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IM WARTERAUM DER ZAHNARZTPRAXIS

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT

Du kannst Menschen in vielen täglichen Situationen beobachten, ihnen im Gespräch zuhören, deine Schlüsse ziehen.
Manches davon ist banal, ja langweilig, aber es ist dein Leben, das Leben der anderen, auf die du triffst. Du kannst es mögen oder auch nicht, aber du solltest selbst diese Augenblicke nicht geringschätzen.

Ich sitze im Warteraum in der Zahnarztpraxis. Ich bin etwas früher da. Komisch, das ist so tief in mir drin, das mit der Pünktlichkeit. Ich bin meistens 20 bis 30 Minuten früher da, als es eigentlich nötig wäre.

Woran liegt das? Ist es meine Zeit, in der ich zur See gefahren bin und wo das Schiff nicht auf dich gewartet hat, wenn du dich verspätet hast?

Oder ist es die Erziehung? Mein Vater war in diesen Dingen besonders streng. Vielleicht von jedem ein bisschen, dass dazu geführt hat, das ich jetzt hier sitze und warte, bis es losgeht.

Es ist ein gewöhnlicher Termin, indem die Zähne durchgesehen werden sollen. Und trotzdem, es bringt meine Routine durcheinander. Ich konnte heute Morgen nicht zum Sport fahren, Klara ist mit dem Zug gefahren, anstatt bei mir im Auto zu sitzen.

Das Gute daran: Wir sind nicht vier Uhr aufgestanden, sondern erst fünf Uhr.

Für manch einen immer noch zu früh, aber für uns am Alltag ist eine Stunde später aufstehen schon Luxus. Also fühle ich mich ausgeschlafen, während ich hier auf der Couch sitze und auf den Aufruf warte, ins Praxiszimmer zu gehen.

Während ich hier auf dem iPhone schreibe, muss ich den Mundschutz umhaben und durch den Atem beschlägt laufend die Brille.

Ich ziehe die Maske ein wenig nach unten, sodass ich besser durch die Nase atmen kann.

Mir gegenüber sitzt ein älterer Herr und zur Tür herein kommt in dem Moment ebenfalls ein älterer Mann, vielleicht Mitte 70.

„Was machst du denn hier?“, fragt der ältere Herr, der sitzt.

„Wat‘ soll ich hier denn machen?“, fragt der Mann, vielleicht Mitte 70, mit einem leicht schnoddrigen, vorwurfsvollen Unterton.

„Zahnarzt, ‚wa‘?“, sagt der Herr, der sitzt.

„Hm, für ‚de Kneipe isses‘ noch zu früh“, entgegnet der Mann, vielleicht Mitte 70.

„Gott bewahre!“, sagt der ältere Herr, der sitzt. Der Mann, vielleicht 70, antwortet darauf nicht.

„Und ‚de‘ Frau?“, lässt der ältere Herr, der sitzt, nicht nach.

„Hüfte“, antwortet der andere.

„Oh, ich habe ‚jerade‘ eine schwierige Operation hinter mir“.

„Du, ‚ick‘ muss meinen Termin neu vereinbaren“, sagt der Mann, vielleicht Mitte 70.

Ich bekomme nicht mehr mit, wie das Gespräch ausgeht, denn ich werde aufgerufen, und ehrlich: Ich bin froh darüber.

Hoffentlich geht mir nie der Gesprächsstoff aus, und es würden nur noch die Krankheiten als Thema übrigbleiben, denke ich noch, als ich die Zahnarzthelferin begrüße.

Wenn ich wieder hier raus bin, setze ich mich sofort an meinen Schreibtisch und fange an zu arbeiten, kreativ zu sein, das nehme ich mir zumindest vor.

GUTE BILDER IM KOPF HELFEN UNGEMEIN

Heute Morgen: dieselbe Prozedur – wie jeden Tag. Ich sitze noch auf dem Bett.

Ich bin schlecht gelaunt, weiß nur vage, wo ich gerade bin.
Dann fällt mir ein, dass ich zum Training will. Der Gedanke zieht mich noch mehr runter.

‚Wir holen ja heute Krümel aus der Kita ab“, schießt es mir plötzlich durch den Kopf.

Ich sehe die Kleine vor mir: Ich warte draußen, Klara geht rein, zieht sie um und die beiden gehen die Treppe runter. Schließlich sieht sie mich durch die großen Glasscheiben im Flur.

Sie reißt sich von ihrer Oma los, ich höre sie rufen, zumindest sehe ich, wie aufgeregt sie mit den Füssen aufstampft. Endlich geht die Eingangstür auf und Krümel kann losstürmen.

Ich habe Angst, dass sie fällt, während sie auf mich zuläuft.
„OOHPAAA!“, klingt es in meinen Ohren; die schönste Musik überhaupt.

Ich fange Krümel auf, hebe sie hoch, drücke ihr einen Kuss auf die Wange.

Ich bin vom Bett aufgestanden, kenne meine Motivation für den heutigen Tag und beginne ihn mit viel Schwung.

Übrigens: Ich habe danach noch zweieinhalb Stunden trainiert, mit viel Power, guter Musik und guter Laune.

WIE DEN INNEREN SCHREIBWIDERSTAND ÜBERWINDEN?

ALLTÄGLICHES (51)
Schreiben hilft dir, dich selbst besser zu erkennen. Wie aber damit beginnen?
Meine Erfahrungen sind:
Schreib‘ einfach los, hör‘ nicht auf deine Ängste oder auf mögliche Vorbehalte, die du dir einredest.
Schreibe über deine eigene Situation, sei dabei ehrlich, bleib‘ bei dir, bleib‘ einfach.

Bring‘ schwarze Buchstaben auf weißes Papier. Das klingt einfach.
Ist es auch, wenn nur dieser verdammte innere Widerstand nicht wäre.

„Wie schreib‘ ich das jetzt auf? Gerade ist es mir doch noch durch den Kopf gegangen. Ich wusste genau, wie ich es schreiben wollte, und jetzt weiß ich gar nichts mehr“

Kommt dir das bekannt vor? Ja? Mir auch.
Ich glaube, es gibt wohl kaum einen Menschen auf dieser Erde, dem es noch nicht so ergangen ist, der nicht mit dem inneren Widerstand, häufig auch noch mit dem inneren Schweinehund zu kämpfen hatte, wenn er was Vernünftiges zu Papier bringen wollte.

Wie kann man das Dilemma verhindern? Ich nehme mir oft am Anfang einen Bleistift und ein Blatt Papier. Besser, ich klebe eine ausgedruckte Seite auf eine andere und beschreibe die Rückseite.
Psychologisch überliste ich mich ein wenig, indem ich denke: „Da auf der anderen Seite steht ja schon allerhand.“

Es gibt Autoren, die haben auf Briefumschlägen geschrieben, nur damit sie das große weiße Blatt vermeiden konnten.

Und dann schreibe ich einfach los, skrupellos und ohne daran zu denken, wer so alles mein Geschriebenes ganz blöd findet.

Dieser Weg hat auch noch einen positiven Nebeneffekt. Wenn ich nämlich einen Einfall habe, mein Thema kenne, dann entwickle ich während des Schreibens meinen ersten gedanklich gesponnenen ‚zarten logischen Faden‘ auf dem Papier weiter.

Erst jetzt merke ich, wie ich weiterkomme, was vielleicht fehlt und woran ich noch feilen muss.

Auf jeden Fall versuche ich möglichst einfach zu schreiben, anschaulich zu bleiben. Früher glaubte ich, in der Wissenschaft sei es angebracht, möglichst viel mit abstrakten Begriffen zu hantieren.
Ein Selbstbetrug.

Warum? Weil du selbst noch nicht durch dein eigenes Erdachtes, deine eigenen Gedanken hindurchgestiegen bist.

Ich habe für diese simple Erkenntnis sehr lange gebraucht, Jahre und Jahrzehnte.

Willst du in dir selber etwas verändern mit dem, was du aufschreibst, dann mußt zu dir selber ehrlich bleiben, dich nicht hinter klobigen Begriffen verstecken, die zudem das  Geschriebene irgendwann so überlagern, dass du am Schreiben und am sich anschließenden Durchlesen die Lust verlierst.

Fang‘ einfach damit an aufzuschreiben, wovon du träumst, wo du in fünf Jahren sein willst.

SCHREIBEN GEHÖRT ZUM LEBEN

ALLTÄGLICHES (48-9)

Schreiben ist nichts Elitäres, nein, es hilft dir im Alltag, dich besser zu fühlen, fokussierter zu werden.

Schreiben ist nicht nur auf eine kleine Gruppe von Menschen beschränkt, die vielleicht damit auch noch ihr Geld verdienen, mal mehr oder meist weniger.

Nein, Schreiben gehört zum Leben, wie das Essen, Trinken oder die Arbeit. Ich beginne oft morgens damit, auf einem Blatt Papier loszuschreiben und komme so in den Tag, weiß danach, wo ich die Schwerpunkte in der Arbeit setzen will.

Außerdem trainiert es mich, lebendiger zu schreiben.
Und: Lebendig zu schreiben, das ist nicht nur was für andere Menschen, zum Beispiel, diejenigen, die den Text gerade lesen.
Es ist vielmehr: Wenn ich schreibe, spreche ich nämlich mit mir selbst.

Man könnte das als Tagebuch ansehen. Ich glaube, dass es wichtig für das eigene Verständnis ist, weil ich ansonsten keine Botschaften aussenden kann, an mich selbst und an andere mir wichtige Menschen.

Im Laufe meines Lebens habe ich erfahren, wie wichtig es ist, sich über seine Gedanken und Gefühle klar zu werden. Und das geht am besten, wenn du die Dinge aufschreibst.

Du kannst am See sitzen, über das Wasser schauen und über deinen Alltag nachdenken. Das ist eine gute Sache.

Willst du aber tatsächlich etwas verändern, so musst du es konkret machen. Das kriegst du aber nur hin, wenn du schreibst, deine Gedanken ordnest, Vereinbarungen mit dir selber triffst.

POLCHOW – UNSER RÜCKZUGSORT

Du brauchst einen Rückzugsort, jeden braucht ihn.
Am besten ist, du dir einen solchen Ort im Kopf einrichten. Ich tue das, und damit ich ein noch besseres Gefühl habe, entstehen schöne Bilder vor meinem inneren Auge.

Sie stammen aus der Gegenwart oder auch aus Erinnerungen der vergangenen Jahre.
Eine Erinnerung, eine sehr starke, verbindet mich mit Polchow auf Rügen. Wir hatten dort 25 Jahre unseren Rückzugsort.

Dieser Morgen war sonnig und klar. Es war die schönste Zeit, wenn alle noch schliefen und ich im Bademantel, mit einem Handtuch bewaffnet, vom Bungalow aus zum Hafen am Bodden hinunterging.

Vom Hafen selbst war nicht viel übriggeblieben, und gerade das machte ihn so anziehend. Schon von weitem sah ich einige Holzpfähle, die man in den Boden des Boddens gerammt hatte, um den Hafeneingang vor Sturm zu schützen.

Sie waren im Laufe der Zeit morsch geworden, manche Pfähle ragten nur noch wie abgebrochene Streichhölzer aus dem Wasser.

Auf ihnen saßen kreischende Möwen, so als würden sie sagen wollen, dass nur sie dort zuhause wären und kein anderer. Rechts und links des Hafengeländes wogte Schilf im Wind und es roch nach Tank.

Eine frische Brise wehte herüber, sanft genug, um sie tief einzuatmen, sich dabei gleichsam zu strecken und die Stille ringsherum in sich aufzunehmen.

Auf dem Wasser waren kleine Schaumkronen zu sehen, die auf den Strand zutrieben. Ich ging zum Bodden hinunter, um zuerst die Badehose auszuziehen und dann ins Wasser zu gleiten.

Vorher schaute ich mich noch um, ob wirklich kein Mensch zu sehen war. Etwas weiter weg, über die Straße rüber, am Ostseestrand, da war die Sache klar. Es gab faktisch keinen Textilstrand, sondern die Badenden liefen fast ausnahmslos nackt ins Wasser.

Hier an der Boddenseite aber, da war es etwas anders. Es ging ‚gesitteter‘ zu und die wenigsten waren Anhänger der Freikörperkultur.

Ich schon, aber nur, wenn ich in den frühen Morgenstunden allein hier unten war. Doch ich war vorsichtig. Manchmal lugte ja hinter dem Schilf plötzlich noch eine ältere Dame hervor und wackelte auf den Strand zu, direkt dorthin, wo mein Handtuch lag.
Splitterfasernackt rief sie mir schon von weitem ein fröhliches ‚Guten Morgen‘ zu.

„Warum kann hier nicht mal eine Meerjungfrau aus dem Wasser steigen?“, fragte ich mich in diesen Momenten.

Heute war keiner zu sehen, die ältere Dame auch nicht. Also streifte ich zügig die Badehose ab, lief mit schnellen Schritten ins Wasser, um mich dann kopfüber gänzlich hineinzustürzen und hastig los zu schwimmen, mich dann sofort auf den Rücken umzudrehen und heftig mit den Beinen zu strampeln, in der Hoffnung, ich würde die Kälte nicht mehr so spüren.

Ich hielt es aber nie lange aus und eilte aus dem Wasser, um mir mit dem Handtuch den Rücken abzurubbeln. Erst wenn ich wieder im Bademantel eingehüllt war, ließ ich den Blick über das Wasser, die eingerahmten Pfähle, das Schilf schweifen.

Bis hin zum gegenüberliegenden Ufer, an dem in Sommerabenden ‚Störtebeker‘ aufgeführt wurde und zum Schluss das Feuerwerk den Hafen erhellte.

Bücher, solche, die ich mag, lassen ebenfalls schöne Bilder vor meinem Auge erstehen und ein gutes Gefühl. Und darauf kommt es an.

DIE SACHE MIT DER PERSPEKTIVE AM MONTAG

 Als ich heute früh hochschreckte und mich aufrichtete, um die Uhr bei Klara deutlicher zu sehen, da hoffte ich inständig, dass es noch nicht vier Uhr sein sollte.

Es war tatsächlich noch nicht soweit. Der Wecker zeigte nämlich ‚erst‘ 3.59 Uhr an.

In einer Minute würde er losklingeln.

„Das kann doch nicht wahr sein“, fluchte ich laut und Klara musste lachte, denn sie war ebenfalls bereits wach.

Ich schwang die Füße hoch und blieb noch eine Weile auf dem Bett sitzen.

Jetzt kamen mir all die Gedanken, die ich zu Wochenbeginn gar nicht haben wollte: Ich musste heute die Autowerkstatt anrufen und die Überweisung von knapp 800 Euro für die neuen Reifen zur Bank bringen.

Überhaupt wurde mir klar, dass ich nach dem Frühstück und nachdem ich Klara zum Zug gebracht hatte, spätestens 6. Uhr am Schreibtisch sitzen musste. Meine Laune war auf dem Tiefpunkt.

Als Klara in die Küche kam, da sagte sie: „Der Radiomoderator hat gesagt, dass es erwiesen ist, dass der Montag definitiv ein Grund ist, warum man so schwer aus dem Bett kommt und nicht die beste Laune hat.“

„Du, das war mir auch ohne den Moderator klar, das sitzt mir quasi in den Genen, die schlechte Laune zu Wochenbeginn“, antwortete ich.

Als ich zum Briefkasten ging, um die Zeitung herauszuholen, und diese nicht da war, rutschte meine Motivationskraft auf den Tiefpunkt.

Später, gegen 07.00 Uhr las ich im ersten Kapitel von Bronnie Ware. „Perspektivwechsel“ (1), so war es überschrieben.

Sie beschreibt, wie sie beim Einkaufen auf eine Frau trifft, die vor ihr stark gebeugt geht.

Bronnie Ware erfasste Mitleid mit dieser Frau.

Später schreibt sie: „Aber dann dachte ich an… die Sache mit der Perspektive“.  (2)

Was meinte sie damit?

Es kommt ja immer darauf an, aus welchem Blickwinkel du die Dinge betrachtest. Für mich war es am Montagmorgen schrecklich, vier Uhr aufzustehen und sechs Uhr anfangen zu arbeiten.

Aber konnte ich mich nicht glücklich schätzen, dass ich von Zuhause aus arbeiten durfte, in bequemer Kleidung am Schreibtisch saß? Und zwischendurch lief ich auch noch am Liepnitzsee. Ich tat etwas für die Gesundheit, wozu andere in der Arbeitszeit gar nicht kamen.

Ich habe die Autorin so verstanden, dass es nur darauf ankommt, die eigene Sicht zu verändern und das Leben neu zu betrachten.

Bronnie Ware schreibt: „Es ist ganz egal, wie beschwerlich das Leben zuweilen ist. Wenn wir die Perspektive wechseln, sieht alles gleich ganz anders aus.“

Ich habe gleich bessere Laune und schreibe auf ‚Hochtouren.‘

(1)Bronnie Ware: „Leben ohne Reue. 52 Impulse, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist.“ Wilhelm Goldmann Verlag, München, 5. Auflage, Taschenbuchausgabe September 2016 Kapitel 1 Perspektivwechsel, S. 21ff)
(2) ebenda, S. 22

ICH GRATULIERE ZUM MUTTERTAG!

Ich ertappe mich immer noch dabei, dass ich den Muttertag einfach vergesse. Da bin ich eben ein Ossi, der seiner Mutter und Oma und später seiner Frau eher zum 8. März gratulierte, dem Internationalen Frauentag.

„Wann ist eigentlich Muttertag?“, habe ich gestern Abend noch Klara gefragt.

„Morgen!“, sagte sie knapp und ich meine, dass ich einen leisen Vorwurf herausgehört habe.

„Hast du das immer noch nicht begriffen?“ Oder: „Du wirst es wohl nie begreifen?“, so in der Art wird sie gedacht haben, als sie meine Frage hörte.

Na klar denke ich heute an meine ‚Frauen‘!

Zuerst gratuliere ich meiner Mama, die im Pflegeheim liegt, im 91. Lebensjahr, nicht mehr aufstehen kann und dement ist.
„Liebe Mama, ich bin in Gedanken bei dir, und ich weiß, dass du gut betreut und gepflegt wirst. Das macht deine Tochter, meine Schwester, und ich bin ihr sehr dankbar dafür.

Ich denke an meine Oma, die mich in den ersten zehn Jahren in Schwerin betreut, gepflegt und von Herzen geliebt hat. Meine Mutter war arbeiten und Oma hat für uns gesorgt, morgens Streuselkuchen mitgebracht, mittags Pudding zum Nachtisch gekocht und zwischendurch mir ein Messer an die Stirn gehalten, weil ich mal wieder gegen die Teppichstange mit dem Roller gerast bin.

Und sie hat mich gewarnt, weil ich nach Moskau zum Studium gehen wollte.
„Geh‘ nicht dorthin, werd‘ lieber Koch“, hat sie gesagt.
Wie recht sie hatte. Trotzdem habe ich nicht auf sie gehört.

Und dann ist da noch die andere Oma, die von Klara. Was haben wir gelacht, wenn sie abends in Sassnitz in unsere Wohnung kam und kleine Geschichten erzählt hat. Ich vermisse sie noch heute und wir erzählen viel am Sonntagsfrühstückstisch von ihr.

Klaras Mutter, Lauras Oma – sie war stets für uns da und ich habe nie ein böses Wort von ihr gehört. Wir werden sie heute anrufen und ihr gratulieren.

Klara habe ich bereits zum Muttertag gratuliert.
Laura ist nun auch schon seit fast drei Jahren Mutti.
Unser größtes Glück, Krümel, hat ja zu Klara erst jüngst gebrabbelt:

„Oma, nicht Mutti zu Uroma sagen. Mutti da oben.“ Und sie hat dabei mit ihrem kleinen Finger zu ihrer Mutter gezeigt.
„Meine Mama!“, das sagt sie manchmal und damit ist alles gesagt, die ganze Liebe, die sie für ihre Mutter mit zweieinhalb Jahren empfinden kann, ausgedrückt. Das andere ist noch zu kompliziert für sie.

Ich denke aber auch an meine Freunde.
Kürzlich habe ich mit der Mutter meines Freundes telefoniert. Sie ist bescheiden, sehr fleißig, und sie liebt ihre Kinder und ihre beiden Enkel über alles.

Sie hat ihre Kinder allein großgezogen, ist stets arbeiten gegangen und sie hat sich ihren Humor bewahrt.
Eine großartige Frau.

Oder die Frau meines Freundes, die im vergangenen Jahr zum zweiten Mal Mutter wurde, unter großen Schmerzen.
Und wie sie das alles weggesteckt hat, heute ihre ganze Liebe ihren beiden Söhnen schenkt und nebenher einen großartigen Beruf ausübt, und das ganz bescheiden, ohne sich in den Mittelpunkt zu rücken – das ringt mir Hochachtung ab.

Was wären wir ohne Euch, liebe Frauen und Mütter?
Zunächst einmal wären wir gar nicht auf dieser Welt.
Früher, da habe ich wenig im Haushalt geholfen, und wenn ich von der Arbeit kam, und ein Fussel auf dem Teppich auf dem Boden lag, dann habe ich das natürlich angemahnt.

Und heute? Heute, ja da schwinge ich selbst den Staubsauger, helfe in der Küche und im Garten und verstehe nicht, wie Klara das früher alles allein geschafft hat.
Ich verneige mich vor Euch, liebe Frauen und Mütter, und das ist ausnahmsweise mal ohne ein Augenzwinkern gemeint.

EIN BUCH, DAS DEINE SICHT AUF DAS LEBEN VERÄNDERT

BRONNIE WARE: ‚LEBEN OHNE REUE‘ 
'52 Impulse, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist'

Im letzten Drittel deines Lebens spürst du besonders intensiv, was kostbar für dich ist, was du noch erreichen willst, und auch, was du bisher versäumt hast, und was du wahrscheinlich auch nicht mehr aufholen wirst.

Der Schmerz ist dann sehr groß, wenn du fühlst, dass du es nicht mehr schaffen kannst, deine Fehler im Leben zu korrigieren.

Hier setzt das Buch von Bronnie Ware ‚Leben ohne Reue‘ an, nämlich, dir möglichst in einem frühen Stadium deines Lebens darüber klar zu werden, was du wirklich willst.

Ich habe nach dem Abitur vier Jahre lang ein technisches Studium zum Diplom-Ingenieur absolviert, habe anschließend noch einmal vier Jahre Volkswirtschaft studiert und wiederum vier Jahre darin promoviert.

Klingt das gut? Ja, klingt gut.

Und dennoch: Ich wollte mein Leben lang nichts anderes tun, als zu schreiben.

Einfach Autor sein. Ich könnte jetzt eine lange Liste an Ausreden aufführen, warum das nicht so einfach war, mir meinen Traum zu erfüllen.

Aber ich bin dafür zu einer wichtigen Erkenntnis gekommen, die im Buch von Bronnie Ware eine große Rolle spielt: Die Schönheit des Lebens vor allem in den kleinen Dingen des Lebens zu sehen.

Die Autorin war selbst viele Jahre als Krankenschwester für Palliativpatienten zuständig. In den Gesprächen mit ihnen hat sie herausgefunden, was Sterbende im Rückblick in ihrem Leben für wichtig hielten, und was sie möglicherweise hätten mehr tun sollen.

Es ist spannend, das zu lesen, und ich bin froh, dass ich es getan habe.

Ich habe aus diesem Buch viele Einsichten mitgenommen und mit meiner Situation verglichen, und ich lege es deshalb vor allem denjenigen ans Herz, die nach mehr Erfüllung in ihrem eigenen Leben suchen.

 

KRÜMEL TANZT IM KLEID, DAS ÜBER 80 JAHRE ALT IST

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT
Es ist etwas Besonderes, wenn uns Krümel, unsere Enkelin, besucht. Sie bringt unseren ganzen ‚Laden' in Schwung und durcheinander. 
Sie ist im Herbst 2017 geboren und wird in diesem Jahr drei Jahre alt. Wie konnten wir vorher nur ohne sie auskommen?

Gestern noch, da saß sie auf meinem Schreibtisch und hat sich gemeinsam mit mir Lieder angehört. Heute ist der Schreibtisch wieder verwaist, nur Stifte und bekritzeltes Papier liegen auf dem Tisch und erinnern mich an gestern.

Der Alltag hat mich wieder und ich muss ihn mir erst wieder zum Freund machen.

Am Samstag, da hatten wir eine kleine Vorstellung von Krümel. Sie hatte das Kleid an, was Klara getragen hat, davor Laura und zuerst Anna.

Es muss an die 80 Jahre alt sein und sieht immer noch hübsch aus. Krümel hat sich darin zur Musik bewegt und ein wenig mit den Hüften gewackelt.

Warum sind das eigentlich die Dinge, die einen wirklich freuen?

Wahrscheinlich, weil du kein Geld dafür brauchst und dich trotzdem unsäglich reich fühlst.

Wie haben wir es nur die ganzen Jahre zuvor ohne sie ausgehalten?

DER MANN MIT DEN VIER BUCHSTABEN AUF DEM RÜCKEN

ALLTÄGLICHES (46-1)

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT
Ich denke oft darüber nach, was mir am meisten Spaß macht, und was ich vor allem vermisse, wenn ich im Homeoffice festhänge.
Es sind die Alltagserlebnisse, die mir quasi vor die Füße rollen.
Und im Nachhinein stelle ich immer wieder fest:
Das Unaufgeregte ist meist das Wertvollste, was dir im Alltag passieren kann.

„Du kannst mal wieder bei meiner Mutter anrufen?“, sagte Klara zu mir, bevor sie aus dem Auto stieg, um zum Bahnsteig zu gehen. Es war dunkel, kein Mensch zu sehen.

Nur einige Meter entfernt lief der Mann mit den „Vier Buchstaben“ auf dem Rücken. Wir nennen ihn so, weil der Firmenname groß auf seinem Rücken steht.

Besser gesagt auf der Arbeitsjacke, die er trägt. Der Mann mit den „Vier Buchstaben“ geht schon jahrelang zur nahezu gleichen Uhrzeit wie wir eben auch zum Bahnsteig.

Nur, dass wir fahren und ihn schon von weitem erkennen, an seinen leuchtenden Buchstaben auf dem Rücken. Er wankt von einem Bein auf das andere. Rennen würde ihm wohl nicht in den Sinn kommen.

Aber auf ihn ist Verlass. Ich kann mich kaum an einen Morgen erinnern, an dem er nicht zum Bahnsteig watschelt.
Es hat so etwas Vertrautes, was Beruhigendes. Klara mag das auch. Hier sind die Leute noch zu unterscheiden.

Wenn Klara erst in die S-Bahn gestiegen ist, wo sich Hunderte auf einmal in die Waggons hineindrängen, drücken, schubsen, drängeln, mit missmutigen Gesichtern, dann ist dieses Gemütliche vorbei.

Und das hier vor Ort, das Ruhige, gibt dir ja irgendwie Sicherheit, ein Gefühl, dass du nicht in der Masse untergehst. Selbst wenn dazwischen Dinge passieren sind, über die du dich eigentlich aufregen müsstest.

Nachmittags zum Beispiel, wenn ich Klara vom Bahnhof wieder abhole, dann sehe ich den Mann mit den „Vier Buchstaben“ nicht. Dafür erkenne ich andere wieder.

Da ist zum Beispiel ein Fahrer, der seinen Pick-up grundsätzlich auf den Behinderten-Parkplatz steuert. Das ist der erste Platz, der zu erreichen ist, wenn du zum Bahnsteig willst oder von dort kommst.

Ist der Zug da, quellen die Menschen aus ihm heraus und der Pick-up fährt schon mal ein Stück vor. Und sowie die Frau des Pick-up – Fahrers eingestiegen ist, drückt der aufs Gas, obwohl auf dem Parkplatz Menschen zu ihren Autos eilen, schnell nach Hause wollen.

‚Würdest du dich ihm anvertrauen, falls du Hilfe brauchst?‘, frage ich mich in diesen Momenten im Stillen. ‚Naja, nur bei drohender Lebensgefahr‘, denke ich.

Und jeden Abend kommt noch ein kleiner Smart um die Ecke gesaust. Er braucht wenige Bewegungen und Drehungen, bis er in der Lücke steht. Rollt der Zug in den Bahnhof, schmeißt er den Motor an, fährt schon vom Stellplatz rückwärts in Richtung Fußgängerzone.

Er ist also in der ‚Pool-Position‘. In dem Fall versperrt er sogar dem Pick-up-Fahrer den Weg. Das ist das einzig Gute, das ich darin sehe.
Und nun kommt die Freundin vom Smart-Fahrer angerannt.

Vielleicht sind sie ja auch verheiratet. Jedenfalls rennt sie gleich vom Bahnsteig aus los, hastet an denen vorbei, die sich ebenfalls in Richtung Parkplatz in Bewegung gesetzt haben. Am Smart angelangt springt sie förmlich ins Auto und während sie die Tür zuschmeißt, ruckt der Smart bereits an.

Wohin müssen die nur so schnell? Springen die erstmal in die Betten, wenn sie zu Hause sind oder wartet dort der Hund, der ausgeführt werden will? Ich weiß es nicht. Und es ist ja auch nicht etwas, worüber ich länger nachdenken will.

Aber worüber ich nachdenke ist: Wem würde ich mich anvertrauen, wenn ich etwas wissen wollte, oder vielleicht ein Abschleppseil brauchte?

Dem Pick-up-Fahrer? Um Gottes will. Wenn du ihn fragst würde der wahrscheinlich knurren: „Pfoten weg von meinem Auto oder ich rolle über deinen Plattfuß.“

Oder der Smart-Fahrer? Naja, da müsste ich wohl neben dem kleinen Flitzer nebenher sprinten, um meine Frage loszuwerden. Und ich glaube nicht, dass der Fahrer, nur weil ich ihn etwas fragen will, die Fensterscheibe herunterkurbeln würde.

Dann doch lieber der Mann mit den ‚Vier Buchstaben‘. Aber hat der überhaupt ein Auto? Ich glaube nicht. Ich werde aus meinen Gedanken gerissen.

„Also rufst du heute an bei Anna?“, fragt Klara mich. Anna ist dement. Und sie braucht die Aufmunterung.
„Ja“, sage ich, verabschiede mich und fahre los, ins Dunkle, nach Hause, wo die Berliner Zeitung auf mich wartet.

Ich werde sie wieder ausführlich lesen, damit ich nicht so schnell an den Schreibtisch muss. Es ist schön, dass sich mein Arbeitsplatz nur eine Treppe von mir entfernt befindet.

Aber am Montag, ja da geht es wieder los. Wir fahren um 05.00 Uhr zum Bahnhof, werden nicht allzu gut gelaunt sein.
Doch plötzlich kommt der Mann mit den ‚Vier Buchstaben‘ um die Ecke. Und dann ist alles im Lot. Der Alltag kann beginnen.

 

 

‚OH TANNEBAUM‘  – AM OSTERSONNTAG

Ostersonntag.
Krümel ist jetzt zweieinhalb Jahre alt.
Das richtige Alter, bei uns, ihren Großeltern, begeistert Ostereier im Garten zu suchen.

Aber sie kommt nicht. Wir wissen, warum. Kontaktsperre, ich bin dafür. Trotzdem ist ein bisschen Wehmut in uns da.
Ich stelle den Computer an.

‚Heute ganztags Ostersonntag‘, steht da. Na, danke für die Erinnerung.

Auch noch den ganzen Tag ohne Krümel.
Ich werde sie nachher anrufen und ihr ‚Oh Tannebaum‘ vorsingen.
Das mag sie so gern.

Sie singt immer mit leiser und feiner Stimme mit, einzelne Wörter, ‚Oh Taannebauuum‘, ‚Blääätter‘, Klara hört zu und schmunzelt dann.

Obwohl Klara es sonst nicht aushält, wenn ich von Andrea Berg ‚Du hast mich tausendmal belogen‘ mit Inbrunst brumme.

Aber ‚Oh Tannebaum‘ ist gut, denn nach Ostern kommt ja Weihnachten und danach ist auch schon wieder Ostern.
Also, was soll’s.

 

SCHREIBEN IN ZEITEN VON CORONA

SCHREIB-ALLTAG

Das Schreiben in der kontaktarmen Zeit von Corona
kann ich auch als Chance begreifen.

Die Bilder im Fernsehen über das Fortschreiten der Pandemie jagen mir einen Schauer über den Rücken.

Ich weiß, dass es kaum ein Entrinnen gibt, auch für mich nicht. Und trotzdem, ich hoffe, dass ich wenigstens glimpflich davonkomme. Das wünsche ich meiner Frau, meiner Tochter, meiner Enkelin, im Grunde genommen allen Menschen. Einfach, dass es irgendwie an uns vorüberzieht.

Aber wird es so sein? Mein Bauchgefühl sagt mir das Gegenteil.
Was soll ich tun? Nur am Schreibtisch sitzen und darüber philosophieren?

Nein. Ich ordne mein Leben neu, gedanklich jedenfalls.
Ich will weiterschreiben. Es gehört einfach zu mir dazu.
Gestern Abend, da lag ich auf der Couch und ließ mich von einem mittelklassigen Thriller berieseln.

„Eigentlich brauchtest du doch nur noch ein wenig Sport machen, lesen und das Schreiben ganz wegfallen lassen. Dafür gehst du eben arbeiten, aufwischen zum Beispiel und das reicht dann.“

Ich finde den Gedanken gut. Und ein paar Stunden hält sich diese Stimmung auch. Aber dann schlägt sie wieder um.
Was will ich wirklich? Was macht mein Leben aus?

Es ist genau das, worüber ich sehr oft fluche, nämlich das Schreiben.
Wie kann ich das attraktiver gestalten, was gibt es für Chancen, trotz der Corona-Krise, oder gerade wegen ihr?

BELLETRISTISCHES SCHREIBEN IM FOKUS

Ich werde mich auf das belletristische Schreiben konzentrieren. Etwas Anderes kann ich jetzt ohnehin nicht tun.
Also schreibe ich, Blogbeiträge, Texte für E-Books.
Ich merke immer stärker, dass ich noch nicht fokussiert genug an die Sache herangehe.

Bisher habe ich überlegt, wie ich dem Leser gefallen kann.
Die großen Marketingexperten sagen dir das.
„Interessiere dich für deine Zielgruppe, schreibe darüber, was sie interessiert.“

Das habe ich nun lange genug gemacht. Obwohl ich auf Keywords bei der Recherche geachtet und mir Themen gesucht habe, die leserfreundlich sind, hat das alles nichts genützt.

Jetzt in dieser aktuellen Zeit werde ich mich neu aufstellen.
Zum einen mache ich mich nicht mehr abhängig davon, ob ich ein E-Book verkauft bekomme oder nicht.

Und: Ich schreibe ausschließlich kleine Geschichten, die aus dem Alltag sind, so wie ich es schon längst wollte.

Wie ich das nun wirklich mal intensiver voranbringe, darüber denke ich im nächsten Beitrag nach.

 

SCHREIB-ALLTAG

Mehr lesen:

https://uwemuellererzaehlt.de/schreiballtag/

DAS SCHLECHTE GEWISSEN IM HOMEOFFICE IST ALLGEGENWÄRTIG

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT

Jetzt ist die Zeit, den Vorteil ‚Homeoffice‘ voll auszunutzen. Aber ist das alles wirklich so toll?
Ich habe da nicht nur positive Erfahrungen in den letzten Jahren gemacht.

Gestern Vormittag klingelte ein sehr guter Freund bei mir durch.
„Du musst doch jetzt sehr gut zurechtkommen, im Homeoffice, mit deinem Schreiben“, meinte er.

Natürlich wusste ich sofort, worauf er anspielte, nämlich auf die Tatsache, dass ich nahezu schon ein Jahrzehnt von Zuhause aus arbeite, vom heimatlichen Schreibtisch aus mein Geld verdiene.

„Ja, ich bin sehr gut trainiert darin allein zu sein, für mich zu arbeiten, wenige soziale Kontakte in der Arbeitszeit zu pflegen“, gab ich ihm recht.

Allerdings ist das, was sich auf den ersten Blick wie ein Vorteil anhört, letztlich nur möglich, wenn du sehr selbstdiszipliniert arbeitest, dich wenig ablenken lässt.

Und die Versuchungen sind groß: Da locken eine Talkshow, ein Thriller, den ich noch gern zu Ende sehen will oder aber ich surfe einfach im Internet herum.

Es ist eben gar nicht so leicht, am Arbeitsplatz im Homeoffice zu bleiben, weil dich hier ja keiner beobachtet, dich keiner auffordert, nicht so viel Kaffee zu trinken, nicht endlos zu quatschen und nicht andere Mitarbeiter von der Arbeit abzuhalten.

Das ist wohl die größte Herausforderung dabei, am Schreibtisch sitzenzubleiben, obwohl dich keiner daran gefesselt hat.
Jetzt wäre die Zeit, das zu trainieren, aus der Not geboren, sozusagen eine Tugend zu machen, natürlich immer vorausgesetzt, man bleibt in dieser Zeit gesund.

Klar, wer noch kleine Kinder hat, die viel Aufmerksamkeit wollen, dem fällt es zudem noch viel schwerer, nicht den roten Faden zu verlieren. Das will ich gern zugeben.

Überhaupt, ich könnte eine Wette eingehen:
Viele werden sich zurücksehnen, an ihren Arbeitsplatz, weit weg vom eigenen Homeoffice. Sie werden sich wieder darauf freuen, den Kollegen zu sehen, ihm freundschaftlich auf die Schulter zu klopfen und danach konzentriert die nötigen Aufgaben abzuarbeiten.

Und dann? Ja dann, freust du dich auf den Feierabend, darauf, dass du alles hinter dir lassen kannst, bis zum nächsten Tag.
Und im Homeoffice?
Das hast du fast 24 Stunden vor deinem Auge, und wenn du nach dem Abendbrot nicht weitermachst, dann drückt dich das schlechte Gewissen.

Die gute Seite daran: Schaust du einen Film, obwohl du eigentlich noch was erledigen wolltest, so genießt du ihn viel intensiver, weil du ja weißt, dass du dir es eigentlich gar nicht leisten dürftest.

EIN SCHEINBAR NICHTSSAGENDER MORGEN

05.30 Uhr. Es ist still.
Es ist immer still um diese Zeit, aber mir scheint heute Morgen ist es irgendwie eine gespenstische Ruhe.

Ich sitze bereits am Schreibtisch, nachdem ich Klara gerade zum Bahnhof gebracht habe.

Sonst fahren wir ja gemeinsam nach Mitte rein.
Sie zur Arbeit, ich auch.
Naja, ich zur körperlichen Tätigkeit, dem Fitnesstraining.
Und nun ist das erst einmal vorbei.

Jetzt habe ich um diese Zeit schon die Texte fertig, die ich noch für die Homepage eines Pflegedienstes durchsehen wollte.
Eigentlich mag ich gar nichts tun.

Ich bin wie paralysiert, denke daran, was vielleicht noch auf uns zukommt.
Ich versuche Klara zu überreden, im Homeoffice zu arbeiten.
Das ist leichter gesagt, als es getan ist.

Sie braucht zwei Bildschirme, und ich sehe mich schon unter dem Schreibtisch liegen und fluchen, weil ich nicht weiß, welche Kabel wo angeschlossen werden müssen.

Das lenkt mich ein bisschen ab, wenn ich über so etwas nachdenke und verhindert, dass die Angst zu schnell und zu stark in mir hochsteigt, vor dem, was vielleicht noch kommt.

Ich kenne Katastrophen nur aus dem Fernsehfilm oder aus dem Kino.
Da, wo Menschen leiden, möglicherweise wegen einer sich rasant ausbreitenden Epidemie, und sie sterben, während du vor dem Fernseher sitzt und lustlos auf einer Salzstange herumkaust und dich ärgerst, weil du danach erneut die Zähne putzen musst.

Aber jetzt ist es anders. Wir sind selbst die Hauptdarsteller, in einem Film, den du auf keinen Fall sehen und deshalb auch nicht so richtig wahrhaben willst.
Ich versuche, mich abzulenken, ich plane, strukturiere, schreibe.
Und dann denke ich an Krümel, die ich jetzt nicht sehen kann.
Sie fehlt mir, vor allem, wenn ich sie frage:

„Na, soll ich dir was vorsingen?“
Sie hat aber gerade in dem Moment einen kleinen Bock, weil ihre Mama ihr mal wieder den Nuckel nicht geben will.
Sie sagt ja nicht im Stil eines Erwachsenen zu mir:

„Oh, lieber Opa, das ist ganz reizend von dir, dass du mir was vorsingen willst, aber gerade jetzt bin ich ein wenig unpässlich, vielleicht später, ja? Aber trotzdem lieben Dank.“

Nein, so viel Umwege macht sie nicht.
Sie sagt einen Satz, einen Halbsatz: „… in Ruhe!“
Das war’s.

Möglich ist das jetzt die Zeit, wo man ohne Umschweife sagen sollte, was man denkt.

Zum Beispiel zu Klara:
„Ich liebe dich von ganzem Herzen, und ich habe Angst um dich, dass du dich auf Arbeit mit dem Virus infizierst.“
Aber das kriege ich nicht über die Lippen, obwohl es genau das auf den Punkt bringt, was ich fühle.

Ich denke dann aber: „Na, sie vermutet doch, dass ich schon wieder irgendwas verbockt habe.
So wie gestern Morgen, als ich den Kaffee aufgesetzt habe und mir der Wasserbehälter umgekippt ist.

Das Wasser lief vom Küchentisch herunter, auf die Erde und schon hatte ich die schönste Sauerei in der Küche.
Ich habe den Wischmopp aus der Ecke herausgezerrt, blieb dabei am Staubsauger hängen. Der fiel auf den Boden, auf die Fliesen, mit einem lauten Knall.

Das Teil, was die Sogstärke regelt, ging dabei kaputt.
„Das musst du kleben“, sagte ich abends zu Klara.
„Ja, das muss auch geklebt werden!“, sagte sie mit vorwurfsvollem Unterton.

„Aber bitte nicht ganz zukleben, sonst ist der Sog zu stark an der Bürste und es saugt sich so schwer.“
„Doch, genau das mach'“, sagte sie darauf entschieden.
Ich schwieg, obwohl es mir schwerfiel, in dem Moment den Mund zu halten.

Den Rest habe ich gestern mit den Socken trockengewischt.
Die waren danach feucht, meine Füße auch.
Na gut.

„Hast du eigentlich bemerkt, dass ich gestern noch abgewaschen habe?“, frage ich so scheinbar ganz nebenbei heute beim Frühstück.
Dabei will ich schon gewürdigt werden, für meine kleinen Heldentaten im Alltag.

Obwohl, bei Klara käme ich gar nicht auf die Idee.
Höchstens, dass ich nach dem Saugen meine: „Da liegt noch ein Fussel.“

Oder dass ich beim Essen sage: „Schmeckt prima, ich nehme noch einen Nachschlag.“
Klara antwortet auf meine Frage, ob sie das Abwaschen bemerkt hätte mit einem „Hm, ja, schön.“
Ich bin ein wenig enttäuscht.

Wir steigen ins Auto und fahren los. Es wird jetzt schon hell.
Der Morgennebel verhüllt die Dorfkirche, ihre Umrisse schimmern aber bereits durch.
Die Straßen sind menschenleer.
Es wirkt unheimlich, dass keiner zu sehen ist.

Nur der Mann mit den vier Buchstaben auf dem Rücken geht in Richtung Bahnhof, er wankt mehr. Ich möchte ihm am liebsten aus dem Auto zurufen: „Hallo, schön dich zu sehen.“

„Ich freue mich, wenn die Sonne rauskommt“, sage ich stattdessen zu Klara.
„Und ich freue mich in der Bahn auf mein Sudoku“, antwortet sie.

Wir sagen nichts, aber wir genießen die kleinen, scheinbar nichtssagenden Momente und hoffen darauf, dass es morgen auch noch so sein wird.

 

AUF ALTE STÄRKEN ZURÜCKBESINNEN

Das Corona Virus zwingt mich dazu, mein Leben neu zu ordnen.

Kann ich einfach so weitermachen, wie ich es bisher getan habe?
Nein, bestimmt nicht.

Nachdem ich lange darüber nachgedacht habe, bin ich zu dem Entschluss gekommen, meine täglichen Trainingseinheiten im Fitness-Studio aufzugeben.

Es ist ja nicht damit getan, dass du lediglich die Geräte nach dem Training mit einem Tuch säuberst. Du triffst ja im Verlaufe der Woche auf viele Menschen, sehr viele.

Dass ich nicht weitermachen kann, das schmerzt mich. Die tägliche Überwindung, das Dranbleiben an den Übungen, das hat mich geformt.

Aber was lerne ich nun daraus?
Ich muss gerade jetzt die Kehrseite der Risiken sehen.

Welche können das sein?
Einmal die Tatsache, dass ich seit über 8 Jahren aus dem Arbeitszimmer, dem Homeoffice, mein Geld verdiene.

Ich hatte schon vergessen, was mich dazu gebracht hat, wirtschaftlich zu überleben.
Du musst nämlich sehr diszipliniert sein, sehr ausdauernd und auch ein wenig kreativ.

War ich das immer? Bestimmt nicht!

Aber ich rufe mir diese Primärtugenden des freiberuflich Tätigen jetzt wieder stärker ins Gedächtnis.

Was bleibt, das ist das Risiko. Meine Frau muss ja trotzdem jeden Tag nach Berlin reinfahren, um im Zeitungsviertel zu arbeiten.

Aber oder gerade deshalb wollen wir nicht, dass uns der Mut verlässt, wir bleiben humorvoll und zuversichtlich. Und diesen Mut, der bleibt, den wünschen wir allen.

MIT DEM EIGENEN BLICK RUHIG MAL DURCH DAS FENSTER DES ANDEREN SCHAUEN

Was in der Streitkultur zwischen Ost und West helfen kann.

Wir waren mal wieder im Theater, im Deutschen Theater. Ich bin ehrlich, hätten uns unsere Freunde nicht ‚mitgeschleppt‘, wir wären von allein wohl nie gegangen.

Klara ist am Wochenende fertig von der Arbeit, ich vom Schreiben und vom Training im Fitness-Studio.
Wir haben es dennoch nicht bereut, dort gewesen zu sein.

Das Stück hieß ‚Hasta la Westler, Baby!‘
Wir waren begeistert. Es hat die Befindlichkeiten zwischen Ost- und Westdeutschen aufgegriffen.

Aber auf humorvolle Weise, teilweise mit beißendem Spott, aber auch damit, wie man im Osten mitunter larmoyant agiert, berechtigt und unberechtigt.
Kurzum, irgendwie hat das Stück meinen Nerv getroffen.

Schon lange habe ich den Eindruck, dass die Gefühls- und Gedankenwelt der Menschen im Osten nur sehr einseitig abgebildet wird – in Gesprächen, in der Presse, in Talkshows.
Das Leben so wie es war, wie ich es selbst erlebt habe, dass fehlt mir bisher in unserer ‚medialen Ablichtung‘.

Die Wirklichkeit mit all ihren Facetten abzubilden, ehrlich, ungeschminkt und ohne gleich dem sogenannten Mainstream nachzugeben, das ist den Künstlern an dem Abend sehr gut gelungen, nach meinem Empfinden jedenfalls.

Es gibt da noch viel zu bereden. Ich glaube, das Wichtige an dem Diskussionsprozess zwischen Ost und West ist, dass man ‚durch das Fenster des jeweils anderen schaut‘ und von da aus Dinge beurteilt, meinetwegen auch verurteilt, aber eben erst nach diesem Blick.

DREI ROSEN FÜR KLARA

WAS DIR WICHTIG IST, DAS ZÄHLT
Eisiger Wind auf dem Bahnhof in Bernau und drei Rosen für die Ankunft von Klara.

Freitagmittag, es ist kalt in der Vorhalle des Bernauer Bahnhofs. Ich sitze auf einer Bank, gefertigt aus Metall. Ich habe das iPhone herausgeholt und schreibe ein wenig zum Zeitvertreib darauf. Die Hände sind klamm.

Es zieht vom Aufgang zum S-Bahnsteig und durch die Haupteingangstür weht ebenfalls kalter Wind herüber.
Klara kommt aus Stralsund zurück. Sie war bei Anna. Sie ist bestimmt froh, dass sie wieder nach Hause kommt und ich bin es auch.

Vor dem Eingang ist auf der rechten Seite ein Blumenladen. Eine ältere Vietnamesin fragt mich, was ich möchte.
„Drei Rosen bitte“, sage ich.

„Grün dazu?“, fragt sie mich noch und ich nicke zustimmend.
Es ist ein kleiner Laden und heute am Valentinstag drängen sich die Leute vor den Blumenregalen. Trotzdem läuft es entspannt ab. Vietnamesische Wortfetzen sind zu hören, ich verstehe nichts, aber meine Verkäuferin spricht ja auch gut deutsch.

„Abschneiden?“, fragt sie mich noch.
„Ja, bitte ein wenig kürzen“, sage ich.

Die Verkäuferin wickelt die Blumen ein, ich bezahle und verlasse den Laden. Nun sitze ich hier auf der Bank und die Fingerkuppen schmerzen vom Schreiben und dem kalten Wind, der durch die Halle weht.

Ich werde mal in den Buchladen gehen, um mir die Hände zu wärmen.

Und in 10 Minuten ist der Zug aus Stralsund da.
Ich freue mich auf Klara, und ich bin gespannt, was sie zu den Rosen sagt.

INTERVIEW MIT MICHAEL JAKUBIAK

 Die Freie Alten- und Krankenpflege e.V. verfügt über eine 30-jährige Erfahrung in der Pflege und Betreuung. Michael Jakubiak ist ihr Gründungsvater und heute einer der beiden Geschäftsführer. Im Interview berichtet er über seine Erfahrungen, die ethischen Wurzeln des Vereins und wie er heute die neuen Herausforderungen in der Pflege sieht.

Herr Jakubiak, wie verlief Ihr beruflicher Werdegang vor der Pflege?
Ich komme aus dem Zeitungswesen. Ich war Verlagskaufmann und im Vertrieb tätig – für die Ruhrzeitung.

Dann begann das große Zeitungssterben und ich musste mich umorientieren.

Es gab für mich zwei Möglichkeiten: Zum einen bot mir das Arbeitsamt an, in den EDV-Bereich zu gehen oder in einen Sozialberuf zu wechseln.

Ende der 1970 – iger Jahre wurden die ersten Ausbildungsgänge für Altenpfleger angeboten. Ich war in diesem Beruf zu dieser Zeit noch ein recht „seltenes Exemplar“.

Meine Karriere lief aber ganz gut an. Ich qualifizierte mich schnell zum Pflegedienstleiter in einem großen Pflegeheim. Gleichzeitig wurde ich stellvertretender Bundesvorsitzender der „Grauen Panther“.

Und: Ich begann mir Gedanken darüber zu machen, wie wir mehr pflege- und hilfsbedürftigen Senioren helfen konnten.

Was war das Motiv?
Ich merkte schnell im Pflegeheim, dass wir sehr stark eingeschränkt darin waren, wirklich individuell und persönlich zu pflegen.

Es fehlten die Arbeitskräfte und die dafür nötige Zeit.
Also begann ich mit 7 weiteren Kollegen ein Berufskolleg zu initiieren.

In dieser Zeit gab es noch keine ambulanten Pflegedienste. Die Pflegekassen waren strikt dagegen, dass wir einen privaten Pflegedienst gründeten und sie wollten auch keinen Verein zulassen.

Wir mussten uns für den Verein erst einmal vom Kartell-Gericht freiklagen lassen. In die Zeit fiel ebenfalls die Gründung des Bundesverbandes Ambulanter Dienste, dessen Vorsitz ich über 20 Jahre innehatte.

Würden Sie das alles heute so wieder tun?
Von der Philosophie her ja. Als Gesellschaftsform hätten wir heute sicher eine GmbH gegründet.

Was war die Initialzündung für Sie, die Freie und Alte Krankenpflege e.V. zu gründen?
Nun, ich habe das ja bereits angedeutet: Wir wollten den alten Menschen einfach bessere Leistungen geben.

Was ich in den Pflegeheimen sah, das widersprach ja schon vom Konzept her dem, was wir in der Altenpflegeschule gelernt hatten.
Es gab dort viele Hilfskräfte.

Die Mitarbeiter waren generell im Heim überfordert – physisch und psychisch. Ein System also, das sich brutal anfühlte und gegen die gerichtet war, die diese Hilfe und Pflege eigentlich brauchten.

Ich lernte in der Zeit einen Pflegekritiker kennen, der mir aus der Seele sprach. Im Unterschied zu ihm wollte ich aber nicht nur die Probleme benennen. Ich wollte verändern.

Was zum Beispiel?
Ich bin bis heute davon überzeugt, dass die Mitarbeiter zufrieden sein müssen, mit dem, was sie tun. Das strahlt aus auf die Atmosphäre in der Pflege.

Und ich wollte unbedingt eine Zeit für die Bewohner eine Pflege und Betreuung in Würde; einen Umgang, der die Biografie des Einzelnen respektiert.

Es war für mich ebenso klar, dass ich kein eigenes Heim gründen und führen wollte.

Warum nicht?
Weil die Rahmenbedingungen dergestalt waren, dass das Personal permanent überfordert wurde.

Meine Grundidee ist: Unsere Bewohner kommen hier nicht her, um zu sterben oder nur verwahrt zu werden.

Vielmehr: Sie kommen, um zu leben und für die Stärkung ihrer Lebensqualität Hilfe und Unterstützung von unserer Seite zu erfahren.

Das ist ein sehr ethischer Gedanke
Ja. Und wir leben diesen Wert. Bei uns müssen die Menschen auch nicht ausziehen – sie können in den Wohnungen und Wohngemeinschaften solange bleiben, wie sie es wollen.

Wir unterstützen die Entwicklung von Strukturen, die eine familiäre Atmosphäre im Zusammenleben fördern, die einfach den Lebensauffassungen und den Bedürfnissen der Bewohner entsprechen.

Wir haben zum Beispiel eine Wohngemeinschaft, in der nur Frauen leben. Es war anfangs schwer, dort eine von mir soeben beschriebene Atmosphäre zu kreieren.

Schließlich haben wir es aber doch geschafft – mit individuellen Gesprächen und spezifischen Aktivitäten.  Zu uns kommen ja zum Teil Menschen, die alles verloren haben – ihre Wohnung, ihre Einrichtung.

Und da geht es zunächst darum, ihnen wieder ein Zuhause zu geben, indem sie sich wohlfühlen, das zu ihrer Heimat wird.  Dazu gehört, sich das Apartment so einzurichten, wie es dem Geschmack und den Vorstellungen des Bewohners entspricht. Sicher – es sind nicht mehr so viel Möbel wie in der früheren eigenen Wohnung und es ist alle ein wenig kleiner.

Aber wir wissen: Wenn der Einzelne mitreden darf, seine Vorstellungen äußert und ein Stückchen seiner Erinnerungen in das neue Domizil mitnimmt, dann ist er auch zufrieden, beginnt sich wohlzufühlen.

Was ist Ihnen am Anfang leicht gefallen und wo hatten Sie Schwierigkeiten, hineinzuwachsen?
Das ist nicht leicht zu beantworten – was mir leicht fiel und was nicht. Das ist ja doch eher ein sehr komplexer Prozess.

Vielleicht können Sie das mal anhand eines Beispiels auflösen.
Ich komme aus der linken Bewegung. Für mich waren basisdemokratische Entscheidungen sehr wichtig.
Und so mussten sich die einzelnen Bewerber im Team vorstellen.

Erst wenn die Mehrheit zustimmte, dass jemand bei uns anfangen kann, haben wir den Arbeitsvertrag mit dem Bewerber geschlossen.
Irgendwann haben wir das anders gestaltet werden und diejenigen, die auch die Führungsverantwortung innehatten, entschieden über die Bewerbung. Insofern haben sich die Entscheidungsprozesse schon den Herausforderungen in der Pflegebranche angepasst.

Haben Sie das also bereut, anfangs so gehandelt zu haben?
Auf keinen Fall. Das waren wichtige Schritte und Lernprozesse.
Nur, wir konnten ja nicht stehenbleiben.

Wir wussten: Jeder im Team musste das tun, worauf er spezialisiert war und wofür er die Verantwortung trug. Das ging gar nicht anders, angesichts der wachsenden Nachfrage nach Pflege und Betreuung.

Eine wesentliche Schwierigkeit am Anfang war, dass wir keine Pflegekasse hatten, die mit uns Verträge eingehen wollte. Wir haben also unsere Leistungen privat angeboten und uns gegen Rechnung für den privaten Service bezahlen lassen.

Schließlich entschloss sich eine Kasse, mit uns Leistungsverträge abzuschließen. Nach und nach kamen weitere Kassen hinzu.

Außerdem: Wir haben im gesamten Bundesgebiet Seminare durchgeführt und mit Unterstützung des Bundesverbandes Ambulanter Dienste Menschen gewonnen, die sich in der Pflege selbstständig machen wollten.

Was macht Ihrer Meinung nach ein starkes Team aus?
Wir arbeiten in der Einrichtung schon sehr lange zusammen. Ich denke die Kontinuität, mit der wir hier Pflege und Betreuung betreiben, das macht uns stark.

Wir kennen uns sehr lange untereinander, wissen, wo wir den Anderen am besten unterstützen können. Und wir gehen in einer herzlichen, ja familiären Atmosphäre miteinander um. Da gibt es auch Kritik.

Nur ist die an Veränderungen orientiert und auf Lösungen gerichtet. Und weniger darauf, Kritik um der Kritik willen zu äußern.

Des Weiteren: Wir haben keine hierarchischen „Denke“. Wir denken und handeln mehr im Geiste der Verantwortung und dessen, was jeder für Aufgaben zu erledigen.

Also keine Anweisungen?
Doch. Die gehören dazu. Nur wir stärken die Teams darin, möglichst sehr stark eigenverantwortlich zu handeln. Das ist die beste Möglichkeit zu führen.

Führen heißt für mich, auch Dienstleister für meine Mitarbeiter zu sein.

Was macht für Sie individuelle Pflege aus?
Individuell pflegen heißt, vom Kopf und vom Herzen her zu pflegen.
Die Hilfe richtet sich nach der Anamnese – in Gesundheit und von der sozialen Komponente her.

Und: Wir lassen den Bewohnern die Freiheiten, die sie wollen und brauchen. Will jemand um 06.00 Uhr aufstehen, dann steht er 06.00 Uhr auf. Und wenn er länger schlafen will, dann respektieren wir das. Individuell betreuen heißt für die Bewohner ebenfalls: gutes Essen zu bekommen.

Wir hatten lange Zeit eine Auswahl von bis zu 7 Gerichten am Tag. Trotzdem waren die Bewohner nicht zufrieden. Und dann spielte uns der Zufall in die Hand.

Eine Bewerberin wurde als Köchin eingestellt. Sie hat den persönlichen Draht zu den Bewohnern; sie kocht weniger Gerichte, dafür aber das, was die Bewohner vorher bestimmt haben.

Was ist für Sie persönlich Glück?
Die Familie – die Kinder, die Enkel, meine Reisen; eine gute Partnerschaft, selbst gesund sein. Das gehört für mich zu meinem Glück. Ich selbst bleibe offen für Neues.

Ich empfinde es heute als ein viel größeres Glück, jemandem etwas zu schenken, als selbst beschenkt zu werden.

Meine Leben, mein Beruf – das ist für mich immer noch das größte Geschenk.

Herr Jakubiak, vielen Dank für das Gespräch.

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