Der Urlaub verging schnell, viel zu schnell. Wir wollten am Tag unserer Abreise noch einmal durch den Hafen von Sassnitz fahren, die Schiffe sehen, das Wasser, die Menschen, die umherliefen und ihren Urlaub genossen.
„Ich möchte für Krümel noch ein kleines Schiff kaufen. Das soll noch für ihren Geburtstag sein“, sagte Klara zu mir.
„Ja Oma, ein Schiff“, rief Krümel begeistert. Sie saß im Auto in ihrem Kindersitz. Eigentlich sollte sie es gar nicht mitbekommen, aber Krümel bekam alles mit.
Ich steuerte also auf einen Parkplatz im Hafengelände zu, direkt vor der Pier, an der ein englisches U-Boot festgetäut war und seit vielen Jahren als Museum dient. Ich zwängte mich zwischen zwei Campingwagen und wir stiegen aus dem Auto aus.
„Laura und ich gehen schnell in den Laden da vorn und kaufen das Schiff für Krümel. Bleib‘ du solange bei der Kleinen, damit sie es nicht mitbekommt, dass wir noch ein Geschenk für sie kaufen“, sagte Klara zu mir.
Krümel würde in wenigen Tagen drei Jahre alt werden und wir wollten ihr noch eine zusätzliche Freude machen. Sie hatte seit Tagen fasziniert auf ein Kreuzfahrtschiff geschaut, das vor Sassnitz auf Reede lag. Also wollte Klara ein Spielzeugschiff in einem kleinen Souveniergeschäft kaufen.
Laura und Klara liefen los, während ich Krümel auf meine Schultern hob und wir an der Pier entlangschlenderten. Besser ich schlenderte, während Krümel meine Mütze vom Kopf zerrte und an meinen Haaren zog.
„Wo sind Mama und Oma?“, fragte Krümel von oben herunter.
„Keine Ahnung“, antwortete ich scheinheilig, während Krümel auf meinen Schultern wippte und weiter an meinen Haaren zog.
„Ich weiß auch nicht, was die noch in einem Laden wollen“, sagte ich zu Krümel, während ich versuchte, sie davon abzuhalten, weiter meine Haare zu zerwühlen.
„Oma kauft ein Schiff für mich und ich sage danke“, rief die Kleine fröhlich und grub ihre kleinen Händchen noch stärker in meine Haare ein.
Klara und Laura kamen endlich aus dem Laden und steuerten auf uns zu. Klara hielt ein kleines Feuerlöschboot in ihren Händen und streckte es Krümel entgegen.
Ich hob sie von meinen Schultern, damit sie es sich in Ruhe anschauen konnte. Wir hätten es ohnehin nicht bis zu ihrem Geburtstag vor ihr verheimlichen können.
„Oh danke Oma“, rief sie und hüpfte aufgeregt vor uns her, während sie ihr Geschenk freudig in ihren Händen hielt.
Wir strebten dem Parkplatz zu, wollten einsteigen und Richtung Berlin losfahren.
Ich sah aber aus den Augenwinkeln, wie sich ein Ausflugsdampfer näherte, sich mitten im Hafen drehte und zum Anlegen bereitmachte.
„Ich schau mir noch das Anlegemanöver an“, sagte ich.
„Ich komm‘ gleich nach, geht schon einmal zum Auto,“, sagte ich noch, während ich näher an die Pier heranging.
Ich hatte oft genug solche Schiffsmanöver in meiner Marinezeit gesehen und war gespannt, wie der Kapitän das meisterte. Er stand oben auf der Außenbrücke und gab routiniert seine Kommandos.
Die Schiffsschrauben drehten auf Hochtouren, während das Wasser an der Oberfläche schäumte und Wellen gegen die Pier prallten.
Wenn er es richtig macht, müsste er jetzt mit der Heckseite Steuerbord an den Poller zu kommen, überlegte ich.
Es klappte auch, fast jedenfalls. Das Schiff kam mit der spitzen Heckkante nicht an den Poller, sondern stieß direkt an die Pierwand aus Beton. In meinen Ohren kam das Geräusch an, das entsteht, wenn Stahl an Beton entlangschrammt.
Enttäuscht wandte ich mich ab, ging zurück zum Auto und stieg ein.
„Und wie war’s?“, fragte Klara.
„Der Idiot kann sein Schiff nicht mal rückwärts anlegen, ohne dabei mit der Schiffswand an die Pier zu stoßen“, sagte ich, während ich den Zündschlüssel umdrehte, den Rückwärtsgang einlegte und losfuhr.
Plötzlich hörte ich ein heftiges Hupen. Ich schaute in den Rückspiegel und sah ein Auto, dass sehr dicht hinter mir stand. Viel zu dicht.
Jetzt war ich selbst der Idiot. Ich stellte den Motor ab und stieg aus.
Im anderen Auto saß ein Sassnitzer, wie sich herausstellte.
„Meine Frau ist auch von hier“, sagte ich hastig und versuchte ein wenig die Atmosphäre zu entspannen.
Mein Gegenüber war brummig, hatte aber ein gutes Herz und ließ sich zögerlich mit mir darauf ein, dass ja nichts passiert war und wir die Sache auf sich beruhen lassen könnten.
„Naja, wenn Sie wirklich ehemalige Sassnitzer sind, dann muss man sich ja gegenseitig helfen“, meinte er und seine Frau nickte dazu.
Ich umarmte ihn freudig, ohne daran zu denken, dass wir Corona hatten.
Erleichtert stiegen wir wieder ins Auto, ich hupte noch einmal und mein ‚Unfall-Partner‘ winkte fröhlich zurück.
„Ach Sassnitz ist doch immer wieder schön, selbst in stressigen Situationen“, sagte ich zu Klara. Die nickte stumm und war froh, dass wir auf so gute Menschen gestoßen waren, im wahrsten Sinne des Wortes.