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KLARA ARBEITET IM HOME-OFFICE – ES IST SO UNGEWOHNT

Montagfrüh, 05.00 Uhr. Eine Stunde später, als ich sonst aufstehe. Der Grund: Ich kann ja nicht ins Fitness-Studio fahren, Lock-down eben.
Klara ist heute ebenfalls im Home-Office geblieben. Sie kann jetzt von ihrem Zimmer aus mit dem eigenen Laptop arbeiten.

Für mich ist das ein komisches Gefühl. Ich kann gar nicht so ‚herumlungern‘, wie ich das sonst morgens immer am Computer tue, um in Schwung zu kommen: Mal hier surfen, da mal nachlesen.

Jetzt ist hier eine gespenstische Ruhe, obwohl wir zu zweit sind.
Ich hätte das Klara nie zugetraut, dass sie das mit dem Laptop hinbekommt.

Laura hat ihr geholfen. Sie sind am Samstag noch zum Alex gefahren, haben den Computer gekauft und Laura hat ihn eingerichtet.
Und wie es immer so am Anfang ist: Der Laptop kann sich noch nicht ins System einloggen.

„Dann muss Klara ja am Montag doch reinfahren und ich kann hier wie gewohnt arbeiten, oder zwischendurch auch nicht, weil ich mal eine Serie gucken kann, das ‚Seal-Team‘“, denke ich bei mir.
Ach, ich liebe es, wenn ich die ‚Seals‘ sehe, wie sie in der Serie eine Tür eintreten.

Doch ich habe die Rechnung ohne Klara gemacht, die sitzt drüben, ganz diszipliniert und rührt sich nicht. Sie hat ja noch ihren Dienst-Laptop mitgebracht, vorsichtshalber. Und der loggt sich ein. Naja, was soll’s. Ich weiß nicht, ob ich mich freuen oder ob ich weinen soll.
„Kannst du solange auf deinem Schreibtischsessel sitzen?“, ruft Klara jetzt herüber.

„Oh ja, da bin ich ganz diszipliniert“, rufe ich ungerührt zurück, obwohl ich gerade denke, dass ich mir mal eine Pause verdient habe.
Kurzum, ich fühle mich beobachtet.

„Alles ‚guut‘, Löwe“, höre ich Krümel rufen, so als würde sie mit mir spielen wollen.
Aber Krümel ist gar nicht da, sie ist in der Kita und wird nicht an mich denken, sondern mit den Kindern in ihrer Gruppe spielen.

Nicht mal jammern kann ich, dass ich laufend abgelenkt werde.
Bis jetzt fand ich das ja gut mit dem Home-Office.

Ich hatte da allerdings mehr an mich selbst gedacht.

ZUM GLÜCK HABEN WIR MAL IN SASSNITZ GEWOHNT

Urlaubsfoto aus Sassnitz

Der Urlaub verging schnell, viel zu schnell. Wir wollten am Tag unserer Abreise noch einmal durch den Hafen von Sassnitz fahren, die Schiffe sehen, das Wasser, die Menschen, die umherliefen und ihren Urlaub genossen.

„Ich möchte für Krümel noch ein kleines Schiff kaufen. Das soll noch für ihren Geburtstag sein“, sagte Klara zu mir.

„Ja Oma, ein Schiff“, rief Krümel begeistert. Sie saß im Auto in ihrem Kindersitz. Eigentlich sollte sie es gar nicht mitbekommen, aber Krümel bekam alles mit.

Ich steuerte also auf einen Parkplatz im Hafengelände zu, direkt vor der Pier, an der ein englisches U-Boot festgetäut war und seit vielen Jahren als Museum dient. Ich zwängte mich zwischen zwei Campingwagen und wir stiegen aus dem Auto aus.

„Laura und ich gehen schnell in den Laden da vorn und kaufen das Schiff für Krümel. Bleib‘ du solange bei der Kleinen, damit sie es nicht mitbekommt, dass wir noch ein Geschenk für sie kaufen“, sagte Klara zu mir.

Krümel würde in wenigen Tagen drei Jahre alt werden und wir wollten ihr noch eine zusätzliche Freude machen. Sie hatte seit Tagen fasziniert auf ein Kreuzfahrtschiff geschaut, das vor Sassnitz auf Reede lag. Also wollte Klara ein Spielzeugschiff in einem kleinen Souveniergeschäft kaufen.

Laura und Klara liefen los, während ich Krümel auf meine Schultern hob und wir an der Pier entlangschlenderten. Besser ich schlenderte, während Krümel meine Mütze vom Kopf zerrte und an meinen Haaren zog.

„Wo sind Mama und Oma?“, fragte Krümel von oben herunter.
„Keine Ahnung“, antwortete ich scheinheilig, während Krümel auf meinen Schultern wippte und weiter an meinen Haaren zog.

„Ich weiß auch nicht, was die noch in einem Laden wollen“, sagte ich zu Krümel, während ich versuchte, sie davon abzuhalten, weiter meine Haare zu zerwühlen.

„Oma kauft ein Schiff für mich und ich sage danke“, rief die Kleine fröhlich und grub ihre kleinen Händchen noch stärker in meine Haare ein.

Klara und Laura kamen endlich aus dem Laden und steuerten auf uns zu. Klara hielt ein kleines Feuerlöschboot in ihren Händen und streckte es Krümel entgegen.

Ich hob sie von meinen Schultern, damit sie es sich in Ruhe anschauen konnte. Wir hätten es ohnehin nicht bis zu ihrem Geburtstag vor ihr verheimlichen können.

„Oh danke Oma“, rief sie und hüpfte aufgeregt vor uns her, während sie ihr Geschenk freudig in ihren Händen hielt.
Wir strebten dem Parkplatz zu, wollten einsteigen und Richtung Berlin losfahren.

Ich sah aber aus den Augenwinkeln, wie sich ein Ausflugsdampfer näherte, sich mitten im Hafen drehte und zum Anlegen bereitmachte.

„Ich schau mir noch das Anlegemanöver an“, sagte ich.
„Ich komm‘ gleich nach, geht schon einmal zum Auto,“, sagte ich noch, während ich näher an die Pier heranging.

Ich hatte oft genug solche Schiffsmanöver in meiner Marinezeit gesehen und war gespannt, wie der Kapitän das meisterte. Er stand oben auf der Außenbrücke und gab routiniert seine Kommandos.

Die Schiffsschrauben drehten auf Hochtouren, während das Wasser an der Oberfläche schäumte und Wellen gegen die Pier prallten.
Wenn er es richtig macht, müsste er jetzt mit der Heckseite Steuerbord an den Poller zu kommen, überlegte ich.

Es klappte auch, fast jedenfalls. Das Schiff kam mit der spitzen Heckkante nicht an den Poller, sondern stieß direkt an die Pierwand aus Beton. In meinen Ohren kam das Geräusch an, das entsteht, wenn Stahl an Beton entlangschrammt.

Enttäuscht wandte ich mich ab, ging zurück zum Auto und stieg ein.

„Und wie war’s?“, fragte Klara.
„Der Idiot kann sein Schiff nicht mal rückwärts anlegen, ohne dabei mit der Schiffswand an die Pier zu stoßen“, sagte ich, während ich den Zündschlüssel umdrehte, den Rückwärtsgang einlegte und losfuhr.

Plötzlich hörte ich ein heftiges Hupen. Ich schaute in den Rückspiegel und sah ein Auto, dass sehr dicht hinter mir stand. Viel zu dicht.

Jetzt war ich selbst der Idiot. Ich stellte den Motor ab und stieg aus.

Im anderen Auto saß ein Sassnitzer, wie sich herausstellte.
„Meine Frau ist auch von hier“, sagte ich hastig und versuchte ein wenig die Atmosphäre zu entspannen.

Mein Gegenüber war brummig, hatte aber ein gutes Herz und ließ sich zögerlich mit mir darauf ein, dass ja nichts passiert war und wir die Sache auf sich beruhen lassen könnten.

„Naja, wenn Sie wirklich ehemalige Sassnitzer sind, dann muss man sich ja gegenseitig helfen“, meinte er und seine Frau nickte dazu.

Ich umarmte ihn freudig, ohne daran zu denken, dass wir Corona hatten.

Erleichtert stiegen wir wieder ins Auto, ich hupte noch einmal und mein ‚Unfall-Partner‘ winkte fröhlich zurück.

„Ach Sassnitz ist doch immer wieder schön, selbst in stressigen Situationen“, sagte ich zu Klara. Die nickte stumm und war froh, dass wir auf so gute Menschen gestoßen waren, im wahrsten Sinne des Wortes.

AM ALLTAG HALTEN UNS DIE KLEINEN FREUDEN HOCH

Mittwoch – die Hälfte der Woche ist geschafft.
Der Blick geht in Richtung Wochenende.
Klara und ich holen am Freitag  Krümel von der Kita ab und begleiten sie zu ihrem ersten Termin beim Zahnarzt.
Wenn Krümel wüsste, was auf sie zukommt.
Aber hinterher gehen wir ja alle zusammen ein Eis essen – Krümel, Laura, Klara und ich.
Schreibtisch? Kann warten.
Das Leben kann schön sein, auch am Alltag, besonders wenn das Wochenende in Sicht ist.

 

# KURZ INNEHALTEN – AM DIENSTAG

Was kann der Dienstag mir bringen?
Ärger, schlechte Laune, keine Fortschritte in der Arbeit?

Das habe ich zuerst gedacht, als ich aufgestanden bin.
Dann habe ich mich gegen diese Gedanken aufgebäumt.

Ich sagte mir: Der heutige Dienstag bringt erst einmal viel Sonne, dann gute Begegnungen im Fitness-Center.

Er bringt mir Energie, um Dinge anzupacken, die ich nicht so gern tue – zum Beispiel ein Interview vorbereiten – aber wozu ich mich aufraffen werde.

Ein bisschen Zeit ist heute schon ins Land gegangen. Und?
Fitness-Studio war gut; wieder zuhause habe ich noch die Pflanzen im Garten gegossen; ich wollte schnell machen und bin mit dem Kopf gegen die Vogeltränke gekommen, die ich gerade vorher gefüllt hatte.

Zuerst lief mir das Wasser vorn in das T-Shirt. Dann bin ich rückwärtsgegangen, habe mir noch einmal den Kopf gestoßen und Wasser im Nacken abbekommen.

Jetzt sitze ich am Schreibtisch und muss mit der Arbeit beginnen.
Ich zögere noch, aber ich fang‘ einfach an.

Der Tag wird noch gut, ich spüre es.

 

KRÜMEL VON DER ARZTPRAXIS ABHOLEN

MAL SCHNELL ERZÄHLT

Berlin, Gehrenseestraße.
Krümel muss mit ihrer Mama zum Arzt und wir sollen sie anschließend mitnehmen, zu uns aufs Dorf, damit sie nicht wieder in die Kita muss und Laura beruhigt ihrer Arbeit nachgehen kann, ohne Fehlstunden einzufahren.

Wir sind erst einmal in das falsche Parkhaus reingefahren. Als ich nach einigem Suchen einen passenden Stellplatz gefunden hatte, kam ein Handwerker auf mich zu. Einer von der Truppe, die gerade dabei war, die Wände neu zu streichen.

„‘Könn’se ma een Stück weeterfahrjen‘?“, fragte er mich.
„‘Kann ick‘“, sagte ich knapp und stieg wieder ins Auto, um einen neuen Platz zu finden. Ich stellte mich dorthin, wo dranstand: „Für Zahnarztpraxis.“
Ja, ich war auch für Zahnarztpraxis.

Ich stieg aus und sah, wie Klara in der Zwischenzeit mit einem der Handwerker sprach.
Sie wollte mich eigentlich einweisen, aber ich hatte ihr gesagt, dass ich allein klarkäme, mit dem Einlenken auf den Stellplatz.

Also war sie schon ein Stückchen weiter gegangen und hatte den Maler angesprochen, der in dem Moment gerade aus der Tür des Parkhauses kam.

„Dürfen wir hier stehen?“, fragte sie mit samtener Stimme.
‚Das kann nicht wahr sein!‘, dachte ich bei mir.
‚Jetzt vermasselt die mir auch noch meinen schwer erarbeiteten Stellplatz.‘

„‘Det dürfen Se eegentlich nich‘, antwortete der Maler knapp.
„Der öffentliche Parkplatz ist oben, schob er noch mit einer klaren Aussprache nach.
‚Oh, das bedeutet nichts Gutes‘, dachte ich bei mir, wenn der sich so ohne Dialekt ausdrückte.

„Meister, können Sie mal eine Ausnahme machen?“, fragte ich ihn.
Die Augen des Handwerkers leuchteten, als ich ihn so respektvoll angesprochen hatte.
„Naja, das geht“, sagte er.
„Mensch prima“, rief ich und wollte ihm die Hand geben.
„Ach, nur mit dem Ellenbogen“, sagte ich und streckte ihm den rechten hin.

Er kickte seinen Ellenbogen gegen meinen und wir lachten.
„Ach, Sie müssen hier ja ‚och wieder rin‘“, sagte er noch im Umdrehen.

Er ging zur Parkhaustür, schloss die auf und so konnten wir nachher wieder problemlos durch die Tür zum Auto kommen.
Was doch eine freundliche Aussprache ausmachte. Der Maler winkte uns freundlich zu und wir gingen ebenfalls mit einem guten Gefühl nach draußen.

Wir kamen im Vorraum des Ärztehauses an, begaben uns in den Fahrstuhl und fuhren in den dritten Stock.
Wir hörten Kinderstimmen und gingen in die Praxis, deren Tür offenstand.

Wir suchten nach unserem Krümel, und wir trugen den Mundschutz, versteht sich.

Im Flur standen Mütter, vereinzelt auch Väter, die Kinder auf ihren Armen hatten.

Wir gingen in das Wartezimmer, waren voller Neugier, ob Krümel und ihre Mutter schon angekommen waren.

Nichts zu sehen. Enttäuscht fuhren wir mit dem Fahrstuhl wieder nach unten und setzten uns auf einen Betonvorsprung und warteten.

Ich holte mein Handy raus, um ein wenig darauf zu schreiben.
‚Verdammt, ich hatte vergessen das Telefon aufzuladen‘, dachte ich.
Auf dem Display war ein roter Strich zu sehen.

Also steckte ich das iphone wieder in die Tasche und beobachtete eine Gruppe älterer Frauen, die sich direkt vor uns aufgebaut hatte.
Die Frauen schnatterten laut und angeregt durcheinander. Hinter uns donnerten Autos auf der Straße vorbei, sodass ich kein Wort verstand, obwohl die Frauen so dicht bei uns standen.

Klara schaute ebenfalls neugierig auf die Frauen. Sie hatte auch nichts weiter zu tun.

„Einer muss immer der Sprecher sein“, sagte sie und deutete mit einem Kopfnicken auf eine Frau, die ständig das Wort an sich riss.
Die anderen Frauen redeten zwar dazwischen, aber die Sprecherin hatte die größte Ausdauer, sie redete einfach weiter.

Wir waren genervt, standen auf und schlenderten ein wenig den Fußweg entlang, um vielleicht Geschäfte zu entdecken. Aber es gab dort nichts.

„Da drüben soll eine neue Wohnanlage entstehen“, sagte ich und zeigte auf ein verfallenes Wohngebäude, das auf der anderen Straßenseite stand.

„Das sagen die schon seit vier Jahren“, meinte Klara trocken.
„Ja, aber es stand heute in der Berliner Zeitung“, entgegnete ich.
„Das stand auch schon vor vier Jahren in der Zeitung“, meinte sie nur.

Wir gingen zurück.
„Wollen wir jetzt noch mal oben gucken?“, fragte ich Klara.
„Ja klar, können wir.“

Klara und ich gingen zum Fahrstuhl in der Arztpraxis. Auf dem Weg dorthin sprach uns eine Frau an, die gerade von oben gekommen war.

„Ihre Enkelin ist oben“, sagte sie.
„Woher wissen sie das?“, fragte ich sie erstaunt.
„Sie hat laufend ‚Oma und Opa‘ gesungen“, entgegnete sie.
Jetzt konnte uns nichts mehr aufhalten. Wir stiegen in den Fahrstuhl, fuhren nach oben und strebten dem Wartezimmer entgegen.

„Oma, Opa!“, rief Krümel freudestrahlend und stürzte auf mich zu.
Ich hob sie hoch, mitsamt Rucksack.

Wir waren glücklich, hielten uns aber nicht lange im Wartezimmer auf, sondern gingen wieder nach unten, zu unserem Stammplatz, dem Betonvorsprung vor den Blumenrabatten.

„Ein schöner Tag“, sang Krümel später noch, als sie bei uns im Garten spielte.
Ja, es wurde noch ein schöner Tag.
Auch wenn Krümel zwischendurch sagte: „Opa, ich bin böse auf dich, du hast mein Wasser genommen.“
Sie meinte die große Gießkanne, die ich ihr aus der Hand genommen hatte, um die Blumen zu gießen.

ABENTEUER AUF DEM PARKPLATZ VOR DEM EINKAUSMARKT

Das Handy klingelte. Klara war dran.
„Können wir noch mal zum Einkaufsmarkt fahren, wenn ich ankomme?“

„Können wir“, sagte ich, obwohl ich keinerlei Lust verspürte, noch durch die Gegend zu fahren, nachdem ich Klara vom Bahnhof abgeholt hatte.

„Und kannst du vorher schon Kontoauszüge holen.“
„Hm“, brummte ich.

„Und dann kannst du ja gleich deinen Gesundheitssaft abholen“, sagte sie noch.

„Dann muss ich ja jetzt gleich los.“
„Ja, ist das schlimm?“

Natürlich war es schlimm. Ich war gerade in der Arbeit, plante meine Aufgaben, die ich am nächsten Tag erledigen wollte.

„Nö, nö!“, sagte ich stattdessen laut.
„Ich mach‘ mich auf den Weg“, sagte ich und legte auf.

Ich zwängte mich in meine Jeans. War die Hose eingelaufen? Wozu machte ich eigentlich so viel Sport, wenn dabei nichts herauskam?
Ich musste an einen Nachbarn denken, den ich in der vorigen Woche getroffen hatte und der mich fragte, wie es mir ginge.

„Prima“, sagte ich. „Ich fahre jetzt jeden Morgen ins Fitness-Studio.“
Er musterte mich und blieb an meinem Bauch hängen.

„Der kommt auch noch dran“, sagte ich und haute wie zur Bestätigung auf meinen ‚Vorbau‘, der es mir mit einem stechenden Schmerz dankte.

Der Nachbar schaute mich weiter an.
„Das ist ja toll, dass Sie sich jeden Tag aufraffen“, hätte er vielleicht sagen können.

Oder: „Das hätte ich nicht gedacht, dass Sie das hinkriegen.“
Stattdessen kam: „70 Prozent hängen vom Essen ab und nur 30 Prozent vom Sport“, sagte er, ohne den Blick von meinem Bauch zu lösen, der ja im Laufe des Jahres weg sein würde. Das war jedenfalls der Plan.

„Na bitte, dann passt es ja: Ich esse zu 70 Prozent und lediglich zu 30 Prozent mache ich Sport. Und ich dachte, ich würde schon was falsch machen“, sagte ich und wendete mich gleichzeitig mit einem knappen Gruß von ihm ab.

„Ich meinte es anders“, rief der Nachbar mir hinterher.
„Ich dachte auch, dass Sie was Anderes sagen würden“, entgegnete ich, ohne mich noch einmal zu ihm umzudrehen.

Zurück zur Jeans. Die zwackte genau dort, wo noch Potenzial zum Abnehmen war.
Egal, ich musste los.
Ich sauste zur Sparkasse, und anschließend holte ich meinen Gesundheitssaft.

Klara hielt nicht viel von dem Getränk. Für sie war er zu teuer und außerdem zweifelte sie die Zauberwirkung des Saftes an, die ich ihr stets in den höchsten Tönen präsentierte.

Als ich wieder im Auto saß und mich in Richtung Bahnhof begab, um Klara abzuholen, klingelte bereits das Telefon wieder.

„Wo bist du?“, fragte sie.
„Ich bin hier“, antwortete ich.
„Und wo ist hier?“
„Hier ist in meinem Auto, im Stau, bei Rot an der Ampel“, antwortete ich kurz angebunden.
„Ich bin gleich da“, sagte ich noch.

Als ich bei Klara am Bahnhof ankam und sie ins Auto gestiegen war, fragte sie mich erneut, ob wir fahren noch in den Einkaufsmarkt fahren könnten.

„Wir können nicht reinfahren, nur bis fast vor die Tür“, sagte ich.
Klara ging darauf nicht ein.

„Wollen wir nach Schönwalde?“
„Können wir machen“, antwortete ich. Mir war es egal, wo ich im Auto saß, am Handy herumspielte und darauf wartete, bis Klara wieder herauskam.

Ich ging ungern mit in den Laden. Lieber half ich Klara anschließend, wenn sie mit dem Einkaufswagen wieder herauskam und die Sachen im Kofferraum verstaut werden mussten.

Klara hatte im Werbeprospekt des Einkaufsmarktes eine kleine Uhr entdeckt, die sie Krümel schenken wollte, wenn wir sie am Freitag abholten.

Ich war natürlich dafür, weil ich mich schon auf das Gesicht der Kleinen freute.

Ich stoppte kurz vor dem Einkaufsmarkt, ließ Klara aussteigen, um anschließend einen ruhigen Parkplatz zu suchen. Ich mochte es nicht, wenn direkt neben mir Autos standen, es sei denn, ich hatte keine andere Wahl.

Ich schaute mich um und fand einen passablen Stellplatz, gar nicht so weit weg vom Aldi.

Rechts neben mir, da war die gesamte Reihe an Parkplätzen noch frei, sodass ich keine Sorge hatte, dass sich direkt neben mir jemand mit seinem Auto hinstellen würde.

Ich las meine Notizen durch, die ich noch schnell am Schreibtisch gemacht hatte, um danach schnell weiterarbeiten zu können.
Zwischendurch hob ich den Kopf, weil ich gern die Leute beobachtete, die an mir vorbeikamen.

Ein Vater mit seinem kleinen Sohn kam direkt auf uns zu.
„Papa, ein Wartburg, guck‘ mal“, rief der Knirps.
Ich hatte nichts gegen einen Wartburg. Schließlich war ich ja selbst mal Trabbi gefahren.

„Das ist ein Jeep“, sagte der Vater leise zu seinem Sohn. Ich konnte es trotzdem hören, weil ich das Fenster an meiner Seite heruntergelassen hatte.

„Jeep, Jeep, Jeep“, rief der Kleine nun unentwegt und zeigte mit seinem Zeigefinger auf mich.

Er hörte erst auf, als sie an ihrem Auto angekommen waren und der Vater per Knopfdruck auf seinen Autoschlüssel die Kofferhaube öffnete, die sich elektrisch nach oben bewegte.

„Das kann nun unser nicht“, dachte ich. Aber dafür liebte Krümel unser kleines rotes Auto über alles. Ich vertiefte mich wieder in mein Handy.

Vor mir bremste geräuschvoll ein SUV, die Rückwärtslichter gingen an und er bewegte sich mit dem Heck direkt auf mich zu.
„Der wird ja wohl nicht unmittelbar neben mir auf dem Stellplatz halten. Der Fahrer müsste sich ja aus dem Auto herausquetschen“, dachte ich und blickte in mein Handy.

Der SUV stieß wieder nach vorn. Am Lenkrad saß eine Frau. Sie lenkte ein und bugsierte das Auto direkt neben die rechte Seite des Jeeps. Sie fuhr noch einmal nach vorn. Nicht, um ein wenig weiter von mir wegzufahren, einen größeren Abstand zwischen zu uns bekommen.

Nein. Sie fuhr noch dichter an mich ran.
„Wie will die da rauskommen?“, fragte ich mich. Ich war sauer.

Die junge Frau machte die Tür auf, quetschte sich heraus und drückte mit einer Hand gegen die Fensterscheibe ihrer Fahrertür.
Sie schabte mit ihrer Jacke an meiner Wagenseite lang, sodass ich ein leichtes quietschendes Geräusch vernahm.

Mein Blutdruck schnellte nach oben. Ich schoss förmlich aus dem Auto. Gut, dass Klara das nicht sah, denn wenn sie mit dem Einkaufswagen auftauchte, quälte ich mich wesentlich langsamer aus dem Auto.

„Sie hätten aber ruhig noch ein wenig näher an mein Auto herankommen können“, sagte ich, während ich die rechte Seite auf vermutliche Kratzer überprüfte.

Die junge Frau sagte gar nichts. Sie ging ungerührt in Richtung Einkaufsmarkt.

Ich bebte innerlich vor Wut und hätte es am liebsten rausgeschrien.
Zum Glück besann ich mich auf das, was ich im Neuen Testament erst am Morgen gelesen hatte: „Gott gebe euch viel Barmherzigkeit und Frieden und Liebe!“ (Judas, 1,2)

Ich beruhigte mich also und versuchte Erklärungen für das Handeln der Fahrerin zu finden.

„Sie steht ja auf einem freien Stellplatz eines riesigen Parkplatzes. Auf einem der vielen freien Plätze hier, nur eben sehr eng an meinen geliebten Jeep ‚gekuschelt‘. Aber was ging sie das an? Sie konnte dort stehen, wird sie bei sich gedacht haben.

Vielleicht hatte sie kleine Kinder, die Zuhause auf sie warteten, und sie wollte deshalb möglichst dicht an den Markt heranfahren, um schnell wieder nach dem Einkauf wegzukommen.

Außerdem war sie ja viel schlanker. Ich wäre jedenfalls nicht aus der Tür meines Autos bei diesem geringen Abstand herausgekommen.“
Ich war versöhnt mit ihr, stieg wieder ins Auto und wartete, bis Klara kam.

Sie musste sofort loslachen, als sie sah, wie dicht die andere Frau ihr Auto an unseres herangefahren hatte.
„Was hast du nur an dir, dass sich die Leute stets direkt neben dich stellen?“, fragte sie.

„Und dass in Corona-Zeiten“, sagte ich.
„Schau‘ mal, das ist die Uhr für Krümel“, sagte Klara zu mir.

„Die ist aber niedlich.“
Ich freu‘ mich schon, wenn sie am Freitag die Uhr sieht.“

„Komm‘, lass uns schnell von hier wegfahren“, sagte ich zu Klara und ließ den Motor an und steuerte den Jeep auf freies Gelände mit freier Sicht.

 

 

 

DIE PFLANZE AUF DER TERRASSE

Sonntagnachmittag.
Ich sitze im Wohnzimmer, und ich schaue in den Garten.

Ich sehe, wie sich die Pflanzen im Wind hin- und herbewegen.
Es scheint, als würden sie sich ein letztes Mal aufbäumen gegen den Herbst, der unerbittlich näherkommt.

Eine Pflanze direkt vor mir, auf der Terrasse, schaut mich traurig an.
Ich nenne sie den ‚Saufaus‘, weil sie so viel Wasser braucht. Sie wird nur noch wenige Zeit zu leben haben, aber noch will sie nicht aufgeben und ich will ihr helfen, uns noch ein bisschen ihre schönen Blüten zu zeigen.  Also darf ich das Giessen am Abend nicht vergessen.

Ich mag den Herbst, vor allem in seinen Anfängen, wenn es tagsüber nicht mehr so heiß wird.

Und trotzdem brennt manchmal die Sonne noch sehr intensiv, es ist weiterhin alles grün, aber es ist eben ein wenig mehr Ruhe eingekehrt.

Am liebsten bin ich zu dieser Jahreszeit auf Rügen, gehe zum Strand, freue mich, dass es nicht mehr so voll ist.
Aber dieses Jahr wird daraus nichts – die Ketten am Schreibtisch klirren.

Ich schaue wieder zur Pflanze rüber und freue mich an ihr, selbst wenn es nicht mehr lange so sein wird.

Der Sonntagnachmittag ist schön. Klara macht Kaffee.

DU BRAUCHST KEINE ANGST HABEN, OPA

MAL SCHNELL ERZÄHLT (7)

August, Rügen. Wir waren auf dem Weg nach Putbus.
Wir lieben diese Stadt mit ihren klassizistischen Bauwerken und dem wunderschönen Schlosspark.

Das alles wollten wir uns ansehen und vor allem im Park ein wenig mit Krümel und Laura umherlaufen.
Ich war fast auf der Zielgeraden, besser gesagt, im Bereich des Kreisverkehrs in Putbus.

Die Häuser am Rande der Straße blinkten in strahlendem Weiß in die Sonne und davor blühten Rosenstöcke. Das alles sah faszinierend aus und ich war einen Augenblick abgelenkt.

„Wie muss ich jetzt fahren? Geradeaus?“, fragte ich Klara.
„Nein, geradeaus kommen wir wieder in Richtung Prora. Du musst einfach den Kreisverkehr weiterfahren und dich links halten“, sagte Klara zu mir.

Ich nickte und zog das Lenkrad nach links. Ich wollte gleich auf der richtigen Spur sein, wenn ich wieder aus dem Kreisverkehr herauskam.

Hinten saß Krümel und plapperte fröhlich.
Plötzlich kam uns ein LKW entgegen. Er schien riesig, im Vergleich zu unserem kleinen Jeep, in dem wir zu viert saßen.

„Ach du Schande!“, rief ich.
Ich befand mich auf der falschen Seite und lenkte schnell nach rechts herüber.

„Oh Gott, das ist ja noch einmal gut gegangen“, seufzte ich erleichtert.

„Du brauchst keine Angst zu haben“ , erklang da von hinten Krümels tröstende Stimme.

„Wirklich nicht?“, fragte ich.
„Nein, Opa, ich bin da“, sagte Krümel noch. Und Krümel war da für mich.

Einige Wochen später, der Urlaub war vorbei, da fuhren wir aus Berlin raus, um zu uns nach Hause zu kommen. Wir hatten Krümel abgeholt, denn sie sollte bei uns übernachten.

„Du musst aufpassen, Opa“, sagte Krümel zu mir von ihrem hinteren Kindersitz aus.
Neben ihr saß Klara.

„Muss ich wirklich aufpassen?“, fragte ich zurück.
„Ja, Opa, du darfst nicht auf der Erde fahren“, meinte Krümel.

Ich stutzte und überlegte.
„Was meinst?“, fragte ich Krümel, ohne den Blick von der Straße zu lassen.

„Da darfst du nicht fahren, nein“, rief Krümel und zeigte mit ihrem kleinen rechten Zeigefinger auf den Acker neben unserer Straße.

„Warum nicht?“, fragte ich Krümel.

„Jeepi kaputt“, sagte sie.

„Gut, dass du mit im Auto sitzt und aufpasst“, sagte ich zu Krümel.

„Ja, Opa“, antwortete Krümel.

 

DURCHHALTEN

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Erster Arbeitstag: Der Schreck fährt dir doppelt in die Glieder - Montag und dann noch Urlaubsende.

Ich kann nur an ein Wort denken: grauenvoll.

Klara hat noch eine Woche Urlaub. Aber ich darf nicht mehr warten, weil ich Aufträge fertigstellen muss, die schon vor Urlaubsbeginn fällig waren.

Ich klicke im Blog umher, schaue die Dateien durch, ziehe lustlos ein Blatt Papier aus der Schublade.

Ich kritzle‘ mit dem Bleistift darauf rum.
„Warum wird das ein gigantischer Tag für mich?“, steht jetzt in der ersten Zeile.

Ich knülle das Blatt zusammen und schmeiße es in den Papierkorb.
Motivationssprüche verfangen bei mir heute nicht.

Ich denke an Krümel, die heute wieder das erste Mal in die Kita muss.
Wie wird es ihr wohl ergehen?

„Ihre Kindergärtnerin muss sie wohl in der Erziehung auf ‚Werkseinstellungen‘ zurückbeamen“, hat Laura noch gescherzt, weil wir Krümel im Urlaub zu sehr verwöhnt haben.

Also Krümel, du schaffst das heute am ersten Tag in der Kita und ich schaffe es auch, an meinem Schreibtisch.

TSCHÜSS OSTSEE

MAL SCHNELL ERZÄHLT

Heute ist Abreise. Ein tränendes Auge und ein lachendes, das aber vom Sonnenbrand brennt, wenn die Tränen herunterlaufen.

So ein Wetter! Du glaubst ja gar nicht, dass du in Sassnitz warst und am Strand von Prora. Also mit Mallorca konnten wir dicke mithalten.

Mach’s gut, Heimat, wir werden dich vermissen und deshalb kommen wir im Oktober schon wieder, mit Krümel.

Sie hat die Stadt ebenfalls in ihr Herz geschlossen.

KRÜMEL REIST AB

MAL SCHNELL ERZÄHLT

In einer Stunde reist Krümel mit ihrer Mama wieder aus dem Urlaubsort ab. Wir wissen noch gar nicht, wie wir den Abschied am Bahnhof überstehen sollen.

Aber das Leben geht weiter – für Krümel, Laura und auch für uns.

Wir werden erst einmal danach einkaufen fahren, einfach etwas tun, was uns ablenkt. Später gehen wir  vielleicht an den Strand.

Aber da werden wir sofort sehnsüchtig an Krümel denken, wie sie quietschend vor Lebensfreude gestern mit uns durch die Wellen gesprungen ist, wie sie uns mitgezogen hat, mit ihrer Energie.

Das schönste an den Kleinen ist, dass sie noch unverstellt reagieren. Sie freuen sich unvermittelt und sie sind auch sauer, wenn es nicht nach ihrem Kopf geht, und: Sie zeigen es auch sofort.

Gestern zum Beispiel, da hatte Krümels Mama ihr verboten, auf die heiße Herdplatte zu fassen.

Krümel kam zu mir und sagte: „Mama hat mich geärgert.“

Ich habe sie auf den Arm genommen, sie getröstet und ihr an einem Holzbrett gezeigt, warum sie es nicht anfassen sollte.

„Das ist jetzt die Herdplatte, und die ist sehr heiß“, sagte ich zu ihr, während ich die Hand auf das Holz legte und sie gleich wieder wegzog, um ihr zu zeigen, wie heiß die vermeintliche Platte sei.

Krümel sah sich das Ganze an und legte kurz entschlossen ebenfalls ihre Hand auf die ‚Herdplatte‘.

Ihr Blick danach schien zu sagen: „Geht doch. Ich weiß nicht, was ihr alle habt.“

Du wirst uns fehlen, Krümel. Aber wir sehen dich bald in Berlin wieder und dann gehen wir in den Tierpark und du zeigst mir,  wer deine Eisbärmama ist.

VOM WILLEN, DAS GUTE ZU SEHEN

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Vom Willen, sich morgens über den Beginn des Tages zu freuen.

Es ist noch ruhig. Nur das Rauschen des Meeres dringt herüber, bis zu der Terrasse, auf die ich mich schon jetzt gesetzt habe.

Obwohl es erst 6 Uhr morgens ist. Ich kann nicht mehr schlafen und freue mich deshalb, dass ich den Tag erwachen sehe.

Das klingt poetisch. „Der kann gut schwadronieren, ich muss zur Arbeit hetzen“, wird manch einer sagen, der diese Zeilen irgendwann liest.

Es stimmt natürlich: Stehst du am Alltag auf, dann kämpfst du mit dir,  dich wieder hinzulegen.

Klingelt bei mir alltags um 4 Uhr der Wecker, dann sage ich nur: „Ach du Scheiße!“

Sorry, aber das ist es, was ich sage. Da ist nichts Romantisches, Verklärtes dabei.

Jetzt im Urlaub, da habe ich mehr Muße darüber nachzudenken, ob man den Tag nicht mit mehr Freude beginnen kann.

Die Sonne beginnt durch die Verandaglasscheiben hindurch zu scheinen und auf den Wellen glitzern die ersten Strahlen.

Der Tag wirkt frisch, obwohl sich abzeichnet, dass es wieder heiß wird um die Mittagszeit.

Warum können wir uns eigentlich morgens nicht mehr so freuen, wie zum Beispiel Krümel, die uns anlacht, wenn sie munter wird?

Ist es, weil uns sofort einfällt, was alles an diesem Tag an Unangenehmen auf uns zukommt, was wir alles zu erledigen haben?

Wahrscheinlich ist es das.

Aber können wir den Tag nicht trotzdem positiv beginnen, obwohl wir manchmal nicht mehr diese echte Lebensfreude spüren, die ein kleines Kind ausstrahlt, wenn es fröhlich in den Tag geht und losplappert?

Loszulassen, entspannter zu sein, dazu gehört Energie, Kraft, der wirkliche Wille, es auch zu tun.

Wir sollten diese Energie aufbringen, weil wir nur dadurch dem Stress von Innen heraus begegnen können, der ohnehin auf uns am Tag gnadenlos zusteuert.

LUST AUF DAS HABEN, WAS VOR DIR IST

MAL SCHNELL ERZÄHLT

Mir ist es mehr als ein halbes Leben so gegangen, dass ich nie mit dem zufrieden war, was ich gerade erreicht hatte.

Ich war Marine-Leutnant, Schiffsmaschinenoffizier und wollte weiter. Ich wurde Hochschullehrer und strebte danach, zu promovieren. Ich hatte das erreicht und befand mich inmitten der Wende.

Es ging wieder von vorn los – Lehrer in einer Umschuleinrichtung, Immobilienmanager in einem Essener Wohnungsbauunternehmen, Bereichsleiter in einem international agierenden Konzern.

Stets ausser Atem, nie zufrieden, ständig auf der Suche nach der Erfüllung.

Die wirklichken Erkenntnisse darüber, was mir etwas im Leben bedeutete, die kamen ausgerechnet dann, als es mir schlecht ging – finanziell, auf der Suche nach einer neuen Arbeit, einer neuen Herausforderung.

Es hat Jahre gedauert, bis ich wieder aus dem Loch ‚herausgekrabbelt‘ bin, und ich hatte tatsächlich nur einen wirklichen Freund, der mir immer zur Seite stand – Klara, meine Frau.

Es war auch die Zeit, in der ich erkannte, dass ich selbst mein bester Freund, mein bester Ratgeber sein muss.

Warum?

Weil mich keiner so kennt, wie ich mich selbst kenne. Das ist eine banale Erkenntnis. Sie ist aber enorm wichtig. Das jedenfalls sagt mir meine Lebenserfahrung heute.

Jeder, der dir von aussen einen Ratschlag gibt, der kennt nie ganz deine inneren Sehnsüchte, deine seelischen  Leiden oder deine Träume, von denen du vielleicht noch einige verwirklichen willst.

Ich schreibe das hier, weil ich gerade auf das Meer schaue, den Wind spüre. Die Wellen, die sich gleichmäßig vor sich hinbewegen, sie werden das auch noch tun, wenn wir alle schon nicht mehr da sind. Sie werden auf den Strand prallen, ihre Kronen werden schäumen und sie werden sich wieder zurückziehen.

Irgendwie bringt mich dieser Gedanke dazu, mich zurückzunehmen, nicht zu glauben, dass sich alles um mich dreht, meine Leiden die größten sind, meine Freuden kein anderer erlebt.

„Bullshit“ würde gleich meine innere Stimme rufen.

Vielleicht.

Aber das Ganze führt mich zu einem anderen Gedanken, nämlich:

Sich zurückzunehmen, sich nicht so wichtig nehmen im Alltag, das Glück in dem finden, was gerade vor dir ist.

Das muss man annehmen, man muss es wollen, dann kann man damit glücklich sein, im Moment jedenfalls.

DER ERSTE TAG AM MEER

Glück braucht nicht viel
MAL SCHNELL ERZÄHLT

Während ich hier schreibe, sitze ich auf der Veranda unserer Ferienwohnung und schaue über die Dächer der Altstadt von Sassnitz hinweg  – direkt aufs Meer.

Es ist stürmisch auf dem Wasser, denn die Schiffe, die vorbeituckern, die tauchen immer wieder mit dem Bug ins Wasser und kommen erst nach ein paar Sekunden wieder hoch.

Auf den Wellen sind weisse Schaumkronen zu sehen und es weht ein frischer Wind bis hierher,  auf unsere Terrasse.

Heute Vormittag waren wir am Strand. Krümel hat sich frei gefühlt, sie ist hin – und hergelaufen, hat gekreischt vor Freude, ist ins Wasser gestürmt und gleich wieder raus.

Wir konnten nicht weit reingehen, denn die Wellen brachen über uns wie Ungetüme herein.

Es roch gut, das Wasser war warm, und wir waren glücklich. Was braucht man weiter?

Wir brauchen gar nichts weiter. Krümel hat mir anschließend Sand ins Gesicht gestreut und gerufen: „Opa, alles gut!“

Naja, wenn sie es sagt.

‚DAS IST MAMA UND DAS BIN ICH‘

MAL SCHNELL ERZÄHLT
EIN BESUCH IM TIERPARK
Samstagmorgen. Wir sind mit Laura und Krümel verabredet und fahren gemeinsam mit ‚Jeepi‘ zum Tierpark.
Klara und ich haben uns extra einen Bollerwagen zugelegt, in dem wir alles verstaut bekommen und Krümel passt auch noch rein.

Wir nähern uns dem Eingang am Tierpark. Dort herrscht bereits Gedränge.
Endlich, als wir drinnen sind, will Krümel laufen. Sie hüpft fröhlich vor uns her und bleibt voller Neugier an den einzelnen Gehegen stehen.

Es sieht alles sehr sauber aus. Wir waren lange nicht hier und wir haben den Eindruck, dass viel passiert ist in den vergangenen Jahren – die Bänke sind gestrichen, das Alfred-Brehm-Haus ist neu gestaltet, die Parkanlage insgesamt sieht sehr gepflegt aus.

Als wir die Eisbären im Wasser sehen, da ist für Krümel kein Halten mehr.
Sie will unbedingt die Stufen hinunter zum Gehege gehen, um näher dran zu sein.

Dabei sieht sie so viel weniger und ich muss sie hochheben und halte sie mit beiden Händen fest.

„Das ist Mama und das bin ich“, ruft Krümel plötzlich und zeigt mit ihrem kleinen Zeigefinger in Richtung der Bären.

Sie ist komplett in ihre Welt abgetaucht. Erst am vergangenen Mittwoch hat sie uns erzählt, dass Vincent ihr Vater sei. Vincent ist ein Dinosaurier und sie ist seine kleine Tochter.
Ein Spiel in der Kita, das Krümel mit Begeisterung durchlebt.

Wir ziehen mit dem Bollerwagen weiter und halten mittags schließlich in einer Ecke des Parks und machen Picknick. Einfach wunderbar. Klara hat Kartoffelsalat zubereitet und kleine Buletten gebraten.

Ich hatte die Kartoffeln einen Tag zuvor gekocht und abgepellt. Klara hat gestaunt, wie viel ich inzwischen in der Hausarbeit erledige. Ich staune ja auch über mich.

Während wir Kartoffelsalat und Buletten vertilgen, beobachten wir Paviane, die vor uns im Gehege spielen.

„Ist das nicht wunderbar?“, frage ich in die Runde und bekomme nur zustimmendes Nicken.
Eine Antwort war nicht möglich – entweder kauen oder reden.

Wir haben später noch viel gesehen, zum Beispiel das Alfred-Brehm-Haus.

Schließlich wurde der Böllerwagen immer schwerer, Krümel immer müder und wir waren froh, als wir Jeepi wieder erreicht hatten.

Krümel hat nachmittags zuhause drei Stunden geschlafen und wir haben auch nur regungslos auf der Couch gelegen.

Ein Tierparkbesuch kann schon anstrengend sein, aber er ist vor allem wunderschön.

Es macht dich glücklich, wenn du siehst, wie Krümel die Tiere aufmerksam beobachtet, sie zu ihnen spricht und uns erklärt: „Opa, Oma, Mama, …ein ‚Tiiiiiger‘“.

OPA HAT MICH GEÄRGERT

Laura hat sich zu Besuch angekündigt, natürlich zusammen mit Krümel.
Ich hole beide von Berlin aus am Freitagmittag ab.
Zuhause auf dem Dorf angekommen müssen wir schon wieder los, Klara abholen.

Sie kommt mit dem Vorortzug aus Berlin, von der Arbeit.
Ich bleibe im Auto, während Krümel und Laura auf den Bahnsteig gehen.

„Zug kommt von Oma!“, ruft Krümel aufgeregt. Sie kann es kaum erwarten, bis der Zug hält, ihre Oma aussteigt und Krümel ihr entgegen stürmen kann.

„Opa wartet bei ‚Jeepi‘“, sagt sie gleich zu Klara.
Wir verleben ein wunderschönes Wochenende, grillen zusammen.

Krümel setzt den Garten mit dem Schlauch unter Wasser, verteilt den Sand aus dem Kasten auf der Terrasse und fühlt sich pudelwohl.

Am Samstagmorgen sind wir nach Zerpenschleuse aufgebrochen und haben die wunderschöne Landschaft ‚Am langen Trödel‘ genossen.

Krümel hatte zu tun, ‚ihre Herde‘ zusammenzuhalten. Sie mag es nicht, wenn jemand vorausläuft oder zurückbleibt.

„Oma, Opa kommt nicht“, sagt sie dann, wenn ich zurückbleibe.
Am Sonntagvormittag, nach dem Frühstück schaut sich Krümel Videos auf Klaras Handy an.

Immer und immer wieder. Sie liebt es und ich staune, womit sich Kinder heute schon beschäftigen können und bin zugleich darauf bedacht, dass sie nicht zu lange draufschaut.

Plötzlich will das Handy nicht mehr so, wie Krümel will. Sie kann die Bilder und Videos nicht auswählen.

Ihr kleiner Finger saust auf der Oberfläche des Mobiltelefons hin und her, aber es bewegt sich nichts.
Krümel schmeißt das Handy auf den Tisch und schmollt.

„Oh, oh, das ist aber nicht schön“, erhebe ich meine Stimme.
Krümel springt auf, läuft raus.

Ich bin bestürzt, laufe hinterher. „Was hast du denn, Krümel?“, frage ich besorgt und etwas traurig, dass sie einfach vom Tisch aufgesprungen ist.

„Lass mich in Ruhe“, schreit sie und streckt ein Bein in meine Richtung aus. Krümel ist trotzig und bockig. Ich lass sie in Ruhe und gehe ins Wohnzimmer.

„Was ist denn los?“, fragt Laura, die aus der Küche herbeigeeilt ist.
„Opa hat mich geärgert!“, schreit sie los. Ich bin schockiert und ein wenig verärgert.

„Das ist doch nicht wahr“, sage ich und merke gar nicht, wie ich in dem Moment selbst wieder zu einem kleinen Jungen werde, der Recht bekommen will.

Ich bin jetzt richtig sauer und traurig und gehe die Treppe zu meinem Arbeitszimmer hinauf.

Laura bleibt ruhig und fragt Krümel: „Was hat Opa denn gemacht?“
„Er hat so gemacht“, sagt Krümel und stampft mit dem Fuß auf.
„Das gibt es doch nicht, Krümel hat mit dem Fuß gestampft“, sage ich von der oberen Etage hinunter, da wo Krümel und Laura stehen.

„Papa!“, kannst du dich jetzt mal raushalten“, sagt Laura energisch.
Ich trolle mich wieder in mein Büro.

„Hat Opa wirklich mit dem Fuß aufgestampft, oder hast du dir das ausgedacht?“, fragt Laura ganz in Ruhe.
Krümel verweigert die Aussage.

„Wollen wir uns bei Opa entschuldigen?“, fragt Laura nun.
Krümel nickt heftig. Sie kommt zu mir ins Arbeitszimmer.

„Tschuldigung, Opa“, sagt sie nun zu mir. Laura muss sich hinter ihr das Lachen verkneifen.

„Ist schon in Ordnung“, sage ich und drücke Krümel einen Kuss auf die Wange.

„Willst du mit mir ein bisschen auf dem Schreibtisch sitzen?“, frage ich sie.

Sie nickt, ich hebe sie hoch und binnen weniger Augenblicke sieht der Tisch aus, als hätte ein Sturm drüber hinweggefegt.

Dann entdeckt Krümel mein iPad. Sie streicht mit dem kleinen Finger die Oberfläche entlang und ist fasziniert. Ich lass sie gewähren.

Ein paar Tage später ärgere ich mich immer noch, dass ich nicht souverän reagiert habe, sondern wie eine beleidigte Leberwurst.

Dafür bin ich stolz auf Laura. Sie hat mir gezeigt, dass sie eine gute Mutter und prima Erzieherin ist. Da verliere ich gern mal. Ich habe ja daraus gelernt.

Am Mittwoch holen wir Krümel von der Kita ab und am Samstag wollen wir ins neu eröffnete Alfred-Brehm-Haus im Tierpark gehen. Ich freu‘ mich drauf.

MEIN ERSTES MAL MIT ANGERMÜNDE

MAL SCHNELL ERZÄHLT
ALLTÄGLICHES (46-4)

Dienstagmorgen, 06.00 Uhr, der Wecker klingelte.
Klara war bereits wach, sie hatte die ganze Nacht unruhig geschlafen.

Sie musste an ihre Mutter denken, die sie besuchen wollte, und sie dachte daran, was sie alles erwartete, wenn sie in Sassnitz ankam. Ihre Mutter litt an Demenz, lebte aber in ihrer Wohnung. Noch ging es mit allem so einigermaßen, kam allein zurecht, noch.

Trotzdem befiel Klara nach einigen Wochen eine innere Unruhe, auch wenn sie wusste, dass ihr Bruder nach Kräften vor Ort ihrer Mutter zur Seite stand.

„Du kannst noch liegenbleiben, der Zug fährt erst 08.54 Uhr von Bernau ab und es reicht, wenn wir kurz nach acht Uhr von hier aus losfahren“, sagte Klara zu mir.

„Jetzt bin ich wach“, antwortete ich, während ich mich aus dem Bett hievte.
Normalerweise standen wir morgens gegen vier Uhr auf.
Aber heute war ja ein besonderer Tag, denn Klara wollte in dieser Woche ihrer Mutter helfen, die Wäsche zu waschen, die Wohnung sauberzumachen und unerledigte Papiere zu sortieren und das

Nötige zu tun, damit alles wieder in seinen normalen Bahnen lief.
Wir fuhren pünktlich von Basdorf ab. Klara hatte eine Tasche mit, die ich hinten ins Auto verfrachtet hatte. Und dann war da noch dieser unförmige Beutel.

Klara hatte dort einen Eimer verstaut, mit allerlei Sachen, die sie ihrer Mutter mitbringen wollte.

Der Beutel ließ sich schlecht tragen, weil die Schlaufen kaum mit einer Hand zu greifen waren. Klara hatte einen Eimer darin verstaut, mit verschiedenen Sachen. Sie konnte nicht anders, sie dachte stets daran, worüber sich andere Leute freuen könnte, wenn sie ihnen etwas mitbrachte. Und diesmal war mal wieder ihre Mutter dran.

„Muss das sein?“, fragte ich sie.
„Ja!“, antwortete sie in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Wir fuhren los und stiegen in Bernau am Bahnhof aus und begaben uns ins Bahnhofsgebäude.

Als wir auf die Tafel schauten stand dort, dass der Zug nach Stralsund nicht durchfahren würde. Von Eberswalde bis nach Angermünde war ein Schienenersatzverkehr eingerichtet worden.
„Lass uns einen Ausflug nach Angermünde machen“, sagte ich spontan zu Klara.

„Ach, warum willst du das auf dich nehmen?“, fragte Klara.
„Lass uns hier warten, bis der Zug kommt“, sagte sie noch.
In der Zwischenzeit näherte sich uns ein junger Mann. Er schwankte und wir hatten Angst, dass er vom Bahnsteig kippte.

„Habt‘ ihr mal ‚nen‘ Euro oder ‚einsfuffzig‘, ich fahre immer zwischen Bernau und Eberswalde hin- und her, und jetzt habe ich furchtbaren Durst“, sagte er zu mir.

„Was wolltest du denn damit kaufen?“, fragte ich ihn.
„Wasser“, antwortete der schlagfertig. Da klappten offensichtlich die Reflexe noch.
Denn Wasser sagen und an Alkohol denken, das war ja gar nicht so einfach, da würde sogar ich durcheinanderkommen.

„Meine Frau hat nur 50 Euro dabei und wir können nicht wechseln.“
Der junge Mann schaute mich an, blickte zu Klara hinüber, die wiederum mir finstere Blicke zuwarf.

Schließlich drehte er sich um, ging eine Bank weiter, streckte sich darauf aus und schlief sofort ein.
„Bist du nicht ganz bei Trost? Wie kannst du sagen, dass ich 50 Euro in der Tasche habe?“

„Ich wollte nur ehrlich sein, und ihm sagen, wie es ist“, meinte ich zu ihr.
Sie seufzte nur und sagte nichts mehr.
Wir eilten die Treppen vom Bahnsteig hinunter, liefen über den Vorplatz des Bahnhofs, stiegen ins Auto und machten uns auf den Weg in Richtung Angermünde.

„Wann kommt die Abfahrt nach Angermünde?“, fragte mich Klara ungeduldig während der Fahrt auf der A11.
„Keine Sorge, die kommt bald“, antwortete ich knapp.
„Wenn ich dich zum Zug gebracht habe, dann werde ich mal eine kleine Stadtrundfahrt machen, vielleicht ziehen wir ja hierher, wenn du auch in Rente bist“, sagte ich noch.

„Was willst du in Angermünde?“, fragte Klara spöttisch.
„Du, ich glaube, das ist ein niedliches Städtchen, freundliche Menschen und Berlin ist auch nicht weit“, sagte ich zu ihr.

„Ja, da hast du recht, dann mach‘ mal einen Spaziergang durch den Ort“, sagte sie.

„Vielleicht kannst du ja darüber einen kleinen Artikel auf deinem Blog schreiben“, meinte sie noch.

„Gute Idee!“, sagte ich und freute mich schon auf den Spaziergang vom Bahnhof aus in Richtung Stadtmitte.
Wir kamen in Angermünde an, ich steuerte eilig auf den Parkplatz vor dem Bahnhofsgebäude, stellte den Motor aus und eilte nach hinten, um die Tasche und den Beutel herauszuholen.

„Lass‘ uns schnell machen, dann erreichen wir vielleicht noch den nächsten Zug“, sagte ich.
Wir hasteten mit dem Koffer in Richtung Vorhalle.
„Ach, ich habe meine Schutzmaske vergessen“, sagte ich.
„Warte, ich laufe schnell zurück.“

Ich sah zu meinem Auto und entdeckte schon von Weitem einen weißen Zettel, der hinter dem rechten Scheibenwischer klemmte.
‚Verwarnung‘, stand auf dem Zettel, und weiter: ‚KFZ: PKW Jeep, Rot,
Wann: von 02.06.2020 09.37 Uhr bis 02.06.2020, 09.40 Uhr in Angermünde, Bahnhofsplatz Parkplatz“, stand darauf.
„Sie parkten bei Zeichen …. ohne die durch Zusatzzeichen vorgeschriebene Parkscheibe (Bild…)“, las ich weiter.
20, 00 Euro Verwarngeld sollte ich zahlen, würde ich auch.

Was sollte ich sonst tun?
Dabei achtete ich darauf immer, wirklich immer, dass ich einen Parkschein löste oder die Parkscheibe sichtbar im Auto hinlegte.
Diese Regel, die ich stets einhielt, wurde an dem Tag durch die Ausnahme bestätigt, die ich machte.

Wie kam das zustande? Es war Schienenersatzverkehr geplant, ich fuhr deshalb Klara selbst nach Angermünde, damit sie den Zug schaffte.

In dieser Hektik habe ich nicht mehr an die Parkscheibe gedacht.
Weiter unten auf dem Zettel stand eine Telefonnummer.
Ich wählte sie auf meinem Handy an. Ich wollte wenigstens erklären, warum ich die Parkscheibe nicht hinterlegt hatte.

Es meldete sich keiner.
Aber würde das die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter überhaupt am Telefon interessieren?
Wohl kaum. Die fühlten sich wahrscheinlich sogar noch von mir belästigt.

Also drückte ich auf die Taste und beendete das Telefonat, bevor es überhaupt begonnen hatte.

Ich lief mit Schutzmaske bewaffnet zurück in den Bahnhof.
„Was ist los?“, fragte Klara.
„Ach nichts“, sagte ich zu ihr. Ich muss 20 Euro zahlen.“

„Wofür?“, fragte sie mich.
„Parkscheibe vergessen“, sagte ich knapp.
„Tja“, meinte Klara nur. „Aber 20 Euro schon nach der kurzen Zeit?“, fragte sie dann doch.
„Was soll’s, der Tag ist jetzt versaut“, sagte ich.

Wir verabschiedeten uns, Klara wollte auf dem Bahnsteig bleiben, bis der Zug 11.33 Uhr nach Stralsund abfuhr.

„Ich rief sie noch einmal aus dem Auto an.“
„Ich bin auf dem Rückweg“, sagte ich zu ihr.
„Ach, ich denke, du wolltest noch durch Angermünde lustwandeln und dann darüber schreiben?“

„Na, die Lust ist mir gründlich vergangen“, sagte ich zu ihr und ich glaube auch nicht, dass wir hier wieder jemals herfahren“, meinte ich.

„Aber der rote Klatschmohn sieht auf den Feldern so prächtig aus, und das kannst du dir ohne Bußgeld anschauen“, sagte ich weiter zu ihr.

Klara lachte und ich bekam allmählich auch wieder gute Laune.

 

 

 

VOM GLÜCK DES SCHEINBAR BANALEN, NICHTERWÄHNENSWERTEN IM ALLTAG

MAL SCHNELL ERZÄHLT

ALLTÄGLICHES (48-11)

Wir sind zu Krümel gefahren. Sie empfing uns am Fahrstuhl, sie hüpfte uns entgegen und schrie freudig, „Oma, Opa!“, und wollte gleich auf den Arm von Klara.

Ich hatte mir extra im Fahrstuhl die Mütze noch so aufgesetzt, dass der Schirm nach hinten zeigte und Krümel sich nicht gleich die Stirn daran stieß, wenn ich sie mit den Armen hochheben sollte.

Aber das war ja nun gar nicht nötig gewesen.
Sie war nun im Arm von Klara.
Trotzdem, ich freute mich natürlich wie ich sah, dass Klara und Krümel strahlten.

Laura war eigentlich gerade dabei, Krümel anzuziehen.
Aber nun sauste sie aufgeregt auf dem Flur hin- und her.

Wir gingen zu Laura in die Wohnung hinein und Krümel rannte weiter vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer, den langen Flur entlang und kreischte laut vor Glück.

Schließlich gelang es mir, sie zu fassen, was ihr noch mehr Spaß bereitete.
Ich zog ihr die Hose an und ein kleines Nicki-Shirt. Was einfacher gesagt war, als ich es auch faktisch hinbekam.

Krümel zappelte und wollte unbedingt an die Tüte mit den Schokoladeneiern, die wir ihr mitgebracht hatten. Ich holte die Tüte mit den Schokoladen-Eiern und einem Behälter mit kleinen Schokoladen-Plätzchen. Ich ließ Krümel selbst auswählen, was sie essen wollte.

Sie ließ sich Zeit, jetzt hatte sie ja den vollen Zugriff drauf. Krümel wählte die Smilies. Sie versuchte den Verschluss zu öffnen und kippte die ganze dünne Plastikflasche auf die Seite, sodass sie gleichzeitig zwischen 10 und 12 Plätzchen auf einmal in die Hand bekam.

Die restlichen hatte ich aufgefangen. Krümel führte die Hand zum Mund und wollte alle Plätzchen auf einmal in den Mund stecken. Nur mit Mühe konnte ich sie davon abhalten.

Das gelang mir auch, doch für vier Plätzchen kam jede Hilfe zu spät. Sie steckten im Mund von Krümel und wurden von ihr zermalmt, während sie mich mit ihren leuchtenden Augen anstrahlte.

Früher, bei Laura, da hätte ich geschimpft und den Finger erhoben, jetzt konnte ich nur noch versuchen, dass Krümel mein Lachen nicht mitbekam.

Laura kam ins Zimmer, sah, dass Krümel den Mund vollgestopft hatte, und sie war nicht begeistert.

Naja, wir sind eben die Großeltern. Da kann man doch mal eine Ausnahme machen, oder?

Ich überlegte: Brauchte ich noch mehr, um glücklich zu sein? Naja, ein bisschen vielleicht. Aber irgendwie auch nicht.

‚EMMA NICHT SCHULD, PAULINE SCHULD‘

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Krümel war bei ihren Großeltern Klara und Peter auf dem Dorf zu Besuch, zusammen mit ihrer Mama Laura. Der richtige Name von Krümel war Emma Pauline, aber so nannte sie kaum jemand.

Peter sprach Emma Pauline fast ausschließlich mit Krümel an.
Das hatte sich in seinem Kopf festgesetzt, und die anderen Familienmitglieder nannten sie ebenfalls so, bis auf die Ausnahmen, wenn es etwas Ernsteres zu besprechen gab.

Aber so viel gab es mit Krümel nicht zu besprechen, noch nicht. Meistens reichte ein erhobener Finger oder ein ‚oh, oh‘ Emma, das darfst du nicht‘, oder etwa ein strenger Blick, der Emma davon abhielt, den Knopf von der Spülmaschine umzudrehen.

Krümel war mal wieder aus dem Zimmer in die Küche gelaufen, hatte den Stuhl an den Kühlschrank gestellt und versuchte, die Tür zu öffnen.

Sie wollte ein Eis essen und damit nicht bis nach dem Mittagsschlaf warten.
Deshalb beobachtete sie mit wachen Augen, wie Klara schon mal das Eis aus dem Gefrierschrank holte und von da aus in den Kühlschrank legte.

Klara nahm Krümel an die Hand und ging mit ihr ins Wohnzimmer, bevor Laura sie nach oben zum Schlafen brachte. Aber Krümel hatte anderes vor. Sie lief noch einmal von allen unbemerkt in die Küche und schaute wie gebannt am Kühlschrank hoch.

Jetzt musste sie also nur noch die Kühlschranktür aufbekommen. Sie schob ihren kleinen Hocker ran, sodass sie gerade so an den Griff der Tür gelangte.

Doch plötzlich verlor sie dabei ihr Gleichgewicht, der Stuhl begann zu wackeln und kippte schließlich nach hinten. Es polterte lautstark und ihre Oma und ihr Opa schossen wie elektrisiert aus ihren Sesseln hoch und hasteten in die Küche.

Krümel war zum Glück nicht auf dem Hinterkopf gelandet. Sie weinte nicht, hielt ihr Stangeneis in der Hand, dass sie noch greifen konnte, bevor sie stürzte. Sie schaute Klara und Peter schuldbewusst an.

Vor dem Kühlschrank lag die Butterdose auf dem Boden und aus einer heruntergefallenen Packung tropfte langsam Milch auf die Fliesen.

„Emma, bist du das gewesen?“, fragte ihr Opa sie mit strengem Blick, und war insgeheim froh, dass seinem geliebten Krümel nichts passiert war.

„Opa, nein, ‚ich nicht war'“, sagte Emma.
„Aber wer war es dann?“, hakte ihr Opa nach und versuchte weiter grimmig zu schauen.

Die Zweieinhalbjährige guckte ihn mit unschuldigen Augen an und wiederholte: „Emma nicht, ‚Pauline war‘“.

Ihr Opa schaute sie verdutzt an?
„Wer?“

„Papa, Pauline ist ihr zweiter Vorname! Hast du das vergessen?“
Jetzt brach es aus ihrem Opa heraus, er lachte und konnte sich nicht mehr halten.
„Jaha Opa, Pauline, mhm!“, Emma nickte zur Bekräftigung mit ernster Miene.

„Sprich du noch mal mit ihr“, sagte Peter zu Laura, ich kann jetzt nicht ernst bleiben“, meinte er.

Emma hatte inzwischen die Situation gut analysiert und wandte sich zielsicher an das mental schwächste Glied, ihre Oma.
„Eis, ja Oma?“, fragte sie Klara und hielt das leicht zerdrückte Stangeneis fragend nach oben.

Laura wollte gerade mit einer erzieherisch notwendigen Ansprache an Emma beginnen.

Da kam ihr Klara zuvor: „Hier hast du ein neues Eis, meine Süße.“
Emma nahm es, sagte höflich danke zu ihrer Oma und verschwand ruhigen Gewissens aus der Küche.

Pauline, ja, die konnte sich vielleicht was anhören, während Emma in Ruhe am Eis leckte.

VORLESEN FÜR KRÜMEL – DAS PASST IN DIE ZEIT

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Wir wollen wieder mehr für Krümel tun, per Skype, Video und Whats App. Aber was? Vorlesen!

Genau darüber wird viel gesprochen und geschrieben in letzter Zeit. Ich sah mehrere Berichte darüber im Fernsehen. Spontan habe ich mit Laura telefoniert.

„Ich übernehme das Vorlesen bei Krümel. Wenn ihr wollt, dann werde ich Krümel Geschichten vorlesen – Märchen, vielleicht eigene Erzählungen, Kinderbücher“, sagte ich zu Laura. Sie findet das gut.

Allerdings, als ich das letzte Mal bei ihr war, vor den Schutzmaßnahmen für Corona, da habe ich mit Krümel probehalber in einem Buch geblättert, in dem verschiedene Dinge abgebildet waren – eine Tomate zum Beispiel, eine Gießkanne oder ein Sandkasten.

Krümel hat einen Augenblick mitgespielt. Dann hat sie mir kurzerhand das Buch weggenommen, es zugeklappt und stattdessen den Schakal aus Stoff, den mit den hässlichen Ohren, zum Trinken genötigt, und zwar durch die Nasenlöcher.

Naja, ich muss eben Geduld haben.
Ich habe vor einigen Jahren schon einmal als Vorleser fungiert – in der örtlichen Bibliothek. Meist waren es Märchen, die von den Kindern gewünscht zum Vorlesen gewünscht wurden.

Da ist mir noch einmal so richtig deutlich vor Augen geführt worden, wie grausam einzelne Inhalte sind: bei ‚Aschenputtel‘ wird bei dem einen Mädchen hinten ein wenig vom Hacken weggenommen, damit der Schuh passt, ‚Der Struwwel-Peter‘ verhungert, weil er zulange Fingernägel hat.

Das Vorlesen ist noch mal eine Aufgabe, die mir viel Spaß machen wird.

Wir können nicht nur immer die Welt retten, indem wir über die großen Katastrophen reden. Das ist notwendig, ja unabdingbar. Natürlich. Wir können aber auch was im Kleinen tun – Lesen ist enorm wichtig. Damit fängt alles an.

Internet, digitale Medien – da wird Krümel ihre Mutter Laura überholen und mich sowieso.

Aber das kann sie umso schneller, je besser sie lesen kann, je mehr sie weiß, je intensiver ihr Verstand geschult wird. Also verknüpfen wir mal digitale Technik mit etwas sehr Nützlichem, dem Vorlesen.
Ich fange mal mit dem Buch ‚Tilda Apfelkern‘ an.

WAS KRÜMEL JETZT WOHL MACHT? (FORTSETZUNG)

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Krümel hatte Fieber und sollte  auf jeden Fall ihren Mittagsschlaf machen.

„Komm‘, wir gehen in dein Zimmer, suchen uns den Schlafanzug heraus und danach darfst du mal ausnahmsweise im Wohnzimmer Mittagsschlaf machen.“

Krümel nickte und fing sofort an in Richtung ihres Zimmers zu laufen. Als ich hereinkam, da hatte sie sich bereits auf ihr Bett geschmissen und den rosaroten Schlafanzug hervorgeholt.

Ich war erleichtert, dass Krümel aktiv mitmachte. Sie zog von allein ihre Hosen aus und ich knöpfte in der Zwischenzeit den Schlafanzug auf.

„Wo ist hier eigentlich oben und unten Krümel?“, fragte ich sie.
„Mein Schlafanzug“, antwortete sie stattdessen.

„Und das soll auf jeden Fall so bleiben, denn Opa will zwar wieder ‚Modelmaße‘ durch sein Training bekommen, aber hier hinein, das werde ich wohl nicht schaffen“, sagte ich zu ihr.

Inzwischen versuchte ich, ihre Arme in den Schlafanzug zu zwängen.
„Arme, Opa“, sagte Krümel.

„Ja klar Arme“, sagte ich zu ihr und sah nun, dass ich versuchte ihre Arme da hineinzubekommen, wo ihre Füße reinsollten. Also alles noch einmal zurück. Ich drehte den Schlafanzug um, bugsierte ihre Hände Richtung Ärmel und hatte es endlich geschafft.

Jetzt musste ich nur noch die Druckknöpfe zubekommen. Als ich das geschafft hatte sah ich, dass die Knöpfe falsch zugeknöpft waren.
„Würde Monk so etwas hinnehmen?“, fragte ich mich im Stillen.

Ich liebte die Fernsehserie aus den USA. Nicht nur, weil die Figur so genial Kriminalfälle aufklärte, sondern weil sie fanatisch auf Ordnung bedacht war.

Obwohl Monk eigentlich in einer Serie ein Rennen beobachten wollte, kam ihm ein älterer Herr vor das Fernglas, dessen Jacke falsch zugeknöpft war. Monk drängte den älteren Herrn so lange, bis der entnervt seine Jacke aufknöpfte und wieder ordentlich zumachte.

Daran musste ich nun denken. Also wieder alles bei Krümel aufknöpfen und von vorn beginnen. Krümel hatte kein Verständnis dafür und fing an zu weinen.

„Wir sind ja gleich fertig“, versuchte ich beruhigend auf sie einzuwirken, obwohl ‚gleich‘ in diesem Fall eher relativ gemeint war. Laura hätte in der Zeit sicherlich Krümel den Schlafanzug fünfmal ausgezogen, wieder angezogen und zugeknöpft. Aber ich war untrainiert.

Überhaupt musste ich mich daran gewöhnen, dass der Anzug schräg zugeknöpft wurde. Allein das war für mich schon eine Herausforderung. Ich war eben mehr für die geraden Sachen.

Mit dem Rest an Krümels Geduld war es nun endgültig vorbei. Sie schrie ihren Unmut laut hinaus. Ich fühlte mit der Hand an ihrer Stirn. Sie war heiß, als hätte sie eine Stunde in der glühenden Sonne gelegen.

Ich hob sie hoch, sie legte ihre Ärmchen um meinen Hals und ich trug sie ins Wohnzimmer, legte sie auf die Couch und versuchte sie zu beruhigen.

Dann fiel mir ein, dass wir den Nuckel im Schlafzimmer vergessen hatten. Ich eilte über den Flur, griff im Vorbeigehen noch die Micky Maus und kam mit beiden Utensilien zurück.

Ich steckte Krümel den Nuckel in den Mund und drückte ihr die Stoffpuppe in die Hand. Sie legte die Puppe auf ihr Gesicht. Sie machte die Augen zu und schlief sofort ein.

Ich schaute sie erleichtert an. Zugegeben, ich war fertig, mit ‚Jack‘ und ‚Büx‘, aber ich war auch glücklich, als ich Krümel so friedlich schlafen sah.

„Werd‘ wieder gesund“, sagte ich leise, legte mich auf die gegenüberliegende Seite der Couch und schlief ebenfalls sofort ein. Ohne Nuckel und Stoffpuppe.

Als wir aufwachten, stand Laura in der Tür.
Der Nuckel flog aus Krümels Mund, sie stürmte auf ihre Mutter zu. Laura nahm sie hoch und Krümel sah zufrieden aus, sehr zufrieden.

Da hast du als Opa keine Chance, und wenn du eine Rolle rückwärts machst und dabei ‚…kommt ein Vogel geflogen‘ zwitscherst.

WAS KRÜMEL JETZT WOHL MACHT ? (FORTSETZUNG)

MAL SCHNELL ERZÄHLT
„Was willst du denn essen?", fragte ich Krümel, nachdem sie den Kartoffelbrei mit Möhren abgelehnt hatte.

„Butter“, sagte Krümel. Für sie war alles Butter, ob ein Brot mit Butter, mit Käse oder auch Wurst drauf.

Also nahm ich ein Knusperbrot und beschmierte es mit Butter. Ich ging in das Wohnzimmer, setzte mich neben Krümel und reichte es ihr.

Krümel biss einmal ab und gab es mir zurück. Sie würgte an dem einen Bissen und ich verdrückte neben ihr den Rest, den größten Teil des verbliebenen Knusperbrotes.

Dabei saßen wir nebeneinander und schauten einen Kinderfilm, in dem es um ein gestohlenes Passwort für ein wichtiges Computergeheimnis ging.

Ob es Laura gutheißen würde, dass wir nicht in der Küche saßen, am Tisch, nebeneinander, so wie es sich gehörte? Egal. Krümel war krank und da sollte eine Ablenkung nur recht sein.

Wir schauten, und wir waren im Film drin, krochen nahezu gebannt in den Bildschirm hinein. Würde die Polizei den Dieb rechtzeitig fassen, um ein Unglück zu verhindern?

Krümel stand vom Sofa auf und ging direkt vor den Fernseher.
„Krümel nein, komm‘ wieder hierher zurück!“

„Ne“, sagte Krümel.
„Ne“ sagen, das hatte sie schnell gelernt, schneller, als auf das zu hören, was ich ihr in dem Moment sagte.

„Krümel, bitte“ wiederholte ich meine Aufforderung.
„In Ruuuuhe…!“, antwortete Krümel nun trotzig. Da war sie wieder die Ablehnung für etwas, was sie nicht tun wollte.

Ich musste etwas unternehmen, damit sie nicht länger vor dem Fernseher stand.

Ich drückte auf die Fernbedienung, der Bildschirm wurde dunkel und Krümel fing an zu weinen.

„Komm‘, Opa zieht dir den Schlafanzug an und dann schläfst du schön, damit wieder ganz gesund wirst“, sagte ich mit möglichst einschmeichelnder Stimme.

Jetzt ging Krümels Sirene so richtig an. Sie weinte noch stärker. Es war schon eher ein Plärren. Was sollte ich nur tun?

„Was willst du denn?“, fragte ich sie erneut.
„In Ruuuhe“, schleuderte sie mir entgegen.

Was sollte ich nur tun? Laura anrufen? Die wäre nur noch beunruhigter.

„Oh, oh“, sagte ich mit möglichster tiefer Stimme und hob meinen Zeigefinger.

Krümel lief weinend aus dem Wohnzimmer, über den Flur und warf sich im Kinderzimmer auf den Boden.

Ich saß ratlos daneben.
„Möchtest du einen Nuckel haben?“

„Ja“, antwortete sie sofort.
„Aber ich weiß nicht, wo der Nuckel ist.“

Krümel schaute mich sehr prüfend an, bereit, erneut in den passiven Widerstand zu gehen.

„Ruf mal nach dem Nuckel“, sagte ich zu ihr.
Und schon rief Krümel aus voller Kehle: „Nuckel, wo bist du?“ Donnerwetter, mit einem Mal konnte sie einen ganzen Satz bilden.

Ich zog den Nuckel aus der Hosentasche.
„Hier ist der Nuckel, er hat dich gehört.“
Krümel nickte und steckte ihn sofort in den Mund.

Gut, dass Laura dies alles nicht sah. Aber schließlich waren wir im Notstand, Krümel hatte hohes Fieber. Da musste ich Zugeständnisse machen.

„Willst du im Wohnzimmer bei mir auf der Couch liegen?“, fragte ich weiter.

„Ja“, sagte sie kurz und schmerzlos.
‚Na bitte, geht doch‘, dachte ich bei mir und hörte schon, wie Laura alle diese Regelverstöße auf eine Tafel mit quietschender Kreide schrieb. Aber das war nur so ein Tagtraum.

Jetzt kam die nächste Hürde. Ich musste Krümel den Schlafanzug als ein tolles Kostüm verkaufen.
Fortsetzung (48-6)

WAS KRÜMEL JETZT WOHL MACHT?

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Ich denke jetzt mehr an Krümel, als ich es in normalen Zeiten getan habe. Wahrscheinlich, weil es schmerzt, dass ich sie nicht in den Arm nehmen kann, oder sie einfach im Vorbeilaufen an meinem Sessel auf den elektrischen Knopf drückt und dann meine Beine beim Lesen nach oben schnellen.
Also lehne ich mich im Sessel zurück und denke weiter an unsere Enkelin, die wir in Corona-Zeiten eben nicht sehen können.
Was mich fasziniert ist, dass Kinder ihr ehrliches Gesicht zeigen, sie nicht ihren Unmut, ihren Ärger hinter einem freundlichen oder undurchsichtigen Ausdruck verbergen. Das ist toll. Aber wenn sie das sagen oder wenigstens in der Mimik ausdrücken, was sie denken und fühlen in dem Moment, dann ist es uns Erwachsenen manchmal auch nicht recht. Krümel sagt zum Beispiel in Momenten, in denen sie was nicht möchte: „Lass mich in Ruhe, oder einfacher, weil sie es mit ihren zweieinhalb Jahren noch nicht sagen kann „…in Ruhe“. Dabei zieht sie das ‚u‘ energisch auseinander und es kommt „…in Ruuuhe“ heraus. So auch mehrfach, als ich Krümel für zwei Tage betreute, weil sie Fieber hatte.

„Keine Zeit!“, sage ich knapp, wenn ich arbeiten will und erntet daraufhin oft einen verständnislosen Blick von meiner Frau oder meinen Freunden.

Es gibt eine Ausnahme, und zwar dann, wenn meine Tochter einen Hilferuf absetzt und ich auf Krümel aufpassen soll.
Dann schiebe ich alles beiseite, mach‘ den Computer aus und eile zu Krümel und Laura nach Hause, um zu helfen.

Erst kürzlich klingelte das Telefon, als ich gerade vom Sport zurück war und mich auf eine zweite Tasse Kaffee freute, bevor ich dann an den Schreibtisch wollte.

„Krümel hat fast 40 Grad Fieber, sie ist am ganzen Körper heiß, kannst du auf sie aufpassen?“, fragte Laura mich.

„Klar, kann ich“, antwortete ich, ohne zu zögern.
„Wo ist sie denn jetzt?“, fragte ich weiter.
„In der Kita, hier bei mir“, sagte Laura.

„Gut, ich komme, so schnell ich kann.“
Ich duschte mich kurz, verzichtete auf den Kaffee, stieg ins Auto und eilte in die Kita.

Krümel schaute mich mit einem erstaunten Blick an.
„Opa“, sagte sie leiser als sonst.

Ich bekam von Laura noch ein paar Instruktionen und schon war ich mit Krümel auf dem Weg in ihre Wohnung.

Sie lag still im Kinderwagen. Es war ungewöhnlich. Sonst sangen wir auf dem Rückweg solche Lieder wie „…kommt ein Vogel geflogen…“. Ich singe vor und Krümel wiederholt ein Wort aus der Liedzeile, „…auf mein ‚Fuuuuß‘“, zum Beispiel.

Dann geht es mit „la la“ munter weiter, bis wir nicht mehr können. Und meist kann ich zuerst nicht mehr.

Jetzt aber hörte man von Krümel gar nichts.
Endlich – wir waren Zuhause angekommen. Ich zog ihr schnell die Wintersachen aus und Krümel lief ins Wohnzimmer.

„Willst du einen Trickfilm sehen?“, fragte ich sie.
„Ja‘, sagte sie leise. Ich wusste nicht, ob es Laura recht war, aber ich wollte Krümel erst mal beschäftigen.

Ich ging in die Küche. Dort hatte Laura schon das Mittagessen vorbereitet. Im Mixer waren Kartoffeln und Möhren. Ich sollte noch ein bisschen Butter dazutun, ein wenig Salz und dann das Ganze verrühren.

Als alles fertig war, rief ich Krümel und füllte ihr einen kleinen Klecks davon auf den Teller.

Es war ulkig. Ich konnte diesen Brei nicht sehen und nicht riechen, obwohl alles frisch war.

„Krümel, komm‘ essen“, rief ich erneut und Krümel schlurfte den Flur entlang.

Als sie auf dem Stuhl saß und ich den Brei vor mir hatte, musste ich würgen und aufpassen, dass ich mich nicht übergab.
Krümel schaute mich aufmerksam an.

„’Leecker‘!“, rief ich. „Willst du einen Löffel haben?“, fragte ich danach schnell. Krümel sah auf den Löffel, dann auf mein Gesicht. Ich verzog es immer noch und würgte ein wenig.

Krümel hatte sich entschieden. „Nee!“, sagte sie entschieden und rutschte vom Stuhl.

„Probier‘ doch mal, Opa hat auch schon davon genascht“, sagte ich so salbungsvoll wie möglich.

Krümel hatte mich durchschaut, „in Ruuuhe…“, rief sie beim Rauslaufen aus der Küche. Ich konnte ihr nichts vormachen, aber was sollte ich ihr nun zu essen geben?

Ich musste mir was einfallen lassen.

EIN TAG MIT KRÜMEL

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Wenn du einen Tag mit deiner Enkelin verbringen kannst, dann tu' es, und flieh vom Schreibtisch - dafür bekommst du wahrscheinlich keine zweite Chance mehr.
Das habe ich vor ein paar Monaten geschrieben. Ich wusste noch nicht, wie dankbar ich sein sollte, dass ich mich stets vom Schreibtisch gelöst hatte, wenn ich mit Krümel zusammen sein konnte. Wie wertvoll das ist, das merke ich es jetzt, in der Zeit von Kontaktsperren und Mundschutz.

VOR EIN PAAR MONATEN
Laura rief am Mittwoch an: „Papa, ich habe einen ‚Anschlag‘ auf dich vor.“
„Was denn?“, fragte ich.
„Krümel kann noch nicht in den Kindergarten, die Ärztin sagt, sie braucht noch ein paar Tage. Und du bist der einzige, der Morgen auf sie aufpassen kann.“

Ich habe gar nicht überlegt, sondern gleich gesagt: „Geht klar! Wann soll ich da sein?“
Dabei musste ich erst sehen, dass alles klar ging. Der Schreibtisch war voll. Aber das rückte nun alles in den Hintergrund. Sollte ich etwa einen Text oder eine Geschichte meinem geliebten „Krümel“ vorziehen?

Das kam gar nicht in Frage. Ich traf pünktlich bei Laura ein. Vorher hatte ich noch an einer Kreuzung gewartet, es ging nicht vorwärts.

Also konnte ich die Kinder beobachten, die auf der gegenüberliegenden Seite vor der Schule standen und offensichtlich warteten, bis sie reingelassen wurden.

„Warum um Himmelswillen, müssen die draußen in der Kälte stehen?“, dachte ich bei mir.

Wahrscheinlich, weil ein Hausmeister hier auf Pünktlichkeit pochte. Na gut, ich wollte nicht ungerecht sein, und auch noch auf die schimpfen, die bestimmt ihre Gründe für dieses Vorgehen hatten. Ich kann es gar nicht glauben, dass dies schon so lange her ist, mit dem normalen Schulalltag.

Krümel empfing mich mit einem kleinen Lachen. Ihre Mausezähnchen leuchteten mir entgegen. Ich nahm sie auf den Arm und Laura begann mich einzuweisen.

„Hier liegen die Windeln. Das Essen stellst du in die Mikrowelle. Da liegen die Sachen, wenn du mal mit ihr spaziergengehen willst. Und mittags ziehst du ihr den Schlafanzug über.“

Würde ich das alles behalten? Und dann noch die Verantwortung dafür, dass Krümel nichts passierte. Laura war weg. Zur Arbeit. Krümel schaute mich an und ich schaute Krümel an.

„Oma?“, krähte sie mit einer dünnen Stimme.
„Oma?“, fragte sie wieder.
„Opa!“, sagte ich zu ihr.
„Oma?“, ertönte es wieder.

Ich gab es auf und setzte mich in die Spielecke. Krümel kam zu mir und schob ihr kleines Hinterteil ebenfalls auf die kleine Matratze.

Dann zog sie ein Stofftier aus dem danebenstehenden Regal. Dort waren viele niedliche Tiere – ein Bär, eine Giraffe, ein Affe.
Wen nahm Krümel? Einen kleinen Schakal mit großen hässlichen Ohren.

Er wurde von ihr gedrückt und geherzt, bekam die kleine Trinkflasche in die Nase gedrückt. Dann holte Krümel alle Autos aus dem Regal.

Nach und nach gab sie mir diese in die Hand und ich sollte die Musik anmachen. Ich fummelte an den Autos solange herum, bis ich alle Hebel gefunden hatte. Jetzt tönte aus jedem Gefährt ein anderes Lied.

„Krümel, wir machen das jetzt wieder aus, sonst sind wir hinterher beso…, äh, ich meine betrunken.“
Krümel krächzte, was wohl sowas wie ein ‚ok‘ war. Später bin ich mit Krümel ein Stück spaziergengegangen. Ich musste mich hinsetzen, um ihr die Schuhe anzuziehen.

Krümel wollte dabei mithelfen und das machte es so kompliziert. Dann kam das Mittagessen. Nudeln, etwas Tomatensauce, und das alles aus einer Flasche.

Anfangs lief es super. Krümel riss den Mund auf und ich schaufelte den Löffel hinein. Später fing sie an zu spielen, spuckte auch mal wieder ein klein wenig von dem bereits Geschluckten aus. Das kleine Oberteil war mit roten Flecken übersät.

Mittagsschlaf. Ich hatte auf den Bauch eines kleinen Schlumpfes gedrückt.
„Drück‘ dreimal, Papa, dann kommt nur die leise Musik und nicht das blaue Licht“, hatte mich Laura noch eingewiesen.

Das funktionierte. Dann stand ich noch einmal auf, um das Fenster im Wohnzimmer an zu klappen.

„Opa?“, hörte ich sie rufen.
„Ich komm‘ mein Liebling“, sagte ich, eilte zurück ins Schlafzimmer und schwang mich ebenfalls ins Bett neben ihr, streckte meine Hand zu ihr aus. Sie umklammerte den Mittelfinger der rechten Hand und ich hörte bald das gleichmäßige Schnaufen ihres Atems.

Vorsichtig versuchte ich den Finger wieder aus ihrem Händchen zu ziehen. Keine Chance. Wir schliefen zwei Stunden. Plötzlich spürte ich, wie mich zwei Augen anschauten. Ich machte ein Auge auf und zwei kleine Zähnchen aus ihrem Mund blitzten mich freundlich an.

Dann Windeln wechseln. Es lief gut. Das hätte ich gar nicht gedacht.
Wir spielten noch ein wenig. Ich baute einen Turm und Krümel setzte alles daran, ihn möglichst schnell wieder umzustoßen. Es entstand ein Wettkampf zwischen schnell aufbauen und noch schneller wieder einreißen.

Laura kam von der Arbeit. Krümel juchzte. Ihre Mama war wieder da. Über die Mama, da geht eben gar nichts. Da kannst du auf den Händen stehen und singen. Kann ich nicht. Ich meine nur mal so.

Aber Krümel und ich, wir waren an dem Tag beste Freunde. Sie kam zwischendurch immer mal wieder zu mir dicht heran und legte ihre Wange an mein Gesicht.

Sollte ich etwas dieses Gefühl für einen Tag am Schreibtisch aufgeben? Niemals.

BRIEF AN MEINE ENKELIN ÜBER EIN NEUES BUCH MIT KINDERLIEDERN

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Der Brief liegt nun auch schon wieder ein Jahr zurück.
Trotzdem erinnere ich mich gern daran, weil er zeigt, wie schnell sich Krümel entwickelt. Das Liederbuch nehmen wir gern zur Hand. Aber noch lieber singen wir ‚Oh Tanne-Baum‘. Und dann fragt Krümel: „Opa, noch maaal?!!“
Das ist der Brief:

Lieber Krümel,
während du dich wahrscheinlich noch im Bett herumdrehst und hoffentlich schöne Träume hast, habe ich heute mit etwas ganz Besonderem begonnen. Nämlich, ein neues Liederbuch für Kinder anzuschauen.

Oma brachte gestern so ein Buch mit. So etwas habe ich noch nicht gesehen. Auf dem Deckel ist ein Bär abgebildet. Er läuft, lacht und singt. Woran ich das erkenne?

Nun, daneben sind kleine Noten abgebildet. Das ist aber nur die eine Hälfte des Buchdeckels. Auf der anderen Seite gibt es einen Notenschlüssel. Und wenn du dort auf die einzelnen Bilder drückst, dann ertönt ein Lied. Im Buch selbst sind dann einzelne Liedtexte abgebildet.

Zum Beispiel: Kommt ein Vogel geflogen. Jetzt muss ich nur noch herausbekommen, welcher Text zu welcher Melodie passt. Damit bin ich heute Morgen beschäftigt.

Oma sagt: „Jetzt kannst du mal deine Lieder vergessen.“
„Welche?“, habe ich gefragt.
„Na, ‚…auf der Reeperbahn… zum Beispiel“, sagte sie.

Aber mit den neuen Liedern ist es so, wie mit den neuen Spielzeugen. Wir bekamen früher zwar nicht so viele neue Sachen zum Spielen. Cowboys mit Pistolen schon. Und wir freuten uns, wenn wir diese Cowboys hatten, und wir sie in den Kampf schicken konnten.

Doch nach einer gewissen Zeit, da holten wir die alten Wäscheklammern hervor und der Cowboy lag in der Ecke.

Was ich damit sagen will?
Also, wir werden bestimmt mit dem Buch so einiges anstellen, schöne Kinderlieder singen oder besser, ich brumme und du rufst dann wieder ‚lala‘, oder so ähnlich. So richtig kann ich es ja noch nicht verstehen, was du ausdrücken willst.

Pure Lebenslust ist es allemal. Aber schließlich wirst du wieder das alte Staubtuch hervorholen und es über das Buch decken und danach eine deiner vielen Puppen damit einrollen oder das Feuerwehrauto einwickeln.

Auf jeden Fall wird dich das Tuch erneut in seinen Bann ziehen. Das Liederbuch ist auch noch da, liegt aber zwischen der kleinen Küche, deinem Roller und den Puppen.

Und das ist der Zeitpunkt, wo ich dann zu „Auf der Reeperbahn…“ übergehen kann. Ich wünsch‘ dir einen schönen Tag. Einen wirklich schönen Tag, an dem du lachst und durch die Wohnung rennst, um etwas Neues zu entdecken oder die Videos von Mama aus dem Regal schmeißt.

KANNST DU KRÜMEL VON DER KITA ABHOLEN?

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Sonst war Krümel schon in der Wohnung, wenn ich sie betreut habe. Aber nun sollte ich sie vom Kindergarten abholen. Es war das erste Mal für mich.

„Weißt du, wie du da hinkommst, Papa?“, fragte mich Laura.
„Ja, sag mir nur wie der Name der Kita ist“, meinte ich zu ihr.
„Pusteblume.“

Und weiter: „Du gehst direkt unten bei uns am Spielplatz vorbei.“
„Warum kann ich mit dem Auto nicht dort direkt hinfahren?“
„Kannst du auch. Aber laufen tut dir doch auch mal gut, oder? Außerdem kannst du dann Krümel ein bisschen den Kinderwagen auf dem Rückweg schieben lassen.“

„Ja, ist gut. Da ist was dran.“
„Jetzt, Papa, pass gut auf, damit du nichts vergisst!“
„Sind wir hier in der Schule? Und wer ist hier eigentlich der Schüler und wer die Lehrerin?“, fragte ich Laura.
„Papa, in der Reihenfolge. Du hast die Frage gerade selbst beantwortet.“

„Gut, dann sag‘ mal an. Aber warte mal. Ich mach‘ gleich mal mein iPhone auf. Da schreibe ich alles rein.“
„Hoffentlich findest du das auch wieder.“
„Denkst du, du kannst nur digital?“
„Ich bin da auch fit.“

Schweigen. Laura antwortet nicht.
„Und wieso hast du mich denn angerufen, als du wieder mal dein Passwort nicht gefunden hast?“, fragt sie dann doch noch.

„Das war etwas völlig anderes. Lass uns anfangen“, sage ich.
„Ach so, bevor ich es vergesse“, werfe ich noch ein: Wie war noch der Name der Kita?“

„Pusteblume! Papa.“
„Warum klingst du so genervt. Man wird doch noch mal fragen dürfen.“
„Ja, aber nicht fünfmal!“
„Warum eigentlich nicht?“

„Papa. Du sagst mir immer, ich soll mich konzentrieren, alles aufschreiben. Schreiben strukturiert das Denken.“
„Das soll ich gesagt haben?“
„‘Jahaa‘ Können wir jetzt anfangen?“

„Ich bin bereit.“
„Du gehst am Spielplatz vorbei, dann die Straße runter, überquerst sie, hältst dich links.“
„Ach, das weiß ich doch“, sage ich.
„Gut, Papa, dann jetzt zu den Sachen.“
„Ja, bitte.“

Laura spricht von einem roten Schal, einer Brotbüchse, einer Wickeltasche, von Schuhen, einem Rucksack, blau-rot.
„Nicht so schnell. Ich schreibe zwar mit 10 Fingern auf der Tastatur.

Aber nicht auf dem Telefon. Da passt immer nur einer meiner Wurstfinger drauf. Meist reicht der Daumen auch noch bis zum Nachbarbuchstaben.“
Endlich hatte ich alles aufgeschrieben. Ich fühlte mich gut vorbereitet.

Nächster Tag. Der Tag der Wahrheit
Ich habe das Auto abgestellt und bin auf dem Weg zur Kita, am Spielplatz vorbei, die Straße runter.

Wie sollte ich mich dann halten? Links oder rechts?
Mir lief der Schweiß, weil ich schnell gegangen war. Es war aber kalt und es wehte ein ziemlich starker Wind.

Den Mantel hatte ich zu Hause vergessen. Ich war zu aufgeregt.
Ich schaute mich um. Eine junge Frau kam mir entgegen.

Die muss das wissen. Die ist bestimmt auch Mutter, dachte ich.
„Bitte entschuldigen Sie, können Sie mir vielleicht sagen, wo es hier zum Kindergarten geht?“
„Welchen meinen Sie?“
„Gibt’s hier mehrere?“
„Ja, natürlich.“
„Mohnblume.“
„Mohnblume?“
„Die Kita gibt‘ s hier nicht.“
„Nein?“
„Nein!“
„Vielen Dank trotzdem.“

Warum hatte ich mir das nicht aufgeschrieben?
Ich habe die richtige Kita von Krümel dann doch noch gefunden. Zuerst habe ich Krümel die Sachen angezogen, die dem Nachbarkind gehörten. Gott sei Dank, ich bemerkte es rechtzeitig.
Was tun?

Die fremden Sachen wieder ausziehen und die richtigen danach an. Zwischendrin hat Krümel ein Stück Kuchen gegessen. Krümel krümelte dabei mächtig.

Ich suchte einen Papierkorb, fand aber keinen. Also habe ich die Kuchenreste in meine Hosentasche gestopft und sie dort vergessen. Das fiel mir auf die Füße, im wörtlichen Sinne. Nämlich, als ich abends die Hose umgekehrt auf den Bügel hängte.

Zurück zur Kita. Ich musste noch den richtigen Kinderwagen finden.
Habe ich auch. Aber erst einmal habe ich mir den falschen Wagen gegriffen und bin damit losgefahren. Zu meiner Ehrenrettung: Ich hatte den neuen Kinderwagen noch nicht so oft gesehen.

Klara kam mir entgegen und danach sind wir noch einmal zur Kita zurück. Der Erzieherin am Eingang habe ich gesagt, dass wir nun den richtigen Kinderwagen gegen den falschen austauschen müssten. Ich glaube, die wissen jetzt, wer Krümels Opa ist.

Krümel und Laura sind wieder Zuhause. Klara ist arbeiten. Ich habe meine Ruhe. Ich sitz‘ am Schreibtisch, kann was schaffen. Doch ich krieg‘ Entzugserscheinungen. Chaos beim Abholen von Krümel ist besser.

URLAUB IN SASSNITZ – ACH GOTT, WAR DAS SCHÖN – BIS AUF DEN ERSTEN TAG

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Wir haben dieses Jahr wieder unseren Urlaub in Sassnitz geplant und die Hotelbuchung steht. Wir überlegen, was wir tun sollen, Zeiten von Corona.
Ich denke erst einmal an den Urlaub im vergangenen Jahr zurück, besonders den ersten Tag.

Wir waren kaum in Sassnitz angekommen, da war ich auch schon mit Krümel auf der einzigen großen Straße in der Stadt unterwegs, in der Hauptstraße eben.

Dort gibt es ein Kaufhaus und da wollte ich mit Krümel reinschauen.
Laura war dort kurz vorher hineingegangen, um noch etwas Urlaubslektüre zu bekommen.

Klara war in der Ferienwohnung geblieben.
„Wollen wir mal deiner Mutter hinterhergehen?“, fragte ich Krümel und die nickte und wollte sofort losstürmen, direkt über die Straße.

„Halt, halt, nicht so schnell, Krümel“, rief ich und bekam sie am Arm zu fassen. Ich hob sie hoch und trug sie über die Straße.

„So, jetzt kannst du ins Kaufhaus laufen und nach Mama sehen“, sagte ich zu ihr, während ich sie absetzte.

Krümel lief in Richtung des Kaufhauses, blieb plötzlich stehen, machte kehrt und sauste auf die Straße zu.
Mit schreckgeweiteten Augen erkannte ich die Gefahr.

„Bleib stehen!“, schrie ich. Doch Krümel hörte nicht.
Was sollte ich tun? Ich stürzte mich in Richtung Straße, auf die Krümel bereits gelaufen war.

Mit einem Hechtsprung erwischte ich sie noch. Ich hatte sie im Arm, aber ich konnte mich nicht halten und flog mit meinem ganzen Gewicht auf den Asphalt zu.

Krümel war in meinem Arm und in Bruchteilen von Sekunden hielt ich sie über mir hoch, streckte sie geradezu in die Luft. Aber, ich konnte nicht verhindern, dass sie ebenfalls mit stürzte. Sie fiel leicht auf den Kopf und fing an zu weinen.

Ich lag auf dem Bauch, auf der Straße und konnte mich nicht bewegen.
„Hättest du doch schon mehr an Gewicht verloren“, fluchte ich im Stillen.

Passanten kamen zu Hilfe. Sie nahmen Krümel, trösteten sie und zu meiner Beruhigung sah ich aus den Augenwinkeln, dass ihr offensichtlich nichts Schlimmes passiert war.

Aber ich konnte mich nicht bewegen. Das Bein tat weh, der gesamte Oberkörper auch und ich bekam kaum Luft.
„Wir müssen ihn an den Straßenrand rollen“, hörte ich einen jungen Mann sagen.

„Können Sie aufstehen?“, fragte er mich.
„Geben Sie mir einen kurzen Augenblick“, rang ich mir ab und schnappte nach Luft.

Mehrere Menschen halfen, mich auf den Gehsteig zu rollen.
Inzwischen waren Schaulustigen da, die mich umringten.
Auf der anderen Seite hielt ein Autofahrer an und fragte: „Soll ich den Notarzt rufen?“

„Nein, nein, mir geht es gleich wieder besser!“
„Wirklich?“
„Ja, ich schaffe es allein“, sagte ich leise und versuchte aufzustehen.
„Soll ich Sie hochziehen?“, fragte der junge Mann.
„Tun Sie sich das nicht an“, antwortete ich.
„Wir schaffen das gemeinsam“, sagte er daraufhin.

Ich nickte, reichte ihm meinen Arm und er begann mich hochzuziehen.
Sein Gesicht lief rot an, seine Muskeln spannten sich unterhalb des Hemdes.

Schließlich stand ich wieder.
„Sollen wir jemandem Bescheid sagen?“, fragte die Begleiterin des jungen Mannes. Auf ihrem Arm saß Krümel und schaute schon wieder fröhlich durch die Gegend. Mir wurde gleich leichter ums Herz.

„Ja bitte, meine Tochter ist in das Kaufhaus gegangen.“
Es dauerte nicht lange und Laura kam herausgestürzt.
„Papa, dich kann man auch nicht einen Augenblick allein lassen“, schimpfte sie.

„Alles halb so schlimm“, presste ich hervor und schleppte mich mit ihr und Krümel von dannen.
Klara war in der Ferienunterkunft geblieben.
Sie erschrak, als sie mein blutendes Knie und die Wunde am Oberarm entdeckte.

„Was ist denn nun schon wieder los?“, fragte sie und schaute mich vorwurfsvoll an.
„Wir brauchen Verbandsmaterial“, sagte sie, ohne eine Antwort von mir abzuwarten.

Wir gingen in die nächste Apotheke und bekamen alles, was wir brauchten.
Den restlichen Urlaub lief ich mit Pflaster und Binden am Arm und Knie umher.

Wieder in Berlin.
Wir holten Krümel aus dem Kindergarten ab. Sie war auf der Treppe hingefallen und hatte sich die Lippe gestoßen.

„Hast du ‚Aua‘?“, fragte ich sie.
Krümel nickte.

„Lass mal sehen“, sagte ich.
Krümel zeigte nicht auf ihre Lippe. Nein, sie zog die Hose hoch und deutete mit ihrem kleinen Finger auf ihr Knie, und zwar auf eine heile Stelle

„Aua“, sagte sie und schaute mich an.
Dann zeigte ich ihr die Stelle an meinem Arm.

„Hier auch Aua?“
Krümel nickte.
Sie hatte es nicht vergessen, was in Sassnitz mit mir passiert war.

‚NEIN, NICHT MUTTI ZU OMA SAGEN‘

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Krümel versteht nicht, dass Klara zu Anna 'Mutti' sagt. Für sie gibt es nur eine Mutti, und das ist Laura, die sich gerade im 1. Stock des Hauses aufhält, und zu der Laura mit ihrem kleinen Finger hochzeigt. Klara hingegen ist für sie ausschließlich ‚meine Oma‘.

Klara und Peter freuten sich auf den 1. Mai.
Klara hatte Peter überzeugt, dass sie Krümel am Vortag gemeinsam abholen, um mit ihr den Tag zu verbringen.

Abends dann sollte Laura nachkommen. Peter sorgte sich darum, dass es vielleicht zu leichtfertig sei, den Kontakt zu Krümel und Laura wiederaufzunehmen.

„Ich hoffe nur, dass wir keinen Fehler machen, wegen Corona“, sagte er zu Klara.

„Nun hab‘ dich nicht so, ich muss doch am Montag auch wieder zur Arbeit. Es wird schon gut gehen“, entgegnete Klara.

Sie hielt es nicht mehr aus, mit ihrer Sehnsucht nach Krümel, und so wischte sie alle Bedenken vom Tisch. Peter ging es ähnlich. Er wollte seine Enkelin ebenfalls sehen, aber sie und sich selbst nicht in Gefahr bringen.

Dann saßen sie doch alle beim Frühstück und genossen den Feiertag.

Krümel wollte mal wieder nicht so richtig essen. Da griff Peter in die Trickkiste und holte Annika heraus.

Annika war ein kleines Mädchen, so alt wie Krümel, das Peter zu einer Fantasiefigur aufgebaut hatte.

Er erzählte schon Laura früher von Annika, die besser und mehr aß, als es Laura damals tat, so jedenfalls stellte es Peter ihr gegenüber jedenfalls dar.

Und nun war Krümel bereit, mit Annika in den Wettbewerb zu treten.

„Krümel, Annika hat bereits von ihrer Marmeladenstulle abgebissen und kaut kräftig“, sagte Peter.
Krümel schaute ihn an, griff prompt zu ihrem Marmeladenbrot und steckte es schnell in den Mund. Sie lachte dabei und fragte mit vollem Mund: „Opa, ’noo…maaal‘?“

„Noch einmal, Opa“, sollte es eigentlich heißen, aber das bekam sie mit ihren zweieinhalb Jahren noch nicht so hin.

Krümel liebte die Spiele mit Annika und Peter liebte sie auch.
Annika ‚saß hinter dem Küchenradio‘, so hatte Peter es Krümel gezeigt und Krümel ging voll in ihrer Fantasie mit. Laura und Klara freuten sich, dass Krümel auf diese Weise immer wieder von ihrer Stulle abbiß.

Laura ging für einen Moment nach oben, um ein Taschentuch zu holen, als das Telefon klingelte.
Anna war dran.

„Wie geht es euch?“, fragte sie.
„Mutti, uns geht es gut, wir sitzen hier alle beim Frühstück zusammen“, antwortete Klara.

„Nicht Mutti sagen“, mischte sich plötzlich Krümel in das Telefonat ein.

„Warum nicht?“, fragte Klara und lachte.
„Mutti da“, sagte Krümel und zeigte mit ihrem kleinen Finger nach oben, in den 1. Stock, in den Laura gegangen war. Nur Laura sollte in ihren Augen Mutti genannt werden.

Sie verstand es nicht, dass Klara auch eine Mutti hatte. Klara war für sie nur Oma. Fertig.

„Das ist deine Uroma und meine Mutti“, versuchte nun Klara zu erklären.

„Nein, nicht Mutti, Anna“, sagte da Krümel. Sie hatte eben ihr eigenes Bild davon, wie jeder genannt werden sollte.

Ihr Opa saß neben ihr, ihre Oma telefonierte, Annika saß hinter ihrem Küchenradio, Uroma direkt im Telefon und ihre Mutti, ja die war da, wo Krümel mit ihrem kleinen Finger hinzeigte, oben im 1. Stock.

Die Welt war also in Ordnung für Krümel und alle freuten sich auf den Spaziergang am Werbellinsee nach dem Frühstück.

AUF DIE KLEINEN DINGE KONZENTRIEREN

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Mai 2019
Ich hatte Schwierigkeiten im Umgang mit einem Kassenautomaten eines Parkhauses. Nicht, weil ich es nicht begriff, was zu tun war, sondern weil ich mich nicht konzentrierte – auf das, was vor mir war.

Uhlandstraße, in der Tiefgarage. Ich stand vor dem Kassenautomaten und musste nur noch das Parkticket einlösen, bevor ich mich ins Auto setzen und in mein Dorf düsen konnte.

Es war ein stressiger Tag gewesen und interessant zugleich. Ich hatte an einem Seminar für kreatives Schreiben teilgenommen und lustige, intelligente Leute kennengelernt.

Neben mir saß ein Arzt aus Wismar. Nett, 65, klug und humorvoll. Wir verstanden uns sofort. Trotzdem war ich abends froh, dass ich das alles hinter mir lassen und nach Hause fahren konnte. Dort warteten auf mich meine Frau, meine Tochter und Krümel, meine Enkelin.

Krümel war mit ihrer Mutter spontan bei uns aufgetaucht, ausgerechnet an dem Tag, an dem ich am Seminar teilnehmen wollte. Und deshalb freute ich mich nun umso mehr, dass ich zu ihnen zurückkonnte. Vorher musste ich noch über den Ku‘ Damm in Richtung Uhlandstraße.

Die Straßen waren am Samstagabend voller Menschen. Die Autos rauschten an mir vorbei. Ich eilte in einem günstigen Moment über die Straße und musste noch einmal auf dem Mittelstreifen halt machen, weil ein weißer Mercedes mit dröhnender Musik an mir vorbeifuhr.

Der Fahrer des Autos schaute mich provozierend an. So, als würde ich gleich etwas zu ihm sagen wollen.
Wollte ich aber nicht. Früher hätte ich das vielleicht getan. Aber inzwischen habe ich eingesehen, dass es ziemlich nutzlos ist, sich über Dinge zu ärgern, die ich nicht ändern konnte.

Als ich in die Uhlandstraße einbog und auf die Tiefgarage zustrebte, war es schon wesentlich ruhiger geworden. Der Lärm vom Ku’Damm drang nur noch gedämpft herüber.

Endlich. Ich war am Kassenautomaten und schob mein Parkticket in den dafür vorgesehenen Schlitz. Ich hatte das Ticket schon eine Weile zwischen die Zähne geklemmt und so war er inzwischen von meiner Spucke durchgeweicht. 25,50 Euro zeigte das Display an.

„Das ist ja Wucher“, fluchte ich laut.
„Ja, das ‚isch‘ teuer“, erwiderte hinter mir eine Stimme.
Es war eine der beiden Frauen, die direkt hinter mir standen. Ansteckungsgefahr durch Corona gab es ja noch nicht.
Ich hatte die Frauen gar nicht bemerkt.

„Sind Sie Schwäbinnen?“, sprach ich sie möglichst politisch korrekt an.
Statt einer Antwort kicherten die beiden Frauen los. Ich war irritiert und fragte sie, ob ich etwas Falsches gesagt hätte.

„Wir sind aus Baden und nicht aus Württemberg“, sagten sie mit vorwurfsvollem Blick zu mir.
„Ach schade, ich dachte, sie würden vielleicht Lörrach oder Freiburg kennen“, sagte ich.

„Ja, freilich kennen wir das, aber Baden ist trotzdem nicht Württemberg.“

„Das mag sein. Und kennen Sie denn den Unterschied zwischen Mecklenburg und Vorpommern?“, fragte ich zurück.
„Wozu?“ Die Damen schauten mich ein wenig von oben herab an und kicherten weiter.

„Ja, wozu auch“, antwortete ich drehe mich abrupt wieder zum Kassenautomaten um. Ich wartete darauf, dass meine Geldkarte wieder zum Vorschein kam.

„Bitte Ihre Geldkarte eingeben!“, stand stattdessen auf dem Display.
„Geht es nicht weiter“, fragte mich jetzt eine der beiden Frauen.
„Nein geht es nicht. Sie hätten den Unterschied zwischen Mecklenburg und Vorpommern kennen müssen.

Das war hier eine Testfrage“, meinte ich im Scherz.
Die beiden Frauen schauten mich an, als ob ich nicht ganz dicht sei. Doch ich hatte ohnehin andere Sorgen.
Ich drückte den Telefonknopf. Am anderen Ende ertönte eine Stimme, die mich nach meinem Anliegen fragte.

„Es kommt jemand vorbei“, sagte der Mitarbeiter am Telefon, nachdem ich meine Frage vorgetragen hatte.
„Ja, aber woher wissen Sie denn, wo ich gerade bin?“, fragte ich zurück.

„Ich beobachte sie“, antwortete der daraufhin.
„Ja, klasse, das ist ja wie früher“, erwiderte ich.
Die beiden Damen wünschten mir Glück und eilten die Treppe zum nächsten Kassenautomaten hinunter.

Glück, das war es nicht, was ich nun brauchte. Eher Geduld. Nach einer guten halben Stunde kam der Mitarbeiter.
„Die meisten stecken ihre Geldkarte dort hinein, wo normalerweise die Geldscheine hineinkommen“, sagte er gleich.

„Nein. Das habe ich schon alles richtig gemacht. Dement bin ich ja noch nicht“, antwortete ich bestimmt. Der Mitarbeiter reagierte nicht, schloss die Tür auf und ich sah sofort meine Geldkarte.

So freute ich mich selten, wenn ich meine MasterCard sah. Denn zur Freude gab es meistens keinen wirklichen Anlass. Dafür sorgte schon der Kontostand.

„Ich könnte Sie umarmen“, sagte ich zu dem Mitarbeiter.
„Wahrscheinlich habe ich durch mein Gespräch mit den beiden Damen, die gerade gegangen sind, aus Versehen die Geldkarte doch falsch eingesteckt.“

Der Mitarbeiter schmunzelte nur.
„Wenn Sie mögen, können Sie bei ‚Google-Maps‘ eine Wertung abgeben, denn darüber würde ich mich freuen“, sagte er zu mir. „Oh, das tue ich gern“, sagte ich und verabschiedete mich.

Vorher hatte ich noch den Mitarbeiter mit meiner Geldkarte das Ticket bezahlen lassen. Sicher war sicher.

Ich stürzte zu meinem Auto. Aber auf dem Platz stand mein kleiner Jeep nicht. Verdammt, ich musste noch einen Stock tiefer. Endlich, ich sah mein Auto, stieg ein und verließ rasch das Parkdeck. Zuhause angekommen, parkte ich das Auto unter meinem Carport und stieg aus.

In der Tür stand Krümel, mit meiner Mütze auf dem Kopf, einer kleinen Gurke in der Hand, die sie von meinem Abendbrotsteller genommen hatte und quietschte vergnügt, als sie mich sah.

Ich hob sie hoch, und sie strampelte freudig mit den Beinen. „Hast du ein Glas Wein da?“, fragte ich meine Frau und fiel erschöpft in einen der Sessel.

Am nächsten Tag schrieb ich die Einschätzung und vergab die Höchstpunktzahl für den Service. Doch ich glaube, ich habe den Eintrag beim Kempinski-Hotel vorgenommen. In genau der Tiefgarage war ich aber nicht.

Ich sollte den kleinen Dingen des Alltags wieder mehr Aufmerksamkeit schenken, sonst würden daraus große Dinge werden. Meist mit weniger erfreulichen Nebeneffekten.

KLARA KANN KEINE KNAPPEN ANWEISUNGEN GEBEN

MAL SCHNELL ERZÄHLT
Klara muss sich in der Klinik zur Gymnastik anmelden, traut sich nicht, mir das klar zu sagen und danach erinnert sie mich den ganz Tag daran, dass ich den Termin nicht vergessen soll. 
Naja, sie meint es gut. 
Außerdem bin ich nicht mehr allein, so wie noch bis kurzem, als Klara in der Reha war und ich Schwierigkeiten hatte, die Waschmaschine anzustellen.

„Denk‘ dran, wir müssen heute in die Parkklinik. Ich muss mich zur Gymnastik anmelden und das geht nur donnerstags.“

Das sagte Klara mir donnerstagfrüh, bevor sie kurz nach fünf Uhr dem Bahnsteig zustrebte. Warum sollte ich daran denken, wenn Klara mir sagte, dass sie donnerstags in die Klinik müsse, um sich anzumelden?

Sie hatte mit der Information am Montag begonnen, und nun hatten wir Donnerstag. Ich hörte es also jetzt zum vierten Mal. Selbst wenn ich dement wäre, würde ich das wohl behalten. Ich nickte nur zustimmend.

„Holst du mich denn 15.00 Uhr hier ab?“, fragte Klara noch. Das war eine geschlossene Frage. Ich konnte also mit ‚ja‘ antworten.

Aber es wäre noch spannender, wenn ich die anderen Antwortmöglichkeiten ebenfalls ausschöpfen würde: ‚nein‘, ‚ich weiß noch nicht‘, vielleicht, ‚ich überleg‘ es mir noch am Vormittag und ruf dich zurück‘.

Aber mit Klara konnte man das nicht machen. Sie war entschieden dagegen, auf den Arm genommen zu werden. Sie kam auch nicht auf die Idee mir zu einfach zu sagen, dass ich 15.00 Uhr pünktlich am Bahnhof sein sollte.

Das wäre eine klare Ansage für mich. Und der Ticker würde bei mir ab 14.40 Uhr laufen – Computer aus, Schreibtischhose ausziehen, Jeans anziehen, Portemonnaie, Handy, Autoschlüssel, Schuhe anziehen, Tür zuzuziehen, einsteigen, losfahren und sich fragen, ob man die Tür auch wirklich zugezogen und abgeschlossen hat. Aber all das ersparte ich mir.

Gegen 14.30 Uhr kam noch einmal ein Anruf von Klara:
„Ich bin 15.12 Uhr da. Holst du mich dann ab?“

„Ich ziehe gerade die Jeans an“, sagte ich.
„Ist das nicht ein bisschen früh?“, fragte Klara jetzt besorgt.
Ich könnte ja noch eine Salsa im Wohnzimmer tanzen. Der Computer war ja schon aus. Doch ich kannte keine Salsa.

Also stieg ich ins Auto. Wenn ich Zeit hätte, würde ich mir zum Vertreib noch einmal das Video ansehen, auf dem zu sehen ist, wie Krümel mit mir telefoniert und wie sie auf meine Fragen mit einem Augenaufschlag reagiert.

Klaras Zug kommt auf dem Bahnsteig an.

„Hast du lange warten müssen?“, fragt Klara mich beim Einsteigen.
„Ja, ich habe aber zum Zeitvertreib noch ein paar Turnübungen auf dem Dach gemacht, zum Aufwärmen sozusagen für deinen Gymnastikkurs.“

Klara schwieg. Sie konnte diese Art von Humor nicht ausstehen.

Wir fuhren in die Klinik und hielten auf dem Parkplatz davor. Klara war schon vorgegangen, weil sie bis 16.00 Uhr bei der Anmeldung gewesen sein musste. Ich ging gemächlich den Weg zur Eingangshalle hoch. Es roch nach frisch gemähtem Gras.

Es war doch schön, dass Klara wieder Zuhause war.