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KLARA DENKT AN DAS TELEFONAT MIT SCHWESTER KATHLEEN ZURÜCK

ANNA-2021.06.23

Was bisher war:
Klara und Peter müssen schnell handeln. Schwester Ulrike von der Einrichtung ‚Betreutes Wohnen Sörensen‘ hat Peter angerufen und ihm in Aussicht gestellt, dass Anna ein Zimmer bekommen könnte.
Und trotzdem, Klaras Gedanken wandern zurück zum Telefonat mit Schwester Kathleen von der ambulanten Pflege in Stralsund, die Anna nun schon seit einigen Jahren kennen.

Es waren schon wieder fast drei Wochen vergangen, seitdem Peter Klara angerufen hatte.

„Du sollst dich mal in der Pflegeeinrichtung melden, irgendetwas ist mit Mutti vorgefallen“, sagte er zu Klara.

„Ist gut, aber nicht mehr heute.“

Klara war auf der Arbeit, als Peter sie anrief und sie wollte nicht, dass ihre Kolleginnen alles mitbekamen.
Am nächsten Tag hatte sie Homeoffice und konnte so ihre privaten Angelegenheiten besser organisieren.

Klara versuchte weiterzuarbeiten, aber es gelang ihr nicht. Ihr wollte nicht aus dem Kopf gehen, was die Schwester ihr wohl über ihre Mutter sagen wollte.

„Du glaubst gar nicht, wie aggressiv Mutti teilweise geworden ist“, sagte Klara zu Peter, als sie von Stralsund zurückgekommen war.

„Ich kann das nicht so richtig glauben. Ich kenne deine Mutter stets als eine sehr sensible und fürsorgliche Frau, die eher schwieg, als dass sie ein falsches Wort herausbrachte.“

Doch Peter wusste natürlich auch, dass Anna im Wesen verändert war, die Krankheit sie weiter veränderte.

Sie war ungeduldiger geworden, konnte sich nichts mehr merken und wurde auch mal laut gegenüber Klara. Und das wollte was heißen, denn sie hatte stets auf ihre Tochter gehört.

Klara hielt es nicht mehr aus. Sie wählte die Telefonnummer der ambulanten Pflege in Stralsund.

„Schwester Kathleen am Apparat. Was kann ich für Sie tun?“

„Ich sollte mich heute bei Ihnen melden. Ist denn etwas mit meiner Mutter vorgefallen?“, fragte Klara.

„Nein, nein, um Gottes willen, Frau Gerber. Wir machen uns nur Sorgen darüber, wie es weitergehen soll.“

„Wie meinen Sie das?“

„Naja, Frau Gerber, nachdem sie wieder abgereist waren, da fiel Ihre Mutter regelgerecht in sich zusammen. Sie wollte nicht einmal mehr aufstehen. Sie ließ sich nur unter Aufbietung aller Überredungskünste spritzen.

Es ist, als wäre sie in eine Art Schockstarre verfallen.“
Es herrschte Stille am Telefon. Klara musste erst einmal verarbeiten, was die Schwester ihr gesagt hatte.

„Was sollen wir denn tun?“, fragte Klara. Ihre Stimme klang verzweifelt.

„Frau Gerber, wir müssen uns mittelfristig darauf einstellen, dass wir Ihre Mutti nicht mehr unbeaufsichtigt lassen können.“

„Das heißt, ich sollte mich um einen Heimplatz kümmern, oder?“

„Ja, Frau Gerber, wir werden nicht darum herumkommen.“

„Gut, ich habe bereits Kontakt mit der Einrichtung für ‚Betreutes Wohnen Sörensen‘ aufgenommen, mit einer Schwester Ulrike.“

„Ja, Schwester Ulrike kenne ich gut, da sind Sie in sehr guten Händen“, reagierte Schwester Kathleen munter.

„Ja, den Eindruck hatte ich ebenfalls bei unserem Gespräch. Aber Schwester Ulrike hat meine Erwartungen gedämpft, denn es sind zur Zeit keine Zimmer frei“, sagte Klara.

„Aber wir sind jetzt in der Dringlichkeitsstufe ganz oben“, schob sie noch nach.

„Das ist doch wunderbar!“, sagte Schwester Kathleen fröhlich.

„Wichtig ist, dass wir den Prozess anschieben“, sprach sie weiter.

„Ja, den Prozess anschieben“. Klara atmete schwer und seufzte.

„Schwester Kathleen, ich melde mich, wenn wir etwas in Aussicht haben“, beschloss Klara das Gespräch.

Drei Wochen später. Schwester Ulrike hatte Peter die Kontaktdaten von der Firma „Am Boddenbauen“ gegeben. Ein Olaf Knaspe sollte für die Vermietung der Zimmer zuständig sein.

Klara versuchte Olaf Knaspe zu erreichen. Es dauerte eine Weile, bis er ans Telefon ging.

„Ja bitte“, sagte eine Stimme lustlos ins Telefon.
‚Na das geht ja gut los‘, schoss es Klara durch den Kopf.

Aber sie musste sich zusammenreißen. Es ging um die Betreuung Ihrer Mutter.
„Schönen guten Tag, mein Name ist Gerber und ich rufe an, weil wir von Schwester Ulrike informiert wurden, dass ein Zimmer im ‚Betreuten Wohnen‘ frei geworden ist.

„Hm“, brummte an der anderen Seite Olaf Knaspe.

„Sind Sie noch dran und sind Sie der richtige Ansprechpartner, wenn es um die Vermietung geht?“. Klara hatte in den Angriffsmodus umgeschaltet. Sie wollte sich nicht abwimmeln lassen.

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EIN ZIMMER IST FREI GEWORDEN

ANNA-2021.06.22

Klara und Peter werden vor eine Entscheidung gestellt. Sie könnten Anna in einer Wohnung für ‚Betreutes Wohnen‘ unterbringen.
Sie wussten, dass dieser Tag kommen würde, aber er traf sie doch unvorbereitet, so fühlten sie es jedenfalls beide.

Der Anruf kam unvermittelt, tief im Wald, in der Mittagshitze. Peter schnaufte den Weg entlang, stakte mit den Stöcken im Sand umher und schwitzte aus allen Poren.

Er überlegte, ob er anhalten sollte, als sein Handy in seiner Sporttasche klingelte. Er führte es stets bei sich, auch wenn es ihm manchmal lästig erschien.

Peter lief noch ein Stück weiter, so als würde das Klingeln dann aufhören. Aber es hörte nicht auf.

Widerwillig stoppte er seinen Lauf, nahm den rechten Arm hoch, ohne dass der den Walking-Stock abschnallte und versuchte den Reißverschluss der Tasche nach vorn zu ziehen.
Es funktionierte nicht.

‚Ja doch‘, schrie er das Handy an, das aber munter weiterklingelte.
Peter schnallte die Stöcke von den Händen ab und stellte sie gegen einen Baum.

Ein Stock rutschte am Stamm entlang und fiel auf den Waldboden. Peter fluchte, weil er aus dem Rhythmus gebracht wurde.
Endlich hatte er das Telefon aus der kleinen Tasche herausgezerrt.

Er drückte auf den grünen Button. Vorher sah er noch, dass es eine Stralsunder Nummer war, die auf dem Display erschien. Wer sollte das sein?

„Gerber“, sagte er schnaufend.

„Guten Tag, hier ist die Einrichtung für Betreutes Wohnen Sorensen. Ich bin Schwester Ulrike“, sagte eine freundliche Stimme.

„Herr Gerber, Ihre Frau hat uns Ihre Nummer gegeben, weil Sie ja immer zu Hause sind“, sagte sie weiter.

„Ich bin deshalb zu Hause, weil dort mein Schreibtisch steht, und ich daran seit über zehn Jahren arbeite. Nicht erst seit der Pandemie, wo jeder für sich das Homeoffice entdeckt hat“, sagte Peter leicht verschnupft.

‚Was glaubte die Schwester eigentlich, was er tat? Zuhause auf der Couch liegen und sich freuen, dass er in Rente war?‘

„Aha“, sagte die Schwester kurz.

Sie hatte kein Interesse daran, was Ihr Gegenüber am Telefon so machte, ob er arbeitete oder ob er in der Badewanne lag, oder auch im Wald umherlief.

„Herr Gerber, es ist so, wir haben ein Zimmer frei für Ihre Schwiegermutter.“

„Ach, das ist ja toll!“ Peter hatte sich wieder eingekriegt.

„Naja, so toll ist es nicht, denn es ist nur freigeworden, weil die ehemalige Bewohnerin eingeschlafen ist“, sagte die Schwester.

‚Eingeschlafen, wieso eingeschlafen? Und wieso war das Zimmer jetzt frei, wo die Frau vielleicht noch in Ihrem Bett lag?‘, überlegte Peter.

„Sie ist verstorben“, legte Schwester Ulrike nach, die offensichtlich an der Gesprächspause bemerkt hatte, dass Peter nicht so richtig die Lage begriffen hatte.

„Ach, das tut mir aber leid!“, sagte er nun doch.
„So wollten wir natürlich nicht, dass ein Zimmer frei wird“, schob er noch hinterher.

„Ich weiß, aber so ist das hier, denn man stirbt aus der Wohnung raus, leider“, sagte die Schwester nun.

„Auf jeden Fall haben wir jetzt für Sie, besser für Ihre Schwiegermutter reserviert.

Peter konnte es noch nicht fassen, dass nun alles so schnell gehen soll.

Er schaute wie geistesabwesend in das Farnkraut zwischen den Bäumen und hörte im Hintergrund das Vogelgezwitscher.

Es war gerade mal eine gute Woche her, seit Klara aus Stralsund zurückgekommen war und mit Schwester Ulrike Kontakt aufgenommen hatte.

Eine weitere Woche vor ihrem Besuch in Stralsund kam ein Anruf von Lukas.

Er klang bedeppert, als er Klara sagte, die Schwester von der ambulanten Pflege hatte sie angerufen und darum gebeten, dass Klara sich mal bei ihr melden sollte.

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OMA HEIDE KOMMT BEI KLARA UND PETER GERN ABENDS AUF EINEN PLAUSCH VORBEI

ANNA-2021.05.26

RÜCKBLICK
Heide Richters Fischladen befand sich in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes von Stralsund.

Sie verkaufte schon eine gefühlte Ewigkeit Fische in Stralsund.

Abends besuchte sie oft ihre Enkelin Klara und deren Mann Peter, nur auf einen kurzen Plausch.

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OMA HEIDE KOMMT BEI KLARA UND PETER GERN ABENDS AUF EINEN PLAUSCH VORBEI


RÜCKBLICK
Heide Richters Fischladen befand sich in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes von Stralsund.
Sie verkaufte schon eine gefühlte Ewigkeit Fische in Stralsund.
Abends besuchte sie oft ihre Enkelin Klara und deren Mann Peter, nur auf einen kurzen Plausch.

HEIDE RICHTERS FISCHLADEN

Klara und Peter wohnten in einer kleinen Wohnung, nicht weit weg vom Hafen.
Peters Eltern hatten es nie verstanden, warum sich Peter in dem Kaff, wie sie sagten, wohlfühlte.
Er müsste ihrer Meinung nach längst mehr aus sich gemacht haben.
Dabei hatte er vier Jahre Schiffsmaschinen studiert, war ein Jahr auf einer Hochschule zur Weiterbildung gewesen, aber das reichte seinen Eltern nicht.
Aber Peter war das egal. Er fühlte sich wohl in Stralsund, sauwohl.
Es war Klaras Heimat und seine irgendwie auch.
Er hing nicht an Dresden, wo er aufgewachsen war, sondern er fühlte sich besser am Meer. Und da war ja nun auch mal seine Marinetätigkeit, die ihn in Stralsund festhielt.
Er mochte es, wenn er abends keinen Dienst hatte und er einfach nur vor dem Fernseher sitzen konnte, wenn Klara dann das Abendbrot hereinbrachte und sie gemütlich beim Essen eines der beiden DDR-Fernsehprogramme ansahen.
In diese Atmosphäre hinein klingelte es manchmal abends.
„Du musst zur Tür gehen“, denn ich bin schon im Nachthemd“, sagte Klara.
„Bin ich doch auch“, sagte Peter und stand auf, um zur Tür zu schlurfen.
Er öffnete sie und schaute, wer noch etwas zu so später Zeit von ihnen wollte.
„Ich bin’s Peter“, sagte Oma Heide und kam, ohne ihn weiter zu fragen, in den Flur.
Sie schwenkte fröhlich ihren Korb, den sie immer bei sich trug, und in den sie ein Taschentuch legte und den Haustürschlüssel.
„Ich will nicht lange bleiben“, sagte sie, als sie sah, dass Klara auch schon im Nachthemd war.
„Oma, ist doch schön, dass du uns mal wieder besuchst“, sagte Klara.
Das klang, als wäre sie mal nach einiger Zeit wieder vorbeigekommen wäre.
Dabei war sie erst einen Tag zuvor bei ihnen gewesen, nur nicht zu so einer späten Abendzeit.
Peter war es ein wenig peinlich, dass er im Schlafanzug vor ihr saß.
Oma Heide merkte, dass Peter sich nicht so wohl fühlte.
„Ach, das ist doch nicht schlimm, dass ihr schon im Nachthemd seid, mir macht das nichts aus.“
„Du Klara“, hob Oma Heide an, „‚din Grossvadder‘, das ist vielleicht ‚ne‘ Marke.“
„Warum?“
„Naja, er hat mal wieder einen über den Durst getrunken und ist auf allen Vieren auf der Straße singend entlanggekrochen.“
Peter glaubte, er hätte nicht richtig gehört.
Dann musste er laut auflachen.
Es gefiel ihm, dass Wolf Richter mal einen über den Durst trank. Er war Seemann, Fischer, gewesen. Und wenn er in die Kneipe am Hafen ging, dann traf er seine ehemaligen Arbeitskollegen und Freunde.
Da blieb es oft nicht bei einem Bier und einem Korn.
„Und wo ist er jetzt?“, fragte Peter.
„Der liegt im Bett und schnarcht so laut, dass ich mal raus musste.“
„Du Peter, was haben wir eigentlich gestern im Fernsehen gesehen?“
Während Oma Heide das fragte, war sie schon im Begriff zu gehen.
Peter hatte natürlich keine Ahnung, was die beiden einen Abend zuvor gesehen hatten.
Aber es war nun auch wieder nicht so schwer, das herauszubekommen.
Es gab ja nur zwei Programme. Das Westfernsehen konnten sie ja nicht empfangen.
„Hast du etwa Rolf Herricht gesehen?“
„Nein, das würde ich wissen“, sagte Oma Heide.
„Dann kann es nur der ‚Polizeiruf 110‘ gewesen sein. Das mit dem Serientäter.“
„Serientäter?“
„Ja, der Dieb, der viermal hintereinander die Mopeds geklaut hat und zum Schluss noch eine alte Frau auf dem Wäscheplatz umgestoßen hat.“
„Ja, jetzt weiß ich. So ein widerlicher Kerl“, sagte sie nun und verzog ihr Gesicht, als würde der Dieb gleich in der Nachbarschaft wohnen.
„So, ich muss los“, sagte sie zum Abschied.“
„Ja, tschüss, Oma“, antwortete Klara.
Als die Tür wieder geschlossen hatten, da prusteten sie beide los.
Sie wussten noch nicht, dass die abendlichen Besuche von Oma Heide mal zu ihren schönsten Erinnerungen zählen würden, die sie in ihrem Leben hatten.

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ANNA IST DEMENT – ERZÄHLUNG

 

 

 

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HEIDE RICHTERS FISCHLADEN

ANNA-2021.05.20

RÜCKBLICK:
Anna schaute sich ein Fotoalbum mit Bildern von ihrer Mutter, Heide Richter, an. 
Sie erzählte Peter in einem Telefonat davon.
Peter erinnerte sich dadurch ebenfalls an Oma Heide zurück. Er fühlte sich zu ihr stark hingezogen, weil sie ihn sehr an seine Oma aus Schwerin erinnerte.
https://uwemuellererzaehlt.de/2021/05/19/anna-2021-05-19/

EINFÜHRUNG:

Der Fischladen in Stralsund war Heide Richters Leben. Anna war mit ihm aufgewachsen, hatte im Laden gespielt, Klara auch.

 

Es war früh Sommer geworden in Stralsund. Obwohl der Kalender die erste Hälfte des Monats Mai anzeigte, war die Temperatur gegen 08.00 Uhr bereits auf 25 Grad angestiegen.

Die Leute liefen bereits in Sommerkleidern umher. Es hatte etwas Befreiendes, zu sehen, wie sie in Richtung Stadtzentrum liefen, um in den bald öffnenden Geschäften einzukaufen, zur Arbeit zu hasten oder einfach nur auf den Straßen zu flanieren.

Die Schritte der Menschen, die die Straßen in Richtung Marktplatz hochliefen, hallten in den engen Gassen wider.

Heide Richters Geschäft befand sich in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes von Stralsund.

Sie verkaufte schon eine gefühlte Ewigkeit Fische und war so etwas wie eine stadtbekannte Person.

Heide Richter machte sich nichts daraus, sie blieb ihrer Art treu – freundlich, humorvoll, manchmal schnippisch und schlagfertig.

Donnerstagmorgen – der Wochenmarkt würde gleich beginnen.
Die Leute schlenderten dann über den Platz, an den aufgebauten Holzbuden vorbei und versuchten frisches Obst und Gemüse zu ergattern.

Danach liefen viele von ihnen Heide Richter direkt in die Arme, die ihnen mit geschäftstüchtiger Energie und viel Humor Fische anbot.
Der Verkauf lief gut.

Am Tag zuvor waren die Schollen und der Dorsch schnell über den Ladentisch gegangen.

Gute Kunden erhielten von ihr Aal, den sie unter dem Ladentisch hervorholte und in die Ostseezeitung einpackte, auf der das Bild von Arbeitern aus der Volkswerft prangte, die der Stolz der Stadt waren.

Ein paar Fische waren noch übriggeblieben.
„Kommen Sie doch morgen wieder“, sagte Heide Richter zu einer Frau, die ihr die restlichen Fische abkaufen wollte.“

„Die sind nicht mehr so frisch“, setzte sie noch hinzu“, obwohl sie damit ihrem Geschäft eigentlich schadete.

Aber das sah Oma Heide nicht so eng.
„‘Sech mi eins‘, was ‚sünd Se nur fründlich‘“, meinte die Kundin und schaute Heide Richter dankbar an, als sie sich aus dem Laden verabschiedete.

Die beugte sich über den Ladentisch, nahm vorsichtshalber noch eine Hand vor den Mund und flüsterte: „‘Komm‘ Se man morgen früh, so gegen acht, denn dann ‚häppen wi noch Aal‘“, sagte sie.

„Is‘ gut“, sagte die Frau und verließ den Laden, so als würde sie am nächsten Tag einen Goldbarren abholen können.“
Am nächsten Morgen trieb Heide Richter ihren Mann, Wolf Richter, zur Eile an.

„Wolf, nun beeil dich schon, der Fisch muss doch bei der Wärme kühl bleiben und die Leute kommen vom Markt auch gleich rein.

„Ja, ja“, brummte der, während er mit einem Zigarrenstummel im Mund, die Treppen zum Laden mit den vollgepackten Fischkisten hochächzte.

Er hatte sie gerade von seinem Schwager, Gottfried Taube, bekommen, dessen Boot vor einer Stunde im Hafen von Stralsund festgemacht hatte.

Fortsetzung:
Oma Heide kam abends zu Peter und Klara in die Wohnung gelaufen. Sie wohnten in Stralsund dicht beieinander. Die waren beide oft schon im Schlafanzug und Nachthemd und kurz davor, zu Bett zu gehen, was Oma Heide nicht störte.
„Du Klara, ‚din Opa Wolf, ne‘, du glaubst nicht, wie langsam der heute wieder war.“

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OMA HEIDE

ANNA-2021.05.19

RÜCKBLICK
Peter erinnerte sich an die schlimmen Zeiten seiner Kindheit. Selbst wenn er die Prügelorgien seines Vaters nicht vergessen konnte, so schaute er heute viel milder auf diese Zeiten zurück.
Er konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, warum er nicht mehr diese große Wut in sich trug. Lag es daran, dass sein Vater nicht mehr lebte?
(https://uwemuellererzaehlt.de/2021/05/13/anna-2021-05-13/
PETER KANN DIE PRÜGELATTACKEN SEINES VATERS NUR SCHWER VERGESSEN)
Einführung:
Peter wollte nicht weiter in trüben Gedanken an seinen Vater verharren.
Er rief Anna an, um sich zu erkundigen, wie es ihr ging.
Dabei kamen sie auf Oma Heide zu sprechen, Annas Mutter und Klaras Großmutter, und die Peter ebenfalls sehr mochte.

 

„Wie geht es dir heute?“, fragte Peter. Anna hatte erst nach einer ganzen Weile den Hörer abgenommen.
„Sturm!“, hatte sie recht forsch am Telefon gesagt, so dass Peter zunächst verdattert schwieg.
„Ja, wer ist denn da“, rüffelte Anna ihren Anrufer, so als sie sagen wollte: „Ich hab‘ doch nicht ewig Zeit, mit Ihnen zu telefonieren.“

„Ich bin’s, Peter“, sagte er.
„Hallo Peter, na, wie geht’s?“

Wieder war er verblüfft. Anna fragte Peter nie, wie es ihm ging, auf jeden Fall nicht sofort.

„Danke, mir geht es gut.“
„Klara und Laura auch?“

‚Donnerwetter‘, dachte Peter, ‚das fragte sie doch sonst nie. Sie musste einfach gut drauf sein.

„Mir scheint, dir geht es auch gut?“, fragte Peter zurück, ohne eine Antwort darauf zu geben, wie es Laura und Klara ging.

„Ja, es geht“, sagte Anna nun schleppender.
„Klara ist auf Arbeit und Laura und die Kleine sind auch wohlauf“, schob er noch hinterher.

„Das ist ja schön.“
„Unser Krümel macht uns viel Freude“, sagte Peter noch.
„Ach ja, das glaube ich“, seufzte Anna.

„Sie hat das letzte Mal gesagt, als sie mich am Telefon hörte, dass ich ihr lieber Opi sei“, sagte Peter nicht ohne Stolz.
„Ja, das ist einfach süß“, meinte Anna.

„Was machst du gerade?“, fragte Peter sie.
„Ich sitze hier auf der Couch, habe mir einen Apfel abgeschält und auf meinen Beinen liegt das Fotoalbum. Darin blättere ich jetzt.“

‚Wie aufregend‘, dachte Peter, sagte es aber nicht.
„Oh, wen schaust du dir denn gerade auf den Fotos an?“, fragte er stattdessen.
„Ich musste so viel an Oma Heide denken, und da habe ich einfach mal das Album aus dem Schrank geholt.“

Heide Richter war Annas Mutter, die Oma von Klara und die Urgroßmutter von Laura.

Peter mochte Oma Heide ebenfalls sehr gern. Sie erinnerte ihn stark an seine Oma in Schwerin.

Heide Richter war in Stralsund geboren, im Mai 1912 und im Herbst 1996 verstorben.
Sie war es, die die Familie zusammengehalten hatte, ihr ganzes Leben geschuftet hatte und trotzdem stets gut gelaunt war.

In jungen Jahren war sie eine hübsche Frau. Auf Bildern sah man ihr wohlgeformtes Gesicht, ihre schlanke Figur und ihr Lächeln, mit dem sie die Menschen für sich einnahm.

Sie heiratete einen Bankkaufmann aus Stralsund und aus der Ehe ging eine Tochter hervor, Anna.

Heide Richter war nicht lange mit ihrem Mann zusammen, der Krieg riss sie auseinander.

Nach dem Krieg heiratete Oma Heide erneut, Wolf Richter, einen Fischer aus Ostpreußen, in der Nähe von Königsberg, dem heutigen Kaliningrad.

Wolf Richter brachte drei Kinder mit in die Ehe, zwei Mädchen und einen Jungen.

Oma Heides Bruder, Gottfried Taube, hatte Wolf Richter im Krieg auf einem Marineschiff kennengelernt und ihn mit nach Stralsund genommen. Die erste Ehe von Wolf Richter war auch zu diesem Zeitpunkt schon zerrüttet.

Peter lernte Oma Heide kennen, als er Klara in Stralsund besuchte.
Peter war selbst ein junger Marineoffizier zu dieser Zeit. Oma Heide mochte ihn in der Uniform.

„Peter, du siehst aus wie Prinz Andrew“, sagte sie manchmal zu ihm.
Peter kannte den englischen Prinzen nicht.

Zu der damaligen Zeit kannte er nur die russischen Revolutionäre und die Kriegshelden der Roten Armee aus dem Zweiten Weltkrieg.

Aber Prinz Andrew, der Sohn von Königin Elisabeth? Er wollte nicht so aussehen, wie ein Royal.

Später, nach der Wende, da änderte Peter seine Meinung. Aber da hatte er längst seine Uniform an einen Bäcker aus Kiel verschenkt.

Peter erinnerte sich noch genau, wie er das erste Mal Klaras Oma sah, die die Tür öffnete, als er geklingelt hatte.

Sie stand in voller Waschmontur vor ihm. Klara stand hinter Oma Heide. Sie hatte ihr dabei geholfen, in der Waschküche die große Wäsche auszuwringen und auf die Leine zu hängen.

„Ach, kommen Sie doch rein“, sagte Heide Richter ganz freundlich zu Peter.

Es klang ehrlich, fröhlich und in ihrer Stimme schwang die Neugier mit, wen wohl ihre Enkelin da kennengelernt hatte.

„Nein, danke!“, sagte Peter ein bisschen eingeschüchtert. Er war nicht geübt darin, ein Mädchen bei Ihrer Oma zu besuchen.

„Ich warte hier auf dem Flur auf Klara“, sagte er schnell.
„Das ist aber schade, junger Mann“, sagte Oma Heide.

„Wollen Sie nicht eine Tasse Kaffee mit uns trinken? Ich habe gerade einen frisch aufgebrüht.“

„Ich komm‘ gleich raus“, sprang jetzt Klara Peter bei.
Peter nickte stumm und war froh, als sich die Tür wieder schloss.

Er musste das noch mehr üben. Das war etwas ganz anderes, als Matrosen im Vordeck zu besuchen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Aber Peter fand Oma Heide gut. Sie hatte ihn gleich offen empfangen, war freundlich und offensichtlich auch ein sehr fröhlicher Mensch.

Er sollte recht behalten, mit seiner Einschätzung. Aus dem ersten Eindruck wurde eine Zuneigung, die ein ganzes Leben für Oma Heide anhielt.

Und oft sprach er nicht nur von seiner Oma, sondern im gleichen Atemzug auch von Heide Richter, Klaras Oma und Annas Mutter.

„Weißt du noch, wie Oma Heide im Laden Fisch verkauft hat? Ich habe nämlich gerade ein Foto von ihr, auf dem sie vor dem Fischgeschäft steht und ihrem Mann zusieht, wie der die Fischkisten sortierte.“

„Oh ja, daran kann ich mich auch gut erinnern“, pflichtete Peter Anna bei.
Fortsetzung folgt

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PETER KANN DIE PRÜGELATTACKEN SEINES VATERS NUR SCHWER VERGESSEN

ANNA-2021.05.13

RÜCKBLICK:
Peter dachte an seine Mutter, die im vergangenen Monat beerdigt worden war und daran, wie die Corona-Regeln den Abschied von ihr so erschwert hatten. Er erinnerte sich an eines ihrer letzten Treffen und Gertruds Antwort auf seine Frage, ob sie ihn noch erkennen würde: „Na, du kleiner Hase…“

Der Tod seiner Eltern gab Peter die Chance, seine Gefühle zu ihnen zu ordnen, die Möglichkeit, abzuschließen und einen Neubeginn zu schaffen, in den Gedanken und vor allem in seinem Herzen.

In den letzten Jahren hatten die Erinnerungen sein Verhalten gegenüber seinem Vater und seiner Mutter dominiert, die in ihm fortwährend Wut und Enttäuschung, ja Verzweiflung auslösten.

Er hätte dies längst verdrängt, aber er konnte es nicht, weil sein Vater ihm stets einen neuen Anlass gab, das nicht zu tun.

„Sein ganzes Leben hat mein Vater nicht die Kraft aufgebracht, sich mal dem zu stellen, was er uns Kindern angetan hat.“

„Was meinst du damit?“, fragte ihn Klara. Sie saßen am Wochenende beim Frühstück in der Küche.

„Ich meine damit die furchtbaren Prügelorgien, die er uns verabreicht hat, die Angst, die wir Kinder vor ihm hatten, wenn er nach Hause kam.“

Klara schaute ihn an und sagte: „Mein Vater hat manchmal auch den Latschen genommen und hat mich oder Lukas verhauen.“

„Das mag schon sein, aber der entscheidende Unterschied bestand bei meinem Vater darin, dass der keinen konkreten Anlass brauchte, um uns zu schlagen“, erwiderte Peter.

„In der Mehrzahl kamen die Prügelattacken aus dem Nichts.
„‚Der Vati‘, wie meine Mutter ihn vor uns nannte, brauchte keinen Grund. Er schlug aus einer Laune heraus auf uns ein.“

„Wieso hast du eigentlich die meiste Prügel abbekommen?“
„Mein Bruder stotterte, und da ließ mein Vater von ihm ab, um ihn nicht noch mehr zu schädigen.“

„Und deine Schwester?“

„Sie war der Liebling meines Vaters. Sie pullerte sich sofort in die Hosen, wenn mein Vater auch nur die Hand hob.“

„Also bliebst nur du übrig?“
„Ja, so war es. Ich hatte ohnehin oft Widerworte und bot meinem Vater eine Flanke, die weit offenstand, wie ein riesiges Scheunentor.

„Was hat er denn gemacht?“
„Mein Vater, wenn er geschlagen hat?“

„Ja.“

„Er hat dir keine Ohrfeige verabreicht, sondern er hat aus dem gestreckten Arm im Winkel von nahezu neunzig Grad mit brachialer Energie zugeschlagen. Ich hatte danach oft tagelang Kopfschmerzen. Am schlimmsten aber war es, wenn er einen seiner Spazierstöcke nahm.“

„Spazierstöcke?“
„Ja, die standen im Keller in einer Ecke. Ich musste sie in dieser Situation auch noch hochholen.“

„Und dann?“
„Dann sollte ich die Hände nach vorne nehmen, mich runterbeugen und mein Vater schlug mit voller Kraft auf das Hinterteil.

Wenn ich die Hände vor Schmerzen nach hinten nahm, um die Schläge wenigstens ein bisschen zu mildern, dann musste ich sie wieder nach vorn nehmen.

Der Schlag auf die Hände zählte nicht. Also sauste der Stock danach doppelt hintereinander auf mich herunter. Es waren höllische Schmerzen.

Das Schlimme war, dass mein Vater nicht völlig vor Wut aufgelöst schlug, nein, er schlug gezielt, ruhig, mit ganzer Kraft, die ihm zur Verfügung stand.

Du kannst dir vorstellen, was das für ein Kind mit acht Jahren bedeutete.“

Peter hörte auf zu sprechen. Klara schwieg betroffen, obwohl sie seine Schilderungen nicht das erste Mal hörte. Peter hatte es ihr in den ersten Jahren seiner Ehe verschwiegen.

Aber als sein Vater auch später Peter weiter demütigte, zwar nur mit Worten und Gesten, und als er sogar begann, Klara zu beleidigen, süffisant und mitunter niederträchtig, da erzählte Peter ihr, was für ein Mensch sein Vater wirklich war, woher das alles rührte.

„Ich bin davon überzeugt, dass er auch zu DDR-Zeiten gezogen wäre. Zumindest wäre er nicht Professor geblieben. Meine Oma wollte ihn oft anzeigen. Aber irgendwie hat es dann doch keiner getan.“

Peter stand vom Frühstückstisch auf.
„Lass uns nicht das Wochenende mit diesen Erzählungen verderben.
Jetzt, wo er nicht mehr lebt, will ich versuchen, auch die guten Seiten an diesem Menschen herauszustellen“, sagte Peter.

Sein Vater war ein brillanter Redner, ein verdammt guter Schreiber und jemand, der mit seinem Charisma schnell Menschen in seinen Bann schlug.

Diese dunklen und hellen Seiten zusammenzubringen, sie ausgewogen zu betrachten, das war Peter zu Lebzeiten seines Vaters nicht gelungen.

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PETER MACHT DER TOD SEINER ELTERN ZU SCHAFFEN

2021.05.12

Peter schwitzte am Schreibtisch. Er wollte es nicht wahrhaben, dass das Thermometer schon wieder auf 30 Grad angestiegen war.

Er musste an seine Mutter denken, die im vergangenen Monat beerdigt worden war und daran, wie die Corona-Regeln den Abschied von ihr so sehr erschwert hatten.

Es waren nun schon wieder zwei Jahre her, seit Getrud Gerber ihren 90. Geburtstag gefeiert hatte. Zwei weitere Jahre hatte sie noch gelebt, obwohl sie bereits schwerkrank war.

Kurz vor ihrem 90. Geburtstag war Getruds Mann und Peters Vater, Manfred Gerber, gestorben.

Es war schwer in dieser Zeit, für Klara und Peter, ihr zu erklären, warum ihr Mann nicht zum Geburtstag erschien. Gertrud war seit Jahren an den Rollstuhl gefesselt und litt an einer schweren Demenzerkrankung.

„Was ist das eigentlich noch für ein Leben, wenn du nicht mehr selber laufen kannst, auf die Hilfe anderer angewiesen bist und die Gedanken auch nicht mehr so wollen, wie man es selber will?“, fragte Peter sich.

Aber es war ein Leben, ein anderes eben, den Umständen angepasst.
Ihm fiel ein, wie er gemeinsam mit Klara irgendwann Anfang des Jahres 2019 Gertrud im Pflegeheim in Dresden besucht hatten.

Als sie ins Zimmer von Getrud kamen, da lag sie im Bett und dämmerte vor sich hin. Der Fernsehapparat war angestellt und jemand erzählte mit gleichförmiger Stimme von den Schönheiten der Mecklenburger Seenlandschaft.

Gertrud sah nicht hin, wenngleich sie es wohl im Unterbewusstsein wahrnahm. Es hatte etwas Beruhigendes und Peter wäre wohl auch nicht eingeschlafen, hätte er sich in den Sessel vor dem Bett gesetzt und auf die Bilder geschaut und dabei die gleichförmige Stimme gehört.

Aber Klara und Peter wollten sich nur erkundigen, wie es Getrud ging und dann zurück nach Berlin fahren.

„Erkennst du mich?“, fragte er seine Mutter.
Sie machte die Augen weit auf, starrte ihn an und sagte dann langsam und mit leiser Stimme:

„Na, du kleiner Hase?“
Peter war zunächst sprachlos. Sollte er sich gekränkt fühlen, oder sollte er lachen?

Er hatte das schon oft erzählt und Klara sagte, dass Peter es als eine Liebeserklärung seiner Mutter zu ihrem Sohn auffassen sollte.

„Naja, ich weiß nicht“, sagte Peter in diesen Momenten.
Gertrud hatte ihn nie groß gelobt, ihn schon gar nicht überschwänglich verhätschelt.

„Du musst lernen, damit du mal so gut wie der Vati wirst“, hatte sie ihm stattdessen oft gesagt.

Und Peter lernte, machte Abitur, studierte zweimal – einmal in einem technischen Fach und dann in einem volkswirtschaftlichen. Schließlich promovierte er nach diesen acht Jahren in weiteren Jahren an einer Uni.

Er schloss die meisten Fächer in beiden Fachrichtungen mit sehr guten Ergebnissen ab, verteidigte die Dissertation mit einer besseren Note als ‚der Vati‘.

Doch Lob gab es dafür von seinen Eltern nicht. Im Gegenteil, sie hatten stets etwas an seiner beruflichen Entwicklung auszusetzen. Peter trug deshalb viel Frust in sich, was seine Erinnerungen anbetraf.

Aber sollte er das jetzt seiner Mutter vorhalten, wo sie sterbenskrank vor ihm lag und sein Vater bereits tot war?
Nein, das wollte er auf keinen Fall. Ihm stand nicht der Sinn nach Rache.

Er war nur traurig, denn er hätte sich ein besseres Verhältnis zu seinen Eltern gewünscht.
Doch das war nun nicht mehr zu reparieren.

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ANNA HAT SCHON WIEDER VERGESSEN, DASS KLARA BEI IHR ZU BESUCH WAR

ANNA-2021.04.28
„Ich muss heute ein wenig mehr Wäsche waschen“, sagt Klara zu ihrer Mutter am Telefon.“

„Warum?“, fragt Anna.
„Na, Mutti, ich war doch in der vergangenen Woche bei dir.“
„Ach so?“

„Ja, ich habe deine Haare gemacht, deine Wäsche gewaschen, für dich eingekauft und deinen Geburtstag vorbereitet.“
„Davon weiß ich ja überhaupt nichts.“
„Kannst du dich daran erinnern, wie wir gemeinsam zum Friedhof gegangen sind?“

Anna überlegte am Telefon. Klara hörte nur, wie sie atmete und hörbar aufseufzte.
„Ja, wir waren bei Papa! Wie konnte ich das nur vergessen?“
„Mutti, das macht doch nichts. Das ist nun nicht anders.“
„Ja, aber es war schön, wie du da warst.“

Klara wusste nicht, was sie davon halten sollte.
Sagte es Anna nur so dahin, oder kam die Erinnerung zurück?

„Wann kommst du wieder hierher nach Stralsund?“
„Das weiß ich noch nicht. Aber wenn ich das nächste Mal da bin, dann gehen wir im Hafen spazieren, essen ein Eis und schauen auf das Wasser.“

„Oh ja, da freu‘ ich mich. Wann kommst du denn nun?“
„Ich weiß es noch nicht, erst wenn wir das zweite Mal geimpft sind.“

„Geimpft? Warum?“
„Na, du bist doch gestern auch geimpft worden, in der Praxis von Dr. Silberfisch.“

„Hm, woher weißt du das?“
„Weil ich mit Lukas telefoniert habe, nachdem er mit dir in der Praxis war.“
Lukas hatte Klara erzählt, dass es mit Anna gar nicht so schlimm war.
„Wir fahren jetzt zu Dr. Silberfisch!“, hatte Lukas gesagt, in einem Ton, der keinen Widerspruch von Anna aufkommen lassen sollte.

„Impfen? Corona?“, hatte Anna gleich gefragt.
Lukas war erstaunt, dass seine Mutter das behalten hatte.
In der Praxis schaute sie Dr. Silberfisch an und dann Lukas.

„Wer ist der Mann?“, fragte sie Lukas. Der wäre am liebsten vor Scham in den Boden gesunken.

„So, jetzt merken Sie ein klein wenig die Nadel, aber das ist sofort vorbei“, sagte der Arzt und war mit dem Impfen fertig, bevor Anna auch nur irgendetwas bemerkt hatte.

„Wann geht es denn nun endlich los, und wer sind sie eigentlich? Wann kommt der Doktor?“

Lukas half seiner Mutter vom Stuhl hoch, verabschiedete sich und mit Anna nach draußen.
„Das ist doch prima gelaufen“, sagte Lukas jetzt.
„Ich weiß gar nicht, was du überhaupt meinst. Und warum muss ich überhaupt unter diesen ganzen fremden Leuten sein.“

„Wollen wir noch einmal zum Hafen gehen?“, fragte Lukas.
„Nein, ich will nach Hause“, sagte Anna.
„So Mutti, auf jeden Fall hast du es hinter dir und das Corona-Virus kann dir erst einmal nichts mehr anhaben.“

„Aber einmal musst du noch hin, um dir die zweite Spritze abzuholen“, sagte Anna.
„Ich versteh‘ gar nichts mehr. Mir sagt ja auch keiner was.“
Anna klang verärgert.

„Mutti, wenn du das nächste Mal zu Dr. Silberfisch gehst, dann frage doch Lukas, ob er mit dir noch einmal zum Hafen fährt.“

„Ach der, der will doch da nie hin“, brummte Anna.
Klara verabschiedete sich.

„Alles in Ordnung bei deiner Mutter?“, fragte Peter, nachdem Klara den Hörer aufgelegt hatte.
„Ja, alles wie immer“, seufzte Klara.

 

 

 

NUR NOCH 3000 EURO AUF DEM SPARKASSENBUCH – FORTSETZUNG

ANNA – 25.04.2021 (2)

„Mutti, du musst jetzt irgendwann in der Bank gewesen sein. Im letzten Monat waren doch noch 53.000 Euro auf dem Sparbuch.

Also muss irgendwo das übrige Geld sein, oder?“
Klara war entsetzt: „Mutti, bitte denk‘ jetzt nach. Hast du in der Bank mit jemandem darüber gesprochen?“

„Ja, ich habe mit der netten Frau von der Bank gesprochen. Sie war wirklich nett, Klara.“

„Ja, Mutti, was hast du denn mit ihr besprochen?“
„Ach, ich weiß das nicht mehr. Das ist aber auch ein Scheiß.“
„Mutti, du musst doch wissen, was du in der Bank getan oder besprochen hast, mit der so netten Mitarbeiterin!“

Anna bekam den beißenden Spott nicht mehr mit. Sie war jetzt völlig durcheinander.  Sie sprang auf, rannte in das andere Zimmer. Da, wo ihre anderen Unterlagen lagen.

„Mutti, jetzt bleib‘ doch mal hier. Es ist doch furchtbar, wenn du nicht mal eine Minute still sitzen kannst.“

Klara fühlte, dass es falsch war, jetzt so mit ihrer Mutter zu reden. Aber sie war einfach empört, über das, was ihre Mutter angestellt hatte, oder dass sie zuließ, dass man mit ihr etwas so Gemeines anstellen konnte.

Sie war wütend zugleich darüber, dass eine Bankmitarbeiterin es geschafft hatte, ihrer Mutter diesen Wahnsinn aufzuschwatzen. Klara hoffte, das Geld wäre wenigstens in halbwegs soldie Finanzanlagen gesteckt worden – und nicht, wie sie befürchtete,   bereits gänzlich verloren sei.

 

NUR NOCH 3000 EURO AUF DEM SPARKASSENBUCH

ANNA – 25.04.2021 (1)

Klara ist zu Besuch bei Anna und findet auf dem Sparkassenbuch nur noch 3000 Euro vor. 

Klara und Anna saßen beide abends vor dem Fernsehapparat. Anna war unruhig.

Sie schoss förmlich aus dem Sessel heraus und fiel fast in die Anbauwand, so viel Schwung hatte sie genommen.

„Mutti, bleib doch mal sitzen. Ich kriege gar nichts vom Film mit.“
„Ja, weißt du Klara, ich will dir nur was zeigen.“
Sie kramte in einer kleinen Schublade, in der sie alles Mögliche verstaut hatte.

Jetzt holte sie ein kleines Fotoalbum heraus, setzte sich wieder auf ihren Platz und fing an, darin zu blättern.
„Klara, schau mal, hier bist du noch ganz klein.“

„Ja, Mutti“, quälte Klara mühsam ihre Worte hervor.

Klara kannte alle Bilder.
Sie hatte sie schon sooft ansehen müssen, dass sie sogar wusste, in welcher Reihenfolge die Bilder eingeklebt waren.

„Ich lege jetzt mal das Fotoalbum zurück und wir schauen uns das Ganze morgen noch einmal in Ruhe an.“

Anna antwortete nicht. Ihre Mundwinkel waren heruntergezogen.
Sie konnte Klara nicht verstehen.

Am nächsten Morgen ging Klara an die Schublade.
„Suchst du das Fotoalbum?“

„Nein, Mutti, ich suche dein Sparkassenbuch.“
„Warum?“
„Weil ich schauen will, ob alles in Ordnung ist.“
„Natürlich ist alles in Ordnung.“

Klara antwortete nicht. Sie zog das Sparbuch heraus und blätterte auf die letzte Seite.

„Hier stehen ja nur 3000 Euro, Mutti. Hast du etwas abgehoben?“
„Nein, ich habe nichts abgehoben!“

„Aber Mutti, hier waren über 50.000 Euro drauf. Das weiß ich genau.“ Klara schaute ihre Mutter an.

„Ja, ich weiß auch nicht“, antwortete Anna und blickte Klara fragend und zugleich ratlos an.

 

ANNA VERSTEHT NICHT, WARUM MAN SICH ÜBER EINEN AUSFLUG AN DER FRISCHEN LUFT FREUEN KANN

ANNA – 14.04.2021

Das Osterfest war vorbei. Anna hatte es nicht bemerkt. Sie hatte aber auch nicht gemerkt, dass überhaupt Ostern war. Klara wusste nicht, ob sie darüber weinen oder lachen sollte.

Beides verging ihr, wenn sie daran dachte, wie die Krankheit ihre Mutter immer fester im Griff hatte.

Doch Klara gab nicht auf. Keiner wollte das in der Familie. Alle hatten sich zwar damit abgefunden, dass es nicht besser würde.

Aber genau deshalb sollte ja Anna vor allem kleinere glückliche Momente erleben, auch wenn sie diese wieder schnell vergaß.

„Wir waren mit Krümel im Wildpark Schorfheide. Das war mal schön, in dieser Corona-Zeit. Endlich mal wieder raus an die frische Luft, auch wenn es nur für einen kurzen Augenblick war“, erzählte Peter Anna am Telefon.

„Und warum konntet ihr nicht nach draußen? Dürft ihr überhaupt nicht?“

„Nein, wir dürfen nicht, nur zur Arbeit dürfen wir, Klara jedenfalls. Ich halte im Homeoffice die Stellung.“

Peter ärgerte sich im selben Moment, dass er es so gesagt hatte.
„Im Homeoffice?“, kam prompt die Frage von Anna zurück.

„Ja, Klara ist auch zweimal in der Woche im Homeoffice.“
„Aha“, hörte Peter Anna sagen. Er mochte ihr nicht sagen, was Homeoffice hieß, dass Klara im Zimmer nebenan saß und Peter sich beobachtet und kontrolliert fühlte.

Das hätte eine Flut von weiteren Fragen ausgelöst.
„Ach weißt du, wir hoffen, dass wir das alles gut überstehen und da kann man schon mal drinbleiben“, sagte er so beiläufig wie nur irgend möglich.

„Liebe ‚Zickenleins‘, das bin ich und das ist mein Dino, hat Krümel am Gehege der Ziegen gerufen“, versuchte Peter wieder an das ursprüngliche Thema anzuknüpfen.

„Ach so.“ Annas Stimme klang teilnahmslos.
Früher hätte sie verzückt ‚nein wie süß‘ gerufen.
„Und weißt du, was die Ziegen gemacht haben?“, erzählte Peter tapfer weiter.

„Na?“
„Die haben geantwortet mit einem kräftigen Meckern, so wie Ziegen eben sind.“
„Ja, so sind die“, sagte Anna. Ihre Stimme klang teilnahmslos, ja gleichgültig.

Peter wusste nicht mehr weiter und verabschiedete sich.
„Ach, schön, dass du angerufen hast“, sagte Anna nun doch. Es klang ehrlich.

Wenn sie auch nicht mehr begriff was gesagt wurde, so erkannte sie die Stimme, erlebte durch den Tonfall, dass es etwas Fröhliches gewesen sein musste, was Peter ihr erzählt hatte.

„Sollte das bei mir mal auftreten, so misch mir bitte was unter meinen Brei“, sagte Peter zu Klara.

„Du isst ja keinen Brei“, antwortete Klara trocken.
„Da hast du auch wieder recht. Gut, dann muss ich so weiterleben und kann nur hoffen.

Die Hoffnung stirbt ja ohnehin zuletzt.“
Klara antwortete nicht. Sie packte ihre Sachen, denn sie wollte am nächsten Morgen den Zug nach Stralsund nehmen und vor Ort nach dem Rechten sehen.

Peter nahm sich jedes Mal vor, in dieser Zeit richtig kräftig in die Computertasten zu hauen.

Aber das genaue Gegenteil trat ein. Er lümmelte auf der Couch umher, sah sich Filme über Drogenkartelle an, oder über die Navy Seals, oder er hörte sich Talkshows an, in die er dann hineinredete, vor dem Fernseher sitzend.

Nachts wachte er auf, weil der Fernseher noch lief oder die Fernbedienung von seinem Bauch herunterrutschte.

Das alles hielt ihn aber nicht davon ab, zu erzählen, wie wichtig es ihm war, dass er für ein paar Tage in Ruhe arbeiten konnte.

Klara hörte darüber hinweg. Sie wusste, dass Peter fleißig war. Sie wusste aber auch, dass er noch mehr über das sprach, was er in den kommenden Wochen schaffen wollte.

„Ich bin gespannt, wie es bei Anna aussieht“, sagte Klara in die Stille hinein.

„Hm“, meinte Peter und verzog sich in sein Arbeitszimmer.
Morgen früh würde er Klara zum Zug bringen.

 

NUR NOCH 3000 EURO AUF DEM SPARKASSENBUCH – (2)

 

„Mutti, du musst jetzt irgendwann in der Bank gewesen sein. Im letzten Monat war doch noch viel mehr Geld auf dem Sparbuch, als nur diese 3000,00 Euro.

Also muss irgendwo das übrige Geld sein, oder?“
Klara war entsetzt: „Mutti, bitte denk‘ jetzt nach. Hast du in der Bank mit jemandem darüber gesprochen?“

„Ja, ich habe mit der netten Frau von der Bank gesprochen. Sie war wirklich nett, Klara.“

„Ja, Mutti, was hast du denn mit ihr besprochen?“

„Ach, ich weiß das nicht mehr. Das ist aber auch ein Scheiß.“
„Mutti, du musst doch wissen, was du in der Bank getan oder besprochen hast, mit der ‚ach so netten‘ Mitarbeiterin!“

Anna bekam den beißenden Spott nicht mehr mit. Sie war jetzt völlig durcheinander. Sie sprang auf, rannte in das andere Zimmer. Da, wo ihre anderen Unterlagen lagen.

„Mutti, jetzt bleib‘ doch mal hier. Es ist doch furchtbar, wenn du nicht mal eine Minute still sitzen kannst.“

Klara fühlte, dass es falsch war, jetzt so mit ihrer Mutter zu reden. Aber sie war einfach empört, über das, was ihre Mutter angestellt hatte, oder dass sie zuließ, dass man mit ihr etwas so Gemeines anstellen konnte.

Sie war wütend zugleich darüber, dass eine Bankmitarbeiterin es geschafft hatte, ihrer Mutter diesen Wahnsinn aufzuschwatzen. Klara hoffte, das Geld wäre wenigstens in halbwegs soldie Finanzanlagen gesteckt worden – und nicht, wie sie befürchtete, bereits gänzlich verloren sei.

NUR NOCH 3000 EURO AUF DEM SPARKASSENBUCH

Klara war zu Besuch bei Anna und fand auf dem Sparkassenbuch nur noch 3000 Euro vor.
Anna und Klara saßen beide abends vor dem Fernsehapparat. Anna war unruhig.

Sie schoss förmlich aus dem Sessel heraus und fiel fast in die Anbauwand, so viel Schwung hatte sie genommen.

„Mutti, bleib doch mal sitzen. Ich kriege gar nichts vom Film mit.“
„Ja, weißt du Klara, ich will dir nur was zeigen.“

Sie kramte in einer kleinen Schublade, in der sie alles Mögliche verstaut hatte.
Jetzt holte sie ein kleines Fotoalbum heraus, setzte sich wieder auf ihren Platz und fing an, darin zu blättern.

„Klara, schau mal, hier bist du noch ganz klein.“

„Ja, Mutti“, quälte Klara mühsam hervor. Klara kannte alle Bilder.
Sie hatte sich die Fotos schon sooft ansehen müssen, dass sie sogar wusste, in welcher Reihenfolge die Bilder eingeklebt waren.

„Ich lege jetzt mal das Fotoalbum zurück und wir schauen uns das Ganze morgen noch einmal in Ruhe an“, sagte Klara.

Anna antwortete nicht. Ihre Mundwinkel waren heruntergezogen.
Sie konnte Klara nicht verstehen.
Am nächsten Morgen ging Klara an die Schublade.

„Suchst du das Fotoalbum?“
„Nein, Mutti, ich suche dein Sparkassenbuch.“

„Warum?“
„Weil ich schauen will, ob alles in Ordnung ist.“

„Natürlich ist alles in Ordnung.“
Klara antwortete nicht. Sie zog das Sparbuch heraus und blätterte auf die letzte Seite.

„Hier stehen ja nur 3000 Euro, Mutti. Hast du etwas abgehoben?“
„Nein, ich habe nichts abgehoben!“

„Aber Mutti, hier war viel mehr Geld drauf. Das weiß ich genau.“ Klara schaute ihre Mutter an.
„Ja, ich weiß auch nicht“, antwortete Anna und blickte Klara fragend und zugleich ratlos an.
Fortsetzung – ANNA IST DEMENT- (110)

BEITRÄGE IN DER WOCHE VOM 22.02. bis 28.02.2021

MONTAG, 22.02.2021

ALLTÄGLICHES (85)
MIT DER BIBEL IN DIE NEUE WOCHE
TROST IN DER BIBEL FINDEN – WENN JEMAND STIRBT, DER DIR NAHE WAR
https://uwemuellererzaehlt.de/2021/02/22/alltaegliches-86/

   

DONNERSTAG, 25.02.2021

ANNA (109)
DAS SPARKASSENBUCH IST LEER (1)
(2017)


FREITAG, 26.02.2021


ANNA (110)
DAS SPARKASSENBUCH IST LEER (2)
(2017)


 

SAMSTAG, 27.02.2021

REDAKTIONSPLAN (KW 09)
BEITRÄGE FÜR WOCHE VOM 01.03.-07.03.2021


 

‚WIESO GUTEN MORGEN – IST ES NICHT ABENDS?‘

ANNA – 19.02.2021

Was bisher war:
Klara war nicht nach Stralsund gefahren, aufgrund der Wettersituation.
Sie machte sich Sorgen, wie es ihrer Mutter, Anna, ging.

„Guten Morgen Mutti, wie geht es dir?“
Es dauerte eine Weile, bis Anna am Telefon auf Klaras Frage reagierte.

„Wieso ‚Guten Morgen`?“, ich bin schon im Nachthemd, und ich will ins Bett gehen“, sagte Anna und ihre Stimme klang dabei entrüstet.

„Mutti, es ist jetzt kurz vor zehn Uhr morgens. Die Schwestern müssen doch schon bei dir gewesen sein, und du hast doch sicher auch schon gefrühstückt, oder?“
Anna sagte nichts.

„Mutti, bist du noch da?“, fragte Klara besorgt.
„Ach, ich weiß gar nichts mehr, es ist einfach furchtbar“, sagte Anna nun mit fast weinerlicher Stimme.

Klara gab es einen Stich ins Herz, dass ihre Mutter immer weniger in der Lage war, am Tag zurechtzukommen.

Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt brach noch einmal der Winter über das Land herein und Klara war zu Hause geblieben, vorsichtshalber.

„Na gut, Mutti“, dann zieh dir doch etwas an und mach‘ dir vielleicht einen Kaffee“, sagte sie zu ihrer Mutter.

„Kaffee, um die Zeit? Was ist denn das für ein Quatsch?“
Anna wurde wieder angriffslustiger.

„Also, Mutti, dann wünsche ich dir einen schönen Tag“, sagte Klara und drückte auf die rote Taste am Telefon.

„Ich weiß nicht, wie lange das noch gut geht!“, sagte Klara nun zu Peter.

„Das wird nicht mehr so lange sein, wo deine Mutter in ihrer Wohnung allein bleiben kann“, antwortete Peter.

„Aber ich vertraue da auch auf Lukas. Der gibt uns doch stets einen realistischen Bericht, so dass wir schnell handeln können“, schob er noch nach.

Klara schwieg. Peter ebenfalls.
Beide wussten, was auf sie zukommen würde, schon bald, wie sie befürchteten.

BEITRÄGE IN DER 7. KALENDERWOCHE 2021

BEITRÄGE IN DER WOCHE VOM 15.02. bis 21.02.2021
MONTAG, 15.02.2021
ALLTÄGLICHES (80)

FASZINATION BIBEL
Was ich der Bibel als Motivation für die Woche entnehme
https://uwemuellererzaehlt.de/2021/02/15/alltaegliches-80/
DIENSTAG, 16.02.2021
ALLTÄGLICHES (81)


WAS VOM TAG HÄNGEN BLEIBT
Eindrücke vom Tag – kurz und bündig
https://uwemuellererzaehlt.de/2021/02/16/alltaegliches-81/
MITTWOCH, 17.02.2021
ALLTÄGLICHES (82)

FASZINATION BIBEL
Was ich der Bibel als Motivation für den Tag entnehme
https://uwemuellererzaehlt.de/2021/02/17/alltaegliches-82/


DONNERSTAG, 18.02.2021
SCHREIB-ALLTAG (36)

Erfahrungen aus dem Schreiballtag, niedergeschrieben vor zwei Jahren, heute überarbeitet und aktualisiert
https://uwemuellererzaehlt.de/2021/02/18/schreib-alltag-36/


ALLTÄGLICHES 84
WAS VOM TAG HÄNGEN BLEIBT
https://uwemuellererzaehlt.de/2021/02/18/alltaegliches-84/

FREITAG, 19.02.2021
ANNA IST DEMENT (108)


https://uwemuellererzaehlt.de/2021/02/19/anna-ist-dement-108/
SAMSTAG, 20.02.2021
REDAKTIONSPLAN (KW 08)
PLANUNG BEITRÄGE FÜR WOCHE VOM 22.02.-28.02.2021

 

ANNA GAB SCHWEREN HERZENS IHR EINVERSTÄNDNIS, DASS IHRE POST AN LUKAS GESCHICKT WURDE

2021.02.13

Es fiel Anna sehr schwer, das zu akzeptieren. Doch es ging nicht anders. Anna konnte nicht mehr unterscheiden, was von der Post wichtig war und was gleich in den Papierkorb konnte.

Werbebriefe, die nahm sie für bare Münze, dachte, sie müsse diese unbedingt beantworten.

Dort stand: „Liebe Frau Sturm, wir freuen uns auf Sie. Schicken Sie die die Rückantwort noch heute ab. Ein wunderschönes Gratis-Geschenk wartet darauf, von Ihnen in Empfang genommen zu werden, liebe Frau Sturm!“

Da musste man doch antworten“, meinte Anna. Und sie wurde böse, wenn man ihr nicht zustimmte.

KLARA ORGANISIERT VON BERLIN AUS DIE UMLEITUNG DER POST AN LUKAS
Klara ging in das Hauptpostamt in der Friedrichstrasse und schilderte ihre Situation.

„Meine Mutter gibt ununterbrochen Geld aus, kauft eine Bluse nach der anderen, weil ihr Gratisgeschenke suggeriert werden. Was soll ich nur tun?“

„Ich weiß genau, wovon Sie sprechen.“
Die Schalterangestellte zeigte viel Verständnis.

„Mein Vater hat die Post versteckt. Er hat keine Briefe, keine Mahnungen mehr geöffnet. Nur durch Zufall kamen wir dahinter.

Und das nur deshalb, weil uns der Stromanbieter informiert hat, dass sie den Strom bei ihm abstellen wollen“, erzählt sie von den Erfahrungen mit ihrem dementen Vater.

„Und was haben Sie daraufhin getan?“
„Wir haben uns von meinem Vater eine Vollmacht geben lassen, dass wir die Post zu uns umleiten können und ihm danach die Briefe aushändigen.“

„Was hat er gesagt?“
„Ihr wollt mich alle betrügen und ruinieren. Wenn das eure Mutter noch erlebt hätte! Schämt euch!“

Klara schaute die Mitarbeiterin ungläubig an.
„Das ist ja furchtbar.“

„War es auch. Schließlich aber hat mein Vater eingewilligt“, sagte die Mitarbeiterin am Schalter.

„Dann wollen wir das jetzt auch so machen und die Post zu meinem Bruder umleiten. Die Einwilligung meiner Mutter liegt vor“, sagte Klara.
Klara hatte sich die Vollmacht schriftlich geben lassen und zeigte sie nun der Mitarbeiterin.

ANNA STRÄUBTE SICH LANGE, IHRE EINWILLIGUNG ZU GEBEN
Das war gar nicht so einfach gewesen, die Vollmacht von Anna zu bekommen.

Während die Mitarbeiterin alles vorbereitete, schweiften Klaras Gedanken ab.

„Mutti, wir wollen dir helfen zu verstehen, was du für Post bekommst und dann gemeinsam entscheiden, was wir damit tun.“

„Warum?“

Anna wollte zuerst nicht verstehen.
„Ich lese dir doch die Post immer vor, abends, wenn ich anrufe.“

Klara konnte Anna nicht sagen, wie sehr sie genervt davon war, wenn ihre Mutter begann, die Briefe vorzulesen.

Erst einige Tage zuvor war es so gewesen. Anna hatte einen Brief bekommen, mit dem sie nichts anfangen konnte.
„Ihr Ansprechpartner: Frau Sammredt. Jetzt die Adresse…“

„Mutti!“, unterbrach Klara Anna beim Vorlesen.
„Du musst mir jetzt nicht alles vorlesen. Lies doch einfach die Betreffzeile vor.“

„Betreffzeile?“
„Ja. Dort steht doch irgendwo ‚Betreff‘, und den Text danach, den kannst du mir ja noch einmal vorlesen.“

„Ich finde das nicht!“
„Aber Mutti“, Klara war verzweifelt, „schau doch einfach die Zeilen von oben nach unten durch!“

Jetzt war Anna völlig durcheinander.
„Ich versteh‘ gar nicht, warum die mir diesen Scheiß schicken.“
Briefe mit behördlichem Inhalt oder von der Bank, ja das war wirklich ein Scheiß. Anna empfand das so.

Die andere Post, die mit den bunten Briefumschlägen, die war viel angenehmer.

Die schrieben so nett – „Liebe Frau Sturm, wir freuen uns…“
Ja, da freute sich Anna auch.

„So, jetzt geht die Post an Ihren Bruder“, riss die Mitarbeiterin Klara aus ihren Gedanken.

KLARA IST NICHT ZU ANNA GEFAHREN

WAS BISHER WAR:
Die Mitarbeiterin vom Pflegedienst hatte sich bei Lukas für den rauen Umgangston am Telefon entschuldigt. Es ist alles wieder im ‚Lot‘. Der Toaster ist neu und Lukas ist nach der Entschuldigung der Mitarbeiterin besänftigt.

Der Geburtstag von Klara neigte sich dem Ende zu. Der Kreis derjenigen, die am Kaffeetisch zusammensaßen, wurde immer kleiner.

Krümel war da und gratulierte ihrer Oma gleich frühmorgens am Bett.
„Happy birthday“ hatte sie mit ihrem dünnen Stimmchen geflüstert und Klara war glücklich.

„Machst du den Fernseher an?“, fragte Krümel Peter nach dem Frühstück.
„Du bekommst auch einen Goldklumpen“, sagte sie zu Peter und reichte ihm einen kleinen blauen Pappkarton.
Der ließ sich weichklopfen und nahm das großzügige Geschenk von Krümel an.

„Aber nur eine Folge“, sagte er zu Krümel.
Sie nickte und beide schauten anschließend den Trickfilm an.
Danach sagte Krümel von allein: „Opa, Fernseher aus“, erhob sich von der Couch und nahm Peter wieder den Pappkarton aus der Hand.

„Ich denke, das ist mein Goldklumpen“, rief ihr Peter hinterher.
„Nein, das ist kein Gold, das ist Pappe“, antwortete sie wie selbstverständlich beim Hinausgehen.

Anna hatte abends immer noch nicht angerufen.
Klara meldete sich bei ihr.

„Mutti, weißt du eigentlich, was heute für ein Tag ist“, sagte sie.
„Nein, woher soll ich das wissen“, antwortete Anna.
„Heute ist mein Geburtstag, der Tag, an dem du mich geboren hast, Mutti.“
„Nein, das gibt es doch nicht“, sagte Anna.
„Wie konnte ich das vergessen?“
„Das ist deine Krankheit, das ist doch nicht schlimm“, sagte Klara, obwohl sie schon sehr traurig darüber war.

ANNA BESCHLOSS ENDGÜLTIG, NICHT NACH STRALSUND ZU FAHREN

Der Schneefall wurde immer stärker und Klara überlegte, ob sie überhaupt nach Stralsund fahren konnte. Sie wollte eigentlich bei Anna nach dem Rechten sehen.

„Das ist zu gefährlich und vor allem mit einem zu hohen Risiko verbunden“, dass du nicht irgendwo auf der Fahrt mit dem Zug steckenbleibst.“

„Du hast recht“, sagte Klara.
„Ich fahre nicht, auch wenn ich ganz unruhig bin, wie es in der Wohnung von Anna aussieht.“

„Das sieht in zwei Wochen genauso aus“, sagte Peter trocken.
In der Nacht nahm der Schneefall zu, der Wind rüttelte an den Jalousien der Fenster und das Thermometer am Schuppen zeigte 8 Grad Minus an.

Peter erinnerte sich an den Winter 1978/1979, als er bei der Marine eine Truppe befehligte, die den Bahnhof in Sagard auf Rügen freischaufeln musste.

Seine Hände waren damals steif vor Kälte und die Matrosen warteten nur, dass er aufgab und in das Wärterhäuschen ging.

„Pause für zehn Minuten“ hatte er damals gesagt und erinnerte sich noch gut an die dankbaren Gesichter seiner Matrosen.
Aber das war schon lange her.

„Lass uns doch eine schöne Woche machen“, sagte Peter zu Klara, die zu ihm stumm herübernickte.

SIE MÜSSEN DEN TOASTER REPARIEREN

2021.02.11

WAS BISHER WAR:
Peter hatte für Klara den Blumenstrauß zum Geburtstag besorgt, obwohl er es hasste, in Blumenläden zu gehen. Er verzichtete darauf, Klara weitere Vorschläge zur Restrukturierung ihrer Küchenabläufe zu machen. Klara wollte nach Stralsund, um nach ihrer Mutter zu sehen.

Das Telefon klingelte, während Peter über einem Text brütete. Nur unwillig hob er den Kopf und sah auf das Display. Es war die Nummer von Lukas aus Stralsund.

„Hast du einen Augenblick Zeit?“, fragte Lukas ihn.
„Oder hast du sehr viel zu tun?“, setzte er noch mit seiner Frage nach.
„Naja, es geht schon“, sagte Peter unwillig, aber nicht unfreundlich zu Lukas.

Er ging auch nicht auf Lukas‘ spöttischen Unterton ein, der da lautete: ‚Du bist doch Rentner und müsstest eigentlich Zeit genug haben.‘

Klar bekam er schon Rente, aber er arbeitete trotzdem weiter. Sie brauchten das Geld und Peter konnte sich nicht vorstellen, einfach nur herumzusitzen, um irgendwelchen Hobbys nachzugehen.

Peter kannte keine Hobbys, er kannte nur seine Arbeit. Der einzige Luxus, den er sich gönnte“ war, dass er die Pausen so legte, wie er es für richtig empfand und manchmal auch an einem ganzen Vormittag nur vor dem Fernseher verbrachte, weil für ihn spannende Nachrichten über den Bildschirm flimmerten.

„Gibt’s was Neues bei Anna?“
„Na ja, die Schwester hat mich gerade angerufen, weil bei Anna der Toaster kaputt war und sie keinen Kaffee gefunden hatte.“

Es war Schwester Marga, die Lukas mittags darüber informierte, nachdem sie morgens für Anna das Frühstück bereiten wollte.
Schwester Marga war hilfsbereit, energisch und ein herzlicher Mensch.

Sie sagte offen, was sie dachte, nahm dabei jedoch wenig Rücksicht darauf, ob sie damit vielleicht jemanden vor den Kopf stoßen würde.
Mit ihrer lauten Stimme, ihrer Körperfülle konnte sie schon einem anderen Menschen Angst einflössen.

Sie formulierte manchmal anklagend gegenüber den pflegenden Angehörigen die aus ihrer Sicht auffallenden Defizite.
„Formulieren Sie doch lieber eine Frage, als gleich mit der Tür ins Haus zu fallen“, hatte die Leiterin des Pflegedienstes sie bereits einmal ermahnt“, als eine Beschwerde von Angehörigen bei ihr eingegangen war.

Schwester Marga durfte man nicht im Weg stehen, wenn sie volle Fahrt aufgenommen hatte.
Es ging schnell zu, laut, aber auch herzlich.

„Stell dir vor, das ist ja alles nicht schlimm, aber der Ton, indem sie mir das gesagt hatte, der hat mich schon aufgebracht“, sagte Lukas.

„Wie war denn ihr Ton?“, fragte Peter.
„Sehr vorwurfsvoll, so als würden wir uns gar nicht kümmern“, antwortete Lukas.

„Dabei gehe ich jeden Tag dort hin. Klar, vielleicht übersehe ich ja auch mal was, aber mir gleich so zu kommen“, das finde ich nicht in Ordnung.

„Das lassen wir nicht auf uns sitzen. Wir rufen dort an und stellen die Schwester zur Rede.“
„Ja, aber lass uns erst einmal mit Klara darüber sprechen, bevor wir dort anrufen.“

„Hast du etwa Angst, dass ich jetzt gleich zum Hörer greife und die Chefin befrage, was das soll?“, fragte Peter.

„Nein, nein“, meinte Lukas.
Peter nahm ihm das nicht ab, denn er wusste, wie Lukas über ihn dachte, und dass der ihm zutraute, sehr schnell und sehr hart zu reagieren.

Dabei hatte Peter das gar nicht vor. Er würde lediglich klar fragen, warum die Schwester sich im Ton vergriffen hatte. Und Peter dachte, er würde Lukas damit helfen.

Doch der war schon wieder genervt davon, dass die Sache vielleicht höhere Wellen schlug, als er es selbst wollte.

„Ich werde das heute Abend erst einmal mit Klara besprechen, und danach wird Klara in Stralsund anrufen“, sagte Peter nach einer Weile.

Lukas stimmte ihm zu und er war erleichtert. Er wollte zwar, dass man was sagte, aber irgendwie wollte er es auch wieder nicht. Auf jeden Fall wollte Lukas keinen Ärger.

Aber den Ärger machten die anderen, indem sie Lukas unterstellten, dass er sich nicht richtig kümmern würde.

‚Sollen das doch Klara und Lukas unter sich ausmachen‘, dachte Peter, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte.

Gerade erst gestern hatte er eine Kopie der Krankenkasse eingescannt und an den Pflegedienst geschickt, damit sie über den Leistungsumfang, innerhalb dessen sie sich bewegen konnten, informiert waren.

Peter hatte kurz bevor Lukas auflegte ihm noch einmal deutlich gemacht, wie wichtig es war, so etwas nicht auf sich sitzen zu lassen.

„Das haben wir ja nun alles besprochen“, meinte Lukas lakonisch.
Peter ärgerte sich über diese Reaktion. Hatte Lukas sich bei ihm gemeldet, oder umgekehrt?

Peter wusste selbst von sich, dass er bohrend, ja nervend sein konnte, wenn er die Dinge wiederholte, nur um sie dem anderen verständlich artikuliert herüberzubringen.

Vielleicht war das auch sein Fehler. Er beschloss, Klara anzurufen, sie in Kenntnis zu setzen und sich dann aus der ganzen Sache herauszuhalten.

 

BERTA HAT DIE MUSIK AUFGELEGT

2021.02.06

Anna rief am nächsten Tag erneut an, vormittags. Sie wollte Klara sprechen, aber die war zur Arbeit.

Peter musste ebenfalls arbeiten, doch ihn konnte Anna wenigstens erreichen.

„Es war schön gestern bei der Diamantenen Hochzeit.“
„Hattet ihr denn auch Musik?“, fragte Peter.
„Ja, Berta hat aufgelegt.“ Berta und Anna waren seit ihrer Kindheit miteinander befreundet.

„Oh, Donnerwetter!“, staunte Peter und musste schmunzeln.
Aufgelegt – war das nicht ein Begriff, der längst vergangen war? Oder ist er gerade hip, wenn man an die heutigen Veranstaltungen denkt, wo der DJ auflegt?

Jedenfalls: Anna sprach und dachte modern.
Trotzdem: Wahrscheinlich war das ein ganz normaler Recorder, auf dem die Musik spielte und zwischendurch die CD’ s gewechselt wurden. Und das tat eben Berta.

„Waren denn Gäste da, die wir kennen?“, fragte Peter weiter. Anna überlegte kurz und sagte: „Nein, keine.“

Da war er wieder der Gedächtnisverlust. Peter und Klara kannten bestimmt über die Hälfte derjenigen, die bei der Veranstaltung Gäste waren.

„Wie heißt noch gleich die Tochter von Berta, ich komme einfach nicht drauf“, fragte Peter jetzt.

„Na, Cornelia, das musst du doch wissen?“, sagte Anna vorwurfsvoll.
Ja, Anna hatte Recht. Peter musste und konnte es wissen.
Anna konnte es im ersten Anlauf nicht wissen, dass es jemand war, den Peter und Klara kannten, und sie musste es vielleicht auch nicht mehr.

Peter verabschiedete sich von Anna, indem er ihr sagte, wie schön es wäre, dass sie am Vortag bei der Diamantenen Hochzeit dabei gewesen war, wieder eine Möglichkeit, unter Leuten zu sein.

 

IM WARTEZIMMER VON DR. SILBERFISCH
Klara plante, in der nächsten Woche nach Stralsund zu fahren. Sie wollte es ihrer Mutter nicht sagen.

Sondern: Sie wollte – gemeinsam mit ihrem Bruder Lukas – zu Dr. Silberfisch. Sie wollten ihn um Rat fragen, was sie tun könnten wegen ihrer Mutter Anna.

Dr. Silberfisch stand bei Anna hoch im Kurs.
Für Anna war es ein Höhepunkt, wenn sie zu ihm in die Praxis gehen konnte. Sie kannte sich dort aus. Früher war dort mal eine Drogerie drin. Anna hatte dort als Verkäuferin gearbeitet.

Und Anna kam immer noch ins Schwärmen, wenn Sie daran zurückdachte. Sie fing gleich im Wartezimmer an zu erzählen, was dort früher war und wie die einzelnen Räume aufgeteilt waren.

„Und da oben, da haben wir immer Mittag gemacht, Schwester.“
„Ach ja?“, sagte Schwester Erika und verdrehte die Augen verstohlen zu ihrer Kollegin.

Anna wusste nicht, dass sich die Schwestern heute Praxishelferinnen nennen. Und das störte sie auch nicht im Geringsten.

„Manchmal, da haben wir dort auch Kaffee getrunken und Kuchen gegessen“, fuhr Anna unbeirrt fort. „Ach, das war schön. Und die Kunden mochten uns“, meinte sie.

„Frau Sturm, der Doktor wartet jetzt auf Sie. Bitte gehen Sie doch durch.“
„Ja, das mach‘ ich doch glatt.“ Anna war im Arztzimmer verschwunden. „Sooo…“, sagte Schwester Erika – also die Praxishelferin Erika.

„Das hätten wir jetzt wieder.“

„Na ja, wer weiß, wie wir mal werden“, meinte ihre Kollegin.
„Meinst du?“

„Na ja“, seufzte Erika, „ich will‘ s nicht hoffen, dass wir dement werden.“
Aber wissen konnten sie es nicht, und das wussten sie auch.

 

 

 

PUTENGULASCH MIT SALZKARTOFFELN

2021.02.05

WAS BISHER WAR:
Peter scheiterte an Klaras Unwillen mit seinem Versuch, die Ablauforganisation in der Küche neu zu strukturieren. Klara bereitete Peter auf ihre Abfahrt nach Stralsund vor.

Der Wecker des Telefons ging an und das Geräusch von Grillen bohrte sich in die Ohren von Peter und Klara, als wäre eine Kreissäge angesprungen.

„So früh‘“, schimpfte Klara, während sie sich wieder umdrehte und über Peters Angewohnheit stöhnte, immer noch ein bisschen früher aufzustehen.

Es war gerade mal 03.40 Uhr. Und bei Klara war auf dem Display 03.39 zu sehen. Sie war einfach nur empört über Peters Rücksichtslosigkeit.

Dabei wollte der nur alles in Ruhe angehen, sich rasieren, Tee aufsetzen, Kaffee vorbereiten und später noch die Eier in das kochende Wasser legen.

Gegen 04.15 Uhr sollte alles fertig sein und Peter freute sich dann darauf, danach die Zeitung auf dem iPad zu lesen. Er hatte eine Weile gebraucht, bis er sich an das Digitale gewöhnt hatte.

Manchmal rutschte ihm noch die Zeitung weg, die Zeilen wurden unmäßig groß, so dass sich eine Zeile über den gesamten Bildschirm erstreckte.

Aber er hatte sich eingewöhnt und war froh, dass er sich nicht mehr darauf verlassen musste, ob der Zeitungsträger kam und ob er vor allem kurz vor vier Uhr kam, einer Zeit, wo man selbst lieber noch im Bett lag.

Peter freute sich schon darauf, wenn der Tag wieder schneller begann, es früher hell wurde und er miterleben konnte, wie allmählich die Sonne aufging.

Er konnte sich aber genauso darüber freuen, wenn der den Sonnenuntergang beobachten konnte, wie es abends langsam dunkel wurde und er das Geschrei der Kinder hörte, die den verbliebenen Schnee dazu nutzten, darauf herum zu schlittern.

Peter saß am Schreibtisch und dachte darüber nach, womit er wohl den Tag beginnen sollte.

Was er zu tun hatte, das wusste er, aber er überlegte, ob es nicht eine Möglichkeit gab, den ungeliebten, aber dennoch überlebenswichtigen Aufgaben des Schreibens von PR-Texten zu entgehen.

Er klickte am Computer herum und öffnete schließlich die Datei, in der der Speiseplan für Anna Mittagessen abgespeichert war.

Seitdem sie den Service von ‚Essen auf Rädern‘ in Anspruch nahm, war das auch eine spannende Abwechslung für Klara und Peter.

Putengulasch mit Salzkartoffeln stand auf dem Plan und zum Dessert gab es Sahnepudding mit Schokosoße.

Peter würde am liebsten am Essen selber teilnehmen, obwohl er es besser lassen sollte. Er hatte wieder zugenommen, seit er nicht mehr in das Sportstudio konnte.

„Wir gehen in unserem nächsten Urlaub in Stralsund in die Gaststätte, die ebenfalls von der Firma für Essen auf Rädern betrieben wurde“, sagte Peter.

Er hatte dazu mehr Lust, als in ein Nobelrestaurant im Hafen zu gehen.

DIE GESCHIRRSPÜLMASCHINE WAR NICHT AUSGERÄUMT

2021.02.04

WAS BISHER WAR:
Bei Klara, Lukas und Peter setzte sich immer mehr die Erkenntnis durch, Anna nicht mehr zu etwas zu bewegen, was sie überhaupt nicht mehr wollte, zum Beispiel sie zu Feiern mitzunehmen.

Krümel machte für alle den Alltag schöner, sie war stets präsent, und wenn auch oft nur in Gedanken.  Peter musste darüber nachdenken, was er Klara zum Geburtstag schenken wollte.

Es deutete sich an, dass Klara lediglich einen Blumenstrauß zum Geburtstag haben wollte. Sie hatte sich ihre Geschenke bereits vorher besorgt.
Aber der Blumenstrauß musste ja trotzdem noch besorgt werden.

Schade, dass Peter gerade Klaras Lieblingsblumenvase zerschmissen hatte. Die stand morgens im Weg, als Peter die Spülmaschine ausräumte.

Er hatte gerade das Sonntagsgeschirr in das Wohnzimmer gebracht. Peter war sauer, weil er das morgens machen musste, denn hätte er gewusst, dass die Maschine noch voll war, so hätte er es abends noch getan.

Aber Klara sagte nur: „Das musst du doch nicht machen.“
Wie stellte sie sich das eigentlich vor ? Dass er das Frühstück vorbereitete und unten die Spülmaschine voll war mit Geschirr?

Nein, das kam für ihn gar nicht infrage.
Das konnte er einfach nicht. Er war nicht so gestrickt, dass er das übersehen konnte.

Also stellte er die Tassen und Teller schlecht gelaunt auf den Wohnzimmertisch. Es war noch dunkel. Plötzlich stieß er mit dem Arm gegen etwas. Es rollte und krachte auf die Erde.
Es war die Blumenvase.

„Das war die schönste Vase, die wir hatten“, sagte Klara.
„Und das ist mit Abstand der schlechteste Beginn eines Tages“, sagte Peter.

„Ich weiß nicht, warum du so bist?“, sagte Klara.
„Ich weiß auch nicht, warum du nie abends alles für den Morgen vorbereitest“, entgegnete Peter.

Seine Schilddrüse schlug schon an und er war dabei, sich nicht mehr einzukriegen.
Was war geschehen? Das Auto kaputt, jemand die Treppe heruntergefallen, der Strom ausgegangen?

Nein, etwas viel Schlimmeres, der Geschirrspüler war noch voller Geschirr geräumt.

Das Frühstück verlief ruhig. Peter surfte in der neuesten Ausgabe der Berliner Zeitung.

Die Corona -Toten waren wieder mehr geworden.

‚Und du regst dich wegen so einer Kleinigkeit auf‘, dachte Peter.

Laut aber sagte er: „Das finde ich zwar nicht in Ordnung, dass du mich nicht unterrichtest, was in der Küche noch gemacht werden muss, aber lass uns jetzt nicht mehr streiten, die Vase ist ohnehin kaputt.“

Klara schwieg. Sie musste gleich in die S-Bahn, dann die kalte Straße im Zeitungsviertel entlanglaufen und der Dicke hier regte sich über so einen Mist auf.

‚Ach war das schön, als er noch Teams geführt hat und auch gut verdiente.‘

Das Leben war zwar stressiger, aber ihr Mann war abends wenigstens müde und hatte keine Kraft mehr, zu reden, geschweige denn in die Spülmaschine zu schauen.

Aber jetzt, wo er nur noch im Homeoffice saß, da wollte er den Haushalt führen, wie von einem Befehlsstand aus und er wunderte sich immer, dass Klara sich nicht an seine Anweisungen hielt, sondern nur sagte, er könne ruhig noch mehr machen, wenn er schon zu Hause war.

Das brachte Peter endgültig aus dem Häuschen. Er verkroch sich dann in sein Zimmer und arbeitete umso verbissener an seinen Marketingkonzepten.

An dem Tag rief Peter noch einen Kunden wegen einer Anzeige an.
„Das ist mir alles zu persönlich“, sagte der zu Peter.

„Zu persönlich? Sollte es denn unpersönlich sein in der Stellenanzeige sein.

Wollen Sie Menschen ansprechen, die sich für Sie und Ihr Unternehmen begeistern, oder wollen Sie Leute, die kalt und abstrakt im Pflegedienst wirken?“

Peter war rhetorisch kaum zu schlagen. Er siegte auch in dem Gespräch, aber er verlor den Kunden.

An dem Tag beschäftigte er sich nur noch mit den ausstehenden PR-Texten. Er fand sie wenig aussagekräftig und fad, und seine Laune sank auf den Nullpunkt.

Er ging in das Wohnzimmer, schaltete den Fernseher ein und schaute sich einen Film über die Seals in Afghanistan an. Die waren aufeinander eingespielt, die Kommandozentrale tickte wie ein Uhrwerk. Peter liebte diese Filme.

Vielleicht konnte er sich ja noch für die Organisation des Haushaltes etwas abschauen. Doch was stand denn bei ihm an? Nur eines: Blumenstrauß für Klara besorgen.

KLARAS GEBURTSTAG STAND BEVOR UND PETER MUSSTE BLUMEN BESORGEN

2021.02.03

WAS BISHER WAR:
Peter hatte darüber nachgedacht, dass man sein Leben einfach leben sollte. Er dachte dabei vor allem an Krümel, die sich für alles interessierte, die Welt neugierig betrachtete und mit ihrer ungezwungenen und kindlichen Art es sogar noch schaffte, Anna am Telefon zum Lachen zu bringen.

„Wie wollen wir nächste Woche meinen Geburtstag feiern?“, fragte Klara Peter am Frühstückstisch am Samstagmorgen.

Peter antwortete nicht. Er war in sein iPad vertieft, auf dem er die Berliner Zeitung las.

Samstagmorgen war es für ihn am schönsten, dass Klara das Frühstück machte, er dann nach einer Weile die Treppe herunterkommen konnte und sich erst einmal hinsetzte, um zu lesen.

Klara mochte das eigentlich nicht. Denn sie wollte, dass sich Peter mit ihr unterhielt und nicht schon wieder irgendwelche Artikel las, um sie hinterher nach ihrer Meinung für diesen Aufsatz zu fragen, den sie selbst noch gar nicht gelesen hatte.

Das war aber für Peter das Signal, selbst erst einmal knapp den Inhalt des Artikels wiederzugeben und danach seine eigene Meinung darüber kundzutun.

„Das hast du den Schlamassel mit ‚Astrazeneca‘ und der EU“, hob er an.

Aber Klara unterbrach ihn gleich.
„Ich habe dich gefragt, wie wir meinen Geburtstag feiern wollen?“
„Jetzt geht das schon wieder los. Ich hab‘ kein Geschenk für dich.“
„Blumen würden mir reichen“, sagte Klara gleich.
„Und wo krieg‘ ich die her?“, brummte Peter gleich.

Er hasste es, Blumen zu besorgen, denn damit kannte er sich gar nicht aus. Meist kaufte er die, die nicht frisch genug waren oder sie waren zu teuer.

Klara bekam das natürlich sofort mit und machte nebenher ihre Bemerkungen dazu.

Aber wenn Peter ehrlich zu sich selbst wäre, dann müsste er sich eingestehen, dass er es generell nicht mochte, in Läden zu gehen.
Der Lockdown kam ihm in dieser Hinsicht nur zu recht.

Peter erinnerte sich daran, wie er im letzten Jahr in den Laden am Bahnhof ging, er mittendrin stand, sich keiner um ihn kümmerte und er nicht wusste, was er nehmen sollte.

Er war der Typ, der sich gern beraten ließ, dafür lieber teurer einkaufte, aber seine eigene Komfortzone nicht verlassen musste, zum Beispiel, um nach etlichen Alternativen zu fragen und dann noch die Preise zu vergleichen.

Dabei war er es gar nicht mehr, der das große Geld verdiente. Das tat Klara. Peter gab es nur aus, großzügiger als Klara, wenn er dachte, das müsse nun so sein.

„Du kannst ja nächsten Samstag die Blumen gemeinsam mit Laura kaufen“, meinte Klara.

„Ja, das ist eine gute Idee“, sagte er schnell.
Ob die Idee wirklich gut war, das wusste er nicht. Denn Laura kam gleich nach Klara.

Sie dirigierte ihn ebenso im Laden umher, wie es ihre Mutter mit ihm machte.

Aber Peter könnte den Umstand dafür nutzen, um mit Krümel und Laura gemeinsam in den Blumenladen zu gehen.

Laura könnte sich dann um den Blumenkauf kümmern und Peter würde aufpassen, dass Krümel nicht in der Zwischenzeit alle Pflanzen anfasst, nur eben jede zweite.

VON KRÜMEL LERNEN, DEN TAG EINFACH ZU LEBEN

2021.02.02

WAS BISHER WAR
Klara, Peter und Lukas verstanden es immer besser, sich untereinander abzustimmen, was die Unterstützung für Anna anbetraf.
Und trotzdem, es blieb schwer, weil jeder in seinem eigenen Alltag mit seinen Ängsten, Hindernissen, aber auch kleinen Freuden zu tun hatte.

Der Alltag nahm seinen Lauf.

Nur wie der von Klara, Peter oder Laura wahrgenommen wurde, das hing davon ab, wie sie sich selbst gerade fühlten, was am Tag geplant war und was tatsächlich passierte.

Wenn Peter und Klara morgens aufstanden, da hatten sie meist nur ein Thema, und abends ebenso – was Krümel wohl machte und vor allem, was sie schon alles gemacht hatte, worüber sie viel lachen mussten.

„Weißt du noch, wie Krümel auf der Seite der Couch herumturnte und ich sie mahnend anschaute?“, fragte Peter.

„Sie sagte zu mir ‚Opa, jetzt mal nicht oh, oh sagen, wenn ich hier meine Übungen mach‘, ja‘?“, das hat sie gesagt, fuhr Peter fort, ohne abzuwarten, was Klara sagte.

Klara hatte das alles ja selbst miterlebt und musste auch stets aufs Neue darüber lachen.

„Hättest du gedacht, dass wir so viel an Krümel denken würden, auch wenn sie nicht bei uns ist“, fragte Peter.

„Sie hat unser Leben verändert, es ist aufregender geworden, manchmal anstrengend, aber viel schöner als vor Krümels Geburt“, antwortete Klara.

„Gestern hat Laura angerufen und erzählt, dass Krümel der Erzieherin gesagt hätte, sie müsse mittags nicht mehr schlafen, denn das hätte ihre Mutter erlaubt“, schob sie noch hinterher.

„Ja, da werden wir noch viel lachen können“, meinte Peter, bevor er sich wieder seinem Schreibtisch zuwandte.

Krümel machte den Alltag schöner, sie ließ sich nicht von schweren Gedanken treiben, sondern sie nahm den Moment, den sie kriegen konnte und machte etwas daraus, spielte mit ‚Marshall‘, rief ‚Opa hat mich geärgert‘, wenn etwas nicht ganz nach ihrem Willen lief und sie konnte sich zu einem Stein auf der Straße freuen, den sie fand und aufsammelte.

Während Peter darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass die Kindheit eben doch etwas ganz Wunderbares war, etwas, das nie wieder so, mit diesen Glücksmomenten aus dem Nichts, zurückkam.


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https://uwemuellererzaehlt.de/anna-ist-dement/

 

FAMILIE – WIR SIND EBEN NICHT ANDERS

2021.02.01

WAS BISHER WAR
Peter hatte mit Helga am Telefon darüber gesprochen, wie es seiner Mutter im Pflegeheim in Dresden ging. Nicht nur die Beschränkungen der Pandemie rissen die Familien auseinander. Es war vor allem die innere Zerrissenheit in der Familie, die Peter Sorgen machte. Er lenkte sich ab, in dem er an die Tage seiner Kindheit in Schwerin zurückdachte.

Peter hatte gute und weniger gute Erfahrungen damit gemacht, was Annas Demenz anbetraf.

Die Familie hatte Phasen der Verzweiflung durchlaufen, Stunden, in denen keiner wusste, wie es mit Anna weitergehen würde. Und wieder Momente, in denen sie herzlich lachen mussten und sich nicht dafür schämten, dass Anna den Anlass für all das gab.

Sie lachten Anna nicht aus, nein, sie lachten sie an. Anna ist dement – das war inzwischen zum Synonym dafür geworden, dass die Familie zusammenhielt, dass man sich stritt und dass man einfach sagte:
„Hallo Familie, das sind wir. Wir sind eben nicht anders, aber wir halten zusammen.

Die Krankheit von Anna, so schlimm sie auch einem Außenstehenden erschien, sie brachte Peter und Klara dazu, innezuhalten, darüber nachzudenken, was wirklich im Leben zählte.

„Wir regen uns laufend darüber auf, wie furchtbar das alles ist, was Anna sagt und was sie nicht mehr mitbekommt“, sagte Peter.

„Was meinst du?“, fragte Klara.
„Anna ist mit sich zufrieden. Schau nur mal, wie sie das Essen inzwischen liebt, das ihr vom Küchenservice, ‚Essen auf Rädern‘ gebracht wird.

Klara nickte. Sie hatte gerade gesehen, wie Anna auflebte, wenn Klara sie nach dem Essen fragte, dass sie nun nicht mehr selbst zubereiten musste, und dass ihr direkt auf den Tisch gestellt wurde.

„Wir müssen unsere Sicht ändern“, sagte Peter. „Und nicht die von Anna“, schob er hinterher.
Klara schaute Peter fragend an.

„Wir gehen davon aus, dass deine Mutter immer noch große Spaziergänge machen soll, vielleicht aufs Kreuzfahrtschiff aufsteigen will, nach der Pandemie jedenfalls.

Aber sie will das nicht. Sie denkt nicht mehr darüber nach. Wir denken das und dann glauben wir, dass sie genauso denkt, und das ist unser Fehler.“

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REDAKTIONSPLAN – ‚ANNA IST DEMENT‘ FÜR WOCHE VOM 01. 02. BIS 07.02.2021

Wer sich für die Familiengeschichte ‚Anna ist dement‘ interessiert – hier die aktuellen Folgen für die kommende Woche:

MONTAG, 01.02.2021
ANNA (101)
FAMILIE – WIR SIND EBEN NICHT ANDERS
Verzweiflung, Momente, in den man lachen musste – das Leben ging weiter, trotz Annas Demenz und mit Anna, als festes Familienmitglied.

DIENSTAG, 02.02.2021
ANNA (102)
VON KRÜMEL LERNEN, DEN TAG EINFACH ZU LEBEN
Krümel nahm den Moment, den sie kriegen konnte und hatte Spaß.

MITTWOCH, 03.02.2021
ANNA (103)
KLARAS GEBURTSTAG STAND BEVOR UND PETER MUSSTE BLUMEN BESORGEN
Peter hasste es, in Blumenläden zu gehen, aber nun kam er wohl nicht drumherum.

DONNERSTAG, 04.02.2021
ANNA (104)
DIE GESCHIRRSPÜLMASCHINE WAR NICHT AUSGERÄUMT
Peter verwechselte die Küche mal wieder mit einem Befehlsstand bei den Seals

FREITAG, 06.02.2021
ANNA (105)
KLARA WOLLTE NACH STRALSUND FAHREN
Klara machte sich Sorgen um Anna und wollte bei ihr nach dem Rechten sehen, und sie wollte sehen, wie der Essenservice funktionierte.

SAMSTAG, 06.02.2021
ANNA – FOLGE 3  (bisher donnerstags)

WIEDERHOLUNGEN AUS VERGANGENEN JAHREN
BERTA HAT DIE MUSIK AUFGELEGT
IM WARTEZIMMER VON Dr. SILBERFISCH

PETERS ERINNERUNGEN AN SEINE KINDHEIT STIMMTEN IHN VERSÖHNLICH IM TELEFONAT MIT HELGA

WAS BISHER WAR:
Peter hat im Pflegeheim mit der Schwester gesprochen, die seine Mutter pflegte.
Gertrud Gerber ging es gut, wenn man absah von ihrer Demenz und davon, dass sie nicht mehr aufstehen konnte.
Wenig später rief ihn seine Schwester Helga zurück und behandelte ihn am Telefon von oben herab.

Es herrschte Stille am Telefon. Schließlich war ein Schnaufen zu vernehmen.

Helga blies zum Angriff. Peter musste zurückdenken an ihre gemeinsame Kindheit, daran wie sie in Schwerin gemeinsam spielten hatten.

Sie wohnten in der Straße der Nationalen Einheit. So hieß sie damals noch, obwohl es längst die DDR gab.

Aber irgendwie störte das Ende der fünfziger Jahre noch keinen. Erst viel später wurde sie in ‚Herman Matern – Straße‘ unbenannt.

Das Haus vor ihnen war aus rotem Backstein, typisch norddeutsch.
Peter und Helga hingen oft mit den Köpfen nach unten auf dem Geländer, dass den Bürgersteig absichern sollte.

Die Spitze von Helgas Pferdeschwanz berührte den Fußweg und strich über das dreckige Pflaster.
Sie spielten vor allem dann unbeschwert, wenn Manfred Gerber nicht zuhause war.

Der studierte in der Zeit in Berlin. Manchmal kam er früher zurück und erwischte die beiden, dass sie am Geländer hingen.
Dann gab es sofort Ärger und manchmal setzte es auch eine Tracht Prügel.

Sie hatten Angst vor Manfred Gerber, dem Vati – Erwin Gerber. Alle, Peters älterer Bruder Erwin, Helga und Peter.

Die Erinnerungen an die Zeit in Schwerin gehörten für Peter zu den schönsten überhaupt in seinem Leben. Bis in die Gegenwart denkt er manchmal zurück daran, wie sie auf dem Hof gespielt hatten.

Peter erinnerte sich, dass er oft gehen die Teppichstange stieß, sich eine Beule holte und heulend zu ihrer Oma reinlief.

Die kühlte ihm mit einem Messer die Stirn, schmierte ihm eine Schmalzstulle und schickte ihn wieder nach draußen.

„Bist du noch da?“, fragte ihn seine Schwester am Telefon.
„Lass uns jetzt nicht streiten“, schlug Peter versöhnlichere Töne gegenüber seiner Schwester an.

„Mama scheint es ja gut zu gehen.“
„Naja“, hob Helga an.
„Ich meine natürlich im Rahmen des Möglichen“, schob Peter nach.
„Und der Rahmen wird enger“, sagte Helga jetzt.
„Was meinst du?“

„Mama kann nicht mehr sprechen, erkennt kaum noch jemanden und schläft sehr viel“, erklärte sie.

PETERS MUTTER GERTRUD GEHT ES GUT – WENN MAN VON DEN UMSTÄNDEN ABSIEHT

WAS BISHER WAR:
Peter ringt mit sich, seine Schwester anzurufen und herauszubekommen, wie es seiner Mutter geht.
Gertrud Gerber ist an das Bett gefesselt, kann nichts mehr allein tun und ist stark dement. Es besucht sie keiner – in den Zeiten des Lockdowns.

Peter nahm den Hörer ab und wählte  die Telefonnummer seiner Schwester.
Helga ging nicht ans Telefon.

Er legte auf und kramte in seinen Unterlagen die Telefonnummer des Pflegeheimes in Dresden heraus.
Endlich hatte er alles zusammen.

Es dauerte eine Weile, bis er die richtige Ansprechpartnerin in der Leitung hatte.

„Ach, ist das schön, dass Sie sich mal melden“, sagte eine freundliche Stimme am anderen Ende.

Peter wurde rot und war froh, dass die Schwester nicht sehen konnte, wie peinlich es ihm war, dass er sich solange nicht gemeldet hatte.

„Wie geht es meiner Mutter?“, fragte er mit etwas beklommener Stimme.

„Soweit gut. Sie schläft viel, vergisst oft, wo sie sich befindet und wer gerade vor ihr steht.

Aber ich werde die Grüße von Ihnen ausrichten. Sie wird sich sehr darüber freuen“, sagte die Schwester.

„Ich melde mich bald wieder, vielen Dank für die Auskunft“, sagte Peter und legte den Hörer auf.

Jetzt packte ihn erst recht das schlechte Gewissen.
Das Telefon klingelte erneut. Helga war dran.

„Du wolltest mich sprechen“, fragte sie Peter.
„Ja, willst du mich denn auch sprechen?“, fragte er zurück.

Das Verhältnis zwischen ihnen war angespannt und würde es wohl auch bleiben.

„Du willst bestimmt wissen, wie es Mama geht“, sagte Helga jetzt.

„Naja, ich habe direkt im Heim angerufen.“

„Du weißt schon, dass ich die Geschäftsführerin dort bin“, sagte sie jetzt mit herablassender Stimme.

„Ja, deswegen wollte ich mal die authentische Meinung der Schwester einholen“, sagte Peter.

„Was bildest du dir eigentlich ein, wer du bist?“, fragte Helga nun.

„Wir sind immer noch die, die wir immer waren“, sagte Peter trocken.