Nervensäge‘.

Und das hatte seinen Grund.

Für Peter war es ein Rätsel, woher die Leute die Zeit nahmen. Matschi kam jeden Tag und blieb mehrere Stunden, in denen er sich um seine Mutter kümmerte.

Das war schön, aber musste er nicht auch arbeiten?

Klara hatte ihm erzählt, wie Matschi auf einer Versammlung sämtliche Missstände angeprangert hatte, die es seiner Meinung nach im Betreuten Wohnen gab.

„Meine Mutter erhält nicht genügend Aufmerksamkeit von Ihnen“, hatte er ausgeführt und die Pflegekräfte gemeint.

„Das kann ich nun gar nicht sagen“, hatte Klara daraufhin entgegnet. Wenn Sie mal nicht da waren, dann war stets eine Mitarbeiterin bei Ihrer Mutter“, sagte Klara zu ihm.

„Finden Sie nicht auch, dass Sie mal was Positives sagen können, vielleicht eine winzige Kleinigkeit, die Ihnen positiv aufgefallen ist?“, fragte Klara ihn.

Matschi war verblüfft und bekam kein Wort heraus, während die Pflegedienstleiterin sie dankbar ansah.

Klara war auch dafür, Mängel anzusprechen, aber Dinge herbeizureden, die nicht der Realität entsprachen, das fand sie unfair gegenüber den Pflegekräften, die es schwer genug hatten, die Bewohner in jeder einzelnen Sekunde nicht aus den Augen zu lassen.

Für Matschi war das alles selbstverständlich und er bekam auch kein Dankeschön über die Lippen.

Klara war froh, dass Peter nicht dabei gewesen war. Er hätte wahrscheinlich zum grossen Schlag ausgeholt, um der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen.

Auf zerschlagenes Porzellan konnte er solchen Momenten keine Rücksicht nehmen, denn das war nicht seine Stärke.

Peter wusste genau, dass er sensibler vorgehen müsste, aber ihn empörte meist die Gleichgültigkeit von manchen Angehörigen, die nicht sahen, wie sehr sie die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen demotivierten.

„Na, wie war deine Besprechung mit der Schwester?“, fragte Peter, als Klara und er das Gebäude wieder verliessen.

„Ach, es ging nur um organisatorische Dinge“, antwortete sie und Peter gab sich damit zufrieden.

Auf der Autobahn Richtung Berlin schwiegen sie lange.

Es war bedrückend zu sehen, wie Annas geistige Fähigkeiten von Mal zu Mal schrumpften und sie nichts dagegen tun konnten.

Sie würden immer mal wieder hinfahren und nach dem Rechten sehen.

Ein kleiner Lichtblick war es für Peter, dass Anna merklich auflebte, als er mit ihr die Bilder im Fotoalbum angeschaut hatte.

 

 

 

 

 

 

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MAL WIEDER ZU BESUCH BEI ANNA

PETER ERINNERT SICH – ANNA IST DEMENT (2)

WAS BISHER WAR:

Peter hatte wieder eine Rede auf einer Trauerfeier gehalten.
Sie stieß ihn mit Macht darauf, dass das Leben nicht endlos so weitergehen würde.
Es war wichtig, sich dieser unumstößlichen Tatsache immer wieder bewußt zu werden, das Leben vom Ende herzudenken.
Er war auch wieder darauf gestoßen, wieviel Arbeit es machte, sich dem Lebenswerk eines verstorbenen Menschen zu widmen, vorausgesetzt, man nahm es ernst, und man es sich vor allem zu Herzen.
Darüber vergaß er ganz, mit Anna zu telefonieren.

 

Es hatte über Nacht geschneit. Peter sah aus dem Fenster und staunte nicht schlecht. Auf der Straße lag der erste Schnee und die Dächer der Autos, die nicht unter einem Carport standen, waren weiß.

Was Anna jetzt wohl sagte, wenn sie morgens auf das Meer schaute, die Weite der See in sich aufnahm und vielleicht auch schon ein paar Flocken der weißen Magie bestaunen konnte?

Aber war Anna überhaupt dazu noch in der Lage? Sie lebte an einem der schönsten Orte, die man sich nur denken konnte und bekam es wahrscheinlich gar nicht mehr mit.

Dafür dachte Peter daran, wie schön sie es hatte, gut betreut, schöne Zimmer, keine Sorgen. Aber das war der Blick von aussen, von einem Dritten, der der Betroffenen sagt, wie schön sie es doch hätte.

Was die Bewohner des Betreuten Wohnens wirklich dachten, das wusste keiner der Angehörigen so ganz genau.
Peter musste daran denken, wie es war, wenn er mit Klara in die Einrichtung kam und sie in die Küche gingen.

Dort hielten sich die meisten Bewohnerinnen und ein Bewohner auf. Sie redeten nicht miteinander, sie starrten vor sich.
„Wo kommt ihr denn jetzt her?“, hatte Anna Peter gefragt, als sie ihn erkannte. Das dauerte immer ein wenig, aber dann kam Bewegung in ihre Gesichtszüge.

Geschichten für Menschen mit Demenz: Matthias Knorheim: „Das Herz vergisst nicht - 20 Wundervolle Kurzgeschichten"
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Peter glaubte eine aufhellende Freude in ihrer Mimik zu erkennen.
Auf jeden Fall begann er sofort mit Anna zu reden.
„Wir sind gerade von Berlin gekommen und direkt von der Autobahn hierher?“, sagte er.

Es vergingen ein paar Momente, bis Anna reagierte.
„Aha, und das geht?“, fragte Anna zurück.
„Offensichtlich, denn wir stehen ja vor dir“, antwortete Peter ein wenig schnoddrig.

Klara stiess ihm in die Seite, dass er nach vorn überkippte und sich auf dem Tisch vor Anna aufstützen musste.

Er war jetzt so nah an ihrem Gesicht, dass er in ihre ein wenig leer dreinblickenden Augen schaute. Anna drehte nun ihren Kopf und Peter drückte ihr einen Kuss vor Schreck auf die Wange.

Anna strahlte nun etwas freundlicher und Klara musste schmunzeln.
„Ich muss mal mit der Schwester etwas besprechen, kannst du mit Mutti ein wenig auf ihr Zimmer gehen und mit ihr Fotoalben anschauen?“, flüsterte sie leise.

„Hm“, brummte Peter missmutig. Dazu hatte er nun gar keine Lust. Er musste sofort an Annas Lieblingsfotoalbum denken, dass Peter mit ihr bereits hunderte Male durchgeblättert hatte.
So fühlte es sich für ihn zumindest an.

Aber Anna liebte es, wenn Peter die erste Seite aufschlug und er mit dem Finger auf die Zeilen zeigte, die erläuterten, worum es auf dem Bild ging.

Das erste Foto zeigte die „MS Deutschland“, die im Hafen lag und sich zum Ablegen bereitmachte.

„Leinen los“, rief Anna mit einer Inbrunst, dass selbst Peter sich erschrak.
Anna war in eine Welt eingetaucht, die ihr für den Moment ein positives Gefühl gaben.

Und das war für ihn Motivation genug, weiterzumachen. Er blätterte um und zeigte auf die nächsten Fotos.

Und so surften sie Stück für Stück durch Annas vergangene Welt, durchpflügten die Ostseewellen, spazierten durch die Eremitage in Skt. Petersburg und bestaunten die Gassen in Danzig.

Anna sass dann in ihrem Sessel, den ihr Peter und Anna in das Zimmer aus ihren alten Wohnung mitgebracht hatten und Peter hatte auf ihrem Bett Platz genommen, das etwas höher war und er sich deshalb ein wenig nach vorn beugen musste.

Die Knie taten ihm dadurch schneller weh und das Album rutschte ein wenig nach vorn, sodass Peter es wieder mit seinen Händen zurückziehen musste.

„Oh, das ist ganz schwer, dein Album!“, sagte Peter.
Anna reagierte nicht, sie schaute fasziniert auf die Bilder, auf denen sie mit ihrer Wegbegleiterin zu sehen war.

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VON DER SCHWIERIGKEIT, MIT ANNAS DEMENZ UMZUGEHEN

EINEN SATZ NACH DEM ANDEREN SAGEN

Laura ist zu Besuch. Peter versucht Laura zu erklären, warum Anna nicht mehr alles versteht.

Sonntagabend.
Klara hatte noch einmal bei Anna angerufen. Sie wollte nicht, dass ihre Mutter nun vielleicht durcheinander war, weil Laura ihr am Telefon nicht richtig erklärt hatte, dass sie unverhofft aus Berlin zu Besuch gekommen war.

 

Es war für keinen leicht, mit der Demenz von Anna umzugehen. Nicht für Klara, für Peter nicht und auch nicht für Laura.

 

BETTINA TIETJEN:
‚Unter Tränen gelacht: Mein Vater, die Demenz und ich‘

„Du musst mit Oma gehirngerecht kommunizieren.“
„Papa, was ist das für ein Quatsch?“, protestierte Laura.
„Ja, wahrscheinlich hast du Recht. Was ich damit sagen will: Oma kann nicht mehrere Informationen gleichzeitig verarbeiten. Das verwirrt sie.“

 

„Was meinst du?“, fragte Laura.
„Nun, du gehst an unser Telefon. Für Oma müsste jetzt Mama am Hörer sein. Stattdessen hört sie deine Stimme. Für sie wohnst du in Berlin und bist jetzt auch in Berlin.

 

Wir wiederum sind für sie da, wohin sie jetzt auch anruft, im Dorf in der Nähe von Berlin. Also solltest du erst einmal sagen, dass du bei uns spontan zu Besuch bist, in Brandenburg.“

 

„Spontan zu Besuch?“, fragte Laura dazwischen.
„Das versteht sie doch erst recht nicht.“

 

„Aber stell dir vor, du würdest die Informationen per Rohrpost versenden – ein Satz folgt auf den anderen, und sie gehen alle in die gleiche Richtung.

 

Da kannst du ja auch nicht mit dem letzten Satz anfangen, sondern du schiebst den ersten Satz zuerst durch.“

„Na gut Papa, das ist mir zu blöd.“ Peter schwieg. Laura lag vermutlich richtig.

 

Er war eben auch nicht trainiert auf die Kommunikation mit demenzkranken Menschen.

 

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ANNA

 

WOLF SCHNEIDER IST TOT – EIN GROSSER IN SACHEN DEUTSCH

Wolf Schneider starb vor wenigen Tagen.
Ich kannte ihn nicht persönlich, dafür umso mehr sein 1982 erschienenes Buch „Deutsch für Profis.“

Ich habe selten so etwas Profundes darüber gelesen, wie man als Journalist, Autor, Texter Sätze formulieren sollte, nämlich: kurz und prägnant.

Wer irgendwie mit Sprache zu tun hat, in Wort oder Schrift, der sollte dieses Buch kennen.

Es ist unterhaltsam geschrieben. Aber auch anstrengend, weil du dich wirklich beim Lesen anstrengen musst.

Wolf Schneider: „Deutsch für Profis“
Für mich ist der Autor ein Vorbild in Sachen ‚Deutsch‘. Schade, dass es ihn nicht mehr gibt. Sein Buch aber, das werde ich weiter in meiner Arbeit nutzen. 

 

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MEIN FREUND, DER ALLTAG

 

SCHREIBEN ÜBER DAS, WAS DU KENNST

ALLTÄGLICHES

Der beste Stoff ist oft der, der dir vor der Nase liegt.
Nur, dass du es nicht wahrhaben willst.
‚Das ist banal, ohne Tiefgang, du machst dich lächerlich, wenn du es aufschreibst‘, denke ich oft.
Man schätzt einfach nicht das, was einem quasi vor die Füße rollt.

Hier ein typischer Ausschnitt meines Tages
Der Tag begann für mich so, wie ich es mir vorstelle, wenn ich ihn planen kann, ohne dass mir jemand reinredet.

Ich bin gegen halb fünf Uhr aufgestanden und habe mir einen Tee gekocht, um munter zu werden.
Klara hasst es, wenn ich so früh aufstehe.

„Du bist Rentner“, sagt sie dann.
Sie hat recht, aber auch wieder nicht.
Sicher, ich könnte bis 07.00 Uhr im Bett bleiben, aber dann schaffe ich nichts, nicht so viel jedenfalls.

Ausserdem macht es mir Spass, mich selbst anzustossen und bis zum Frühstück schon ein bisschen was geschafft zu haben.
Ich bin dann ganz anders drauf.

WER HUMORVOLLE GESCHICHTEN AUS DEM ALLTAG LIEBT:

DORA HELDT: „Mathilda oder Irgendwer stirbt immer“

Einfach selbst unter dem Button ‚ansehen‘ informieren:

Damit ich munter werde, gehe ich auf die Terrasse und schwinge meine Gewichte in die verschiedensten Richtungen.
Ich merke, wie ich abgebaut habe und nehme mir vor wieder viel mehr zu trainieren.

Im vergangenen Jahr, da sind Klara und ich kurz vor vier Uhr aufgestanden und eine Stunde später waren wir schon Richtung Berlin-Mitte unterwegs.

Nachdem ich Klara im Zeitungsviertel abgesetzt hatte, bin ich ins Fitness-Studio im Prenzlauer Berg gefahren.
Dort war ich fünfmal in der Woche.

Ich kann es gar nicht glauben, dass ich das so lange durchgehalten habe.

Immerhin sind drei Jahre zusammengekommen.
Jetzt ist Klara auch zu Hause und mir ist der Weg zu weit.
Dafür habe ich mir ein Fahrradergometer angeschafft. Aber ehrlich,

ich steige da kaum rauf. Dafür laufe ich wieder regelmässig.
Ich habe als neue Laufstrecke den Weg am Rahmer See für mich entdeckt.

Es ist herrlich, dort direkt am See zu laufen, auf das Wasser zu sehen und mental in die Ruhe und die bunte Herbstlandschaft einzutauchen.

Ich habe nie aufgehört zu arbeiten, aber die Möglichkeit, tagsüber vom Schreibtisch aufzustehen, in die Laufsachen zu schlüpfen und loszustürmen, das ist Luxus pur für mich.

Das macht natürlich nur, wenn ich schon ein bestimmtes Pensum geschafft habe und meine To-Do-Liste zusammengeschrumpft ist.

„Ich schreibe mich schlank“ von Prof. Dr. Silke Heimes

Dann gönne ich mir sogar einen kleinen Mittagsschlaf, um danach mit leicht schlechtem Gewissen wieder an den Schreibtisch zu stürzen.

Aber würde ich das alles so schätzen, wenn ich gar nichts mehr tun würde und mich nur noch den Hobbies widmen würde?

Am nächsten Tag.
Ich sitze wieder auf der Bank, direkt am Rahmer See.
Es ist kein Mensch hier. Ganz still.

Im Hintergrund vernehme ich den stark gedämpften Verkehr auf der Strasse.

Ich schaue auf den See und erblicke am gegenüberliegenden Ufer Häuser, eingebettet in die Landschaft.
Muss das schön sein, dort zu wohnen!

Ich seufze in mich hinein.
Aber würde ich dann schon gelaufen sein, Sport gemacht haben?
Eher nicht. Ich würde wahrscheinlich am Schreibtisch sitzen, hinausschauen und auf der anderen Seite einen dicken Nordic Walking – Menschen sehen, der auf der Bank herumlungert, neben sich die Stöcke, die Füsse lang ausgestreckt.

„Die arme Sau“, würde ich denken und erhaben auf mein Grundstück hinunterschauen.
Dann würde mich der Alltag einholen und meine schlechte Laune würde in mir hochsteigen.

„Ich muss den Artikel noch fertigschreiben,
das Laub fegen, den Bootssteg reparieren.“

Der Mann auf der anderen Seite erhebt sich.
„Wie der sich wohl fühlt?“, würde ich mich fragen.
„Bestimmt bescheiden.“

Ich erhebe mich von der Bank, schnappe mir die Stöcke, schmeiss sie auf die Schulter und werfe einen letzten Blick auf das Haus am See.

„Schön, dass ich das alles sehen und erleben kann. Gott sei Dank, muss ich dafür gar nichts tun, nur herfahren, sich bewegen, auf der Bank sitzen, den Blick aufs Wasser geniessen, das Haus bewundern und denken, dass es schön ist, dass du keine Arbeit damit hast.

 

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RÜCKBLICK: INTERVIEW MIT SUSANNE ROSENBERGER

DAS INTERVIEW WURDE AM 28.02.2017 GEFÜHRT

Susanne Rosenberger ist die Inhaberin des Pflegedienstes S. Rosenberger und der Tagespflege am Nordbad in Castrop-Rauxel

WAS NOCH HEUTE WICHTIG IST:
  • Beflügelndes und Bedrückendes – beides liegt oft beieinander.
  • Ein dankbarer Blick oder ein Lächeln – das ist wahres Glück.
  • Der Tod lässt das Leben als das erscheinen, was es in Wirklichkeit ist – ein Geschenk. 
  • Es ist ein ungeheurer Reichtum, Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten.
'5 Dinge, die Sterbende am meisten bereuen - Einsichten, die Ihr Leben verändern werden.'(Bronnie Ware)
Ein Buch, das nicht nur zum Thema passt, sondern dir schlaglichtartig klarmacht, was im Leben wirklich wichtig ist:  

 

ZUM INTERVIEW:

Frau Rosenberger, bereuen Sie den Tag, an dem Sie den Entschluss gefasst haben, in die Pflege zu gehen?

Also ich bereue das auf keinen Fall. Natürlich gibt es immer Momente, die nicht so schön sind. Aber die gibt es überall.

Ich kann mit Bestimmtheit sagen: Die Pflege, das ist mein Leben.
Das Zusammenspiel mit allen im Team macht das Besondere aus. Es ist nicht ein einzelner Baustein.

Es ist das Puzzle, was jeden Tag aufs Neue zusammengesetzt werden muss – im Team, im Gespräch mit den Angehörigen und den Pflegebedürftigen.

Das Besondere an diesem Beruf ist: Wir gehen mit Menschen um, die unserer Hilfe bedürfen.

Und wenn ein dankbarer Blick kommt oder ein Lächeln des Pflegebedürftigen, ja dann ist das schon wahres Glück.

Wir schieben nicht nur die Papiere von links nach rechts. Das muss ich natürlich auch. Aber alles, was wir tun, das ist für die Menschen, die wir pflegen und betreuen. Ich bereue nichts und möchte auch nichts anderes machen.

Wo sind Sie aufgewachsen?

In Castrop Rauxel.

Welchen Bildungsweg haben Sie genommen?

Ich habe Abitur gemacht. Danach habe ich eine Ausbildung zur Krankenschwester durchlaufen.

Ich war dann anschließend im Augusta Krankenhaus in Bochum tätig – auf einer Intensivstation in der Chirurgie.

Wie lange waren Sie dort?

6 Jahre.

Wie sind Sie zur Pflege gekommen?

Durch meine Oma. Sie war Altenpflegerin in einem Altenheim und führte dort nebenbei eine Schneiderstube.

Später wurde meine Oma schwerkrank. Mein Vater und ich haben sie bis zum Schluss begleitet.

Danach kam meinem Vater und mir der Gedanke, einen Pflegedienst zu gründen. Mein Vater hat dafür noch einmal umgeschult und eine Ausbildung zum Altenpfleger absolviert.

2000 war es dann so weit und wir haben den heutigen Pflegedienst eröffnet.

Was belastet Sie, wenn Sie heute an die Pflege denken?

Beflügelndes und Bedrückendes – beide Momente liegen oft dicht beieinander. Mir liegt die Palliativpflege sehr am Herzen. Das gibt es natürlich sehr traurige Momente.

Was bedrückt Sie da ganz besonders?

Während der Palliativpflege werden wir ein Teil der Familie.
Und wenn Sie dann eine Mutter im Sterben begleiten, die erst 42 Jahre alt ist und Kinder hinterlässt, dann ist das sehr bitter – auch für uns als professionelle Begleiter. Aber es gibt auch viel Positives.

Was meinen Sie?

Nun, man sieht die eigenen Sorgen und Nöte in einem anderen Licht.
Sie erscheinen einem so unwichtig und klein angesichts dessen, was andere Menschen durchmachen.

Und: Es ist ein ungeheurer Reichtum, Menschen auf ihrem letzten Weg zu begleiten.

Manch einer spricht darüber, was er anders gemacht hätte.
Die überwiegende Mehrheit ist klar und ehrlich in der Betrachtung ihres zurückgelegten Lebensweges.

Der Tod lässt das Leben als das erscheinen, was es ist, nämlich ein Geschenk. Und das ist unwiederbringlich.

Vielen Dank für das Gespräch.

MEIN FREUND, DER ALLTAG

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HEIMAT IST DORT, WO DEINE WOHNUNG IST

ALLTÄGLICHES

Freitagmittag, kurz vor ein Uhr.
Ich sitze auf einer Bank in der Vorhalle des Bahnhofes in Bernau und warte auf Klara. Sie kommt heute aus Sassnitz zurück und war bei ihrer Mutter.

Es ist zugig in der Vorhalle und wenn die Eingangstüren aufgehen, weil ein Reisender rausgeht oder hereinkommt, dann weht ein eisiger Wind herein. Kaum zu glauben, dass es noch vor ein paar Tagen sommerlich warm war.

Ich habe sogar den Rasen noch einmal gemäht, weil das Gras schon wieder so hochstand.
Ist das die Auswirkung des Klimawandels?
Wenn ja, dann werde ich wohl zum 1. Advent noch einmal mähen müssen.

Es nieselt draußen, das Pflaster auf dem Bahnhofsvorplatz schimmert feucht.
Es ist typisches Londoner Wetter, gut um seinen Depressionen freien Lauf zu lassen, oder um gleich von der Brücke zu springen. Gott bewahre, ich habe das nicht vor, aber wenn doch, ja dann würde ich mir diesen Tag aussuchen.

Aber ich will mich am Schopf packen und überlegen, was an dem Tag trotzdem schön ist.

Über die kleinen Ereignisse im Alltag freuen, so wie im Roman von Dora Heldt:
„Mathilda oder Irgendwer stirbt immer“

Schön ist, dass ich hier im Trockenen sitze und die Menschen beobachten kann, die an mir vorbeihasten. Sie kommen die Treppen herunter und sind sicher aus der eingefahrenen S-Bahn ausgestiegen.

Die Zeit ist ran, dass ich mich nach oben auf den Bahnsteig begeben muss. Der Zug von Klara wird gleich einlaufen, wenn er pünktlich ist.
Ich schnaufe die Treppen hinauf und oben angekommen schaue ich nach einem freien Platz auf einer Bank.

Sie sind alle besetzt. Ein junger Mann hat sich in die Mitte gesetzt, so dass links und rechts von ihm kein Platz mehr frei ist.
Ich müsste fragen: „Entschuldigen Sie, ist hier noch frei?“
Dazu kann ich mich aber nicht überwinden.

Ich gehe auf die andere Seite des Bahnsteiges und sehe, dass dort alle Bänke ebenfalls besetzt sind.
Auf der einen Bank direkt vor mir hocken zwei kleine Jungen, die aufgeregt durcheinanderschnattern.

Die junge Mutter hat zwischen sie eine Tupperdose gestellt, in der geschälte Äpfel zu sehen sind.
„Mama, wann sind wir bei Opa?“, fragt einer der Jungen aufgeregt.
Ich muss innerlich schmunzeln, es erinnert mich doch sehr an Krümel.

Ich gehe also weiter auf und ab, ohne mich weiter um einen Sitzplatz zu kümmern.
Ich wollte eigentlich im Sitzen weiterschreiben, aber das geht auch im Stehen.

Auf dem Bahnhof habe ich stets das Gefühl, mitten im Leben zu sein.
Es ist wirklich interessant, die Leute zu beobachten.
An mir vorbei geht ein Soldat in Uniform. Ich muss sofort an den Ukrainekrieg denken.

Direkt vor mir stehen zwei Frauen mittleren Alters, die sich angeregt unterhalten. Sie wollen offensichtlich nach Berlin reinfahren, um etwas zu unternehmen.

Der Bahnhofslautsprecher ertönt und kündigt den Zug aus Stralsund an.
Es ist irgendwie immer wieder aufregend, wenn der Zug einläuft.
Ich bleibe meist hinten am Bahnsteig stehen, sodass ich dann die einzelnen Waggons in Fahrtrichtung ablaufen kann.

Der Zug donnert heran, die Bremsen quietschen und wieder ertönt aus dem Lautsprecher eine Stimme, die den Reisenden sagt, wo sie umsteigen können.

Die Menschen quellen aus den einzelnen Waggons heraus und ich sehe Klara, wie sie sich einen Weg bahnt. Sie erkennt mich und winkt.

Ich freue mich, dass sie wieder da ist.
„Du glaubst nicht, wie froh ich bin, dass ich wieder zu Hause bin“, sagt sie.

„Und ich erst“, antworte ich.
„Aber Sassnitz ist doch deine Heimat, bist du nicht traurig, dass du wieder abfahren musstest?“, frage ich sie.

„Ja, schon, aber Heimat ist dort, wo deine Wohnung ist. Und die ist nun mal hier.“
Ich nicke und wir steuern auf Treppen am Ende des Bahnsteiges zu.

MEIN FREUND, DER ALLTAG

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REDEN UND SCHREIBEN SIND EIN HANDWERK – DU MUSST STÄNDIG DARAN ARBEITEN

MEIN FREUND, DER ALLTAG

Trauerreden haben eine Besonderheit: Du hältst sie in emotionalen Ausnahmesituationen. Du musst also dein Handwerk besonders gut verstehen.

Es ist nicht leicht, vor Trauergästen zu reden, die gerade einen für sie wichtigen Menschen verloren haben.

Du musst ‚cool‘ bleiben, weil du dich sonst von den Emotionen mitreißen lässt und du schließlich kein Wort mehr herausbekommst.

Du hilfst damit aber nicht dir und schon gar nicht den Zuhörern, die von dir erwarten, dass du etwas Wertschätzendes sagst, was zu den Herzen derjenigen Menschen geht, die vor dir sitzen.

Das funktioniert nur, wenn du alles in die Vorbereitung für die Rede legst, du die Sätze vordenkst und sie so aufschreibst, dass ihre Wirkung mitbedacht wird. Kurzum, du musst dein Handwerk verstehen – das des Redens und das des Schreibens, damit eine wirkungsvolle Rede entstehen kann.

Eine Rede, die in den Köpfen bleibt, weil sie die Herzen der Menschen erreicht hat. Ich habe schon so manchen Redner erlebt, der meinte, wenn er etwas Blumiges, etwas Salbungsvolles aus fertiggeschriebenen Texten herausnimmt, dann träfe es die Menschen ganz besonders ins Herz.

Meine Erfahrung besagt da etwas anderes – wenn du nämlich Phrasen aneinanderreihst, Sätze, die faktisch hohl, nichtssagend sind, und mögen sie auch noch so wohlfeil formuliert sein, dann erreichst du das ganze Gegenteil.

Die Leute werden es dir nicht ins Gesicht sagen, aber es spricht sich schon rum, wenn du nur an der Oberfläche im Leben eines Menschen gekratzt hast.

BRONNIE WARE „LEBEN OHNE REUE – 52  Impulse, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist.“

Es ist also wichtig, ins Detail einzusteigen, was den Lauf des Lebens eines Verstorbenen anbetrifft. Du musst dich für alles interessieren, was ihn ausgemacht hat, was er mochte und wo seine Schwächen waren. Sind es liebenswerte Schwächen, dann sprich‘ sie an, weil vor allem so jemand wieder lebendig vor den Augen der anderen wird, für einen winzigen Moment jedenfalls.

Und was kann es Schöneres geben, wenn irgendwann die Familie am Frühstückstisch sitzt und jemand fragt: „Weißt du noch, wie gern Opa samstags stets was zu tun hatte, weil er ungern den Staubsauger in die Hand nahm?“

‚Schwarz in Schwarz’ denken, für alle Ewigkeit, das hilft niemandem. Dafür lohnt es sich, unermüdlich an den eigenen Fähigkeiten zu feilen – an denen des Schreibens und des Redens.

Den Menschen so in er Erinnerung zu behalten, wie er war, im wahren Sinne des Wortes mit einem lachenden und weinenden Auge an ihn zu denken, das hilft allen, und: Es bewahrt den Verstorbenen im Herzen und in der Erinnerung der Hinterbliebenen.

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

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HUBERT KIRCHNER: ER WAR EIN WUNDERBARER MENSCH

Es gibt Menschen, die bleiben dir einfach im Gedächtnis und sie schleichen sich sogar in dein Herz, ohne dass du es gleich merkst.

So erging es mir, als ich die Trauerrede für die Familie Kirchner schrieb und sie später auch vor der Familie und den anwesenden Trauergästen gehalten habe.

Es ist das erste Mal, dass ich eine Trauerrede auf dem Blog veröffentliche.

Aber es ist mir wichtig, dass Hubert einen kleinen Ehrenplatz erhält, damit interessierte Leser erfahren, was für ein großartiger Mensch Hubert war – bescheiden in seiner Art, lebenslustig und sehr kreativ als Künstler und Maler.

Hier nun mit freundlicher Genehmigung seiner Frau, Inge Kirchner, ein Auszug aus der Rede vom 22.07.2022.

 

Liebe Inge, liebe Birgit, liebe Evelyn, liebe Karin, lieber Thilo, liebe Familienangehörige, liebe Trauergäste,

wir verabschieden uns heute von Hubert Kirchner, geboren am 06. März 1930 und gestorben am 07. Juni 2022, einen Tag vor der ‚Eisernen Hochzeit‘ mit seiner Frau Inge.

Hubert war ein kreativer Künstler, ein Mensch, der mit ganzer Leidenschaft seinen Beruf geliebt hat, und der seiner Kunst, seinen Bildern mit Haut und Haaren verfallen war.

Hubert Kirchner wurde in Sachsendorf, später Sachsenbrunn, Kreis Hildburghausen, als Sohn des Schlossers Oskar Kirchner und der Hausfrau Loni Kirchner geboren.

Am 01. April 1936 begann seine Schulzeit in Sachsendorf. Zuerst Volksschule, dann Mittelschule, unterbrochen durch die Kriegswirren, war es für Hubert ein nicht ganz leichter Start.

Allein die Ausweisdokumente aus dieser Zeit belegen das: Ein Dokument, ausgestellt am 23.05.1945, besagt, dass Hubert den Ort Sachsendorf nicht verlassen durfte.

Das war eine
Anweisung der Military Government of Germany und gleichzeitig die ‚Temporary Registration‘, mit Fingerabdruck.

Und am 15.02.1946 die gleiche Bestätigung seiner Person, nur jetzt unter der Bezeichnung: ‚UDOSTOWERENIE‘, dafür ohne Fingerabdruck.

Hubert verdiente sich sein Schulgeld, sein Geld für Bücher und ja, auch für den Lebensunterhalt der Familie durch Malen und Schriftschreiben.

In seinem Lebenslauf steht: „Auf diese Weise kam ich zum ersten Mal praktisch mit dem grafischen Gebiet in Berührung, das für mein weiteres Leben bestimmend sein sollte.

Nach der Schulzeit begann Hubert im Oktober 1947 seine grafische Ausbildung an der damaligen Meisterschule für bildende Kunst in Sonneberg, Thüringen – genauer gesagt, an der staatlichen Industrieschule für Spielzeug und Keramik.

Der damalige Direktor antwortete auf Huberts Bewerbung wie folgt: „Sehr geehrter Herr Kirchner, wir teilen Ihnen auf Ihre Anfrage in Ermangelung eines Prospektes mit, dass an unserer Schule

Gelegenheit zu einer gründlichen Ausbildung im Zeichnen, Malen, Modellieren, Drechseln, Drehen und einschließlich der angrenzenden Fachgebiete mit den entsprechenden Ergänzungsfächern gegeben wird.“

Das Studium dauerte drei Jahre und im Jahr 1950 wurde Hubert als Schrift- und Plakatmaler in einem Werbeatelier in Sonneberg eingestellt.

Er brachte für seinen Berufsbeginn gute Voraussetzungen mit.
Hubert hatte ein Abschlusszeugnis, das durchweg gute und sehr guten Bewertungen aufwies.

Bemerkenswert sind die Noten „Sehr gut“ in ‚Ordnung‘, ‚Fleiß‘ und ‚Pünktlichkeit‘.

Wenn wir also Goethes Maßstab anlegen, der das Genie so beschrieb, dass dieser zu einem nur geringen Teil aus Inspiration und zum überwiegenden Teil aus Transpiration besteht, dann wissen wir, wie wichtig diese Eigenschaften für eine wahrhafte kreative Entfaltung sind.

Dass Hubert talentiert war, belegte unter anderem das Diplom über den Berufswettbewerb 1950, in dem er den 2. Platz belegte.
Hubert wurde 1951 Grafiker in der Konsum-Werbung und danach Gebrauchsgrafiker in der HO-Werbung Hildburghausen.

1953 ging Hubert zur Unterstützung seiner Kollegen in Vorbereitung auf die Weltfestspiele nach Berlin.

1954 bewarb er sich erfolgreich im Industrieladen des VEB Apoldaer Lederwarenfabrik und betreute als verantwortlicher Grafiker nicht nur den Industrieladen der Lederwarenfabrik, sondern auch den der Schuhfabrik Berlin und des VEB Carl Zeiss Jena.

Hubert kümmerte sich um die Aufgaben eines Dekorateurs, speziell in der Schrift und Plakatdekoration, der Grafik und Fotografie.

Er wusste, wie man Firmenzeichen für Briefköpfe entwarf, Ölgemälde anfertigte, zum Beispiel mit Motiven von Kollegen an ihrem Arbeitsplatz, Testwagen für den 1. Mai kreierte oder Kataloge konzipierte.

Er ist vielfach für sein gestalterisches Können, sein künstlerisches und handwerkliches Vermögen ausgezeichnet worden.

1969 erhielt er die Ehrennadel der Nationalen Front in Gold.
Doch der Weg bis dahin war hart und übersät mit Steinen, die es ihm schwer machten, seine Visionen zu verfolgen.

Aber Hubert tat das, was Goethe einst so formulierte: „Man kann auch etwas Schönes aus Steinen bauen, die einem in den Weg gelegt werden.“

Und so hat er sich 1963 selbstständig gemacht und von da an als Freiberufler gearbeitet.

Hubert war deshalb auch Mitglied im Verband Bildender Künstler.
„Das war anfangs eine schwere Zeit. Wir hatten manchmal bloß fünf Mark am Tag.

Mein Mann musste sich erst einmal einen Kundenstamm aufbauen“, sagt Inge.

Später hat er für das Interhotel gearbeitet, war jedes Jahr auf der Messe und hat die Medizintechnik in Leipzig gestaltet und die komplette Darstellung des Unternehmens organisiert, konzipiert und gestaltet.

„Unser Vater hat auch U-Bahnflächen bemalt, direkt auf der Leinwand“, erzählen seine Kinder.

HUBERT UND INGE

„Wir haben uns 1955 auf der Arbeit kennengelernt. Ich war Lehrling im Bereich der Ausbildung zur Fachverkäuferin für Kosmetik im Kaufhaus Karlshorst. Das war ein HO-Industriewaren-Laden“, erinnert sich Inge.

Hubert fand es so schön, wie Inge mit der Teetasse durch das Kaufhaus gelaufen ist.

„Dich mit deiner Teetasse, dich sehe ich immer noch“, hat er oft noch Jahre später erzählt.

Hubert wohnte im Studentenheim in Pankow und war in dieser Zeit ebenfalls dort angestellt, wo Inge arbeitete.

„Wir hatten eine Frauentags-Veranstaltung und die Männer mussten uns bedienen, wie das damals so üblich war“, schwärmt Inge, als sie davon erzählt.

Und weiter: „Ich hatte ein Auge auf ihn geworfen, denn er war ja ein hübscher Kerl. Und dann habe ich zu meiner Freundin gesagt: ‚Wenn der mich jetzt nicht zum Tanzen auffordert, dann gehe ich nach Hause.“

Inge musste nicht nach Hause gehen. Denn als ob er das gehört hätte, kam er und forderte sie zum Tanzen auf, und brachte sie später nach Hause. Sie haben sich dann öfter gesehen.

„Es hat sich langsam entwickelt, mein Vater und Hubert mussten sich erst einmal aneinander gewöhnen. Mein Vater mochte Hubert anfangs nicht so sehr, aber deshalb habe ich ihn gerade zum Essen eingeladen“, so Inge.

Hubert und Inge haben schließlich am 08.06.1957 geheiratet, und eine Woche davor, am 01. Juni 1957, kam Birgit zur Welt.

Inge ist in den Jahren von 1957 bis 1972 zu Hause geblieben und hat die Kinder – Birgit, Evelyn, Thilo und Karin betreut.

„Nachdem die Kinder aus dem Gröbsten raus waren, da hatte ich das Bedürfnis, wieder arbeiten zu gehen“, sagt sie.

Sie war als Erziehungshilfe in einem Kindergarten tätig, als Verkäuferin im Hotel Stadt Berlin oder im HO-Delikat. Zum Schluss hat sie vor der Wende im Havanna-Laden Unter den Linden gearbeitet.

Inge ist selbst heute noch aktiv, mit 83 Jahren.
In der Nachbarschaft heißt sie nur ‚Frau Otto‘, erzählen ihre Kinder Birgit und Evelyn.

Inge hatte nach der Wende als erste im damaligen Ost-Berlin gemeinsam mit Evelyn einen Otto-Shop. Später hat Inge als Premium-Partnerin allein weitergemacht, als es sich nicht mehr lohnte, einen Laden zu betreiben.

Inge ist in ihrem Friedrichshainer Kiez eine Institution. Sie ist bekannt. Schon, weil ihre Eltern eine Bäckerei um die Ecke hatten, von 1957 bis 1973.
Und sie ist beliebt bei ihren Otto-Kunden, die ihr bis heute die Treue halten, selbst junge Leute.

Und wenn sie das Bedürfnis nach Gesellschaft hat, geht sie in die Kiez-Kneipe von Union.

Auf Inges Tisch liegt ein Zettel, den ihr Hubert nachts geschrieben hatte, wenige Tage bevor er starb: „Liebste Inge, es ist kurz vor halb elf Uhr abends. Ich gratuliere zu unserem Hochzeitstag. Morgen will ich mich nach Blumen umsehen. Ich war bisher so eingespannt und nervös. Gute Nacht, in Liebe, dein Männe.“

Auch wenn Hubert das Datum des Hochzeitstages verwechselte, seine Liebe zu Inge war unverwechselbar und sie war echt.

HUBERTS KINDER

Huberts Kinder sind so verschieden, wie Menschen als Persönlichkeiten eben verschieden sein können. Aber sie eint vieles, wenn es um Eigenschaften, berufliche Neigungen, kreative Ansätze geht.

Birgit ist seit 1984 freiberufliche Grafikerin. Thilo arbeitet als freiberuflicher Tontechniker fürs Fernsehen, Karin ist Physiotherapeutin und Sängerin.

Evelyn ist gelernte Herren-Maßschneiderin und arbeitet heute als Verkäuferin bei Gery Weber.

Evelyn sagt: „Wir alle sahen, wie sehr unser Vater mit seiner Arbeit befasst war, und er deshalb nicht oft Zeit für uns erübrigte. Wir lernten aber auch, wie wichtig die von ihm vorgelebte Disziplin und die Ordnung war, wenn man im Leben etwas erreichen wollte.“

Alle Kinder erkannten durch das Vorbild von Hubert, dass man sich in ein Thema reinhängen musste, in das, was man tat.

Und wenn es darauf ankam, dann setzte er sich auch hin und erklärte, was er gut fand und was nicht so.
„Wenn wir abends eine Kissenschlacht gemacht haben, dann wussten wir schon, wann wir ‚überzogen‘ hatten“, erzählt Evelyn.

Birgit erinnert sich: „Als ich fünfzehn war und meinen ersten Freund hatte, zu spät nach Hause kam und außerdem noch geraucht hatte, da sagte mein Vater mir, was er davon hielt, unmissverständlich zwar, aber dennoch in ruhigem Ton.“

Die Familie ging wertschätzend und liebevoll miteinander um, denn das war es, worauf Inge und Hubert gemeinsam achteten.

Dafür mussten im Gegenzug seine Schwiegersöhne mit Hubert Dame spielen. Selbst Urenkel Etienne kam daran nicht vorbei, sich von seinem Urgroßvater das Vergnügen dieses Spiels erklären zu lassen.

Udo, Huberts Neffe und dessen Frau Karin, sie genießen diese ganz besondere Familienatmosphäre, besonders nach dem Tod von Udos eigenem Vaters.
„Wir haben ihn dann einfach assimiliert“, sagt Birgit.

HUBERTS ENKEL

Hubert arbeitete viel und manchmal hätte sich die Familie gewünscht, dass er mehr Zeit für sie erübrigt hätte.

Aber Hubert wird in den Kindern, Enkeln und Urenkeln weiterleben, durch sie immer wieder aufs Neue in den Gedanken und Herzen auftauchen.

Da sind die Kinder von Karin, Lorina, die in Kiel studiert. Till, der eine Tischlerlehre absolviert.

Die Kinder von Thilo – Lars, der bei der Deutschen Bahn als Manager arbeitet, Aike, der freischaffende Fotograf ist.
Birgits Kinder, Huberts Enkel, denken an ihren Opa.

Jakob, der Philosoph, mit dem sich Hubert noch unbedingt in den letzten Tagen austauschen wollte, trauert um Hubert.

Nora, die Polizeikommissarin und ihr Sohn Etienne, sie liebten Hubert. Etienne hat manchmal durch die Tür zum Arbeitszimmer geschaut, um zu sehen, was sein Uropa gerade so macht.

Matthias, Birgits erster Mann, und Hubert schätzten sich sehr.
Peter, Birgits heutiger Mann, hatte ein gutes Verhältnis zu Hubert. Sie mochten sich.

Evelyns Tochter Linda, Fachwirtin für Immobilienmanagement, und ihre drei Kinder – Selin, Emin, Mikael – sie liebten ihren Opa.
Lennart, Evelyns Mann, mochte und verehrte Hubert.

Die besten Freunde von Hubert und Inge sind Helmut und Doris. Die Freundschaft hat gehalten, bis zum Schluss und Inge wird sie weiter pflegen.

HUBERTS FAMILIE

Die Familie hat zusammengehalten, und sie hat auch viel gefeiert.
2019, bei der Familienfeier im Garten in Schönow, hatte Birgit die Idee, italienische Masken herauszuholen. Wie viel Spaß alle daran hatten, davon zeugen die Fotos noch heute.

Zur Diamantenen Hochzeit, auf dem Gestüt in Sarnow mussten Hubert und Inge noch einmal symbolisch heiraten.

Und da Peter und Birgit gerade aus Rom von einer Urlaubsreise zurückgekehrt waren, sagten sie, dass sie weder Kosten noch Mühen gescheut hatten, um aus dem Vatikan anzureisen.
Dackel Dannae und die zwei Katzen Luzi und Muzi sorgten für munteres Leben in der Familie.

Den Dackel bekam Karin geschenkt, weil sie gut in der Schule war, auch wenn sie eigentlich lieber ein Pferd haben wollte.

Hubert ging nachmittags mit dem Hund Gassi, nachdem dieser ihn regelmäßig anstieß, um ihn von der Arbeit wegzuholen.
Die Katzen verstanden sich gut mit dem Dackel, vorausgesetzt, sie rührten sein Fressen nicht an.

DER MENSCH HUBERT

Hubert war ein lustiger, ein lebensfroher Mensch. Er konnte wunderbar Witze erzählen, hat ganze Abende damit ausgefüllt.

An einem heißen Sommertag hielt in der Straße ein Auto, ein Mann stieg aus und fragte, wo man in der Nähe baden gehen könnte. Er war aus Holland angereist.

Schließlich saßen alle um den Kaffeetisch, der Holländer mittendrin, aßen Inges gebackenen Kirschkuchen und Hubert erzählte Witze.

„Der Holländer kam jedes Jahr wieder und fragte, ob Hubert ein paar neue Witze kennen würde“, sagt Inge.

Hubert entdeckte in den 80-iger Jahren eine Marktlücke – Bilder restaurieren und neu einrahmen. Er rahmte die Bilder mit Holz aus alten Möbeln, das auf dem Müll gelandet wäre.

„Wir sind mit den fertigen Bildern auf Flohmärkte gefahren. Die Leute haben uns die Sachen aus der Hand gerissen“, erinnert sich Inge.
Hubert hat nicht nur verkauft, er hat auch reichlich gekauft.
Was Hubert in seinem Leben beflügelt hat, das waren seine Gedanken an die Kunst, an seine Bilder. Das war sein Lebenselixier.

Allein wäre Hubert nie auf die Idee gekommen, auf Reisen mit dem Kreuzfahrtschiff zu gehen. Dafür sorgte seine Familie.

„Man musste ihn zu seinem Glück zwingen“, sagt Evelyn.
Birgit hat zwei Fotobücher erstellt, sehr schöne Alben, von den gemeinsamen Urlaubsreisen.
Selbst darauf sieht man, wie er am Urlaubsort gearbeitet hat.

ABSCHIED VON HUBERT

Liebe Inge, liebe Birgit, liebe Evelyn, liebe Karin, lieber Thilo, liebe Trauergäste,
wenn wir nun Lebewohl zu Hubert sagen, dann tun wir es in dem Bewusstsein, dass er ein glückliches Leben geführt hat, dank Ihnen allen und dank seiner eigenen Anstrengungen, die ihn auf seinem Weg vorangebracht haben.

Liebe Inge, Sie hatten mit Hubert ein wunderschönes Leben, ein erfülltes Leben, voller Sehnsüchte, Liebe, ja auch Kameradschaft, über das es sich zu sprechen, zu erinnern auch künftig lohnt.

Einfach einen Menschen im Gedächtnis behalten, in der Erinnerung, der so wichtig in Ihrem Leben und dass seiner Freunde und Angehörigen war, das macht nun Ihren Reichtum aus.

Hubert Kirchner, wir werden dich nicht vergessen und wollen mit dir noch einmal den Titel von den Abbas spielen, den du so mochtest:

‚I have a dream‘.

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

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MEIN GESPRÄCH MIT EINER PFLEGEDIENSTINHABERIN VOR ÜBER 5 JAHREN UND TROTZDEM NOCH AKTUELL

 

Ute Grüner ist die Geschäftsführerin der Sozialstation Grüner GmbH.
Vor über 5 Jahren, am 17. Februar 2017 habe ich mit ihr über ihren beruflichen Werdegang ein Interview geführt.
Es ist immer noch aktuell für Leserinnen und Leser, die sich für die Pflege und Betreuung von hilfsbedürftigen Menschen interessieren.
Zum Interview: 
https://uwemuellererzaehlt.de/2017/02/17/interview-mit-ute-gruener/

WERBUNG FÜR EIN LESENSWERTES BUCH:

‚Das Buch über das Älterwerden‘ (Für Leute, die nicht darüber sprechen wollen)
Autorin: Dr. Lucy Pollok
„Es gibt für alles eine Lösung, man muss nur darüber reden“, sagt die Geriatrikerin Dr. Lucy Pollok in ihrer Einführung.
Interessant für Menschen, die selbst auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, oder aber für einen Angehörigen sorgen müssen.

Sprechen hilft, lesen auch – deshalb lohnt es, in dieses Buch zu schauen:

Dr. Lucy Pollock"Das Buch über das Älterwerden"

MENSCHEN IN DER PFLEGE

ZWEI TAGE MIT KRÜMEL – ZWEI GLÜCKSTAGE

 So, wie Kinder sich zu einer Geburtstagstorte freuen können, so kannst du es nie mehr in deinem Leben.

‚Ich bin Krümel und wohne…‘, stellt sich Krümel in der Tankstelle dem Verkäufer vor, während die anderen mit mürrischem Gesicht darauf warten, dass sie bezahlen und wieder losfahren können. 

‚Gibt es Haie im See?‘, fragt Krümel den Angler ganz selbstverständlich und schuld daran bin ich, der ihr das in einer Fantasiegeschichte erzählt hat. 

‚Tschüss Petri Heil‘ sagt Krümel zu dem Angler, dem ich auf diese Weise einen guten Fang wünschen wollte. 

Endlich. Der Tag war heran, wo wir Krümel wieder einmal in die Arme schließen konnten, um mit ihr im kleinen Rahmen ihren fünften Geburtstag nachzufeiern.

Es schien, als sei es erst gestern gewesen: Wir saßen beim Frühstück in der Küche und bekamen den Anruf, dass Laura ein Mädchen geboren hatte.

Mir liefen die Tränen das Gesicht herunter, obwohl ich es nicht wollte.

„Ich bin erkältet“, sagte ich zu Klara.
Jetzt waren bereits fünf Jahre vergangen und es ist, als ob die Kleine schon immer auf der Welt war.

Freitag. Ich stapfte die Treppen in der Kita hoch, um Krümel abzuholen. Sie ist gerade im Waschraum und stürmte auf mich, sprang mir in die Arme und ich war glücklich.

„Das ist mein Opa“, sagte sie stolz zu den anderen Kindern, die mich neugierig anschauten.

Wir fuhren nach Hause und Krümel fragte, wann wir endlich da wären und sie die Geschenke auspacken konnte.

„Jetzt noch einmal links um die Ecke und dann um den Kreisel, danach haben wir es geschafft“, sagte ich zu ihr, ohne den Blick von der Straße zu lassen.

„Es gibt gar keinen Kreisel, Opa“, antwortete sie.
Mit Kreisel war der Kreisverkehr gemeint, ein kleiner Kreis, in dessen Mitte ein Baum stand und drumherum Wiese war, auf der im Sommer sich die Bienen aufhalten sollten.

Ich fuhr einfach ganz um den Kreisverkehr herum.
„So, jetzt bist du im Kreis gefahren“, sagte ich zu Krümel.
„Krümel ist schlecht“, sagte nun vorwurfsvoll Laura, die hinten mit im Auto saß.

Sie hatte Angst um Krümel, weil ihr so leicht übel bei zu schnellem Fahren um die Kurven wurde.
Wir kamen zu Hause an, Krümel stürmte Oma entgegen und die Welt war wieder in Ordnung.

Sie konnte nicht schnell genug die Sachen ausziehen, schmiss die Stiefel in die Ecke und durfte nun endlich in die Wohnstube, wo der Kuchen stand, mit den brennenden Kerzen drauf und wieder mal viel zu vielen Geschenken.

Ich hatte das Handy herausgeholt, um das Ganze per Video aufzunehmen. Ich filmte und als mir der Arm wehtat, nahm ich das iPhone herunter, um festzustellen, dass ich vor Aufregung gar nicht auf die Taste gedrückt hatte.

Krümel pustete die Kerzen aus und war glücklich.
„Oma, wann essen wir die Torte?“, fragte sie Klara.
„Nachmittags zum Kaffee, nach dem Spaziergang“, antwortete Klara.

Wir fuhren nach dem Essen los und ich hielt kurz an der Tankstelle,
„Opa darf ich mitkommen?“, fragte mich Krümel.
„Aber nur, wenn du meine Hand anfasst und an meiner Seite bleibst“, sagte ich zu ihr.

Krümel nickte kurz und hatte schon die hintere Tür vom Auto auf.
Beim Bezahlen stand sie neben mir und sagte zu dem Verkäufer: „Ich bin Krümel und wohne in der ‚Rüü..ickkenstrasse‘, sagte sie ungefragt zu ihm.

„Ich habe die Hälfte davon verstanden und dafür kannst du dir hinten einen Lutscher herausnehmen“, sagte er lachend.
‚Kinder erobern die Herzen der Menschen, selbst in dieser schweren Zeit‘, dachte ich bei mir.

Wir machten einen schönen Spaziergang am Rahmer See entlang. Die Sonne schien, das Laub raschelte unter den Füssen und wir fühlten uns in eine andere Welt versetzt, eine, in der es nicht die ganzen Alltagsprobleme gab.

Auf dem Rückweg hielt es Krümel nicht mehr aus, sie wollte endlich die Torte anschneiden.
Klara saß mit ihr hinten im Auto.

„Oma, hörst du nicht wie der Kuchen ruft? ‚Wo ist meine kleine süße Maus, die mich aufisst?‘, spielte sie mit verstellter Stimme das nach, was angeblich die Torte ausrief.

Wenige Augenblicke später durfte sie die Wunderkerze ansehen, die auf der Torte brannte und dann endlich ein Stück vom Kuchen abschneiden.

Du kannst dich als Erwachsener nie wieder so freuen, wenn du Geburtstag hast.
Im Gegenteil, du bist vielleicht noch traurig, weil du wieder ein Jahr älter geworden bist.

Am nächsten Tag waren wir wieder an einem See, diesmal am Strehle-See in Prenden.

Am Ufer saß ein Angler und wir sprachen ihn an.
„Was gibt es hier für Fische?“, fragte Klara ihn.
„Aale, Hechte und viel mehr“, antwortete der.
„Auch Haie?“, fragte Krümel.
„Nein, Haie nicht“, sagte der Angler leicht verdutzt.

Krümel war enttäuscht. Ich hatte ihr so oft abends vor dem Schlafengehen oder morgens beim Frühstück erzählt, dass wir gemeinsam Angeln gehen und aus dem See einen Hai fangen.

„Na, dann Petri Heil“, sagte ich zu ihm.
„Petri Dank“, antwortete der Angler.
„Tschüss Petri Heil“, rief Krümel und lief auf den Weg zurück.

Montagmorgen. Wir sind früher als gewöhnlich aufgestanden und zum Discounter gefahren. Es gab Winterstiefel für Krümel.

Ich würde niemals für mich selbst morgens schon beim Supermarkt stehen, um nach Stiefeln zu schauen. Für Krümel aber schon.

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MEIN FREUND, DER ALLTAG

 

TRAUERREDNER – MEIN LANGER WEG (2)

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

WAS BISHER WAR:
Ich stand am Supermarkt am Auto und wartete auf Klara. Sie kam mit Bekannten auf mich zu. Es entwickelte sich ein Gespräch, in dessen Verlauf mir klar wurde, dass es nicht so einfach war, einem anderen Menschen zu erklären, warum Trauerredner ein toller Beruf ist. Nicht nur, weil der Trauerredner so einiges tun kann, um die Hinterbliebenen zu trösten. Nein, weil du dein Handwerk verstehen musst, das Schreiben und Reden wirklich beherrschen musst.
Ich dachte an den Anfang zurück. Vor vielen Jahren hatte ich zugesagt, eine Rede zu halten, die mich vor große Zweifel und Herausforderungen stellte.

Wir fuhren aus dem Urlaub zurück nach Brandenburg. Klara und ich schwiegen, hingen jeder seinen Gedanken nach.
„Wie sollte ich das bloß schaffen?“, fragte ich mich gedankenversunken.

Klar, ich hatte unzählige Vorlesungen und Vorträge ausgearbeitet, vor Studenten und interessierten Zuhörern zu verschiedenen Themen gesprochen.

Ich war über viele Jahre als Coach im Gesundheitsbereich unterwegs gewesen, wusste also, wie kompliziert es mitunter war, die Menschen, die dort arbeiteten, durch Worte zu motivieren, mitzureißen.

Und trotzdem: All das half mir in der konkreten Situation wenig.
Zuhause angekommen rief ich meinen Vater an.
„Kannst du mir helfen, diese Rede zu erarbeiten?“
Es blieb ruhig am anderen Ende des Telefons.

„Kannst du oder kannst du mir nicht helfen?“, fragte ich entnervt nach.

„Ich kann dir ein paar Passagen aus meiner Rede vorlesen. Aber das nützt dir wenig. Du musst den Menschen skizzieren, über den du sprechen willst“, sagte er nach einer Pause.

Wir einigten uns darauf, dass mein Vater mir einige Textstellen vorlas, die sich für einige philosophische Gedankengänge über das Leben eigneten. Aber im Kern war ich damit immer noch nicht weiter.

Ich rief noch einmal den Onkel von Klara an.
„Kannst du sagen, was deine Frau am liebsten in ihrer Freizeit getan hat, wie war sie charakterlich, was mochte sie, und was nicht?“
„Das sind zu viele Fragen auf einmal“, antwortete er.

Nach einem einstündigen Telefonat hatte ich zwei Seiten bekritzelt und ich wurde allmählich innerlich ruhiger.
Wenn ich heute daran zurückdenke, dann sind es oft die Anfänge, die es einem so schwer machen, etwas Neues anzuschieben.

Du hast das Gefühl, dass du einen Güterwaggon anschieben willst, dich mit aller Kraft dagegenstemmst, aber er sich nicht einen Millimeter bewegt.

Und plötzlich ruckt er ein wenig, nachdem du dich mit äußerster Kraft, unter Anspannung all deiner Kräfte dagegen drückst.
Wenn er dann rollt, ja dann ist es keine große Sache mehr. Heute, ja da weiß ich, wie man eine Rede aufsetzt, eine Rede, die auf einer Trauerfeier gehalten wird.

Aus jetziger Sicht klingt das alles vielleicht naiv. Ich wusste ja, wie ich die Sätze schreiben sollte. Schreiben und Reden, das war schon immer mein Metier. Doch wie schreibst und redest du so, dass es die Hinterbliebenen auch tröstet, du die Verstorbene würdigst, ohne nur in allgemeine Floskeln zu verfallen?

Am nächsten Tag rief ich wieder meinen Vater an.
„Wie soll ich anfangen?“, fragte ich ihn.

„Schreib über den konkreten Meschen so, als würdest du eine Laudatio halten, schreib über den Lauf seines Lebens, erinnere dich daran, was ihn besonders gemacht hat.“

Ich war nicht viel weiter, aber ich kniete mich in die Rede hinein.
Ich schrieb einige Tage daran. Ich veränderte den Text, strich Zeilen, fügte andere Inhalte hinzu.

Mit der Zeit fielen mir selbst auch wieder Details aus dem Leben von Klaras Tante ein, die ich in die Rede miteinbrachte und sie so viel lebendiger, ja interessanter erschien.

An dem Tag, an dem es so weit war, da war ich aufgeregt, dachte, ich würde keinen Satz herausbringen. Aber ich musste es irgendwie schaffen.

 

MEIN FREUND, DER ALLTAG

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REDEN SCHREIBEN UND HALTEN – MEINE PERSÖNLICHEN ERFAHRUNGEN IM STENOGRAMMSTIL

SCHREIB-ALLTAG

SELBSTZWEIFEL WEGSCHIEBEN

AUDIO:

 

Es kommt der Moment, da starrst du auf das weiße Blatt Papier oder du blickst auf deinen Computerbildschirm und weißt nicht, wie du anfangen sollst.

Ich sage mir dann, dass ich zunächst nur für mich selbst schreibe und es keiner lesen wird, geschweige denn, dass es schon eine fertige Rede ist.

Die eigenen hohen Erwartungen an sich selbst einfach mal ausschalten, das ist wichtig.
Das führt dazu, dass du deine ‚eigene Bremse‘ im Kopf löst und losfährst.

WIE SOLLTE MAN ES ANGEHEN?

Einfach schreiben und nicht darüber nachdenken, ob das Geschriebene vielleicht nur im Papierkorb landen wird;

Ich schreibe dann einfach los. Am besten geht es bei mir, wenn ich einen Füllhalter in die Hand nehme, ein kleines Tintenfass öffne, die Feder hineintauche und sofort auf dem Blatt beginne zu schreiben.

Das Ergebnis ist erst einmal ein blauer rechter Zeigefinger. Aber ich habe auch etwas aufgeschrieben.

Das Blatt lege ich meist quer und beginne oben rechts zu schreiben. Dann bewege ich mich nach unten und schließlich lande ich oben links.

Das ist sicher eine Marotte von mir. So überwinde ich aber die Angst, ich wüsste gar nicht, was ich das ganze Blatt hinunterschreiben sollte.

Der Nachteil ist: Ich muss es hinterher in den Computer ‚hacken.‘
Aber das ist immer noch besser, als nur auf das weiße Leere zu starren und in schlechte Laune zu verfallen.

SICH ZWISCHENDURCH BEWEGEN

Vom Schreibtisch aufstehen, etwas anderes machen; dann kommt die Kreativität von allein zurück;

Wenn ich schreibe, dann schreibe ich hintereinander weg. Aber manchmal ist es auch gut, einfach mal aufzustehen und sich zu bewegen.

Ich steige zum Beispiel auf mein Ergometer, das rechts von mir in der Ecke des Arbeitszimmers steht.

Nachdem ich dort fünf Minuten darauf herumgestrampelt bin, habe ich ein gutes Gefühl und mache meist motiviert weiter.

DIE BESTEN EINFÄLLE HABE ICH OFT NICHT AM SCHREIBTISCH

Wenn ich meine Frau zwischendurch zum Einkaufen fahre oder etwas zu erledigen habe, dann geht mir im Auto der Text im Kopf herum und oft genug habe ich in genau diesen Momenten die besten Einfälle.

Während ich also auf dem Parkplatz stehe, krame ich das iPhone heraus und tippe meine Gedanken in das Notizbuch.

Das geht langsam, weil ich mich mit meinen dicken Daumen oft genug vertippe, aber ich habe auf jeden Fall alles festgehalten.

Oft genug habe ich mir gesagt: ‚Das weißt du auch noch, wenn du zu Hause bist, und dann kannst du es ja immer noch aufschreiben. Aber weit gefehlt.

Meistens habe ich die geniale Formulierung, die mir auf der Fahrt durch den Kopf schoss, wieder verloren. Also, gleich machen, gleich schreiben.

Ich beobachte überhaupt viel und schreibe es auf, ohne zu wissen, wozu ich es später einmal verwenden kann.

UND SCHLIESSLICH: SICH DIE RICHTIGEN FRAGEN STELLEN

Beim ersten Mal denke ich nicht zu sehr über eine Struktur oder eine Gliederung nach.

Aber ich habe stets eine grobe Gliederung für die Rede im Kopf.
Solche Fragen, wie:
– um wen es eigentlich geht,
– in was für einer Atmosphäre die Rede gehalten werden soll, über welche Charakterzüge die Hauptperson verfügte, was der rote Faden der Rede sein soll.

Bei der Trauerrede ist klar, dass es um die oder den Verstorbenen geht und die Hinterbliebenen. Um sie muss sich der rote Faden der Rede auf jeden Fall ranken.

 

TRAUERREDNER – MEIN LANGER WEG (1)

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

Es war ein Freitag, ich saß am Schreibtisch, formulierte an einem Text und das Telefon klingelte. Klara war dran.

„Du kannst mich abholen, ich geh‘ zur Kasse“, sagte sie zu mir.
Klara wusste, dass ich es hasste, mit in den Supermarkt zu kommen, und so fuhr ich sie hin und ich verschwand auch wieder,, damit Klara in Ruhe durch die Regale schlendern und einkaufen konnte.

Ich war in der Zeit lieber wieder im Arbeitszimmer. In Trainingshosen, bequem eben. Sonst konnte ich nicht denken.

Und in dieser Kleidung holte ich Klara auch wieder ab. Sie hasste es, wenn ich so schlampig daherkam. Aber ich machte mir daraus nichts.

Bis auf diesen Tag, als mir von Weitem ein Ehepaar zuwinkte, das auf mich zukam und sich dabei angeregt mit Klara unterhielt.

Ich stöhnte innerlich auf, ich wollte mich nicht unterhalten, ich wollte wieder zurück an meinen Schreibtisch.

Als die drei vor mir standen, da erkannte ich sie. Es waren Bekannte, die ich lange nicht gesehen hatte.

„Und, wie geht’s dir?“, fragte Walter mich, während er aufmerksam an mir heruntersah.

Walter war sehr gut gekleidet, leger, aber man erkannte, dass er Wert darauflegte, wie er rüberkam.

‚ICH BIN JETZT TRAUERREDNER‘

Ich dagegen stand ihm in meinen schlottrigen Trainingshosen gegenüber.

An der rechten Hosentasche klebte noch etwas Zahnpasta und ich hätte vor Scham in den Erdboden versinken mögen.

„Mach‘ die Zahnpasta von deiner Hose ab“, hatte Klara mir noch an dem Morgen gesagt.
„Ja, wenn ich zurück bin“, erwiderte ich.

Ich hatte es schlichtweg vergessen und dafür lieber meine Planung für die Woche überarbeitet.
Nun war es zu spät.

„Du, ich kann nicht genug klagen“, antwortete ich halb im Scherz auf Walters Frage.

„Und selbst?“, fragte ich ihn.
„Wir kümmern uns um die Enkel, denn unser Sohn ist ja viel beschäftigt. Er ist Vorstandsmitglied geworden.“

„Oho!“, gab ich zurück und schwieg.
„Bist du noch als freier Journalist in deiner schreibenden Gilde unterwegs?“, fragte Walter mich und ich meinte einen mitfühlenden Ton herauszuhören.

„Nein, dafür habe ich keine Zeit mehr. Ich schreibe nur noch ab und zu auf meinem Blog, aber keine Business-Texte mehr über andere Unternehmen“, entgegnete ich.
„Ich bin jetzt Trauerredner“, fügte ich trocken an.

Walter riss die Augen auf, wich einen Schritt zurück und überlegte wohl, welche Fluchtwege ihm offenstanden.

Walter war Professor, hatte Physik studiert. Wir trafen uns vor Jahren das erste Mal in einer Unternehmensberatung, wo ich als Manager anfing und er bereits einen Fachbereich leitete – in der Abteilung, die ich künftig übernehmen sollte.

Er hatte das nie so richtig verwunden, dass er nicht der Manager geworden war. Aber so war es nun mal. Ich wusste davon auch zunächst nichts, denn ich war von außen in das Unternehmen geholt worden.

Jetzt aber schien Walter wirkliches Mitleid mit mir zu haben.
„Soweit bis du also unten angelangt“, schien mir seine Mimik zu sagen.

Er schaute zu seinem nagelneuen BMW hinüber, der unweit von uns stand, und dann wieder zurück auf meinen kleinen Jeep, der von hinten auch noch aussah, als wäre es ein kleiner Renault Twingo.

Also selbst das hatte das Leben in Walters Augen wohl zurechtgerückt, denn er kannte mich nur, dass ich in einem 7er BMW saß und damit gehetzt durch die Gegend bretterte.

Was sollte ich Walter sagen: Dass ich nun viel glücklicher war, einen Beruf gefunden hatte, der hart war, aber der mir die Erfüllung im Leben gab, die ich selbst auf der höchsten Stufe meiner Karriereleiter nie gefühlt hatte?

Es würde an Walter abprallen. Ich könnte zu ihm nicht durchdringen.
Also verabschiedeten wir uns nach einem Small-Talk und stiegen wieder ins Auto.

„Du hast ja nicht einmal die Zahnpasta von deiner Hose abgemacht. Hast du nicht gesehen, wie Walters Frau immer näher an dich heranrückte und auf den Fleck starrte?“, fragte Klara mich entrüstet.

„Weißt du, ich bin ich einfach glücklich“, sagte ich, ohne auf Klaras Vorwurf einzugehen.

„Dass du so schlampig umherläufst, das macht dich glücklich? Das fällt doch auf mich zurück!“, schimpfte Klara weiter.

„Nein, dass ich eine Tätigkeit gefunden habe, der mir einfach Spaß macht“, antwortete ich.

Klara sah mich an und nickte. Sie sah es genauso und sie wusste, dass es schwer war, dieses Glücksgefühl anderen Menschen zu vermitteln.
Ja, ich war Trauerredner und liebte inzwischen meinen Beruf.

‚FÜR MEINE TITEL KANN ICH KEINE BRÖTCHEN KAUFEN‘

Es ist zwanzig Jahre her, als ich meinen Vater besuchte und ihn fragte, ob er noch arbeiten würde.

Er war Jahrzehnte ordentlicher Professor an der TU in Dresden gewesen und wohnte nun in einer Wohnung, die ohne Weiteres dem betreuten Wohnen zugerechnet werden konnte.

„Ich halte Trauerreden“, sagte damals mein Vater trocken und schnörkellos.

„Bist du wahnsinnig! Du schadest deinem Ruf“, sagte ich zu ihm.
„Für meinen Ruf und meine Titel gibt es die Brötchen trotzdem nicht umsonst beim Bäcker“, antwortete er mir.

Auf der Rückfahrt von Dresden sagte ich zu Klara: „Wenn der das macht, dann verdient der auch gut, und dann macht es ihm auch Spaß. Der fasst nichts an, wo er keinen Beifall erhält“, fügte ich noch an.
Klara schmunzelte und nickte.

DU KANNST DOCH DIE REDE FÜR KLARAS TANTE HALTEN

Die Jahre vergingen. Wir waren im Urlaub an der Ostsee.
Wir nutzten den Aufenthalt, um einen Verwandten aufzusuchen, dessen Frau gerade verstorben war. Es war Klaras Tante. Klara hatte sie besonders gern gemocht, und ich mochte sie ebenso.

„Wir redeten ein wenig und plötzlich fing Klaras Onkel an, mir zu erzählen, wie die Trauerrednerin bei ihm gewesen war und was sie alles in der Rede sagen wollte.

„Aber das sind doch Worthülsen, die zwar gut klingen, wahrscheinlich irgendwo sogar abgeschrieben wurden. Aber sie haben doch nichts mit dem zu tun, was deine Frau ausgemacht hat, was Klara an ihrer Tante so schätzte und mochte.“

Der Onkel schaute mich an, stimmte mir zu und fragte mich, ob ich nicht die Rede übernehmen wollte.
Ich wollte nicht. Wir waren im Urlaub, ich hatte keine Ahnung, wie man so etwas anging.

„Nein, auf keinen Fall“, sagte ich.
„Und außerdem hast du doch schon eine professionelle Rednerin.“
„Naja, du wärst mir lieber“, sagte er zu mir.
„Wenn einer reden kann, dann du“, schob er noch hinterher.

„Ja, das stimmt“, nickte Klara.
Ich sträubte mich, denn ich wollte mir diese Bürde nicht aufhalsen.
Jetzt redeten beide auf mich ein.

„Wenn das dein Vater kann, dann kannst du es auch“, sagte Klara überzeugt.
Sie wusste, wie ich meine Vorlesungen ausgearbeitet, und wie ich sie vor Studenten gehalten hatte. Das war aber schon wieder eine Weile her.

Das entscheidende Argument, was mich schließlich überzeugte, kam von Klaras Onkel selbst.
„Im Grunde genommen bin ich so traurig, dass Hedwig die Rede nicht halten kann, denn sie ist zurzeit sehr krank“, sagte er.

Ich kannte Hedwig und ich wusste, dass sie Pfarrerin in Berlin war. Sie konnte exzellent reden und auch schreiben. Vor allem aber wusste sie, wie man die Geschichte eines Menschen erzählt.

Hinzukam: Hedwig kannte Klaras Tante von Jugend an.
Ich verstand nun, dass ich gar nicht die erste Wahl war für die Rede.

Aber an zweiter Stelle zu stehen – auf der Wunschliste von Klaras Onkel, und nur noch diese großartige Pfarrerin vor mir zu haben, das überzeugte mich.

„Gut, ich werde das machen“, sagte ich und ich überlegte, ob ich das wirklich hinbekommen konnte. Ich war zweifelte und ich wusste vor allem nicht, wie ich es angehen sollte.

 

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DIE BIBEL ÜBER DAS LEBEN UND SEINE WEISHEITEN

BIBEL

BIBEL-2022.04.14

Jeder von uns sucht nach Antworten für ein sinnerfülltes Leben, nach dem Glück im Alltag. Die Bibel kann dieses Streben befördern – mit Lebensweisheiten, die über die Jahrhunderte hinweg erzählt und später auch dokumentiert wurden.
Ein kompakter Ausdruck dafür ist die Bibel selbst.

Weisheit und Weisheitsliteratur – diese Begriffe sind überliefert aus einer Sammlung von Schriften, die durch die Jahrhunderte hindurchgehen. Sie stammen von Israel, den benachbarten Völkern und von den ägyptischen Weisheitsschriften.

Die Weisheitslehre lässt sich in vier Phasen einteilen:

Erstens – in das sogenannte vorliterarische Stadium der Weisheit, in der man danach strebte, grundsätzlich in den Fragen des Lebens weise zu sein. Dazu zählen die Sammlungen des Königs Salomon als dem ‚beispielhaften Weisen‘ (1)

Zweitens in die Weisheitslehre, die vor allem in der Erziehung und Bildung eingesetzt wurde.
„Damit folgte Israel alten Vorbildern in Ägypten und Babylonien. Es bildeten sich Lehrüberlieferungen, deren Träger in erster Linie am Königshof zu suchen sind; denn ein König und seine Ratgeber mussten sich besonders durch Weisheit auszeichnen…“ (2)

Drittens: Später wurden die Weisheitssätze systematisiert und theologisiert. Gott, das göttliche Prinzip werden in den Mittelpunkt gestellt. (3)

Und schließlich viertens:
Die Weisheit wurde als Antwort auf die Fragen des Lebens genutzt. Sie sollte den Optimismus für das Leben fördern, der aber auch eine kritische Auseinandersetzung mitbeförderte.

In der Stuttgarter Erklärungsbibel heißt es hierzu:
„Diese Entwicklung forderte die kritische Auseinandersetzung heraus, wie sie uns im Buch des Predigers überliefert ist und in den Wechselreden des Buches Hiob einen besonders spannenden Ausdruck gefunden hat (vgl. die Einführungen zu Prediger und Hiob).“ (4)

(1)
Vgl. dazu auch:
Stuttgarter Erklärungsbibel mit Apokryphen, Die Heilige Schrift nach der Übersetzung Martin Luthers, mit Einführungen und Erklärungen; Deutsche Bibelgesellschaft. ISBN 978-3-438-01123-7 Neuausgabe mit Apokryphen © 2005 Deutsche Bibelgesellschaft Zweite, verbesserte Auflage 2007, 10.2016, S. 769
(2)
Ebenda
(3)
Ebenda
(4)
Ebenda

 

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ANNA IST DEMENT

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SCHREIB-ALLTAG

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‚DIE DACHGESCHOSSWOHNUNG, DIE IST DOCH NOCH FREI, ODER?‘

ALLTÄGLICHES

Was bisher war: 
Klara und ich wussten, dass wir etwas verändern mussten. Wir wurden nicht jünger und wir wollten ein neues Zuhause suchen. Der Gedanke war da, der Entschluss war gefasst. Im Herzen aber, da fiel es uns schwer, diese Veränderungen wirklich in Angriff zu nehmen. Schließlich griff ich doch zum Hörer, um einem Bauträger einen Besichtigungstermin zu vereinbaren. 

„Sie können noch in dieser Woche zur Besichtigung vorbeikommen“, sagte die Mitarbeiterin des Bauträgers am Telefon.

„Das klingt gut“, sagte ich und vereinbarte einen Termin für den Donnerstag in der gleichen Woche, in der ich angerufen hatte.
Wir waren bereits an einem Sonntag auf der Baustelle gewesen, auf der die neuen Häuser errichtet wurden.

„Siehst du, da ist die Wohnung im achten Stock, keiner über uns und mit einer Wohnfläche von fast 100 qm.

Eine Terrasse gibt es auch. Sie geht über die gesamte Breite der Wohnung. Siehst du das?“, fragte Klara mich eindringlich, so als ob ich nicht sehen könnte und zum ersten Mal auf der Baustelle die Wohnung sah, die sie bereits für sich im Kopf beschlagnahmt hatte.

Aber Klara hatte sich tatsächlich bereits alle Grundrisse im Internet angesehen, im Gegensatz zu mir, der sich nicht festlegen wollte auf Projekte, die vielleicht utopisch waren. Die Wohnung hatte eine herausragende Lage, sie war bestimmt schon die erste, die weg war. Doch das sagte ich nicht laut.

Laura hatte Klara dabei geholfen und beide hatten die Zimmer bereits virtuell eingeräumt, während ich im Nebenzimmer am Schreibtisch saß und mich mit den Belegen für die Steuer herumplagte.

„Wenigstens trennt hier eine Wand die Küche vom Wohnzimmer ab“, hörte ich Klara sagen.

Sie mochte die Varianten der amerikanischen Küchen überhaupt nicht. Früher, da gab es in jeder noch so kleinen DDR-Wohnung einen abgetrennten Raum, in der die Küche war. So hatte ich es jedenfalls in Erinnerung.

Doch nun war es anders, jetzt gab es überwiegend die Grundrisse bei den neu errichteten Wohnungen, bei der die Küche in den Wohnraum integriert war.

Der Tag der Besichtigung war da und wir warteten aufgeregt vor dem Bauzaun, um von einem Mitarbeiter abgeholt zu werden.

„Ich gehe nach rechts, da kommt der Verkäufer bestimmt“, sagte Klara.

„Du musst strategisch denken“, entgegnete ich, „der Verkäufer kommt unter Garantie hier, an der Hauptachse und lässt uns rein.“

Während ich das sagte, war Klara bereits ein paar Meter weiter nach rechts gegangen.

Wenige Augenblicke später kam der Verkäufer. Auf der Seite, auf der Klara stand.

Ich lief verdrossen nach rechts und begrüßte den Mitarbeiter, der mich kaum wahrnahm, weil er bereits in einem angeregten Gespräch mit Klara war.

Sie gingen beide vor mir, während ich hinterhertrottete.
Der Verkäufer lief zielstrebig an dem Haus vorbei, in der sich unsere ‚Traumwohnung‘ befand.

Bauarbeiter eilten achtlos an uns vorüber und hinter uns hupte ein Bagger, um sich seinen Weg zu bahnen.

Ich musste an Krümel denken, der ich abends noch das Buch von der ‚Baggerfahrerin Annette Kuhn‘ vorlesen musste.
Hier, auf der Baustelle, da war das alles nicht so lustig.

Klara blieb plötzlich stehen. „Die Dachgeschoßwohnung, die noch frei ist, die ist doch in dem Haus daneben, oder?“

„Ja, das ist richtig, aber sie ist nicht mehr frei, sondern in der Zwischenzeit reserviert“, sagte der Verkäufer, ohne sich weiter umzudrehen. Er konnte deshalb nicht Klaras enttäuschte Gesichtszüge sehen.

„Was werden wir denn besichtigen?“, fragte ich, um das Schweigen zu überbrücken.

„Eine sehr schöne 3-Raum-Wohnung im 2. Obergeschoß“, sagte der Verkäufer und zeigte auf das Haus neben unserer Traumwohnung.

Klara schwieg beharrlich weiter. Wir gingen in den Eingang und der Verkäufer bat uns zu warten.

„Ich hole für uns noch etwas zum Überziehen für die Schuhe, denn das Parkett ist bereits verlegt“, sagte er.

„Oh“, sagte ich und wollte meine Bewunderung über diese Vorsichtsmaßnahme zum Ausdruck bringen.

Klara schwieg. Als der Verkäufer die Treppe runtergegangen war, da sagte Klara kurz und knapp: „Ich will diese Wohnung nicht.“

„Lass sie uns wenigstens ansehen, absagen können wir immer noch.“
Der Verkäufer kam wieder, mit ein paar Überziehern in der einen Hand und einem Stuhl in der anderen.

„Hier können Sie sich draufsetzen, dann fällt es Ihnen leichter, sich die Überzieher über die Schuhe überzustreifen“, sagte er zu Klara.

„Setz du dich hin, du schaffst es doch kaum, dir die Schnürsenkel im Stehen zuzubinden“, sagte Klara.

Ich kochte innerlich, setzte mich hin, und ich meinte ein feines Lächeln im Gesicht des Verkäufers zu entdecken.

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DIE JAGD NACH EINEM NEUEN ZUHAUSE IST ERÖFFNET – ZUMINDEST IM KOPF

ALLTÄGLICHES

„Sich verändern ist wichtig und manchmal alternativlos!“ 
Diese Worte gehen dir leicht über die Lippen, wenn es nicht dich betrifft, sondern du nur so mal einem guten Freund einen Ratschlag erteilst.
Aber was ist, wenn du selbst gemeint bist, wenn dir dieser Gedanke für dein Leben einschießt, dass du etwas verändern musst?

Montagmorgen in der vergangenen Woche. Krümel war wieder weg. Ich hörte gerade die Audioaufnahme von ihr ab.

„Zwei kleine Italiener…“, sang sie mit leiser und feiner Stimme, brach dann ab und rief: „Hallo Oma, Opa, ich hab‘ Euch ‚liiieeeb“.

Ich seufzte und wandte mich wieder den Alltagssorgen zu. Die Folgen der Überschwemmung im Keller sassen Klara und mir noch im Nacken.

„So kann es nicht weitergehen!“, sagte ich zu ihr.
Sie schwieg.

„Was willst du tun?“
„Wir müssen uns eine Wohnung suchen, die altersgerecht ist, allen Komfort bietet und vor allem eines ist, trocken!“, antwortete ich.

Wir redeten schon lange davon, dass wir uns verkleinern wollten, abends nicht mehr Treppen hochklettern müssten, um mit letzter Kraft ins Schlafzimmer zu gelangen.

Der Wassereinbruch im Keller nach dem Unwetter war nur der letzte Anstoß.

‚Ist es wirklich so schlimm?‘, fragte ich mich.
Ich mach‘ noch Sport, Nordic Walking, bin trotzdem zu dick, aber immerhin noch gut beweglich.

Klara sagte: „Ich will das alles nicht mehr.“
„Was meinst du?“, fragte ich sie.

„Naja, das mit dem Garten, mit der Hecke schneiden, dem Rasenmähen, den Carport ausfegen.“

„Den Carport fege ich doch aus“, versuchte ich zu entgegnen.
„Du? Du bist doch nie anwesend. Und jetzt, wo du deine Reden hältst, da bist du noch weniger da“, sagt sie.

Ich antwortete lieber nicht. Im Stillen freute ich mich ja, wenn ich einen Redetermin hatte und Klara in der Zeit die Wohnung saugte, den Garten machte und ich danach den ‚Erschöpften‘ geben konnte.

„Zu jammern, das nützt uns jetzt auch nichts“, sagte Klara.
Sie hatte Recht und deshalb war ich auf der Suche nach einem neuen Zuhause, einer Wohnung, die viel kleiner, dafür aber trocken war.

Wir wollten in der Umgebung bleiben. Klar, am meisten zog es uns zurück in den Norden, nach Stralsund oder Sassnitz. Aber das war zu weit weg von unserem kleinen Krümel.

Wie konnten wir sie dann mal nachmittags abholen, mit ihr auf den Spielplatz gehen, um sie dann wieder zu ihrer Mutter zurückzubringen. Daraus wurde also nichts.

Außerdem hatte ich hier die Arbeit als Trauerredner. Eine Tätigkeit, die mir lag, die nicht leicht war, aber wo ich meine handwerklichen Fähigkeiten des Schreibens und Redens gut einsetzen konnte.

Inzwischen war ich bekannt, und ich wollte mein Netzwerk weiter ausbauen.

„Ich habe ein gutes Wohngebiet entdeckt. Dicht an der City von Bernau. Hier ist das Exposè, sagte ich zu Klara.

„Leg‘ es mal da bei mir auf den Schreibtisch“, antwortete sie.
Ich merkte ihr an, wie hin- und hergerissen sie war.

Wir wohnten nun schon 26 Jahre in unserem kleinen Häuschen, mit Carport, ebenerdigem Zugang zur Haustür, ohne Treppensteigen, wenn der Einkaufskorb in die Küche transportiert werden sollte – das alles würden wir nicht haben, oder das meiste dieser Annehmlichkeiten nicht mehr.

„Oma, ich ihr habt so eine schöne Wohnung“, rief Krümel oft, wenn sie sich blitzschnell die Treppenstufen hochhangelte. Sie flitzte zu gern zwischen den Etagen hin – und her.

„Opa, das Frühstück ist jetzt gleich fertig, und dann musst du sofort herunterkommen, sonst wird Oma böse. Kommst du, ja?‘

Ich brummte dann etwas und blieb trotzdem am Schreibtisch sitzen.
„Opa, du musst jetzt gleich mitkommen, ich geh‘ zuerst und du musst hinter mir herlaufen!“

Krümel war so emsig, so begeistert und füllte die ganze Wohnung mit ihrer Lebensenergie.

Wollten wir das alles aufgeben?
Mussten wir das wirklich?

„Ich habe eine Wohnung gefunden, die mir gefallen würde“, rief Klara, die das Exposè gerade durchsah. Laura, unsere Tochter war gerade zu Besuch und hatte gemeinsam mit Klara das Internet zusätzlich durchforstet.

Es war eine Dachgeschoßwohnung, knapp 100 qm, riesige Terrasse, komfortabel ausgestattet.

„Gut, ich rufe morgen gleich bei dem Bauträger an und frage, ob die Wohnung noch frei ist“, sagte ich.

Fortsetzung: ‚DIE WOHNUNGSBESICHTIGUNG‘ – Montag, 19.09.2022

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AM STRAND ZWISCHEN PRORA UND BINZ

DAS LEBEN NICHT IRGENDWANN GENIESSEN, SONDERN SOFORT, IM MOMENT

Die Sonne gleisst unbarmerzig vom Himmel herunter und brennt sich in Rücken und Nacken ein.

Der Wind bläst vom Meer herüber und macht alles ein wenig erträglicher.

Die Wellen rollen auf den Strand zu und obenauf schäumt das Wasser, bevor es krachend auf den Strand aufschlägt.

Möwen kreischen, Kinder schreien, Menschen neben mir unterhalten sich, aber es ist, als wären sie weit weg.

Am Rettungsturm ist eine gelbe Flagge hochgezogen. Ich weiss nicht, was sie bedeutet, aber ich spüre die Kraft der Wellen, wenn ich bade.

Es fällt dir schwer, dich wieder in Richtung Strand zu bewegen, denn das Wasser saugt förmlich an dir, in Richtung offener See.

In jedem Fall:

Du spürst das Leben, mit seiner ganzen Kraft und in seiner vollen Schönheit.

Es sind diese Momente, von denen ich denke, dass man sie künftig als die kleinen Augenblicke noch bewusster aufnehmen kann, sich gerade zu den kleinen Dingen im Alltag freuen muss und eben nicht ausschließlich auf den grossen Glückswurf hoffen sollte, der mit großer Wahrscheinlichkeit ohnehin nie eintreten wird.

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DER TOD IST GEWISS – ABER WOLLEN WIR DAS AUCH WAHRHABEN?

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

ALLTÄGLICHES-2022.06.02

Wir werden sterben. Das wissen wir. Den Gedanken daran schieben wir dennoch weg.

Der Kelch geht an uns vorbei, möglichst lange, so hoffen wir jedenfalls.

Diese Tatsache ist ja auch ziemlich brutal. Und gerade deshalb wollen wir es nicht so richtig glauben.

Der Augenblick, in dem diese unumstößliche Wahrheit aber dein Bewusstsein, dein Fühlen und Denken erreicht, kann auch etwas Positives bewirken, nämlich – dir das Wertvolle an deinem Alltag vor Augen zu führen, dich an den kleinsten Dingen zu freuen.
Vielleicht eine Blume, die du gerade siehst.

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THURE – SCHREIBSKIZZEN (6)

THURE LIEBTE SEIN DORF UND ERINNERTE SICH TROTZDEM GERN AN SCHWERIN – DEN ORT SEINER KINDHEIT
Was bisher war:

Schebsand befand sich am Rand von Berlin, im Norden von Brandenburg.
Im Osten grenzte Schebsand an riesige Flächen von Weideland, die der ehemaligen LPG gehörten, die sich nach der Wende in eine Genossenschaft umgewandelt hatte.
Thures Haus lag im Süden von Schebsand.
Er war früh aufgestanden, saß auf der Holzbank in der Küche und schien zufrieden mit sich und der Welt.

Thure sah vom Küchenfenster aus, wie die Wiesen noch von einem Nebelschleier bedeckt wurden und das Gras noch feucht vom Morgentau war.

In der Ferne beobachtete er einen roten Streifen am Himmel.
Es würde wohl schön werden, an diesem Tag, und so beschloss Thure, nach dem Frühstück einen Spaziergang durch das Dorf zu machen, vielleicht Jakub Zlobinski, dem Besitzer des Gasthofes vorbeizuschauen.

Thure war in Schwerin geboren und er war nun bereits im siebzigsten Lebensjahr.

„Wenn ich mit 70 einmal so aussehen sollte, wie Sie, dann freue ich mich“, sagte ein Bestatter zu ihm, mit dem er etwas über das Marketing besprach.

„Das ist sehr nett“, hatte Thure geantwortet.
„Aber über kurz oder lang kriegen Sie mich trotzdem in ihre Hände“, schob Thure noch nach.

In Thure schossen Erinnerungen aus der Kindheit hoch

Thure erinnerte sich gern an seine Kindheit. Wie er im Schweriner Schloss herumgetobt war, da, wo heute das Parlament saß.
„Woran denkst du?“, fragte Maria ihn, die gerade das Frühstück zubereitete.

Thure drehte sich zu Maria um und setzte sich auf die Holzbank am Fenster, Emma war nicht da und so konnte er ein Bein ausgestreckt auf die Bank legen, das Kissen hinter sich im Rücken verkeilen und die Gedanken schweifen lassen.

„Ach weißt du, ich denk‘ gerade zurück“, wie glücklich wir in Schwerin als Kinder waren.
Vor allem, dass wir uns um nichts kümmern mussten“.

„Ja“, seufzte Maria, „das stimmt.“
Thure war nun in Fahrt gekommen.
„Eines Tages lief meine Mutter mit einem griesgrämigen Gesicht umher, und wir durften sie nicht ansprechen, weil sie nach der Arbeit ihre Ruhe wollte“, erzählte Thure.

Er kam ins Schwelgen: „Wir haben Oma Mathilde gefragt, warum Mama so schlecht Laune habe.“

„Und, was hat sie geantwortet?“, fragte Maria nach, obwohl sie die Antwort kannte.

„Oma Mathilde hat gesagt, dass unsere Mama so viele Sorgen hätte.
Irgendwie wollten wir Kinder dann auch Sorgen haben“, erinnerte sich Thure weiter.

Oma Mathilde war für die Kinder immer da, für Thure, seinen Bruder Thorben und seine Schwester Gabriella.

Sie kam jeden Morgen bereits kurz nach sechs Uhr aus ihrer Wohnung auf dem Obotriten Ring in die ‚Straße der Nationalen Einheit‘, wie sie in den 50 er und 60 Jahren noch hieß.

Im Winter kniete sie sich als erstes vor den Ofen im Kinderzimmer und spaltete mit dem Küchenmesser Holzscheite, knüllte die Zeitung ‚Neues Deutschland‘ zusammen und stopfte sie in den Ofen.

Dann zündete sie das Papier an und allmählich war das Knacken der Holzscheite zu hören und es roch ein wenig nach dem Rauch, der im Ofen aufstieg.

Maria unterbrach Thures Kindheitserinnerungen abrupt

„Wir wollten nicht aufstehen, aber daran führte kein Weg vorbei“, schwelgte Thure weiter in Erinnerung.

„Das Frühstück ist fertig und steht vor dir“, unterbrach ihn Maria.
Sie wollte in der Küche weiterkommen, schnell nach dem Frühstück das Geschirr abräumen und später im Dorf Einkaufen fahren.

Nur widerwillig hörte Thure auf, in seinen Erinnerungen zu kramen. Er biss in ein Brötchen und schwieg.

Er dachte an Emma, seine Enkelin. Würde sie ebenfalls eines Tages so gern an ihren Opa denken, wie er sich an seine Oma zurückerinnerte?

Das war nicht klar, aber er hatte in ihr bereits in seinen Tagen einen guten und aufmerksamen Zuhörer in ihr.

„Opa, erzähl über die Scheune“, sagte sie zu ihm. Dann durfte Thure auch sein Bein weiter bei ihr auf der Bank über ihre kleinen Beinchen legen.

Emma liebte es, wenn Thure dabei stets die gleichen Figuren agieren ließ.

Da waren die Katze Benni, der Hund Bobby, der Spatz Pipeva, und Emma halbe Kita, die mit am Tisch saßen- Bauzu, Viki, Piatessa.
Ganz hinten im Stall war der Esel la der an einer Möhre kaute.

Thure hatte schon überlegt, ob er nicht Esel anschaffen sollte.
„Ein Esel reicht in der Familie“, hatte Maria das aber trocken abgeschmettert.

Thure drückte sich vor der Hausarbeit

Thure erhob sich von der Holzbank und wollte sich aus der Küche verdrücken.

„Du kannst auch ruhig mal das Geschirr in den Spüler räumen“, sagte Maria zu ihm.
„Da ist es zu eng für zwei“, sagte Thure trocken und verschwand im Flur.

„Ich dreh‘ mal ne Runde im Dorf“, sagte er.

Thure zog sich die Jacke über und ging aus der Tür. Es roch nach frischem Gras. In der Ferne strebte der glutrote Ball der Sonne dem Himmel entgegen.

Thure streckte die Arme und entschloss sich, einen Blick in die Gaststube von Jakub Zlobinski zu werfen.
„Wo willst du hin?“, fragte Maria ihn, die plötzlich in der Haustür stand.

„Ach nur mal ein paar Schritte auf der Straße entlanggehen, Richtung Gaststube“, antwortete Thure knapp.

„Aber nicht, dass du da zu Jakub reingehst und einen Kaffee trinkst. Du weißt, dass dies nicht gut ist für deinen Blutdruck“, sagte Maria zu ihm.
„Nö, nö“, brummte Thure und machte sich von dannen.

THURE AUS SCHEBSAND

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14. KALENDERWOCHE – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

MEIN FREUND, DER ALLTAG
ALLTÄGLICHES-22.04.09
BIBEL IM ALLTAG

DIE BIBEL ÜBER DIE MACHT DES WORTES UND DIE MÖGLICHKEITEN DER SPRACHE

SCHREIBEN HEISST NICHT, SICH VON DEN BANALITÄTEN DES ALLTAGS ZURÜCKZUZIEHEN

NIETZSCHE ÜBER DIE SCHWELGEREI DER RACHE

SCHREIB ÜBER DICH

THURE – SCHREIBSKIZZEN (5)

ANNA IST DEMENT

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SCHREIB-ALLTAG

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SCHREIBEN HEISST NICHT, SICH VON DEN BANALITÄTEN DES ALLTAGS ZURÜCKZUZIEHEN

SCHREIB-ALLTAG

SCHREIB-ALLTAG-22.04.05

SCHREIB-ALLTAG IM TELEGRAMMSTIL (1)

DAS HANDWERK DES ERZÄHLENS AUS MEINER PERSPEKTIVE: 
Techniken – Erfahrungen und Lücken; 
im Rhythmus bleiben – schreiben, lernen, üben, schreiben und wieder schreiben; 
Ergebnisse – Geschriebenes und Verworfenes; 
Emotionen- ‚himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt‘; 
Von der Unvernunft, mehr von der Leidenschaft zu zehren als von den Einnahmen; 
warum man weitermacht, obwohl der Job wenig Früchte einbringt. 
Schreiben, erzählen muss leicht aussehen und gerade deshalb treibt es dir ja so sehr den Schweiß in den Nacken, und du knirscht mit den Zähnen, stöhnst, weil dir nach Stunden zähen Ringens der Rücken wehtut.
Deshalb musst du dir immer wieder sagen, dass du dich nicht vom Alltag ausschließen kannst, dich nicht in einen selbsterbauten Elfenbeinturm zurückziehen solltest.
Vielmehr musst du alles Banale im Alltäglichen an dich heranlassen, es faktisch aufsaugen, um dadurch wiederum neue Impulse zu bekommen.

 

SCHREIB-ALLTAG

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DIE BIBEL ÜBER DIE MACHT DES WORTES UND DIE MÖGLICHKEITEN DER SPRACHE

BIBEL

BIBEL-22.04.04

Tod und Leben stehen in der Zunge Gewalt; wer sie liebt, wird ihre Frucht essen.

Spr 18,21

 

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MÄRZ 2022 – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

MEIN FREUND, DER ALLTAG

ALLTÄGLICHES-22.04.03

09. KALENDERWOCHE – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

10. KW – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

11. KALENDERWOCHE – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

12. KW – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

13. KALENDERWOCHE – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

ANNA IST DEMENT

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SCHREIB-ALLTAG

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13. KALENDERWOCHE – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

MEIN FREUND, DER ALLTAG
ALLTÄGLICHES-22.04.02
BIBEL IM ALLTAG

DIE BIBEL ÜBER DEN GEWINN VON GUTEM REDEN

IANA SALENKO – KIEW IST MEINE GELIEBTE HEIMATSTADT

NIETZSCHE ÜBER INTELLEKT UND MORAL

ALLTÄGLICHES-PUR UND PROMPT

JEEPYS FAHRER WEISS MAL WIEDER ALLES BESSER, DENKT ER JEDENFALLS

THURE – SCHREIBSKIZZEN (4)

IANA SALENKO FÜR IHRE HEIMAT – DIE UKRAINE

ANNA IST DEMENT

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THURE – SCHREIBSKIZZEN (4)

THURE-22.04.01

DER ALBTRAUM

Thure Hansen saß auf den Schienen, mitten auf einer freien Zugstrecke. Er war an Händen und Füssen mit Eisenketten an die Gleise gefesselt und konnte sich kaum bewegen.

Es regnete und es schien, als würden sich Bäche von herabstürzendem Wasser auf ihm ergießen.

Aus der Ferne ertöntes ein schrilles Signal, das Thure zusätzlich erschaudern ließ.

Die Lichtkegel der herannahenden Lokomotive stachen durch die Dunkelheit hindurch und nahmen eine gespenstische Größe an, je näher sie kamen.

„Hilfe, bitte helft mir“, schrie Thure. Aber niemand hörte ihn.
Und so kam, was kommen musste. Der Zug kam näher und Thure fügte sich in sein unausweichliches Schicksal.

Als die Waggons mit unbarmherziger Härte heranratterten, da bewegten sich hinter ihm die Weichen mit einem knackenden und quietschenden Geräusch und schoben den herandonnernden Zug auf die parallel verlaufenden Gleise.

Die Waggons schossen an Thure mit einem ohrenbetäubenden Lärm vorbei, wie von einer unsichtbaren Kraft geleitet.
Thure spürte plötzlich eine Hand, die auf ihm lag.

„Warum schreist du so?“, fragte Maria ihn, nachdem er schweißgebadet aufgewacht war.

„Ach nichts!“, murmelte Thure.
„Die Drogenmafia hat mich auf den Gleisen angekettet. Es gab kein Entrinnen.“

„Du guckst zu viele brutale Filme“, sagte Maria zu ihm, drehte sich um und versuchte weiterzuschlafen.

Thure war froh, dass seine Frau ihn aus diesem Albtraum erlöst hatte.

Er stand auf und schlurfte ins Bad, um sein Gesicht ein wenig zu benetzen.
Obwohl es erst kurz nach drei Uhr war, wollte er aufbleiben.

Bei Thure, im Grunde genommen froh, dem vermeintlichen Unglück entronnen zu sein, stellte sich dennoch keine wirkliche Freude ein.

Ihm kam der Krieg in der Ukraine wieder ins Bewusstsein.
War die Realität etwa noch schlimmer als das, was er gerade geträumt hatte?

Er versuchte an etwas Schönes zu denken.
Gestern hatte er mit Emma, seiner vierjährigen Enkelin auf dem Sofa gesessen und sie hatten Angeln gespielt.

Thure sollte für Emma mit der Angel eine Krone aus dem Wasser fischen, die sie dort verloren hatte.

„Opa, du musst an der Kurbel drehen“, rief Emma. Sie war mit Energie und Phantasie bei dem Spiel.

‚Was für ein glücklicher Moment‘, dachte Thure.
Er hatte für die Kleine einen Strand aus Worten gemalt, mitten auf seiner Lieblingsinsel Rügen, und sie tauchten die Angel in das Wasser, um die Krone zu finden und vielleicht sogar eine Kiste mit Gold.

„Oh, das wird ja immer schwerer. Schau mal, wie sich die Angelschnur biegt. Hoffentlich reißt sie nicht“, schnaufte Thure.
„Mach schnell, Opa!“

Emma hielt es nicht mehr auf der Couch. Sie kroch vom Sitz herunter und kletterte auf die Seitenwand, um sich nach vorn zu beugen, so, als würde sie an der Angelschnur mitziehen können.

„Ach du lieber Gott“, fluchte Thure.
„Es ist ein alter, dreckiger und stinkender Teppich. Wer hat denn den da reingeschmissen?“

Thure spielte seine Enttäuschung so echt, dass Emma in glucksendes Lachen ausbrach.
Ihre Zähne blitzen, ihre Augen funkelten und sie klatschte vor Begeisterung in die Hände.

„Los Opa, noch mal“, feuerte sie Thure an, der die vermeintliche Angel in der Hand drehte und mit noch größerem Schwung und unter großem Beifall von Emma wieder in das Wasser warf.

„So Emma, wir müssen nach Hause fahren“, sagte Emmas Mama, die unbemerkt ins Wohnzimmer gekommen war.

„Ich bleib’ bei Opa. Wir müssen noch die Krone finden“, sagte Emma und spornte Thure an.
„Machen wir weiter, Opa.“

Thure musste nun schmunzeln, als er sich an die schönen Momente mit Emma erinnerte und gleich wieder traurig wurde. Es könnte alles so schön sein. Wäre da nur nicht dieser furchtbare Gedanke an den Krieg in der Ukraine.

Schon ein wenig munterer befeuchtete Thure weiter seine Lippen und die Augen mit ein paar Spritzern Wassern.

‚Warum stand er so früh auf, war es etwa senile Bettflucht?‘, schoss es ihm durch den Kopf, als er sein zerknittertes Gesicht im Spiegel betrachtete.

Nein, das war es wohl nicht. Er fühlte sich von etwas Unsichtbarem getrieben, etwas, das ihn sein ganzes Leben in Trab gehalten hatte – der ungläubige Wille, noch etwas Sinnvolles zu schaffen.

„Ich muss um vier Uhr aufstehen, sonst schaffe ich mein Pensum nicht“, sagte er zu seiner Frau, die nur die Augen verdrehte.

„Du bist Rentner“, versuchte sie ihn auf den Boden der Tatsachen zu holen, aber davon wollte Thure nichts wissen, und so prallten die Worte an ihm ab.

Thure machte Sport. Fast jeden Tag lief er früh durchs Dorf, genau dann, wenn die anderen Bewohner noch schliefen und nicht sehen konnten, wenn er seine Stöcke in den Boden rammte und dabei schnaufte, als würde er eine Lokomotive hinter sich her schleifen.

Morgens war es für ihn am schönsten. Er konnte in die Wiesen schauen, auf denen noch der Nebel lag und nur langsam aufstieg, und er lief an den Häusern vorbei, in denen nur selten bereits Licht brannte.

Thure liebte sein Dorf und manchmal hasste er es auch, obwohl er nun schon fast dreißig Jahre dort wohnte.

Es war so ein Gefühl, dass er nicht wirklich dazugehörte, sich woanders hinsehnte, nach Schwerin zum Beispiel oder nach Rügen, seine geliebte Insel.

Aber nun war er in Brandenburg, wurde dort wahrscheinlich begraben und die Dorfbewohner würden auf der Beerdigungsfeier wahrscheinlich sagen, dass er eigentlich gar nicht von hier war, ein Fremder eben.

THURE AUS SCHEBSAND

JEEPYS FAHRER WEISS MAL WIEDER ALLES BESSER, DENKT ER JEDENFALLS

JEEPY-22.03.31

Jeepy, so heißt ein kleiner Jeep, um den sich die Geschichten drehen und der manchmal auch selbst erzählt, welche Abenteurer er täglichen Leben bestehen muss.
Der Fahrer von Jeepy ist Krümels Opa. Und Krümel wiederum ist Jeepys beste Freundin.
Also erzählt Jeepy seiner Freundin darüber, wie ihn sein Fahrer nervt, was der alles anstellt und wie sie sich manchmal gehörig blamieren, allen voran Jeepys Fahrer.
Hier berichtet Jeepy Krümel davon, wie er mit seinem Fahrer in den Prenzlauer Berg gefahren ist und dieser eine Tastatur umtauschen wollte, die er erst kurz zuvor dort gekauft hatte.

 

JEEPYS FAHRER WEISS MAL WIEDER ALLES BESSER, DENKT ER JEDENFALLS

 

 

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https://uwemuellererzaehlt.de/jeepy/

NORDIC WALKING – MORGENS UM FÜNF UHR ODER STOLPERN IM DUNKELN

ALLTÄGLICHES

ALLTÄGLICHES-22.03.30

Ich habe ein paar Tage mit dem Laufen ausgesetzt.
Am Montag, ja da wollte ich wieder anfangen, aber ich hatte abends zu lange vor dem Fernseher gesessen, eigentlich schon gelegen – vor dem kleineren Apparat, auf der Ersatzbank eben, im Schlafzimmer.

Also hatte ich keine Lust, am nächsten Tag gegen vier Uhr aufzustehen und loszulaufen.

Aber am Dienstag, ja da war ich bereit für den Start in das dunkle Dickicht am Liepnitzsee.

Als ich auf dem Parkplatz angekommen war, konnte ich kaum etwas erkennen.

Ich stülpte mir die Lampe fürs Laufen über den Kopf, schnallte meine Stöcke um und lief todesmutig los. In der Ferne schrie ununterbrochen eine Eule.

Oder war das vielleicht doch ein ‚verkappter Wolf’?
Naja, wer weiß das schon, morgens im dunklen Wald. Wenn es rings herum um dich duster ist und du den Lichtkegel auf den Boden richtest, damit du nicht über eine Wurzel stolperst.

Dann kriegst du schon mal Angst. Ich jedenfalls war auf alles gefasst.
Aber würden die Wölfe sich einen fetten Happen, wie ich einer war, entgehen lassen?

Ich musste der Wahrheit ins Auge blicken- höchstwahrscheinlich nicht.

Im Ernstfall hatte ich ja meine Stöcke.
Außerdem kannte ich bis jetzt Wölfe nur aus dem Wildpark Schorfheide.

‚Wieso also sollten sie gerade hier auftauchen?‘, versuchte ich mich zu beruhigen.

Ich lief weiter und versuchte die durchdringenden ‚Uhu-Schreie‘ zu ignorieren.

Der Wind strich durch das dürre Geäst der Bäume, das zu beängstigend knarrte.

Ein Stück weiter lag ein Baum vor mir, mitten auf dem Weg.

‚Wieso liegt der hier? Und war ich von der Strecke abgekommen?‘
Vorsichtshalber lief ich ein paar Meter zurück.

Hier irgendwo musste doch das Loch sein, in das ich regelmäßig hineinstolperte und mir fast schon den Knöchel gebrochen hatte.

Dieses Loch war für mich schon vor Jahren ein Fluch. Als ich es jetzt tastend wiederfand und einen der Nordic-Walking-Stöcke hineinstoßen konnte, da erfasste mich so etwas wie ein verhaltenes Glücksgefühl. Ich war nicht vom Weg abgekommen.

Ich suchte eine Möglichkeit, durch das Gestrüpp hindurchzukommen, um den Baumstamm zu umgehen.
Ansonsten hätte ich beim Klettern die Stöcke abschnallen müssen, weil der Stamm zu hoch lag.

Ein Zweig peitschte mir ins Gesicht. Ich hatte ihn nicht auf mich zukommen sehen. Ich war zu sehr damit beschäftigt, den riesigen Baum zu betrachten, der einfach nur so umgeknickt war. In der Mitte schien er durchgebrochen zu sein.

Die Enden hingen noch aneinander, so wie ein Streichholz, das man knickte, aber nicht glatt durchgebrochen bekam.

Ein riesiger Wurzelverbund hing am Ende des Baumes in der Luft, bedeckt von Erde.

‚Was, wenn der Baum gerade dann umgeknickt wäre, wenn ich an der Stelle hätte vorbeilaufen wollen?‘

Umgestürzte Bäume, die Schreckensschreie des Uhus, das Knarren der Bäume – dieser Wald wurde mir unheimlich, zumal ich lediglich seine Umrisse erkennen konnte.

Das Band der Lampe schnürte mir den Kopf zusammen. Ich hatte es wohl etwas zu eng gestellt.

Dann kam der nächste Baum und dann noch einer.
„Wieso waren die alle umgestürzt?“

Ich hasste es, wenn nicht alles an seinem Platz war. Wieder musste ich durch das Gebüsch hindurch, auf Wurzeln treten und Zweige aus dem Gesicht nehmen.

Ich blieb stehen und schaute auf die Uhr. Das war nicht so einfach. Ich hatte noch Handschuhe an, damit die Riemen von den Stöcken nicht so auf den Händen scheuerten.

Ich hob den rechten Stock an, der nun in der Luft hing und versuchte gleichzeitig mit der vom Handschuh eingesperrten Hand die beiden dicken Pulloverenden vorn am Arm zurückzuziehen.

Als ich das geschafft hatte, sah ich nichts und musste den Lichtkegel auf das Ziffernblatt lenken.

„Wie viel Helden gab es eigentlich in der Republik, die kurz nach fünf Uhr Hindernislauf im Wald übten?“, fragte ich mich.
„Nur einen, und zwar dich. Aber du bist kein Held, sondern irgendwie nicht richtig verdrahtet“, würde Klara sagen.

Ich lief weiter und stoppte. War ich noch auf der richtigen Strecke? Wieso führte der Weg jetzt eigentlich in eine Senke?
Und wann wurde es endlich etwas heller?

Ich fluchte auf die Sommerzeit.
Ich lief immer tiefer in einen Waldweg hinein, der mir zunehmend unheimlich wurde.

Plötzlich stand ich auf dem asphaltierten Weg, der direkt zum See hinunterführte.

Jetzt war es klar: Ich hatte mich völlig verlaufen.
Sollte ich zurückgehen, wieder über die vielen Wurzeln stolpern oder auf dem sicheren Weg weiterlaufen und dafür den harten Asphalt in Kauf nehmen?

Ich mochte es nicht, auf diesen befestigten Wegen zu laufen. Und meine Knie schon überhaupt nicht.

Ich bewunderte die Schauspieler in den amerikanischen Filmen, die morgens durch New York joggten, einen Stöpsel im Ohr hatten, an den zur Arbeit hastenden Menschen vorbeiliefen, stets locker und leichtfüßig in der Bewegung.

Anschließend sah man diese Protagonisten meist in einer durchgestylten Küche stehen und sich einen Saft zusammenmixen, mit der neuesten Maschine natürlich.

Damit konnte ich mich nicht messen. Ich stampfte durch den Wald, schnaufte, tastete die Gegend nach bekannten Merkmalen ab und hörte auf mögliche herannahende heulende Wölfe.

Nach einer Stunde hatte ich das Auto wieder auf dem Parkplatz erreicht.

Ich schnallte die Stöcke ab und versuchte die Handschuhe abzustreifen. Die Befestigung für den rechten Walking-Stock rutschte dabei aus der Halterung. Ich blieb stehen und fummelte es an Ort und Stelle wieder ein.

Auf der Rückfahrt bedrängten mich zur Arbeit rasende Autos mit ihren schlecht gelaunten Fahrern am Steuer, während ich den morgendlichen Walking-Tripp wenigstens ruhig ausklingen lassen wollte.

Zuhause angekommen, stieg ich aus dem Auto, setzte mich auf die Bank und hörte den Vögeln zu, die in Scharen in den Bäumen Krach machten.

Ich überlegte, ob ich Krümel per Audio erzählen sollte, dass ich gerade ‚Piepeva‘, den kleinen Spatz, gesehen hatte.

Ich griff zum Handy und macht die App für die Sprachmemos an.
‚Nein Opa, Piepeva ist doch bei mir‘, wird Krümel wahrscheinlich sagen, wenn ihre Mama es ihr später vorspielt.
Jetzt war ich glücklich.

Und Morgen? Ja, da würde alles wieder von vorn beginnen. Ich kannte jetzt wenigstens schon die drei dicken Baumstämme, die auf dem Laufweg herumlungerten.

 

NIETZSCHE ÜBER INTELLEKT UND MORAL

MEIN FREUND, DER ALLTAG

ALLTÄGLICHES-2022.03.30

Man muss nicht alles mögen und teilen, was Friedrich Nietzsche gesagt und geschrieben hat.
Seine Ideen zu lesen und zu kennen allerdings schärft deinen Blick für den Alltag, bringt dich zum Nachdenken über eigene Positionen, Einstellungen und Handlungen. Und das allein ist schon ein Wert an sich. 

 

„Man muss ein gutes Gedächtnis haben, um gegebene Versprechen halten zu können.

Man muss eine starke Kraft der Einbindung haben, um Mitleid haben zu können. So eng ist die Moral an die Güte des Intellekts gebunden.“ (1)

 

 

(1)
Friedrich Nietzsche, Gesammelte Werke, Anaconda Verlag GmbH Köln, ISBN 978-3-86 647-755-1, S.162, (59)