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WOLF SCHNEIDER IST TOT – EIN GROSSER IN SACHEN DEUTSCH

Wolf Schneider starb vor wenigen Tagen.
Ich kannte ihn nicht persönlich, dafür umso mehr sein 1982 erschienenes Buch „Deutsch für Profis.“

Ich habe selten so etwas Profundes darüber gelesen, wie man als Journalist, Autor, Texter Sätze formulieren sollte, nämlich: kurz und prägnant.

Wer irgendwie mit Sprache zu tun hat, in Wort oder Schrift, der sollte dieses Buch kennen.

Es ist unterhaltsam geschrieben. Aber auch anstrengend, weil du dich wirklich beim Lesen anstrengen musst.

Wolf Schneider: „Deutsch für Profis“
Für mich ist der Autor ein Vorbild in Sachen ‚Deutsch‘. Schade, dass es ihn nicht mehr gibt. Sein Buch aber, das werde ich weiter in meiner Arbeit nutzen. 

 

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MEIN FREUND, DER ALLTAG

 

REDEN UND SCHREIBEN SIND EIN HANDWERK – DU MUSST STÄNDIG DARAN ARBEITEN

MEIN FREUND, DER ALLTAG

Trauerreden haben eine Besonderheit: Du hältst sie in emotionalen Ausnahmesituationen. Du musst also dein Handwerk besonders gut verstehen.

Es ist nicht leicht, vor Trauergästen zu reden, die gerade einen für sie wichtigen Menschen verloren haben.

Du musst ‚cool‘ bleiben, weil du dich sonst von den Emotionen mitreißen lässt und du schließlich kein Wort mehr herausbekommst.

Du hilfst damit aber nicht dir und schon gar nicht den Zuhörern, die von dir erwarten, dass du etwas Wertschätzendes sagst, was zu den Herzen derjenigen Menschen geht, die vor dir sitzen.

Das funktioniert nur, wenn du alles in die Vorbereitung für die Rede legst, du die Sätze vordenkst und sie so aufschreibst, dass ihre Wirkung mitbedacht wird. Kurzum, du musst dein Handwerk verstehen – das des Redens und das des Schreibens, damit eine wirkungsvolle Rede entstehen kann.

Eine Rede, die in den Köpfen bleibt, weil sie die Herzen der Menschen erreicht hat. Ich habe schon so manchen Redner erlebt, der meinte, wenn er etwas Blumiges, etwas Salbungsvolles aus fertiggeschriebenen Texten herausnimmt, dann träfe es die Menschen ganz besonders ins Herz.

Meine Erfahrung besagt da etwas anderes – wenn du nämlich Phrasen aneinanderreihst, Sätze, die faktisch hohl, nichtssagend sind, und mögen sie auch noch so wohlfeil formuliert sein, dann erreichst du das ganze Gegenteil.

Die Leute werden es dir nicht ins Gesicht sagen, aber es spricht sich schon rum, wenn du nur an der Oberfläche im Leben eines Menschen gekratzt hast.

BRONNIE WARE „LEBEN OHNE REUE – 52  Impulse, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist.“

Es ist also wichtig, ins Detail einzusteigen, was den Lauf des Lebens eines Verstorbenen anbetrifft. Du musst dich für alles interessieren, was ihn ausgemacht hat, was er mochte und wo seine Schwächen waren. Sind es liebenswerte Schwächen, dann sprich‘ sie an, weil vor allem so jemand wieder lebendig vor den Augen der anderen wird, für einen winzigen Moment jedenfalls.

Und was kann es Schöneres geben, wenn irgendwann die Familie am Frühstückstisch sitzt und jemand fragt: „Weißt du noch, wie gern Opa samstags stets was zu tun hatte, weil er ungern den Staubsauger in die Hand nahm?“

‚Schwarz in Schwarz’ denken, für alle Ewigkeit, das hilft niemandem. Dafür lohnt es sich, unermüdlich an den eigenen Fähigkeiten zu feilen – an denen des Schreibens und des Redens.

Den Menschen so in er Erinnerung zu behalten, wie er war, im wahren Sinne des Wortes mit einem lachenden und weinenden Auge an ihn zu denken, das hilft allen, und: Es bewahrt den Verstorbenen im Herzen und in der Erinnerung der Hinterbliebenen.

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

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AUDIO-DEM TAG ETWAS POSITIVES ABGEWINNEN – UND WENN DIE FREUDE NOCH SO WINZIG IST

Waldspaziergang

 

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REDEN SCHREIBEN UND HALTEN – MEINE PERSÖNLICHEN ERFAHRUNGEN IM STENOGRAMMSTIL

SCHREIB-ALLTAG

SELBSTZWEIFEL WEGSCHIEBEN

AUDIO:

 

Es kommt der Moment, da starrst du auf das weiße Blatt Papier oder du blickst auf deinen Computerbildschirm und weißt nicht, wie du anfangen sollst.

Ich sage mir dann, dass ich zunächst nur für mich selbst schreibe und es keiner lesen wird, geschweige denn, dass es schon eine fertige Rede ist.

Die eigenen hohen Erwartungen an sich selbst einfach mal ausschalten, das ist wichtig.
Das führt dazu, dass du deine ‚eigene Bremse‘ im Kopf löst und losfährst.

WIE SOLLTE MAN ES ANGEHEN?

Einfach schreiben und nicht darüber nachdenken, ob das Geschriebene vielleicht nur im Papierkorb landen wird;

Ich schreibe dann einfach los. Am besten geht es bei mir, wenn ich einen Füllhalter in die Hand nehme, ein kleines Tintenfass öffne, die Feder hineintauche und sofort auf dem Blatt beginne zu schreiben.

Das Ergebnis ist erst einmal ein blauer rechter Zeigefinger. Aber ich habe auch etwas aufgeschrieben.

Das Blatt lege ich meist quer und beginne oben rechts zu schreiben. Dann bewege ich mich nach unten und schließlich lande ich oben links.

Das ist sicher eine Marotte von mir. So überwinde ich aber die Angst, ich wüsste gar nicht, was ich das ganze Blatt hinunterschreiben sollte.

Der Nachteil ist: Ich muss es hinterher in den Computer ‚hacken.‘
Aber das ist immer noch besser, als nur auf das weiße Leere zu starren und in schlechte Laune zu verfallen.

SICH ZWISCHENDURCH BEWEGEN

Vom Schreibtisch aufstehen, etwas anderes machen; dann kommt die Kreativität von allein zurück;

Wenn ich schreibe, dann schreibe ich hintereinander weg. Aber manchmal ist es auch gut, einfach mal aufzustehen und sich zu bewegen.

Ich steige zum Beispiel auf mein Ergometer, das rechts von mir in der Ecke des Arbeitszimmers steht.

Nachdem ich dort fünf Minuten darauf herumgestrampelt bin, habe ich ein gutes Gefühl und mache meist motiviert weiter.

DIE BESTEN EINFÄLLE HABE ICH OFT NICHT AM SCHREIBTISCH

Wenn ich meine Frau zwischendurch zum Einkaufen fahre oder etwas zu erledigen habe, dann geht mir im Auto der Text im Kopf herum und oft genug habe ich in genau diesen Momenten die besten Einfälle.

Während ich also auf dem Parkplatz stehe, krame ich das iPhone heraus und tippe meine Gedanken in das Notizbuch.

Das geht langsam, weil ich mich mit meinen dicken Daumen oft genug vertippe, aber ich habe auf jeden Fall alles festgehalten.

Oft genug habe ich mir gesagt: ‚Das weißt du auch noch, wenn du zu Hause bist, und dann kannst du es ja immer noch aufschreiben. Aber weit gefehlt.

Meistens habe ich die geniale Formulierung, die mir auf der Fahrt durch den Kopf schoss, wieder verloren. Also, gleich machen, gleich schreiben.

Ich beobachte überhaupt viel und schreibe es auf, ohne zu wissen, wozu ich es später einmal verwenden kann.

UND SCHLIESSLICH: SICH DIE RICHTIGEN FRAGEN STELLEN

Beim ersten Mal denke ich nicht zu sehr über eine Struktur oder eine Gliederung nach.

Aber ich habe stets eine grobe Gliederung für die Rede im Kopf.
Solche Fragen, wie:
– um wen es eigentlich geht,
– in was für einer Atmosphäre die Rede gehalten werden soll, über welche Charakterzüge die Hauptperson verfügte, was der rote Faden der Rede sein soll.

Bei der Trauerrede ist klar, dass es um die oder den Verstorbenen geht und die Hinterbliebenen. Um sie muss sich der rote Faden der Rede auf jeden Fall ranken.

 

AUDIO-TRAUERREDNER – MEIN LANGER WEG (1)

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

 

Zum Text:

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MEIN FREUND, DER ALLTAG

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TRAUERREDNER – MEIN LANGER WEG (1)

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

Es war ein Freitag, ich saß am Schreibtisch, formulierte an einem Text und das Telefon klingelte. Klara war dran.

„Du kannst mich abholen, ich geh‘ zur Kasse“, sagte sie zu mir.
Klara wusste, dass ich es hasste, mit in den Supermarkt zu kommen, und so fuhr ich sie hin und ich verschwand auch wieder,, damit Klara in Ruhe durch die Regale schlendern und einkaufen konnte.

Ich war in der Zeit lieber wieder im Arbeitszimmer. In Trainingshosen, bequem eben. Sonst konnte ich nicht denken.

Und in dieser Kleidung holte ich Klara auch wieder ab. Sie hasste es, wenn ich so schlampig daherkam. Aber ich machte mir daraus nichts.

Bis auf diesen Tag, als mir von Weitem ein Ehepaar zuwinkte, das auf mich zukam und sich dabei angeregt mit Klara unterhielt.

Ich stöhnte innerlich auf, ich wollte mich nicht unterhalten, ich wollte wieder zurück an meinen Schreibtisch.

Als die drei vor mir standen, da erkannte ich sie. Es waren Bekannte, die ich lange nicht gesehen hatte.

„Und, wie geht’s dir?“, fragte Walter mich, während er aufmerksam an mir heruntersah.

Walter war sehr gut gekleidet, leger, aber man erkannte, dass er Wert darauflegte, wie er rüberkam.

‚ICH BIN JETZT TRAUERREDNER‘

Ich dagegen stand ihm in meinen schlottrigen Trainingshosen gegenüber.

An der rechten Hosentasche klebte noch etwas Zahnpasta und ich hätte vor Scham in den Erdboden versinken mögen.

„Mach‘ die Zahnpasta von deiner Hose ab“, hatte Klara mir noch an dem Morgen gesagt.
„Ja, wenn ich zurück bin“, erwiderte ich.

Ich hatte es schlichtweg vergessen und dafür lieber meine Planung für die Woche überarbeitet.
Nun war es zu spät.

„Du, ich kann nicht genug klagen“, antwortete ich halb im Scherz auf Walters Frage.

„Und selbst?“, fragte ich ihn.
„Wir kümmern uns um die Enkel, denn unser Sohn ist ja viel beschäftigt. Er ist Vorstandsmitglied geworden.“

„Oho!“, gab ich zurück und schwieg.
„Bist du noch als freier Journalist in deiner schreibenden Gilde unterwegs?“, fragte Walter mich und ich meinte einen mitfühlenden Ton herauszuhören.

„Nein, dafür habe ich keine Zeit mehr. Ich schreibe nur noch ab und zu auf meinem Blog, aber keine Business-Texte mehr über andere Unternehmen“, entgegnete ich.
„Ich bin jetzt Trauerredner“, fügte ich trocken an.

Walter riss die Augen auf, wich einen Schritt zurück und überlegte wohl, welche Fluchtwege ihm offenstanden.

Walter war Professor, hatte Physik studiert. Wir trafen uns vor Jahren das erste Mal in einer Unternehmensberatung, wo ich als Manager anfing und er bereits einen Fachbereich leitete – in der Abteilung, die ich künftig übernehmen sollte.

Er hatte das nie so richtig verwunden, dass er nicht der Manager geworden war. Aber so war es nun mal. Ich wusste davon auch zunächst nichts, denn ich war von außen in das Unternehmen geholt worden.

Jetzt aber schien Walter wirkliches Mitleid mit mir zu haben.
„Soweit bis du also unten angelangt“, schien mir seine Mimik zu sagen.

Er schaute zu seinem nagelneuen BMW hinüber, der unweit von uns stand, und dann wieder zurück auf meinen kleinen Jeep, der von hinten auch noch aussah, als wäre es ein kleiner Renault Twingo.

Also selbst das hatte das Leben in Walters Augen wohl zurechtgerückt, denn er kannte mich nur, dass ich in einem 7er BMW saß und damit gehetzt durch die Gegend bretterte.

Was sollte ich Walter sagen: Dass ich nun viel glücklicher war, einen Beruf gefunden hatte, der hart war, aber der mir die Erfüllung im Leben gab, die ich selbst auf der höchsten Stufe meiner Karriereleiter nie gefühlt hatte?

Es würde an Walter abprallen. Ich könnte zu ihm nicht durchdringen.
Also verabschiedeten wir uns nach einem Small-Talk und stiegen wieder ins Auto.

„Du hast ja nicht einmal die Zahnpasta von deiner Hose abgemacht. Hast du nicht gesehen, wie Walters Frau immer näher an dich heranrückte und auf den Fleck starrte?“, fragte Klara mich entrüstet.

„Weißt du, ich bin ich einfach glücklich“, sagte ich, ohne auf Klaras Vorwurf einzugehen.

„Dass du so schlampig umherläufst, das macht dich glücklich? Das fällt doch auf mich zurück!“, schimpfte Klara weiter.

„Nein, dass ich eine Tätigkeit gefunden habe, der mir einfach Spaß macht“, antwortete ich.

Klara sah mich an und nickte. Sie sah es genauso und sie wusste, dass es schwer war, dieses Glücksgefühl anderen Menschen zu vermitteln.
Ja, ich war Trauerredner und liebte inzwischen meinen Beruf.

‚FÜR MEINE TITEL KANN ICH KEINE BRÖTCHEN KAUFEN‘

Es ist zwanzig Jahre her, als ich meinen Vater besuchte und ihn fragte, ob er noch arbeiten würde.

Er war Jahrzehnte ordentlicher Professor an der TU in Dresden gewesen und wohnte nun in einer Wohnung, die ohne Weiteres dem betreuten Wohnen zugerechnet werden konnte.

„Ich halte Trauerreden“, sagte damals mein Vater trocken und schnörkellos.

„Bist du wahnsinnig! Du schadest deinem Ruf“, sagte ich zu ihm.
„Für meinen Ruf und meine Titel gibt es die Brötchen trotzdem nicht umsonst beim Bäcker“, antwortete er mir.

Auf der Rückfahrt von Dresden sagte ich zu Klara: „Wenn der das macht, dann verdient der auch gut, und dann macht es ihm auch Spaß. Der fasst nichts an, wo er keinen Beifall erhält“, fügte ich noch an.
Klara schmunzelte und nickte.

DU KANNST DOCH DIE REDE FÜR KLARAS TANTE HALTEN

Die Jahre vergingen. Wir waren im Urlaub an der Ostsee.
Wir nutzten den Aufenthalt, um einen Verwandten aufzusuchen, dessen Frau gerade verstorben war. Es war Klaras Tante. Klara hatte sie besonders gern gemocht, und ich mochte sie ebenso.

„Wir redeten ein wenig und plötzlich fing Klaras Onkel an, mir zu erzählen, wie die Trauerrednerin bei ihm gewesen war und was sie alles in der Rede sagen wollte.

„Aber das sind doch Worthülsen, die zwar gut klingen, wahrscheinlich irgendwo sogar abgeschrieben wurden. Aber sie haben doch nichts mit dem zu tun, was deine Frau ausgemacht hat, was Klara an ihrer Tante so schätzte und mochte.“

Der Onkel schaute mich an, stimmte mir zu und fragte mich, ob ich nicht die Rede übernehmen wollte.
Ich wollte nicht. Wir waren im Urlaub, ich hatte keine Ahnung, wie man so etwas anging.

„Nein, auf keinen Fall“, sagte ich.
„Und außerdem hast du doch schon eine professionelle Rednerin.“
„Naja, du wärst mir lieber“, sagte er zu mir.
„Wenn einer reden kann, dann du“, schob er noch hinterher.

„Ja, das stimmt“, nickte Klara.
Ich sträubte mich, denn ich wollte mir diese Bürde nicht aufhalsen.
Jetzt redeten beide auf mich ein.

„Wenn das dein Vater kann, dann kannst du es auch“, sagte Klara überzeugt.
Sie wusste, wie ich meine Vorlesungen ausgearbeitet, und wie ich sie vor Studenten gehalten hatte. Das war aber schon wieder eine Weile her.

Das entscheidende Argument, was mich schließlich überzeugte, kam von Klaras Onkel selbst.
„Im Grunde genommen bin ich so traurig, dass Hedwig die Rede nicht halten kann, denn sie ist zurzeit sehr krank“, sagte er.

Ich kannte Hedwig und ich wusste, dass sie Pfarrerin in Berlin war. Sie konnte exzellent reden und auch schreiben. Vor allem aber wusste sie, wie man die Geschichte eines Menschen erzählt.

Hinzukam: Hedwig kannte Klaras Tante von Jugend an.
Ich verstand nun, dass ich gar nicht die erste Wahl war für die Rede.

Aber an zweiter Stelle zu stehen – auf der Wunschliste von Klaras Onkel, und nur noch diese großartige Pfarrerin vor mir zu haben, das überzeugte mich.

„Gut, ich werde das machen“, sagte ich und ich überlegte, ob ich das wirklich hinbekommen konnte. Ich war zweifelte und ich wusste vor allem nicht, wie ich es angehen sollte.

 

MEIN FREUND, DER ALLTAG

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‚DIE DACHGESCHOSSWOHNUNG, DIE IST DOCH NOCH FREI, ODER?‘

ALLTÄGLICHES

Was bisher war: 
Klara und ich wussten, dass wir etwas verändern mussten. Wir wurden nicht jünger und wir wollten ein neues Zuhause suchen. Der Gedanke war da, der Entschluss war gefasst. Im Herzen aber, da fiel es uns schwer, diese Veränderungen wirklich in Angriff zu nehmen. Schließlich griff ich doch zum Hörer, um einem Bauträger einen Besichtigungstermin zu vereinbaren. 

„Sie können noch in dieser Woche zur Besichtigung vorbeikommen“, sagte die Mitarbeiterin des Bauträgers am Telefon.

„Das klingt gut“, sagte ich und vereinbarte einen Termin für den Donnerstag in der gleichen Woche, in der ich angerufen hatte.
Wir waren bereits an einem Sonntag auf der Baustelle gewesen, auf der die neuen Häuser errichtet wurden.

„Siehst du, da ist die Wohnung im achten Stock, keiner über uns und mit einer Wohnfläche von fast 100 qm.

Eine Terrasse gibt es auch. Sie geht über die gesamte Breite der Wohnung. Siehst du das?“, fragte Klara mich eindringlich, so als ob ich nicht sehen könnte und zum ersten Mal auf der Baustelle die Wohnung sah, die sie bereits für sich im Kopf beschlagnahmt hatte.

Aber Klara hatte sich tatsächlich bereits alle Grundrisse im Internet angesehen, im Gegensatz zu mir, der sich nicht festlegen wollte auf Projekte, die vielleicht utopisch waren. Die Wohnung hatte eine herausragende Lage, sie war bestimmt schon die erste, die weg war. Doch das sagte ich nicht laut.

Laura hatte Klara dabei geholfen und beide hatten die Zimmer bereits virtuell eingeräumt, während ich im Nebenzimmer am Schreibtisch saß und mich mit den Belegen für die Steuer herumplagte.

„Wenigstens trennt hier eine Wand die Küche vom Wohnzimmer ab“, hörte ich Klara sagen.

Sie mochte die Varianten der amerikanischen Küchen überhaupt nicht. Früher, da gab es in jeder noch so kleinen DDR-Wohnung einen abgetrennten Raum, in der die Küche war. So hatte ich es jedenfalls in Erinnerung.

Doch nun war es anders, jetzt gab es überwiegend die Grundrisse bei den neu errichteten Wohnungen, bei der die Küche in den Wohnraum integriert war.

Der Tag der Besichtigung war da und wir warteten aufgeregt vor dem Bauzaun, um von einem Mitarbeiter abgeholt zu werden.

„Ich gehe nach rechts, da kommt der Verkäufer bestimmt“, sagte Klara.

„Du musst strategisch denken“, entgegnete ich, „der Verkäufer kommt unter Garantie hier, an der Hauptachse und lässt uns rein.“

Während ich das sagte, war Klara bereits ein paar Meter weiter nach rechts gegangen.

Wenige Augenblicke später kam der Verkäufer. Auf der Seite, auf der Klara stand.

Ich lief verdrossen nach rechts und begrüßte den Mitarbeiter, der mich kaum wahrnahm, weil er bereits in einem angeregten Gespräch mit Klara war.

Sie gingen beide vor mir, während ich hinterhertrottete.
Der Verkäufer lief zielstrebig an dem Haus vorbei, in der sich unsere ‚Traumwohnung‘ befand.

Bauarbeiter eilten achtlos an uns vorüber und hinter uns hupte ein Bagger, um sich seinen Weg zu bahnen.

Ich musste an Krümel denken, der ich abends noch das Buch von der ‚Baggerfahrerin Annette Kuhn‘ vorlesen musste.
Hier, auf der Baustelle, da war das alles nicht so lustig.

Klara blieb plötzlich stehen. „Die Dachgeschoßwohnung, die noch frei ist, die ist doch in dem Haus daneben, oder?“

„Ja, das ist richtig, aber sie ist nicht mehr frei, sondern in der Zwischenzeit reserviert“, sagte der Verkäufer, ohne sich weiter umzudrehen. Er konnte deshalb nicht Klaras enttäuschte Gesichtszüge sehen.

„Was werden wir denn besichtigen?“, fragte ich, um das Schweigen zu überbrücken.

„Eine sehr schöne 3-Raum-Wohnung im 2. Obergeschoß“, sagte der Verkäufer und zeigte auf das Haus neben unserer Traumwohnung.

Klara schwieg beharrlich weiter. Wir gingen in den Eingang und der Verkäufer bat uns zu warten.

„Ich hole für uns noch etwas zum Überziehen für die Schuhe, denn das Parkett ist bereits verlegt“, sagte er.

„Oh“, sagte ich und wollte meine Bewunderung über diese Vorsichtsmaßnahme zum Ausdruck bringen.

Klara schwieg. Als der Verkäufer die Treppe runtergegangen war, da sagte Klara kurz und knapp: „Ich will diese Wohnung nicht.“

„Lass sie uns wenigstens ansehen, absagen können wir immer noch.“
Der Verkäufer kam wieder, mit ein paar Überziehern in der einen Hand und einem Stuhl in der anderen.

„Hier können Sie sich draufsetzen, dann fällt es Ihnen leichter, sich die Überzieher über die Schuhe überzustreifen“, sagte er zu Klara.

„Setz du dich hin, du schaffst es doch kaum, dir die Schnürsenkel im Stehen zuzubinden“, sagte Klara.

Ich kochte innerlich, setzte mich hin, und ich meinte ein feines Lächeln im Gesicht des Verkäufers zu entdecken.

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DIE JAGD NACH EINEM NEUEN ZUHAUSE IST ERÖFFNET – ZUMINDEST IM KOPF

ALLTÄGLICHES

„Sich verändern ist wichtig und manchmal alternativlos!“ 
Diese Worte gehen dir leicht über die Lippen, wenn es nicht dich betrifft, sondern du nur so mal einem guten Freund einen Ratschlag erteilst.
Aber was ist, wenn du selbst gemeint bist, wenn dir dieser Gedanke für dein Leben einschießt, dass du etwas verändern musst?

Montagmorgen in der vergangenen Woche. Krümel war wieder weg. Ich hörte gerade die Audioaufnahme von ihr ab.

„Zwei kleine Italiener…“, sang sie mit leiser und feiner Stimme, brach dann ab und rief: „Hallo Oma, Opa, ich hab‘ Euch ‚liiieeeb“.

Ich seufzte und wandte mich wieder den Alltagssorgen zu. Die Folgen der Überschwemmung im Keller sassen Klara und mir noch im Nacken.

„So kann es nicht weitergehen!“, sagte ich zu ihr.
Sie schwieg.

„Was willst du tun?“
„Wir müssen uns eine Wohnung suchen, die altersgerecht ist, allen Komfort bietet und vor allem eines ist, trocken!“, antwortete ich.

Wir redeten schon lange davon, dass wir uns verkleinern wollten, abends nicht mehr Treppen hochklettern müssten, um mit letzter Kraft ins Schlafzimmer zu gelangen.

Der Wassereinbruch im Keller nach dem Unwetter war nur der letzte Anstoß.

‚Ist es wirklich so schlimm?‘, fragte ich mich.
Ich mach‘ noch Sport, Nordic Walking, bin trotzdem zu dick, aber immerhin noch gut beweglich.

Klara sagte: „Ich will das alles nicht mehr.“
„Was meinst du?“, fragte ich sie.

„Naja, das mit dem Garten, mit der Hecke schneiden, dem Rasenmähen, den Carport ausfegen.“

„Den Carport fege ich doch aus“, versuchte ich zu entgegnen.
„Du? Du bist doch nie anwesend. Und jetzt, wo du deine Reden hältst, da bist du noch weniger da“, sagt sie.

Ich antwortete lieber nicht. Im Stillen freute ich mich ja, wenn ich einen Redetermin hatte und Klara in der Zeit die Wohnung saugte, den Garten machte und ich danach den ‚Erschöpften‘ geben konnte.

„Zu jammern, das nützt uns jetzt auch nichts“, sagte Klara.
Sie hatte Recht und deshalb war ich auf der Suche nach einem neuen Zuhause, einer Wohnung, die viel kleiner, dafür aber trocken war.

Wir wollten in der Umgebung bleiben. Klar, am meisten zog es uns zurück in den Norden, nach Stralsund oder Sassnitz. Aber das war zu weit weg von unserem kleinen Krümel.

Wie konnten wir sie dann mal nachmittags abholen, mit ihr auf den Spielplatz gehen, um sie dann wieder zu ihrer Mutter zurückzubringen. Daraus wurde also nichts.

Außerdem hatte ich hier die Arbeit als Trauerredner. Eine Tätigkeit, die mir lag, die nicht leicht war, aber wo ich meine handwerklichen Fähigkeiten des Schreibens und Redens gut einsetzen konnte.

Inzwischen war ich bekannt, und ich wollte mein Netzwerk weiter ausbauen.

„Ich habe ein gutes Wohngebiet entdeckt. Dicht an der City von Bernau. Hier ist das Exposè, sagte ich zu Klara.

„Leg‘ es mal da bei mir auf den Schreibtisch“, antwortete sie.
Ich merkte ihr an, wie hin- und hergerissen sie war.

Wir wohnten nun schon 26 Jahre in unserem kleinen Häuschen, mit Carport, ebenerdigem Zugang zur Haustür, ohne Treppensteigen, wenn der Einkaufskorb in die Küche transportiert werden sollte – das alles würden wir nicht haben, oder das meiste dieser Annehmlichkeiten nicht mehr.

„Oma, ich ihr habt so eine schöne Wohnung“, rief Krümel oft, wenn sie sich blitzschnell die Treppenstufen hochhangelte. Sie flitzte zu gern zwischen den Etagen hin – und her.

„Opa, das Frühstück ist jetzt gleich fertig, und dann musst du sofort herunterkommen, sonst wird Oma böse. Kommst du, ja?‘

Ich brummte dann etwas und blieb trotzdem am Schreibtisch sitzen.
„Opa, du musst jetzt gleich mitkommen, ich geh‘ zuerst und du musst hinter mir herlaufen!“

Krümel war so emsig, so begeistert und füllte die ganze Wohnung mit ihrer Lebensenergie.

Wollten wir das alles aufgeben?
Mussten wir das wirklich?

„Ich habe eine Wohnung gefunden, die mir gefallen würde“, rief Klara, die das Exposè gerade durchsah. Laura, unsere Tochter war gerade zu Besuch und hatte gemeinsam mit Klara das Internet zusätzlich durchforstet.

Es war eine Dachgeschoßwohnung, knapp 100 qm, riesige Terrasse, komfortabel ausgestattet.

„Gut, ich rufe morgen gleich bei dem Bauträger an und frage, ob die Wohnung noch frei ist“, sagte ich.

Fortsetzung: ‚DIE WOHNUNGSBESICHTIGUNG‘ – Montag, 19.09.2022

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FREIWILLIGE FEUERWEHR AUS SCHÖNWALDE – DANKE FÜR EUREN BEHERZTEN EINSATZ AM 26.08.2022

Stefanie Weinert und Sandra Mallabar während des Einsatzes in Basdorf

Es war ein Tag, der versprach noch einmal schön zu werden.
Ich hatte nach unserem zweiwöchigen Aufenthalt an der Ostsee wieder Energie und auch Lust, mit der Arbeit weiterzumachen.

Mittags stand für mich eine Trauerrede an. Ich war gut vorbereitet, wollte alles dafür tun, damit es ein würdiger Abschied wurde.
Es klappte alles und die Trauergäste bedankten sich bei mir – der schönste Lohn für die oft nicht leichte Arbeit, physisch nicht und schon gar nicht psychisch.

Ich war froh, als ich wieder im Auto saß, ein wenig Wasser getrunken hatte und mich in Richtung nach Hause bewegen konnte. Es war schwül und ich wollte so schnell wie möglich aus dem Anzug heraus.

„Ich bin fertig“, sagte ich nur zu Klara und warf mich auf die Couch.
Ich wollte nichts mehr wissen und nichts mehr hören.

Draußen wurde es dunkel, obwohl es erst gegen 15.00 Uhr war, und Regen setzte ein. Ich hörte es blitzen und donnern und sah plötzlich Eiskristalle auf der Terrasse niedergingen. Ich schnellte von der Couch hoch, sprang ins Auto, um es ein Stück weiter nach hinten zu fahren.

‚So, jetzt konnte es draußen schütten, wir sitzen hier im Trockenen‘ dachte ich bei mir.

„Siehst du, dass das Wasser auf der Terrasse nicht abläuft?“, fragte Klara mich und ihr war die Angst anzumerken, dass es noch schlimmer kommen könnte.

Jetzt wurde auch ich unruhig und wir stiegen gemeinsam die Treppen zum Keller runter.

Durch die Tür, die in die Gemeinschaftsräume führte, drang Wasser.
Es stand bereits knöchelhoch. Ich wollte wissen, wie es auf dem Gang aussah und öffnete die Tür zum Gemeinschaftsgang. Das Wasser schoss uns entgegen und wir hatten Mühe, die Tür wieder zu schließen.

Jetzt hieß es, Eimer zu holen, das Wasser hineinzuschaufeln und nach oben zu tragen, um es im Gäste-WC auszuschütten. Klara schippte, ich keuchte die Treppe mit dem Eimer hoch.

Jedes Mal, wenn ich oben ankam, den Eimer leergemacht hatte, gönnte ich mir eine Pause auf dem Stuhl im Flur und schaute von da aus auf die Terrasse. Dort standen Pfützen, gefühlt waren es Seen, und so langsam beschlich mich Verzweiflung.

„Was machst du so lange da oben?“, fragte Klara mich und ich schleppte mich wieder die Treppe hinunter. Der Wasserpegel war wieder gestiegen. Der Kellervorraum war voll und das Wasser ergoss sich auch in unseren Hauptkeller.

Der Mieter aus dem Dachgeschoss unseres Mehrfamilienhauses hatte die Feuerwehr gerufen und mich darüber informiert.
„Die würden wohl erst nach Mitternacht kommen“, dachte ich bei mir.

Doch eine Stunde später kam ein Löschzug um die Ecke.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals in meinem Leben so froh war, dass ich die Feuerwehrleute sah.

Sie handelten schnell, sehr effizient und wussten genau, was sie tun mussten.
Sie legten Schläuche über ein Nachbargrundstück in Richtung Wald, weil die Kanalschächte ebenfalls vollgelaufen waren.

Es war Lärm, Hektik und ich hatte den Eindruck, ich würde überall nur herumstehen.

Als die Pumpen liefen, wir ein wenig verschnaufen konnten, weil es nun darauf ankam, mit Geduld abzuwarten, dass das Wasser allmählich aus den Kellern abfloss, da unterhielt ich mich ein wenig mit zwei Kameradinnen von der Feuerwehr – mit Stefanie Weinert, der Einheitsführerin und Sandra Mallabar, einer Maschinistin bei diesem Einsatz. Sie ist normalerweise Jugendwartin bei der Freiwilligen Feuerwehr in Schönwalde.

Während ihres Einsatzes konnte ich sehen, mit wieviel Herzblut und welchem Einsatzwillen diese Kameradinnen und Kameraden vor Ort agierten, damit wir wieder trockene Keller hatten.

Eine tiefe Dankbarkeit kam in mir hoch. Doch was sagst du in solchen Situationen?

Das alles kommt dir in diesem Moment vor, als würdest du nur Worthülsen vertun, um zu sagen, wie froh du über den Einsatz dieser Menschen warst.

Ich nahm mir vor, darüber zu schreiben. Wenigstens das wollte ich tun.
Später halfen Kameraden mit, das restliche Wasser aus dem Keller zu bekommen, bis nur noch wenig übrig war.

Am nächsten Tag fuhren wir in den Baumarkt und kauften einen Nass-Trocken-Sauger.
Ich schaute mir die Aufbauanleitung an, war aber nervlich noch zu angespannt vom vergangenen Tag, um mir in Ruhe alles durchzulesen.

Ich rief meine Tochter an, unser ‚Technikgenie‘ und fragte sie, ob sie uns helfen wolle, bei der Beseitigung des Wasserschadens.
„Papa, wenn du in der Zeit eine Facharbeit auf Rechtschreibfehler durchsiehst, dann komme ich“, sagte sie am Telefon.

Ich war sofort einverstanden. Klara und meine Tochter saugten den Rest des Wassers vom Boden auf und entsorgten die nassen Sachen.

Ich korrigierte in der Zeit die Arbeit, konnte ruhig am Schreibtisch sitzen und nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben.

Wir brauchten noch ein paar Tage, um zu unserer Routine zurückzukehren.

Danke liebe Kameradinnen und Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr aus Schönwalde! Wir werden Eure selbstlose Hilfe nicht vergessen!

 

MEIN FREUND, DER ALLTAG

DAS LEBEN SYMPATHISCH FINDEN, SO WIE ES GERADE IST

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

 

VOM WERT IM LEBEN, MIT DEN KLEINEN DINGEN GLÜCKLICH ZU SEIN

Es ist kurz vor halb fünf Uhr morgens und ich sitze auf der Bank vor dem Haus.

Wäre ich nicht vom Schreibtisch aufgestanden, um ein wenig frische Luft zu schnappen, ich wäre wohl wieder eingeschlafen.

Also bin ich hier draußen, friere ein wenig und schaue in den Himmel. Er ist mit Wolken zugedeckt und die Sonne kann auch noch nicht mit ihren Strahlen durch die Wolkendecke hindurchdringen.

Wenn morgens noch alles ruhig ist, du nur ein paar Vögel zwitschern hörst, den Wind, der durch die Äste der Bäume fegt und die Blätter rauschen, dann kommst du ins Grübeln.

Du überlegst, wieso du eigentlich immer wieder neu lernen musst, was in deinem Leben wichtig sein könnte.

Das Leben loslassen, es anzunehmen und es so zu verändern, dass es für dich ein sympathisches Aussehen kriegt – ja, all das gehört dazu.

Wie oft strebst du danach, mehr Geld zu bekommen, noch erfolgreicher zu werden, Immobilien zu besitzen und zu denken, dass genau das der Beweis für ein glückliches Leben ist?

Bis du dahinter kommst, dass es gerade das nicht ist, was dich in Wahrheit glücklich macht.

Leider ist es oft erst dann, dass du dich rückbesinnst, wenn du nichts mehr ändern kannst.

Mir fällt Krümel ein, meine vierjährige Enkelin. Ich muss ihr unbedingt weiter von der Scheune erzählen, vom Esel Ia, dem Hund Bobby und der Katze Penni. Sie alle gibt es nicht, nur in der Phantasie.

Die Scheune besitze ich auch nicht. Aber Krümel ist glücklich, und ich bin es auch, wenn wir darüber sprechen.

Ich stehe von der Bank auf und gehe wieder an meinen Schreibtisch. Ich werde nachher Krümel anrufen. Das wird ein schöner Tag.

MEIN FREUND, DER ALLTAG

 

 

 

THURE – SCHREIBSKIZZEN (6)

THURE-22.04.29

JAKUB ZLOBINSKI
Was bisher war:
Thure sah vom Küchenfenster aus, wie die Wiesen noch von einem Nebelschleier bedeckt wurden und das Gras noch feucht vom Morgentau war.
In der Ferne beobachtete er einen roten Streifen am Himmel.
Es würde wohl schön werden, an diesem Tag, und so beschloss Thure, nach dem Frühstück einen Spaziergang durch das Dorf zu machen, vielleicht Jakub Zlobinski, dem Besitzer des Gasthofes vorbeizuschauen.

Jakub Zlobinski hievte seine Beine ächzend aus dem Bett, fuhr mit der Hand schlaftrunken über sein kurzes Haar und ließ sie wieder müde sinken.

Er stand schließlich auf, schlurfte ins Bad und schaute im Spiegel in das zerknirschte Gesicht eines Mannes, der noch nicht so richtig wusste, warum er überhaupt aufgestanden war.

Aber er musste sich fertigmachen und in die Gaststube hinuntergehen, um alles für die Öffnung vorzubereiten.

Jakub war der Pächter des Gasthofes ‚Zur dicken Kuh‘. Er wohnte mit seiner Familie direkt über dem Gastraum.

Früher, als er noch zugelassen hatte, dass die Gäste rauchten, da vermischte sich der Tabakqualm mit dem Geruch von Wein, Bier und Schnaps und kroch in alle Ritzen des Hauses.

„Der Gestank ist noch überall und geht gar nicht mehr weg“, schimpfte seine Frau Iga, mit der er gemeinsam den Gasthof bewirtschaftete.

Iga machte den Ausschank, bediente die Gäste und Jakub kochte. Das hatte er gelernt und seine Gäste mochten sein Essen.

Thure liebte besonders das polnische Frühstück, das ihm Jakub zubereitete, wenn er morgens in die Gaststube kam.
Maria sah das gar nicht gern, weil Thure dann länger blieb, als er sollte.

Er sollte eigentlich dort gar nicht hineingehen, sondern seine Runde drehen und danach sofort zurückkommen.

Aber wenn ihm der Geruch von gegrillten Würstchen, gekochten Eiern, Tomaten und Gurken und Roggenbrot in die Nase stieg, dann konnte er meist nicht widerstehen.

Anfangs wollte Jakub ihm dazu traditionell einen Tee mit Zucker servieren, aber da hatte Thure stets abgewinkt.

„Lass mal, ich habe ja schon einmal etwas gegessen und Kaffee dazu getrunken. Jetzt nehm‘ ich ein Bier.“

Thure musste nur danach einen ‚Pfeffi‘ einschmeißen, damit seine Frau nichts davon merkte.

Jakub hatte sich angekleidet und im Stehen einen Schluck Kaffee genommen.

Er ging mit der Tasse aus der Küche heraus und betrachtete sich im großen Wandspiegel im Flur.

Er war nicht groß, nur 1,74 cm, zu seinem Kummer. Er drehte sich zur Seite und sofort fiel ihm der leichte Bauchansatz auf, den seine Frau Iga oft kritisierte.

„Trink nicht so viel Bier mit den Gästen“, schimpfte sie, wenn Jakub aus der Küche kam, um ein wenig zu verschnaufen und den neuesten Dorfklatsch zu erfahren.

Jakub lachte gern und sein pausbäckiges Gesicht zeigte dann seine vielen Lachfältchen, die in dem Moment noch größer erschienen, als sie es ohnehin schon waren. Im Gasthof war er stets mit Schürze zu sehen, darunter trug er Jeans und bequeme Shirts.

Thure sprach gern mit Jakub, denn sie ähnelten sich in ihrem Charakter und in ihrem Verhalten. Sie waren beide laut, gutmütig und meistens auch noch gut gelaunt.

Überhaupt hatte Jakub mit seiner Art schnell die Sympathie der meisten Dorfbewohner gewonnen.

Er sprach gut Deutsch und seinen unverkennbaren Akzent hörte man selbst im größten Stimmengewirr heraus.

Seine Frau, Iga Zlobinska, eine geborene Wojcieck, hatte er vor zehn Jahren in einer Diskothek kennengelernt. Damals träumten sie davon, einmal einen Gasthof auf dem Land zu erwerben und so ein unabhängiges Leben zu führen.

Aber es kam anders. Igar bekam zwei Kinder, ein Mädchen – Pola, sieben Jahre alt, und Maksymilian, 5 Jahre alt.

Von deutschen Freunden erfuhren sie, dass in Schebsand ein Gasthof leer stand, dessen Eigentümer einen neuen Pächter suchte.
Sie überlegten nicht lange und bewarben sich darum, das Haus mit der Gasstube zu mieten.

Es war nicht ohne Risiko, denn die vorhergehenden Pächter waren pleite gegangen.
Davor hatten Iga und Jakub am meisten Angst.

Es dauerte lange, bis sie alle Genehmigungen in der Tasche hatten und von der Weltmetropole Warschau aus in das kleine Dorf Schebsand in Brandenburg gingen.

Jakub schlurfte die Treppe nach unten, schaltete in der Gaststube das Licht an und stieß mit dem Fu gegen die Schwingtür, die in die Küche führte.

Er tippte mit seiner Hand auf den Lichtschalter und Sekunden später gleißte das helle Licht von der Küchendecke direkt auf ihn herunter, so dass er erst einmal die Augen zusammenkniff.
Jakub war nun endgültig munter geworden.

14. KALENDERWOCHE – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

MEIN FREUND, DER ALLTAG
ALLTÄGLICHES-22.04.09
BIBEL IM ALLTAG

DIE BIBEL ÜBER DIE MACHT DES WORTES UND DIE MÖGLICHKEITEN DER SPRACHE

SCHREIBEN HEISST NICHT, SICH VON DEN BANALITÄTEN DES ALLTAGS ZURÜCKZUZIEHEN

NIETZSCHE ÜBER DIE SCHWELGEREI DER RACHE

SCHREIB ÜBER DICH

THURE – SCHREIBSKIZZEN (5)

ANNA IST DEMENT

Mehr lesen: https://uwemuellererzaehlt.de/anna-ist-dement/

SCHREIB-ALLTAG

Mehr lesen:

https://uwemuellererzaehlt.de/schreiballtag/

NIETZSCHE ÜBER DIE SCHWELGEREI DER RACHE

MEIN FREUND, DER ALLTAG

ALLTÄGLICHES-2022.04.06

Man muss nicht alles mögen und teilen, was Friedrich Nietzsche gesagt und geschrieben hat.
Seine Ideen zu lesen und zu kennen allerdings schärft deinen Blick für den Alltag, bringt dich zum Nachdenken über eigene Positionen, Einstellungen und Handlungen. Und das allein ist schon ein Wert an sich. 

NIETZSCHE ÜBER DIE SCHWELGEREI DER RACHE

„Grobe Menschen, welche sich beleidigt fühlen, pflegen den Grad der Beleidigung so hoch als möglich zu nehmen und erzählen die Ursache mit stark übertreibenden Worten, um nur in dem einmal erweckten Hass- und Rachegefühl sich recht ausschwelgen zu können.“ (1)

(1)
Friedrich Nietzsche, Gesammelte Werke, Anaconda Verlag GmbH Köln, ISBN 978-3-86 647-755-1, S.163, (62)

 

 

IANA SALENKO FÜR IHRE HEIMAT – DIE UKRAINE

IANA SALENKO

Ich kenne Iana Salenko, 1. Solistin am  Staatsballett in Berlin, nun schon so viele Jahre.
Sie ist ein äußerst bescheidener und sehr warmherziger Mensch.
Iana  möchte helfen.
Sie leidet darunter, dass ihre Familienangehörigen in Kiew dem Krieg ausgesetzt sind und viele ihrer Landsleute ebenso.
Deshalb tut sie das, was sie am besten kann – sie organisiert eine Gala, gemeinsam mit ihrem Tanzpartner Oleksandr Shpak vom Staatsballett Berlin.
Zum Link „Ballet for Life“ by Iana Salenko for Ukraine
https://gofund.me/eba7cafd

IANA-1 a

 

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IANA SALENKO – KIEW IST MEINE GELIEBTE HEIMATSTADT

MÄRZ 2022 – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

MEIN FREUND, DER ALLTAG

ALLTÄGLICHES-22.04.03

09. KALENDERWOCHE – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

10. KW – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

11. KALENDERWOCHE – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

12. KW – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

13. KALENDERWOCHE – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

ANNA IST DEMENT

Mehr lesen: https://uwemuellererzaehlt.de/anna-ist-dement/

SCHREIB-ALLTAG

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13. KALENDERWOCHE – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

MEIN FREUND, DER ALLTAG
ALLTÄGLICHES-22.04.02
BIBEL IM ALLTAG

DIE BIBEL ÜBER DEN GEWINN VON GUTEM REDEN

IANA SALENKO – KIEW IST MEINE GELIEBTE HEIMATSTADT

NIETZSCHE ÜBER INTELLEKT UND MORAL

ALLTÄGLICHES-PUR UND PROMPT

JEEPYS FAHRER WEISS MAL WIEDER ALLES BESSER, DENKT ER JEDENFALLS

THURE – SCHREIBSKIZZEN (4)

IANA SALENKO FÜR IHRE HEIMAT – DIE UKRAINE

ANNA IST DEMENT

Mehr lesen: https://uwemuellererzaehlt.de/anna-ist-dement/

SCHREIB-ALLTAG

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THURE – SCHREIBSKIZZEN (4)

THURE-22.04.01

DER ALBTRAUM

Thure Hansen saß auf den Schienen, mitten auf einer freien Zugstrecke. Er war an Händen und Füssen mit Eisenketten an die Gleise gefesselt und konnte sich kaum bewegen.

Es regnete und es schien, als würden sich Bäche von herabstürzendem Wasser auf ihm ergießen.

Aus der Ferne ertöntes ein schrilles Signal, das Thure zusätzlich erschaudern ließ.

Die Lichtkegel der herannahenden Lokomotive stachen durch die Dunkelheit hindurch und nahmen eine gespenstische Größe an, je näher sie kamen.

„Hilfe, bitte helft mir“, schrie Thure. Aber niemand hörte ihn.
Und so kam, was kommen musste. Der Zug kam näher und Thure fügte sich in sein unausweichliches Schicksal.

Als die Waggons mit unbarmherziger Härte heranratterten, da bewegten sich hinter ihm die Weichen mit einem knackenden und quietschenden Geräusch und schoben den herandonnernden Zug auf die parallel verlaufenden Gleise.

Die Waggons schossen an Thure mit einem ohrenbetäubenden Lärm vorbei, wie von einer unsichtbaren Kraft geleitet.
Thure spürte plötzlich eine Hand, die auf ihm lag.

„Warum schreist du so?“, fragte Maria ihn, nachdem er schweißgebadet aufgewacht war.

„Ach nichts!“, murmelte Thure.
„Die Drogenmafia hat mich auf den Gleisen angekettet. Es gab kein Entrinnen.“

„Du guckst zu viele brutale Filme“, sagte Maria zu ihm, drehte sich um und versuchte weiterzuschlafen.

Thure war froh, dass seine Frau ihn aus diesem Albtraum erlöst hatte.

Er stand auf und schlurfte ins Bad, um sein Gesicht ein wenig zu benetzen.
Obwohl es erst kurz nach drei Uhr war, wollte er aufbleiben.

Bei Thure, im Grunde genommen froh, dem vermeintlichen Unglück entronnen zu sein, stellte sich dennoch keine wirkliche Freude ein.

Ihm kam der Krieg in der Ukraine wieder ins Bewusstsein.
War die Realität etwa noch schlimmer als das, was er gerade geträumt hatte?

Er versuchte an etwas Schönes zu denken.
Gestern hatte er mit Emma, seiner vierjährigen Enkelin auf dem Sofa gesessen und sie hatten Angeln gespielt.

Thure sollte für Emma mit der Angel eine Krone aus dem Wasser fischen, die sie dort verloren hatte.

„Opa, du musst an der Kurbel drehen“, rief Emma. Sie war mit Energie und Phantasie bei dem Spiel.

‚Was für ein glücklicher Moment‘, dachte Thure.
Er hatte für die Kleine einen Strand aus Worten gemalt, mitten auf seiner Lieblingsinsel Rügen, und sie tauchten die Angel in das Wasser, um die Krone zu finden und vielleicht sogar eine Kiste mit Gold.

„Oh, das wird ja immer schwerer. Schau mal, wie sich die Angelschnur biegt. Hoffentlich reißt sie nicht“, schnaufte Thure.
„Mach schnell, Opa!“

Emma hielt es nicht mehr auf der Couch. Sie kroch vom Sitz herunter und kletterte auf die Seitenwand, um sich nach vorn zu beugen, so, als würde sie an der Angelschnur mitziehen können.

„Ach du lieber Gott“, fluchte Thure.
„Es ist ein alter, dreckiger und stinkender Teppich. Wer hat denn den da reingeschmissen?“

Thure spielte seine Enttäuschung so echt, dass Emma in glucksendes Lachen ausbrach.
Ihre Zähne blitzen, ihre Augen funkelten und sie klatschte vor Begeisterung in die Hände.

„Los Opa, noch mal“, feuerte sie Thure an, der die vermeintliche Angel in der Hand drehte und mit noch größerem Schwung und unter großem Beifall von Emma wieder in das Wasser warf.

„So Emma, wir müssen nach Hause fahren“, sagte Emmas Mama, die unbemerkt ins Wohnzimmer gekommen war.

„Ich bleib’ bei Opa. Wir müssen noch die Krone finden“, sagte Emma und spornte Thure an.
„Machen wir weiter, Opa.“

Thure musste nun schmunzeln, als er sich an die schönen Momente mit Emma erinnerte und gleich wieder traurig wurde. Es könnte alles so schön sein. Wäre da nur nicht dieser furchtbare Gedanke an den Krieg in der Ukraine.

Schon ein wenig munterer befeuchtete Thure weiter seine Lippen und die Augen mit ein paar Spritzern Wassern.

‚Warum stand er so früh auf, war es etwa senile Bettflucht?‘, schoss es ihm durch den Kopf, als er sein zerknittertes Gesicht im Spiegel betrachtete.

Nein, das war es wohl nicht. Er fühlte sich von etwas Unsichtbarem getrieben, etwas, das ihn sein ganzes Leben in Trab gehalten hatte – der ungläubige Wille, noch etwas Sinnvolles zu schaffen.

„Ich muss um vier Uhr aufstehen, sonst schaffe ich mein Pensum nicht“, sagte er zu seiner Frau, die nur die Augen verdrehte.

„Du bist Rentner“, versuchte sie ihn auf den Boden der Tatsachen zu holen, aber davon wollte Thure nichts wissen, und so prallten die Worte an ihm ab.

Thure machte Sport. Fast jeden Tag lief er früh durchs Dorf, genau dann, wenn die anderen Bewohner noch schliefen und nicht sehen konnten, wenn er seine Stöcke in den Boden rammte und dabei schnaufte, als würde er eine Lokomotive hinter sich her schleifen.

Morgens war es für ihn am schönsten. Er konnte in die Wiesen schauen, auf denen noch der Nebel lag und nur langsam aufstieg, und er lief an den Häusern vorbei, in denen nur selten bereits Licht brannte.

Thure liebte sein Dorf und manchmal hasste er es auch, obwohl er nun schon fast dreißig Jahre dort wohnte.

Es war so ein Gefühl, dass er nicht wirklich dazugehörte, sich woanders hinsehnte, nach Schwerin zum Beispiel oder nach Rügen, seine geliebte Insel.

Aber nun war er in Brandenburg, wurde dort wahrscheinlich begraben und die Dorfbewohner würden auf der Beerdigungsfeier wahrscheinlich sagen, dass er eigentlich gar nicht von hier war, ein Fremder eben.

THURE AUS SCHEBSAND

ALLTÄGLICHES-PUR UND PROMPT

ALLTÄGLICHES

ALLTÄGLICHES-22.03.30

NORDIC WALKING UM FÜNF UHR SOMMERZEIT ODER STOLPERN IM DUNKELN

Ich habe ein paar Tage mit dem Laufen ausgesetzt.
Am Montag, ja da wollte ich wieder anfangen, aber ich hatte abends zu lange vor dem Fernseher gesessen, eigentlich schon gelegen – vor dem kleineren Apparat, auf der Ersatzbank eben, im Schlafzimmer.

Also hatte ich keine Lust, am nächsten Tag gegen vier Uhr aufzustehen und loszulaufen.

Aber am Dienstag, ja da war ich bereit für den Start in das dunkle Dickicht am Liepnitzsee.

Als ich auf dem Parkplatz angekommen war, konnte ich kaum etwas erkennen.

Ich stülpte mir die Lampe fürs Laufen über den Kopf, schnallte meine Stöcke um und lief todesmutig los. In der Ferne schrie ununterbrochen eine Eule.

Oder war das vielleicht doch ein ‚verkappter Wolf’?
Naja, wer weiß das schon, morgens im dunklen Wald. Wenn es rings herum um dich duster ist und du den Lichtkegel auf den Boden richtest, damit du nicht über eine Wurzel stolperst.

Dann kriegst du schon mal Angst. Ich jedenfalls war auf alles gefasst.
Aber würden die Wölfe sich einen fetten Happen, wie ich einer war, entgehen lassen?

Ich musste der Wahrheit ins Auge blicken- höchstwahrscheinlich nicht.

Im Ernstfall hatte ich ja meine Stöcke.
Außerdem kannte ich bis jetzt Wölfe nur aus dem Wildpark Schorfheide.

‚Wieso also sollten sie gerade hier auftauchen?‘, versuchte ich mich zu beruhigen.

Ich lief weiter und versuchte die durchdringenden ‚Uhu-Schreie‘ zu ignorieren.

Der Wind strich durch das dürre Geäst der Bäume, das zu beängstigend knarrte.

Ein Stück weiter lag ein Baum vor mir, mitten auf dem Weg.

‚Wieso liegt der hier? Und war ich von der Strecke abgekommen?‘
Vorsichtshalber lief ich ein paar Meter zurück.

Hier irgendwo musste doch das Loch sein, in das ich regelmäßig hineinstolperte und mir fast schon den Knöchel gebrochen hatte.

Dieses Loch war für mich schon vor Jahren ein Fluch. Als ich es jetzt tastend wiederfand und einen der Nordic-Walking-Stöcke hineinstoßen konnte, da erfasste mich so etwas wie ein verhaltenes Glücksgefühl. Ich war nicht vom Weg abgekommen.

Ich suchte eine Möglichkeit, durch das Gestrüpp hindurchzukommen, um den Baumstamm zu umgehen.
Ansonsten hätte ich beim Klettern die Stöcke abschnallen müssen, weil der Stamm zu hoch lag.

Ein Zweig peitschte mir ins Gesicht. Ich hatte ihn nicht auf mich zukommen sehen. Ich war zu sehr damit beschäftigt, den riesigen Baum zu betrachten, der einfach nur so umgeknickt war. In der Mitte schien er durchgebrochen zu sein.

Die Enden hingen noch aneinander, so wie ein Streichholz, das man knickte, aber nicht glatt durchgebrochen bekam.

Ein riesiger Wurzelverbund hing am Ende des Baumes in der Luft, bedeckt von Erde.

‚Was, wenn der Baum gerade dann umgeknickt wäre, wenn ich an der Stelle hätte vorbeilaufen wollen?‘

Umgestürzte Bäume, die Schreckensschreie des Uhus, das Knarren der Bäume – dieser Wald wurde mir unheimlich, zumal ich lediglich seine Umrisse erkennen konnte.

Das Band der Lampe schnürte mir den Kopf zusammen. Ich hatte es wohl etwas zu eng gestellt.

Dann kam der nächste Baum und dann noch einer.
„Wieso waren die alle umgestürzt?“

Ich hasste es, wenn nicht alles an seinem Platz war. Wieder musste ich durch das Gebüsch hindurch, auf Wurzeln treten und Zweige aus dem Gesicht nehmen.

Ich blieb stehen und schaute auf die Uhr. Das war nicht so einfach. Ich hatte noch Handschuhe an, damit die Riemen von den Stöcken nicht so auf den Händen scheuerten.

Ich hob den rechten Stock an, der nun in der Luft hing und versuchte gleichzeitig mit der vom Handschuh eingesperrten Hand die beiden dicken Pulloverenden vorn am Arm zurückzuziehen.

Als ich das geschafft hatte, sah ich nichts und musste den Lichtkegel auf das Ziffernblatt lenken.

„Wie viel Helden gab es eigentlich in der Republik, die kurz nach fünf Uhr Hindernislauf im Wald übten?“, fragte ich mich.
„Nur einen, und zwar dich. Aber du bist kein Held, sondern irgendwie nicht richtig verdrahtet“, würde Klara sagen.

Ich lief weiter und stoppte. War ich noch auf der richtigen Strecke? Wieso führte der Weg jetzt eigentlich in eine Senke?
Und wann wurde es endlich etwas heller?

Ich fluchte auf die Sommerzeit.
Ich lief immer tiefer in einen Waldweg hinein, der mir zunehmend unheimlich wurde.

Plötzlich stand ich auf dem asphaltierten Weg, der direkt zum See hinunterführte.

Jetzt war es klar: Ich hatte mich völlig verlaufen.
Sollte ich zurückgehen, wieder über die vielen Wurzeln stolpern oder auf dem sicheren Weg weiterlaufen und dafür den harten Asphalt in Kauf nehmen?

Ich mochte es nicht, auf diesen befestigten Wegen zu laufen. Und meine Knie schon überhaupt nicht.

Ich bewunderte die Schauspieler in den amerikanischen Filmen, die morgens durch New York joggten, einen Stöpsel im Ohr hatten, an den zur Arbeit hastenden Menschen vorbeiliefen, stets locker und leichtfüßig in der Bewegung.

Anschließend sah man diese Protagonisten meist in einer durchgestylten Küche stehen und sich einen Saft zusammenmixen, mit der neuesten Maschine natürlich.

Damit konnte ich mich nicht messen. Ich stampfte durch den Wald, schnaufte, tastete die Gegend nach bekannten Merkmalen ab und hörte auf mögliche herannahende heulende Wölfe.

Nach einer Stunde hatte ich das Auto wieder auf dem Parkplatz erreicht.

Ich schnallte die Stöcke ab und versuchte die Handschuhe abzustreifen. Die Befestigung für den rechten Walking-Stock rutschte dabei aus der Halterung. Ich blieb stehen und fummelte es an Ort und Stelle wieder ein.

Auf der Rückfahrt bedrängten mich zur Arbeit rasende Autos mit ihren schlecht gelaunten Fahrern am Steuer, während ich den morgendlichen Walking-Tripp wenigstens ruhig ausklingen lassen wollte.

Zuhause angekommen, stieg ich aus dem Auto, setzte mich auf die Bank und hörte den Vögeln zu, die in Scharen in den Bäumen Krach machten.

Ich überlegte, ob ich Krümel per Audio erzählen sollte, dass ich gerade ‚Piepeva‘, den kleinen Spatz, gesehen hatte.

Ich griff zum Handy und macht die App für die Sprachmemos an.
‚Nein Opa, Piepeva ist doch bei mir‘, wird Krümel wahrscheinlich sagen, wenn ihre Mama es ihr später vorspielt.
Jetzt war ich glücklich.

Und Morgen? Ja, da würde alles wieder von vorn beginnen. Ich kannte jetzt wenigstens schon die drei dicken Baumstämme, die auf dem Laufweg herumlungerten.

 

NIETZSCHE ÜBER INTELLEKT UND MORAL

MEIN FREUND, DER ALLTAG

ALLTÄGLICHES-2022.03.30

Man muss nicht alles mögen und teilen, was Friedrich Nietzsche gesagt und geschrieben hat.
Seine Ideen zu lesen und zu kennen allerdings schärft deinen Blick für den Alltag, bringt dich zum Nachdenken über eigene Positionen, Einstellungen und Handlungen. Und das allein ist schon ein Wert an sich. 

 

„Man muss ein gutes Gedächtnis haben, um gegebene Versprechen halten zu können.

Man muss eine starke Kraft der Einbindung haben, um Mitleid haben zu können. So eng ist die Moral an die Güte des Intellekts gebunden.“ (1)

 

 

(1)
Friedrich Nietzsche, Gesammelte Werke, Anaconda Verlag GmbH Köln, ISBN 978-3-86 647-755-1, S.162, (59)

 

12. KW – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

MEIN FREUND, DER ALLTAG

ALLTÄGLICHES-22.03.26

BIBEL IM ALLTAG

DIE BIBEL ÜBER UNÜBERLEGTES REDEN

WENN MEIN FREUND, DER ALLTAG DOCH ANTWORTEN KÖNNTE (1-3)

WENN MEIN FREUND, DER ALLTAG DOCH ANTWORTEN KÖNNTE (4)

 

 

 

 

SCHREIBEN, ERZÄHLEN – DAS IST ZUALLERST HANDWERK

THURE – SCHREIBSKIZZEN (3)

WENN MEIN FREUND, DER ALLTAG DOCH ANTWORTEN KÖNNTE (1-3)

MEIN FREUND, DER ALLTAG

ALLTÄGLICHES-22.03.22

WENN MEIN FREUND, DER ALLTAG ANTWORTEN KÖNNTE (1)

WENN MEIN FREUND, DER ALLTAG ANTWORTEN KÖNNTE (2)

WENN MEIN FREUND, DER ALLTAG ANTWORTEN KÖNNTE (3)

 

THURE – SCHREIBSKIZZEN (2)

THURE-22.03.18

Ich bin in der Phase, in der ich mir konkreter Gedanken darüber mache, auf welche Art ich ‚Thure aus Schebsand‘ erzählen soll.
Lieber aus der Perspektive des sogenannten ‚Ich-Erzählers‘ oder doch eher aus einer distanzierteren Perspektive, nämlich der des personalen oder auch ‚Er‘-Erzählers?

Ich habe schon meine Frau genervt, eine Meinung bei meiner Tochter eingeholt.

Aber wirklich weiter bin ich nicht gekommen. Außerdem sind jetzt beide von mir extrem genervt.

Aber egal, wie ich mich letztlich entscheide, es muss emotional sein, die Details müssen stimmen und vor allem muss ich mit meiner ‚Schreibstimme‘ zum Leser durchdringen.

Wird mir das gelingen?
Ich bin mir nicht sicher.
Was kann ich tun?

Naja versuchen, dass durch die Zeilen mein „Ich“ durchdringt.
Was ist wichtig in diesem Zusammenhang?

Es geht nicht darum, dass der Mensch Uwe Müller zu 100 Prozent mit dem Erzähler übereinstimme.

Der Mensch Uwe Müller hat seine Schwächen und Stärken im Alltag.
Manchmal habe ich zum Beispiel keine Lust, etwas aufs Papier zu bringen.

Ich habe ‚einfach keinen Bock‘ an bestimmten Tagen.
Als Erzähler hingegen bin ich quasi in einer vorteilhafteren Position.

Der personale Erzähler Uwe Müller blendet vieles aus, hebt anderes wieder hervor, erfindet Situationen hinzu, denkt über die Handlungsweisen von fiktionalen Figuren nach.

Wem gebe ich nun den Vorrang – dem ‚Ich-Erzähler` oder dem personalen ‚Er-Erzähler‘?

Zunächst zum ‚Ich-Erzähler‘:

Diese Erzählperspektive ermöglicht mir eine besondere Nähe zum Thema, zu dem, was in der Geschichte geschieht.
Ich bin sozusagen in doppelter Mission unterwegs: Zum einen bin ich der, der etwas erlebt hat und andererseits erzähle ich in Personalunion das Erlebte.

Der ‚Ich-Erzähler ist die Figur, die auch selber spricht.
Das ist natürlich sehr persönlich und eignet sich gut, um den Leser an der Geschichte und der erzählenden Geschichte besonders nahe dran zu sein.

Ein Beispiel für eine Einführung bei ‚Thure‘
„Der Tag verhieß nichts Gutes. Regentropfen trommelten ans Fenster, auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses bogen sich die Kiefern und Tannen vom Sturm, der schon die ganze Nacht tobte.

Ich war schon ein paar Tage nicht mehr vor die Tür gegangen und mir fehlte der Spaziergang, besser das Nordic Walking an der frischen Luft.

Ich lebte nun schon über zweieinhalb Jahrzehnte in Schebsand und fühlte mich manchmal immer noch fremd, wenn ich durch das Dorf lief, vorbei am Dorfteich und an der Kirche…“

Es gibt Grenzen für diese Erzählweise: Der Blickwinkel ist stark eingeschränkt. Der ‚Ich-Erzähler‘ kann sich nicht in andere Figuren hineinversetzen. Außerdem kann ich nicht aus dieser Erzählperspektive heraus größere Zusammenhänge schildern, Ereignisse analysieren. Ich kann also nur wissen, was um mich herum unmittelbar passiert.

In die Köpfe der anderen kann ich schlecht hineinschauen, es sei denn, ich würde unglaubwürdig beim Erzählen.

Anders bei der ‚Er-Perspektive‘:

In diesem Fall kann ich ein Ereignis sowohl von innen her schildern und gleichzeitig auch von außen auf das Geschehen schauen.

Es bleibt trotzdem persönlich, denn ich kann ja in die Köpfe der Hauptfiguren ‚hineinschauen‘, wie zum Beispiel bei Thure. Ich habe also den Vorzug, den ich ebenfalls beim Erzählen aus ‚Ich-Perspektive‘ nutze und zusätzlich gewinne ich einen gewissen Abstand als Außenstehender.

Ich arbeite hier also auch vielmehr mit den Mitteln des Dialogs und der direkten Rede.

Dadurch schaffe ich es die Realität mit den inneren Gedankenvorgängen der Figur zu verbinden.

Ich entscheide mich für den personalen ‚Er-Erzähler‘, weil ich vor allem die Hauptfigur Thure von außen charakterisieren kann und gleichzeitig in ihre Gedankenwelt eintauche.

Zum Abschluss das erste Beispiel aus der Perspektive des personalen ‚Er-Erzählers‘:

„Der Tag verhieß nichts Gutes. Regentropfen trommelten ans Fenster, auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses bogen sich die Kiefern und Tannen vom Sturm, der schon die ganze Nacht tobte.

Thure war schon ein paar Tage nicht mehr vor die Tür gegangen und ihm fehlte der Spaziergang, besser das Nordic Walking an der frischen Luft.

Er lebte nun schon über zweieinhalb Jahrzehnte in Schebsand und fühlte sich manchmal immer noch fremd, wenn er durch das Dorf lief, vorbei am Dorfteich und an der Kirche…“

 

 

WENN MEIN FREUND, DER ALLTAG ANTWORTEN KÖNNTE (3)

MEIN FREUND, DER ALLTAG

ALLTÄGLICHES-2022.03.17

„Guten Morgen, Alltag, heute melde ich mich mal bei dir zuerst und erzähle, wie es in Buch gelaufen ist.“
„Warum denkst du, dass es mich interessieren könnte, was du dort erlebt hast?“, fragte mich der Alltag.
„Naja, weil es Stück von dir ist, vom Alltag eben – nichts Sensationelles, Aufregendes, eher Alltägliches“, antwortete ich.
„Gut, dann erzähl mal“, sagte der Alltag. Er schien wirklich nicht sonderlich interessiert zu sein.
Und trotzdem: Ich begann, ihm meine Beobachtungen und Erlebnisse zu erzählen.
Ich nannte meinen Erlebnisbericht den

‚AUSFLUG INS KLINIKUM NACH BUCH‘

Ich hasste diesen Tag. Ich musste nach Buch fahren, um ein Belastungs-EKG zu absolvieren. Lieber würde ich am Schreibtisch sitzen. Selbst die Korrektur einer Augenoptik-Broschüre kam mir in diesem Augenblick als etwas sehr Erstrebenswertes vor, wenn ich mich dadurch vor dem Untersuchungstermin drücken konnte.

Ich kam in Buch an und fuhr problemlos ins Parkhaus.
Ich nahm die schwarze Tasche aus dem Auto und strebte dem Ausgang zu.

Das Parkhaus hatte einen Fahrstuhl.
Obwohl ich auf der zweiten Parkebene war, wollte ich nicht die Treppen laufen.

Warum sollte ich laufen, wenn ich bequem runterfahren konnte?
Der Fahrstuhl kam schnell, die Tür ging auf und ich begab mich ins Innere.

Obwohl das Parkhaus noch nicht einmal drei Jahre alt war, alles noch neu schien, machte der Fahrstuhl einen sehr dreckigen Eindruck. Der Spiegel war an mehreren Stellen mit spitzen Gegenständen bearbeitet worden.

An die Wände war weiße Farbe geschmiert worden. Auf dem Fussboden lag verkohltes Papier und unter meinen Füssen knirschte das Glas einer zertrümmerten Bierflasche.

Ich war froh, als ich unten angekommen war.
Ich musste über einen weiteren grossen Parkplatz laufen, um zum Hauptgebäude zu gelangen. Der Wind blies mir ins Gesicht und ich machte im Gehen den Mantel zu.

Als ich vor der Drehtür des Klinikums am Eingang stand, da wartete ich, bis die offene Seite der Tür bei mir angekommen war. Ich ließ noch einer Frau, die hinter mir lief, den Vortritt.

Sie dankte es mir, indem sie betont langsam reinging. Ich wäre danach fast nicht mehr reingekommen.
Ich hatte allerdings bereits einen Schritt in das Rondell gemacht, war quasi mit einem Bein im ‚Boot‘ und mit dem anderen noch auf dem ‚Steg‘.

Das Dilemma: Die Frau vor mir ging nun gar nicht mehr weiter und sagte stattdessen mürrisch: „Wir kommen alle an!“
‚Da wolltest du mal ein Gentleman sein und schon geht es schief‘, dachte ich bei mir.

„Wenn Sie weiter stehenbleiben, während sich die Drehtür bewegt, dann werden wir einfach nur kurz ins Foyer geschleift und dann wahrscheinlich wieder in Richtung Ausgang zurückgedrückt“, sagte ich leicht genervt zu ihr.

Ich wollte mich nicht aufregen und nun tat ich es doch. Aber irgendwann stand ich dann doch im Eingangsbereich des Klinikums.
Und schließlich saß ich in der Empfangshalle zur Kardiologie und wartete, bis meine Nummer aufgerufen wurde.

An der Leuchttafel erschien die 102. Auf meinem Ticket stand die Zahl 106.
Es konnte also nicht mehr so lange dauern. Ich schaute mich um.
Der Raum, in dem ich sass, war hell.

Das Dach war gewölbt und aus Glas, durch das die Sonne gleisste.
Ob es hier im Sommer warm wurde und man es dann nicht aushalten konnte?

Ich wollte es nicht ausprobieren, aber ich fürchtete, dass ich nicht das letzte Mal zur Untersuchung im Klinikum war.
Die Schwester am Tresen war freundlich.

„Gehen Sie einfach geradeaus, nehmen Sie Platz, Sie werden aufgerufen“, sagte sie zu mir.

‚Ergometrie‘ stand an der Tür auf einem Schild, vor dem ich wartete.
Ich war irgendwie froh, dass ich meine Beschäftigung hatte. Ich saß auf einem Holzstuhl und schrieb auf meinem iPhone.

Besser, ich tippte mit meinen beiden Daumen auf die Buchstaben der Tastatur und wenn ich Glück hatte, dann traf ich den richtigen von ihnen.

Meine Daumen waren zu dick, sodass ich manchmal den Buchstaben rechts oder links erwischte und nicht den, den ich eigentlich treffen wollte.

Aber ich hatte mich schon recht gut eingefuchst
Ich tippte lediglich mit den Spitzen der Daumen auf die Zeichen und so blieb die Fehlerquote niedrig.

Ich hatte meine Tasche neben mir abgestellt, die Beine weit ausgestreckt und unten die Füsse übereinander gelegt. Auf meinem Bauch lag die schmale Seite des Handys, sodass ich das Gewicht des Handys nicht wo spürte und ich eine stabile Position beim Schreiben innehatte.

Die Tür zur Praxis ging auf und im Türrahmen stand eine Schwester, die mir Angst einflösste.

„Herr Müller“, hörte ich meinen Namen von ihr rufen. Ich blickte mich um, vielleicht war ja noch ein zweiter Müller im Warteraum, so unwahrscheinlich war das ja nicht, bei meinem Nachnamen. Aber es rührte sich keiner von denen, die auf den weiteren Stühlen Platz genommen hatten.

Alle waren wohl mit sich beschäftigt und warteten nur darauf, dass ihr Name aufgerufen wurde.
Ich ging in das Zimmer.

„Guten Tag“, sagte ich freundlich und mit einem beklemmenden Gefühl in der Brust.

„Sie können dort ihre Sachen hinlegen“, sagte die Schwester, ohne meinen Gruß zu erwidern.

Ich machte den Oberkörper frei, bis auf ein T-Shirt, dass ich extra unter den Pullover gezogen hatte, um nicht nackt dazustehen.
„Das Hemd müssen Sie auch ausziehen“, schnarrte die Schwester im Befehlston.

Ich war nicht begeistert. Mein Plan war nicht aufgegangen und abgenommen hatte ich auch nicht genügend.
„Sie haben ja täglich das Grauen vor Augen“, versuchte ich zu scherzen.
„Dann können Sie nicht in einem medizinischen Beruf arbeiten“, sagte sie, ohne sich umzudrehen.
Ich stand mit nacktem Oberkörper vor ihr und fühlte mich, als würde ich gleich auf den elektrischen Stuhl geführt werden.
„Setzen Sie sich auf das Fahrrad“, sagte sie.

Ich versuchte das Bein über die Stange in der Mitte zu heben und suchte nach einer Möglichkeit, mich abzustützen.
„Nicht auf das Messgerät fassen“, sagte die Schwester im belehrenden Ton.

„Ich bin nicht senil“, knurrte ich zurück.
Ich merkte, wie so langsam kalte Wut in mir aufstieg.
Die nächsten Minuten verliefen schweigend. Die Schwester schloss mich an eine Reihe von Drähten an.

„Jetzt fangen Sie an, in die Pedalen zu treten und alle zwei Minuten werde ich die Belastung steigern.“

Ich nickte und begann meine Beine zu bewegen, immer im Kreis und ohne, dass ich vorwärtskam.
Obwohl ich die Schutzmaske aufbehalten musste, lief es besser, als ich es selbst erwartet hätte.

„Das sieht ja gar nicht so schlecht aus“, sagte die Schwester nachdem ich aufgehört hatte.

„Muss ich sterben?“, fragte ich.
„Ja, aber nicht sofort“, antwortete sie trocken.
Ich hatte irgendwie den Eindruck, dass sie lockerer wurde.

„Sie haben promoviert?“, fragte sie nun.

„Ja, sagte ich“, aber das ist nicht mehr wichtig“, antwortete ich.
„Was ist Ihnen wichtig?“, fragte sie mich.

„Dem Alltag ein bisschen Freude abgewinnen.“
„Das ist leichter gesagt, als sie es hier umsetzen können“, sagte die Schwester.

Ich staunte, dass sie sich überhaupt auf einen Dialog mit mir einließ.
„Wissen Sie, Sie werden ja nicht den ganzen Tag vor Glück umherspringen müssen, aber Sie hätten schon Grund, um ein wenig glücklich zu sein.“

„Wie soll das gehen?“, fragte sie mich misstrauisch.
Ich hätte jetzt antworten können, dass ich nicht ihr Seelentröster bin, kein Coach und auch nicht ihr Clown, der für ihre gute Laune zu sorgen hatte.

Laut sagte ich etwas Anderes:
„Sie haben einen tollen Beruf. Sie helfen Menschen. Und ganz wichtig: Sie können mit den Patienten kommunizieren, Sie ermuntern, einfach für sie da sein.“

„Hm“, sagte sie und schaute mich ungläubig an.
„Es kostet ein wenig Kraft und Überwindung. Doch wenn Sie es schaffen, am Tag auch nur eine Sache gut zu finden, dann haben Sie gewonnen.

Sie schauen aus einem Fenster in einen Park hinein, sie arbeiten ganz allein in diesem Zimmer, sind sozusagen der ‚Kapitän‘ auf Ihrem Boot und sie lernen die unterschiedlichsten Menschen kennen“, schob ich noch hinterher.“

Jetzt war ein flüchtiges Lächeln auf Ihrem Gesicht zu sehen.
„Ich wünsche Ihnen noch einen wirklich schönen Tag“, sagte sie zu mir, als ich aus dem Zimmer ging.

‚Das hast du aber gut hingekriegt‘, flüsterte der Alltag mir ins Ohr.
‚Ich hab‘ dich auch lieb‘, brummte ich.

WENN MEIN FREUND, DER ALLTAG ANTWORTEN KÖNNTE (2)

MEIN FREUND, DER ALLTAG

ALLTÄGLICHES-2022.03.16

„Guten Morgen, mein Freund“, riss mich der Alltag aus meinen Gedanken.
„Hm.“
„Schlecht gelaunt?“
„Nein, nur keine Lust zu sprechen, Alltag.“

„Das Wetter ist schön, der Tag beginnt herrlich und du bist schlecht gelaunt?“
„Alltag, du kannst nerven!“
„Warum?“

„Weil ich aufwache und denke: ‚Warum kannst du dich nicht freuen?“
„Und warum kannst du dich nicht freuen?“
„Alltag, du lässt aber auch nicht locker.“

„Warum auch?“, blieb mir der Alltag auf den Fersen.
„Also gut, weil ich gleich wieder an den Krieg in der Ukraine denken musste. Aber ich habe ja versucht, mich abzulenken.“

„Und, wie hast du das gemacht?“
„Ich habe an meinen Termin heute in Buch gedacht.“
„Wie ging es dir bei diesem Gedanken?“
„Noch schlechter.“

„Warum?“
„Weil ich im Klinikum aufs Fahrrad steige, verdrahtet werde und strampeln muss.“
„Was ist schlimm daran?“, fragte der Alltag verwundert.

„Naja, weil ich wieder ein Kilo zugenommen habe.“
„Aber das ist doch nicht so schlimm“, versuchte der Alltag mich zu beruhigen.

„Doch, ist es. Vor allem schmeißt mein schlechtes Gewissen in solchen Situationen Sätze raus, wie:
‚Eigentlich treibe ich viel Sport, aber gegenwärtig haben mich die Ereignisse in der Ukraine aus der Bahn geworfen.“

Der Alltag wartete mit seiner Antwort, was schon nichts Gutes bedeutete.
Schließlich räusperte er sich und sagte mit leicht ironischer Stimme:
„Weißt du, wenn du schon den Satz mit ‚eigentlich‘ beginnst, dann hast du bereits zweimal gelogen.“

„Alltag, ich verbitte mir diese Unterstellung!“
„Oh, wir werden vornehm und unser Gewissen sendet Bestätigungssignale und deshalb werden wir leicht bockig“, amüsierte sich der Alltag.

„Nein, Alltag, aber ich war doch ehrlich zu dir.“
„Warst du nicht!“
„Wieso?“

„Als du ‚eigentlich‘ sagtest, da meintest du tatsächlich: ‚Mist, ich wollte doch schon länger wieder mit dem Sport angefangen haben, aber es kam was dazwischen.“

„Hm, da ist was dran, Alltag. Und die zweite Lüge?“
Die tischt du der Krankenschwester auf, die dich vor deinem ‚Fahrrad-Trip‘ verdrahtet.

Sie wird dich anschauen, nichts sagen und du denkst: ‚Oh Gott, was die wohl denkt?

‚Ist der dick‘ oder so ähnlich.
Und du wirst vorauseilend haspeln: ‚In letzter Zeit hapert es mit dem Sport und dem Abnehmen, aber bald, ja bald geht es wieder los.“

„Meinst du wirklich? Und was glaubst du, Alltag, was die Krankenschwester darauf sagt?“

Sie wird wahrscheinlich lächeln und das denken, was sie immer in solchen Momenten denkt.“

„Sag‘ schon, Alltag, was denkt sie in solchen Momenten?“
„Sie denkt: ‚Ja, mein Dicker, das alles haben wir vor dir schon von vielen Patienten gehört und nach dir werden noch viele Schwätzer kommen, die das gleiche sagen.“

„Meinst du wirklich? Alltag, was soll ich machen?“, fragte ich verzweifelt.
„Halt einfach deine Klappe, trete stattdessen in die Pedalen, stöhne nicht, jammere nicht, sei einfach ein Alltagsheld!“

„Ein Held, auch noch dein Held, Alltag?“
„Ja, nimm‘ den Tag wie er ist, versuch‘, dich an etwas zu erfreuen.“

„Na gut, Alltag, ich sehe schon, du lässt mich mal wieder allein mit meinen Ängsten.

Ich geh‘ mal rüber und wecke Klara. Ich finde, die könnte jetzt mal aufstehen und Frühstück machen.“

„Der lernt es nicht mehr“, seufzte der Alltag.
„Hast du was gesagt?“
„Nö.“

 

DIE BIBEL ÜBER ERWORBENE KLUGHEIT, DIE VOR FEHLERN BEWAHRT

BIBEL

ALLTÄGLICHES-22.03.14

„Wer Klugheit erwirbt, liebt sein Leben; und der Verständige findet Gutes.“

SALOMOS SPRÜCHE – 19,8

 

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07. KALENDERWOCHE – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

MEIN FREUND, DER ALLTAG

MEIN FREUND, DER ALLTAG-2022.02.18

BIBEL IM ALLTAG

BIBEL-2022.02.14

WISSEN ERLANGST DU VOR ALLEM DURCH SELBSTDISZIPLIN

ALLTÄGLICHES-2022.02.15

CORONA – WIR DACHTEN, UNS ERWISCHT ES NICHT MEHR

 MENSCHEN IM ALLTAG-2022.02.16

PATRICK BOLANZ – MACHER, TRÄUMER, MOTIVATOR, TEAMPLAYER

SCHREIB-ALLTAG-2022.02.17

 

SCHREIBEN LÄSST DICH DEN DEINEN ALLTAG ALS DEN GRÖSSTEN ABENTEUERSPIELPLATZ SEHEN

ANNA IST DEMENT

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SCHREIB-ALLTAG

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CORONA – WIR DACHTEN, UNS ERWISCHT ES NICHT MEHR

ALLTÄGLICHES-2022.02.15

Nichts deutete daraufhin, dass wir uns noch infizieren würden.
Klara war zweimal geimpft und geboostert und ich auch.
Und doch traf es uns unvorbereitet, so fühlte es sich für uns jedenfalls an.

Ich arbeitete die meiste Zeit im Homeoffice, hielt mich an die gängigen Hygiene- und Abstandsregeln, fuhr nur früh morgens ins Fitness-Center – also dann, wenn es dort noch fast leer war.

Es fing harmlos zu Beginn der letzten Woche an. Klara klagte über Kopfschmerzen, fühlte sich allgemein nicht gut und kam mir sehr unmotiviert vor.

Ich kam noch nicht mal auf die Idee, ihr ein bisschen mehr im Haushalt zu helfen, als ich es ohnehin tat.

„Ich mach‘ heute einen Corona-Test“, sagte Klara einen Tag später.
Der Test war positiv.

Am nächsten Tag versuchte sie, in der Hausarztpraxis einen professionellen PCR-Test zu bekommen.

„Wir haben hier nur Notpatienten“, versuchte die Schwester sie unwirsch abzufertigen.

„Ich bin ein Notfall“, sagte Klara.
Sie war vorher bereits in einer anderen Arztpraxis gewesen war abgewiesen worden.

„Wir testen nur unsere eigenen Patienten“, hatte ihr die Schwester gesagt.

Diesmal blieb Klara standhaft und wurde hineingelassen.
Sie musste durch eine Schleuse und fand sich in einem Zelt wieder.
Nach einer geraumen Wartezeit kam die Ärztin und führte den PCR-Test durch.

„Positiv“, wie sich einen Tag später herausstellte.
„Jetzt lässt du dich auch testen“, sagte Klara zu mir.

„Ich brauch‘ das nicht“, sagte ich zu ihr.
„Ich sperr‘ dich für die Zeit, wo du infiziert bist, in den Keller“, ergänzte ich noch scherzhaft ihr gegenüber.

Am nächsten Tag begannen bei mir die Kopfschmerzen, ich bekam Husten und hatte Mühe die Treppen im Haus hochzugehen.

„Jetzt machst du aber den Test“, sagte Klara so entschieden zu mir, dass ich mich nicht wehren konnte, ich mich es zumindest nicht traute.

Es waren sofort zwei dicke Streifen zu sehen. Nachdem ich Gewissheit hatte, ging es mir noch schlechter und ich wollte mich ins Bett legen, um zu sterben.

„Sei kein Waschlappen“, schimpfte Klara.
„Ich denke, du bist mal Marineoffizier gewesen!“
„Ja schon, aber jetzt will ich nur noch zu meiner Mama“, jammerte ich.

Dabei lebte meine Mama gar nicht mehr und ich hätte mich auch ganz bestimmt nicht an sie gewandt.

Ich wusste nicht, was das mit mir war.
Im Land Brandenburg galten inzwischen andere Regeln. Ich brauchte keinen PCR-Test mehr, sondern nur noch einen professionellen Schnelltest.

Also machte ich mich auf die Suche nach einer Teststation.
Ich wollte auf keinen Fall irgendwo zitternd draußen stehen und in einer Schlange warten, bis ich dran war.

Ich fand eine Teststation, tief im Land Brandenburg, fast an der Grenze zur Uckermark.

In der Tabelle, die ich im Computer gefunden hatte, stand eine Handy-Nummer.

Ich rief an und fragte, ob ich einen Termin machen könnte.
„Kommen Sie am besten heute noch“, sagte die Frau am anderen Ende.
Sie klang freundlich.

Ich zögerte, denn ich konnte mir nicht vorstellen, noch knapp 100 Kilometer Hin- und Rückfahrt auf mich zu nehmen, bevor ich den Test hinter mir hatte und wieder im Bett lag.

Ich machte es trotzdem, setzte mich ins Auto und fuhr über die Dörfer.

Mich packte unterwegs der Schüttelfrost und es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren.

Schließlich hatte ich es geschafft. Ich stieg aus dem Auto, stolperte über eine Wiese und stand schließlich in einem Wohnwagen, in dem es gemütlich war.

Die Frau, mit der ich bereits am Telefon gesprochen hatte, war freundlich, agierte professionell und schnell.

Der Test war eindeutig: ‚Sie sind mit hoher Wahrscheinlichkeit mit SARS-CoV-2 Virus infiziert‘, stand auf dem Zettel.

Nun hatte ich es amtlich bestätigt bekommen.
Die Tage darauf waren für mich schrecklich. Während es Klara zusehend besser ging, fühlte ich mich schlapp, meine Glieder schmerzten und ich bewegte mich wie ein leidender alter Mann durchs Haus.

Wir haben die Zeit gemeinsam überstanden und waren doch froh, dass wir uns hatten impfen lassen.

‚Ich möchte mir gar nicht ausmalen, an Schläuchen zu liegen, künstlich beatmet zu werden und auch vom Gewicht her eine echte Last für das Krankenhaus zu sein.

Manchmal trifft man eben doch die richtigen Entscheidungen.

 

NORDIC WALKING IN DER MORGENDÄMMERUNG

ALLTÄGLICHES-2022.02.03

WENN DU IM DUNKELN LOSLÄUFST, FREUST DU DICH AUF DAS LICHT, VORAUSGESETZT DU BLEIBST AUF DEINEM WEG

Es war noch sehr dunkel, als ich eine Viertelstunde vor sieben Uhr die Nordic-Walking – Stöcke auf dem Parkplatz vor dem Liepnitzsee umschnallte und loslief.

Die Augen gewöhnten sich allmählich daran, den Weg und die Bäume wenigstens in den Umrissen zu
erkennen.

Ich kam an eine Weggabelung. ‚Musste ich hier nicht nach rechts abbiegen?‘, fragte ich mich und versuchte die schemenhaften Umrisse, die mich umgaben, zu durchdringen.

Egal, ich entschied mich dafür, in den rechts liegenden Weg abzubiegen.

Ich lief und mich überkam ein komisches Gefühl. Es wurde immer undurchsichtiger, dunkler.

‚War ich hier richtig?‘
Ich kehrte um und strebte der vermeintlich richtigen Strecke entgegen.

Endlich, ich war wieder auf dem Hauptweg und lief einfach weiter, in der Hoffnung, dass es richtig war.
Ich war in meinem Leben schon so oft falsch abgebogen, jetzt konnte ich doch auch mal Glück haben.
Ich hatte Glück und sah vor mir einen helleren Streifen am Horizont. Das musste vom See kommen.

Ich stapfte erleichtert weiter, erreichte den befestigten schmalen Laufsteg und ging darüber hinweg.

Jetzt war der Berg vor mir. Ich nahm ihn in Angriff, als hätte mir jemand befohlen, den Gipfel zu erklimmen und den Feind dort oben zu vertreiben.
Ich schaffte es mit letzter Kraft und atmete so laut aus, dass es sich nach Jammern und Hilfeschreien zugleich anhörte.

Gott sei Dank, es war keiner da, der mich hörte.
Nun ging es wieder abwärts und ich schleppte mich langsam den Weg zum See hinunter.

Als ich wieder unten war, entdeckte ich auf dem Wasser einen Schwan, der interessiert auf mich zu geschwommen kam. Ich hielt an, schnallte meine Stöcke ab und fotografierte ihn.

Der Schwan drehte enttäuscht ab. Er hatte wohl auf Futter gehofft.
Ich schnallte die Stöcke wieder um und lief zurück, nun mit hohem Tempo.

Nach einer weiteren halben Stunde hatte ich es geschafft.
Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: Ich war über eine Stunde gelaufen, hatte Sauerstoff eingesogen und eine für mich scheinbar ‚feindliche‘ Anhöhe erstürmt und war am Leben geblieben.

Ich erreichte das Auto und traf auf eine Frau, die mit ihrem Hund auf jemanden zu warten
schien.

„Sind Sie im Dunkeln gelaufen?“, fragte sie mich.

„Ja, ich bin mehr gestolpert, als dass ich gelaufen bin“, sagte ich.
„Passen Sie auf, hier sind viele Wildschweine“, ermahnte sie mich.
„Ich seh‘ ja selber aus, wie ein dicker Eber“, konterte ich.

Wir lachten, wünschten uns noch gegenseitig einen schönen Tag, wobei ich fand, ich hätte dabei das größere Glück. Schließlich hatte ich ja schon den schwersten Teil hinter mir.

Klara wartete mit dem Frühstück und der Schreibtisch mit Arbeit auf mich.

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https://uwemuellererzaehlt.de/mein-freund-der-alltag/

WEIHNACHTEN WAR ALLES NOCH VIEL SCHÖNER

ANNA IST DEMENT (91)

 

ZWEI IM HOMEOFFICE – UNGEWOHNT

06.00 Uhr, meine Frau sitzt am Schreibtisch und ich auch, nur eben eine Tür weiter. Das ist neu für mich, ungewohnt, spannend, abschreckend und anziehend zugleich.

Ich fühle mich beobachtet, habe erst einmal die Tür zu meinem Arbeitszimmer zugemacht.

„Warum machst du die Tür zu?“, ruft Klara herüber.
„Darum!“, will ich antworten.

Stattdessen sage ich: „Ich mach‘ das Fenster auf. Ich brauch‘ frische Luft, damit ich wach werde.“

Manchmal stehe ich einfach auf, wenn ich allein bin, laufe die Treppen runter, ins Wohnzimmer und schalte den Fernseher an.

„Ich muss doch sehen, wie es um die Wahl in den USA steht“, rechtfertige ich mich dann im Stillen.

Oft habe ich aber auch was im Computer oder auf dem iPad gelesen.
Zum Beispiel, dass die Wagenknecht für Trump ist.

Stimmt das? Das muss ich nachprüfen, also die Talkshow in der Mediathek suchen und anschalten.

Kann ich das jetzt tun? Natürlich nicht.
Ich müsste es ansonsten wortreich erklären.
Und dann kämen sie wieder, die Sprüche.

„Jetzt ist mir alles klar, dass du so wenig an Umsatz reinholst.“
Oder: „Du redest zwar, was du wieder verkauft hast, aber in Wirklichkeit sitzt du vor dem Fernseher. Da kann nichts werden!“, höre ich sie rufen.

Ich muss jetzt mal für kleine Jungs.
Muss ich mich abmelden?

Nö, ich gehe in Richtung Gäste-WC und kann dann ja mal kurz ins Wohnzimmer abbiegen.

Und wenn Klara ruft, wo ich bin, dann antworte ich einfach nicht. Das wäre ja noch schöner.