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HEIMAT IST DORT, WO DEINE WOHNUNG IST

ALLTÄGLICHES

Freitagmittag, kurz vor ein Uhr.
Ich sitze auf einer Bank in der Vorhalle des Bahnhofes in Bernau und warte auf Klara. Sie kommt heute aus Sassnitz zurück und war bei ihrer Mutter.

Es ist zugig in der Vorhalle und wenn die Eingangstüren aufgehen, weil ein Reisender rausgeht oder hereinkommt, dann weht ein eisiger Wind herein. Kaum zu glauben, dass es noch vor ein paar Tagen sommerlich warm war.

Ich habe sogar den Rasen noch einmal gemäht, weil das Gras schon wieder so hochstand.
Ist das die Auswirkung des Klimawandels?
Wenn ja, dann werde ich wohl zum 1. Advent noch einmal mähen müssen.

Es nieselt draußen, das Pflaster auf dem Bahnhofsvorplatz schimmert feucht.
Es ist typisches Londoner Wetter, gut um seinen Depressionen freien Lauf zu lassen, oder um gleich von der Brücke zu springen. Gott bewahre, ich habe das nicht vor, aber wenn doch, ja dann würde ich mir diesen Tag aussuchen.

Aber ich will mich am Schopf packen und überlegen, was an dem Tag trotzdem schön ist.

Über die kleinen Ereignisse im Alltag freuen, so wie im Roman von Dora Heldt:
„Mathilda oder Irgendwer stirbt immer“

Schön ist, dass ich hier im Trockenen sitze und die Menschen beobachten kann, die an mir vorbeihasten. Sie kommen die Treppen herunter und sind sicher aus der eingefahrenen S-Bahn ausgestiegen.

Die Zeit ist ran, dass ich mich nach oben auf den Bahnsteig begeben muss. Der Zug von Klara wird gleich einlaufen, wenn er pünktlich ist.
Ich schnaufe die Treppen hinauf und oben angekommen schaue ich nach einem freien Platz auf einer Bank.

Sie sind alle besetzt. Ein junger Mann hat sich in die Mitte gesetzt, so dass links und rechts von ihm kein Platz mehr frei ist.
Ich müsste fragen: „Entschuldigen Sie, ist hier noch frei?“
Dazu kann ich mich aber nicht überwinden.

Ich gehe auf die andere Seite des Bahnsteiges und sehe, dass dort alle Bänke ebenfalls besetzt sind.
Auf der einen Bank direkt vor mir hocken zwei kleine Jungen, die aufgeregt durcheinanderschnattern.

Die junge Mutter hat zwischen sie eine Tupperdose gestellt, in der geschälte Äpfel zu sehen sind.
„Mama, wann sind wir bei Opa?“, fragt einer der Jungen aufgeregt.
Ich muss innerlich schmunzeln, es erinnert mich doch sehr an Krümel.

Ich gehe also weiter auf und ab, ohne mich weiter um einen Sitzplatz zu kümmern.
Ich wollte eigentlich im Sitzen weiterschreiben, aber das geht auch im Stehen.

Auf dem Bahnhof habe ich stets das Gefühl, mitten im Leben zu sein.
Es ist wirklich interessant, die Leute zu beobachten.
An mir vorbei geht ein Soldat in Uniform. Ich muss sofort an den Ukrainekrieg denken.

Direkt vor mir stehen zwei Frauen mittleren Alters, die sich angeregt unterhalten. Sie wollen offensichtlich nach Berlin reinfahren, um etwas zu unternehmen.

Der Bahnhofslautsprecher ertönt und kündigt den Zug aus Stralsund an.
Es ist irgendwie immer wieder aufregend, wenn der Zug einläuft.
Ich bleibe meist hinten am Bahnsteig stehen, sodass ich dann die einzelnen Waggons in Fahrtrichtung ablaufen kann.

Der Zug donnert heran, die Bremsen quietschen und wieder ertönt aus dem Lautsprecher eine Stimme, die den Reisenden sagt, wo sie umsteigen können.

Die Menschen quellen aus den einzelnen Waggons heraus und ich sehe Klara, wie sie sich einen Weg bahnt. Sie erkennt mich und winkt.

Ich freue mich, dass sie wieder da ist.
„Du glaubst nicht, wie froh ich bin, dass ich wieder zu Hause bin“, sagt sie.

„Und ich erst“, antworte ich.
„Aber Sassnitz ist doch deine Heimat, bist du nicht traurig, dass du wieder abfahren musstest?“, frage ich sie.

„Ja, schon, aber Heimat ist dort, wo deine Wohnung ist. Und die ist nun mal hier.“
Ich nicke und wir steuern auf Treppen am Ende des Bahnsteiges zu.

MEIN FREUND, DER ALLTAG

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REDEN UND SCHREIBEN SIND EIN HANDWERK – DU MUSST STÄNDIG DARAN ARBEITEN

MEIN FREUND, DER ALLTAG

Trauerreden haben eine Besonderheit: Du hältst sie in emotionalen Ausnahmesituationen. Du musst also dein Handwerk besonders gut verstehen.

Es ist nicht leicht, vor Trauergästen zu reden, die gerade einen für sie wichtigen Menschen verloren haben.

Du musst ‚cool‘ bleiben, weil du dich sonst von den Emotionen mitreißen lässt und du schließlich kein Wort mehr herausbekommst.

Du hilfst damit aber nicht dir und schon gar nicht den Zuhörern, die von dir erwarten, dass du etwas Wertschätzendes sagst, was zu den Herzen derjenigen Menschen geht, die vor dir sitzen.

Das funktioniert nur, wenn du alles in die Vorbereitung für die Rede legst, du die Sätze vordenkst und sie so aufschreibst, dass ihre Wirkung mitbedacht wird. Kurzum, du musst dein Handwerk verstehen – das des Redens und das des Schreibens, damit eine wirkungsvolle Rede entstehen kann.

Eine Rede, die in den Köpfen bleibt, weil sie die Herzen der Menschen erreicht hat. Ich habe schon so manchen Redner erlebt, der meinte, wenn er etwas Blumiges, etwas Salbungsvolles aus fertiggeschriebenen Texten herausnimmt, dann träfe es die Menschen ganz besonders ins Herz.

Meine Erfahrung besagt da etwas anderes – wenn du nämlich Phrasen aneinanderreihst, Sätze, die faktisch hohl, nichtssagend sind, und mögen sie auch noch so wohlfeil formuliert sein, dann erreichst du das ganze Gegenteil.

Die Leute werden es dir nicht ins Gesicht sagen, aber es spricht sich schon rum, wenn du nur an der Oberfläche im Leben eines Menschen gekratzt hast.

BRONNIE WARE „LEBEN OHNE REUE – 52  Impulse, die uns daran erinnern, was wirklich wichtig ist.“

Es ist also wichtig, ins Detail einzusteigen, was den Lauf des Lebens eines Verstorbenen anbetrifft. Du musst dich für alles interessieren, was ihn ausgemacht hat, was er mochte und wo seine Schwächen waren. Sind es liebenswerte Schwächen, dann sprich‘ sie an, weil vor allem so jemand wieder lebendig vor den Augen der anderen wird, für einen winzigen Moment jedenfalls.

Und was kann es Schöneres geben, wenn irgendwann die Familie am Frühstückstisch sitzt und jemand fragt: „Weißt du noch, wie gern Opa samstags stets was zu tun hatte, weil er ungern den Staubsauger in die Hand nahm?“

‚Schwarz in Schwarz’ denken, für alle Ewigkeit, das hilft niemandem. Dafür lohnt es sich, unermüdlich an den eigenen Fähigkeiten zu feilen – an denen des Schreibens und des Redens.

Den Menschen so in er Erinnerung zu behalten, wie er war, im wahren Sinne des Wortes mit einem lachenden und weinenden Auge an ihn zu denken, das hilft allen, und: Es bewahrt den Verstorbenen im Herzen und in der Erinnerung der Hinterbliebenen.

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

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KALENDERWOCHE 44 – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

ALLTÄGLICHES

TRAUERREDE VON PETER-MICHAEL DIESTEL FÜR SEINEN FREUND WOLFGANG KOHLHAASE

TRAUERREDNER – MEIN LANGER WEG (3)

MEIN GESPRÄCH MIT EINER PFLEGEDIENSTINHABERIN VOR ÜBER 5 JAHREN UND TROTZDEM NOCH AKTUELL

MEIN FREUND, DER ALLTAG

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DAS WAREN DIE BEITRÄGE IM OKTOBER 2022

ALLTÄGLICHES

TRAUERREDNER – MEIN LANGER WEG (1)

REDEN SCHREIBEN UND HALTEN – MEINE PERSÖNLICHEN ERFAHRUNGEN IM STENOGRAMMSTIL

DEM TAG ETWAS POSITIVES ABGEWINNEN – UND WENN DIE FREUDE NOCH SO WINZIG IST

TRAUERREDNER – MEIN LANGER WEG (2)

ZWEI TAGE MIT KRÜMEL – ZWEI GLÜCKSTAGE

ICH BIN KEIN RELIGIÖSER MENSCH, ABER ICH LIEBE DIE BIBEL

DEN ALLTAG SO LEBEN – DAMIT MAN ES AM ENDE NICHT BEREUT

ERKENNTNISSE FÜR DAS LEBEN – GEWONNEN AUS MEINER ARBEIT ALS TRAUERREDNER (1)

NIETZSCHE AUF EINEM SPAZIERWEG ENTDECKEN

KRÜMEL LAG QUER IN UNSEREM BETT – KLARA GING INS KINDERZIMMER UND ICH FLÜCHTETE AN DEN SCHREIBTISCH

TRAUERREDNER – MEIN LANGER WEG (3)

MEIN FREUND, DER ALLTAG

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HUBERT KIRCHNER: ER WAR EIN WUNDERBARER MENSCH

Es gibt Menschen, die bleiben dir einfach im Gedächtnis und sie schleichen sich sogar in dein Herz, ohne dass du es gleich merkst.

So erging es mir, als ich die Trauerrede für die Familie Kirchner schrieb und sie später auch vor der Familie und den anwesenden Trauergästen gehalten habe.

Es ist das erste Mal, dass ich eine Trauerrede auf dem Blog veröffentliche.

Aber es ist mir wichtig, dass Hubert einen kleinen Ehrenplatz erhält, damit interessierte Leser erfahren, was für ein großartiger Mensch Hubert war – bescheiden in seiner Art, lebenslustig und sehr kreativ als Künstler und Maler.

Hier nun mit freundlicher Genehmigung seiner Frau, Inge Kirchner, ein Auszug aus der Rede vom 22.07.2022.

 

Liebe Inge, liebe Birgit, liebe Evelyn, liebe Karin, lieber Thilo, liebe Familienangehörige, liebe Trauergäste,

wir verabschieden uns heute von Hubert Kirchner, geboren am 06. März 1930 und gestorben am 07. Juni 2022, einen Tag vor der ‚Eisernen Hochzeit‘ mit seiner Frau Inge.

Hubert war ein kreativer Künstler, ein Mensch, der mit ganzer Leidenschaft seinen Beruf geliebt hat, und der seiner Kunst, seinen Bildern mit Haut und Haaren verfallen war.

Hubert Kirchner wurde in Sachsendorf, später Sachsenbrunn, Kreis Hildburghausen, als Sohn des Schlossers Oskar Kirchner und der Hausfrau Loni Kirchner geboren.

Am 01. April 1936 begann seine Schulzeit in Sachsendorf. Zuerst Volksschule, dann Mittelschule, unterbrochen durch die Kriegswirren, war es für Hubert ein nicht ganz leichter Start.

Allein die Ausweisdokumente aus dieser Zeit belegen das: Ein Dokument, ausgestellt am 23.05.1945, besagt, dass Hubert den Ort Sachsendorf nicht verlassen durfte.

Das war eine
Anweisung der Military Government of Germany und gleichzeitig die ‚Temporary Registration‘, mit Fingerabdruck.

Und am 15.02.1946 die gleiche Bestätigung seiner Person, nur jetzt unter der Bezeichnung: ‚UDOSTOWERENIE‘, dafür ohne Fingerabdruck.

Hubert verdiente sich sein Schulgeld, sein Geld für Bücher und ja, auch für den Lebensunterhalt der Familie durch Malen und Schriftschreiben.

In seinem Lebenslauf steht: „Auf diese Weise kam ich zum ersten Mal praktisch mit dem grafischen Gebiet in Berührung, das für mein weiteres Leben bestimmend sein sollte.

Nach der Schulzeit begann Hubert im Oktober 1947 seine grafische Ausbildung an der damaligen Meisterschule für bildende Kunst in Sonneberg, Thüringen – genauer gesagt, an der staatlichen Industrieschule für Spielzeug und Keramik.

Der damalige Direktor antwortete auf Huberts Bewerbung wie folgt: „Sehr geehrter Herr Kirchner, wir teilen Ihnen auf Ihre Anfrage in Ermangelung eines Prospektes mit, dass an unserer Schule

Gelegenheit zu einer gründlichen Ausbildung im Zeichnen, Malen, Modellieren, Drechseln, Drehen und einschließlich der angrenzenden Fachgebiete mit den entsprechenden Ergänzungsfächern gegeben wird.“

Das Studium dauerte drei Jahre und im Jahr 1950 wurde Hubert als Schrift- und Plakatmaler in einem Werbeatelier in Sonneberg eingestellt.

Er brachte für seinen Berufsbeginn gute Voraussetzungen mit.
Hubert hatte ein Abschlusszeugnis, das durchweg gute und sehr guten Bewertungen aufwies.

Bemerkenswert sind die Noten „Sehr gut“ in ‚Ordnung‘, ‚Fleiß‘ und ‚Pünktlichkeit‘.

Wenn wir also Goethes Maßstab anlegen, der das Genie so beschrieb, dass dieser zu einem nur geringen Teil aus Inspiration und zum überwiegenden Teil aus Transpiration besteht, dann wissen wir, wie wichtig diese Eigenschaften für eine wahrhafte kreative Entfaltung sind.

Dass Hubert talentiert war, belegte unter anderem das Diplom über den Berufswettbewerb 1950, in dem er den 2. Platz belegte.
Hubert wurde 1951 Grafiker in der Konsum-Werbung und danach Gebrauchsgrafiker in der HO-Werbung Hildburghausen.

1953 ging Hubert zur Unterstützung seiner Kollegen in Vorbereitung auf die Weltfestspiele nach Berlin.

1954 bewarb er sich erfolgreich im Industrieladen des VEB Apoldaer Lederwarenfabrik und betreute als verantwortlicher Grafiker nicht nur den Industrieladen der Lederwarenfabrik, sondern auch den der Schuhfabrik Berlin und des VEB Carl Zeiss Jena.

Hubert kümmerte sich um die Aufgaben eines Dekorateurs, speziell in der Schrift und Plakatdekoration, der Grafik und Fotografie.

Er wusste, wie man Firmenzeichen für Briefköpfe entwarf, Ölgemälde anfertigte, zum Beispiel mit Motiven von Kollegen an ihrem Arbeitsplatz, Testwagen für den 1. Mai kreierte oder Kataloge konzipierte.

Er ist vielfach für sein gestalterisches Können, sein künstlerisches und handwerkliches Vermögen ausgezeichnet worden.

1969 erhielt er die Ehrennadel der Nationalen Front in Gold.
Doch der Weg bis dahin war hart und übersät mit Steinen, die es ihm schwer machten, seine Visionen zu verfolgen.

Aber Hubert tat das, was Goethe einst so formulierte: „Man kann auch etwas Schönes aus Steinen bauen, die einem in den Weg gelegt werden.“

Und so hat er sich 1963 selbstständig gemacht und von da an als Freiberufler gearbeitet.

Hubert war deshalb auch Mitglied im Verband Bildender Künstler.
„Das war anfangs eine schwere Zeit. Wir hatten manchmal bloß fünf Mark am Tag.

Mein Mann musste sich erst einmal einen Kundenstamm aufbauen“, sagt Inge.

Später hat er für das Interhotel gearbeitet, war jedes Jahr auf der Messe und hat die Medizintechnik in Leipzig gestaltet und die komplette Darstellung des Unternehmens organisiert, konzipiert und gestaltet.

„Unser Vater hat auch U-Bahnflächen bemalt, direkt auf der Leinwand“, erzählen seine Kinder.

HUBERT UND INGE

„Wir haben uns 1955 auf der Arbeit kennengelernt. Ich war Lehrling im Bereich der Ausbildung zur Fachverkäuferin für Kosmetik im Kaufhaus Karlshorst. Das war ein HO-Industriewaren-Laden“, erinnert sich Inge.

Hubert fand es so schön, wie Inge mit der Teetasse durch das Kaufhaus gelaufen ist.

„Dich mit deiner Teetasse, dich sehe ich immer noch“, hat er oft noch Jahre später erzählt.

Hubert wohnte im Studentenheim in Pankow und war in dieser Zeit ebenfalls dort angestellt, wo Inge arbeitete.

„Wir hatten eine Frauentags-Veranstaltung und die Männer mussten uns bedienen, wie das damals so üblich war“, schwärmt Inge, als sie davon erzählt.

Und weiter: „Ich hatte ein Auge auf ihn geworfen, denn er war ja ein hübscher Kerl. Und dann habe ich zu meiner Freundin gesagt: ‚Wenn der mich jetzt nicht zum Tanzen auffordert, dann gehe ich nach Hause.“

Inge musste nicht nach Hause gehen. Denn als ob er das gehört hätte, kam er und forderte sie zum Tanzen auf, und brachte sie später nach Hause. Sie haben sich dann öfter gesehen.

„Es hat sich langsam entwickelt, mein Vater und Hubert mussten sich erst einmal aneinander gewöhnen. Mein Vater mochte Hubert anfangs nicht so sehr, aber deshalb habe ich ihn gerade zum Essen eingeladen“, so Inge.

Hubert und Inge haben schließlich am 08.06.1957 geheiratet, und eine Woche davor, am 01. Juni 1957, kam Birgit zur Welt.

Inge ist in den Jahren von 1957 bis 1972 zu Hause geblieben und hat die Kinder – Birgit, Evelyn, Thilo und Karin betreut.

„Nachdem die Kinder aus dem Gröbsten raus waren, da hatte ich das Bedürfnis, wieder arbeiten zu gehen“, sagt sie.

Sie war als Erziehungshilfe in einem Kindergarten tätig, als Verkäuferin im Hotel Stadt Berlin oder im HO-Delikat. Zum Schluss hat sie vor der Wende im Havanna-Laden Unter den Linden gearbeitet.

Inge ist selbst heute noch aktiv, mit 83 Jahren.
In der Nachbarschaft heißt sie nur ‚Frau Otto‘, erzählen ihre Kinder Birgit und Evelyn.

Inge hatte nach der Wende als erste im damaligen Ost-Berlin gemeinsam mit Evelyn einen Otto-Shop. Später hat Inge als Premium-Partnerin allein weitergemacht, als es sich nicht mehr lohnte, einen Laden zu betreiben.

Inge ist in ihrem Friedrichshainer Kiez eine Institution. Sie ist bekannt. Schon, weil ihre Eltern eine Bäckerei um die Ecke hatten, von 1957 bis 1973.
Und sie ist beliebt bei ihren Otto-Kunden, die ihr bis heute die Treue halten, selbst junge Leute.

Und wenn sie das Bedürfnis nach Gesellschaft hat, geht sie in die Kiez-Kneipe von Union.

Auf Inges Tisch liegt ein Zettel, den ihr Hubert nachts geschrieben hatte, wenige Tage bevor er starb: „Liebste Inge, es ist kurz vor halb elf Uhr abends. Ich gratuliere zu unserem Hochzeitstag. Morgen will ich mich nach Blumen umsehen. Ich war bisher so eingespannt und nervös. Gute Nacht, in Liebe, dein Männe.“

Auch wenn Hubert das Datum des Hochzeitstages verwechselte, seine Liebe zu Inge war unverwechselbar und sie war echt.

HUBERTS KINDER

Huberts Kinder sind so verschieden, wie Menschen als Persönlichkeiten eben verschieden sein können. Aber sie eint vieles, wenn es um Eigenschaften, berufliche Neigungen, kreative Ansätze geht.

Birgit ist seit 1984 freiberufliche Grafikerin. Thilo arbeitet als freiberuflicher Tontechniker fürs Fernsehen, Karin ist Physiotherapeutin und Sängerin.

Evelyn ist gelernte Herren-Maßschneiderin und arbeitet heute als Verkäuferin bei Gery Weber.

Evelyn sagt: „Wir alle sahen, wie sehr unser Vater mit seiner Arbeit befasst war, und er deshalb nicht oft Zeit für uns erübrigte. Wir lernten aber auch, wie wichtig die von ihm vorgelebte Disziplin und die Ordnung war, wenn man im Leben etwas erreichen wollte.“

Alle Kinder erkannten durch das Vorbild von Hubert, dass man sich in ein Thema reinhängen musste, in das, was man tat.

Und wenn es darauf ankam, dann setzte er sich auch hin und erklärte, was er gut fand und was nicht so.
„Wenn wir abends eine Kissenschlacht gemacht haben, dann wussten wir schon, wann wir ‚überzogen‘ hatten“, erzählt Evelyn.

Birgit erinnert sich: „Als ich fünfzehn war und meinen ersten Freund hatte, zu spät nach Hause kam und außerdem noch geraucht hatte, da sagte mein Vater mir, was er davon hielt, unmissverständlich zwar, aber dennoch in ruhigem Ton.“

Die Familie ging wertschätzend und liebevoll miteinander um, denn das war es, worauf Inge und Hubert gemeinsam achteten.

Dafür mussten im Gegenzug seine Schwiegersöhne mit Hubert Dame spielen. Selbst Urenkel Etienne kam daran nicht vorbei, sich von seinem Urgroßvater das Vergnügen dieses Spiels erklären zu lassen.

Udo, Huberts Neffe und dessen Frau Karin, sie genießen diese ganz besondere Familienatmosphäre, besonders nach dem Tod von Udos eigenem Vaters.
„Wir haben ihn dann einfach assimiliert“, sagt Birgit.

HUBERTS ENKEL

Hubert arbeitete viel und manchmal hätte sich die Familie gewünscht, dass er mehr Zeit für sie erübrigt hätte.

Aber Hubert wird in den Kindern, Enkeln und Urenkeln weiterleben, durch sie immer wieder aufs Neue in den Gedanken und Herzen auftauchen.

Da sind die Kinder von Karin, Lorina, die in Kiel studiert. Till, der eine Tischlerlehre absolviert.

Die Kinder von Thilo – Lars, der bei der Deutschen Bahn als Manager arbeitet, Aike, der freischaffende Fotograf ist.
Birgits Kinder, Huberts Enkel, denken an ihren Opa.

Jakob, der Philosoph, mit dem sich Hubert noch unbedingt in den letzten Tagen austauschen wollte, trauert um Hubert.

Nora, die Polizeikommissarin und ihr Sohn Etienne, sie liebten Hubert. Etienne hat manchmal durch die Tür zum Arbeitszimmer geschaut, um zu sehen, was sein Uropa gerade so macht.

Matthias, Birgits erster Mann, und Hubert schätzten sich sehr.
Peter, Birgits heutiger Mann, hatte ein gutes Verhältnis zu Hubert. Sie mochten sich.

Evelyns Tochter Linda, Fachwirtin für Immobilienmanagement, und ihre drei Kinder – Selin, Emin, Mikael – sie liebten ihren Opa.
Lennart, Evelyns Mann, mochte und verehrte Hubert.

Die besten Freunde von Hubert und Inge sind Helmut und Doris. Die Freundschaft hat gehalten, bis zum Schluss und Inge wird sie weiter pflegen.

HUBERTS FAMILIE

Die Familie hat zusammengehalten, und sie hat auch viel gefeiert.
2019, bei der Familienfeier im Garten in Schönow, hatte Birgit die Idee, italienische Masken herauszuholen. Wie viel Spaß alle daran hatten, davon zeugen die Fotos noch heute.

Zur Diamantenen Hochzeit, auf dem Gestüt in Sarnow mussten Hubert und Inge noch einmal symbolisch heiraten.

Und da Peter und Birgit gerade aus Rom von einer Urlaubsreise zurückgekehrt waren, sagten sie, dass sie weder Kosten noch Mühen gescheut hatten, um aus dem Vatikan anzureisen.
Dackel Dannae und die zwei Katzen Luzi und Muzi sorgten für munteres Leben in der Familie.

Den Dackel bekam Karin geschenkt, weil sie gut in der Schule war, auch wenn sie eigentlich lieber ein Pferd haben wollte.

Hubert ging nachmittags mit dem Hund Gassi, nachdem dieser ihn regelmäßig anstieß, um ihn von der Arbeit wegzuholen.
Die Katzen verstanden sich gut mit dem Dackel, vorausgesetzt, sie rührten sein Fressen nicht an.

DER MENSCH HUBERT

Hubert war ein lustiger, ein lebensfroher Mensch. Er konnte wunderbar Witze erzählen, hat ganze Abende damit ausgefüllt.

An einem heißen Sommertag hielt in der Straße ein Auto, ein Mann stieg aus und fragte, wo man in der Nähe baden gehen könnte. Er war aus Holland angereist.

Schließlich saßen alle um den Kaffeetisch, der Holländer mittendrin, aßen Inges gebackenen Kirschkuchen und Hubert erzählte Witze.

„Der Holländer kam jedes Jahr wieder und fragte, ob Hubert ein paar neue Witze kennen würde“, sagt Inge.

Hubert entdeckte in den 80-iger Jahren eine Marktlücke – Bilder restaurieren und neu einrahmen. Er rahmte die Bilder mit Holz aus alten Möbeln, das auf dem Müll gelandet wäre.

„Wir sind mit den fertigen Bildern auf Flohmärkte gefahren. Die Leute haben uns die Sachen aus der Hand gerissen“, erinnert sich Inge.
Hubert hat nicht nur verkauft, er hat auch reichlich gekauft.
Was Hubert in seinem Leben beflügelt hat, das waren seine Gedanken an die Kunst, an seine Bilder. Das war sein Lebenselixier.

Allein wäre Hubert nie auf die Idee gekommen, auf Reisen mit dem Kreuzfahrtschiff zu gehen. Dafür sorgte seine Familie.

„Man musste ihn zu seinem Glück zwingen“, sagt Evelyn.
Birgit hat zwei Fotobücher erstellt, sehr schöne Alben, von den gemeinsamen Urlaubsreisen.
Selbst darauf sieht man, wie er am Urlaubsort gearbeitet hat.

ABSCHIED VON HUBERT

Liebe Inge, liebe Birgit, liebe Evelyn, liebe Karin, lieber Thilo, liebe Trauergäste,
wenn wir nun Lebewohl zu Hubert sagen, dann tun wir es in dem Bewusstsein, dass er ein glückliches Leben geführt hat, dank Ihnen allen und dank seiner eigenen Anstrengungen, die ihn auf seinem Weg vorangebracht haben.

Liebe Inge, Sie hatten mit Hubert ein wunderschönes Leben, ein erfülltes Leben, voller Sehnsüchte, Liebe, ja auch Kameradschaft, über das es sich zu sprechen, zu erinnern auch künftig lohnt.

Einfach einen Menschen im Gedächtnis behalten, in der Erinnerung, der so wichtig in Ihrem Leben und dass seiner Freunde und Angehörigen war, das macht nun Ihren Reichtum aus.

Hubert Kirchner, wir werden dich nicht vergessen und wollen mit dir noch einmal den Titel von den Abbas spielen, den du so mochtest:

‚I have a dream‘.

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

https://uwemuellererzaehlt.de/ueber-menschen-erzaehlen/menschen-im-alltag-2022/

 

 

 

MEIN GESPRÄCH MIT EINER PFLEGEDIENSTINHABERIN VOR ÜBER 5 JAHREN UND TROTZDEM NOCH AKTUELL

 

Ute Grüner ist die Geschäftsführerin der Sozialstation Grüner GmbH.
Vor über 5 Jahren, am 17. Februar 2017 habe ich mit ihr über ihren beruflichen Werdegang ein Interview geführt.
Es ist immer noch aktuell für Leserinnen und Leser, die sich für die Pflege und Betreuung von hilfsbedürftigen Menschen interessieren.
Zum Interview: 
https://uwemuellererzaehlt.de/2017/02/17/interview-mit-ute-gruener/

WERBUNG FÜR EIN LESENSWERTES BUCH:

‚Das Buch über das Älterwerden‘ (Für Leute, die nicht darüber sprechen wollen)
Autorin: Dr. Lucy Pollok
„Es gibt für alles eine Lösung, man muss nur darüber reden“, sagt die Geriatrikerin Dr. Lucy Pollok in ihrer Einführung.
Interessant für Menschen, die selbst auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind, oder aber für einen Angehörigen sorgen müssen.

Sprechen hilft, lesen auch – deshalb lohnt es, in dieses Buch zu schauen:

Dr. Lucy Pollock"Das Buch über das Älterwerden"

MENSCHEN IN DER PFLEGE

TRAUERREDE VON PETER-MICHAEL DIESTEL FÜR SEINEN FREUND WOLFGANG KOHLHAASE

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

 Der letzte Innenminister der DDR, Peter-Michael Diestel hat diese Rede, veröffentlicht in der Berliner Zeitung, auf der Trauerfeier für den verstorbenen Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase gehalten.

Sie hat mich vor allem deshalb so berührt, weil sie einen bereits zu Lebzeiten Großen in kleinen, sehr sympathischen, nahbaren Situationen geschildert hat.
Was für ein reiches Leben, was für authentische Freunde!
Es gab Zeiten, da war ich der Meinung, dass ich nur noch „DIE ZEIT“ lesen müsse.
Was bin ich froh, dass ich zur Berliner Zeitung zurückgehrt bin und so diesen großartigen Text lesen durfte.

 

Hier der Link der Berliner Zeitung: 
https://epaper.berliner-zeitung.de/article/c3dcf27c55d394afbc7f823a806ff0065350d8ffd1d7740e393b25eacd2746b4
Mehr über das Leben von Wolfgang Kohlhaase:
"Um die Ecke in die Welt: Über Filme und Freunde" 

MEIN FREUND, DER ALLTAG

Warum mir Menschen in der Zusammenarbeit wichtig sind, die ‚ticken‘ wie ich. 
Jörg Düring - authentisch, empathisch
https://uwemuellererzaehlt.de/2021/06/03/firmenportraet-duering-2021-06-03/

TRAUERREDNER – MEIN LANGER WEG (3)

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

WAS BISHER WAR:
Ich begegnete Walter, einem früheren Arbeitskollegen. Mir fiel es schwer, ihm zu offenbaren, dass ich inzwischen als Trauerredner tätig war.
Ich musste an meinen Vater zurückdenken, der sich als emeritierter Professor nicht scheute, ebenfalls als Trauerredner zu arbeiten, allerdings lange bevor ich damit anfing.
„Für meine Titel kann ich mir nichts kaufen“, sagte er mal. Er stapelte ein wenig tief, denn er bekam ja eine ordentliche Rente, aber er wollte sich eben noch geistig betätigen, unter Leuten sein.
Und dann kam die Bitte, für Klaras Tante die Rede zu halten.

Die Kapelle füllte sich allmählich mit den Trauergästen und ich war aufgeregt.

Am Abend zuvor hatte mir Klaras Cousine noch dabei geholfen, sozusagen eine Generalprobe abzuhalten.

Ich hatte mich beim Schreiben des Textes an das gehalten, was ich als eine Binsenwahrheit beim Verfassen von Erzählungen kannte:

Schreib‘ über das, was du von der Person her kennst, über ihr eigenes Leben, über ihre Freunde, ihr Zuhause, ihre Nachbarn – das war der Rohstoff, den ich beliebig formen und bearbeiten konnte.

Es ging mir also weniger darum, irgendwelche philosophischen oder dichterischen Allgemeinplätze zu formulieren, sondern konkret und im Detail über das Leben der Verstorbenen zu berichten.

Mir war es wichtig, dass Klaras Tante für einen Moment in den Augen der Trauergäste wieder zum Leben zu erwecken, sie so zu würdigen, dass sie sich eingrub in die Herzen und ins Gedächtnis der Hinterbliebenen; all derjenigen, die zu der Trauerfeier gekommen waren.

Nach der Rede kam meine Schwiegermutter auf mich zu und fragte mich, ob ich auch für sie die Trauerrede halten könne, wenn es mal soweit wäre.

„Das kann ich tun“, hatte ich zu ihr gesagt.
„Aber mir wäre wichtiger, du würdest noch sehr lange leben und wir könnten uns gemeinsam über die Erlebnisse im Alltag freuen.“

Die wichtigste Erkenntnis, die ich an dem Tag gewann, die hatte damit etwas zu tun, dass ich mein eigenes Leben häufiger vom Ende her denken wollte.

Über genau diese Erkenntnisse für mein Leben, für das Leben generell, die ich durch meine Arbeit als Trauerredner gewonnen hatte, und die ich noch heute gewinne – darüber will ich künftig  öfter schreiben.

MEIN FREUND, DER ALLTAG

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KRÜMEL LAG QUER IN UNSEREM BETT – KLARA GING INS KINDERZIMMER UND ICH FLÜCHTETE AN DEN SCHREIBTISCH

ALLTÄGLICHES

#PUR UND PROMPT – WAS VOM TAG SO HÄNGENBLEIBT

Ich bin gegen 04.00 Uhr aufgestanden. Krümel ist zu Besuch da und sie kam kurz nach Mitternacht in unser Bett gekrochen.

Es ist schön, den Atem der Kleinen zu hören. Aber irgendwann hatte Krümel uns an den Rand gedrückt – Klara lag an der Seite ihres Bettes, und ich spürte ebenfalls ein kleines Bein in meinem Rücken.

Krümel lag quer im Bett und verhinderte, dass wir uns wieder in die Mitte bewegen konnten. Nachdem ich mich hin- und her gewälzt hatte, entschloss ich mich aufzustehen.

Ich machte mir einen Tee und setzte mich an den Schreibtisch. Vorher warf ich noch einen Blick in Krümels Zimmer. Da lag Klara. Ich sah sie nicht gleich. Vorsichtig machte ich die Tür zu, damit ich sie nicht weckte.

Aber Klara sagte ohnehin, dass ich nicht leise sein konnte.
Also war die Situation jetzt so: Klara lag im Kinderzimmer in Krümels Bett.

Ich war aufgestanden und Krümel hatte nun die beiden Betten im Schlafzimmer für sich allein.

Ich würde wohl gegen sieben Uhr noch einmal bei ihr reinschauen, und wenn sie wach wäre, könnte ich ja das Buch von ‚Baggerhuhn Annette Kuhn‘ vorlesen.

Doch nun machte ich mich daran, die Rede für heute am Mittag zu überarbeiten.

Es war erstaunlich, wie viele kleinere Fehler, Wortwiederholungen noch im Text standen, die ich unbedingt ausmerzen wollte.

Die Kundin hatte mich gestern noch angerufen und mich gebeten, weitere Namen in die Rede mit aufzunehmen. Natürlich sage ich so etwas sofort am Telefon zu.

Was ich nicht sagte ist, dass nach den Einfügungen die darauf folgenden Sätze ins Rollen kommen und ich meist eine Reihe weiterer Veränderungen vornehmen muss, damit es inhaltlich und stilistisch wieder stimmt.

Doch das gehörte nun mal zum Tagesgeschäft und ich wollte deshalb nicht am Telefon rumjammern, wie schwer das alles sei.
Klara ist stets die erste Zuhörerin für meine Rede.

Sie hatte sich inzwischen darauf eingestellt, Unebenheiten herauszuhören und stoppte mich sofort im Redefluss, wenn sich für sie etwas nicht glatt anhörte.

Sie war zu so etwas wie meiner Qualitätsmanagerin geworden, denn sie war unglaublich ehrlich zu mir.
Es war kurz vor sieben Uhr.

Ich entschloss mich, noch einmal ins Bett zu gehen, denn ich wollte bei Krümel sein, falls sie nun aufwachte.

Krümels Lieblingsbuch, morgens bei uns im Bett und abends vor dem Einschlafen in ihrem Zimmer – ‚Baggerhuhn Annette Kuhn‘:

Krümel lag noch immer in der gleichen Position – der Länge nach oben quer über die zwei Betten. Ich drückte mich also auf die Seite und versuchte noch einmal die Augen zuzumachen.

Aber plötzlich regte sich etwas neben mir.
„Opa, Oma?“, fragte Krümel mit ihrer leisen und feinen Stimme.
„Oma ist bei dir im Bett und ich bin hier“.
„Dann bleib‘ ich bei dir“, sagte Krümel, legte den Kopf wieder runter und so hatten wir noch eine Weile die Augen zu.

Klara kam aus dem Kinderzimmer auch wieder in ihr Bett zurück und so versuchten wir noch für einen Moment die Augen zu schließen, während Krümel bereits aufrecht im Bett stehend Pokémon spielte.

 

MEIN FREUND, DER ALLTAG

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NIETZSCHE AUF EINEM SPAZIERWEG ENTDECKEN

ALLTÄGLICHES

Es war am Samstagnachmittag, als Laura mich anrief und sagte, dass sie einen Spaziergang gemacht hat, über 5 km lang.

Ich habe gestaunt, dass sie es so lange durchgehalten hat.
Natürlich war sie ohne Krümel losgelaufen, die war in dieser Zeit bei ihrem Papa.

Laura hat wunderschöne Fotos geschossen, auf denen der Herbst in seiner ganzen Farbenpracht zu sehen war- knallrote Hagebuttenblüten, bunte Blätter, die an den Sträuchern oder an den Bäumen hingen, einfach auf dem Weg lagen.

Die Fotos strahlen eine Ruhe aus und du versinkst in deinen Gedanken.

Auf einem Bild ist ein Stein zu sehen, aufgenommen kurz vor dem Tierheim in Falkenberg.

Genauer gesagt sind es sogar zwei Steine, die längs geschnitten worden sind.

Auf beiden steht ein Spruch von Friedrich Nietzsche.

Auf einem der Steine ist zu lesen:

‚AUCH DAS GERINGSTE SCHAFFEN STEHT HÖHRER ALS DAS REDEN ÜBER GESCHAFFENES.‘

 

Man kann ja zu Nietzsche stehen, wie man will und einige seiner Zitate sind vielleicht auch nicht mehr zeitgemäss, aber dieser Spruch löst in mir aus, dass ich über mich selbst nachdenke.

Sind wir nicht oft genug geneigt, lieber über das zu schwadronieren, was wir schon alles bewerkstelligt haben?

Es macht ja auch viel mehr Spaß, über das zu reden, was man bereits an vermeintlich Großem geschaffen hat, als darüber, was man noch so tun könnte.

Mir fällt dann stets der Volksmund ein, der da besagt: ‚Wie schnell ist Nacht und nichts geschafft.‘
Auf dem zweiten Stein ist folgende Inschrift eingemeißelt:

‚SCHÖNHEIT IST DESHALB AUSSER ALLER RANGORDNUNG, WEIL IN DER SCHÖNHEIT GEGENSÄTZE GEBÄNDIGT SIND‘

Ich finde, darüber kann man lange nachdenken. Das werde ich mal tun und nicht gleich etwas schreiben.

Auf jeden Fall: Es lohnt sich, seine eigene Heimat, seinen Wohnort auf neue Entdeckungen zu durchstreifen.

 

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ERKENNTNISSE FÜR DAS LEBEN – GEWONNEN AUS MEINER ARBEIT ALS TRAUERREDNER

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

DU MUSST DAS GLÜCKLICHSEIN WOLLEN UND JEDEN TAG IM KLEINEN ETWAS DAFÜR TUN

Ich habe inzwischen unzählige Gespräche als Trauerredner mit Hinterbliebenen geführt, die mir persönlich immer wieder die Augen öffneten für das, was wichtig im Leben ist, damit du es am Ende nicht bereust.

Wenn ich danach frage, was den verstorbenen Menschen ausgemacht hat, was ihm vielleicht am Schluss seines Lebens noch einmal deutlich vor Augen geführt wurde, so erstaunt es mich selbst stets aufs Neue, dass es nie die großen Dinge waren, die das Glück eines Menschen ausmachen oder eben ausgemacht haben.

Für den einen ist es der Schäferhund, der sein großer Freund war, mit dem er auf dem Hundesportplatz umhergetollt ist und sich mit anderen Vereinsmitgliedern ausgetauscht hat.

Ein anderer hat abends auf einer Bank gesessen, die außerhalb seines Grundstückes stand und zu der die Nachbarn kamen, um sich beim Bier über den Tag auszutauschen.

Vor allem von den Hinterbliebenen habe ich gehört, dass sie gerade in der emotionalen Ausnahmesituation realisierten, dass es nicht die materiellen Dinge sind, auf die es im Leben ankommt.

Sie alle wollen das Glück festhalten, dass sie mit dem Verstorbenen geteilt haben.
Für mich wird klar, dass man das Glücklichsein nicht abrufen kann, es nicht vom Himmel fällt, nein, man muss es selbst wollen, und du musst etwas dafür tun.

Die aktuelle Zeit ist schwer zu denken, ohne sich den Krieg vor Augen zu führen, ohne daran zu denken, was der Winter an finanziellen, körperlichen und seelischen Belastungen bereithalten wird.

Und trotzdem: Du musst es schaffen, diese Sorgen auch mal auszublenden, für einen Moment jedenfalls.

Ich überliste mich manchmal selbst und lächele auf der Straße einen Menschen an, der mir begegnet. Nicht aufdringlich, nein, einfach nur freundlich. Und in dem Moment, wo er selbst zurücklächelt, da hellt sich mein Gesicht weiter auf und es steigt ein Glücksgefühl in mir hoch.

Ist das lächerlich wenig? Für den, der nicht die eigene Kraft zum Glücklichsein aufbringt, vielleicht. Für alle anderen aber ein Weg, den Tag für sich selbst schöner zu machen.

Ein kleiner Baustein also, am Ende des Lebens ein wenig zufriedener zurückzublicken.

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DEN ALLTAG SO LEBEN – DAMIT MAN ES AM ENDE NICHT BEREUT

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

Ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich einem Luxus-Auto sehnsüchtig hinterherschaue, oder im Fernsehen eine Sendung sehe, in der über tolle Villen in den schönsten Gegenden der Welt berichtet wird, und ich nur seufzen kann.

Für einen Moment fühle ich mich dann benachteiligt, denke, warum ich das in meinem Leben nicht geschafft habe?
Kurzum ich fühle mich für den Bruchteil einer Sekunde arm.

Doch dann erinnere ich mich wieder daran, wie viel Möglichkeiten es gibt, den Tag für sich voll auszukosten.

Ich habe Klara heute Morgen zum Bahnhof gebracht, weil sie zum Einkauf in die Stadt wollte.

Auf der Fahrt dorthin schien die Sonne so stark ins Auto hinein, dass ich den Sichtschutz herunterklappen musste. Als ich wieder gut sehen konnte, erkannte ich, wie herrlich sich das Dach der Dorfkirche im Sonnenschein spiegelte.

Das Laub auf der Straße erstrahlte in den buntesten Farben, und ich fühlte plötzlich, dass ich einen schönen Tag vor mir hatte. Ich musste nicht an einer Rede arbeiten und konnte ein wenig die Seele baumeln lassen.

Ich fuhr zurück, nachdem ich Klara am Bahnhof abgesetzt hatte und begab nach oben ins Büro.

Nach zwei Stunden Arbeit am Schreibtisch bin ich in die Schorfheide gefahren, habe an einer stillen und schönen Stelle gehalten, die Nordic Walking Stöcke umgeschnallt und bin eine halbe Stunde gelaufen.

Im Wald war es still, ich hörte meine Schritte und wie sich die Spitzen der Stöcke in den Boden bohrten.

Die Baumwipfel bewegten sich und das Rauschen des Windes gab mir das Gefühl, als sei ich gerade an der Ostsee, an meinem Lieblingsort.

Nachmittags hatte ich die geplanten Aufgaben am Schreibtisch abgearbeitet und konnte noch das tun, was ich schon längst wollte, nämlich den Rasen mähen.

Der Rasen sah danach aus, als hätte ich ihn für die Champions League vorbereitet.

Die Katze der Nachbarin kam um die Ecke und schaute mich an, so als wollte sie sagen: „Dicker, was machst du hier auf der Terrasse? Hast du nichts zu tun?“

Abends bekam ich eine Anfrage von Laura: „Könnte ihr nächste Woche Krümel nehmen? Passt es euch? In der Kita sind nicht genügend Erzieherinnen da.“

Eigentlich wollte ich nächste Woche wieder eine Rede vorbereiten. Aber deshalb Krümel absagen? Nein, auf keinen Fall!
Was gibt es Schöneres, als mit ihr gemeinsam zu frühstücken?

Und sie fragt mich dann ganz sicher wieder:
„Opa, kannst du mir von der Scheune erzählen?“

Eine Scheune, die es nur in unserer Phantasie gibt und in der Tiere wohnen, auch noch Opa, Oma, Mama und die Freunde aus der Kita.

Wie das gehen soll, ist mir selbst nicht so richtig klar. Aber Krümel findet das schön.

Ja, es ist wirklich schön, vor allem wenn sich die Vorfreude auf Krümels Besuch so langsam hochschaukelt.

Also arm bin ich wohl doch nicht, benachteiligt auch nicht, ich muss nur meinen eigenen Reichtum sehen wollen, der in der Mehrheit eben nicht aus den materiellen Dingen besteht.

Aber ich glaube, darauf kommt es an, nämlich die kleinen Dinge des Alltags schön zu finden, damit man es am Ende des Lebens nicht bereut.

 

 

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AUDIO- ICH BIN KEIN RELIGIÖSER MENSCH, ABER ICH LIEBE DIE BIBEL

BIBEL

 

TEXT:

https://uwemuellererzaehlt.de/2022/10/19/alltaegliches-2022-10-19/

 

MEIN FREUND, DER ALLTAG

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ICH BIN KEIN RELIGIÖSER MENSCH, ABER ICH LIEBE DIE BIBEL

BIBEL

AUDIO:

https://uwemuellererzaehlt.de/2022/10/19/audio-alltaegliches-2022-10-19/

Ich bin im strengen Sinne des Glaubens kein religiöser Mensch, also in Form von: ‚Ich glaube an Gott‘.
Aber: Es macht mir Spaß, sehr viel Spaß sogar, in der Bibel umherzustöbern, Weisheiten zu erfahren, die ich sehr gut für das eigene Leben, den persönlichen Alltag als Wegweiser und Motivationsschub gebrauchen kann.

Klar, ich kann Gott nicht so wirklich greifen, mir nicht vorstellen, dass er irgendwo oben im unendlichen Universum sitzt und auf uns herunterschaut.
Allerdings kann ich mir schon vorstellen, dass die Impulse von Gott, aufgeschrieben in der Bibel, mein Denken und mein Handeln beeinflussen.
Insofern ist das ‚Buch der Bücher‘ für mich auch zu einem alltäglichen Begleiter, einem Wegweiser geworden.
Ich habe aus der Bibel viel über positive Energien erfahren, über lebensbejahende Strategien für meinen Alltag.

Vielleicht ist ja folgender Kompromiss ein Weg für mich, nämlich dass ich durch die Bibel eins bin mit meinem Handeln und so auch mit dem, was den Glauben an Gott anbetrifft.

Stuttgarter Erklärungsbibel - Die Investion hat sich gelohnt, für mich jedenfalls:

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ZWEI TAGE MIT KRÜMEL – ZWEI GLÜCKSTAGE

 So, wie Kinder sich zu einer Geburtstagstorte freuen können, so kannst du es nie mehr in deinem Leben.

‚Ich bin Krümel und wohne…‘, stellt sich Krümel in der Tankstelle dem Verkäufer vor, während die anderen mit mürrischem Gesicht darauf warten, dass sie bezahlen und wieder losfahren können. 

‚Gibt es Haie im See?‘, fragt Krümel den Angler ganz selbstverständlich und schuld daran bin ich, der ihr das in einer Fantasiegeschichte erzählt hat. 

‚Tschüss Petri Heil‘ sagt Krümel zu dem Angler, dem ich auf diese Weise einen guten Fang wünschen wollte. 

Endlich. Der Tag war heran, wo wir Krümel wieder einmal in die Arme schließen konnten, um mit ihr im kleinen Rahmen ihren fünften Geburtstag nachzufeiern.

Es schien, als sei es erst gestern gewesen: Wir saßen beim Frühstück in der Küche und bekamen den Anruf, dass Laura ein Mädchen geboren hatte.

Mir liefen die Tränen das Gesicht herunter, obwohl ich es nicht wollte.

„Ich bin erkältet“, sagte ich zu Klara.
Jetzt waren bereits fünf Jahre vergangen und es ist, als ob die Kleine schon immer auf der Welt war.

Freitag. Ich stapfte die Treppen in der Kita hoch, um Krümel abzuholen. Sie ist gerade im Waschraum und stürmte auf mich, sprang mir in die Arme und ich war glücklich.

„Das ist mein Opa“, sagte sie stolz zu den anderen Kindern, die mich neugierig anschauten.

Wir fuhren nach Hause und Krümel fragte, wann wir endlich da wären und sie die Geschenke auspacken konnte.

„Jetzt noch einmal links um die Ecke und dann um den Kreisel, danach haben wir es geschafft“, sagte ich zu ihr, ohne den Blick von der Straße zu lassen.

„Es gibt gar keinen Kreisel, Opa“, antwortete sie.
Mit Kreisel war der Kreisverkehr gemeint, ein kleiner Kreis, in dessen Mitte ein Baum stand und drumherum Wiese war, auf der im Sommer sich die Bienen aufhalten sollten.

Ich fuhr einfach ganz um den Kreisverkehr herum.
„So, jetzt bist du im Kreis gefahren“, sagte ich zu Krümel.
„Krümel ist schlecht“, sagte nun vorwurfsvoll Laura, die hinten mit im Auto saß.

Sie hatte Angst um Krümel, weil ihr so leicht übel bei zu schnellem Fahren um die Kurven wurde.
Wir kamen zu Hause an, Krümel stürmte Oma entgegen und die Welt war wieder in Ordnung.

Sie konnte nicht schnell genug die Sachen ausziehen, schmiss die Stiefel in die Ecke und durfte nun endlich in die Wohnstube, wo der Kuchen stand, mit den brennenden Kerzen drauf und wieder mal viel zu vielen Geschenken.

Ich hatte das Handy herausgeholt, um das Ganze per Video aufzunehmen. Ich filmte und als mir der Arm wehtat, nahm ich das iPhone herunter, um festzustellen, dass ich vor Aufregung gar nicht auf die Taste gedrückt hatte.

Krümel pustete die Kerzen aus und war glücklich.
„Oma, wann essen wir die Torte?“, fragte sie Klara.
„Nachmittags zum Kaffee, nach dem Spaziergang“, antwortete Klara.

Wir fuhren nach dem Essen los und ich hielt kurz an der Tankstelle,
„Opa darf ich mitkommen?“, fragte mich Krümel.
„Aber nur, wenn du meine Hand anfasst und an meiner Seite bleibst“, sagte ich zu ihr.

Krümel nickte kurz und hatte schon die hintere Tür vom Auto auf.
Beim Bezahlen stand sie neben mir und sagte zu dem Verkäufer: „Ich bin Krümel und wohne in der ‚Rüü..ickkenstrasse‘, sagte sie ungefragt zu ihm.

„Ich habe die Hälfte davon verstanden und dafür kannst du dir hinten einen Lutscher herausnehmen“, sagte er lachend.
‚Kinder erobern die Herzen der Menschen, selbst in dieser schweren Zeit‘, dachte ich bei mir.

Wir machten einen schönen Spaziergang am Rahmer See entlang. Die Sonne schien, das Laub raschelte unter den Füssen und wir fühlten uns in eine andere Welt versetzt, eine, in der es nicht die ganzen Alltagsprobleme gab.

Auf dem Rückweg hielt es Krümel nicht mehr aus, sie wollte endlich die Torte anschneiden.
Klara saß mit ihr hinten im Auto.

„Oma, hörst du nicht wie der Kuchen ruft? ‚Wo ist meine kleine süße Maus, die mich aufisst?‘, spielte sie mit verstellter Stimme das nach, was angeblich die Torte ausrief.

Wenige Augenblicke später durfte sie die Wunderkerze ansehen, die auf der Torte brannte und dann endlich ein Stück vom Kuchen abschneiden.

Du kannst dich als Erwachsener nie wieder so freuen, wenn du Geburtstag hast.
Im Gegenteil, du bist vielleicht noch traurig, weil du wieder ein Jahr älter geworden bist.

Am nächsten Tag waren wir wieder an einem See, diesmal am Strehle-See in Prenden.

Am Ufer saß ein Angler und wir sprachen ihn an.
„Was gibt es hier für Fische?“, fragte Klara ihn.
„Aale, Hechte und viel mehr“, antwortete der.
„Auch Haie?“, fragte Krümel.
„Nein, Haie nicht“, sagte der Angler leicht verdutzt.

Krümel war enttäuscht. Ich hatte ihr so oft abends vor dem Schlafengehen oder morgens beim Frühstück erzählt, dass wir gemeinsam Angeln gehen und aus dem See einen Hai fangen.

„Na, dann Petri Heil“, sagte ich zu ihm.
„Petri Dank“, antwortete der Angler.
„Tschüss Petri Heil“, rief Krümel und lief auf den Weg zurück.

Montagmorgen. Wir sind früher als gewöhnlich aufgestanden und zum Discounter gefahren. Es gab Winterstiefel für Krümel.

Ich würde niemals für mich selbst morgens schon beim Supermarkt stehen, um nach Stiefeln zu schauen. Für Krümel aber schon.

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TRAUERREDNER – MEIN LANGER WEG (2)

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

WAS BISHER WAR:
Ich stand am Supermarkt am Auto und wartete auf Klara. Sie kam mit Bekannten auf mich zu. Es entwickelte sich ein Gespräch, in dessen Verlauf mir klar wurde, dass es nicht so einfach war, einem anderen Menschen zu erklären, warum Trauerredner ein toller Beruf ist. Nicht nur, weil der Trauerredner so einiges tun kann, um die Hinterbliebenen zu trösten. Nein, weil du dein Handwerk verstehen musst, das Schreiben und Reden wirklich beherrschen musst.
Ich dachte an den Anfang zurück. Vor vielen Jahren hatte ich zugesagt, eine Rede zu halten, die mich vor große Zweifel und Herausforderungen stellte.

Wir fuhren aus dem Urlaub zurück nach Brandenburg. Klara und ich schwiegen, hingen jeder seinen Gedanken nach.
„Wie sollte ich das bloß schaffen?“, fragte ich mich gedankenversunken.

Klar, ich hatte unzählige Vorlesungen und Vorträge ausgearbeitet, vor Studenten und interessierten Zuhörern zu verschiedenen Themen gesprochen.

Ich war über viele Jahre als Coach im Gesundheitsbereich unterwegs gewesen, wusste also, wie kompliziert es mitunter war, die Menschen, die dort arbeiteten, durch Worte zu motivieren, mitzureißen.

Und trotzdem: All das half mir in der konkreten Situation wenig.
Zuhause angekommen rief ich meinen Vater an.
„Kannst du mir helfen, diese Rede zu erarbeiten?“
Es blieb ruhig am anderen Ende des Telefons.

„Kannst du oder kannst du mir nicht helfen?“, fragte ich entnervt nach.

„Ich kann dir ein paar Passagen aus meiner Rede vorlesen. Aber das nützt dir wenig. Du musst den Menschen skizzieren, über den du sprechen willst“, sagte er nach einer Pause.

Wir einigten uns darauf, dass mein Vater mir einige Textstellen vorlas, die sich für einige philosophische Gedankengänge über das Leben eigneten. Aber im Kern war ich damit immer noch nicht weiter.

Ich rief noch einmal den Onkel von Klara an.
„Kannst du sagen, was deine Frau am liebsten in ihrer Freizeit getan hat, wie war sie charakterlich, was mochte sie, und was nicht?“
„Das sind zu viele Fragen auf einmal“, antwortete er.

Nach einem einstündigen Telefonat hatte ich zwei Seiten bekritzelt und ich wurde allmählich innerlich ruhiger.
Wenn ich heute daran zurückdenke, dann sind es oft die Anfänge, die es einem so schwer machen, etwas Neues anzuschieben.

Du hast das Gefühl, dass du einen Güterwaggon anschieben willst, dich mit aller Kraft dagegenstemmst, aber er sich nicht einen Millimeter bewegt.

Und plötzlich ruckt er ein wenig, nachdem du dich mit äußerster Kraft, unter Anspannung all deiner Kräfte dagegen drückst.
Wenn er dann rollt, ja dann ist es keine große Sache mehr. Heute, ja da weiß ich, wie man eine Rede aufsetzt, eine Rede, die auf einer Trauerfeier gehalten wird.

Aus jetziger Sicht klingt das alles vielleicht naiv. Ich wusste ja, wie ich die Sätze schreiben sollte. Schreiben und Reden, das war schon immer mein Metier. Doch wie schreibst und redest du so, dass es die Hinterbliebenen auch tröstet, du die Verstorbene würdigst, ohne nur in allgemeine Floskeln zu verfallen?

Am nächsten Tag rief ich wieder meinen Vater an.
„Wie soll ich anfangen?“, fragte ich ihn.

„Schreib über den konkreten Meschen so, als würdest du eine Laudatio halten, schreib über den Lauf seines Lebens, erinnere dich daran, was ihn besonders gemacht hat.“

Ich war nicht viel weiter, aber ich kniete mich in die Rede hinein.
Ich schrieb einige Tage daran. Ich veränderte den Text, strich Zeilen, fügte andere Inhalte hinzu.

Mit der Zeit fielen mir selbst auch wieder Details aus dem Leben von Klaras Tante ein, die ich in die Rede miteinbrachte und sie so viel lebendiger, ja interessanter erschien.

An dem Tag, an dem es so weit war, da war ich aufgeregt, dachte, ich würde keinen Satz herausbringen. Aber ich musste es irgendwie schaffen.

 

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DEM TAG ETWAS POSITIVES ABGEWINNEN – UND WENN DIE FREUDE NOCH SO WINZIG IST

Waldspaziergang

SPAZIERGANG IM WALD

Das Laub raschelt beim Gehen unter den Füssen.
Ein trockener Ast fällt vom Baum.
Es ist still, fast unheimlich still.
Ich komme innerlich zu mir, denke, dass es gerade an diesem Wochentag nicht schöner sein kann.

Dem Alltag mehr positive Energie abringen - darüber schreibt der Autor Max Krone in seinem Buch 'Positive Psychologie für ein glückliches Leben'

Ich schaue auf den See und entdecke zwei Schwäne, die mit ihren Hälsen unter Wasser tauchen.

Ganz von weitem höre ich Krümels kleine, dünne Stimme.
Sie ist total aufgeregt. Sie findet kleine Blätter, hebt Eicheln auf und ruft nach ‚Pokemons‘ aus ihren Lieblingsfantasiegeschichten.
Ist das Glück? Ich glaub schon.

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TRAUERREDNER – MEIN LANGER WEG (1)

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

Es war ein Freitag, ich saß am Schreibtisch, formulierte an einem Text und das Telefon klingelte. Klara war dran.

„Du kannst mich abholen, ich geh‘ zur Kasse“, sagte sie zu mir.
Klara wusste, dass ich es hasste, mit in den Supermarkt zu kommen, und so fuhr ich sie hin und ich verschwand auch wieder,, damit Klara in Ruhe durch die Regale schlendern und einkaufen konnte.

Ich war in der Zeit lieber wieder im Arbeitszimmer. In Trainingshosen, bequem eben. Sonst konnte ich nicht denken.

Und in dieser Kleidung holte ich Klara auch wieder ab. Sie hasste es, wenn ich so schlampig daherkam. Aber ich machte mir daraus nichts.

Bis auf diesen Tag, als mir von Weitem ein Ehepaar zuwinkte, das auf mich zukam und sich dabei angeregt mit Klara unterhielt.

Ich stöhnte innerlich auf, ich wollte mich nicht unterhalten, ich wollte wieder zurück an meinen Schreibtisch.

Als die drei vor mir standen, da erkannte ich sie. Es waren Bekannte, die ich lange nicht gesehen hatte.

„Und, wie geht’s dir?“, fragte Walter mich, während er aufmerksam an mir heruntersah.

Walter war sehr gut gekleidet, leger, aber man erkannte, dass er Wert darauflegte, wie er rüberkam.

‚ICH BIN JETZT TRAUERREDNER‘

Ich dagegen stand ihm in meinen schlottrigen Trainingshosen gegenüber.

An der rechten Hosentasche klebte noch etwas Zahnpasta und ich hätte vor Scham in den Erdboden versinken mögen.

„Mach‘ die Zahnpasta von deiner Hose ab“, hatte Klara mir noch an dem Morgen gesagt.
„Ja, wenn ich zurück bin“, erwiderte ich.

Ich hatte es schlichtweg vergessen und dafür lieber meine Planung für die Woche überarbeitet.
Nun war es zu spät.

„Du, ich kann nicht genug klagen“, antwortete ich halb im Scherz auf Walters Frage.

„Und selbst?“, fragte ich ihn.
„Wir kümmern uns um die Enkel, denn unser Sohn ist ja viel beschäftigt. Er ist Vorstandsmitglied geworden.“

„Oho!“, gab ich zurück und schwieg.
„Bist du noch als freier Journalist in deiner schreibenden Gilde unterwegs?“, fragte Walter mich und ich meinte einen mitfühlenden Ton herauszuhören.

„Nein, dafür habe ich keine Zeit mehr. Ich schreibe nur noch ab und zu auf meinem Blog, aber keine Business-Texte mehr über andere Unternehmen“, entgegnete ich.
„Ich bin jetzt Trauerredner“, fügte ich trocken an.

Walter riss die Augen auf, wich einen Schritt zurück und überlegte wohl, welche Fluchtwege ihm offenstanden.

Walter war Professor, hatte Physik studiert. Wir trafen uns vor Jahren das erste Mal in einer Unternehmensberatung, wo ich als Manager anfing und er bereits einen Fachbereich leitete – in der Abteilung, die ich künftig übernehmen sollte.

Er hatte das nie so richtig verwunden, dass er nicht der Manager geworden war. Aber so war es nun mal. Ich wusste davon auch zunächst nichts, denn ich war von außen in das Unternehmen geholt worden.

Jetzt aber schien Walter wirkliches Mitleid mit mir zu haben.
„Soweit bis du also unten angelangt“, schien mir seine Mimik zu sagen.

Er schaute zu seinem nagelneuen BMW hinüber, der unweit von uns stand, und dann wieder zurück auf meinen kleinen Jeep, der von hinten auch noch aussah, als wäre es ein kleiner Renault Twingo.

Also selbst das hatte das Leben in Walters Augen wohl zurechtgerückt, denn er kannte mich nur, dass ich in einem 7er BMW saß und damit gehetzt durch die Gegend bretterte.

Was sollte ich Walter sagen: Dass ich nun viel glücklicher war, einen Beruf gefunden hatte, der hart war, aber der mir die Erfüllung im Leben gab, die ich selbst auf der höchsten Stufe meiner Karriereleiter nie gefühlt hatte?

Es würde an Walter abprallen. Ich könnte zu ihm nicht durchdringen.
Also verabschiedeten wir uns nach einem Small-Talk und stiegen wieder ins Auto.

„Du hast ja nicht einmal die Zahnpasta von deiner Hose abgemacht. Hast du nicht gesehen, wie Walters Frau immer näher an dich heranrückte und auf den Fleck starrte?“, fragte Klara mich entrüstet.

„Weißt du, ich bin ich einfach glücklich“, sagte ich, ohne auf Klaras Vorwurf einzugehen.

„Dass du so schlampig umherläufst, das macht dich glücklich? Das fällt doch auf mich zurück!“, schimpfte Klara weiter.

„Nein, dass ich eine Tätigkeit gefunden habe, der mir einfach Spaß macht“, antwortete ich.

Klara sah mich an und nickte. Sie sah es genauso und sie wusste, dass es schwer war, dieses Glücksgefühl anderen Menschen zu vermitteln.
Ja, ich war Trauerredner und liebte inzwischen meinen Beruf.

‚FÜR MEINE TITEL KANN ICH KEINE BRÖTCHEN KAUFEN‘

Es ist zwanzig Jahre her, als ich meinen Vater besuchte und ihn fragte, ob er noch arbeiten würde.

Er war Jahrzehnte ordentlicher Professor an der TU in Dresden gewesen und wohnte nun in einer Wohnung, die ohne Weiteres dem betreuten Wohnen zugerechnet werden konnte.

„Ich halte Trauerreden“, sagte damals mein Vater trocken und schnörkellos.

„Bist du wahnsinnig! Du schadest deinem Ruf“, sagte ich zu ihm.
„Für meinen Ruf und meine Titel gibt es die Brötchen trotzdem nicht umsonst beim Bäcker“, antwortete er mir.

Auf der Rückfahrt von Dresden sagte ich zu Klara: „Wenn der das macht, dann verdient der auch gut, und dann macht es ihm auch Spaß. Der fasst nichts an, wo er keinen Beifall erhält“, fügte ich noch an.
Klara schmunzelte und nickte.

DU KANNST DOCH DIE REDE FÜR KLARAS TANTE HALTEN

Die Jahre vergingen. Wir waren im Urlaub an der Ostsee.
Wir nutzten den Aufenthalt, um einen Verwandten aufzusuchen, dessen Frau gerade verstorben war. Es war Klaras Tante. Klara hatte sie besonders gern gemocht, und ich mochte sie ebenso.

„Wir redeten ein wenig und plötzlich fing Klaras Onkel an, mir zu erzählen, wie die Trauerrednerin bei ihm gewesen war und was sie alles in der Rede sagen wollte.

„Aber das sind doch Worthülsen, die zwar gut klingen, wahrscheinlich irgendwo sogar abgeschrieben wurden. Aber sie haben doch nichts mit dem zu tun, was deine Frau ausgemacht hat, was Klara an ihrer Tante so schätzte und mochte.“

Der Onkel schaute mich an, stimmte mir zu und fragte mich, ob ich nicht die Rede übernehmen wollte.
Ich wollte nicht. Wir waren im Urlaub, ich hatte keine Ahnung, wie man so etwas anging.

„Nein, auf keinen Fall“, sagte ich.
„Und außerdem hast du doch schon eine professionelle Rednerin.“
„Naja, du wärst mir lieber“, sagte er zu mir.
„Wenn einer reden kann, dann du“, schob er noch hinterher.

„Ja, das stimmt“, nickte Klara.
Ich sträubte mich, denn ich wollte mir diese Bürde nicht aufhalsen.
Jetzt redeten beide auf mich ein.

„Wenn das dein Vater kann, dann kannst du es auch“, sagte Klara überzeugt.
Sie wusste, wie ich meine Vorlesungen ausgearbeitet, und wie ich sie vor Studenten gehalten hatte. Das war aber schon wieder eine Weile her.

Das entscheidende Argument, was mich schließlich überzeugte, kam von Klaras Onkel selbst.
„Im Grunde genommen bin ich so traurig, dass Hedwig die Rede nicht halten kann, denn sie ist zurzeit sehr krank“, sagte er.

Ich kannte Hedwig und ich wusste, dass sie Pfarrerin in Berlin war. Sie konnte exzellent reden und auch schreiben. Vor allem aber wusste sie, wie man die Geschichte eines Menschen erzählt.

Hinzukam: Hedwig kannte Klaras Tante von Jugend an.
Ich verstand nun, dass ich gar nicht die erste Wahl war für die Rede.

Aber an zweiter Stelle zu stehen – auf der Wunschliste von Klaras Onkel, und nur noch diese großartige Pfarrerin vor mir zu haben, das überzeugte mich.

„Gut, ich werde das machen“, sagte ich und ich überlegte, ob ich das wirklich hinbekommen konnte. Ich war zweifelte und ich wusste vor allem nicht, wie ich es angehen sollte.

 

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„DIE WOHNUNG GEFÄLLT MIR NICHT“

ALLTÄGLICHES

Was bisher war:
Wir standen vor der Tür der Wohnung, in die wir gleich hineingehen wollten. Wir konnten nicht mit Straßenschuhen die Räume betreten, also mussten wir uns etwas über die Schuhe ziehen.
Der Verkäufer kam wieder, mit ein paar Überziehern in der einen Hand und einem Stuhl in der anderen.
„Hier können Sie sich draufsetzen, dann fällt es Ihnen leichter, sich die Überzieher über die Schuhe überzustreifen“, sagte er zu Klara.
„Setz du dich hin, du schaffst es doch kaum, dir die Schnürsenkel im Stehen zuzubinden“, sagte Klara.
Ich kochte innerlich, setzte mich hin, und ich meinte ein feines Lächeln im Gesicht des Verkäufers zu entdecken.

Endlich, ich hatte es geschafft. Ächzend und schnaubend erhob ich mich vom Stuhl, wobei ich nicht wusste, ob es eher die Anstrengung war, oder die Wut, die in mir hochkochte, weil ich dastand, wie ein alter Trottel, der nicht einmal die Schonbezüge für die Wohnung, also die Überzieher über seine Schuhe übergestülpt bekam.

Es war, als würde meine Mutter vor mir stehen, die mir vorher eine Spange in die gekämmten Haare gesteckt hatte, darauf eine rote Baskenmütze setzte, eine Mütze, die ich als zehnjähriger Junge hasste. Und zum Schluss zog meine Mutter oft noch ein Taschentusch aus der Jackentasche, befeuchtete es mit ihrer Spucke und rieb es mir über die Wange, weil dort vielleicht noch ein Marmeladenfleck vom Frühstück übriggeblieben war.

Ich war entschlossen, passiven Widerstand zu leisten, mich ausdrücklich zu der Wohnung zu freuen, und nicht Klara zu folgen, die nur die größere Wohnung, über 100 qm im Dachgeschoß im Kopf hatte.

Der Verkäufer öffnete die Tür und wir blickten in einen langen Flur. Das erinnerte mich an die Wohnung in Stralsund, in die wir vor über dreißig Jahren gezogen waren.

Der Flur war über 12 Meter lang und abends sagte Klara zu mir: „Wenn du noch etwas aus der Küche haben willst, dann sag es gleich. Noch mal werde ich dort nicht hingehen.“

Aber das war lange her und wir hatten dort auch nicht sehr lange gewohnt, denn danach wanderte ich nach Essen und Bochum aus, um Arbeit zu finden und wir landeten schließlich in unserem Dorf in Brandenburg, aus dem wir nun nach über 25 Jahren rauswollten.

„Oh, der Flur sieht ja toll aus“, sagte ich voller Entzücken. Es war gespielt und Klara merkte mir meine Übertreibung an und stimmte nicht mit in den Lobesgesang ein. Sie schwieg eisern.
Wir kamen am Bad vorbei.

„Was für eine großzügig eingerichtete Dusche. Das sieht ja alles edel aus“, sagte ich, während Klara hinter mir weiter nichts sagte.
„Ja, da haben sich die Architekten wirklich etwas einfallen lassen“, stimmte mir der Verkäufer zu, während wir ins Wohnzimmer gelangten.

„Na, das nenn‘ ich doch mal großzügig“, sagte ich.
„Und hier, liebe Klara, trennt sogar eine Wand die Küche vom Wohnzimmer ab“, sagte ich weiter und drehte mich zu ihr um.
Klara schaute mich mit dem Blick an, der da meinte: ‚Du musst hier gar nicht rumschleimen. Mich kriegst du sowieso nicht rum.‘

„Da passt nichts rein“, antwortete Klara trocken.
Ich ließ mich nicht beirren.

„Hier die Loggia“, zeigte der Verkäufer auf den Balkon.
„Der ist viel zu klein für uns“, antwortete Klara vor mir.
„Ja, unsere beliebten Stehbanketts im Freien werden wir hier nicht durchführen können“, sagte ich und bekam einen tadelnden Blick von Klara, der hieß, ‚hör auf, diesen Schwachsinn zu erzählen‘.

Ich ließ mich aber nicht abbringen von meiner gewählten Art, begeistert zu sprechen.
„Schau mal, du kannst ja sogar von zwei Seiten auf den Balkon“, wandte ich mich wieder an Klara.

„Du kannst da von drei Seiten raufgehen. Trotzdem ist er zu klein“, antwortete Klara knapp und mit leicht genervtem Unterton.

Der Verkäufer war mittlerweile aus der Situation, die Besichtigung in der Hand zu haben. Er kam nicht gegen mich an und schon gar nicht gegen Klara.

Wir besichtigten noch das Schlafzimmer und mein mögliches Arbeitszimmer, in das ich wohl nicht einziehen würde, wenn es einzig nach Klara ging, aber ich war entschlossen, meinen passiven Widerstand fortzusetzen und meine Frau so doch noch auf meine Seite zu ziehen.

„Können wir noch die große Wohnung im Dachgeschoß sehen?“, fragte Klara den Verkäufer.
Der zögerte, gab aber schließlich nach.

„Wir können es versuchen, aber die Wohnung ist längst noch nicht so weit, wie die hier.“
„Das macht nichts, wir wollen nur mal einen Überblick haben“, sagte Klara.

Wir zogen die Überzieher aus, stiefelten mit dem Stuhl in das Dachgeschoß, und ich setzte mich sofort auf den Stuhl, ohne abzuwarten, dass Klara sagte, dass ich mich hinsetzen solle, weil ich ja ohnehin nichts im Stehen zustande brachte, schon gar nicht die Plastiktüten über die Schuhe zu streifen.

Wütend riss ich an dem Schonbezug für meinen rechten Schuh und schon war es geschehen, er war in der Mitte aufgerissen. Der Verkäufer schaute mich an, Klara seufzte tief und atmete wieder schwer aus.

Ich kam mir vor, als hätte ich gerade meine Hosen verloren. Dabei waren es nur ein paar Schuhüberzieher, noch dazu aus umweltschädlichem Material gefertigt, die ich beschädigt hatte.

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DIE BIBEL ÜBER DAS LEBEN UND SEINE WEISHEITEN

BIBEL

BIBEL-2022.04.14

Jeder von uns sucht nach Antworten für ein sinnerfülltes Leben, nach dem Glück im Alltag. Die Bibel kann dieses Streben befördern – mit Lebensweisheiten, die über die Jahrhunderte hinweg erzählt und später auch dokumentiert wurden.
Ein kompakter Ausdruck dafür ist die Bibel selbst.

Weisheit und Weisheitsliteratur – diese Begriffe sind überliefert aus einer Sammlung von Schriften, die durch die Jahrhunderte hindurchgehen. Sie stammen von Israel, den benachbarten Völkern und von den ägyptischen Weisheitsschriften.

Die Weisheitslehre lässt sich in vier Phasen einteilen:

Erstens – in das sogenannte vorliterarische Stadium der Weisheit, in der man danach strebte, grundsätzlich in den Fragen des Lebens weise zu sein. Dazu zählen die Sammlungen des Königs Salomon als dem ‚beispielhaften Weisen‘ (1)

Zweitens in die Weisheitslehre, die vor allem in der Erziehung und Bildung eingesetzt wurde.
„Damit folgte Israel alten Vorbildern in Ägypten und Babylonien. Es bildeten sich Lehrüberlieferungen, deren Träger in erster Linie am Königshof zu suchen sind; denn ein König und seine Ratgeber mussten sich besonders durch Weisheit auszeichnen…“ (2)

Drittens: Später wurden die Weisheitssätze systematisiert und theologisiert. Gott, das göttliche Prinzip werden in den Mittelpunkt gestellt. (3)

Und schließlich viertens:
Die Weisheit wurde als Antwort auf die Fragen des Lebens genutzt. Sie sollte den Optimismus für das Leben fördern, der aber auch eine kritische Auseinandersetzung mitbeförderte.

In der Stuttgarter Erklärungsbibel heißt es hierzu:
„Diese Entwicklung forderte die kritische Auseinandersetzung heraus, wie sie uns im Buch des Predigers überliefert ist und in den Wechselreden des Buches Hiob einen besonders spannenden Ausdruck gefunden hat (vgl. die Einführungen zu Prediger und Hiob).“ (4)

(1)
Vgl. dazu auch:
Stuttgarter Erklärungsbibel mit Apokryphen, Die Heilige Schrift nach der Übersetzung Martin Luthers, mit Einführungen und Erklärungen; Deutsche Bibelgesellschaft. ISBN 978-3-438-01123-7 Neuausgabe mit Apokryphen © 2005 Deutsche Bibelgesellschaft Zweite, verbesserte Auflage 2007, 10.2016, S. 769
(2)
Ebenda
(3)
Ebenda
(4)
Ebenda

 

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ANNA IST DEMENT

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SCHREIB-ALLTAG

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WORÜBER ICH VOR ALLEM SCHREIBEN WILL

Schreiben strukturiert deine Gedanken und Gefühle.
Ich schreibe über das, was direkt vor meiner Nase liegt – mein Leben im Alltag.
Besser das Alltägliche beobachten, wahrnehmen, erleben, als auf die große Inspiration zu warten. 

Ich schöpfe vor allem aus der eigenen Erfahrung, wenn ich ein geeignetes Thema suche.

Vieles, was ich selbst erlebe, wahrnehme oder im Gespräch erfahre ist es zunächst wert, dass ich es auf dem Papier oder digital festhalte.

Klar, manchmal reizt es mich schon, Geschichten aufzuschreiben, die fantasievoll sind und mit fiktionalen Figuren ausgestattet werden.

Doch es ist einfach trügerisch, nur darauf zu warten, die großen Sensationen aufzuschreiben.

Und deshalb: Das Alltägliche bleibt für mich am spannendsten.
Ich beobachte gern, frage Menschen nach ihren Geschichten und schreibe sie dann auf.

Für mich steht weniger im Vordergrund, womit ich am meisten Leser anziehe.

Nein, ich will aus dem inneren Gefühl herausschreiben, dass ich an dem, was ich notiere, auch sehr nah dran bin.

In Gesprächen oder in Interviews mit anderen Personen sehe ich oft, dass derjenige, mit dem ich über sein Leben spreche, erst in dem Moment selbst bewusster, intensiver wahrnimmt, dass er eigentlich ebenfalls ein tolles Leben führt.

Dieses aufsteigende Glücksgefühl bei anderen Menschen zu erleben, das ist eine große Motivation für mich.

Das Schreiben bleibt die Grundlage dafür, dass du nicht nur strukturierst denkst, nein, du kannst danach auch viel besser über deine Beobachtungen, Gefühle, Erfahrungen reden.

SCHREIB-ALLTAG

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DIE JAGD NACH EINEM NEUEN ZUHAUSE IST ERÖFFNET – ZUMINDEST IM KOPF

ALLTÄGLICHES

„Sich verändern ist wichtig und manchmal alternativlos!“ 
Diese Worte gehen dir leicht über die Lippen, wenn es nicht dich betrifft, sondern du nur so mal einem guten Freund einen Ratschlag erteilst.
Aber was ist, wenn du selbst gemeint bist, wenn dir dieser Gedanke für dein Leben einschießt, dass du etwas verändern musst?

Montagmorgen in der vergangenen Woche. Krümel war wieder weg. Ich hörte gerade die Audioaufnahme von ihr ab.

„Zwei kleine Italiener…“, sang sie mit leiser und feiner Stimme, brach dann ab und rief: „Hallo Oma, Opa, ich hab‘ Euch ‚liiieeeb“.

Ich seufzte und wandte mich wieder den Alltagssorgen zu. Die Folgen der Überschwemmung im Keller sassen Klara und mir noch im Nacken.

„So kann es nicht weitergehen!“, sagte ich zu ihr.
Sie schwieg.

„Was willst du tun?“
„Wir müssen uns eine Wohnung suchen, die altersgerecht ist, allen Komfort bietet und vor allem eines ist, trocken!“, antwortete ich.

Wir redeten schon lange davon, dass wir uns verkleinern wollten, abends nicht mehr Treppen hochklettern müssten, um mit letzter Kraft ins Schlafzimmer zu gelangen.

Der Wassereinbruch im Keller nach dem Unwetter war nur der letzte Anstoß.

‚Ist es wirklich so schlimm?‘, fragte ich mich.
Ich mach‘ noch Sport, Nordic Walking, bin trotzdem zu dick, aber immerhin noch gut beweglich.

Klara sagte: „Ich will das alles nicht mehr.“
„Was meinst du?“, fragte ich sie.

„Naja, das mit dem Garten, mit der Hecke schneiden, dem Rasenmähen, den Carport ausfegen.“

„Den Carport fege ich doch aus“, versuchte ich zu entgegnen.
„Du? Du bist doch nie anwesend. Und jetzt, wo du deine Reden hältst, da bist du noch weniger da“, sagt sie.

Ich antwortete lieber nicht. Im Stillen freute ich mich ja, wenn ich einen Redetermin hatte und Klara in der Zeit die Wohnung saugte, den Garten machte und ich danach den ‚Erschöpften‘ geben konnte.

„Zu jammern, das nützt uns jetzt auch nichts“, sagte Klara.
Sie hatte Recht und deshalb war ich auf der Suche nach einem neuen Zuhause, einer Wohnung, die viel kleiner, dafür aber trocken war.

Wir wollten in der Umgebung bleiben. Klar, am meisten zog es uns zurück in den Norden, nach Stralsund oder Sassnitz. Aber das war zu weit weg von unserem kleinen Krümel.

Wie konnten wir sie dann mal nachmittags abholen, mit ihr auf den Spielplatz gehen, um sie dann wieder zu ihrer Mutter zurückzubringen. Daraus wurde also nichts.

Außerdem hatte ich hier die Arbeit als Trauerredner. Eine Tätigkeit, die mir lag, die nicht leicht war, aber wo ich meine handwerklichen Fähigkeiten des Schreibens und Redens gut einsetzen konnte.

Inzwischen war ich bekannt, und ich wollte mein Netzwerk weiter ausbauen.

„Ich habe ein gutes Wohngebiet entdeckt. Dicht an der City von Bernau. Hier ist das Exposè, sagte ich zu Klara.

„Leg‘ es mal da bei mir auf den Schreibtisch“, antwortete sie.
Ich merkte ihr an, wie hin- und hergerissen sie war.

Wir wohnten nun schon 26 Jahre in unserem kleinen Häuschen, mit Carport, ebenerdigem Zugang zur Haustür, ohne Treppensteigen, wenn der Einkaufskorb in die Küche transportiert werden sollte – das alles würden wir nicht haben, oder das meiste dieser Annehmlichkeiten nicht mehr.

„Oma, ich ihr habt so eine schöne Wohnung“, rief Krümel oft, wenn sie sich blitzschnell die Treppenstufen hochhangelte. Sie flitzte zu gern zwischen den Etagen hin – und her.

„Opa, das Frühstück ist jetzt gleich fertig, und dann musst du sofort herunterkommen, sonst wird Oma böse. Kommst du, ja?‘

Ich brummte dann etwas und blieb trotzdem am Schreibtisch sitzen.
„Opa, du musst jetzt gleich mitkommen, ich geh‘ zuerst und du musst hinter mir herlaufen!“

Krümel war so emsig, so begeistert und füllte die ganze Wohnung mit ihrer Lebensenergie.

Wollten wir das alles aufgeben?
Mussten wir das wirklich?

„Ich habe eine Wohnung gefunden, die mir gefallen würde“, rief Klara, die das Exposè gerade durchsah. Laura, unsere Tochter war gerade zu Besuch und hatte gemeinsam mit Klara das Internet zusätzlich durchforstet.

Es war eine Dachgeschoßwohnung, knapp 100 qm, riesige Terrasse, komfortabel ausgestattet.

„Gut, ich rufe morgen gleich bei dem Bauträger an und frage, ob die Wohnung noch frei ist“, sagte ich.

Fortsetzung: ‚DIE WOHNUNGSBESICHTIGUNG‘ – Montag, 19.09.2022

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FREIWILLIGE FEUERWEHR AUS SCHÖNWALDE – DANKE FÜR EUREN BEHERZTEN EINSATZ AM 26.08.2022

Stefanie Weinert und Sandra Mallabar während des Einsatzes in Basdorf

Es war ein Tag, der versprach noch einmal schön zu werden.
Ich hatte nach unserem zweiwöchigen Aufenthalt an der Ostsee wieder Energie und auch Lust, mit der Arbeit weiterzumachen.

Mittags stand für mich eine Trauerrede an. Ich war gut vorbereitet, wollte alles dafür tun, damit es ein würdiger Abschied wurde.
Es klappte alles und die Trauergäste bedankten sich bei mir – der schönste Lohn für die oft nicht leichte Arbeit, physisch nicht und schon gar nicht psychisch.

Ich war froh, als ich wieder im Auto saß, ein wenig Wasser getrunken hatte und mich in Richtung nach Hause bewegen konnte. Es war schwül und ich wollte so schnell wie möglich aus dem Anzug heraus.

„Ich bin fertig“, sagte ich nur zu Klara und warf mich auf die Couch.
Ich wollte nichts mehr wissen und nichts mehr hören.

Draußen wurde es dunkel, obwohl es erst gegen 15.00 Uhr war, und Regen setzte ein. Ich hörte es blitzen und donnern und sah plötzlich Eiskristalle auf der Terrasse niedergingen. Ich schnellte von der Couch hoch, sprang ins Auto, um es ein Stück weiter nach hinten zu fahren.

‚So, jetzt konnte es draußen schütten, wir sitzen hier im Trockenen‘ dachte ich bei mir.

„Siehst du, dass das Wasser auf der Terrasse nicht abläuft?“, fragte Klara mich und ihr war die Angst anzumerken, dass es noch schlimmer kommen könnte.

Jetzt wurde auch ich unruhig und wir stiegen gemeinsam die Treppen zum Keller runter.

Durch die Tür, die in die Gemeinschaftsräume führte, drang Wasser.
Es stand bereits knöchelhoch. Ich wollte wissen, wie es auf dem Gang aussah und öffnete die Tür zum Gemeinschaftsgang. Das Wasser schoss uns entgegen und wir hatten Mühe, die Tür wieder zu schließen.

Jetzt hieß es, Eimer zu holen, das Wasser hineinzuschaufeln und nach oben zu tragen, um es im Gäste-WC auszuschütten. Klara schippte, ich keuchte die Treppe mit dem Eimer hoch.

Jedes Mal, wenn ich oben ankam, den Eimer leergemacht hatte, gönnte ich mir eine Pause auf dem Stuhl im Flur und schaute von da aus auf die Terrasse. Dort standen Pfützen, gefühlt waren es Seen, und so langsam beschlich mich Verzweiflung.

„Was machst du so lange da oben?“, fragte Klara mich und ich schleppte mich wieder die Treppe hinunter. Der Wasserpegel war wieder gestiegen. Der Kellervorraum war voll und das Wasser ergoss sich auch in unseren Hauptkeller.

Der Mieter aus dem Dachgeschoss unseres Mehrfamilienhauses hatte die Feuerwehr gerufen und mich darüber informiert.
„Die würden wohl erst nach Mitternacht kommen“, dachte ich bei mir.

Doch eine Stunde später kam ein Löschzug um die Ecke.
Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals in meinem Leben so froh war, dass ich die Feuerwehrleute sah.

Sie handelten schnell, sehr effizient und wussten genau, was sie tun mussten.
Sie legten Schläuche über ein Nachbargrundstück in Richtung Wald, weil die Kanalschächte ebenfalls vollgelaufen waren.

Es war Lärm, Hektik und ich hatte den Eindruck, ich würde überall nur herumstehen.

Als die Pumpen liefen, wir ein wenig verschnaufen konnten, weil es nun darauf ankam, mit Geduld abzuwarten, dass das Wasser allmählich aus den Kellern abfloss, da unterhielt ich mich ein wenig mit zwei Kameradinnen von der Feuerwehr – mit Stefanie Weinert, der Einheitsführerin und Sandra Mallabar, einer Maschinistin bei diesem Einsatz. Sie ist normalerweise Jugendwartin bei der Freiwilligen Feuerwehr in Schönwalde.

Während ihres Einsatzes konnte ich sehen, mit wieviel Herzblut und welchem Einsatzwillen diese Kameradinnen und Kameraden vor Ort agierten, damit wir wieder trockene Keller hatten.

Eine tiefe Dankbarkeit kam in mir hoch. Doch was sagst du in solchen Situationen?

Das alles kommt dir in diesem Moment vor, als würdest du nur Worthülsen vertun, um zu sagen, wie froh du über den Einsatz dieser Menschen warst.

Ich nahm mir vor, darüber zu schreiben. Wenigstens das wollte ich tun.
Später halfen Kameraden mit, das restliche Wasser aus dem Keller zu bekommen, bis nur noch wenig übrig war.

Am nächsten Tag fuhren wir in den Baumarkt und kauften einen Nass-Trocken-Sauger.
Ich schaute mir die Aufbauanleitung an, war aber nervlich noch zu angespannt vom vergangenen Tag, um mir in Ruhe alles durchzulesen.

Ich rief meine Tochter an, unser ‚Technikgenie‘ und fragte sie, ob sie uns helfen wolle, bei der Beseitigung des Wasserschadens.
„Papa, wenn du in der Zeit eine Facharbeit auf Rechtschreibfehler durchsiehst, dann komme ich“, sagte sie am Telefon.

Ich war sofort einverstanden. Klara und meine Tochter saugten den Rest des Wassers vom Boden auf und entsorgten die nassen Sachen.

Ich korrigierte in der Zeit die Arbeit, konnte ruhig am Schreibtisch sitzen und nicht einmal ein schlechtes Gewissen haben.

Wir brauchten noch ein paar Tage, um zu unserer Routine zurückzukehren.

Danke liebe Kameradinnen und Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr aus Schönwalde! Wir werden Eure selbstlose Hilfe nicht vergessen!

 

MEIN FREUND, DER ALLTAG

AM STRAND ZWISCHEN PRORA UND BINZ

DAS LEBEN NICHT IRGENDWANN GENIESSEN, SONDERN SOFORT, IM MOMENT

Die Sonne gleisst unbarmerzig vom Himmel herunter und brennt sich in Rücken und Nacken ein.

Der Wind bläst vom Meer herüber und macht alles ein wenig erträglicher.

Die Wellen rollen auf den Strand zu und obenauf schäumt das Wasser, bevor es krachend auf den Strand aufschlägt.

Möwen kreischen, Kinder schreien, Menschen neben mir unterhalten sich, aber es ist, als wären sie weit weg.

Am Rettungsturm ist eine gelbe Flagge hochgezogen. Ich weiss nicht, was sie bedeutet, aber ich spüre die Kraft der Wellen, wenn ich bade.

Es fällt dir schwer, dich wieder in Richtung Strand zu bewegen, denn das Wasser saugt förmlich an dir, in Richtung offener See.

In jedem Fall:

Du spürst das Leben, mit seiner ganzen Kraft und in seiner vollen Schönheit.

Es sind diese Momente, von denen ich denke, dass man sie künftig als die kleinen Augenblicke noch bewusster aufnehmen kann, sich gerade zu den kleinen Dingen im Alltag freuen muss und eben nicht ausschließlich auf den grossen Glückswurf hoffen sollte, der mit großer Wahrscheinlichkeit ohnehin nie eintreten wird.

MEIN FREUND, DER ALLTAG

DAS LEBEN SYMPATHISCH FINDEN, SO WIE ES GERADE IST

DAS LEBEN RUHIG MAL VOM ENDE HER DENKEN

 

VOM WERT IM LEBEN, MIT DEN KLEINEN DINGEN GLÜCKLICH ZU SEIN

Es ist kurz vor halb fünf Uhr morgens und ich sitze auf der Bank vor dem Haus.

Wäre ich nicht vom Schreibtisch aufgestanden, um ein wenig frische Luft zu schnappen, ich wäre wohl wieder eingeschlafen.

Also bin ich hier draußen, friere ein wenig und schaue in den Himmel. Er ist mit Wolken zugedeckt und die Sonne kann auch noch nicht mit ihren Strahlen durch die Wolkendecke hindurchdringen.

Wenn morgens noch alles ruhig ist, du nur ein paar Vögel zwitschern hörst, den Wind, der durch die Äste der Bäume fegt und die Blätter rauschen, dann kommst du ins Grübeln.

Du überlegst, wieso du eigentlich immer wieder neu lernen musst, was in deinem Leben wichtig sein könnte.

Das Leben loslassen, es anzunehmen und es so zu verändern, dass es für dich ein sympathisches Aussehen kriegt – ja, all das gehört dazu.

Wie oft strebst du danach, mehr Geld zu bekommen, noch erfolgreicher zu werden, Immobilien zu besitzen und zu denken, dass genau das der Beweis für ein glückliches Leben ist?

Bis du dahinter kommst, dass es gerade das nicht ist, was dich in Wahrheit glücklich macht.

Leider ist es oft erst dann, dass du dich rückbesinnst, wenn du nichts mehr ändern kannst.

Mir fällt Krümel ein, meine vierjährige Enkelin. Ich muss ihr unbedingt weiter von der Scheune erzählen, vom Esel Ia, dem Hund Bobby und der Katze Penni. Sie alle gibt es nicht, nur in der Phantasie.

Die Scheune besitze ich auch nicht. Aber Krümel ist glücklich, und ich bin es auch, wenn wir darüber sprechen.

Ich stehe von der Bank auf und gehe wieder an meinen Schreibtisch. Ich werde nachher Krümel anrufen. Das wird ein schöner Tag.

MEIN FREUND, DER ALLTAG

 

 

 

‚THURE‘ MUSS WARTEN

ALLTÄGLICHES-2022.05.25

Geschäftliche Aufträge, Business-Texte schreiben, Broschüren lektorieren, all das bindet aktuell meine Kraft.

Ich muss meine Energie bündeln, um meine Ziele zu erreichen.

Aber irgendwann taucht ‚Thure‘ wieder auf, versprochen.

Für alle Leserinnen und Leser einen schönen Vatertag, Herrentag, ‚Christi Himmelfahrt‘ oder einfach ein paar Stunden, um die Füße hochzulegen.

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THURE – SCHREIBSKIZZEN (6)

THURE-22.04.29

JAKUB ZLOBINSKI
Was bisher war:
Thure sah vom Küchenfenster aus, wie die Wiesen noch von einem Nebelschleier bedeckt wurden und das Gras noch feucht vom Morgentau war.
In der Ferne beobachtete er einen roten Streifen am Himmel.
Es würde wohl schön werden, an diesem Tag, und so beschloss Thure, nach dem Frühstück einen Spaziergang durch das Dorf zu machen, vielleicht Jakub Zlobinski, dem Besitzer des Gasthofes vorbeizuschauen.

Jakub Zlobinski hievte seine Beine ächzend aus dem Bett, fuhr mit der Hand schlaftrunken über sein kurzes Haar und ließ sie wieder müde sinken.

Er stand schließlich auf, schlurfte ins Bad und schaute im Spiegel in das zerknirschte Gesicht eines Mannes, der noch nicht so richtig wusste, warum er überhaupt aufgestanden war.

Aber er musste sich fertigmachen und in die Gaststube hinuntergehen, um alles für die Öffnung vorzubereiten.

Jakub war der Pächter des Gasthofes ‚Zur dicken Kuh‘. Er wohnte mit seiner Familie direkt über dem Gastraum.

Früher, als er noch zugelassen hatte, dass die Gäste rauchten, da vermischte sich der Tabakqualm mit dem Geruch von Wein, Bier und Schnaps und kroch in alle Ritzen des Hauses.

„Der Gestank ist noch überall und geht gar nicht mehr weg“, schimpfte seine Frau Iga, mit der er gemeinsam den Gasthof bewirtschaftete.

Iga machte den Ausschank, bediente die Gäste und Jakub kochte. Das hatte er gelernt und seine Gäste mochten sein Essen.

Thure liebte besonders das polnische Frühstück, das ihm Jakub zubereitete, wenn er morgens in die Gaststube kam.
Maria sah das gar nicht gern, weil Thure dann länger blieb, als er sollte.

Er sollte eigentlich dort gar nicht hineingehen, sondern seine Runde drehen und danach sofort zurückkommen.

Aber wenn ihm der Geruch von gegrillten Würstchen, gekochten Eiern, Tomaten und Gurken und Roggenbrot in die Nase stieg, dann konnte er meist nicht widerstehen.

Anfangs wollte Jakub ihm dazu traditionell einen Tee mit Zucker servieren, aber da hatte Thure stets abgewinkt.

„Lass mal, ich habe ja schon einmal etwas gegessen und Kaffee dazu getrunken. Jetzt nehm‘ ich ein Bier.“

Thure musste nur danach einen ‚Pfeffi‘ einschmeißen, damit seine Frau nichts davon merkte.

Jakub hatte sich angekleidet und im Stehen einen Schluck Kaffee genommen.

Er ging mit der Tasse aus der Küche heraus und betrachtete sich im großen Wandspiegel im Flur.

Er war nicht groß, nur 1,74 cm, zu seinem Kummer. Er drehte sich zur Seite und sofort fiel ihm der leichte Bauchansatz auf, den seine Frau Iga oft kritisierte.

„Trink nicht so viel Bier mit den Gästen“, schimpfte sie, wenn Jakub aus der Küche kam, um ein wenig zu verschnaufen und den neuesten Dorfklatsch zu erfahren.

Jakub lachte gern und sein pausbäckiges Gesicht zeigte dann seine vielen Lachfältchen, die in dem Moment noch größer erschienen, als sie es ohnehin schon waren. Im Gasthof war er stets mit Schürze zu sehen, darunter trug er Jeans und bequeme Shirts.

Thure sprach gern mit Jakub, denn sie ähnelten sich in ihrem Charakter und in ihrem Verhalten. Sie waren beide laut, gutmütig und meistens auch noch gut gelaunt.

Überhaupt hatte Jakub mit seiner Art schnell die Sympathie der meisten Dorfbewohner gewonnen.

Er sprach gut Deutsch und seinen unverkennbaren Akzent hörte man selbst im größten Stimmengewirr heraus.

Seine Frau, Iga Zlobinska, eine geborene Wojcieck, hatte er vor zehn Jahren in einer Diskothek kennengelernt. Damals träumten sie davon, einmal einen Gasthof auf dem Land zu erwerben und so ein unabhängiges Leben zu führen.

Aber es kam anders. Igar bekam zwei Kinder, ein Mädchen – Pola, sieben Jahre alt, und Maksymilian, 5 Jahre alt.

Von deutschen Freunden erfuhren sie, dass in Schebsand ein Gasthof leer stand, dessen Eigentümer einen neuen Pächter suchte.
Sie überlegten nicht lange und bewarben sich darum, das Haus mit der Gasstube zu mieten.

Es war nicht ohne Risiko, denn die vorhergehenden Pächter waren pleite gegangen.
Davor hatten Iga und Jakub am meisten Angst.

Es dauerte lange, bis sie alle Genehmigungen in der Tasche hatten und von der Weltmetropole Warschau aus in das kleine Dorf Schebsand in Brandenburg gingen.

Jakub schlurfte die Treppe nach unten, schaltete in der Gaststube das Licht an und stieß mit dem Fu gegen die Schwingtür, die in die Küche führte.

Er tippte mit seiner Hand auf den Lichtschalter und Sekunden später gleißte das helle Licht von der Küchendecke direkt auf ihn herunter, so dass er erst einmal die Augen zusammenkniff.
Jakub war nun endgültig munter geworden.

THURE – SCHREIBSKIZZEN (6)

THURE LIEBTE SEIN DORF UND ERINNERTE SICH TROTZDEM GERN AN SCHWERIN – DEN ORT SEINER KINDHEIT
Was bisher war:

Schebsand befand sich am Rand von Berlin, im Norden von Brandenburg.
Im Osten grenzte Schebsand an riesige Flächen von Weideland, die der ehemaligen LPG gehörten, die sich nach der Wende in eine Genossenschaft umgewandelt hatte.
Thures Haus lag im Süden von Schebsand.
Er war früh aufgestanden, saß auf der Holzbank in der Küche und schien zufrieden mit sich und der Welt.

Thure sah vom Küchenfenster aus, wie die Wiesen noch von einem Nebelschleier bedeckt wurden und das Gras noch feucht vom Morgentau war.

In der Ferne beobachtete er einen roten Streifen am Himmel.
Es würde wohl schön werden, an diesem Tag, und so beschloss Thure, nach dem Frühstück einen Spaziergang durch das Dorf zu machen, vielleicht Jakub Zlobinski, dem Besitzer des Gasthofes vorbeizuschauen.

Thure war in Schwerin geboren und er war nun bereits im siebzigsten Lebensjahr.

„Wenn ich mit 70 einmal so aussehen sollte, wie Sie, dann freue ich mich“, sagte ein Bestatter zu ihm, mit dem er etwas über das Marketing besprach.

„Das ist sehr nett“, hatte Thure geantwortet.
„Aber über kurz oder lang kriegen Sie mich trotzdem in ihre Hände“, schob Thure noch nach.

In Thure schossen Erinnerungen aus der Kindheit hoch

Thure erinnerte sich gern an seine Kindheit. Wie er im Schweriner Schloss herumgetobt war, da, wo heute das Parlament saß.
„Woran denkst du?“, fragte Maria ihn, die gerade das Frühstück zubereitete.

Thure drehte sich zu Maria um und setzte sich auf die Holzbank am Fenster, Emma war nicht da und so konnte er ein Bein ausgestreckt auf die Bank legen, das Kissen hinter sich im Rücken verkeilen und die Gedanken schweifen lassen.

„Ach weißt du, ich denk‘ gerade zurück“, wie glücklich wir in Schwerin als Kinder waren.
Vor allem, dass wir uns um nichts kümmern mussten“.

„Ja“, seufzte Maria, „das stimmt.“
Thure war nun in Fahrt gekommen.
„Eines Tages lief meine Mutter mit einem griesgrämigen Gesicht umher, und wir durften sie nicht ansprechen, weil sie nach der Arbeit ihre Ruhe wollte“, erzählte Thure.

Er kam ins Schwelgen: „Wir haben Oma Mathilde gefragt, warum Mama so schlecht Laune habe.“

„Und, was hat sie geantwortet?“, fragte Maria nach, obwohl sie die Antwort kannte.

„Oma Mathilde hat gesagt, dass unsere Mama so viele Sorgen hätte.
Irgendwie wollten wir Kinder dann auch Sorgen haben“, erinnerte sich Thure weiter.

Oma Mathilde war für die Kinder immer da, für Thure, seinen Bruder Thorben und seine Schwester Gabriella.

Sie kam jeden Morgen bereits kurz nach sechs Uhr aus ihrer Wohnung auf dem Obotriten Ring in die ‚Straße der Nationalen Einheit‘, wie sie in den 50 er und 60 Jahren noch hieß.

Im Winter kniete sie sich als erstes vor den Ofen im Kinderzimmer und spaltete mit dem Küchenmesser Holzscheite, knüllte die Zeitung ‚Neues Deutschland‘ zusammen und stopfte sie in den Ofen.

Dann zündete sie das Papier an und allmählich war das Knacken der Holzscheite zu hören und es roch ein wenig nach dem Rauch, der im Ofen aufstieg.

Maria unterbrach Thures Kindheitserinnerungen abrupt

„Wir wollten nicht aufstehen, aber daran führte kein Weg vorbei“, schwelgte Thure weiter in Erinnerung.

„Das Frühstück ist fertig und steht vor dir“, unterbrach ihn Maria.
Sie wollte in der Küche weiterkommen, schnell nach dem Frühstück das Geschirr abräumen und später im Dorf Einkaufen fahren.

Nur widerwillig hörte Thure auf, in seinen Erinnerungen zu kramen. Er biss in ein Brötchen und schwieg.

Er dachte an Emma, seine Enkelin. Würde sie ebenfalls eines Tages so gern an ihren Opa denken, wie er sich an seine Oma zurückerinnerte?

Das war nicht klar, aber er hatte in ihr bereits in seinen Tagen einen guten und aufmerksamen Zuhörer in ihr.

„Opa, erzähl über die Scheune“, sagte sie zu ihm. Dann durfte Thure auch sein Bein weiter bei ihr auf der Bank über ihre kleinen Beinchen legen.

Emma liebte es, wenn Thure dabei stets die gleichen Figuren agieren ließ.

Da waren die Katze Benni, der Hund Bobby, der Spatz Pipeva, und Emma halbe Kita, die mit am Tisch saßen- Bauzu, Viki, Piatessa.
Ganz hinten im Stall war der Esel la der an einer Möhre kaute.

Thure hatte schon überlegt, ob er nicht Esel anschaffen sollte.
„Ein Esel reicht in der Familie“, hatte Maria das aber trocken abgeschmettert.

Thure drückte sich vor der Hausarbeit

Thure erhob sich von der Holzbank und wollte sich aus der Küche verdrücken.

„Du kannst auch ruhig mal das Geschirr in den Spüler räumen“, sagte Maria zu ihm.
„Da ist es zu eng für zwei“, sagte Thure trocken und verschwand im Flur.

„Ich dreh‘ mal ne Runde im Dorf“, sagte er.

Thure zog sich die Jacke über und ging aus der Tür. Es roch nach frischem Gras. In der Ferne strebte der glutrote Ball der Sonne dem Himmel entgegen.

Thure streckte die Arme und entschloss sich, einen Blick in die Gaststube von Jakub Zlobinski zu werfen.
„Wo willst du hin?“, fragte Maria ihn, die plötzlich in der Haustür stand.

„Ach nur mal ein paar Schritte auf der Straße entlanggehen, Richtung Gaststube“, antwortete Thure knapp.

„Aber nicht, dass du da zu Jakub reingehst und einen Kaffee trinkst. Du weißt, dass dies nicht gut ist für deinen Blutdruck“, sagte Maria zu ihm.
„Nö, nö“, brummte Thure und machte sich von dannen.

THURE AUS SCHEBSAND

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14. KALENDERWOCHE – DAS WAREN DIE BEITRÄGE

MEIN FREUND, DER ALLTAG
ALLTÄGLICHES-22.04.09
BIBEL IM ALLTAG

DIE BIBEL ÜBER DIE MACHT DES WORTES UND DIE MÖGLICHKEITEN DER SPRACHE

SCHREIBEN HEISST NICHT, SICH VON DEN BANALITÄTEN DES ALLTAGS ZURÜCKZUZIEHEN

NIETZSCHE ÜBER DIE SCHWELGEREI DER RACHE

SCHREIB ÜBER DICH

THURE – SCHREIBSKIZZEN (5)

ANNA IST DEMENT

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SCHREIB-ALLTAG

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THURE – SCHREIBSKIZZEN (5)

THURE-22.04.08

DAS DORF SCHEBSAND

Was bisher war:
Thure wachte aus seinem schrecklichen Albtraum auf. Er saß auf den Schienen, mitten auf einer freien Zugstrecke und war an Händen und Füssen an die Gleise gefesselt.
Seine Frau Maria erlöste ihn aus seinem Traum.
Thure erinnerte sich daran, wie er kürzlich mit Emma von der Couch aus ‚Angeln‘ gespielt hatte.
„Los Opa, noch mal, feuerte sie Thure an, der die in seiner Hand vermeintlich befindliche Angel drehte.
Thure hatte zu seinem Dorf eine ‚Hass-Liebe‘ entwickelt.
Er lebte nun schon fast dreißig Jahre dort, fühlte sich einerseits zu Hause und andererseits wiederum fremd.

 

Schebsand befand sich am Rand von Berlin, im Norden von Brandenburg.

Es war ein Katzensprung nach Buch und auch bis Berlin-Mitte waren es lediglich 20 Minuten.

„Da kannst du auch mit dem Lastenfahrrad hinfahren“, meinte Thure oft im Scherz.

Thure hasste es inzwischen, in den Prenzlauer Berg hineinzufahren, weil ihm der Stadtteil inzwischen zu gekünstelt vorkam.

Manchmal musste er dorthin, um sich beim Frisör die Haare schneiden zu lassen.

Aber anschließend freute er sich umso mehr, wenn er wieder in sein Dorf flüchten konnte, das er in solchen Momenten besonders liebte.

Thure hatte herausgefunden, dass es sich bei Schebsand um ein Platzkerndorf handelte, das sogar den Dreißigjährigen Krieg überstanden hatte

„Das sind eben Ossis aus Stahl und mit Herz“, sagte Thure.
„Die Ossis gab es doch damals noch gar nicht“, wendete dann seine

Tochter Jette ein, was Thure aber nicht gelten ließ.
„Schebsand lag schon immer im Osten“, brachte er das Totschlagargument an.

Aber viel wichtiger war ihm, dass es im Dorf einen Dorfteich gab, wo er sich auf eine Bank setzen konnte und von wo aus er auch das Geschrei der Kinder vom Spielplatz aus der Kita hörte.

„Du darfst jetzt aber nicht ‚oh, oh‘ sagen, wenn ich hier meine Übungen mache“, drang manchmal das dünne, aber energische Stimmchen von Emma zu ihm herüber.

Dann war für Thure die Welt in Ordnung.
Im Osten grenzte Schebsand an riesige Flächen von Weideland, die der ehemaligen LPG gehörten, die sich nach der Wende in eine Genossenschaft umgewandelt hatte.

Thures Haus lag im Süden von Schebsand. Er hatte damals eine Scheune miterworben, in der sich besonders gern Emma aufhielt und spielte.

Einige hundert Meter entfernt von Thures Grundstück war ein See zu sehen, von dem stets eine frische Prise herüberwehte.

Thures Kummer war, dass vor seinem Haus noch zwei weitere Häuser standen, sodass er keinen freien Blick auf den See hatte.

Dafür liebte er sein Haus umso mehr. Es war über 100 Jahre alt, und so manches war überholungsbedürftig, wenn man es mit modernen Standards der heutigen Zeit verglich.

Der Fußboden im Flur bestand immer noch aus den alten braunen Fliesen, über die ein Teppich gelegt war und die nur noch an den Seiten zu sehen waren. Am Ende des Flurs stand eine alte Bauerntruhe, auf der ein weißes Fell lag.

Die Küche befand sich auf der rechten Seite des Hauses. Sie war geräumig und bildete den Mittelpunkt des Familienlebens. An der Fensterseite stand ein langer Holztisch, den Thure extra für die Küche hatte anfertigen lassen.

Auf beiden Seiten des Tisches waren Sitzgelegenheiten vorhanden. Am Fenster konnte man auf einer Holzbank sitzen, die ebenfalls der Länge des Tisches angepasst war.

Auf der gegenüberliegenden Seite standen Korbstühle, die mit blau-weißen Sitzkissen ausgestattet waren.
An den Fenstern hingen Übergardinen, ebenfalls in den Farben blau-weiß.

An der Stirnseite der Küche war noch ein alter Kohleherd zu sehen. Er wurde nicht mehr benutzt und Maria hatte ihn mit vielen kleineren Gegenständen dekoriert.

Zur Zeit standen dort bereits die ersten Osterhasen und eine Vase mit einem Strauch, an dem Ostereier hingen.

Das alles verlieh dem Ganzen eine gemütliche Atmosphäre, sodass sich die Familie oft länger in der Küche aufhielten und Maria beim Zubereiten des Essens zusahen.

Thure und Emma saßen oft auf der Holzbank zusammen. Thure legte manchmal sein Bein auf die Bank und über die Knie von Emma.
„Opa, nimm den Fuß runter“, sagte die Vierjährige dann.

„Das ist mein Erzählfuß, und der muss oben bleiben, sonst kann ich dir keine Geschichten erzählen“, sagte Thure in solchen Momenten zu ihr.

Emma überlegte kurz und sagte dann: „Komm Opa, leg deinen Fuß ruhig hier drauf.“

„Erzähl von der Scheune“, sagte sie weiter und Thure begann sich eine Geschichte von der Scheune auszudenken, in der der Esel ‚Ia‘ lebte, die Katze ‚Benny‘, der Spatz ‚Pipeva‘ und Emmas Kita-freundinnen.

Thure war wie so oft früh aufgestanden. Er wollte weiterkommen mit dem Schreiben und auch einige seiner Kunden anrufen, um zu fragen, ob die Firmenporträts auf dem Blog verlängert werden sollten.

Er hatte einen guten Draht zu seinen Kunden. Es war mehr freundschaftlich, als geschäftlich, was sicher daherkam, dass er so über so manche Firma und Unternehmer schon viele Jahre schrieb.

Thure fand es immer noch spannend, dass er auf einem Hof saß und trotzdem mit der Welt da draußen kommunizierte.

Unvorstellbar zu DDR-Zeiten, in der es nicht mal in jedem Haushalt ein Telefon gab.

Und nicht auszudenken, wie sein Vater reagierte.
„Du kannst doch nicht in diesem Kuhdorf dein Leben wegwerfen“, hatte er oft zu ihm gesagt.

Aber für Thure war es genau andersherum. In Schebsand, so fand er, hatte sein wahres Leben erst begonnen.

Er saß auf der Holzbank in der Küche, hatte seinen Tee vor sich. Es war kurz nach halb fünf Uhr früh.

THURE AUS SCHEBSAND

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