Alle Beiträge von Uwe Müller

Dipl.-Ing. (FH), Dr. rer. pol.; Autor

DEN MOMENT DES ALLTAGS GENIESSEN

ALLTÄGLICHES-2021.09.15
In den Tagen, als wir die Wohnung von Klaras Mutter ausräumten, überlegten, was mit soll in das Heim und was letztlich zurückbleibt, entsorgt werden muss, da wurde mir eines klar:

Das, was hier passiert, das kann auch dir passieren. Auch du kannst an Demenz erkranken und nicht mehr fähig sein, deinen Alltag allein und selbstständig zu bewältigen.

Wenn du in einer halb ausgeräumten Wohnung sitzt, in den Dokumenten blätterst, Fotoalben aufschlägst, dann zieht an deinem Auge unwillkürlich dein eigenes Leben vorbei.

Du stellst dir die Frage, ob du mit deinem Alltag zufrieden bist, was dein eigenes Leben eigentlich ausmacht.

Und schnell wird dir klar, dass es in der überwiegenden Mehrheit der Erinnerungen die kleinen Dinge sind, die dir im Gedächtnis haften bleiben und die darüber entscheiden, wie du dein eigenes Leben bewertest.

Ist es der 7er BMW, mit dem du so gern gefahren bist?
Vielleicht.

Aber siehst du ein Foto, auf dem dein Kind mit ihrem Großvater zu sehen ist und einen großen geangelten Fisch stolz in die Kamera zeigt, dann ist es eher das, was dir auch noch Jahre später ein Lächeln abringt.

Die wichtigste Schlussfolgerung, die ich für mich ziehe, ist, den Augenblick zu genießen, Lebensfreude in den kleinen Dingen des Alltags entdecken.

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SCHREIBEN ALS HANDWERK SEHEN – ÜBEN, SCHREIBEN, ÜBEN, SCHREIBEN, UND WIEDER VON VORN

SCHREIB-ALLTAG-2021.09.14

SCHREIB-ALLTAG - GEDANKEN UND ERKENNTNISSE: 
Gedanken ordnen, Stoff gliedern und in Form bringen.

Gedanken ordnen, Stoff gliedern und in Form bringen
Ich bin wieder mal für ein paar Tage nicht dazu gekommen, regelmäßig zu schreiben.

Ich merke das sofort, denn es fällt mir schwerer, zum Stift zu greifen oder die Tastatur zur Hand zu nehmen.

Deshalb rufe ich mir das in Erinnerung, was besonders wichtig ist:
Ich muss mich konzentrieren, und zwar auf das Wesentliche.

SCHREIB-ALLTAG

Klar, sagt da jeder, was auch sonst. Aber das eine ist es, das zu denken, etwas völlig anderes, danach zu schreiben.

Also fange ich damit an, die Gedankengänge zu ordnen, den Stoff zu gliedern, mich geistig mit meinem Thema intensiv zu beschäftigen.

Das gilt für meine Sachtexte, die Interviews und auch die fiktionalen Erzählungen, zum Beispiel bei ‚Anna ist dement‘.

So allmählich entwickelt sich daraus dann eine Idee, wo das Ganze eigentlich hinauflaufen soll und vor allem, wie ich es in eine bestimmte Form gieße.

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DIE SPRÜCHE SALOMOS – NOCH IMMER AKTUELL UND ALLTAGSTAUGLICH

ALLTÄGLICHES-2021.09.13

„Ein jeder hat zuerst in seiner Sache Recht; kommt aber der andere zu Wort, so findet sich’s.“
(Die Sprüche Salomos, 18,17)
Bibel

Es ist für mich immer wieder aufs Neue erstaunlich, wieviel Weisheit in der Bibel steckt.

Dabei könntest du denken, dass dies alles zwar einen kulturhistorischen Wert hat, aber mehr nicht.

Das Gegenteil ist der Fall, auch wenn die Formulierungen zunächst altbacken erscheinen.

Der Spruch Salomos, in dem es darum geht, dass erst Rede und Gegenrede dazu führen, sich der Wahrheit zu nähern und herauszufinden, wer eigentlich Recht hat.

Nicht selten liegt ja diese Wahrheit bekanntlich in der Mitte in der Auseinandersetzung mehrerer Diskussionspartner.

Wie oft geht es dir so, dass du dem einen Recht geben willst, wenn der seine Argumente zu einem strittigen Punkt vorgetragen hat.

Und dann hörst du die Gegenseite und findest, dass auch da einiges an Wahrheiten zutage kommt.

Mich erinnert dieser Spruch auch daran, nicht vorschnell von der Richtigkeit der eigenen Meinung überzeugt zu sein.

Du versuchst in so einer Situation überhaupt nicht mehr, auf weitere Argumente zu hören, du willst ja in solch einem Fall gar nicht wissen, ob es nicht doch noch andere Fakten gibt, die deine Sicht ins Wanken geraten lassen.

Wir vergessen eben allzu gern, dass Argumente, Wahrheiten stets subjektiv gebrochen werden, jeder die noch so objektiv erscheinenden Fakten subjektiv wahrnimmt, sie durch seine ‚persönliche Brille‘, sehen will.

Sich dessen bewusst zu sein, nicht vorschnell etwas auf einseitige Meinungen zu geben, dazu regt der Spruch Salomos an.

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IM FITNESS-STUDIO – GEDANKEN UND GEFÜHLE NEBENBEI AUFGESCHRIEBEN

ALLTÄGLICHES-2021.09.10

Wenn ich im JR-Studio im Prenzlauer Berg morgens trainiere, dann schreibe ich auf, was mir durch den Kopf geht, zwischendurch – und das spontan, nur so, um mich später daran zu erinnern; aber auch, damit ich nicht sofort ans nächste Gerät stürzen muss, einfach mehr Zeit zum Luftholen gewinne.
Klar, ich korrigiere am Schreibtisch noch ein wenig, vor allem Schreibfehler, aber mehr nicht. Es bleibt unstrukturiert, im Telegrammstil eben.

06.22 Uhr
Ich sitze auf der Bauchbank und habe erst eine Übung hinter mir.
Mir fehlt die Power. Mich hat gerade ein türkischer Trainingskollege angesprochen.

Ich verstehe ihn schlecht, wenn er spricht, aber mental verstehen wir uns dafür umso besser. Es ist immer schön, wenn dich morgens jemand grüsst, als wenn alle nur vor sich hintrainieren.

Drei Trainingseinheiten habe ich hinter mir: Bizepsmaschine und zweimal Bauchbank- einmal Oberkörper heben und dann die Beine freischwebend fünfzehnmal anheben. Das Ganze jeweils dreimal hintereinander.

Das kostet mich sehr viel Überwindung und tut in der Bauchgegend enorm weh. Das ist wahrscheinlich die Strafe dafür, dass es mit dem Bauch so weit gekommen ist.

Ich habe den Rückenstrecker hinter mir. Die Beine klemme ich dabei hinter zwei Rollen und dann beuge ich mich nach vorn, so weit wie nur möglich. Beim zweiten und dritten Mal nehme ich eine 10 kg Hantel vor die Brust.

Während ich das aufschreibe, geht mir durch den Kopf, was derjenige denkt, der das jetzt liest: ‚Der muss ja wie Schwarzenegger aussehen, so wie der trainiert.“

Naja, ich sehe eher aus wie einer, der nie so aussehen wird wie Schwarzenegger. Aber gut fühlen kannst du dich ja trotzdem danach.

07.31 Uhr
Ich habe neun Trainingseinheiten geschafft. Eine habe ich noch vor mir.

07.50 Uhr
Endlich, ich sitze draußen auf der Bank, vor dem JR-Studio. Es ist warm und ich beobachte Menschen, die zur Arbeit kommen.

Das ist für mich der schönste Moment. Die Quälerei ist vergessen und ich freue mich, dass ich es wieder mal geschafft habe.

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ORTHOPÄDIESCHUHTECHNIK BÜCH

FIRMENPORTRÄT-2021.09.09

Modernes Fachgeschäft + angeschlossene Werkstatt
Firmeninhaberin Ulrike Büch, Orthopädieschuhmachermeisterin seit 2012

Kontakt:
Berliner Straße 52
16321 Bernau
Telefon: 03338-70 57 377
Telefax: 03338-70 57 378
E-Mail: ost-buech@web.de
Homepage: www.ost-buech.de

Öffnungszeiten:
Montag + Dienstag: 09.00-13.00 und 14.00 – 18.00 Uhr
Mittwoch: 09.00-13.00
Donnerstag: 14.00-20.00
Freitag: 09.00-13.00

Der Markenkern:
Individuelle Beratung, eingehende Besprechung der Kundenwünsche, auf den Kunden zugeschnittenen individueller Service.

Die Philosophie von Ulrike Büch: Die eigenen Werte zu 100% leben.
Dabei ist ‚Weniger mehr‘.

Wie sich Ulrike Büch selbst beschreibt: „hilfsbereit, zielstrebig, fleißig, qualitätsbewusst.“

„Dem Kunden ein Lächeln ins Gesicht zaubern“, weil er zufrieden mit unserer Arbeit ist und wir alles gegeben haben – Leidenschaft, Herz, Fachwissen.“

Mehr zum Leistungsportfolio: www.ost-buech.de

Wir suchen dich!
Hast du Lust, zu uns ins Team zu kommen?
Wir sind jung, ein bisschen verrückt und wir arbeiten hart.
Und: Wir haben verdammt viel Spaß an dem, was wir tun, nämlich unsere Kundinnen und Kunden glücklich zu machen.

Was solltest du mitbringen?
Einen Nachweis über eine abgeschlossene Lehre zur Orthopädieschuhmachergesellin, zum Orthopädieschuhmachergesellen.
Oder:
Die Bereitschaft, dich hier von uns vor Ort ausbilden zu lassen.
Wir freuen uns auf dich. Melde dich einfach bei uns – per Telefon oder per E-Mail oder komm‘ einfach vorbei.

Zum Interview mit Ulrike Büch: https://uwemuellererzaehlt.de/2021/09/09/menschen-im-alltag-2021-09-09/

 

INTERVIEW MIT ULRIKE BÜCH

MENSCHEN IM ALLTAG-2021.09.09

Ulrike Büch ist eine junge und sehr ehrgeizige Firmeninhaberin.
Sie liebt ihren Beruf, ja sie legt ihre ganze Leidenschaft dort hinein.
2012 schloss sie ihren Lehrgang zur Orthopädieschuhmachermeisterin als Jahrgangsbeste ab.
Ich habe Ulrike Büch als einen sehr offenen und lebensfrohen, ja humorvollen Menschen kennengelernt.

Sie ist 2016 in einen Burn-out gerutscht und hat sich daraus nicht nur wieder allein herausgekämpft. Nein, sie hat sich als ihre Therapie den Weg in die Selbstständigkeit verschrieben. Ulrike Büch ist eine Kämpferin, sie gibt nicht auf, und sie liebt nicht nur das was sie macht, sie liebt auch die, für die sie es tut, ihre Kunden.

Sie ist manchmal laut und verbirgt dahinter ihre wohl liebenswerteste Seite – ihre Verletzlichkeit.

Das ist das Interview, das ich mit ihr geführt habe.

Frau Büch, was ist Ihre bisher wichtigste Erfahrung, die Sie auf dem Weg in die Selbstständigkeit gemacht haben?
Ich bin heute davon überzeugt, dass man so ziemlich alles erreichen kann, wenn man es nur will.
Mir sind auf meinem Weg oft Menschen begegnet, die mir gesagt haben, dass ich es nicht schaffen werde.

Was war Ihre Reaktion darauf?
Man sagt ja oft ‚geht nicht, gibt’s nicht‘. Für mich war das aber nicht irgendwie ein hingeworfener Spruch, eine Worthülse, sondern ich habe danach gehandelt.

Und gerade, wenn mir Menschen gesagt haben, dass ich es nicht schaffen würde, dann habe ich gedacht: „Ich soll es nicht schaffen? Doch, jetzt erst recht!“
Dabei hatte ich gar nicht mal die besten Startbedingungen ins Leben.

Was meinen Sie damit?
Naja, meine Eltern haben sich getrennt, als ich sechs Jahre alt war. Ich bin quasi mit meiner Mama groß geworden, was ich aber nicht so unbedingt als Nachteil empfunden habe.
Trotzdem war es natürlich nicht leicht für meine Mama, mich und meine Geschwister auch.

Wieviel Geschwister haben Sie?
Meine kleinere Schwester ist anderthalb Jahre jünger und meine große Schwester ist anderthalb Jahre älter.
Ich bin sozusagen als sogenanntes Sandwich-Kind aufgewachsen.

Kamen Sie gut mit Ihren Schwestern aus?
Natürlich gab es viel Streit unter uns, aber zum Schluss haben wir uns auch immer wieder untereinander vertragen.

Wie war Ihr beruflicher Werdegang?
Ich bin von 1993 bis 1999 in die Grundschule in Grüntal gegangen und war dort Klassenbeste.

Ich war auch Klassensprecherin, weil ich gern alle unterhielt.
Das mache ich heute noch gern, nämlich Vorträge halten, nur habe ich dafür leider viel zu wenig Zeit.

Nach der Grundschule bin ich auf das Paulus Praetorius Gymnasium gegangen, ebenfalls in Bernau.
Da habe ich mich nicht wohlgefühlt.

Woran lag das?
Irgendwie gehörte ich dort nicht hin. Ich war ein sehr quirliger Mensch, lebensfroh und offen.

Aber ich hatte den Eindruck, dass ich da nicht hinpasste, weil mir zu viele umherliefen, die sich als Mitläufer begriffen haben.

Die haben alle gedacht, sie seien etwas Besseres. Ich hingegen bin dort schon mit meinen kurzen Haaren, drei Millimeter, aufgefallen.
Und letztlich mochte ich es nicht, dass mir vorgeschrieben wurde, was ich zu tun hätte.

Das ging bei mir gar nicht. Ich kann selber entscheiden, was ich mit meinem Leben machen will.

Klar, Schule ist Pflicht. Es ist ja auch nicht so, dass ich nicht regelmäßig dort hingegangen bin.

Und trotzdem, ich habe zum Beispiel die 9. Klasse noch einmal freiwillig wiederholt, weil ich in dieser Zeit meine „Sturm und Drang Phase“ hatte.

Kurzum, ich wollte kein Abitur machen, ich wollte einfach ins Handwerk.

Was haben Sie denn in der Schule gesagt?
Ganz einfach, ich habe gesagt, dass ich ins Handwerk wollte und auf gar keinen Fall in der Schule das Abitur machen.

Und danach war ich auch nicht mehr die Klassenbeste, sondern gehörte eher zu den Schülern mit den schlechteren Leistungen.

Diese Schule war mir zu hoch. Wenn ich auf die Gesamtschule mit gymnasialer Oberschule gegangen wäre, dann hätte ich das wahrscheinlich eher gepackt.

Mir war das einfach alles zu viel. Zumal ich mit siebzehn Jahren ganz andere Sache im Kopf hatte.

Sie waren also vom Sommer 1999 bis Sommer 2004 im Gymnasium?
Ja, richtig. Da ich die neunte Klasse zweimal gemacht habe, waren es fünf Jahre.

2004 hatte ich die Mittlere Reife und ich habe mir gesagt, dass ich mein eigenes Geld verdienen muss.

Die letzten Sommerferien nach der zehnten Klasse habe ich genutzt, um bei meiner Uroma in Schwerin zu sein und gleichzeitig dort ein Praktikum gemacht.

Übrigens: Meine Uroma ist fast 103 Jahre alt geworden. Sie war mit einer der Initiatorinnen für den Fünf-Seen-Lauf in Schwerin. Ein Teil unserer Familie hat diesen Lauf für Schwerin entworfen. Er findet heute noch statt.

Was denken Sie heute über Ihre Zeit auf dem Gymnasium?
Heute bin ich natürlich viel reifer. Aber ich frage zum Beispiel bei Bewerbern in meinem Betrieb nie nach Noten.

Klar, ich habe schon einiges an Wissen mitgenommen. Aber ich denke, dass es auch vieles an Wissensvermittlung gab, was man im praktischen Leben gar nicht gebrauchen konnte.

Ich finde es zum Beispiel sehr schade, dass in der Schule solche Fächer wie Kochen, Handwerk nicht gelehrt werden, zumindest von den Grundlagen her.

Sind Sie in Bernau geboren?
Ja, ich bin gebürtige Bernauerin. Bis zum 18. Lebensjahr habe ich allerdings bei meinen Eltern in Rüdnitz, einem kleinen Ort, nicht weit entfernt von Bernau, gewohnt.

Als ich 18 Jahre alt war, bin ich nach Bernau zurückgezogen.
Ich musste mir alles hart erkämpfen – meine erste Wohnung, mein erstes Geld.

Das habe ich alles mit meinem damaligen Partner geschafft.
Die Ausbildung habe ich in Berlin gemacht und später dort auch gearbeitet.

Mit 18 Jahren habe ich ebenfalls meinen Führerschein gemacht. Damit habe ich meine Mutti überrascht.

Wie ging es weiter, nachdem Sie aus der Schule raus waren?
Ich habe in einem Ausbildungsbetrieb den Beruf des Orthopädieschuhmachers erlernt.

Aber das, was ich mir an Wissen und Fertigkeiten angeeignet habe, das habe ich mir faktisch selbst beigebracht – durch das Lesen, Zugucken und das Ausprobieren.
Aber es war auch hart, weil ich als Frau diese Lehre begonnen habe.

Wie meinen Sie das?
Die Frauen werden in der Branche mittlerweile besser wahrgenommen.
Aber zu dem Zeitpunkt, als ich gelernt habe, da wurde ich nicht so wertgeschätzt.

Eine Frau hatte einfach im Handwerk nichts zu suchen, so mein Eindruck damals.

Als ich damals begonnen habe, da wurde ich noch sehr belächelt.
Wenn man frisch ausgelernt hat und dann noch eine Frau ist, dann hat man in Berlin nichts gefunden.

Ich kann es gar nicht sagen, warum es Frauen in diesem Beruf so schwer hatten, akzeptiert zu werden.

Klar, es ist harte Arbeit, wir müssen ab und zu auch mal was schleppen.

Wenn Sie wüssten, wie groß ich bin. Ich bin nur 1,61 groß und trotzdem kann ich mein eigenes Körpergewicht schon tragen. Es ist jetzt nicht so, dass ich ein Mädchen bin, dass gleich zusammenbricht, wenn es mal was tragen muss.

Doch generell musste ich mir das Ansehen sehr hart erarbeiten, mehr als die Männer, die neben mir gearbeitet und gelernt haben.
Und: Ein halbes Jahr nach meiner Ausbildung wurde ich aus dem Betrieb rausgeschmissen.

Mit welcher Begründung?
Angeblich konnte mein Chef mich nicht mehr bezahlen. Aber mein Eindruck war, dass er mich einfach loswerden wollte, weil ich schon offen meine Meinung gesagt habe.

Wie ging es mit Ihnen beruflich weiter?
Ich bin in eine andere Firma gegangen.
Diese Firma hat mich 2012 auf eine Meisterschule geschickt, in die Nähe von Dresden.

Mussten Sie die Ausbildung selbst bezahlen?
Es gab zwei Möglichkeiten. Mein Chef hatte mir angeboten, die Kosten für die Ausbildung zu übernehmen. Dann hätte ich mich aber verpflichten müssen, noch fünf weitere Jahre in der Firma zu arbeiten.
Das habe ich abgelehnt.

Warum?
Ich wollte mich nicht kaufen lassen. Deshalb habe ich meinem Chef gesagt, dass er mir das Gesellengehalt weiterzahlen solle und ich im Gegenzug dafür die Kosten für die Meisterschule übernehmen würde.

War das der richtige Weg für Sie?
Ja, es hat sich gelohnt. Ich war angestellt, hatte aber keine Verpflichtungen, zu bleiben.

Ich war in dem Betrieb insgesamt sieben Jahre, von 2009 bis 2016.
Vor der Meisterschule habe ich lediglich fünf Paar Schuhe gebaut.

Das ist nicht viel, das machen Auszubildende schon im ersten Lehrjahr, aber ich musste mir alles selbst beibringen. Ich habe in der Ausbildung immer nur eine Sache gemacht und das waren Zurichtungen von konfektionierten Schuhen. Und so bin ich auch durch die Zwischenprüfung gerauscht.

Und trotzdem haben Sie später die Meisterprüfung mit Bravour bestanden?
Ja, ich habe in der Zeit sehr viel gelernt – praktisch und theoretisch. Ich konnte mich sehr gut entfalten.

Das war das schönste Jahr in meinem Leben. Ich habe dort in einem Internat gewohnt und als Beste mit der Note ‚Sehr gut‘ abgeschlossen. Darauf war ich richtig stolz.

Wie ging es nach der Meisterschule weiter?
Ich bin in den Betrieb zurückgegangen und habe die Werkstattleitung übernommen.

Ich habe fünf Männer angeleitet, ihnen täglich erklärt, was sie zu tun hatten.

Das hat insgesamt alles gut funktioniert. Aber dann ging es mit dem Personalmangel los.

Die Arbeit wurde mehr und musste von einer gleichbleibenden Anzahl von Mitarbeitern bewältigt werden.

Ich habe sehr viel und sehr lange an den einzelnen Werktagen gearbeitet, von morgens um sieben bis teilweise abends elf Uhr.

Aber auch am Wochenende habe ich gearbeitet. Der Sonntag war der einzige Tag, den ich frei hatte.
Ich war völlig überarbeitet.
2016 bin ich dann ins Burn-out gerutscht.

Was waren die Gründe für Ihr Burn-out?
Das waren vielfältige Ursachen, die ich herausgefunden habe.
Eine Ursache besteht sicherlich darin, dass ich schlecht ‚nein‘ sagen kann.

Dadurch entsteht für mich psychischer Druck, allem und jedem gerecht zu werden.

Außerdem: Ich interessiere mich für mich selbst überhaupt nicht. Das war schon immer so.
Mich selbst zu mögen, daran muss ich noch arbeiten.

Woher kommt das?
Ich habe in den bewussten Jahren meines jungen Lebens nur erfahren, dass ich vieles machen sollte und so nicht an mich selbst denken konnte.

Das hängt sicher damit zusammen, dass ich meiner Mutti stets unter die Arme gegriffen habe.

Sie war alleinstehend, und wir waren drei Mädchen zusammen.
Hinzukam, dass meine Mutti in Schichten gearbeitet hat. Da mussten wir alle mitanpacken.

Klar, ich will das nicht alles schlecht reden, aber es war manchmal schon schwierig für uns Kinder, mit der Situation zuhause klarzukommen. Das gehört sicher auch mit zu den Ursachen, warum später nicht immer alles glatt lief bei mir.

Wie geht es Ihnen heute mit alledem?
Ich habe es geschafft, mich selbst wieder aus dem Burn-out herauszuholen und darauf bin ich auch sehr stolz.

Frau Büch, ich höre gerade das Bellen eines Hundes, ist das Ihr ständiger Begleiter?
Der Hund, der hier kläfft, das ist Motte.

Motte ist vier Jahre alt und kommt aus einer Tötungsstation in Spanien.

Sobald Motte den Schlüssel hört, bellt sie. Es ist ein Weibchen.
Sie denkt, da kommt einer von draußen und sie muss dann ihr Frauchen beschützen.

Mein Hund ist immer bei mir, wir sind unzertrennlich. Uns gibt es nur im Doppelpack.

Ohne meinen Hund geht gar nichts. Wenn aber Kunden kommen, dann ist der Hund nicht dabei, weil der erst einmal alle ankläffen würde.

Wie haben Sie das gelöst, mit Ihrem Hund und dem Kundenkontakt?
Mein Hund hat im hinteren Bereich einen riesengroßen Aufenthaltsraum.

Da sitzt Motte im Körbchen und hat alles, was sie braucht.
Sogar meine Öffnungszeiten sind auf den Hund abgestimmt, zumindest was die Mittagspause anbetrifft.

Haben Sie es bereut, in die Selbstständigkeit zu gehen?
Nein, das habe ich nicht, obwohl ich doch manchmal ins Schwanken gekommen bin, seitdem ich im Jahr 2017 den Laden aufgemacht habe.

Es war ja nicht nur der Drang da, meine eigenen Vorstellungen zu verwirklichen.

In der alten Firma lief es für mich nicht mehr so, wie ich mir das vorgestellt habe.

Können Sie das näher erläutern?
Wir verkleinerten uns in 2016 von 300 qm auf ca. 76 qm und ich sollte in die Chefetage mit rein.

Das passte mir nicht. Ich wollte nicht unter ständiger Beobachtung stehen, sondern vielmehr den Kontakt zu den Kunden intensivieren.

Was mir in der alten Firma gefehlt hat, das war der Umstand, dass ich zu den Kunden keine Beziehungen aufbauen konnte.

Und wenn man was arbeiten muss für einen Menschen, den man noch nie gesehen hat, wenn man nicht genau weiß, was er eigentlich will – was will er haben, was hat er für eine Vorstellung, was verspricht er sich von dem Hilfsmittel, ja dann wird es unheimlich schwierig zu arbeiten.

Es kam ein weiterer Grund hinzu: Dieses ‚du musst mehr schaffen, und wieder mehr schaffen, und jedes Mal musst du deinen Rekord noch einmal überbieten, und du willst ja auch Geld verdienen, es wird ja alles teurer. Das war nicht mein Ding.

Was ist Ihr Ding?
Mein Beruf ist ein ganz toller Beruf, ein ganz vielfältiger Beruf. Man lernt den Körper kennen.

Und man kann auch eine Menge Geld verdienen. Das habe ich aber gar nicht vor. Ich möchte die Kunden hier glücklich rausgehen sehen.

Ich wollte raus aus der Massenproduktion. Ich wollte einfach dieses Schema ‚F‘, das alle Firmen abarbeiten, nicht mitmachen. Da möchte ich einfach mehr für meine Kunden.

Ich musste mich also selbstständig machen, um das machen zu können, was mir vorschwebte.

Alle haben gesagt, ich schaffe es nicht, mich aus dem Burn-out heraus selbstständig zu machen. Das war aber die größte Motivation für mich.

Das Wichtigste für mich ist: Ich wollte mich selbstständig machen, weil ich für die Kunden individuell da sein wollte, auf sie zugeschnitten, sie maßgeschneidert beraten wollte.

Was ist Ihnen wichtig in der Arbeit mit Ihren Kunden?
Der Kunde kommt hier rein und der Kunde ist mein König.
Das ist ein Geben und Nehmen. Ich musste auch lernen, Grenzen zu ziehen. ‚Nein‘ sagen lernen.

Der Kunde soll sich wohlfühlen, er soll hier aufrecht wieder herausgehen.

Ich möchte den Leuten ein tolles Laufgefühl geben.
Das erreiche ich jedes Mal wieder.
In der alten Firma habe ich nie ein Resultat gesehen, nie einen Dank bekommen.

Was mich aber glücklich macht, das ist gerade diese Dankbarkeit der Kunden.
Das Lächeln im Gesicht, das bedeutet mir so viel. Das baut mich auf, immer wieder.
Auch wenn alles schlecht läuft, aber der Dank der Kunden, der gibt mir immer wieder Kraft.

Wie wollen Sie weitermachen?
Das Wichtigste: Ich brauche einen neuen Mitarbeiter.
Ich habe ganz offen kommuniziert und gesagt: ‚Liebe Kunden, ich habe keine Kapazitäten. Ich nehme keine Maßschuhe mehr an. Ich mache keine Schuhreparaturen nebenbei.“

Also steht jetzt die Besetzung einer offenen Stelle in Ihrer Firma an vorderster Stelle?
Ja, absolut.

Ich suche händeringend eine Orthopädieschuhmachergesellin oder einen Orthopädieschuhmachergesellen. Ich würde so gern jemanden ausbilden.

Aber das kann ich nicht, wenn ich diesen einen Mitarbeiter nicht habe.
Für einen Auszubildenden muss ich aber Zeit haben.
Meine größte Befürchtung ist, dass ich diesen Mitarbeiter, den ich mir wirklich wünsche, nicht finde, dass es den nicht gibt.

Die Suche geht schon ein halbes Jahr.
Zur Not ist es ein Ungelernter.

Die Motivation zu lesen, wie ein Fuß funktioniert, die ist ja auch nicht da. Das Einzige, was die meisten wollen, die sich bisher beworben haben: Sie wollen Geld verdienen, ohne sich groß anzustrengen.
Und genau da kriegen sie bei mir ein ganz großes Problem.

Sind Sie ein glücklicher Mensch?
Ich will in fünfzehn Jahren nach Schweden auswandern.
Das ist mein Ort, wo ich mich wohlfühle.
Ich bin irgendwie glücklich und irgendwie auch wieder nicht.

Ich bin glücklich mit dem, was ich mir erarbeitet habe, aber mit mir selbst bin ich noch nicht im Reinen.

Ich bin als Single glücklicher, als ich es in einer Beziehung war, in meiner aktuellen Situation jedenfalls.

Frau Büch, vielen Dank für das Interview.

Zum Firmenporträt: https://uwemuellererzaehlt.de/2021/09/09/firmenportraet-2021-09-09

KLARAS MUTTER GEHT INS HEIM

ALLTÄGLICHES-2021.09.08
Wir hatten lange damit gewartet, Klaras Mutter im ‚Betreuten Wohnen‘ anzumelden. Wir wollten, dass sie möglichst lange in ihren eigenen vier Wänden bleiben konnte, in der Wohnung, in der sie die letzten sechs Jahrzehnte verbracht hatte.

Es war still in der Wohnung von Klaras Mutter. Alle waren angespannt- denn an dem Tag war es so weit. Die Umzugsfirma würde in wenigen Augenblicken eintreffen und die Möbel heraustragen, die mit ins ‚Betreute Wohnen‘ gehen sollten.

Das dunkle Wetter passte zur Stimmung, die alle befallen hatte.
Keiner sprach es aus und doch lag allen die eine Frage auf den Lippen: Sollte es das für Klaras Mutter gewesen sein, musste sie wirklich die Wohnung aufgeben, in der sie über 60 Jahre gewohnt und gelebt hatte?

„Sie müssen etwas tun, Ihre Mutter kann nicht mehr alleine bleiben“, hatte die Pflegedienstleitung Klara unlängst auf die Situation aufmerksam gemacht.

„Wir können es nicht mehr verantworten, dass Ihre Mutter hier in der Wohnung einzig auf sich gestellt ist“, sagte die Schwester am Telefon.

Im Grunde genommen war es allen klar, dass dieser Tag nicht mehr weit entfernt war, wo Klaras Mutter eine Betreuung rund um die Uhr brauchte.

Dabei hatten alle etwas getan, damit es noch möglichst lange funktionieren würde. Klara kümmerte sich um die organisatorischen Dinge, rief jeden Abend ihre Mutter an. Lukas besuchte täglich seine Mutter, ging einkaufen, brachte den Müll runter und machte sauber.

Aber es half nicht. Klaras Mutter wollte die Wohnung nicht mehr verlassen, verwechselte die Tages- mit der Nachtzeit, wollte nur noch im Bett liegen.

„Wir können nicht anders, Mutti muss rund um die Uhr betreut werden“, sagte Klara seufzend zu mir.

Es war nicht einfach gewesen, einen guten Platz zu bekommen. Immer mehr Angehörige bewarben sich darum, ihre Mutter oder ihren Vater unterzubringen, weil sie dement waren und nicht mehr allein zuhause zurechtkamen.

Klara fuhr zu ihrer Mutter, sprach mit Heimen und Betreuungseinrichtungen.

Es war anstrengend und nervenaufreibend, doch es hatte sich gelohnt.

Ich konnte gar nicht mehr zählen, wie oft Klara in ihre Heimatstadt gefahren war, um sich um ihre Mutter zu kümmern und zugleich mit den Verantwortlichen von Pflegeeinrichtungen zu sprechen.
Aber dann hatten wir Erfolg.

„Wir können Ihnen ein Zimmer bei uns im ‚Betreuten Wohnen‘ anbieten“, sagte eine Mitarbeiterin zu Klara am Telefon, als sie gerade mal einen Tag zurück war.

Ich half Klara dabei, die schriftlichen Dinge zu erledigen – Anträge schreiben, Pflegebett ordern, mit der neuen Hausverwaltung über den Mietvertrag sprechen.

Ich habe schon so oft über die Arbeit von Pflegedienstinhabern geschrieben, hatte mit ihnen in den vergangenen Jahren unzählige Interviews geführt, wollte erfahren, was es bedeutete, an Demenz erkrankte Menschen zu betreuen und zu pflegen. Aber das eine war die Erzählung, quasi die Theorie.

Und das andere war die Realität, die unbarmherzig nach Lösungen verlangte, nach Einsatz, neben der Arbeit und den eigenen Sorgen im Alltag.

Ich hätte nie gedacht, was es für eine Kraftanstrengung bedeutete, dies alles hautnah mitzuerleben, und was es hieß, einen Menschen ins Heim zu bringen.

Fortsetzung:
Klaras Mutter geht in die Kurzzeitpflege und das Zimmer im Betreuten Wohnen muss für ihren Einzug vorbereitet werden.

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DER ALLTAG HAT MICH WIEDER – SO LANGSAM JEDENFALLS

ALLTÄGLICHES-2021.09.07
Den Tag wertschätzen, erst recht, wenn du keinen Urlaub hast oder gerade Sonntag ist.

Eigentlich wollte ich heute noch gar nicht ins Fitness-Center fahren.
Aber Klara bestand darauf, dass ich mitkam.

„Wer weiß, wie lange der Streik der GDL noch andauert“, sagte sie zu mir am Abend zuvor.

„Der ist morgen, gegen 02.00 Uhr Geschichte“, habe ich geantwortet.

Aber ich wusste natürlich, dass es trotzdem voll würde, in den Vorortzügen und in der S-Bahn.

Also habe ich mich aufgerafft, mit Klara gemeinsam in die Stadt zu fahren, sie zur Arbeit und ich zum Sport.

Kurz bevor der Wecker klingelte, bin ich aufgewacht und habe auf die Uhr geschaut, in der Hoffnung, ich hätte vielleicht noch zwei Stunden, gut, wenigstens eine oder auch nur eine halbe Stunde.

Ich tastete nach dem iPhone, machte die App mit der Uhr auf und siehe da, es war 03.44 Uhr. Eine Minute, bis der Wecker anschlug.

Ich schaltete ihn aus, bevor das dämliche Grillengeräusch anfing, mich zu nerven. Der Alltag streckte seine eiserne Hand nach mir aus.

Es waren nun schon vier Wochen vergangen, seitdem der Urlaub begonnen hatte.

Aber die letzten zehn Tage hatte an der Ostsee nichts damit zu tun, sich zu erholen, am Strand zu liegen und zuzuschauen, wie Krümel den Möwen hinterherjagte.

Wir hatten Klaras Mutter ins ‚Betreute Wohnen‘ gebracht. Es war wahnsinnig anstrengend gewesen, physisch, aber vor allem psychisch.

Aber daran wollte ich in dem Moment nicht denken, während ich mich nach dem Training auf einer Bank vor dem Studio ausruhte und die Wasserflasche leerte.

Es war der schönste Teil am ganzen Sport. Ich hatte es langsam angehen lassen und mich nur auf zehn Geräte konzentriert. Ich wollte mich nicht gleich am ersten Tag übernehmen, obwohl diese Gefahr im Grunde genommen zu keiner Zeit bestand.

Wenn du längere Zeit irgendwo nicht warst, dann gibt es meist Neuigkeiten.

Bei mir war es so, dass ich mit der Karte nicht durch die Sperre an der Eingangstür kam.

„Du musst noch einmal deinen Impfausweis vorzeigen und nachweisen, dass du zweimal geimpft bist“, sagte eine junge Frau, die an mir vorbeistürmte.

Ich bedankte mich und nahm eine Ersatzkarte.
Aber wann kam die Mitarbeiterin? Sicher nicht vor acht.
Ich schaute auf die Uhr, es war kurz vor sechs.

So lange wollte ich dann doch nicht bleiben, an meinem ersten Tag.
Und nun saß ich schon wieder draußen, auf dem Hof, genau zwischen dem Fitness-Studio und dem ‚Backhaus‘, wie das rote Gebäude hinter mir hieß.

Ich setzte die 1,5 Liter Wasserflasche an und beobachtete die Gegend.

Auf der gegenüberliegenden Seite öffnete ein Taxifahrer seine vordere Wagentür und wollte gerade einsteigen. Da kamen drei junge Leute auf ihn zu und schon hatte er die ersten Fahrgäste. Ich erkannte den Fahrer.

Er war ebenfalls jeden Morgen im Studio und quälte sich auf dem Laufband.
‚Nicht schlecht, vom Sport direkt zum Geschäft‘, dachte ich.
Von der anderen Seite näherte sich ein Mann.

Er hielt in der einen Hand einen Besen und in der anderen war eine blaue Tüte. Der Hausmeister aus dem ‚Backhaus‘.

Er machte vor einem Papierkorb halt und kippte dessen Inhalt in den Sack.

„Schon so fleißig?“, fragte ich. Ich wollte höflich sein, schließlich stand er nun direkt vor mir.

„Muss ja!“, sagte der knapp.
„Und Sie, haben Sie Sport gemacht?“, fragte er mich.

„Naja, ich habe heute wieder angefangen, nachdem ich vier Wochen ausgesetzt habe“, entgegnete ich.

„Sind Sie jeden Morgen hier?“, fragte er mich.
„Du kannst mich duzen, und ja, ich bin jeden Morgen hier, in der Regel“, antwortete ich.

„In dem Alter muss man was machen, sonst kommst du nicht mehr hoch“, schob ich noch nach.

„Wie alt bist du denn?“, fragte er mich.

„Gerade 69 geworden.“
„Donnerwetter. Dafür siehst du aber gut aus“, stieß er hervor.
Es klang ehrlich.

Mal abgesehen davon, dass ich es lieber hätte, dass eine Frau so etwas zu mir sagte, aber ich freute mich trotzdem.

„Weißt du, am älter werden ist fast alles Mist. Aber du lernst es, deine verbleibende Zeit mehr zu wertschätzen.“

„‘Det glob‘ ich“, verfiel der Hausmeister ins Berlinern.
„Du versuchst nicht laufend, dir ein anderes Leben zu wünschen, sondern du machst das Beste aus dem, was du hast.

Außerdem: Es kann immer anders werden, aber besser wird das Andere oft auch nicht. Deshalb strenge ich mich mehr an, dass gut zu finden, was vor mir ist. Und das macht dich schon ein wenig glücklicher.“

„Ja, da ist viel dran“, sagte er.
„Bist du Morgen wieder hier?“, fragte er noch.
„Ja, wahrscheinlich“, antwortete ich.

Wir verabschiedeten uns. Er leerte den nächsten Papierkorb aus und ich strebte der Tür entgegen, hinter der es zur Tiefgarage ging.

Ich hatte den Eindruck, dass wir beide bessere Laune hatten und es nicht schlecht fanden, was wir gerade taten, er weiter saubermachen und ich nach Hause fahren, an meinen Schreibtisch.

Eigentlich ist das Leben schön, dachte ich, als ich aus der Garage heraussteuerte, das Parkticket festgeklebt auf meinen Lippen.

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IM SCHREIB-ALLTAG SEIN HANDWERK BEHERRSCHEN

2021.08.26-SCHREIB-ALLTAG

Es gibt in der Technik des Schreibens Eckpfeiler, die man stets beachten sollte. Dazu gehören: die richtigen Informationen und Notizen auszuwählen, sie zu gliedern und schließlich daraus ein Thema strukturiert zu entwickeln.

Lässt du dieses Handwerkszeug außer Acht, um vermeintlich schneller und bequemer ans Ziel zu kommen, so machst du letztlich Umwege und verstrickst dich in einer Vielzahl von Verästelungen.

Selbst wenn ich Themen des Alltags wähle, so will der Leser ja nicht von meinen hin- und herspringenden Gedanken gefesselt oder besser verwirrt werden.

Nein, er will, dass ich einen Gedankengang nach dem anderen entwickle.

Nur so kann ich die Botschaften verständlich transportieren, in die Worte gießen, die mir wichtig sind.

Im Urlaub habe ich kürzlich meiner Enkelin morgens nach dem Frühstück kleinere Geschichten erzählt.

Und obwohl ich das frei formulierte, habe ich dabei fieberhaft überlegt, was zuerst gesagt werden sollte, was danach kommen könnte, kurzum, wie die Geschichte gegliedert und aufgebaut werden musste.

Und wenn Krümel dazu meine linken Zeigefinger mit ihrer kleinen Hand fast zerquetschte, dann wusste ich, dass ich es geschafft hatte, nämlich sie zu fesseln.

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URLAUB, INSEL RÜGEN, FREIHEIT

ALLTÄGLICHES-2021.08.15

Urlaub ist nichts Anderes, als kleine Dinge im Alltag intensiver wahrzunehmen, an einem anderen Ort, in lockerem mentalen Zustand, mit einem Gefühl, dass du es gerne tust.

Wann wachst du schon  mal morgens auf und musst nicht sofort wissen, was du an dem Tag tun willst. Das nenne ich Urlaub, auch wenn die Disziplin auf der Strecke bleibt. Ich haue beim Essen über die Stränge, habe bisher noch keinen Sport gemacht, bin faul und träge. Es sei denn, ich laufe zum Imbissstand.

Samstag, Krümel ist mit ihrer Mama in den Dinosaurier-Park in der Nähe von Bobbin gefahren. Ich habe sie dort mit ‚Jeepy‘, Krümels Lieblingsauto hingebracht.

Es war komisch, als ich durch das Tor des Parks fuhr. Die verrosteten Gitterstangen sahen aus, als wären sie in den letzten 40 Jahren nicht ausgewechselt worden. Ich hab nämlich zu dieser Zeit eine sogenannte ‚Kartoffeleinheit‘ von 400 Mann angeführt. Wir haben Kartoffeln für Russland verladen, weil die dort mal wieder knapp waren.

Aber das ist lange her. Heute stehen dort die ‚Dinos‘, die verrückteste und spannendste Welt für Krümel. Ich bin umgekehrt und zurück in die Ferienwohnung gefahren, um diesen Bericht in den Blog zu tippen. Ich will mich wenigstens in dieser Hinsicht fit halten.

Ein Tag zuvor, Freitag, der Blick von der nördlichsten Spitze auf Rügen über die Ostsee. Das Wasser glitzerte in der Sonne, es roch nach Meer und Seetank.

Krümel war mal wieder ganz unten, auf den  Steinen  vor dem Wasser. Man bekommt Angst, wenn man sieht, wie furchtlos sie dort umherspringt. Aber wir bleiben  vorsichtig und holen sie von dort weg.

Und wieder gestern, abends, Hanse Sail im Hafen: Viele Menschen, schöne Musik.

Krümel und ich schauen uns die Boote von der Wasserschutzpolizei an.

Es war aufregend  für Krümel, aber für mich auch.

DER ERSTE RICHTIGE URLAUBSTAG NACH DER ANREISE

Am ersten Tag, dem der Anreise, bist du kaputt, möchtest nur noch liegen oder im Sessel sitzen und nichts mehr sagen.

Aber das geht natürlich nicht, wenn Krümel mit in der Ferienwohnung ist.

„Opa, wann kommst du spielen?“, fragt sie, kaum nachdem wir die Sachen einigermaßen verstaut hatten.

Also habe ich mich auf den Fussboden begeben, das Feuerwehrauto ausgepackt, den Polizeiwagen mit der Sirene und viele der anderen kleineren Autos. Nicht zu vergessen den Hubschrauber, der nur noch einen Flügel hat, was aber keinen von uns störte.

Dann haben wir die Sirene vom Polizeiauto angestellt und so laut gespielt, dass wir von Krümels Mama zur Ordnung gerufen werden mussten.

Am nächsten Morgen dann sind wir gleich ans Wasser gefahren.

Der Strand war nahezu menschenleer. Ein Traum.

Wir bauten unseren Sichtschutz unmittelbar vor dem Meer auf, sodass es Krümel nicht weit bis ins Wasser hatte.

„Ist das nicht herrlich?“, rief ich Karsta zu, während ich mit Schwung die Stangen in den Ostseestrand rammte.

Ich legte mich danach auf ein Laken, fest entschlossen, nicht so schnell wieder aufzustehen. Ich nahm mein Buch zur Hand und fand, dass diese paradiesische Zustände wären.

Bis zu dem Zeitpunkt, als direkt neben uns eine größere Gruppe ihr Domizil aufschlug, laut diskutierend und sehr gestenreich. Es war eine  Familie aus Sachsen, wie unverkennbar zu hören war. Der Vater schritt wichtig durch den Sand, das Handy am Ohr und sagte: „Nu, das könn‘ mä doch näschte Woche kläären.“

Dafür war ich auch. Aber es zog keine Ruhe ein. Die Jungen holten einen Ball raus und spielten aus Rücksicht ihren Eltern gegenüber in einigermaßen sicheren Abstand von ihnen. Also direkt neben unserem Sichtschutz. Ich hörte nur, wie ihre  Füsse gegen den Ball knallten und anschließend gegen die Wand unseres Sichtschutzes. Ich schnellte sofort hoch,  obwohl ich mir geschworen hatte, liegenzubleiben.

„Tschuldigung“, riefen sie zu mir.

„Nicht so schlimm“, log ich.

Ich ging runter zum Wasser und schmiss mich todesmutig in das viel zu kalte Naß.

„Opa, ich komme“, rief Krümel und zog in Windeseile ihre Sachen aus.

Ach irgendwie war es doch schön und vielleicht sollte auch alles so sein, redete ich mir ein.

Der Aufenthalt war noch  schön, eine  Stunde jedenfalls, bis die ersten Tropfen vom Himmel  fielen.

DAS BESTE AM GEBURTSTAG IST DER TAG DANACH

ALLTÄGLICHES-2021.08.07

Mir war wichtig, dass ich den Tag wie immer begann- mit dem Training im Fitness-Studio. Also bin ich wie immer früh aufgestanden, um rechtzeitig dort zu sein. Es war morgens gegen vier Uhr, als ich losfuhr. Die Strassen waren menschenleer. Man merkte, dass es nicht mehr der Monat Juli war. Die Sonne ließ noch auf sich warten und die Temperaturen waren nicht nur angenehm, sie waren auch kühl.

Ich absolvierte mein Training und setzte mich danach auf die Bank vor dem Studio. Ein Hausmeister fegte den Platz und ich sprach ihn einfach an.

„Das ist das Schönste für mich, nach dem Training hier zu sitzen.“

„Der Hausmeister guckte mich an, stützte sich auf seinen Besen und sagte: “ ‚Det glob ick‘.“

Wir kamen schnell ins Gespräch.

„Ich bin heute 69 Jahre alt geworden“, sagte ich zu ihm und hätte mir anschließend am liebsten auf die Zunge gebissen. Was interessierte ihn das.

„Ick bin 59 Jahre alt“, sagte er. Zehn Jahre jünger also. Doch er sah aus, als hätte er aber auch schon mein Alter erreicht. Das allerdings sagte ich ihm nicht.

Wir verabschiedeten uns.

„Vielleicht trifft man sich ja mal wieder“, sagte er noch und ich nickte.

Zuhause angekommen hatte Klara alles vorbereitet – das Frühstück war fertig und der Geburtstagstisch war auch gedeckt.

Ich freute mich riesig. Es lagen lauter Dinge darauf, die ich ausgesprochen gern mochte – zwei Bücher, eins von Robin Alexander, dem Polit-Journalisten und ein weiteres von John Grisham, einem meiner Lieblingsschriftsteller.

Ausserdem hatte Klara mir ein paar Notizbücher geschenkt und einen Kalender.

„Ich habe es satt, nur ins iPhone zu schreiben oder auf der Tastatur des iPads herumzuhacken“, hatte ich ihr mal vor Wochen gesagt.

Sie hatte geschwiegen, aber natürlich alles gespeichert.

Die Hefte mussten teuer gewesen sein. Klara wusste, dass ich entweder Zettel übereinander klebte und darauf mit dem Füller herumkritzelte oder aber wirklich hochwertiges Papier liebte, das zudem noch in einer guten Hülle steckte.

Wir hatten außerdem unseren Hochzeitagstag und wie immer war ich in der Verlegenheit, etwas zu schenken, was Klara auch gefiel.

Kleidung? Keine Chance, sie war entweder zu klein oder zu groß oder die Farben und der Zuschnitt passte nicht. Außerdem war ich froh, dass ich nach Jahren mir den Begriff ‚Blazer‘ eingeprägt hatte.

Blumen sollte ich auch nicht kaufen, weil wir ja in den Urlaub fuhren.

Es blieb nur bei Kleinigkeiten, zu denen sie sich aber auch freute.

„Wir sind immer noch ein gutes Team“, sagte ich zu ihr und drückte ihr einen Kuß auf die Wange.“

Dabei liebte ich sie immer noch, wüsste nicht, wie ich ohne sie  leben konnte. Wir regten uns auf, hatten zu vielen Dingen verschiedene Ansichten. Ich war der Theoretiker, der Träumer, sie die Pragmatische und zusammen eben dieses Dreamteam, das sich auch noch nach so langer Zeit so innig liebte.

Vormittags fuhr ich das Auto in die Waschanlage. Ich fuhr dazu zwei Dörfer weiter, weil es dort so ruhig war. Hinter Anlage kamen gleich Felder und Wiesen, auf denen du das satte Grün betrachten und riechen konntest. Manchmal kam auch ein Pferd den Hang hinunter und fraß das Gras, das dort wucherte.

Später überprüfte ich noch die Luft auf den  Reifen. Als ich damit fertig war, fuhr ich fröhlich nach Hause. Unterwegs ging  ein Warnsignal an – ‚zu geringer Luftdruck‘.

Ich fluchte, fuhr zurück und überprüfte das Ganze noch einmal. Wieder war ich fertig, stieg ins Auto machte mich auf den  Rückweg. Das Display zeigte wieder die Warnung an.

Aber ich fuhr nach Hause, denn Klara wartete mit dem Mittagessen.

„Ich muss noch mal los und den Luftdruck erneut überprüfen. Ich will nicht, dass der Luftdruck nicht stimmt, wenn Krümel am Sonntag mit im Auto sitzt und wir an die Ostsee fahren“, sagte ich zu Klara.

Klara kam nach dem Essen mit, sie wollte noch ein Brot im Supermarkt holen.

Jetzt schaute sie im Wageninneren auf das Display und ich pumpte den jeweiligen Reifen auf. Wenn ich mit dem einen fertig war, dann zeigte der andere wieder zu niedrigen Luftdruck. Ich schwitzte, die Hände waren dreckig, die Sonnte brannte sich auf meinem gebeugten Rücken ein.

Endlich, wir hatten den Luftdruck so, dass auf den rechten Reifen ein  Druck von 2,4 bar war und auf den linken 2,5 bar.

„Ich lass das jetzt so“, sagte ich erschöpfte. Ich holte die Sprühflasche  mit dem Glasreiniger aus dem Heck und drückte auf den Knopf. Es kam nichts, nur ein paar Tropfen. Ich wischte mir die Hände kurzerhand an der Hose ab. Klara wollte sie ohnehin in die Wäsche tun.

„Hast du dir die dreckigen Hände an deiner Hose abgewischt?“, fragte sie. Sie stand hinter mir, so urplötzlich.

„Nein, nur die sauberen, aber noch feuchten Finger“, antwortete ich schnell, ohne mich auf weitere Diskussionen einzulassen.

Wir stiegen ins Auto, fuhren noch zum Supermarkt, ich schwitzte auf dem Parkplatz noch ein bisschen in der Sonne, während Klara das Brot holte und schließlich begaben wir uns nach Hause.

Als alles ausgepackt war, öffnete ich eine Flasche Sekt, Klara bereitete frische Erdbeeren zu und ich trank anschließend den Sekt fast alleine aus.

Auf unserem Programm stand die Netlix-Serie ‚Krieg und Frieden‘.

Liebe, nochmal Liebe und ein bisschen Krieg.

Als ich vor dem Fernseher einschlief, da weckte mich Klara erst, als wir ins Bett wollten.

Soviel zu meinem Geburtstag und dem Hochzeitstag. Wir hatten schon heftiger gefeiert.

Aber am nächsten Tag wurde es schön. Wir aßen in Ruhe, ich erläuterte Klara kurz die neuesten Corona-Regeln und hörte aber damit auf, als Klara begann, die Augen zu verdrehen.

Später konnte ich an meinen Schreibtisch, in den Notizbüchern blättern, den Kalender ausfüllen, der von Juli bis Juli lief und in den beiden Büchern lesen. Es war herrlich. Schön, das alles vorbei war und der Alltag mich wieder hatte, auch wenn es ein Samstag war.

DIE MEISTERHAFTE BESCHREIBUNG VON DETAILS DURCH DIE SCHRIFTSTELLERIN ALICE MUNRO

ALLTÄGLICHES-2021.08.06

Manchmal gefällt dir der Film besser als das Buch, das ihm zugrunde liegt.

Aber die Beschreibungen von Alice Munro sind so präzise, dass es schwer ist, sie im Film nachzustellen.

Ich schreibe jeden Tag eine halbe Seite aus einem Buch ab und formuliere diese Sätze danach um.

Es ist ein Schreibtraining, das ich mir über Jahre angewöhnt habe.
Oft sehe ich erst dann, wieviel der Autor sich um die Satzkonstruktionen, die Formulierungen gemacht hat.

Ich greife besonders gern auf die Kurzgeschichten von Alice Munro zurück. Mich begeistert, wie sorgfältig die kanadische Schriftstellerin Details beschreibt. Das ist schon großes Kino.

Gerade lese ich die Geschichte ‚Der Bär klettert über den Berg‘ von ihr. (1)

Der Inhalt ist schnell erzählt. Fiona erkrankt an Demenz, geht ins Heim und Grant, ihr Mann, besucht sie dort.

Grant ist jahrelang fremdgegangen, mit Studentinnen, die er unterrichtet hat.

Nun muss er miterleben, wie sich seine Frau im Heim zu Aubrey, einem anderen Mann hingezogen fühlt.

Die schleichende Demenzerkrankung und die Liebelei von Fiona mit Aubrey stürzt ihn in eine Sinnkrise.

Er geht zu der Ehefrau von Aubrey, um zu ergründen, wie sie mit der neuen Liebe ihres Mannes klarkommt.

Aubreys Frau sagt, dass sie in der Küche bleiben müssten. Trotzdem versucht Grant einen kurzen Blick ins Wohnzimmer zu bekommen.

Ich habe diese Szene im Film „An deiner Seite gesehen“.
Die Kamera erfasst die Einrichtung des Wohnzimmers. Du registrierst es, aber es ist eher langweilig.

Und jetzt die Beschreibung von Alice Munro:
„Sie führte ihn am Durchgang zum Wohnzimmer vorbei und sagte: Wir müssen uns in die Küche setzen, wo ich Aubrey hören kann. Grant erhaschte einen Blick auf zwei Schichten Wohnzimmergardinen, beide blau, die eine aus hauchdünnem, die andere aus seidigem Stoff, auf ein Sofa in passendem Blau, auf einen abschreckend bleichen Teppichboden, auf diverse blinkende Spiegel und anderen Zierrat.“ (2)

Sicher: Man kann hier beides nicht direkt miteinander vergleichen. Aber mir gefällt die Beschreibung der Szene im Buch besser, detaillierter, einfach anschaulicher.

Dabei hatte ich mich so auf die Verfilmung gefreut. Meine Frau sagte zu mir hinterher: „Das ist immer so, wenn du das Buch kennst.“

Das ist was dran.

(1)
Alice Munro „Ferne Verabredungen“, Fischer Verlag GmbH, 2016, S.169 ff
(2)
Ebenda, S. 218

PRIMA BALLERINA ERWARTET IHR DRITTES KIND

Iana Salenko

MENSCHEN IM ALLTAG-2021.08.05

Einführung:
Ich habe mit Iana Salenko, der Prima Ballerina vom Staatsballett Berlin, in der zweiten Hälfte Juli gesprochen - in ihrem Haus in Berlin.

Wir sprachen darüber, wie es ihr aktuell geht, was sie besonders glücklich macht und welche Neuigkeiten es gibt.

„Wir erwarten Ende September ein Kind und sind überglücklich, dass unsere Familie größer wird.“

Was mich immer wieder an der Persönlichkeit von Iana fasziniert: Sie ist bodenständig, bescheiden und herzlich in unseren Begegnungen.
Sie antwortet spontan, und sie ist ehrlich.

Iana ist eine Frau mit viel Charisma, es fällt nicht schwer, sich von ihrer Persönlichkeit in den Bann ziehen zu lassen.

Das ist das Interview, das ich mit ihr am 20. 07.2021 geführt habe.

Iana, du machst einen sehr fröhlichen Eindruck auf mich. Täusche ich mich da, oder geht es dir tatsächlich so gut?
Nein, du täuscht dich nicht. Es geht mir prima, körperlich und mental.

In welchem Monat bist du schwanger?
Im siebenten Monat.

Also kommt das Kind im September?
Ja, Ende September, Anfang Oktober.

Wie sehr freust du dich auf das Kind?
Ich freue mich natürlich sehr.
Immer wenn ich Kinder umhertollen sehe oder meinen eigenen Kindern, Marley und William, zuschaue, dann freue ich mich noch mehr auf das dritte Kind.

Ich bin auch ruhiger, weil ich wieder in das gleiche Krankenhaus wie vor zwei Jahren gehe, die Ärzte kennen mich. Ich vertraue dem medizinischen Personal dort sehr.

Wird es dein letztes Kind sein?
Ich denke, es ist das letzte Kind, das ich zur Welt bringe.
Aber ich will mich natürlich nicht generell festlegen. Das Leben ist ja deshalb spannend, weil es nicht bis ins letzte Detail vorhersehbar ist.

Ich will ja auch wieder in meinen Beruf rein und möchte mich noch weiterentwickeln.

Außerdem bin ich in einem Alter, indem ich wahrscheinlich mit der Familienplanung allmählich abschließen sollte. Also ist das für den gegenwärtigen Zeitpunkt erst einmal das letzte geplante Kind.

Und trotzdem: Alles, was die Familie ausmacht, das macht schon sehr viel Spaß.

Iana, wir haben oft ein Interview geführt, wenn du schwanger warst. Ein Zufall sozusagen.
Ist das nicht ein positives Omen?
Ja, das war 2008, 2019 so. Und jetzt wieder. Das stimmt und ich freue mich, dass wir wieder miteinander sprechen können.

Danke, das Kompliment kann ich nur zurückgeben. Ich finde auch, dass du über die Jahre sehr viel lockerer geworden bist. Wie siehst du dich selbst?
Ich spreche die deutsche Sprache natürlich viel fließender, als es noch vor Jahren der Fall war.

Ich interessiere mich heute für die Philosophie der Kindererziehung, lese sehr viel, bin dadurch kommunikativer geworden. Alles zusammen, was hier hineinspielt hat mit dazu beigetragen, dass ich mich stärker geöffnet habe.

Ich denke ebenso an meine Kindheit zurück, überlege, was ich daraus an Positivem in die Erziehung meiner Kinder einfließen lassen kann und was ich an negativen Erlebnissen habe, die ich heute vermeiden will, wenn es um meine Kinder geht.

Woran denkst du da konkret?
Zum Beispiel, wie viel Freiraum ich meinen Kindern lasse und wann ich eingreifen will, also Grenzen setzen muss.

Wie geht es weiter, wenn das Kind da ist?
Ich bin nach der Geburt im Mutterschutz, ca. 8 Wochen und danach gehe ich zurück ins Ballett.

Und wer übernimmt dann die Versorgung und Betreuung der Kinder?
Diese Aufgabe teile ich mir mit Marian. Außerdem: Die ganze Familie steht bereit, um zu helfen – meine Mutter, Marians Mutter, die Tante. Wir haben sehr viele Familienmitglieder, die mich gern unterstützen wollen.

Marians Mutter ist dann in Rente, seine Tante ebenfalls und sie wollen auf jeden Fall helfen.

Meine Mutter möchte mich auch sehr gern unterstützen. Wir brauchen es nur zu sagen.
‚Ruft an, ich komme sofort‘, hat sie mir gesagt.

Bist du aktuell glücklich mit deiner Situation?
Ja, absolut. Allein die Tatsache, dass ich Kinder habe und noch eins dazukommt, das macht mich schon glücklich.

Meine letzte Schwangerschaft war sehr gefährlich, und so wusste ich nicht, ob ich noch einmal Kinder bekommen kann. Deshalb bin ich jetzt schon sehr froh, dass alles normal verläuft.

Was sagt Marian jetzt zu deiner dritten Schwangerschaft?
Er ist auch sehr glücklich und hilft, wo er kann. Er ist ein sehr guter Vater für unsere beiden Söhne, spielt mit ihnen. Sie haben Spaß zusammen, aber er kann ebenfalls streng sein, wenn es angebracht ist. Er ist liebevoll und streng zugleich.

Wenn alles gut läuft, dann könntest du ja im Dezember bereits wieder auftreten, oder?
Ich möchte so schnell wie möglich nach der Geburt meines Kindes wieder zurück an die Arbeit.

Ich bin bereit, wieder voll einzusteigen, aber ich will berücksichtigen, dass ich wahrscheinlich eine gewisse Zeit benötige, in der ich mich wieder an die Arbeit anpasse, an das Training und erst allmählich die Leistungen steigere.
Es braucht eben alles seine Zeit.

Iana, wie sehen für dich die nächsten Jahre aus, was stellst du dir vor?
Natürlich stehen die Kinder im Vordergrund, denn es macht ja viel Spaß, sie aufwachsen zu sehen.

Ich hoffe, dass ich entscheiden kann, was ich tanzen will.
Früher habe ich alle Aufträge angenommen, jede Gala, habe nicht auf meine Gesundheit geachtet.

Zwischen den Auftritten waren ja zusätzlich die Flüge, das Reisen überhaupt, und so war ich oft todmüde.
Das hat natürlich an meinem Körper gezerrt und es laugt dich dann ebenso mental aus.

Ich wollte immer mehr, ich war zum Teil wie im Rausch, und das geht nicht ein Berufsleben lang gut.

Jetzt möchte ich da mehr aussuchen, schauen, was am besten zu mir passt. Denn nur so kann ich zu Höchstleistungen gelangen. Das ist für das Staatsballett wichtig, für das Publikum und für mich selbst.
Ich möchte auf die Qualität achten und dann in weniger Vorstellungen mehr von meinem Können reingeben.

Wie lange willst du noch tanzen?
Mein Plan ist es, noch zehn Jahre zu tanzen.
Bis ich 50 Jahre alt bin, solange will ich noch aktiv sein. Klar, ich muss auf die Ernährung achten, gesund leben, damit ich die nötigen Leistungen abrufen kann.

Dabei spielt eine große Rolle, dass ich von Kindheitsbeinen an im Wettbewerb stand, schon an der Ballettschule in Donezk. Ich will gewinnen, ich will meine Ziele erreichen. Diese Haltung verfolgt mich schon mein ganzes Leben.

Dazu gehört, dass man bereit ist zu leiden, es gehören Schmerzen dazu. Und das erträgst du nur, wenn dein Kopf es will, dass du gewinnst.

Wie gehst du damit um, wenn du an deine Grenzen stößt?
Zunächst will ich bis an meine Grenzen kommen, sie austesten und möglichst noch überschreiten.

Aber ich möchte nicht ohne Rücksicht auf Verluste meine Ziele erreichen.
Wenn es absolut nicht geht, dann akzeptiere ich das.

Hat die Tatsache, dass du Kinder hast, jetzt ein drittes bekommst mit dazu geführt, dass du dich vielleicht mehr zurücknimmst?
Ja, schon. Man überlegt mehr, wo es sich lohnt, die Kräfte einzusetzen. Ich möchte mein Leben nicht nur dafür opfern, zu gewinnen, zu kämpfen, Geld zu verdienen.
Ich denke, das Leben hält mehr bereit.

Was zum Beispiel?
Früher bin ich von einem Termin zum nächsten gehastet. Jetzt arbeite ich ebenfalls hart, aber ich bin mehr bereit, das Erreichte zu genießen.

In den vergangenen Zeiten da kam es vor, dass ich einen Preis gewann und ihn nicht würdigen konnte, sondern ich wollte sofort zum nächsten Wettbewerb eilen, um noch mehr zu erreichen.

Meine Eltern haben mir manchmal gesagt, ich solle mich noch mehr anstrengen, um weitere Erfolge zu haben. Aber das ist verständlich, weil sie für mich das Beste wollten, dachten, ich müsste meine Zeit nutzen. Nur die Zeit, die Lebenszeit verstreicht dabei ebenso und das ist unwiederbringlich.

Was haben in deinem Leben deine Eltern für eine Erwartungshaltung an dich aufgebaut und wie siehst du das heute?
Bei meiner Mutter durfte ich vieles nicht. Sie fragte, warum ich etwas Bestimmtes so gemacht habe und nicht so, wie es sich meine Mutter vorstellte.

‚Du musst es so machen‘, hat sie mir in solchen Momenten gesagt.
Das war für mich ein großer Druck, der von ihr ausging.

Mein Vater hat mich zwar unterstützt, aber er hat oft gesagt: ‚Dein Bruder Jaroslaw ist besser als du.‘

Das demotiviert dich mit der Zeit. Vielleicht hat es aber auch geholfen, dass er das zu mir gesagt hat, um mich nach vorn zu treiben. Aber eine wirkliche anhaltende Motivation war das für mich nicht.

Meine Oma hat eine große Rolle in meiner Kindheit gespielt. Das ist bis heute in meinem Denken und Fühlen so.  Sie war gelassener.

Sie hat mich machen lassen, was ich machen wollte. Und was ich nicht wollte, das habe ich eben nicht gemacht. Sie gab mir das Gefühl frei zu sein. Das ist der beste Weg, um sich zu entfalten.

Was war das Schönste daran, dass du viel auf dem Dorf bei deiner Oma warst?
Ich war allein dort, kein Bruder war mit. Ich konnte im Baum sitzen, mir die Knie beim Runterspringen aufschlagen, frei herumtoben.

Für meine Mutter war es ja schwer, weil wir fünf Kinder zuhause waren. Ich war die kleinste und ein Mädchen. Die anderen waren alle Jungs und jeder in einem anderen Alter.

Das war schon schwierig für meine Mutter, das alles zusammenzuhalten. Und deshalb bin ich eben gern zwischendurch mal bei meiner Oma gewesen und für meine Mutter war dies ebenfalls eine Unterstützung, die meine Oma ihr gab.

Meine Oma war das Beste, was mir in meiner Entwicklung passieren konnte. Sie hat nie viel gesagt.
Aber sie war fröhlich, hat mir meine Wünsche von den Augen abgelesen.

Ich war dort einfach glücklich und konnte mich selbst entwickeln.
Es ist schon gut, wenn sich dein Kind ausprobieren kann und nicht gleich in die Schranken gewiesen wird.

Würdest du den Weg, den du als Kind und Jugendliche gegangen bist noch einmal gehen?
Ich wollte damals aus der Familie raus, wollte für mich sein. Das war ein wichtiger Beweggrund, warum ich so früh in der Ballettschule in Donezk angefangen habe.

Ich wollte einfach weg von meinem Zuhause und das war eine Möglichkeit, mit 12 Jahren rauszukommen aus der Familie, frühzeitig meinen Weg zu gehen. Ich denke, meine Kinder haben hier bei uns zuhause viel bessere Bedingungen, sodass man das nicht so vergleichen kann.

Welche Schlussfolgerungen ziehst du daraus für die Erziehung deiner Kinder?
Grundsätzlich kann ich viel Positives aus meiner Erziehung weitergeben.

Ich habe einen Beruf gelernt, den der Tänzerin, ich hatte ein gutes Elternhaus, die fürsorglich für mich waren. Aber ich mache das heute mit meinen Kindern mehr spielerisch, zum Beispiel bei Marley.
Er dreht gern Videos und ich mache ihm Mut, stärke ihn, dranzubleiben.

Dazu gehört auch, dass ich sage, wenn ich entdecke, dass ein Kind sich noch mehr entwickeln kann und vielleicht sogar schon mal weiter war.

Das ist stets eine Frage des Ausbalancierens und das Ganze ist verbunden mit der Liebe der Eltern zu ihrem Kind.

Was machst du, wenn du dich mal zurückziehen willst?
Ich schlafe dann und danach sehe ich die Welt schon wieder mit anderen Augen.

Manchmal ist mir etwas zu viel. Marian war an Covid-19 erkrankt, Marley kommt allmählich in die Pubertät und dann noch das Kleinkind, da gab es Phasen, wo ich mich zurückziehen wollte.

Nach dem Schlafen ist es besser für mich, ich bin dann wieder positiv drauf.

Was magst du an Marian besonders?
Er ist ein Familienmensch, ist für mich da, hilft mir, kann sich zurücknehmen.

Das ist für mich ganz besonders wertvoll in unserer Beziehung.
Wir haben 2005 geheiratet und unsere Liebe hat Bestand.

Wie geht Ihr mit Konflikten in dieser Zeit um?
Meine Erfahrung ist, dass ich in Konfliktsituationen loslasse.
Marian kämpft noch mit den Langzeitwirkungen aus seiner Covid-19-Erkrankung.

Das hindert ihn daran, aktuell richtig durchzustarten, sich wieder voll auf seine berufliche Karriere zu konzentrieren.

Er kämpft mit seinen Zweifeln, Träumen, Ängsten und daraus entstehen schon mal stressige Gespräche. Aber das ist es ja auch, was das Leben spannend macht.

Niemand kann ja ernsthaft von sich behaupten, dass er ohne Widersprüche und Konflikte durch das Leben kommt.

Sie sind ja gerade oft die eigentlichen Treiber dafür, dass man weiter vorangeht seinen Weg findet.

Kurzum, Konflikte gehören zum Leben einfach dazu, wir reden sie nicht herbei, aber wir gehen mit ihnen um und letztlich stärkt das unsere Liebe.

Bist du ein glücklicher Mensch?
Ja, bin ich. Ich liebe meinen Mann, meine Kinder, was für ein größeres Glück könnte man haben?
Ich bin natürlich auch stolz auf das, was ich erreicht habe.

Iana, ich wünsche dir alles Gute für dich und deine Gesundheit und das alles gut verläuft mit der Geburt.

 

WAS GLÜCK IM ALLTAG IST – DARÜBER KÖNNEN DIE MEINUNGEN SCHON AUSEINANDERGEHEN

ALLTÄGLICHES-2021.08.04

‚Mein Haus, mein Pferd, mein Auto‘ – manchmal denkst du, dass dies nur übertriebene Werbung sein kann, dass es so etwas nicht gibt, schon gar nicht unter Menschen, die du geglaubt hast, zu kennen.

Das Telefon klingelte. Ich war nicht gewillt, mich jetzt von einem Anrufer ablenken zu lassen.

Trotzdem war ich neugierig und schaute deshalb auf das Display. Es war eine Nummer von der Ostsee.

War etwas passiert mit Klaras Mutter, rief die Einrichtung des Betreuten Wohnens an?

Das konnte nicht sein, denn die Vorwahl war eine andere.
Ich war neugierig geworden und drückte auf die grüne Taste des Telefons.

„Hallo Uwe, hier ist der Dieter“, ertönte eine sonore Stimme

„Dieter, welcher Dieter?“ Ich wusste nicht, wer das sein sollte.

Plötzlich schoss es mir durch den Kopf. Die wohlgesetzte Betonung der deutlich artikulierten Worte, das richtige Einhalten von Pausen. Das konnte nur einer sein.

„Bist du es Dieter, der jetzt an der Ostsee wohnt?“
Ich kam mir blöd vor, so zu fragen, aber Dieter verstand mich.
„Ja, der bin ich.“

Ich hatte Dieter bestimmt zehn Jahre nicht gesehen und nichts gehört von ihm.

Wir waren damals befreundet, hatten gemeinsame Coachingsseminare abgehalten.

Dieter wollte in der Zeit unbedingt eine Immobilie erwerben, zur Kapitalanlage, und ich sollte ihm dabei helfen.
Und zwar dort, wo ich wohnte.

Ich hatte gar keine Lust dazu, weil ich wusste, was es bedeutete, Dieter zu helfen.

Er war anspruchsvoll, verliebt in Details und konnte dich damit nerven.

Trotzdem, ich half ihm, lud sogar den Bauträger zum Abendessen ein, um über den Verkaufspreis zu verhandeln und einen ordentlichen Rabatt zu erkämpfen.

Das alles ist mir gelungen und ich war mächtig stolz darauf, dass ich meinem Freund helfen konnte.

Die Jahre vergingen, wir verloren uns aus den Augen.
Zwischendurch rief Dieter mich noch einmal an.
„Ich habe mir noch eine Eigentumswohnung an der Ostsee gekauft, in die ich auch selbst eingezogen bin“, sagte er zu mir und erwartete mein Staunen.

„Wow!“, stieß ich aus, mehr pflichtgemäß, weil ich wusste, dass Dieter das von mir erwartete

„Dieser freie Blick auf das Wasser, du glaubst nicht, wie phantastisch das ist“, schob er noch nach.

Er wollte, dass ich erneut meine Wertschätzung für so viel Glück ausdrückte.

Doch ich hatte nicht mehr die Nerven an diesem Tag, vor vielen Jahren, denn ich war gerade nach Hause gekommen, nach einem zwölf Stunden Tag, vollgestopft mit Meetings und teils nutzlosen, aber nervenaufreibenden Diskussionen über die richtige Strategie in der Steuerung eines internationalen Projektes.

Dieter sagte mir noch, dass er sich nun auf die Rente vorbereiten würde. Er wollte sich ein ganzes Netzwerk aus Kunden erarbeiten, die er dann später coachen wollte.

Wie gesagt, das ist lange her und die Jahre waren vergangen.
Ich hörte nichts mehr von Dieter.

Bis auf den Anruf in der vergangenen Woche.
„Ich habe das Haus verkauft und wollte dir das nur mitteilen“, sagte er.

„Donnerwetter, gratuliere! Für wieviel hast du es denn verkauft?“, fragte ich ihn.

„Darüber möchte ich nicht sprechen.“

„Aber ich habe dir doch geholfen, die Immobilie für einen ordentlichen Preis zu erwerben, da wäre es schon interessant, den Verkaufserlös zu erfahren“, ließ ich nicht locker.

„Bitte versteh`, wenn ich darüber nicht reden möchte“, sagte er.
Ich verstand es nicht, bohrte aber nicht weiter nach.

„Und, wie geht es dir sonst?“, lenkte ich das Gespräch in eine andere Richtung.

„Ach, ich habe meine Wohnung an der Ostsee auch verkauft und mir ein lebenslanges Wohnrecht gesichert.“

„Donnerwetter, musstest du ein zusätzliches Bankkonto eröffnen oder einen zusätzlichen Safe anmieten?“, versuchte ich zu scherzen.
Aber Dieter scherzte nicht.

Nicht, wenn es darum ging, seine großartigen Erfolge kundzutun.
Er sprach dann ganz besonders ausdrucksvoll, bedacht auf die Wirkung jedes einzelnen Wortes.

„Nein, stell‘ dir nur einmal den Blick auf die Ostsee vor. Kannst du dir ihn vorstellen?“

Ich merkte, wie in mir langsam Puls anschwoll.

„Dieter, möglicherweise ist dir entgangen, dass ich mich in meiner Zeit nach dem Abitur im ersten Studium mit dem Fach Schiffsmaschinenbetrieb beschäftigt habe und zur See gefahren bin. Also auch, wenn ich oft im Maschinenraum war, so bin ich doch ab und zu an Deck gegangen, um auf das weite Meer zu schauen.“

„Ja, natürlich“, entgegnete er, obwohl er das nun gar nicht von mir hören wollte.

Dieter wollte einfach nur, dass ich staunte, selbst nach so vielen Jahren.

„Was machst du denn jetzt? Wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe, so wolltest du doch jetzt richtig Geld verdienen, mit dem Coaching loslegen, oder?“.

Ich wollte Dieter herauslocken und sehen, ob er sich selbst gegenüber Wort gehalten hatte.

„Nein, ich muss doch nun meine Hobbies ausleben.“
„Was meinst du?“

„Nun, ich schwebe mit meinem Mercedes über die Autobahn und genieße es, diesen Luxus zu haben.“

„Hm“, gab ich von mir.
„Und dann war ich erst kürzlich mit einem Wohnmobil im Urlaub. Einem Mercedes-Wohnwagen.

Du glaubst nicht, was das für einen Spaß gemacht hat. Allein, die Dusche, getrenntes WC, einfach Luxus pur.“

Warum erzählte Dieter mir das alles?
Glaubte er, ich würde ihm dieses Leben neiden oder vielleicht traurig sein, weil ich nicht mit einem Luxus-Wohnmobil in den Urlaub fuhr?

„Dieter, wer wird da nicht schwach, wenn er solche Möglichkeiten hat. Aber was ist mit deiner Familie? Hast du geheiratet, oder bist du mit jemandem zusammen?“

Dieter antwortete nicht, er ging darauf nicht ein.

Ich wusste, dass er stets davon gesprochen hatte, die einzig Richtige für sich zu finden und dafür zu warten.

Doch offensichtlich hatte das nicht geklappt.
Das alles war nicht schlimm, schließlich war es sein Leben.

Aber warum schob er seine vermeintlichen materiellen Vorteile so in den Vordergrund?

Ich würde es nicht klären können, und ich wollte das auch nicht.

Wir sprachen noch kurze Zeit über Belangloses und verabschiedeten uns dann.

Ich wollte ihm noch sagen, dass ich ziemlich glücklich war mit dem, was ich hatte.
Wie ich mich zu Krümel freute, wie Klara und ich gern an die Ostsee fuhren, unser beider Heimat. Wieviel Spaß mir die Arbeit machte.

Aber: Würde ich dann nicht in die gleiche Kerbe hauen, wie es Dieter gerade getan hatte?

Ich ließ es also sein, beglückwünschte ihn zu all seinen Errungenschaften und wünschte ihm alles Gute für den weiteren Weg.

„Was war?“, fragte Klara mich, nachdem ich den Hörer aufgelegt hatte.

„Ach nichts“, sagte ich.
„Mir ist eben nur wieder klar geworden: Du musst nicht alles haben, aber du solltest das Richtige haben.“

Dieter glaubt das von sich und ich glaube das von mir auch.

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DER MONTAG IM TELEGRAMM-STIL

ALLTÄGLICHES-2021.08.03

Ich bin gegen 03.10 Uhr aufgewacht. Sollte ich mich wieder hinlegen?

Nein, ich wollte ja schon gegen vier Uhr losfahren. Meine Frau schüttelte darüber nur mit dem Kopf.

Aber ich blieb bei meinem Vorhaben. Ich wollte möglichst schon 05.00 Uhr früh auf dem Laufband stehen und mit dem Training beginnen.

Denn dann war es noch leer im Studio. Fast leer jedenfalls.
Irgendeiner war immer an den Geräten.

Ich überwand mich also, schwang die Beine aus dem Bett und fuhr pünktlich los.

Es war still, als ich die Umgehungsstraße im Wald hochfuhr, mich mit dem Jeep durch die Vertiefungen im Sand kämpfte. Vor mir blitzten zwei Augen auf. War das ein Fuchs oder ein Dachs?

Ich konnte es nicht erkennen und war froh, dass der schnell über den Weg huschte.

Tiefgarage. Ich nahm die Tasche heraus und ging schwungvoll die beiden Stockwerke nach oben.

Als ich oben ankam, da war ich das erste Mal schon kaputt.
Ich schleppte mich erst einmal zur Bank und ließ mich darauf fallen.

Ich keuchte und war schon völlig fertig. Wie sollte das nur dreißig Minuten auf dem Laufband werden?

Aber es wurde.

Ich baute sogar Steigungen ein, erhöhte die Geschwindigkeit des Laufbandes, immer für eine Minute.
Ich schnaufte und tat mir selbst unendlich leid.

Keiner sah, wie heldenhaft ich hier kämpfte. Nur die kleine Reinemachfrau stieß mit ihrem Staubsauger gegen das Band.

Ich riss mich zusammen, straffte meinen Körper, versuchte den Bauch weiter einzuziehen und so zu tun, als wäre ich der ‚Ironman‘ bei seinem Training für Hawai.

Viel später, am zehnten oder elften Gerät, da rief mir jemand entgegen: „Hallo mein Freund, wie geht es dir?“

Es war mein türkischer Trainingskollege, mit dem ich mich schon ein wenig angefreundet hatte.

„Du hast noch alles vor dir, aber ich bin gleich fertig“, rief ich zurück.
Er lachte und winkte im Vorbeigehen.

Endlich. Ich war wieder draußen. Ich setzte mich noch einmal auf die Bank. Diese Minuten genoss ich, wenn ich beobachten konnte, wie die Menschen ankamen und in das gegenüberliegende Bürogebäude hasteten.

Ich war froh, dass ich das nicht mehr musste.
Zuhause wartete auf mich zwar auch ein Interview, das mal wieder unbedingt fertiggestellt werden musste, aber zuerst würde ich mal frühstücken und die Berliner Zeitung auf dem iPad lesen.

Klara hatte ihren Homeoffice-Tag. Das Frühstück war deshalb schon fertig, als ich ankam.

Sie war schon wieder nach oben in ihr Zimmer gegangen, um weiterzuarbeiten.

Ich saß noch im Sessel und las einen Artikel, in dem Wilhelmshaven mit ‚f‘ geschrieben war.

Ich freute mich, dass sogar der Zeitung solche Fehler unterliefen.
Die Augen fielen mir zu und mein Kopf sank nach hinten weg.

Erst dadurch, dass ich mich nicht anlehnen konnte, schrak ich wieder hoch und rieb mir die Augen.
Ich sollte mal überlegen, ob es morgens nicht reicht, wenn ich eine Stunde später losfahren würde.

 

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ABENTEUER FITNESS-STUDIO

ALLTÄGLICHES-2021.07.29

 

Es musste noch zu früh sein, um auf die Uhr zu sehen.
Ich wälzte mich im Bett auf die andere Seite und versuchte weiter zu schlafen.

Ich blieb wach. Schließlich rappelte ich mich doch hoch im Bett und versuchte, die Lichttaste vom Wecker zu erwischen. Das klappte auch, nur fiel die ganze Uhr dabei um, krachte mit einem scheppernden Geräusch auf die Glasplatte.

„Sei bitte leise, wenn du so früh aufstehst“, hatte Klara mir noch gestern Abend gesagt.
„Das ist doch selbstverständlich“, erwiderte ich.

Jetzt war es zu spät dafür. Ich schaute auf die Uhr. Es war kurz nach drei.

Sollte ich mich noch einmal hinlegen und dann verschlafen?
Ich wollte unbedingt gegen vier Uhr losfahren.

Also schwang ich die Beine aus dem Bett, stieß gegen die Bettrolle, die in der Ecke stand und umfiel.
Klara hob den Kopf.

„Kannst du nur einmal nicht wie ein Bagger durch das Zimmer rollen?“
Ich antwortete nicht, sondern ging nach draußen und machte das Licht im Flur an.

„Mach das Licht aus“, rief Klara sofort.
Ich gehorchte und drückte auf den Schalter. Ich stand barfuß vor der Badtür und streifte nur leicht mit dem großen rechten nackten Zehen die Kante vom Türrahmen.

‚Jetzt bis du wenigstens munter‘, redete ich mir ein, während der Schmerz brennende Signale an mein Gehirn abgab: ‚Du Trottel solltest besser aufpassen oder im Bett liegenbleiben.‘

Ich beschloss, all das zu ignorieren und zog mich an, gleich in Sportkleidung.

Anschließend tastete ich mich im Dunkeln die Treppe runter und leuchtete mit dem iPad die einzelnen Stufen ab.

Dann Tee kochen, Banane ins Auto legen, 1,5 Liter Wasserflasche auffüllen, losfahren.

Ich musste durch den Wald, weil die Landstraße wegen Bauarbeiten gesperrt war, schon lange, eine gefühlte Ewigkeit.

Ich holperte über die Unebenheiten der Straße, jagte für eine Weile einen Hasen, der nicht aus meinem Lichtkegel herauskam.

Was sollte ich tun, ihn ignorieren, das brachte ich nicht fertig. Also entweder ich bog in Richtung Baum ab oder er tat es. Ich war dafür, dass er es auf sich nahm.

Ich fuhr ganz langsam, schaltete das Licht aus und dann wieder an.
Der Hase hoppelte ganz weit hinten auf der Waldlichtung davon.

Endlich Landstraße. Ich bretterte an Buch vorbei, rauf auf die Autobahn, runter an der Prenzlauer Promenade. Die Ampeln waren alle auf grün geschaltet.

Im Radio trällerte jemand das Lied „Einmal von Rügen nach Paris.“ Was hätten sie wohl mit dem Sänger vor dreißig Jahren gemacht? Das war ja der direkte Aufruf zur Republikflucht.

Aber heute Morgen, drei Jahrzehnte später, Paris?
Nee, lieber Rügen und dort an den Strand legen. Ist sicherer wegen Corona.

04.27 Uhr, ich fahre in die Tiefgarage. Es ist gespenstisch. Als ich aussteige höre ich das dumpfe Geräusch von einem Gewicht, das zu Boden knallt.

Also war ich nicht der erste.
04.59 Uhr, ich stehe auf dem Laufband und drehe langsam die Geschwindigkeit hoch.

Als ich bei 5,5 bin, fahre ich die Steigung auf 15 hoch. Mehr geht nicht.
Ich komme ins Straucheln, habe Angst, dass mir das Band davonläuft und ich mit dem Gesicht auf dem Boden aufknalle.
Mit letzter Kraft fahre ich die Steigung zurück, keuche und röchele dabei.

Dreißig Minuten sind geschafft, ich lege mich danach auf die Bauchbank, verschränke die Hände auf meinem Oberkörper und freue mich, dass ich noch lebe.

Ich raffe mich auf und hebe und senke die Beine.
07.15 Uhr – Ich hole mir ein Proteingetränk für drei Euro. Wenn das Klara wüsste. Weiß sie aber nicht.

Ich will unbedingt wieder das Abnehmen forcieren.
Gestern kam ein Mann auf mich zu und sagte mir, dass ich gut wäre an der Bizeps Maschine wäre. Ich schaute misstrauisch zu ihm hoch.

„Was schleimte der rum?“
„Du musst dir eine Folie um den Bauch legen, dann verbrennst du dein Fett.“

„Du, danke, aber ich habe zu lange daran gearbeitet, damit ich so aussehe, wie ich es jetzt tue.“
Er schaute mich an und forschte in meinem Gesicht, ob es ein Spaß gewesen wäre.

War es auch, aber ich mochte nicht lachen, denn ich hatte noch zu viele Geräte vor mir.
Aber heute war ich für mich und brauchte keine noch so gutgemeinten Ratschläge annehmen.
Ich setzte mich noch für eine Weile auf die Bank draußen, blinzelte in die Sonne und sah einer Taube zu, die vor mir saß.

„Das Leben ist schön“, sagte ich mir und begab mich auf den Rückweg.

Ich rief Klara an. Sie war heute im Homeoffice.
„Soll ich Frühstück machen?“, fragte sie mich.
„Das wäre toll und freute mich auf den Kaffee.“

„Du, ich bin voller Energie“, sagte ich zu ihr, als ich zur Tür hereinkam.
„Das habe ich gemerkt, und zwar schon vor deinem Sport“, antwortete Klara trocken.

Ich wartete noch, ob vielleicht ein kleines Lob kam, dafür, dass ich so früh aufgestanden war, mich in die City gestürzt hatte, nur um zwei Stunden Sport zu treiben.

Es kam nichts.
„Wie weit bist du eigentlich mit deinem Interview? Ist das fertig?“, fragte sie mich.

„Ja, ist fertig.“
Sie dachte wahrscheinlich fertig zum Abgeben. Ich aber meinte: Rohentwurf fertig.

„Dann kannst du ja heute noch neue Kunden anrufen“, sagte sie.
„Kann ich, aber ich muss noch ein bisschen am Text feilen“, sagte ich.

Das Hamsterrad des Alltags nahm wieder seinen Lauf.
Ich war immer noch gutgelaunt und wollte es auch bleiben, bei dem Energieschub von heute Morgen? Das musste einfach drin sein.

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MEIN FREUND, DER ALLTAG

GESPRÄCHE MIT EINER PRIMA BALLERINA-AUSGEWÄHLTE TEXTE

MENSCHEN IM ALLTAG-2021.07.28

Am 05. August 2021 veröffentliche ich auf dem Blog das neueste Interview, das ich mit Iana Salenko kürzlich geführt habe.
Vorab – hier zwei ausgewählte Texte aus den letzten beiden Jahren.

 

IANA SALENKO IM TELEFONINTERVIEW IM DEZEMBER DES VERGANGENEN JAHRES
Freitag, 11.12. 2020
Iana Salenko ist die Prima Ballerina am Staatsballett in Berlin.
Sie antwortete auf meine Fragen, die ich ihr am Telefon gestellt habe. Obwohl es ihr selbst noch nicht wieder hundertprozentig gutging - sie hatte sich mit Covid-19 infiziert, schaffte sie es, gute Laune zu verbreiten.
Ich stellte immer wieder aufs Neue fest, dass Iana durch und durch ein Profi ist, vor allem aber ein wunderbarer Mensch.

Zum Interview:
Iana, wie geht es Euch in dieser Zeit, in der alles und alle unter Covid-19 zu leiden hat?
Uns geht es heute schon wieder viel besser. Vor vierzehn Tagen habe ich erfahren, dass ich mich mit dem Virus infiziert habe.

Hast Du Dich testen lassen?
Ja, und wenig später bekam ich die Nachricht, dass der Test positiv war.

Was hast Du in dem Moment gedacht, als Du von dem Ergebnis erfahren hast?
Naja, du erschrickst dich schon, bekommst Angst, weil du ja nicht weißt, wie der Verlauf deiner Krankheit sein wird.

Welche Symptome sind bei Dir aufgetreten?
Ich war vor zwei Wochen, noch bei den Proben und fühlte mich danach nicht so gut.
Ich hatte Muskelkater, der ganze Körper schmerzte und am nächsten Tag spürte ich, dass mir mal kalt und dann wieder heiß wurde.

Was hast Du dagegen unternommen?
Zunächst war mir noch nicht bewusst, dass ich überhaupt krank bin.
Ich dachte, es sei eine leichte Erkältung.

Ich bin ja sogar noch in die Sauna gegangen, um den Schnupfen und den Husten wieder loszuwerden.

Und, hat die Sauna geholfen?
Nein, natürlich nicht. Die Symptome wurde sogar noch stärker.
In der Nacht darauf hatte ich eine erhöhte Temperatur – 37,5 Grad zwar nur, aber es fühlte sich an, als hätte ich 39 Grad Fieber.

Gab es dafür einen besonderen Grund?
Ich glaube, dass das mit meinen starken Schmerzen im Rücken zu tun hat, die ich stets bekomme, wenn ich Fieber habe.

Wie ging es weiter?
Ich bin Zuhause geblieben, habe viel geschlafen, mich ausgeruht. Ich wollte keine Tabletten nehmen und gedacht, ich bekäme es so in den Griff.

Aber dann wurde der Husten stärker, ich hatte teilweise keinen Geschmack mehr, fühlte mich einfach schlapp.
In der Staatsoper wurden wir zweimal in der Woche getestet. Ich habe mich also auch nach einer Probe entsprechend vorsorglich testen lassen. Als ich das Ergebnis mitgeteilt bekam, da bin ich sofort in die Quarantäne gegangen.

Hat Marian diese Symptome auch gehabt?
Ja, er hatte tagelang Kopf- und Rückenschmerzen, seine Augen brannten und er war auch ständig müde.

Des Weiteren hatte er einen starken Husten und auch ein Brennen in der Nase.

Wie geht es Euch heute, 14 Tage, nachdem Du positiv getestet wurdest?
Es geht uns beiden schon sehr viel besser. Wir fühlen uns noch nicht wieder zu 100 Prozent fit, aber es geht merklich aufwärts.

Iana, ich weiß, dass Du mental ein sehr starker Mensch bist und Dich immer wieder selbst motivieren kannst. Gelingt Dir das in dieser Zeit ebenfalls?
Ja, schon.
Es gibt sogar etwas Positives, dass ich gar nicht missen möchte.

Nämlich, dass ich William ganz anders aufwachsen sehe.
Bei Marley war ich gleich nach der Geburt schon wieder sehr schnell in Auftritte eingebunden. Heute kann ich Zuhause bleiben und mich intensiver mit den Kindern beschäftigen.

Wie kommt Ihr beide miteinander klar. Gibt es Phasen, wo Ihr Euch wünschen würdet, dass Ihr nicht beide die ganze Zeit im Haus zusammen seid?
Uns geht es wie allen Menschen in dieser Situation.
Also gibt es auch mal Zeiten, wo wir uns lieber mal für eine Zeit aus dem Weg gehen oder eben eine Meinungsverschiedenheit austragen.

Aber überwiegend stärkt uns der Zusammenhalt in der Familie, weil wir viel miteinander reden und einfach Spaß haben.

Marian ist es ja gar nicht gewohnt, dass ich so viel Zuhause bin. Für ihn ist das eher ungewohnt. Er denkt manchmal, ich sei genervt von ihm, weil er nun so oft um mich herum ist.

Und ist das so?
Nein, überhaupt nicht. Ich genieße das richtig, auch mit den Kindern zusammen zu sein.
Ich sitze manchmal nur auf der Couch und beobachte William, wie er auf dem Fußboden herumkrabbelt. Das sind einfach schöne Momente.

Wie hältst Du Dich fit in dieser Zeit, und unter diesen ungewöhnlichen Bedingungen?
Ich trainiere sehr viel an der Sprossenwand im Arbeitszimmer, oder ich mache Bodenübungen. Yoga – und Pilatis Übungen kommen hinzu.
Manchmal laufe ich mit William die Treppe hoch. Er mag das so sehr. Wir können ihn in seinem Alter nicht allein hochlaufen lassen und müssen schauen, dass ihm beim Klettern auf der Treppe nichts passiert.
Also machen wir das beste daraus und treiben gleich ein bisschen Sport. Das muss ja alles auch ein wenig Spaß machen.

Wie ist die Hausarbeit zwischen Euch aufgeteilt?
Marian kocht sehr gern. Er liebt das. Ich wasche meistens ab.
Ich stehe meistens sehr früh auf.

Dafür bereitet Marian wiederum die Flasche Milch für die Nacht für William vor. Morgens, da bekommt der Kleine Haferflocken und Marian kann weiterschlafen. Er rührt sich auch nicht.

Wie kommt Dein Mann insgesamt mit der Situation klar?
Marian versucht vor allem die positiven Seiten im jetzigen Alltag zu sehen.
Er beschäftigt sich viel mit den Kindern, genießt unser Zusammensein.

Iana, vielen Dank für das Interview.

 

WILLIAM KÜNDIGT SICH AN
Iana, kurz vor der Geburt ihres zweiten Sohnes, William

Montag, 13. Mai 2019.

Iana ging es gut, und das, obwohl sich scheinbar die Zeit ihrer Schwangerschaft dem Ende zuneigte.

Ihr Bauch war immer weitergewachsen und jetzt fühlte er sich sehr hart an. Doch sie fand das nicht schlimm.

„Ich gehe heute zum Training“, rief sie Marian zu, der gerade die Treppe herunterkam und auf die Küche zusteuerte.

„Hm“, brummte der. Zu mehr war er zu der Tageszeit noch nicht fähig. Der Tag hatte ja gerade angefangen und Marians ‚Batterien waren noch nicht hochgefahren‘.

„Ich will mich bewegen, nicht nur hier herumsitzen“, sagte Iana zu ihm, während Marian in der Küche hantierte.

„Aber wird das nicht zu viel für dich? Es kann jeden Augenblick losgehen, mit den Wehen“, antwortete Marian und schaute auf Ianas Bauch.

„Ach, das geht schon“, entgegnete sie. Dabei stellte sie sich gerade in den letzten Tagen immer wieder die Frage, wann es nun endlich so weit war, und es losging mit der Geburt.

Iana, Marian, Marley, sie alle konnten es kaum noch erwarten, dass der kleine William auf die Welt kam.

Nach dem Training fühlte sich Iana immer noch gut.
Später, es war bereits nachmittags, da verspürte sie Lust, die Terrasse zu fegen.

Irgendwas ließ sie nicht zur Ruhe kommen. Sie wollte putzen, alles im Haus saubermachen.

„Ich kann dir helfen“, sagte sie zu Marian, während der das Unkraut zupfte. Sie sprang auf und griff sich den Besen.

Anschließend begleitete sie noch gemeinsam mit Marian ihren Sohn Marley zum Klavierunterricht.

Nach dem Klavierunterricht gingen sie alle zusammen in ein Fastfood-Restaurant.

„Ich möchte Cola trinken“, rief Marley gleich, als sie sich alle hingesetzt hatten.

„Du weißt schon, dass das nicht nur dick macht und du außerdem die ganze Nacht nicht schlafen kannst“, mahnte Marian seinen Sohn.

Marley war gerade mal zehn Jahre alt und für sein Alter ein sehr aufgewecktes Kerlchen, und nicht auf den Mund gefallen.

„Macht nichts, dann kann ich nachts weiter meine Geschichten per Video erzählen“, entgegnete er schlagfertig.

„Denk an Herrn Müller und seinen dicken Bauch. Willst du auch mal so aussehen?“, scherzte Marian.

„Papa, dann müsste ich ja ganze Lastzüge voller Cola leer trinken und zu Weihnachten könnte dann nicht wie gewohnt ein festlich geschmückter Coca-Cola – Zug zu den Kindern fahren, so wie jedes Jahr.“

„Ich will auch eine Cola probieren“, sagte Iana plötzlich.
„Hoffentlich bekommt sie dir in deinem Zustand“, meinte nun Marian.

„Ja, das geht schon“, antwortete Iana und tunkte eine Pommes frites in die scharfe Sauce.

Es war schön, im Restaurant zu sitzen, zu lachen und die Gemeinsamkeit zu dritt zu genießen.

Bald würden sie zu viert sein, und im Stillen saß der kleine William bereits mit am Tisch.

Iana fühlte sich gut nach dem Essen. Und doch sollte diese Leichtfertigkeit beim Essen ihre Geburtswehen beschleunigen.

„Mama, wollen wir Lego spielen?“, fragte Marley seine Mutter, als sie wieder Zuhause angekommen waren.

Iana war einverstanden und Marley holte die Steine raus.
Marian mähte indessen im Garten den Rasen.

Plötzlich bemerkte Iana, dass bei ihr Wasser austrat.
Sollte das der Beginn der Geburtswehen sein?

Eine Woche lang hatte Iana alles versucht, aber die Wehen setzten nicht ein, es passierte nichts.

Und die Cola und die scharfe Sauce, waren sie jetzt der Auslöser für all das?

„Marley, ich glaub‘, es geht los“, rief Iana.
„Nein, nein, bitte nicht, noch nicht heute!“

Marley schaute seine Mutter an. Sein Gesicht drückte Panik aus.
Er hatte Angst um seine Mutter. Aber er dachte auch daran, dass am nächsten Tag die Fahrradprüfung für ihn anstand, und die wollte er unbedingt ablegen.

Außerdem: Sein Bruder sollte nicht an einem 13. geboren werden. Das würde doch Unglück nach sich ziehen. Marley war verzweifelt und ratlos.

Iana spürte das aus ihrem herauslaufenden Fruchtwasser.
„Ich geh‘ in die Badewanne und danach ein wenig Make-up auftragen“, sagte sie. Sie schien ruhig und ausgeglichen, während um sie herum alles hektisch wurde.

William kam noch am gleichen Tag zur Welt.

 

FITNESS IST MEHR ALS NUR MUSKELN TRAINIEREN – ES KNÜPFT EIN MENTALES BAND ZWISCHEN MENSCHEN IM ALLTAG

ALLTÄGLICHES-2021.07.28

ALLTÄGLICHES-2021.07.28

Kalle, der Allrounder vom JR-Fitness-Studio im Prenzlauer Berg,  motiviert dich – neben seiner Arbeit, fast unbemerkt, aber mit einem merklich positiven Ergebnis für dich – mental und für deine Bereitschaft, erneut zum Training zu kommen, nun schon fast täglich.

Ich bin noch nicht lange wieder im Fitness-Studio – erst, nachdem ich zweimal geimpft worden bin.

Jetzt ist es wohl schon die dritte Woche, in der ich morgens wieder regelmäßig zu John Reed in den Prenzlauer Berg fahre.

Es fühlt sich noch schwer und behäbig für mich an. Allein, wenn ich die Treppen von der Tiefgarage rauf bis zum Eingang des Studios gehe, keuche ich, als hätte ich schon einen Halb-Marathon absolviert.

Kalle hat mich da beruhigt: „Du, die Treppenstufen sind wahrscheinlich höher als normal gebaut.“
Ich war sofort bereit, ihm das zu glauben.

Aber das ist es, was mich schließlich schnell motiviert.

Während ich mich ausgeschlafen, na gut – so einigermaßen, kurz vor sechs Uhr morgens durch die Tür schleppe, eher missgelaunt bin, begrüßt Kalle mich hinter dem Tresen mit einem fröhlichen ‚Guten Morgen Uwe.‘

Dabei müsste er derjenige sein, der kaputt ist, denn hinter ihm liegen ja viele Arbeitsstunden, die er in der Nacht im Studio absolviert hat.

Aber in dem Moment, in dem ich ihn treffe, da lege ich meinen eigenen inneren Schalter um und sage mir: ‚Komm‘, du Lusche, sei fit und motiviert, du hast keinen Grund dich hier nur durchzuschleppen.“

Es sind nie die großen Dinge, die mich begeistern, sondern eher die kleinen, die alltäglichen Gesten, die mir schließlich gute Laune bereiten.

Kalle hat dafür ein Händchen. Er sagt zwar, er sei nur der Allrounder, der sich kümmert, aber ich denke, er ist mehr.

Nämlich jemand, der Menschen zusammenführen kann, jedem der zur Tür reinkommt das Gefühl gibt: ‚Hey, besonders du bist hier herzlich willkommen.‘

Wir sprechen nie lange miteinander, dann wuselt Kalle schon wieder irgendwo hin -und her, achtet darauf, dass die Hygieneregeln eingehalten werden, kontrolliert den Impfstatus bei den Leuten, die durch die Eingangstür kommen.

Kurzum, es ist mehr ein positives Feeling, was Kalle verbreitet und dabei noch seine Arbeit macht.

Im Stillen denke ich oft: „Du möchtest hier jetzt nicht wischen, oder mit dem Lappen die Ecken im Studio säubern.“

Da bin ich dann doch froh, dass ich lediglich an den Geräten trainieren muss oder besser darf.

Ich schätze Kalle, weil er unaufdringlich ist, sich kümmert, stets ein gutes Wort übrighat, und ganz nebenbei, fast unbemerkt, alles im Griff hat.

Also, ich sitze jetzt am Schreibtisch, müsste eigentlich das Interview mit der Prima Ballerina protokollieren, aber das hier aufzuschreiben, das macht eben mehr Spaß.

Ich bin froh, dass ich wieder ins JR-Studio fahren kann. Und das mit dem Gewicht und den laschen Muskeln, das kriege ich auch wieder in den Griff, die Hoffnung jedenfalls bleibt.
Bis demnächst mal, Kalle.

MIT KRÜMEL GLÜCKLICH UND ABWECHSLUNGSREICH – EIN ATEMLOSES WOCHENDE

ALLTÄGLICHES-2021.07.26

Der blöde Code an der Kita-Eingangstür

Wir haben uns darauf gefreut, Krümel aus der Kita abzuholen.
Und Krümel war auch schon ganz aufgeregt.

„Oma und Opa, ich bleib‘ zwei Tage bei euch“, hat sie fröhlich durchs Telefon geschmettert.

Die erste Hürde war die Eingangstür zur Kita. Ich hatte mir den Code gemerkt, aber nicht, in welcher Reihenfolge was eingegeben werden musste.

Schließlich waren wir drin, nach vielen gutgemeinten Ratschlägen von Eltern, die ungeduldig hinter uns warteten, dass wir die Tür endlich aufbekamen.

„Wir wollen Krümel abholen“, sagte ich zu einer Erzieherin, die im Hof die lärmenden Kinder beaufsichtigte. Es war dort eine schöne Atmosphäre.

Vor mir auf dem Tisch standen Schalen mit frischem Obst. Ich wollte schon hineinlangen, aber der strafende Blick von Klara hielt mich davon ab.

„Plötzlich erkannte uns Krümel. Sie stürmte auf uns los und rief: ‚Oma, Opa.‘

„Ich kenn‘ Sie nicht“, sagte die Erzieherin.

„Ich kenn‘ Sie auch nicht, aber unsere Enkelin kennt uns und das ist wohl das Wichtigste“, sagte ich trotzig und bekam prompt von Klara einen kräftigen Stoß in den Rücken.

Ich fingerte noch den Führerschein aus dem Etui des Handys und zeigte ihn der Erzieherin. Die hatte schon das Foto erkannt, das auf der Vorderseite war und auf dem ich mit Krümel zu sehen war.

„Ihre Enkelin hat einen Jungen gekratzt“, sagte jetzt noch die Erzieherin.

Ach, auf einmal war es unsere Enkelin, als sie die Nachricht loswerden konnte.
„Ist gut, brummte ich“, bereit, Krümels Handlung zu verteidigen. Ich wusste, es war pädagogisch falsch, so zu reagieren, aber ich war nun mal innerlich auf ‚180′ und da zog ich einen mentalen Verteidigungskreis um meine Liebsten.

Ich war aber in dem Moment nicht der Liebste von Klara. Die hatte die Nase voll von meinen wortreichen Eskapaden und war mit Krümel bereits auf dem Weg nach draußen. Krümel hüpfte an ihrer Hand fröhlich von dannen. Ich trottete hinterher, nachdem ich ‚Wiedersehen‘ gebrummt hatte.

Aber das nächste Mal würde ich vor der Eingangstür warten und das Feld gleich Klara überlassen.

„Wir hatten einen ‚onteur‘, jaha“

Ich hatte mich beruhigt und wir fuhren fröhlich mit Krümel zu uns nach Hause.

„Warum wohnt ihr im Dorf?“, fragte Krümel.
„Das ist die Hunderttausend Euro – Frage, die ich dir auch nicht beantworten kann“, sagte ich zu ihr, ohne den Blick von der Straße im Auto zu lassen.

Endlich, wir waren Zuhause, im Dorf.
Klara kümmerte sich um Krümel, ich machte die Schirme auf.
Wir legten uns für einen Augenblick auf die Liegen und schauten zu, was Krümel machte.

Die spielte und lief mit nackten Füssen auf der Terrasse umher.
„Krümel, zieh‘ dir bitte die Schuhe an“, sagte Klara.

„Hm, ich will nicht“, kam es trotzig von Krümel.
„Bitte, sei so lieb“, versuchte Klara sich bei ihr einzuschmeicheln.

Aber ohne ihr ein Eis in Aussicht zu stellen, oder zu sagen, dass sie die ‚Hunde‘ im Fernsehen anmachen konnte, bewegte sich da nichts.

Nein, Krümel lief nach drinnen, machte die Terrassentür hinter sich zu und drückte den Hebel nach unten.

Ich schnellte von der Liege hoch.
„Drück die Klinke wieder zur Seite“, sagte ich von draußen zu Krümel.

Krümel versuchte es, ohne Erfolg.
Ich bekam sofort Panik, lief in den Schuppen, um den Ersatzschlüssel zu suchen.
Der war da aber nicht mehr.
Klara hatte ihn wieder rausgenommen, aus Sicherheitsgründen.
Plötzlich hörte ich die große Haustür klappen.

War die etwa noch auf?
Bevor ich das überprüfen konnte, stand Krümel vor mir und lachte mich an.

Die Haustür hatte sie hinter sich zu fallen lassen.
Jetzt waren wir endgültig ausgesperrt.

Der Nachbar bot sich an, die Tür mit einem Stemmeisen hochzuheben oder das Schloss einfach aufzubohren.

Wir lehnten dankend ab.
Endlich, ich bekam einen Monteur, der in ca. zwei Stunden bei uns sein wollte.

„Finden Sie denn zu uns, obwohl die Straße gesperrt ist?“, fragte ich ihn.

„Naja, ich weiß nicht“, erwiderte er zögerlich nach einer Pause.
„Gut, dann hole ich Sie ab. Kennen Sie den Waldweg, kurz nach dem Kreisverkehr, da wo es in Richtung Liepnitzsee geht“, fragte ich ihn.

„Klar“ sagte er knapp.
„Gut, da steh‘ ich und warte auf Sie“, antwortete ich.

Es klappte alles prima. Wir trafen uns, der Monteur fuhr hinter mir und ich schaukelte mit dem kleinen Jeep vor ihm über die Sandwege und durch die Schlammlöcher hindurch.
Dann ging dann alles sehr schnell.
Nicht einmal fünf Minuten hatte es gedauert, bis er die Tür geöffnet hatte.

„Sie könnten Ihr Geld auch leichter verdienen“, sagte ich zu ihm.
Der Monteur schmunzelte, schrieb die Rechnung aus und verabschiedete sich ins Wochenende.

Wir waren froh, dass alles so reibungslos gegangen war. Obwohl: Ein ziemliches teures Wochenende war es schon.

„Wir hatten einen ‚onteur‘, jaha“, sagte Krümel zur Nachbarin. Die freute sich mit Krümel. Wir konnten auch schon wieder lachen.
Immerhin hatte Krümel in der Zeit, als wir auf den Monteur gewartet hatten, eine bühnenreife Vorstellung im Garten geliefert.

„Ich bleib‘ bei euch“, sang sie aus Leibeskräften und tanzte dazu.
„Opa, das ist der Löwe“, rief sie zu mir.

Sie meinte wohl das Lied aus dem Film ‚Der König der Löwen‘.
Das erste Mal wurde das Rasenstück im Garten zur großen Bühne.

Wir schauten gebannt zu, hatten ein bisschen Angst, dass sich die Nachbarn wegen der Gesanges Lautstärke von Krümel beschwerten.

Wir jedoch, wir fanden es toll und merkten gar nicht, wie die Zeit verging.

Am nächsten Tag brachten wir Krümel zurück, zu ihrer Mama.
Die wartete mit dem Fahrrad für sie bereits unten vor dem Hauseingang.

Krümel stieg auf das Fahrrad, winkte uns noch einmal zu und fuhr schnurstracks in ihr nächstes Abenteuer.

Wir waren ein bisschen traurig, weil es im Garten nun so still war.
Aber wir schliefen beide ein, erschöpft und traumlos.

Bald geht es wieder los, an die Ostsee.

Dann heißt es morgens: „Opa, ‚pomm‘, wir spielen mit den Autos.‘
Ich freu‘ mich drauf.

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HILDE UND HERBERT ALBATROS WOHNEN GEGENÜBER

ANNA-2021.07.23
Was bisher war:
Klara schlug das Herz bis zum Hals, als sie vor der Tür des Zimmers im ‚Betreuten Wohnen‘ stand, in dem Anna ihr Leben in Zukunft verbringen sollte.
Lukas half Klara beim Ausmessen des Zimmers. Pfleger Olaf und Klara fanden einen ersten inneren Draht zueinander, er als künftiger Betreuer von Anna, sie als die nächste Angehörige, die sich um alles kümmerte.
Peter stand im Zimmer rum und redete, aber keiner hörte ihm richtig zu. Peter verstand das, denn er war froh, dass er sich nicht zu bücken brauchte, um ebenfalls mit abzumessen.

Olaf ging am Zimmer seiner Pflegedienstleiterin, Schwester Ulrike, vorbei.

„Und was sagen die Angehörigen?“, rief ihm Ulrike hinterher, als er schon an ihrer Tür vorbei war.

„Ich glaube, die finden das Zimmer ganz in Ordnung und auch das Drumherum.“

„Na, das klingt ja nicht gerade euphorisch. Was meinst du denn mit dem ‚Drumherum‘?“

Olaf war einen Schritt zurückgegangen und schaute in das Zimmer von Ulrike.

„Ich hatte den Eindruck, dass sie es gut fanden, wie der Sanitärbereich angeordnet war, was alles an dem Zimmer noch dranhängt; das große Wohnzimmer mit dem Fernseher, die Küche, wo alle zusammen kochen können.

Und ich glaube, der Tochter von Anna Sturm hat am besten der Balkon gefallen. Sie meinte nur, dass ihre Mutter immer von dem Blick vom Balkon ihrer Wohnung auf den Strelasund geschwärmt hatte und den sie nun auch wieder bekommt, nur eben von unserer Seite aus.“

„Ja, das stimmt“, sagte Ulrike.
„Noch was?“, fragte Olaf, bevor er weiterging.
„Nein, hilf bitte Saskia beim Wechseln der Wäsche in der 5. Etage“, sagte Ulrike noch.

„Geht klar“, meinte Olaf und verschwand endgültig.
Saskia war gerade im Nebenzimmer von Anna Sturm damit beschäftigt, die Laken und die Bettbezüge wieder auf das Bett zu bringen.

„Ich soll dir helfen!“, brummte es da hinter ihrem Rücken.
„Sollst du oder willst du?“, fragte Saskia, während sie sich zu Olaf umdrehte. Sie sich, dass er in ihrer Nähe war.

„Naja, kannste‘ dir die Antwort aussuchen“, antwortete Olaf.
„Oh, das ist aber wenig charmant“, sagte Saskia mit einem kleinen Augenzwinkern.

Klara ging in diesem Augenblick am offenen Zimmer der Nachbarin vorbei und sah, wie Saskia und Olaf miteinander umgingen.

„Auf Wiedersehen und vielen Dank noch mal“, rief Klara beiden zu.
Eigentlich meinte sie Olaf, der ihr ihm Zimmer geholfen hatte.
Der nickte nur, während Saskia „ein gern geschehen“ zu Klara sagte.

„Die beiden haben was miteinander“, sagte Klara nun zu Peter, der hinter ihr lief.

„Was du schon wieder im Vorbeigehen alles mitbekommst“, gab Peter an Klara zurück, während er dabei zu Lukas schaute. Der zog nur die Augenbrauen hoch.

„Wollen wir uns noch von Schwester Ulrike verabschieden?“, fragte Peter.
Klara zögerte und bat Lukas und Peter schon mal zum Fahrstuhl zu gehen und dort zu warten, während sie kurz bei der Pflegedienstleiterin vorbeischauen wollte.

Lukas und Peter machten sich gleich auf den Weg und waren froh, dass sie nicht noch einmal ein Stockwerk tiefer zu Schwester Ulrike mussten.

Sie gingen aus der Tür heraus, um vor dem Fahrstuhl auf Klara zu warten.

Peter lief auf dem Treppenflur auf und ab und las sich die Zettel durch, die an einer Tafel hingen.

Plötzlich traute er seinen Augen nicht, als er seinen Blick weiter umherschweifen liess.

Am Türschild gegenüber des ‚Betreuten Wohnens Sörensen‘ blinkte ihm ein blank geputztes Messingschild entgegen auf dem die Namen ‚Hilde und Herbert Albatros‘ entgegenprankten.

„Das gibt’s doch nicht.“
„Was?“, fragte Lukas.
„Guck mal hier“, sagte Peter, während seine Stimme hell und grell klang.

„Nein!“
„Doch, das sind sie.“
„Meinst du wirklich?“, fragte Lukas ungläubig.

„Was glaubst du denn, wie viel Zufälle es auf einmal gibt?“
„Das hier der Name deiner Tante und deines Onkels dransteht? Dass die beiden gesagt haben, dass sie in eine Wohnung des ‚Betreuten Wohnens Sörensen ziehen‘ und dass sie später einmal von denen betreut werden wollen?“

Peter schaute Lukas an und schob nach: „Sie sind es!“
Die Tür ging auf und Hilde Albatros schaute heraus.
„Was macht ihr denn hier?“, fragte Tante Hilde und schaute die beiden an, als hätten sie gerade versucht einen Korb mit Äpfeln vom Hausflur zu klauen.

„Ach, wir stehen hier nur rum, wir finden es klasse, einfach hier zu sein, die Hände in den Hosentaschen zu vergraben und darauf zu warten, dass deine Wohnungstür aufgeht.“

„Und?“, fragte Hilde verdattert.
„Ja, sie ist aufgegangen, guten Tag, Tante Hilde. Wir freuen uns, dass wir uns mal nach so vielen Jahren wiedersehen, hier an der Ostsee, am Strelasund, mit Blick auf den Fahrstuhl.
Bevor Hilde antworten konnte, kam Klara aus der gegenüberliegenden Tür.

„Nein, du bist ja auch hier!“, sagte Hilde und schaffte es immer noch nicht, einen klaren Blick zu bekommen.
„Ja, die Klara, die wollte eigentlich mit auf den amerikanischen Trip mit in den Weltraum, aber sie hat kein Ticket mehr bekommen und da haben wir sie hierher mitgenommen“, sagte Peter in seinem ihm eigenen Humor.

„Ach das ist aber schön, dass wir dich hier treffen“, sagte Klara und stieß Peter als Warnung in den Rücken, nicht noch so einen Spruch von sich zu geben.

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ZUM TOD VON FRAU DR. MARLIES WILLAMOWSKI

MENSCHEN IM ALLTAG-2021.07.22
Ich habe gerade vom Tod meiner langjährigen Ärztin, Frau Dr. Willamowski, erfahren.

Ich bin schockiert und sehr traurig. Sie war eine ausgezeichnete Ärztin. Und sie war ein sehr sensibler und fürsorglicher Mensch, immer mit dem Blick auf das Wohl ihrer Patientinnen und Patienten befasst.

Zweieinhalb Jahrzehnte hat sie mich betreut. Sie hatte den Finger stets in der Wunde, wenn sie mich auf eine gesündere Lebensweise hinwies und dafür habe ich sie innerlich manchmal verflucht, weil ich ja wusste, wie recht sie damit bei mir hatte.

Aber sie war auch eine ausgesprochen gute Gesprächspartnerin, konnte hervorragend zuhören.

Manchmal habe ich es sogar geschafft, sie zum Schmunzeln zu bringen. Ich werde Sie sehr vermissen, und ich werde Sie nicht vergessen, liebe Frau Doktor. Mögen Sie in Frieden ruhen.
Dr. Uwe Müller

GLÜCKSGEFÜHLE VON NULL AUF HUNDERT

ALLTÄGLICHES-2021.07.22

Es war schon weit nach Mitternacht und ich wälzte mich im Bett hin und her.

Aber ich hatte noch genügend Zeit, mich umzudrehen und weiterzuschlafen, dachte ich.

Ich hob meinen Kopf, nur um mich zu vergewissern, dass ich noch mindestens eine Stunde schlafen konnte.

Ich hatte falsch gedacht. Die Uhr zeigte 03.35 an – nur noch 10 Minuten, bis der Wecker klingelte. Ich war deshalb schockiert, verärgert, deprimiert.

Was sollte der Tag bringen?
Sich jetzt müde hochquälen, fertigmachen und Klara nach Berlin bringen, danach umdrehen, zurück in den Prenzlauer Berg fahren und knapp zwei Stunden Fitness machen?

Ich wollte nicht, und deshalb dachte ich auch, ich könnte es nicht.

„Ich glaub‘, ich bleib‘ heute hier. Ich muss so viel erarbeiten, ich schaff‘ das nicht.“

Klara antwortete nicht.
Ich stand seufzend auf, und nach einer Viertelstunde fand ich mich in der Küche wieder, um das Frühstück zu machen.

Vorher schaute ich noch auf das Handy, ob über WhatsApp neue Nachrichten gekommen waren.

Von Krümel war etwas drauf, eine Sprachnachricht.

Ich klickte auf den Link und Krümels fröhliche Kinderstimme war zu hören. Sie begann ihren Satz damit, dass sie sagte: „Du bist mein liebster Opa.“

Jetzt war ich hellwach. Ich spielte alles ab, was Krümel mir erzählte, davon, dass wir wieder mit ‚Spyki‘ wollten.

Und zum Schluss hörte ich, wie sie mir einen lauten Kuss gab.
Ich spürte, wie mich Glückshormone durchströmten, die Energiequellen ansprangen und ich mit einem Schlag nicht nur munter, sondern auch hoch motiviert war, in das Fitness-Studio zu fahren.

Was willst du mehr von deinem Tag, als dass dich einer deiner liebsten Menschen so am Morgen begrüßt. Ich war einfach glücklich. Und Klara war es später auch.

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Copyright Kristina Müller
Mein Freund der Alltag
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DEMENZ – WENN DIE EMPATHIE SCHWINDET

ANNA

ANNA-2021.07.21

RÜCKBLICK AUF TEXT – 2018.11.28
Anna hatte keine Freude mehr am Schenken.

„Wie ist das Wetter bei euch da oben?“, fragte Peter Anna.
Es war das übliche Telefongespräch am Vormittag, es war diesig und es schien keine Sonne, Wind war aber auch nicht.

Das war gestern so, vorgestern ebenfalls.
Anna hätte also sagen können: „Das Wetter ändert sich seit Tagen nicht, es ist gleichgeblieben.“

Doch diese gedanklichen Fäden konnte Anna nicht mehr ziehen.

„Der Himmel ist grau, die Sonne scheint nicht, aber es ist auch kein Wind“, sagte Anna stattdessen.

„Prima“, antwortete Peter. Er war irgendwie froh, dass er über dieses stets wiederkehrende Thema den Gesprächsfaden mit Anna knüpfen konnte.

„Heute Nachmittag fahren wir zur Post. Klara hat einen Stollen eingepackt und den schicken wir dir“, redete Peter weiter.

„Ach, wie kann ich dir nur danken?“, fragte Anna.
„Naja, ich habe damit nichts zu tun. Nur, dass ich den vorhergehenden mit aufgegessen habe, nachdem Klara ihn gebacken hatte.“

Anna verstand diese Art von Humor nicht mehr.
„Ja, das ist so schön, ich freue mich. Wie kann ich euch nur eine Freude machen?“

„Ach, mir würde eine ganze Menge einfallen“, antwortete Peter und bereute zugleich, dass er es überhaupt gesagt hatte.

„Ja, was denn?“, fragte Anna nach einer Weile.
Flasche Sekt, warme Socken, Kasten Mon Cherie, Puppe für Krümel, das könnte er antworten. Es schoss ihm geradezu ein, während Anna die Frage noch gar nicht zu Ende formuliert hatte.

Sagte er davon was? Natürlich nicht. War es schlimm, dass Anna nicht mehr auf das kam, was sie früher in solchen Momenten tat? Überhaupt nicht.

„Schade nur, dass Anna sich um die Glücksgefühle brachte, die sie früher überkamen, wenn sie anderen eine Freude machte“, dachte Peter in diesem Moment.

Doch dafür konnte sie nicht. Die Demenz ließ das nicht mehr zu, nahm ihr Stück für Stück diese Empathie.

Das war das eigentlich Schlimme – vor allem für Anna. Umso mehr mussten sich Klara, Laura und Peter bemühen.
Und das taten sie ja auch.

„Wenn dir der Stollen schmeckt, dann ruf doch KIara an. Sag ihr, dass er gut gelungen ist.“

„Das mach ich ja sowieso“, sagte Anna, so als hätte Peter auf etwas hingewiesen, was doch selbstverständlich war. Nun wurde er noch von Anna der Begriffsstutzigkeit überführt.

Trotzdem: Für den Moment hatte er Anna ein paar unbeschwerte Momente bereitet, so schien es jedenfalls.

Und wenn das Paket mit dem Stollen ankam, dann würde sich das wohl wiederholen. Immerhin. Der Kreis der Möglichkeiten, eine Freude zu bereiten, wurde kleiner.

Sie intensiver zu nutzen, das war wohl jetzt die Aufgabe.
Peter griff wieder zum Hörer, um Klara zu informieren: alles im grünen Bereich.

ANNA IST DEMENT

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VORANKÜNDIGUNG – INTERVIEW MIT DER PRIMA BALLERINA VOM STAATSBALLETT BERLIN

MENSCHEN IM ALLTAG-2021.07.20
Iana Salenko hat mit mir darüber gesprochen, wie es ihr geht – in der Covid-19 Zeit, welche Pläne sie hat und worauf sie sich freut.
Das Interview wird am 05. August 2021 veröffentlicht.

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VON WECHSELNDEN BÜCHERN UND MOTIVATIONEN

ALLTÄGLICHES-2021.07.19-12-52

Als junger Student habe ich das Kapital studiert, aus Überzeugung.

Später, nach der Wende, habe ich solche Bücher gelesen, wie ‚Weck den Sieger in dir‘.

Habe ich dadurch mehr gesiegt?
Ich glaube nicht. Aber die Siege fühlten sich großartiger an und die Niederlagen schmerzhafter.

Heute lese ich die Bibel.
Wozu?
Weil ich die Sprache, die Sätze liebe. Und, um das Leben besser zu verstehen, es anzunehmen, wie es ist.

Bibel

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MONTAGS AM SEE LAUFEN – BESSER KANN DIE WOCHE NICHT BEGINNEN

ALLTÄGLICHES-2021.07.19

ALLTÄGLICHES-2021.07.19
Klara hat heute Homeoffice und so bin ich erst kurz vor halb sechs Uhr aufgestanden und nicht ins Fitness-Studio gefahren, schon wieder nicht.

Dafür habe ich mich aber aufgerafft und bin eine Stunde am Liepnitzsee gelaufen.

Aber es war mindestens eine halbe Stunde zu spät. Radfahrer überholten mich im Wald, auf dem Weg runter zum See. Sie wollten alle baden, dachte ich jedenfalls bei mir. Einige waren aber auch schon da.

Unten am Wasser angekommen, lief ich einer Frau fast in die Arme. Sie war nackt. Splitterfasernackt.

Sie schaute mich mit neugierigen Augen an und schien sich dabei zu amüsieren. Sie hatte wohl meinen schreckgeweiteten Blick gesehen.

Sie schien sich so wohlzufühlen, dass sie ihr übergroßes Badehandtuch nicht etwa schnell um ihren Körper schlang. Nein, sie faltete es sekundenschnell zusammen, nahm die Arme hoch und legte es um ihre Haare.

Jetzt fühlte ich mich noch unwohler. Ich war in Jogging-Kleidung, mit Nordic-Walking-Stöcken.

„Guten Morgen!“, rief sie mir mit fröhlicher Stimme entgegen.
Ich schaute kurz auf, denn vorher hatte ich den Blick gesenkt, ihn im Sand vergraben, so als gäbe es dort seltene Schätze zu entdecken.

„Guten Morgen“, grüßte ich leise zurück.
Ich schaute sie kurz an und sie lachte jetzt übers ganze Gesicht. Ich kam mir vor wie ein Trottel.

Sie sah gut aus, war um die fünfzig Jahre, hatte eine tadellose Figur und strahlte vor allem Energie aus.

Gut, soviel hatte ich in den wenigen Augenblicken registrieren können. Darauf war ich ja trainiert als jemand, der über Menschen im Alltag schrieb.

Es passte alles – ‚Mensch‘, ‚Alltag‘, nur die Situation war ungewöhnlich.

Auf dem Rückweg ertappte ich mich dabei, dass ich hoffte, noch einmal an ihr vorbeizulaufen.

Denkste.

ENTEN

 

Dafür schwammen Enten am Ufer. Die habe ich fotografiert.
„Wie war’s?“, fragte Klara mich, die gerade dabei war, das Frühstück zu bereiten.

„Schön, da unten waren Enten. Ich habe sie fotografiert, sieh‘ mal.“
Ich zeigte ihr die Bilder.

„Und sonst?“
„Och, es war schon ganz schön voll.“

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