Es gibt Menschen, die bleiben dir einfach im Gedächtnis und sie schleichen sich sogar in dein Herz, ohne dass du es gleich merkst.
So erging es mir, als ich die Trauerrede für die Familie Kirchner schrieb und sie später auch vor der Familie und den anwesenden Trauergästen gehalten habe.
Es ist das erste Mal, dass ich eine Trauerrede auf dem Blog veröffentliche.
Aber es ist mir wichtig, dass Hubert einen kleinen Ehrenplatz erhält, damit interessierte Leser erfahren, was für ein großartiger Mensch Hubert war – bescheiden in seiner Art, lebenslustig und sehr kreativ als Künstler und Maler.
Hier nun mit freundlicher Genehmigung seiner Frau, Inge Kirchner, ein Auszug aus der Rede vom 22.07.2022.
Liebe Inge, liebe Birgit, liebe Evelyn, liebe Karin, lieber Thilo, liebe Familienangehörige, liebe Trauergäste,
wir verabschieden uns heute von Hubert Kirchner, geboren am 06. März 1930 und gestorben am 07. Juni 2022, einen Tag vor der ‚Eisernen Hochzeit‘ mit seiner Frau Inge.
Hubert war ein kreativer Künstler, ein Mensch, der mit ganzer Leidenschaft seinen Beruf geliebt hat, und der seiner Kunst, seinen Bildern mit Haut und Haaren verfallen war.
Hubert Kirchner wurde in Sachsendorf, später Sachsenbrunn, Kreis Hildburghausen, als Sohn des Schlossers Oskar Kirchner und der Hausfrau Loni Kirchner geboren.
Am 01. April 1936 begann seine Schulzeit in Sachsendorf. Zuerst Volksschule, dann Mittelschule, unterbrochen durch die Kriegswirren, war es für Hubert ein nicht ganz leichter Start.
Allein die Ausweisdokumente aus dieser Zeit belegen das: Ein Dokument, ausgestellt am 23.05.1945, besagt, dass Hubert den Ort Sachsendorf nicht verlassen durfte.
Das war eine
Anweisung der Military Government of Germany und gleichzeitig die ‚Temporary Registration‘, mit Fingerabdruck.
Und am 15.02.1946 die gleiche Bestätigung seiner Person, nur jetzt unter der Bezeichnung: ‚UDOSTOWERENIE‘, dafür ohne Fingerabdruck.
Hubert verdiente sich sein Schulgeld, sein Geld für Bücher und ja, auch für den Lebensunterhalt der Familie durch Malen und Schriftschreiben.
In seinem Lebenslauf steht: „Auf diese Weise kam ich zum ersten Mal praktisch mit dem grafischen Gebiet in Berührung, das für mein weiteres Leben bestimmend sein sollte.
Nach der Schulzeit begann Hubert im Oktober 1947 seine grafische Ausbildung an der damaligen Meisterschule für bildende Kunst in Sonneberg, Thüringen – genauer gesagt, an der staatlichen Industrieschule für Spielzeug und Keramik.
Der damalige Direktor antwortete auf Huberts Bewerbung wie folgt: „Sehr geehrter Herr Kirchner, wir teilen Ihnen auf Ihre Anfrage in Ermangelung eines Prospektes mit, dass an unserer Schule
Gelegenheit zu einer gründlichen Ausbildung im Zeichnen, Malen, Modellieren, Drechseln, Drehen und einschließlich der angrenzenden Fachgebiete mit den entsprechenden Ergänzungsfächern gegeben wird.“
Das Studium dauerte drei Jahre und im Jahr 1950 wurde Hubert als Schrift- und Plakatmaler in einem Werbeatelier in Sonneberg eingestellt.
Er brachte für seinen Berufsbeginn gute Voraussetzungen mit.
Hubert hatte ein Abschlusszeugnis, das durchweg gute und sehr guten Bewertungen aufwies.
Bemerkenswert sind die Noten „Sehr gut“ in ‚Ordnung‘, ‚Fleiß‘ und ‚Pünktlichkeit‘.
Wenn wir also Goethes Maßstab anlegen, der das Genie so beschrieb, dass dieser zu einem nur geringen Teil aus Inspiration und zum überwiegenden Teil aus Transpiration besteht, dann wissen wir, wie wichtig diese Eigenschaften für eine wahrhafte kreative Entfaltung sind.
Dass Hubert talentiert war, belegte unter anderem das Diplom über den Berufswettbewerb 1950, in dem er den 2. Platz belegte.
Hubert wurde 1951 Grafiker in der Konsum-Werbung und danach Gebrauchsgrafiker in der HO-Werbung Hildburghausen.
1953 ging Hubert zur Unterstützung seiner Kollegen in Vorbereitung auf die Weltfestspiele nach Berlin.
1954 bewarb er sich erfolgreich im Industrieladen des VEB Apoldaer Lederwarenfabrik und betreute als verantwortlicher Grafiker nicht nur den Industrieladen der Lederwarenfabrik, sondern auch den der Schuhfabrik Berlin und des VEB Carl Zeiss Jena.
Hubert kümmerte sich um die Aufgaben eines Dekorateurs, speziell in der Schrift und Plakatdekoration, der Grafik und Fotografie.
Er wusste, wie man Firmenzeichen für Briefköpfe entwarf, Ölgemälde anfertigte, zum Beispiel mit Motiven von Kollegen an ihrem Arbeitsplatz, Testwagen für den 1. Mai kreierte oder Kataloge konzipierte.
Er ist vielfach für sein gestalterisches Können, sein künstlerisches und handwerkliches Vermögen ausgezeichnet worden.
1969 erhielt er die Ehrennadel der Nationalen Front in Gold.
Doch der Weg bis dahin war hart und übersät mit Steinen, die es ihm schwer machten, seine Visionen zu verfolgen.
Aber Hubert tat das, was Goethe einst so formulierte: „Man kann auch etwas Schönes aus Steinen bauen, die einem in den Weg gelegt werden.“
Und so hat er sich 1963 selbstständig gemacht und von da an als Freiberufler gearbeitet.
Hubert war deshalb auch Mitglied im Verband Bildender Künstler.
„Das war anfangs eine schwere Zeit. Wir hatten manchmal bloß fünf Mark am Tag.
Mein Mann musste sich erst einmal einen Kundenstamm aufbauen“, sagt Inge.
Später hat er für das Interhotel gearbeitet, war jedes Jahr auf der Messe und hat die Medizintechnik in Leipzig gestaltet und die komplette Darstellung des Unternehmens organisiert, konzipiert und gestaltet.
„Unser Vater hat auch U-Bahnflächen bemalt, direkt auf der Leinwand“, erzählen seine Kinder.
HUBERT UND INGE
„Wir haben uns 1955 auf der Arbeit kennengelernt. Ich war Lehrling im Bereich der Ausbildung zur Fachverkäuferin für Kosmetik im Kaufhaus Karlshorst. Das war ein HO-Industriewaren-Laden“, erinnert sich Inge.
Hubert fand es so schön, wie Inge mit der Teetasse durch das Kaufhaus gelaufen ist.
„Dich mit deiner Teetasse, dich sehe ich immer noch“, hat er oft noch Jahre später erzählt.
Hubert wohnte im Studentenheim in Pankow und war in dieser Zeit ebenfalls dort angestellt, wo Inge arbeitete.
„Wir hatten eine Frauentags-Veranstaltung und die Männer mussten uns bedienen, wie das damals so üblich war“, schwärmt Inge, als sie davon erzählt.
Und weiter: „Ich hatte ein Auge auf ihn geworfen, denn er war ja ein hübscher Kerl. Und dann habe ich zu meiner Freundin gesagt: ‚Wenn der mich jetzt nicht zum Tanzen auffordert, dann gehe ich nach Hause.“
Inge musste nicht nach Hause gehen. Denn als ob er das gehört hätte, kam er und forderte sie zum Tanzen auf, und brachte sie später nach Hause. Sie haben sich dann öfter gesehen.
„Es hat sich langsam entwickelt, mein Vater und Hubert mussten sich erst einmal aneinander gewöhnen. Mein Vater mochte Hubert anfangs nicht so sehr, aber deshalb habe ich ihn gerade zum Essen eingeladen“, so Inge.
Hubert und Inge haben schließlich am 08.06.1957 geheiratet, und eine Woche davor, am 01. Juni 1957, kam Birgit zur Welt.
Inge ist in den Jahren von 1957 bis 1972 zu Hause geblieben und hat die Kinder – Birgit, Evelyn, Thilo und Karin betreut.
„Nachdem die Kinder aus dem Gröbsten raus waren, da hatte ich das Bedürfnis, wieder arbeiten zu gehen“, sagt sie.
Sie war als Erziehungshilfe in einem Kindergarten tätig, als Verkäuferin im Hotel Stadt Berlin oder im HO-Delikat. Zum Schluss hat sie vor der Wende im Havanna-Laden Unter den Linden gearbeitet.
Inge ist selbst heute noch aktiv, mit 83 Jahren.
In der Nachbarschaft heißt sie nur ‚Frau Otto‘, erzählen ihre Kinder Birgit und Evelyn.
Inge hatte nach der Wende als erste im damaligen Ost-Berlin gemeinsam mit Evelyn einen Otto-Shop. Später hat Inge als Premium-Partnerin allein weitergemacht, als es sich nicht mehr lohnte, einen Laden zu betreiben.
Inge ist in ihrem Friedrichshainer Kiez eine Institution. Sie ist bekannt. Schon, weil ihre Eltern eine Bäckerei um die Ecke hatten, von 1957 bis 1973.
Und sie ist beliebt bei ihren Otto-Kunden, die ihr bis heute die Treue halten, selbst junge Leute.
Und wenn sie das Bedürfnis nach Gesellschaft hat, geht sie in die Kiez-Kneipe von Union.
Auf Inges Tisch liegt ein Zettel, den ihr Hubert nachts geschrieben hatte, wenige Tage bevor er starb: „Liebste Inge, es ist kurz vor halb elf Uhr abends. Ich gratuliere zu unserem Hochzeitstag. Morgen will ich mich nach Blumen umsehen. Ich war bisher so eingespannt und nervös. Gute Nacht, in Liebe, dein Männe.“
Auch wenn Hubert das Datum des Hochzeitstages verwechselte, seine Liebe zu Inge war unverwechselbar und sie war echt.
HUBERTS KINDER
Huberts Kinder sind so verschieden, wie Menschen als Persönlichkeiten eben verschieden sein können. Aber sie eint vieles, wenn es um Eigenschaften, berufliche Neigungen, kreative Ansätze geht.
Birgit ist seit 1984 freiberufliche Grafikerin. Thilo arbeitet als freiberuflicher Tontechniker fürs Fernsehen, Karin ist Physiotherapeutin und Sängerin.
Evelyn ist gelernte Herren-Maßschneiderin und arbeitet heute als Verkäuferin bei Gery Weber.
Evelyn sagt: „Wir alle sahen, wie sehr unser Vater mit seiner Arbeit befasst war, und er deshalb nicht oft Zeit für uns erübrigte. Wir lernten aber auch, wie wichtig die von ihm vorgelebte Disziplin und die Ordnung war, wenn man im Leben etwas erreichen wollte.“
Alle Kinder erkannten durch das Vorbild von Hubert, dass man sich in ein Thema reinhängen musste, in das, was man tat.
Und wenn es darauf ankam, dann setzte er sich auch hin und erklärte, was er gut fand und was nicht so.
„Wenn wir abends eine Kissenschlacht gemacht haben, dann wussten wir schon, wann wir ‚überzogen‘ hatten“, erzählt Evelyn.
Birgit erinnert sich: „Als ich fünfzehn war und meinen ersten Freund hatte, zu spät nach Hause kam und außerdem noch geraucht hatte, da sagte mein Vater mir, was er davon hielt, unmissverständlich zwar, aber dennoch in ruhigem Ton.“
Die Familie ging wertschätzend und liebevoll miteinander um, denn das war es, worauf Inge und Hubert gemeinsam achteten.
Dafür mussten im Gegenzug seine Schwiegersöhne mit Hubert Dame spielen. Selbst Urenkel Etienne kam daran nicht vorbei, sich von seinem Urgroßvater das Vergnügen dieses Spiels erklären zu lassen.
Udo, Huberts Neffe und dessen Frau Karin, sie genießen diese ganz besondere Familienatmosphäre, besonders nach dem Tod von Udos eigenem Vaters.
„Wir haben ihn dann einfach assimiliert“, sagt Birgit.
HUBERTS ENKEL
Hubert arbeitete viel und manchmal hätte sich die Familie gewünscht, dass er mehr Zeit für sie erübrigt hätte.
Aber Hubert wird in den Kindern, Enkeln und Urenkeln weiterleben, durch sie immer wieder aufs Neue in den Gedanken und Herzen auftauchen.
Da sind die Kinder von Karin, Lorina, die in Kiel studiert. Till, der eine Tischlerlehre absolviert.
Die Kinder von Thilo – Lars, der bei der Deutschen Bahn als Manager arbeitet, Aike, der freischaffende Fotograf ist.
Birgits Kinder, Huberts Enkel, denken an ihren Opa.
Jakob, der Philosoph, mit dem sich Hubert noch unbedingt in den letzten Tagen austauschen wollte, trauert um Hubert.
Nora, die Polizeikommissarin und ihr Sohn Etienne, sie liebten Hubert. Etienne hat manchmal durch die Tür zum Arbeitszimmer geschaut, um zu sehen, was sein Uropa gerade so macht.
Matthias, Birgits erster Mann, und Hubert schätzten sich sehr.
Peter, Birgits heutiger Mann, hatte ein gutes Verhältnis zu Hubert. Sie mochten sich.
Evelyns Tochter Linda, Fachwirtin für Immobilienmanagement, und ihre drei Kinder – Selin, Emin, Mikael – sie liebten ihren Opa.
Lennart, Evelyns Mann, mochte und verehrte Hubert.
Die besten Freunde von Hubert und Inge sind Helmut und Doris. Die Freundschaft hat gehalten, bis zum Schluss und Inge wird sie weiter pflegen.
HUBERTS FAMILIE
Die Familie hat zusammengehalten, und sie hat auch viel gefeiert.
2019, bei der Familienfeier im Garten in Schönow, hatte Birgit die Idee, italienische Masken herauszuholen. Wie viel Spaß alle daran hatten, davon zeugen die Fotos noch heute.
Zur Diamantenen Hochzeit, auf dem Gestüt in Sarnow mussten Hubert und Inge noch einmal symbolisch heiraten.
Und da Peter und Birgit gerade aus Rom von einer Urlaubsreise zurückgekehrt waren, sagten sie, dass sie weder Kosten noch Mühen gescheut hatten, um aus dem Vatikan anzureisen.
Dackel Dannae und die zwei Katzen Luzi und Muzi sorgten für munteres Leben in der Familie.
Den Dackel bekam Karin geschenkt, weil sie gut in der Schule war, auch wenn sie eigentlich lieber ein Pferd haben wollte.
Hubert ging nachmittags mit dem Hund Gassi, nachdem dieser ihn regelmäßig anstieß, um ihn von der Arbeit wegzuholen.
Die Katzen verstanden sich gut mit dem Dackel, vorausgesetzt, sie rührten sein Fressen nicht an.
DER MENSCH HUBERT
Hubert war ein lustiger, ein lebensfroher Mensch. Er konnte wunderbar Witze erzählen, hat ganze Abende damit ausgefüllt.
An einem heißen Sommertag hielt in der Straße ein Auto, ein Mann stieg aus und fragte, wo man in der Nähe baden gehen könnte. Er war aus Holland angereist.
Schließlich saßen alle um den Kaffeetisch, der Holländer mittendrin, aßen Inges gebackenen Kirschkuchen und Hubert erzählte Witze.
„Der Holländer kam jedes Jahr wieder und fragte, ob Hubert ein paar neue Witze kennen würde“, sagt Inge.
Hubert entdeckte in den 80-iger Jahren eine Marktlücke – Bilder restaurieren und neu einrahmen. Er rahmte die Bilder mit Holz aus alten Möbeln, das auf dem Müll gelandet wäre.
„Wir sind mit den fertigen Bildern auf Flohmärkte gefahren. Die Leute haben uns die Sachen aus der Hand gerissen“, erinnert sich Inge.
Hubert hat nicht nur verkauft, er hat auch reichlich gekauft.
Was Hubert in seinem Leben beflügelt hat, das waren seine Gedanken an die Kunst, an seine Bilder. Das war sein Lebenselixier.
Allein wäre Hubert nie auf die Idee gekommen, auf Reisen mit dem Kreuzfahrtschiff zu gehen. Dafür sorgte seine Familie.
„Man musste ihn zu seinem Glück zwingen“, sagt Evelyn.
Birgit hat zwei Fotobücher erstellt, sehr schöne Alben, von den gemeinsamen Urlaubsreisen.
Selbst darauf sieht man, wie er am Urlaubsort gearbeitet hat.
ABSCHIED VON HUBERT
Liebe Inge, liebe Birgit, liebe Evelyn, liebe Karin, lieber Thilo, liebe Trauergäste,
wenn wir nun Lebewohl zu Hubert sagen, dann tun wir es in dem Bewusstsein, dass er ein glückliches Leben geführt hat, dank Ihnen allen und dank seiner eigenen Anstrengungen, die ihn auf seinem Weg vorangebracht haben.
Liebe Inge, Sie hatten mit Hubert ein wunderschönes Leben, ein erfülltes Leben, voller Sehnsüchte, Liebe, ja auch Kameradschaft, über das es sich zu sprechen, zu erinnern auch künftig lohnt.
Einfach einen Menschen im Gedächtnis behalten, in der Erinnerung, der so wichtig in Ihrem Leben und dass seiner Freunde und Angehörigen war, das macht nun Ihren Reichtum aus.
Hubert Kirchner, wir werden dich nicht vergessen und wollen mit dir noch einmal den Titel von den Abbas spielen, den du so mochtest:
‚I have a dream‘.
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