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WIR SIND AN DIE OSTSEE GEFAHREN, FÜR DREI TAGE (3)

MEIN FREUND, DER ALLTAG

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WAS BISHER WAR:
Endlich, wir waren am zweiten Tag am Strand angekommen.

Die Sonne gleißte von oben herab und man hörte das leichte Rauschen der Wellen, die sanft am Strand abrollten.

Neben uns legte sich eine Mutter mit ihrem Sohn, obwohl der ganze Strand genügend Platz bot.

Ich dachte an das Abendessen am vergangenen Tag.

Ich hatte während des Treffens erzählt, wie ich bei einem Kunden in dessen Villa durch eine Tür geflogen war, die mit einem Fliegengitter bespannt war.

Insgesamt ein schöner Abend, aber ein bisschen zu langweilig, zu harmonisch.

DER DRITTE TAG

Wir hatten am letzten Tag etwas ganz Ungewöhnliches getan. Wir sind noch einmal an den Strand gefahren.

Sonntag, am ersten Tag, da nieselte es leicht, und so konnten wir unser Vorhaben nicht umsetzen, nämlich gleich an den Strand zu fahren.

Nun aber, am letzten Tag, da wollten wir es noch einmal wissen.

„Lass uns die Zeit einfach nutzen und noch ein bisschen am Strand liegen und erst am Nachmittag zurückfahren“, sagte Klara zu mir.

Ich war einverstanden und staunte über mich selbst.

Früher, ja da wäre das für mich nicht in Frage gekommen, es wäre überhaupt nicht denkbar gewesen.

Früher, da wäre ich sofort abgefahren, die Gedanken schon wieder halb an die Arbeit verschwendet.

Aber habe ich dadurch mehr erreicht?

Nein, nur die Urlaubszeit, die Zeit, in der ich mich eigentlich erholen sollte, verkürzt.

Stattdessen habe ich den Stress wieder schneller in meinen Kopf gelassen.

Nun sollte es anders sein.

Ich wollte weiterarbeiten, denn das war irgendwie schon immer mein Leben.

Doch wenn du nur mit dem Kopf nach unten geneigt durch die eigene Gedankenwelt hastest, dann wirst du irgendwann auch nicht mehr so viel Gutes in der Arbeit bewirken.

Also war das geklärt: Wir wollten bis Mittag noch am Strand liegen und erst anschließend abfahren, Richtung Heimat.

Morgens waren wir beim Frühstück, freuten uns darauf, in Ruhe zu sitzen, Kaffee zu trinken und auf den Hafen zu schauen.

Daraus wurde nichts.

Der Frühstückssaal war voll.

Draußen, vor dem Hotel, standen zwei Busse, die auf ihre Fahrgäste zu warten schienen. Zumindest liefen bereits die Motoren und eine Reiseleiterin lief aufgeregt hin- und her.

Die Reisenden ließen sich Zeit. Sie waren allesamt beim Frühstück.

Es waren durchweg ältere Leute.

„Du gehörst auch zu dieser Altersgruppe“, sagte Klara zu mir, als ich sagte, dass die Rentner wieder mal die Insel unsicher machen wollten.

Ich fühlte mich nicht so, als wäre ich bereits in Rente.

Ich arbeitete ja noch, schrieb täglich Texte, hielt Reden, besuchte Kunden, kurzum, hatte gar keine Zeit über mein Alter nachzudenken.

„Oma ist Rentnerin, Opa auch. Aber der will nicht. Der will arbeiten.“

Das haute eines Tages Krümel raus, ohne dass wir ihr etwas dazu gesagt hätten.

Ich hatte mich zu dem Beistelltisch durchgekämpft, der hinten an der Wand stand und an dem man Rührei mit Würstchen bekam.

Ich war darauf zugeeilt, direkt vorbei an den leckeren Müsli-Gerichten und Obsttellern.

„Das musst du ändern“, sagte meine innere Stimme zu mir.

‚Ach leck mich doch‘, sagte ich zu mir selbst.

Schließlich war ich ja im Urlaub.

Also hatte ich mir selbst die Erlaubnis erteilt, zuzuschlagen, am Buffet der ‚unerlaubten Speisen‘, für einen gesundheitsbewussten Menschen jedenfalls.

Ich nahm ein wenig Rührei heraus. Irgendetwas störte mich.

War es der heftige Atem, besser gesagt, das Röcheln und Stöhnen in meinem Rücken.

Ich drehte mich halb um und erblickte aus den Augenwinkeln eine ältere Dame, die mich böse musterte.

„Brauchen Sie noch lange?“. Die Botschaft war klar: „Geh beiseite, oder ich muss dich aus dem Weg räumen.“

Ich überlegte. Sollte ich ihr sagen, dass ich noch eine Weile brauchen würde und auch das gesamte Rührei auf meinen Teller packen wollte?

Ich entschied mich für einen anderen Weg.

„Sie können gern vor mir an den Tisch und sich das nehmen, was Sie möchten. Ich warte in der Zeit und schaue mich mal nach einem gesunden Saft um“, sagte ich freundlich.

Sie brummte zustimmend, wollte aber keine weitere Zeit vergeuden und schob mich leicht beiseite, bevor ich selbst wegging.

„Hast du das gesehen?“, sagte ich leise zu Klara, die dabei war, sich etwas Obst auf den Teller zu tun.

„Was hast du auch dort zu suchen? Ich denke, du wolltest dich gesünder ernähren!“

Klara ging gar nicht darauf ein, dass ich nun von Würstchen und Rührei abgeschlagen war.

„Zwischen dem Wollen und dem Tun, da ist ein großes und tiefes Meer und auf deren Grund liegt die gescheiterte Willenskraft“, wollte ich erwidern.

Ich tat es nicht.

Klara stand da nicht drauf, morgens erst recht nicht.

„Nimm eine Kiwi“, sagte Klara zu mir.

Ich antwortete nicht, sondern schaute entgeistert auf den Tisch, an dem der Behälter mit dem Rührei gestanden hatte. Er war leer und der Deckel lag daneben.

Am Tisch angekommen sagte ich zu Klara: „Das nächst Mal, da mieten wir uns wieder in eine Ferienwohnung ein und du machst das Frühstück“, sagte ich zu ihr.

„Was hältst du davon, wenn du das mal machst?“

„Kann ich machen“, sagte ich und schaute auf die Dame, die gerade mit einem Teller voller Rührei an den Tisch kam.

Sie schaute sich um und steuerte direkt auf unseren Tisch zu.

„Ist hier noch frei?“, fragte sie in süsslichem Ton meine Frau, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

Bevor Klara antworten konnte, sagte ich zu ihr:

„Sonst sehr gern, aber wir warten auf Dora und Fred, wir sollten die Plätze freihalten.“

„Wer sind denn Dora und Fred“, fragte Klara mich.

„Das sind Romanfiguren. Es gibt sie nur in meinem Kopf. Und als die Dame hier auf unseren Tisch zusteuerte, da wollte ich Rache.“

„Wofür?“

„Dafür, dass sie mich vom Tisch gedrängt hatte.“

Klara schaute mich entgeistert an.

„Du siehst aus wie der trotzige Junge in deinem Fotoalbum von früher, der sagte: ‚Lass mir.‘“

Ich nickte nur.

Allmählich lichtete sich der Frühstücksraum.

Fred und Dora waren nicht gekommen, dafür hatte ich aber noch einen großen Schlag Rührei ergattert.

Der Tag war gerettet. Der Himmel strahlte in seinem schönsten blau, als wir zum Strand fuhren. Ich stürzte mich ins Wasser, war glücklich in Prora zu sein, an einem der schönsten Strände, die es für mich gab.

Nachmittags fuhren wir zurück, glücklich, entspannt und waren in zweieinhalb Stunden wieder in Bernau, in unserer Wohnung.

Auch nicht schlecht.

ALLTÄGLICHES

WIR SIND AN DIE OSTSEE GEFAHREN, FÜR DREI TAGE (1)

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Drei Tage, lohnt sich das überhaupt?

 

DER ERSTE TAG

Wir sind morgens losgefahren, es war sonntags und die Autobahn war relativ leer.

Nur wenige Autos fuhren hoch an die Ostsee.

Wir kamen gut durch und waren bereits nach knapp drei Stunden in Mukran auf Rügen.

Es nieselte, und wir waren sehr enttäuscht, dass wir nicht sofort an den Strand konnten.

„Können wir schon etwas früher einchecken?“, fragte ich am Telefon die Mitarbeiterin an der Rezeption.

„Nein, wir haben viele Busabreisen. Das schaffen wir heute nicht.“

Ich sah das ein und wir stellten den Plan um.

Wir besuchten zunächst Klaras Mutter im Heim für ‚Betreutes Wohnen.‘

„Da seid ihr ja“, empfing uns Anna freudig.

„Hast du uns erwartet?“, fragte ich ganz verblüfft.

„Ja, natürlich, warum fragst du?“, Anna wurde ein bisschen unwirsch.

„Nein, nein, dann ist es ja wunderbar“, beeilte ich mich, zu ihr zu sagen.

Neben ihr saß eine Frau, die uns böse ansah.

„Was soll das, die ganze Familie hier?“, fragte sie unvermittelt.

„Und der, der sollte mal arbeiten gehen“, meinte sie, indem sie gleichzeitig auf mich zeigte.

Ich war schon auf dem Sprung und wollte ihr etwas sagen, von wegen arbeiten gehen.

Aber Klara kam mir zuvor und stieß mir mit dem Ellenbogen in die Seite.

Sie hatte mal wieder kein Vertrauen zu mir und wollte verhindern, dass ich gleich ‚losbölkte‘, wie sie dann zu mir zu sagen pflegte.

Wir waren ja in einem Heim für Demenzkranke, als ob ich das nicht wüsste.

Klara traute mir ohne Weiteres zu, dass ich das alles ignorierte und mich gegen Anwürfe verteidigte.

Doch ich hatte mich im Griff.

Es war schön zu sehen, dass Anna sich wohlfühlte, im Rahmen ihrer sprachlichen Möglichkeiten sagte sie das auch zu uns.

Als wir gingen waren wir wie immer ein wenig traurig, aber auch froh, dass wir wieder an der frischen Luft waren.

Wir fuhren zum Hotel.

„Sie müssen noch 20,00 Euro extra bezahlen“, sagte die Mitarbeiterin an der Rezeption.

„Warum, wir haben doch hier einen Festpreis gebucht“, sagte Klara kämpferisch.

Währenddessen war ich schon nach oben gefahren, ins Dachgeschoß.

Das Zimmer war eng und ich ließ mich zunächst auf die Couch plumpsen und machte den Fernseher an.

Er ließ sich nicht anmachen.

Nachdem ich mehrfach versucht hatte, mit der Fernbedienung eine Regung auf dem Bildschirm des Fernsehers zu erreichen, gab ich es auf.

Ich griff zum Hörer und wählte die Nummer der Rezeption.

„Der Fernsehapparat lässt sich nicht anstellen“, sagte ich.

„Dann müssen Sie bis Morgen warten, wahrscheinlich ist das ein technischer Fehler“, bekam ich als Antwort zurück.

„Morgen ist Montag und Dienstagfrüh reisen wir wieder ab. Damit bin ich nicht einverstanden. Entweder Sie bekommen das hier in Ordnung, und zwar noch heute, oder ich möchte ein anderes Zimmer“, sagte ich.

Es war still am anderen Ende.

„Hören Sie mich?“

„Ja, ich höre Sie. Bitte warten Sie einen Augenblick.“

Ich wartete und schließen ertönte die Stimme wieder.

„Sie bekommen ein neues Zimmer.“

„Gut, wunderbar, danke“, sagte ich.

Wir schleppten die Sachen erneut den Flur entlang kamen im 2. Stock an und machten mit der Karte die Tür auf.

Die Aussicht war auf der Seite zum Hafen hin. Wir sahen das Meer, die Schiffe im Hafen.

„Na, das sieht doch schon gut aus“, sagte ich und schob die Vorhänge beiseite.

Ich nahm die Fernbedienung, schaltete den Fernseher ein. Ich versuchte es.

Es regte sich gar nichts. Ich probierte die Lichtschalter aus, nichts funktionierte.

„Frustriert begab ich mich nun gleich selbst an die Rezeption.“

„Jetzt geht ja gleich gar nichts mehr“, sagte ich zu der jungen Mitarbeiterin.

Die wirkte eingeschüchtert.

„Haben Sie die Karte von der Tür in der Innenseite in den Schalter gesteckt?“, fragte sie.

Ich schaute sie entgeistert an.

„Warum sollte ich das tun?“

„Erst dann haben Sie Strom“, erwiderte sie.

Ich bedankte mich, fuhr wieder nach oben ins Zimmer, steckte die Karte in die dafür vorgesehene Steckdose und sofort erschien auf dem Fernsehapparat erschien „Telefunken.“

Endlich, wir hatten es geschafft.

Während Klara die Taschen auspackte, lümmelte ich auf der Couch und klickte mich durch die Fernsehprogramme.

„Du kannst dich hier ruhig beteiligen“, sagte sie.

„Ich bin gerade die Treppen hoch und runter gelaufen, damit wir ein Zimmer mit besserer Aussicht haben, ein funktionierendes Fernsehprogramm, und nun kümmere ich mich darum, dass wir heute Abend einen guten Film sehen können.“

Klara sagte nichts, sondern schmiss mir die Hosen vor die Füße.

„Hier, das sind deine!“.

„Soll ich beide heute noch anziehen, wenn wir uns mit deiner Tante treffen?“, fragte ich.

Immer wenn wir in Sassnitz waren, luden wir sie ein, zum Essen.

Keiner von uns hatte Lust dazu, aber wir fühlten uns irgendwie verpflichtet.

Klara antwortete nicht auf meine Frage und ich wendete mich wieder dem Fernseher mit seinen Programmen zu.

„Wann willst du dich denn anziehen?“, fragte sie jetzt wieder.

Ich stöhnte, erhob mich von der Couch, schaltete den Fernseher aus und dachte missmutig an das Treffen am Abend.

Warum tat man sich das eigentlich an, wo man doch nur für drei Tage auf der Insel war?“

Fortsetzung: Der erste Tag ging zu Ende und der zweite und der dritte Tag lag noch vor uns.

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GESCHENKE ERLEICHTERN DAS LEBEN

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„Viele schmeicheln dem Vornehmen; und wer Geschenke gibt, hat alle zu Freunden.“

(18, 6)

BIBEL

Vgl. auch dazu:
Stuttgarter Erklärungsbibel mit Apokryphen,
DIE HEILIGE SCHRIFT NACH DER ÜBERSETZUNG MARTIN LUTHERS,
MIT EINFÜHRUNGEN UND ERKLÄRUNGEN; DEUTSCHE BIBELGESELLSCHAFT.
ISBN 978-3-438-01123-7
Neuausgabe mit Apokryphen
© 2005 Deutsche Bibelgesellschaft
Zweite, verbesserte Auflage 2007
10.2016, S. 787

https://uwemuellererzaehlt.de/2023/08/23/amazon-35/

ALLTÄGLICHES

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