Archiv der Kategorie: KURZGESCHICHTE

Geschichten über den Alltag, kurz, in der Sprache des Alltags. Erzählform: überwiegend aus der Perspektive des personalen Erzählers.

JEEPY HAT VON KRÜMEL EINEN KUSS GEKRIEGT

2021.05.08

WAS BISHER WAR
Jeepy hat sich lange nicht gemeldet. 
Am vergangenen Freitag war es nach einigen Monaten das erste Mal, dass er Krümel wieder etwas von sich und seinem Fahrer erzählt hat. 

Jeepy ist sozusagen der ‚Ich-Erzähler‘ und er spricht dabei über seine Abenteuer, über die Eigenheiten seines Fahrers, der zufällig auch der Opa von Krümel ist. 

Der Fahrer wollte Jeepy eintauschen – gegen einen größeren ‚Jeepy‘.
Aber da hat Jeepy nicht mitgemacht, Krümel erst recht nicht, Krümels Mama und Oma waren ebenfalls dagegen. 

Ich bin Jeepy, das kleine rote Auto, naja, das wisst ihr ja längst.
Meine beste Freundin ist Krümel. Und da ich ohne meinen Fahrer auch nicht leben kann, gehört der ebenfalls zu meinem Freundeskreis.

Nur manchmal nicht.
So, wie vor zwei Wochen.

„Du Jeepy, ich überlege, ob ich dich eintausche gegen ein größeres Auto“, sagte er zu mir.
„Warum?“, fragte ich ihn.

Mein Fahrer druckste herum.
„Naja, du weißt ja, wir müssen alle auf den Energieverbrauch achten und daran denken, mehr mit Elektroautos zu fahren.“

„Dann steig aufs Fahrrad, und du machst so mehr Sport, lebst gesünder und Sprit sparst du auch noch. Und wenn du dann mal vom Dorf aus in die große Stadt musst, dann wirst du mich schon brauchen. Denn es fahren noch keine Busse aus dem Dorf direkt nach Berlin. Oder nicht?“

„Ja, du hast recht“, gab mein Fahrer kleinlaut bei.
„Außerdem haben wir dich ja schon gegen den großen und dicken ‚Bobby‘, unseren geliebten Mercedes-Geländewagen eingetauscht. Also, ein bisschen haben wir schon gemacht für die Umwelt“, sagte mein Fahrer noch.

Das stimmt zwar, aber was er nicht sagt ist, dass er es nur getan hat, weil ‚Bobby‘ alt und gebrechlich war.
Naja, auf jeden Fall hat der Fahrer den Gutachtertermin für mich abgesagt.

Ich musste mich demnach nicht mehr auf das Werkstattbett legen und mich hochheben lassen, damit mir wieder alle unter mein ‚Blechkleid‘ schauen können.

Aber jetzt ist alles ‚vom Tisch‘, wie die Erwachsenen sagen, wenn etwas erledigt ist.

Mein Fahrer hat mir zur Belohnung eine Auto-Wäsche ‚de-luxe‘ geschenkt.

Anschließend sind wir zu Krümel gefahren. Als sie uns sah, da hat sie begeistert ‚Jeepiiii‘ gerufen und mir einen Kuss auf das Heck gedrückt. Ich bin rot geworden. Das hat nur keiner gesehen, denn ich bin ja immer rot.

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JEEPY – WIE ALLES BEGANN – ERZÄHLT IN 2019


JEEPY-2021.05.06/2019.02.02

Der Fahrer von Jeepy, Krümels Opa, hat vor zwei Jahren den Einfall, seiner Enkelin kleinere Geschichten über seine Erlebnisse mit Jeepy zu erzählen.

Er schreibt Krümel einen Brief, der so beginnt:

„Lieber Krümel, während ich hier an dich einen Brief schreibe, da tobst du noch im Kindergarten herum.

Vielleicht schläfst du ja auch noch. Es ist gerade Mittag. Oder bist du schon wach?

Bald holt deine Mama dich ab, und du wirst juchzen vor Glück, wenn du sie siehst…

https://uwemuellererzaehlt.de/2019/02/02/jeepy-2019-02-02/

FÜR PETER BEGANN DAS NEUE JAHR, WIE DAS ALTE JAHR AUFGEHÖRT HATTE – MIT NICHTSTUN

ANNA

WAS BISHER WAR:
Neujahr war vorüber und Peter hatte sich darüber gefreut, dass er mit Klara einen ruhigen Silvesterabend verbringen konnte. 

Das alles hatte zwischendurch die Züge einer Trauerfeier
angenommen, aber aufkommende Depressionen wurden mit ‚Rotkäppchen-halbtrocken‘ niedergerungen.

Klara gratulierte am nächsten Tag Anna und die bedankte sich artig, obwohl Klara den Gedanken nicht loswurde, dass Anna gar nicht den Unterschied zwischen 2020 und 2021 ausmachen konnte.

Neujahrsmorgen. Peter und Klara saßen beim Frühstück. Peter referierte darüber, was er alles Großartiges in 2021 leisten wollte, während Klara dabei die Augenbrauen hochzog und tief seufzte.

Nach dem Frühstück schob auch Peter die Gedanken an schweißtreibende Leistungsstunden weit von sich, schmiss sich auf die Couch, fuhr die Beinauflage hoch.

Er fühlte sich wie in der Kommandozentrale, als er die Fernbedienungen in die Hand nahm und sich einen Film in Netflix aussuchte.

Noch konnte er frei entscheiden. Also durchsuchte er schnell die Thriller, in denen es um Drogen, Serienkiller und Kriegsfilme ging.
Peter liebte es vor allem, sich Filme anzuschauen, die vom Einsatz der Navy Seals handelten.

Er war dann mittendrin im Geschehen. Und während die Spezialkräfte im Film einen Berg hochschnauften überlegte Peter, ob er sich mal auf die andere Seite der Couch bewegen sollte.

„Das ist doch jetzt nicht dein Ernst“, ertönte Klaras Stimme hinter seinem Rücken.

„Mein voller Ernst. Bist du etwa schon in der Küche fertig?“
„Du bist so faul, dass du immer runder wirst“, sagte Klara jetzt.

„Geh laufen!“, sagte sie noch.
„Ja, mach ich, aber nicht mehr heute. Da müssen Vorbereitungen getroffen werden, mit den Stöcken und so.“

Peter schaute unentwegt in den Fernseher, wo die Spannung zum Greifen war.

„Dann schalte jetzt wenigstens den Fernseher um“, sagte Klara.
Peter tat so, als hätte er nichts gehört. Er konnte nicht verstehen, dass Klara so unsensibel war.

Schließlich griff er doch zur Fernbedienung auf schaltete auf „Bares für Rares“ um.

Der Moderator betörte gerade mit seiner tiefen Stimme eine Frau, die Mitte 70 Jahre alt war.
„Gundula, du siehst bezaubernd aus“, hörte Peter noch, während er sich schnell weiter durch die Programme klickte.

„Was willst du denn sehen?“, fragte er Klara, während er sich unbeirrt weiter durch das Programm surfte.

„Na, das eben war doch nicht schlecht“, begehrte jetzt Klara auf.
„Schlecht war das nicht, nur mir wird schlecht, wenn ich es weiter ansehen muss.“

„Dann mach bitte ‚Bettys Diagnose‘ an.
Peter atmete tief durch. Er klickte in der Mediathek die Serie an, legte die Fernbedienung auf den Tisch und erhob sich, um schweren Herzens an seinen Schreibtisch zu gehen.

„Wieso bleibst du nicht unten?“, fragte Klara ihn.
„Ich kann mir das nicht leisten, den ganzen Tag Serien zu schauen“, sagte Peter.

„Ach, und deine Kriegsfilme zählen nicht dazu?“
„Nein, das ist Geschichte, Politik, Weiterbildung, einfach den Blick schärfen für die Welt, wie sie wirklich ist“, sagte Peter nun kurz angebunden.

„Die Hauptsache, du erzählst später nicht diesen Quatsch, wenn Krümel bei uns ist“, sagte Klara.

„Nein, die werde ich für ‚Western‘ begeistern und dann schauen wir unentwegt ‚Winnetou‘, vom ersten bis zum letzten Teil und dann wieder von vorn.“

„Das werden wir ja sehen“, antwortete Klara.

„Wahrscheinlich werden wir die Filme nicht sehen, weil du dagegen bist“, brummte Peter leise, während er sich die Treppe zum Schreibtisch hochschleppte und sich seine Laune mit jeder Stufe, die er erklomm, verschlechterte.

ANNA IST DEMENT

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‚WO IST EIGENTLICH PAPA?‘

ANNA IST DEMENT (67)

Sonntagabend, Klara greift zum Telefon und ruft Anna an.

„Hallo Mutti, alles ‚ok‘ bei dir?“

Klara kam direkt zur Sache. Sie wollte weiter eine Komödie im Fernsehen anschauen und setzte sich dabei selbst unter Zeitdruck.

„Ok, was meinst du damit?“, fragte Anna und Klara ärgerte sich, dass sie nicht mit mehr Ruhe an das Telefonat herangegangen war.

„Geht es dir gut, Mutti, ist alles in Ordnung?“

„Ja!“, antwortete Anna knapp.

„Du hast doch irgendwas, oder?“, hakte Klara jetzt nach.

„Na weißt du, Papa meldet sich gar nicht bei mir. Ich weiß nicht, wo der steckt. Hast du was gehört?“

Klara stockte der Atem. Hatte ihre Mutter sie das wirklich gefragt?

Als Klara sich ein wenig gesammelt hatte, da sagte sie:

„Papa ist seit nunmehr zwanzig Jahren tot.“

Sie machte eine Pause.

„Bist du noch da, Mutti?“, fragte Klara jetzt.

„Ja, aber ‚ich bin ganz von mir ab‘, was du gerade gesagt hast. Wie konnte ich das nur vergessen?“

„Es ist deine Krankheit, Mutti.“

„Ja“, sagte da Anna leise, ohne nachzufragen, welche Krankheit Klara eigentlich meinte.

„Sonst fragt Mutti immer nach“, sagte Klara später zu Peter.

„Wir können es nicht ändern, und es wird uns noch so manches von deiner Mutter schocken.

Und trotzdem müssen wir versuchen, ruhig darauf zu antworten“, sagte Peter, obwohl er selbst einigermaßen erschüttert war.

Klara und Peter schauten die Komödie weiter, in der eine Schauspielfigur sagte:

„Ich weiß nicht, was es ist, aber ich vergesse laufend einzelne Worte.“

„Trink‘ einen, dann vergisst du wenigstens alles“, sagte sein Freund daraufhin.

Klara und Peter mussten darüber schmunzeln, obwohl es ihnen tief im Innern mulmig wurde.

Was würde mit ihnen eines Tages sein, und wer würde sich um sie kümmern?

Sie schauten lieber den Film weiter, als darüber nachzugrübeln und depressiv zu werden.

WENN WIR TRAURIG SIND, WIRD’S AUCH NICHT BESSER

ANNA IST DEMENT (64)

Samstagmorgen.
„Endlich, die Woche ist geschafft.“

Peter atmete hörbar aus, als er das sagte. Klara war noch dabei, das Frühstück auf den Tisch zu stellen, während sich Peter bereits hingesetzt hatte und dabei war, die Füße auf den zweiten Korbstuhl hochzuhieven.

„Wovon bist du denn so kaputt?“, fragte Klara.
„Du bist doch nicht einmal mit der S-Bahn nach Berlin reingefahren“, setzte sie noch nach.

„Ja, das stimmt schon, aber ich habe doch hier am Schreibtisch gesessen und wie verrückt geplant.“

Klara sagte nichts darauf, denn sie fürchtete, dass Peter ihr sofort einen längeren Vortrag darüber halten wollte, wie schwer es sei, von Zuhause aus zu arbeiten.

„Ach, du arbeitest von Zuhause aus?“, hatte Anna ihn schon oft gefragt. Das klang für Peter immer so, als wäre das in ihren Augen keine richtige Arbeit.

Dabei war es oft intensiver am eigenen Schreibtisch zu sitzen und zu arbeiten, als es in einem Bürojob der Fall wäre. Die Ablenkungen sind Zuhause nicht so groß, weil keiner da war, der stören konnte.

Nur Peter selbst konnte das tun, was er auch mehr als einmal am Tag tat.
Peter hatte aber auch keine Lust, dieses Thema erneut zu diskutieren. Seit Corona hatte er ohnehin den Eindruck, dass die Leute der Arbeit im Homeoffice mehr Beachtung schenkten.

„Wie geht es eigentlich Anna?“, fragte Peter stattdessen.
„Ach, alles wie immer“, sagte Klara. Sie klang bedrückt.
„Ist wirklich alles in Ordnung oder ist irgendwas?“, hakte Peter noch einmal nach.

„Ja, es macht einen irgendwie traurig, wenn du erlebst, wie Anna zusehends verfällt, geistig und auch körperlich“, sagte Klara nun doch.

„Aber jetzt stell‘ dir mal vor, wie es Lukas ergeht. Er hat nahezu täglich mit Anna zu tun und es bleibt ja trotzdem seine Mutter. Wenn du es direkt im Gegenüber siehst, dann fühlst du dich ganz anders“, versuchte Peter Klara aufzumuntern.

„Das ist es ja, dass wir nicht viel tun können, eigentlich gar nichts, um die Krankheit aufzuhalten“, sagte Klara.

„Was bringt es uns, wenn wir die ganze Zeit traurig sind?“, fragte Peter.
Klara nickte stumm.

„Wir werden das alles nicht aufhalten, aber wir können etwas für den Moment tun, für Anna und auch für uns.“

Klara wusste, was Peter meinte. Sie fühlte, dass es besser war, selbst in diesen Zeiten glücklich zu sein, das Leben zu genießen und ein Stück dieses guten Gefühls an Anna weiterzugeben.

„Die Demenz ist da, Anna vergisst immer mehr, aber sie hat auch ihre lichten Augenblicke. Und dann sollten wir sie zum Lachen bringen, auch wenn es schwerfällt. Und wir können auch selbst über Annas kuriosen Antworten lachen, denn wir lachen sie ja nicht aus“, sagte Peter.

„Das stimmt, es ist besser, sich auf das Gute zu konzentrieren, denn die Krankheit bleibt so oder so. Und auf diese Weise können wir meine Mutter vielleicht ebenfalls ein wenig glücklicher machen, antwortete Klara.

„Das meine ich doch.“ Peter hatte die Füße vom Stuhl genommen.
„Lass uns den Tag genießen“, sagte Peter und goss Klara Kaffee in die Tasse.

Das Telefon klingelte.
Laura kündigte ihren Besuch an. Sie wollte in zehn Minuten mit Krümel gemeinsam am Bahnhof im Dorf ankommen. Peter biss in das Brötchen, nahm noch einen Schluck Kaffee, verbrannte sich dabei die Zunge und eilte zum Bahnhof.

Wenig später stiegen Krümel und Laura aus dem Zug aus.
Krümel hatte ihren Sturzhelm auf und auf dem Rücken ihren kleinen Rucksack.

„Opa, ich ‚pomme‘“, rief sie schon von Weitem.
‚Das wird ein schöner Tag‘, dachte Peter und fing Krümel auf, die auf ihn zustürzte.

 

DACKEL HANNA WILL NICHT ZU KURT INS AUTO

ALLTÄGLICHES (50-2)

HERTA UND KURT (2)

Kurt hat zusammen mit Hanna das Auto erreicht. Ein Stück weiter ab standen Arthur und Sieglinde und winkten.

„Die können es nicht abwarten, bis sie dich los sind“, sagte Kurt, während der Dackel ihn immer noch anknurrte. Kurt hatte die beiden gebeten, nicht bis zum Auto mitzukommen, damit ihnen der Abschied nicht so schwerfiel.

Außerdem wollte Kurt den Hund als ‚warm-up‘ allein ins Auto bugsieren.

„Nun geh‘ doch schon rein“, brummte Kurt. Dabei lächelte und winkte er Sieglinde freundlich zurück. Die hatte inzwischen ein Taschentuch gezückt, das sie ständig zu ihren Augen führte.

„Jetzt sei mal für einen Augenblick eine ganz brave Hanna. Zeig‘ deinem Frauchen, wie lieb du in Wirklichkeit bist und lass dich von mir in das Auto heben“, sagte Kurt zum Dackel, während der ihn mit unvermindertem Hass anknurrte.

„So, jetzt rollen wir dich hier in die Decke ein und schon bist du auf dem Sitz von Jimmy.“

Hanna bellte nun noch lauter. „Sollen wir dir nicht doch helfen, wenigstens beim Einsteigen?“, riefen Arthur und Sieglinde.

‚Das fehlte noch‘, knurrte Kurt. Das hörte sich jetzt schon genauso wie Hannas Hassgebell an, nur eben leiser.

„Nein danke, alles gut“, rief Kurt laut zurück. Dann erinnerte er sich an die dunkelblaue Decke, die im Kofferraum lag. Sie war mal ein Gratisgeschenk, das Kurt in einer Tankstelle ergatterte. Herta hatte die Decke anschließend an den Seiten zusammengenäht, damit sie darin die Fahrräder im Kofferraum des Autos transportieren konnten.

Sie hatten mit den Jahren eine ausgefeilte Technik entwickelt, wie das jeweilige Fahrrad in die Öffnung der Decke zu bugsieren war. Morgens, um fünf Uhr, war Hertas Fahrrad dran und später dann das von Krimi, Hertas und Kurts Tochter.

Krimi hieß eigentlich Kriemhild, doch dass mochte keiner sagen. Es war Kurts Einfall, sie so zu nennen. Herta wollte ihre Tochter eigentlich Kalinka nennen, denn sie waren gerade von ihrem vierjährigen Aufenthalt aus Moskau zurückgekehrt.

Das fand Kurt auch gut, aber er wollte einen Namen, der ausgefallen war. Heute sagte keiner mehr Kriemhild zu ihr, sondern der Name stand nur noch im Personalausweis, und den würde sie am liebsten auch noch ändern lassen.

Aber jeder kannte sie ohnehin nur als Krimi. Krimis Tochter Emma, die Enkelin von Herta und Kurt,  rief ihre Mutter mit ihren zweieinhalb Jahren manchmal ‚Kiiimi‘, was aber wie ‚Kiwi‘ klang.

Kurt schreckte aus seinen Gedanken hoch, denn Hanna stand noch immer vor der geöffneten Autotür und bellte, was das Zeug hielt. Kurt eilte nun kurz entschlossen nach hinten, öffnete die Hecktür und holte die blaue Decke heraus.

Er machte sie auf, legte sie auf den Boden vor Hanna hin und griff mit beiden Händen nach dem Dackel, der von dem blitzartigen Überfall überrascht wurde.

Kurt kullerte Hanna in die Decke, hob sie mitsamt Decke  mit einem Schwung hoch, und endlich – Hanna landete auf dem Sitz. Sie war nicht mehr zu hören.

Als Kurt die Decke öffnete, um sie herauszuholen, schnappte sie sofort nach seiner Hand. Kurt riss seine Hand vor Schreck und Schmerzen zurück und schaute Hanna verdutzt an, und die blickte wiederum ihn mit ihren großen hübschen Augen an.

Sie hatte aufgehört zu bellen. Sie zuckte ängstlich, in der Erwartung, dass sie wohl einen Hieb bekam. Das musste tief in ihr drinsitzen. Kurt wusste von Arthur und Sieglinde, dass Hanna von ihren Vorbesitzern sehr stark misshandelt worden war und sich deshalb vor allem Männern gegenüber sehr misstrauisch zeigte.

„Also, das war jetzt aber nicht sehr lieb von dir, Hanna“, sagte Kurt, nachdem sie ihn immer noch anschaute, was nun passieren würde. „Wir sind jetzt quitt. Ich hab‘ dich mit der Decke in einem Schwung auf den Sitz befördert und du hast mir dafür deine Fleischerzähne in meine Schreibhand gehauen“, sagte Kurt und staunte selbst, dass er so ruhig blieb.

„Komm‘ Jimmy, lass uns los düsen, auf nach Basdorf“, sagte Kurt, so als würde Jimmy nicht starten, wenn Kurt nicht vorher mit ihm geredet hatte. Kurt kurbelte das Fenster runter, winkte noch einmal zu Arthur und Sieglinde und dann brauste er mit Jimmy davon.

Hanna lag zusammengerollt auf der Decke und von ihr war nur noch ein weinerliches Jaulen zu hören. Kurt drehte den Radioknopf an, ‚Radio B2, Schlagerradio‘.

‚Wir fahren gemeinsam ins Glück, komm‘ lass uns Freunde sein…‘ trällerte eine piepsige Stimme und Kurt summte die eingängige Melodie mit.

Doch Hanna kläffte dagegen sofort an.

„Ist ja gut, wir werden schon noch Freunde, die Frage ist nur, wann“, sagte Kurt zu ihr und schaute dabei in den Rückspiegel.

Hannas misstrauischer Hundeblick verriet, was sie von alledem hielt, was Kurt in ihre Richtung sagte.

SCHREIBEN IN ZEITEN VON CORONA

SCHREIB-ALLTAG

Das Schreiben in der kontaktarmen Zeit von Corona
kann ich auch als Chance begreifen.

Die Bilder im Fernsehen über das Fortschreiten der Pandemie jagen mir einen Schauer über den Rücken.

Ich weiß, dass es kaum ein Entrinnen gibt, auch für mich nicht. Und trotzdem, ich hoffe, dass ich wenigstens glimpflich davonkomme. Das wünsche ich meiner Frau, meiner Tochter, meiner Enkelin, im Grunde genommen allen Menschen. Einfach, dass es irgendwie an uns vorüberzieht.

Aber wird es so sein? Mein Bauchgefühl sagt mir das Gegenteil.
Was soll ich tun? Nur am Schreibtisch sitzen und darüber philosophieren?

Nein. Ich ordne mein Leben neu, gedanklich jedenfalls.
Ich will weiterschreiben. Es gehört einfach zu mir dazu.
Gestern Abend, da lag ich auf der Couch und ließ mich von einem mittelklassigen Thriller berieseln.

„Eigentlich brauchtest du doch nur noch ein wenig Sport machen, lesen und das Schreiben ganz wegfallen lassen. Dafür gehst du eben arbeiten, aufwischen zum Beispiel und das reicht dann.“

Ich finde den Gedanken gut. Und ein paar Stunden hält sich diese Stimmung auch. Aber dann schlägt sie wieder um.
Was will ich wirklich? Was macht mein Leben aus?

Es ist genau das, worüber ich sehr oft fluche, nämlich das Schreiben.
Wie kann ich das attraktiver gestalten, was gibt es für Chancen, trotz der Corona-Krise, oder gerade wegen ihr?

BELLETRISTISCHES SCHREIBEN IM FOKUS

Ich werde mich auf das belletristische Schreiben konzentrieren. Etwas Anderes kann ich jetzt ohnehin nicht tun.
Also schreibe ich, Blogbeiträge, Texte für E-Books.
Ich merke immer stärker, dass ich noch nicht fokussiert genug an die Sache herangehe.

Bisher habe ich überlegt, wie ich dem Leser gefallen kann.
Die großen Marketingexperten sagen dir das.
„Interessiere dich für deine Zielgruppe, schreibe darüber, was sie interessiert.“

Das habe ich nun lange genug gemacht. Obwohl ich auf Keywords bei der Recherche geachtet und mir Themen gesucht habe, die leserfreundlich sind, hat das alles nichts genützt.

Jetzt in dieser aktuellen Zeit werde ich mich neu aufstellen.
Zum einen mache ich mich nicht mehr abhängig davon, ob ich ein E-Book verkauft bekomme oder nicht.

Und: Ich schreibe ausschließlich kleine Geschichten, die aus dem Alltag sind, so wie ich es schon längst wollte.

Wie ich das nun wirklich mal intensiver voranbringe, darüber denke ich im nächsten Beitrag nach.

 

SCHREIB-ALLTAG

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PLÖTZLICH EIN HERRLICHER TAG

2020.02.13

Hallo Krümel, hier ist Jeepy.
Das war vielleicht ein Tag. Weißt du noch, als wir vorgestern gemeinsam Eis essen waren?

Du hast mich umarmt und ‚Jiiiiipi‘ gerufen, als du mich gesehen hast. Dabei war ich so dreckig und du hast dich trotzdem mit deinem Ski-Anzug an mich herangeschmissen.

Es fing ja damit an, dass du und deine Mama einen Ausflug zu mir und meinem Fahrer ins Dorf gemacht habt, aus der großen Stadt Berlin. Und da musstet ihr eine Weile fahren und laufen. Aber ihr wolltet uns ja unbedingt überraschen.

Und mein Fahrer, dein Opa, war auch sehr erstaunt, als du plötzlich allein vor der Tür gestanden hast.
Es klingelte, dein Opa telefonierte, er unterbrach das Telefonat und ging die Treppen hinunter.

Da stand ein kleines Mädchen und schaute durch die Scheiben. Ja, dein Opa, der hatte wieder eine lange Leitung. Bevor der begriff, dass es sein Krümel war, da vergingen ein paar Sekunden.

Aber dann war die Freude groß. Mein Fahrer ließ sofort alle Stifte fallen, machte den Computer aus und hat mit dir gespielt.
Später fragte er: „Wollen wir Eis essen fahren?“
Und du hast gleich gerufen: „Ja, Eis.“

Also sind wir ins Auto gestiegen, in das Linden-Center nach Hohenschönhausen gefahren. Dort haben wir uns große Eisbecher bestellt.
‚Wir‘ ist hier nicht richtig, nicht ganz jedenfalls. Ich musste ja in der Hochgarage stehen und warten.
Aber es war wohl lustig. Jedenfalls habt ihr ganz schönen Krach gemacht, laut gelacht und ein bisschen gespielt.

Danach sind wir noch Rolltreppe gefahren, weil du das so gern magst.

Schließlich seid ihr wieder alle zu mir ins Auto gestiegen und mein Fahrer hat uns alle nach Hause gesteuert.

Als er bei sich im Dorf war, da sagte er vor sich hin: „Ich habe heute nichts geschafft, aber es war ein herrlicher Tag.“
Das finde ich auch, Krümel. Und ich freue mich, wenn wir das mal wieder mal machen.

Mach’s gut bis dahin.
Dein Jeepy oder wie du mich rufst: ‚Jiiiipi‘

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JEEPYS FAHRER WEISS MAL WIEDER ALLES BESSER, DENKT ER JEDENFALLS

2019.03.07

Hallo Krümel, hier ist Jeepy. Jetzt ist die Woche schon fast wieder rum und ich hoffe, dir geht es gut im Kindergarten und Zuhause, bei Mama.

Naja, einmal hat mein Fahrer dich ja gesehen, über Skype. Da hast du den Computer umarmt, weil du dachtest, dahinter ist dein Opa, also mein Fahrer, versteckt.

Das hat meinen Fahrer sehr amüsiert und er hat danach richtig viel Schwung bei der Arbeit gehabt.

Aber ich wollte dir doch noch zu Ende erzählen, wie es in der letzten Woche weiterging, nachdem wir zurück in den Prenzlauer Berg mussten.

Erinnerst du dich? Mein Fahrer wollte dort die Tastatur austauschen, weil sie ja nicht funktionstüchtig war. Mein Fahrer ließ mich in der Tiefgarage zurück und eilte in das Einkaufscenter.

„Ich möchte diese Tastatur umtauschen. Die funktioniert nicht“, sagte mein Fahrer zu dem Verkäufer.

„Sie haben mich doch auch vor zwei Stunden beraten, richtig?“, hakte er noch nach.

„Hm“, brummte der und verzog sein Gesicht, als hätte er gerade in eine Zitrone gebissen.

„Was haben Sie denn mit der Tastatur angestellt, die ist doch ganz einfach zu bedienen?“, fragte der Verkäufer jetzt meinen Fahrer.

Der pumpte sich gerade hoch. Also sendete ich aus der Tiefgarage meine Signale: „Bleib ruhig, denk an deinen Blutdruck, es geht hier nur um eine Tastatur und nicht um etwas Existenzielles.“

Aber der hörte das zwar, ignorierte das jedoch komplett.
„Ich bin jetzt richtig neugierig, was sie mit der Tastatur anstellen, um mir zu zeigen, was für ein Fachmann Sie sind“, sagte mein Fahrer.

„Ach, das haben wir gleich. Geben Sie mal her“, antwortete der Verkäufer leicht gereizt.

Mein Fahrer reichte das Paket mit der Tastatur rüber und wartete gespannt, wie es nun weiterging.

„Bedienungsanleitung?“, fragte der Verkäufer.
„Drinnen“, antwortete mein Fahrer ebenso knapp.
„Brauchen Sie aber gar nicht zu schauen.“

„Warum nicht?“
„Weil kein Deutsch draufsteht.“
„Gibt es auch in Deutsch“, sagte der Verkäufer.
„Gibt es nicht.“
„Doch.“
„Nein.“

„Wollen wir wetten, dass kein Deutsch draufsteht?“, fragte mein Fahrer.
„Wenn die Anleitung auch in Deutsch ist, dann nehme ich die Tastatur ungesehen wieder mit, egal, ob sie geht oder eben auch nicht.“

„Gut“, sagte der Verkäufer. Er machte den Karton auf, holte die Anleitung raus und zeigte mit dem Finger auf die rechte Seite des Blattes.

Dort standen tatsächlich ein paar deutsche Sätze.
„Das gibt’s doch nicht.“ Mein Fahrer war verblüfft. Der Verkäufer schmunzelte.

„Sie müssen hier auf die Taste ‚Fn‘ gehen und oben auf die Taste eins. Dann halten Sie das Ganze drei Sekunden gedrückt und schon gibt es eine Verbindung.“

„Können Sie mir das vorführen?“
„Kann ich.“

In wenigen Handgriffen brachte der Verkäufer die Tastatur zum Laufen und schrieb munter darauf herum. Mein Fahrer muss so blöd geschaut haben, dass der Verkäufer anfing zu lachen.

Dann lachten sie beide.
„Soll ich die Tastatur in den Karton zurückschieben, das geht immer so verdammt schwer“, fragte der Verkäufer meinen Fahrer.

„Nein, lassen Sie mal. Die nehme ich jetzt gleich so mit.“
Mein Fahrer bedankte sich noch einmal und verließ leichten Schrittes den Media- Markt.

Für ihn war klar, selbst wenn die Tastatur Zuhause nicht funktionierte, noch einmal zurück würde er nicht in den Laden zurückfahren.

Die Straßen waren jetzt verstopft. In Berlin hatte der Feierabendverkehr eingesetzt. Nach zwei Stunden ‚stop and go‘ hatten wir es geschafft.

Ich stand wieder im Carport. Wenig später hörte ich von oben einen Jubelschrei. Die Tastatur funktionierte.

Bis zum nächsten Abenteuer mit deinem Fahrer und mir, lieber Krümel, sage ich Tschüss,
Dein Jeepy.

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JEEPY ERZÄHLT VON SEINEN ABENTEUERN MIT DEM FAHRER

JEEPY-2019.02.28

RÜCKBLICK:
Der Fahrer von Jeepy schreibt Krümel einen Brief und erinnert sich darin an die früheren Autos, die er gesteuert hat.
EINSTIEG:
Jeepy erzählt, wie sich sein Fahrer beim Kauf einer Computer-Tastatur im Prenzlauer Berg umständlich angestellt hat.

Hallo Krümel, dein Opa, also mein Fahrer, der kommt nicht aus dem Knick mit dem Erzählen. Also nehme ich das ab jetzt selbst in die Hand.

Langsam reicht es mir, dass er nur von Orli, dem BMW, dessen Freundin Berlinga und Bobby, dem Mercedes-Geländewagen, erzählt. Ich bin doch auch noch da, und zwar jeden Tag.

Neulich bist du ja auch mitgefahren, dir wurde schlecht, und das Ergebnis ist heute noch auf dem Kindersitz zu betrachten. Dein Opa, mein Fahrer, wollte zwar längst alles gereinigt haben, aber davon ist nicht viel zu merken.

Heute hat er mich zwar gewaschen, danach innen gesaugt, meine Fensterscheiben geputzt, mir Putzmittel in die Bullaugen vorn gespritzt, dass ich stark niesen musste, aber den Kindersitz, den hat er links liegen gelassen.

Und gestern, da hat er mich richtig gestresst. Am Vormittag schien die Sonne so schön und mein Fahrer hatte keine Lust mehr am Schreibtisch zu sitzen, um an den Texten herum zu feilen. Kommt ohnehin nichts bei raus.

„Jeepy, wir fahren jetzt in die Schönhauser und ich lass mir eine anständige Frisur verpassen. Anschließend schauen wir mal im Einkaufscenter vorbei, ob wir nicht eine gute Tastatur bekommen“, sagte er zu mir.

Wenn das Klara wüsste, die würde gleich aufschreien.
„Du hast mehr als 10 Tastaturen im Keller liegen“, würde sie sagen. Aber nun ist sie nicht da, und der ‚Herr‘ ‚dreht am Rad‘, vor Langerweile.

Wir sind also losgefahren. Es ging prima vorwärts und wir waren nach zwanzig Minuten in der Tiefgarage im Prenzlauer Berg angekommen. Ich musste da unten warten.

Aber ich kriege trotzdem alles mit. Und wenn nicht, erzählt mir der Fahrer anschließend das, was ich noch nicht weiß.

Im Friseursalon war es recht ruhig und so war dein Opa recht frühzeitig wieder raus dem Laden, in dem er seit über sieben Jahren zum Haareschneiden geht.

„Sie müssen die Haare nach vorn tragen“, sagte die Friseuse zu ihm.

„Warum?“, fragte mein Fahrer.
„Weil sie ein ziemlich langes Gesicht haben.“
„Ja, das stimmt, ich habe des Öfteren ein langes Gesicht“, sagte der.

Schließlich schlenderte dein Opa die Schönhauser entlang, Richtung Einkaufscenter. Die Menschen gingen alle gemächlich und genossen die pralle Frühlingssonne.

„Haben die denn alle nichts zu tun?“, fragte sich mein Fahrer. Nein, so wie du auch, dachte ich, als mir das zu Ohren kam. Dein Opa lief zielstrebig auf den Computerladen zu.

„Haben Sie eine Tastatur, die über eine Bluetooth-Tastatur verfügt“, fragte er.

„Natürlich“, antwortete der Verkäufer. „Sogar mehr als eine.“ Dein Opa ging fröhlich zur Kasse und war im Nu wieder draußen. Leise summend ging er in Richtung Tiefgarage.

Er trainierte die Melodie von „Stups, der kleine Osterhase“ aus. Er will es dir dann abends vorsingen, aber sei nicht so streng mit ihm, denn die Melodie ist gar nicht so leicht.

Schließlich kam er bei mir an.
Vorher hatte er noch bezahlt und die Tastatur oben auf dem Parkautomaten abgelegt.

Als wir bereits wieder auf dem Rückweg waren, da bremste mein Fahrer urplötzlich, sodass mir ganz schlecht davon wurde. Er griff nach hinten, kugelte sich bald den Arm aus, aber er fand eines nicht: die Tastatur.

„Verdammt, die muss ich liegengelassen haben. Auf dem Parkautomaten“, schoss es ihm durch den Kopf.

Jetzt wendete er an der nächsten sich bietenden Gelegenheit.
Und das kannst du nicht so wörtlich nehmen, Krümel. Wir mussten nämlich erst einmal ein ganzes Stück geradeaus fahren.

Dann endlich, mein Fahrer wurde mutig, schwenkte er scharf nach rechts, Richtung Bordsteinkante und ich hatte Angst, dass ich mit meinen Hacken, äh, ich meine, den Reifen gegen die Bordsteinkante gedrückt wurde.

Mein Fahrer sprang aus dem Auto, rannte in Richtung Tiefgarage, um so schnell wie möglich am Parkautomaten zu sein.
Aus den Augenwinkeln beobachtete er noch, wie ein Mann vom Ordnungsamt die Parkausweise kontrollierte. Darauf konnte er jetzt aber keine Rücksicht nehmen.

Mein Fahrer riss die Tür vom Eingang zum Parkautomaten auf, und er sah sofort oben die Tastatur liegen. Gut gelaunt ergriff er sie und war schon wieder draußen.

Zwei Bettler schauten ihn fragend an. Sie saßen direkt gegenüber dem Eingang vom Parkautomaten, was strategisch für sie sicher eine gute Position zum Betteln war.

„Es gibt noch ehrliche Menschen“, sagte mein Fahrer zu ihnen.
„Oh ja“, riefen die Bettler zurück und meinten offensichtlich sich selbst.

Mein Fahrer kam zurückgestürzt, öffnete meine hintere Tür, nahm das Portemonnaie und fingerte je zwei 1-Euro Stücken heraus.

Er lief zurück zu den Bettlern und drückte sie ihnen in die Hand. So glücklich war mein Fahrer darüber, dass er die Tastatur wiedergefunden hatte.

Die schauten ihn verdutzt an und über ihr Gesicht huschte ein dankbares Lächeln. Mein Fahrer fühlte sich gut und sprintete zu mir zurück. Als er bei mir angekommen war, steuerte der Mann vom Ordnungsamt auf uns zu.

„Ich bin gleich weg“, rief ihm mein Fahrer zu. Der nickte stumm und verschwand. Wieder mal Glück gehabt, dein Fahrer.

„Los Jeepy, lass uns schnell losfahren. Auf ins Dorf, da wo wir Zuhause sind“, sagte mein Fahrer und drückte auf mein Gaspedal.

Aber wenn du glaubst, dass dies alles war, lieber Krümel, dann muss ich dich enttäuschen.

Wir mussten nämlich noch einmal zurück in die Schönhauser. Das erzähle ich dir das nächste Mal.
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DER FAHRER VON JEEPY ERZÄHLT WEITER ÜBER ORLI

JEEPY-2019.02.22

ORLI FLIEGEN AUF DEM KOPFSTEINPFLASTER FAST DIE NOCKEN VON DER WELLE

Montagmorgen. Orli steht in der Tiefgarage und hat die Augen zu. Vom Renault, der kleinen Berlinga, ist noch nichts zu sehen.

Plötzlich quietschen die Reifen im unteren Parkdeck und wenige Augenblicke später kurvt Berlinga auf den Parkplatz und hält direkt neben Orli.

„Guten Morgen, du bist ja schon hier“, sagt Berlinga noch ein wenig außer Puste.

„Moin“, brummt Orli verschlafen.
„Warum bist du denn so mürrisch, Orli?“

„Och weißt du, meinem Fahrer fiel es ein, dass wir schon am Sonntagabend nach Bad Hersfeld zurückfahren wollen.“

„Na, dann hast du ja eine Strecke hinter dir. Bist du nicht an der Ostsee gewesen?“

„Ja, bin ich.“

„Ich bin am Donnerstag von hier aus nach Hause gedüst, zurück nach Brandenburg. Und am nächsten Tag ging es weiter nach Rügen.“

„Was magst du denn an Rügen so sehr?“

„Wir haben dort einen Bungalow und ich kann mit bis in den Garten hineinfahren.“
„Wirklich?“

„Ja, stehe dann auf einer Auffahrt, die mit viel Grün berankt ist. Aber ich komme da immer so schwer rauf.“

„Warum, weil du so dick bist?“, fragte Berlinga lachend.
„Nein, aber die Tore sind sehr eng und da muss mein Fahrer immer sehr aufpassen, dass ich heil an den Pfosten vorbeikomme.“

„Und was hat dir besonders Spaß gemacht, in Polchow auf Rügen?“
„Nun, mein Fahrer, Laura und ich sind zum Hafen gefahren. Unterwegs haben wir die Musik schön laut gestellt, damit alle mitsingen können.“

„Hast du mal mitgesungen, Orli?“
„Naja, meine Kolben vom Motor haben den Takt mitangegeben.

Aber ich musste ganz schön aufpassen.“
„Warum?“

„Weil wir zum Schluss auf eine Straße abgebogen sind, die schnurstracks zum Hafen führt. Sie ist übersät mit jahrhundertealten Steinen, Kopfsteinpflaster eben.

Da kannst du nur ganz langsam rüberfahren. Ich hatte Mühe aufzupassen, dass nicht meine Backenzähne, äh, meine Nocken von der Welle flogen.“

 

JEEPY ERZÄHLT VON ORLI UND DESSEN FREUNDIN BERLINGA

JEEPY-2019.02.21

RÜCKBLICK:
Die Geschichte von Jeepy beginnt damit, dass sein Fahrer Krümel einen Brief schreibt, den sie später lesen soll, wenn sie größer ist.

https://uwemuellererzaehlt.de/2019/02/02/jeepy-2019-02-02
EINSTIEG:
Orli, der frühere BMW des Fahrers von Jeepy und Berlinga, der kleine Renault, freunden sich bei einer Panne an, als nämlich Berlinga einen Reifen auf der Autobahn geplatzt war.

Hallo Krümel, hier ist wieder Jeepy, dein Freund.
Ich erzähle schon jetzt mal ein paar Geschichten für dich, die du später lesen kannst, oder deine Mama liest sie dir vor.

Sie macht das wohl jetzt schon und du lachst sie manchmal dazu an. Das ist doch schon was. Die Zeit rennt und ehe wir uns umgesehen haben, da sitzt du bei mir auf der Schreibtischplatte im Arbeitszimmer und ich lese dir eine Geschichte vor.

Dein Opa hat früher deiner Mama immer Geschichten von den Autos erzählt, die sie hatten.

Plötzlich nahmen sie menschliche Gestalt an und dein Opa, mein heutiger Fahrer, konnte mit ihnen gemeinsam herrliche Abenteuer erleben. Er war viel unterwegs, sehr viel sogar.

Dein Opa hatte schon mehrere Autos, bis ich kam, wie du ja schon aus meinen Erzählungen weisst.

Da waren der kleine Trabbi, den er mit Latexfarbe innen gestrichen hat, dann war es Flippi, der weiße Lada, mit dem alle sehr gern gefahren sind.

Nach der Wende dann kam Orli, ein großer BMW. Den hatte dein Opa, weil er sehr viele Kilometer fahren musste.

Schließlich trat Bobby, der dicke Geländewagen in das Leben deiner Mama, deiner Oma und deinem Opa.

Dein Opa hat mir erzählt, wie Orli in einer Tiefgarage in Bad Hersfeld stand und den kleinen Renault, Berlinga sah.
Orli wollte unbedingt ihr Freund werden.
Berlinga aber war anfangs hochnäsig, bis zu dem Tag, an dem ihr der hintere rechte Reifen auf der Autobahn platzte und Orli vorbeikam.

Von weitem näherte sich der gelbe Abschleppwagen und alle atmeten auf.

„Das kriegen wir schnell hin“, sagte der Monteur und hatte in Windeseile die Muttern von Berlingas hinterem Reifen gelockert.
Nach ein paar Minuten konnte Berlinga wieder richtig stehen und hatte keine Schmerzen mehr.

„Weißt du eigentlich, dass du es dem langen BMW zu verdanken hast, dass dir so schnell geholfen wurde?“, fragte der Fahrer von Berlinga sie.
„Ja, weiß ich. Ich kenn den.“
„Woher kennst du ihn?“

„Wir standen manchmal beieinander, in der Tiefgarage. Da ist er mir auf die Nerven gegangen, weil er so viel erzählt hat.“
„Ach, das ist ja interessant“, staunte Berlingas Fahrer nicht schlecht.

„Und, willst du nicht wenigstens bei ihm bedanken?“, hakte Berlingas Fahrer weiter nach.

„Ja, mach‘ ich“, sagte Berlinga leise und schämte sich jetzt.
„Du, danke, dass du angehalten hast und du deinen Fahrer dazu gebracht hast, dass der den Abschleppdienst holt.“

„Schon gut“, antwortete Orli verlegen.

„Kommst du mit mir am Samstag mit zur Autoschau in Bad Hersfeld?“, fragte Berlinga.

„Würde ich ja gern. Aber mein Fahrer will am Wochenende nach Hause. Der fährt nachts auf der A2 immer wie eine besengte Sau und ich komme ganz außer Puste.“

„Schade, dass du nicht mitkommen kannst. Na, dann bis nächsten Montag in der Tiefgarage an der gleichen Stelle“, sagte Berlinga noch.
„Ja, an der gleichen Stelle“, erwiderte Orli, bevor sein Fahrer sich ins Auto wuchtete, den Motor anließ und Orli davonbrauste.

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JEEPY – WIE ALLES BEGANN

JEEPY-2019.02.02

Der Beginn der Geschichte über Jeepy: Der Fahrer von Jeepy erzählt Krümel, warum er kleinere Geschichten über das Auto schreiben will. Und darüber, was er mit Jeepy für Abenteuer erleben möchte.
AUDIO
https://uwemuellererzaehlt.de/2021/05/23/audio-2021-02-23/

BRIEF AN KRÜMEL

Lieber Krümel, während ich hier an dich einen Brief schreibe, da tobst du noch im Kindergarten herum.

Vielleicht schläfst du ja auch noch. Es ist gerade Mittag. Oder bist du schon wach? Bald holt deine Mama dich ab, und du wirst juchzen vor Glück, wenn du sie siehst.

Weißt du noch, als ich dich abgeholt habe? Wie wir mit dem falschen Kinderwagen losgefahren sind und ich deine Hose und deine Schuhe mit denen vom Nachbarkind verwechselt habe?

Aber du hast in der Situation gemächlich an deinem Kuchen herumgekaut und ich musste vor lauter Verzweiflung die kleinen Stücke, die du gleichmäßig auf dem Boden verstreut hast, aufheben und schnell in meine Hosentasche stopfen.

Manchmal finde ich noch heute ein paar Krümel davon.  Aber das macht nichts. Ich denke dann sofort an dich und wie du mich umarmt hast, in dem Moment, wo ich dich auf die Wickelkommode gehievt habe, um dir deine Hose besser anzuziehen.

Jetzt ist mir wieder etwas eingefallen, was ich längst tun wollte. Nämlich kleinere Geschichten zu erzählen, die wir mit „Jeepy“ erlebt haben und noch erleben werden.

‚Jeepy‘ ist unser kleiner Geländewagen, der hier draußen unter dem Carport steht und friert. Den Namen hat er von deiner Mama bekommen.

Weißt du früher, da habe ich immer für deine Mama, Laura, kleinere Geschichten über unsere Autos geschrieben. Die hatten ja alle Namen.

Nur der Trabbi nicht. Wir dachten damals, das müsste nicht sein, denn wir würden ohnehin bis ans Lebensende nur diesen einen Wagen fahren.

Dafür habe ich ihn von innen mit schöner Latexfarbe gestrichen, also nur den Kofferraum. Denn am nächsten Tag fuhren wir in den Urlaub nach Thüringen.

Da sollte alles frisch renoviert sein. Ich kann mich noch erinnern, wie deine Oma aufschrie und dann schrill kreischte. „Das kann doch nicht wahr sein!“ Doch, war es aber.

Gut, die Farbe war nicht ganz trocken geworden und so blieb etwas davon an den Koffern kleben, als sie diese im Kofferraum verstauen wollte.

Oma sah mich an, als wollte sie mich auf der Stelle umbringen. Aber du siehst, ich lebe noch und kann dir davon erzählen.

Später kam dann ‚Flippi‘, der Lada. Danach war ‚Orli‘ an der Reihe, der lange BMW. Davon berichte ich dir später noch. Da war in der Mitte ein Telefon eingebaut.

Und ich habe mich hinten rechts hingesetzt, um wie ein Generaldirektor zu fahren und währenddessen zu telefonieren.

Das klappte aber nur, wenn ich auf dem Parkplatz stand. Ich hatte ja keinen Chauffeur.

Schließlich war ‚Bobby‘ dran. Mit dem sind wir 15 Jahre gefahren. Das war ein großer Geländewagen, sehr gemütlich und robust.

Damit bin ich sogar noch nach Berlin-Buch gefahren, um dich nach deiner Geburt zu begrüßen. Doch zuvor, in der Nacht, da sind wir über die menschenleeren Straßen gesaust – deine Mama, Oma und ich.

 

Du warst noch im Bauch deiner Mama. Am nächsten Morgen hörten wir die ersten Schreie von dir und nachmittags haben wir dich dann in der großen Wiege gesehen.

Das Bett war eigentlich nur ein kleines ‚Bettchen‘. Aber du warst noch kleiner. Das hat Bobby alles miterlebt. Er stand immer in deiner Nähe, auf dem Parkplatz in Buch.

Jetzt fährt er wahrscheinlich in Afrika umher, auf unbefestigten Straßen und verflucht mich. Wenigstens wird ihn keiner mehr anpöbeln.

Manchmal bekam er verachtende Blicke, weil er ein Diesel war und die Menschen, nur vereinzelt, natürlich,  ihn deshalb beschimpften. Na ja besser gesagt, mich. Aber ich habe meine Ohren zugeklappt.

Und nun also ‚Jeepy‘. Wieder ein Geländewagen. Ein Benziner. Nur kleiner eben. Wir denken eben auch an die Umwelt.

Damit sind wir schon gemeinsam bis zur Ostsee in den Urlaub gefahren.

Das weißt du nicht mehr. Du hast meist geschlafen, während ich über die Autobahn gedüst bin.

Irgendwie muss ich deine Mama noch davon überzeugen, dass sie mir mal ein schönes Bild von ‚Jeepy‘ macht. Naja, das kriegen wir schon alles hin.

Später, wenn du größer bist und lesen kannst, dann liest du die Geschichten hoffentlich. Und vorher lese ich sie dir eben vor, oder Mama macht das.

Wenn es gut läuft, dann machst du vielleicht die Sirenen von deinem Feuerwehrauto an, und außerdem das Heulen dazu, von der Dampflokomotive.

Glaub‘ mir, in dem Moment ist es wirklich egal, was wir sagen. Es hört ja doch keiner mehr etwas.

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KOTELLET – DAS IST JA WOHL DAS LETZTE (2)

ANNA-2018.11.18

Was sollte Peter jetzt antworten? Und vor allem: Wie sollte er reagieren? Barsch? Brutal, laut?

Oder eher ruhig, besonnen, vielleicht sogar sanftmütig? Jetzt konnte er Anna ja endlich mal sagen, wie es ihm auf die Nerven ging, wenn sie sich für nichts interessierte – als für die Blumen auf ihrem Balkon.

Sonst war Klara meist dabei, wenn Peter sich anschickte, den rhetorisch Schwächeren in die Zange zu nehmen.

Sie hatte deshalb ein Herz für die, die nicht so redegewandt wie Peter reagieren konnten. Sie half darum nicht Peter, sondern denen, die mit Peter einen Disput begannen, die ihn oft überhaupt erst provozierten.

Sie kannte Peter. Sie wusste, dass der sich zwar schon seine Antwort zurechtgelegt hatte, dass seine rhetorischen Truppen längst zum Angriff bereit waren.

Doch sie wusste eben auch, dass er sich zunächst zurückhielt, zum Schein zurückzog. Er senkte in solchen Momenten seine Stimme, ’stopfte sich Kreide in den Mund‘, damit der Feind eingeschläfert wurde.

Er lullte quasi sein Gegenüber ein, damit der noch leichtfertiger wurde und nicht darüber nachdachte, was er noch so alles sagte, was noch an leichtfertigen Gedanken über dessen Lippen kamen.

Der Zeitpunkt für den Gegenangriff war aber nun gekommen.

Peter hielt den Hörer in der Hand, am anderen Ende faselte Anna etwas von ‚so einsam‘ und er versank in einen Traum, in eine unwirklich anmutende Geschichte.

Einer Geschichte, die sich vor Jahrhunderten hätte so abspielen können.

Geben wir Peter in dieser unwirklichen Geschichte den Zusatz ‚Peter, der Entschlossene‘. Dieser war hoch oben auf seinem Pferd vor der Schlachtordnung.

Hinter ihm seine Getreuen, auf die er sich verlassen konnte. Seine Generäle, seine Soldaten. Und dann war da noch seine Frau, die mit ritt in die Schlacht. Sie saß auf einem Pferd, abseits von Peter. Nennen wir sie einfach ‚Sieglinde‘.

Und plötzlich passierte das Unfassbare. Sieglinde löste sich mit ihrem Pferd aus der Schlachtordnung und ritt in Richtung des Gegenübers, des Feindes. Deren Anführer soll der ‚Eiserne Gustav‘ heißen.

Sieglinde ritt also auf den Eisernen Gustav zu und winkte ihm fröhlich entgegen, mit einem Tuch, das sie auch noch selbst bestickt hatte. Der gegnerische Feldherr argwöhnte: „Was wollte Sieglinde, die Angetraute von Peter, dem Entschlossenen?“

Doch den Eisernen Gustav überkam die Neugier. Er übergab das Kommando seiner Truppen an seinen Marschall und ritt Sieglinde entgegen.

„Was willst du? Wir werden euch zermalmen, mit unseren mächtigen Reiterscharen!“, brüllte er schon von weitem.

„Gewiss doch, lieber Eiserne Gustav.“
„Aber ihr müsst euch nicht auf dem Schlachtfeld fetzen, du und mein Peter.“

„Warum nicht?“ Eiserner Gustav war verwirrt.
„Weißt du, mein Mann, der meint das nicht so. Im Gegenteil. Der mag dich sogar. Ein bisschen jedenfalls.“

Sieglinde fährt fortzureden, während ihr der Eiserne Gustav zuhört.
„Peter weiß, dass du der Klügere und der Stärkere bist. Kehrt einfach nach Hause zurück, zu euren Weibern und Kindern und besauft euch nach Herzenslust.“

Eiserner Gustav schaute verdutzt. Dann drehte er sich um und rief seinen Generälen entgegen: „Wir greifen nicht an. Wir drehen um.

Wir haben schon gesiegt. Sieglinde hat gesagt, Peter, der Entschlossene hat sich in die Hosen gepullert und ist indisponiert.“

Die Truppen vom Eisernen Gustav und seine Pferde wieherten vor Lachen und stoben auseinander, trotteten nach Hause.

Peter, der Entschlossene schäumte vor Wut, als Sieglinde zurückkam.

„Was erlaubst du dir, Weib?“

„Ärgere dich doch nicht Peter. Ich habe Gustav gesagt, dass du ihn zermalmen wirst, und dass nichts übrigbleibt von ihm und seinem Volk.

Da hat er es mit der Angst gekriegt und ist lieber geflohen. Wir haben jetzt kein Blut vergossen, unsere Kräfte geschont und können weiter unsere Ziele verfolgen.“

„Welche Ziele?“, fragte Peter, der jetzt Schwankende.
„Na, die Ernte einbringen, Geld verdienen.“
„Und dann?“

„Dann gut leben, Gustav in seinem Glauben belassen, er sei in Wahrheit der Stärkere und mit gutem Sold mehr Soldaten anlocken, damit wir für den Fall der Fälle gut gerüstet sind.“

„Wir sollten überlegen, ob Sieglinde nicht mehr zu sagen bekommt, in unserem Kriegsrat“, flüsterte Peter seinem treuesten General zu.“

„Noch mehr, mein König“, erwiderte der, „sie beherrscht doch faktisch schon immer unser Reich.“

Peter wachte auf aus seinem Traum.
„Bist du noch da?“, fragte ihn Anna.

„Ja, ja. Ich bin noch da. Weißt du, Anna, du hast Recht. Was für ein Quatsch mit dem Kotelett! Aber sag‘ mal, wie ist eigentlich das Wetter bei euch?“

„Und, wie war es heute mit Anna am Telefon?“, fragte abends Klara.
„Du wunderbar, ich hatte alles im Griff. Du weißt ja, sie erzählt manchmal schon wirres Zeug. Und ihr Charakter verändert sich auch durch die Demenz.“

„Gott sei Dank, dass du da nicht mit der Faust draufhaust und unnötiges Porzellan zerschlägst“, erwiderte Klara

„Das traust du mir zu?“, fragte Peter.
Klara seufzte nur und Peter ging in sein Zimmer, zufrieden mit dem, wie das Telefonat mit Anna gelaufen war.

„Morgen, da werde ich Anna sagen, dass es zum zweiten Frühstück auf See immer Steaks gab, mit Bratkartoffeln. Ja, das war gut“, dachte Peter.

Er konnte nicht aus seiner Haut. Jedenfalls nicht ganz. Aber er konnte ja noch eine Nacht drüber schlafen. Morgen, da würde das Spiel von vorn beginnen.

„Du, wir können Anna gar nichts mehr vorwerfen. Wir sind die Klügeren“, sagte Peter beim Zähneputzen zu Klara.

Klara schwieg. Sie traute ihm intellektuell so einiges zu. Nur seiner Rauflust, der traute sie nicht.

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KOTELLETT – DAS IST JA WOHL DAS LETZTE (1)

ANNA-2018.11.17

Peter schlug Anna vor, sich zum zweiten Frühstück ein Kotelett zuzubereiten und erntete Unverständnis.

Peter rief bei Anna an. Wie jeden Tag. Schließlich hatte er es Klara versprochen, kurz bei Anna durchzuklingeln, zu hören, wie sie drauf war und ob sie etwas zum zweiten Frühstück aß. Sie vergaß es in letzter Zeit immer häufiger.

Dabei war er im Stress und musste sich regelgerecht von den anderen Sachen losreißen.

Er hatte diesmal besonders viel zu tun. Da musste er noch die Fakten zur Ukraine recherchieren, für den geschichtlichen Hintergrund zum Interview mit der Prima Ballerina und er wollte unbedingt wieder Ordnung in seine Pressemitteilungen bringen.

„Wann willst du endlich wieder anfangen, Geld zu verdienen?“, hatte Klara ihn erst kürzlich gefragt.

„Lass doch, dann haben wir weniger Umsatzsteuer zu zahlen“, meinte Peter.

„Und weniger im Portemonnaie“, sagte Klara.

„Du kannst es nicht lassen, mir damit auf die Nerven zu gehen“, antwortete Peter. Er ärgerte sich über Klara und über sich selbst.

Durch seine Krankheit war einiges liegengeblieben.

Aber als erstes arbeitete er nicht etwa das auf, was Geld brachte, sondern das, was ihm Spaß machte. Klara wusste das. Und Peter wusste es auch.

„Jetzt bin ich schon Rentner und ackere mehr als früher“, sagte Peter.

„Du hast gesagt, dass du im Monat locker ein paar Hundert Euro zusätzlich reinbringst.“

„Locker? Das soll ich gesagt haben?“

„Das hast du gesagt und deine gönnerhafte Handbewegung gemacht“, erwiderte Klara.

„Ach, lass mich doch zufrieden. Wenn ich mich einen Tag ans Telefon schwinge, dann wirst du schon sehen.“

„Ja, wenn. Aber ich sehe überhaupt nicht, dass du irgendwelche Anstalten machst.“

Klara gab sich kämpferisch und ließ nicht locker: „Du schreibst nur über das, was dir Spaß macht.“

Peter antwortete nicht mehr.
Und nun saß er am Schreibtisch, hatte ein Haufen to-do-Listen geschrieben und geplant, wann er welchen Kunden mit welchem Ziel erreichen wollte.

Peter hätte auch einfach den Telefonhörer aufnehmen können. Aber das passte nicht zu ihm. Er musste erst eine Struktur schaffen, planen, um ein gutes Gefühl zu haben.

„Schreibst du schon wieder Pläne?“, fragte ihn Klara in so einem Moment, wenn sie sah, wie Peter Papiere auf dem Schreibtisch hin- und herschob.

Peter kam gut voran. Er unterbrach seine Arbeit, um Anna anzurufen.

„Wie geht es dir?“, fragte Peter, nachdem sich Anna am Telefon gemeldet hatte.

Stille. Nach einer Weile: „Och, weißt du, es geht so.“

„Na, du bist wohl heute nicht so gut drauf?“, fragte Peter.

„Nö!“, sagte Anna.

„Was ist denn?“

„Ich bin so allein.“

„Ja, allein. Warum gehst du denn nicht mal raus, vor die Tür. Danach ist alles anders.“

„Keine Lust.“

Peter stutzte. Der Ton gefiel ihm nicht. Er ließ sich nichts anmerken.

„Hast du denn schon dein zweites Frühstück gehabt.“
„Mach‘ ich gleich.“
„Was gibt’s denn?“
„Was soll’s schon geben? Immer dasselbe.“

„Was ist dasselbe?“
„Na, ein halbes Brötchen. Isst du denn etwas Anderes?“
„Ich esse gar nichts. Ich muss arbeiten und habe nur mal eine kleine Pause eingeschoben, um mich zu erkundigen, wie es dir geht.“

Peter merkte, wie seine Schilddrüse anschlug. Ein sicheres Zeichen dafür, dass er langsam sauer wurde.

„Aber, dass du mich danach fragst, was ich esse. Das versteh‘ ich nicht. Es gibt doch immer das gleiche.“

„Naja, du könntest doch ein gebratenes Kotelett zum 2. Frühstück essen. So wie im Hotel.“

Das sollte ein kleiner Scherz von Peter sein. Aber Anna kam immer weniger mit Humor klar, seitdem ihre Demenz langsam fortschritt. Überhaupt war sie viel übellauniger geworden.

„Das ist ja wohl das letzte, daß du so etwas fragst. Kotelett. Unmöglich ist das!“ Anna schnauzte Peter regelgerecht an.

„Bei allem Respekt Anna. Dein Ton gefällt mir nicht. Wir rufen dich an, weil wir uns um dich sorgen.“ Peter musste sich beherrschen. Er musste diese Situation einfach bewältigen.

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‚MUTTI‘ MUSS STAUBSAUGEN


ANNA-2018.11.02

WIE DIE KRANKHEIT DAS GESAMTE UMFELD DER FAMILIE VERÄNDERTE, SCHLEICHEND, FAST UNAUFFÄLLIG

Der Alltag ging weiter, aber irgendwie und irgendwo war Annas Demenz auch immer mit dabei.
Anna hatte ein verstaubtes Bild von der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau. Und sie liess sich davon nicht mehr abbringen. Jetzt, nach ihrer Krankheit, erst recht nicht mehr.

Es gab Routinen, eben täglich wiederkehrende Dinge. Die meisten davon sind unabdingbar, Peter mochte manche davon trotzdem nicht.

Er musste sich dazu eben zwingen. Dazu gehörte der Anruf bei Anna.

„Aber dir macht das doch so viel Spaß“, sagten einige seiner Freunde, die ihn kannten.

Anna war dement. Das wussten alle. Und alle wussten, dass sie Aufmunterung brauchte.

Klara kümmerte sich, fuhr hin zu Anna, organisierte Arzt- und Frisörbesuche. Lukas war täglich bei Anna und schaute, wie es ihr ging.

Diejenigen Menschen, die Peter kannten, in dem Fall den Schreiber, und die seine Familie kannten, die wussten natürlich genau, über wen er berichtete.

Aber er wollte eine gewisse Distanz halten. Zum einen aus Respekt. Und zum anderen, weil er das ja alles in kleinere Geschichten packte und das Recht hatte, etwas wegzulassen, zu überhöhen oder etwas hinzuzudichten.

Peter war schon nahe dran an der Wahrheit, wenn er darüber in seinen Texten schrieb. Klara war das oft genug zu nah. Inzwischen weiß sie aber, dass Peter stets mit Wertschätzung schrieb und aus einer Perspektive heraus, von der er faktisch die Figur beobachten konnte.

Das gab ihm die nötige Sicherheit, die Distanz zu halten, aber auch wieder nahe genug dran zu sein, um über etwas zu schreiben, was passiert war.

Die größte Herausforderung war, mit einem demenzkranken Menschen zu sprechen und ihm keinerlei Vorhaltungen zu machen. Das verstand nämlich Anna nicht, man verunsicherte sie dadurch nur.

Denn Veränderungspotenzial, das gab es bei Anna nicht mehr, nur noch in Richtung der Verschlechterung ihrer Krankheit.

Klara sagte dann meist zu Peter: „Aber du könntest dich verändern, und du tust es nicht, du stellst dich einfach blöd an, wenn du etwas machen sollst.“

Darin war Peter nun mal geübt.
Doch zurück zu Anna. Sie rief Peter eines Abends zweimal an und fragte ihn, ob es ihm gutgehe.

In Wirklichkeit wollte sie Klara sprechen, wen sonst, ihren Schwiegersohn? Ja, ja. Wenn die Sonne ‚mal im Westen aufging‘, dann vielleicht.

Aber sie hatte vergessen, dass Klara donnerstags erst gegen 18.00 Uhr Schluss hatte und dann noch von Kreuzberg hierher zurückmusste, zurück in den Wald, der zu der Zeit schon dunkel war.

Also könnte Peter sagen: „Anna, das haben wir doch vor einer halben Stunde besprochen.“ Und anschließend könnte er sich darüber bei Klara aufregen.

Früher hat er das getan: „Deine Mutter denkt, dass ich Zeit ohne Ende habe. Und wenn ich fünfmal erkläre, dass ich auch außerhalb meines geliebten Schreibtisches zu Terminen muss, Interviews absprechen, interessante Menschen treffen. Keiner schenkt mir das Geld.“

„Ich sauge jetzt gleich“, sagte Peter zu Anna am Telefon.

„Oh Gott, und das als Mann!“, erwiderte sie. Wie aus der Pistole geschossen. Ohne nachzudenken. Jetzt kam Peter sich nicht mehr vor, wie Ironman, sondern wie Weichmann.

Sollte er jetzt sagen, dass dies sein Veränderungspotenzial der letzten Jahre war?

„Weißt du Anna, das ist bei uns im Haus schwere körperliche Arbeit.
Du weißt doch, was es bedeutet, die Treppen immer hoch und runterzugehen.“

„Ich weiß“, sagte Anna.
„Wirklich?“ Peter hakte lieber nicht nach.

Dann erzählte sie ihm, dass in der Anbauwand die ganzen Bilder von ihnen standen, von Klara, Laura, Peter.

„Hast du gestern schon erwähnt, vorgestern auch. Jeden Tag erwähnst du das!“

Das könnte Peter erwidern. Tat er aber nicht. Er sprach über die Bilder, die Anna gemalt hatte und bei ihm im Arbeitszimmer hingen.

Das freute Anna und sie verabschiedeten sich.

Peter rief anschließend Klara an: „Deine Mutter sagt, saugen sei keine Arbeit für einen Mann!“

„Ich dachte, du bist schon fertig?“, sagte Klara enttäuscht. Sie war ein klein wenig wie unsere Kanzlerin – immer trocken, aufs Ergebnis aus.

Peter holte den Staubsauger raus, setze seine Lieblingsmütze mit der Aufschrift „Fischkopp“ auf und machte‘ ein ‚Selfi‘.

Gut, er musste noch ein wenig am iPhone herumdrücken, bis er wusste, wie es ging.

Schließlich hat er über WhatsApp an Klara das Foto mit Staubsauger und Mütze gepostet: „Mutti beim Saugen.“

„Schöner Mann“, schreibt sie zurück. „Find‘ ich ja auch“, antwortete Peter.

Ach, irgendwie mochte er Klara doch. Und Anna? Die würde er Morgen wieder anrufen, wie immer, na klar.

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DAS WIRD NOCH SCHLIMMER

2017.09.30-ANNA

Rückblick 2021 auf den Sommer vor dreieinhalb Jahren. Krümel ist noch nicht auf der Welt, aber alle in der Familie warten gespannt darauf, dass ein neuer Mensch auf die Welt kommt. Es war spannend und aufregend
In derselben Zeit verfiel Anna geistig immer mehr.
In wachen Momenten erkannte sie das selbst. Es war traurig, manches war komisch und manchmal konnte man gar nicht anders, als zu lachen.
Anna rief regelmäßig abends an. Doch die Telefonate waren nicht aufregend. Anna war nicht depressiv, sie sprach klar und man merkte nicht sofort, dass sie an Demenz erkrankt war.

Peter stand auf dem Parkplatz vor dem Discounter und überlegte, ob er die Telefonnummer von Anna wählen sollte.

Er saß im Auto und hatte Langeweile. Klara hatte ihn überredet, doch noch mal schnell beim Einkaufsmarkt vorbeizufahren.

Sie wollte dann gleich bei einem Discounter reinschauen. Dort konnte sie so schön wühlen und nach weiteren Stramplern und Babymützen suchen.

„Hoffentlich reißt du nicht das Dach ab und packst es bei deiner Kaufwut gleich mit ein.“

Klara reagierte darauf gar nicht. Sie war im Kaufrausch. Krümel war noch nicht auf der Welt. Aber sie nahm Stück für Stück einen größeren Platz im Denken ein, von Klara und Peter.

Laura hat ihren Geburtstermin Anfang Oktober. „Wir müssen jetzt einen Notfallplan aufstellen, damit wir wissen, was jeder zu tun hat, wenn es so weit ist“, sagte Peter zu ihr.

„Was soll denn das für ein Plan sein?“ Klara schaute ihn verwundert beim Frühstück an.

„Naja, wenn die Wehen bei Laura anfangen“, meinte Peter.

„Dann fällst du doch schon in Ohnmacht“, konterte Klara.

„Na dann versinkt eben alles im Chaos“, gab Peter beleidigt zurück. Peter wurde aus seinen Gedanken gerissen.

Ein Geländewagen sauste vor ihm heran und bog scharf in die freie Parklücke ein.

Eine Frau stieg aus, schlug ohne hinzusehen die Tür hinter ihrem Rücken zu und stürmte auf den Einkaufsmarkt zu.

„Wieder mal typisch“, dachte Peter. „Kann die sich nicht richtig in die Parklücke stellen?“

Das Auto stand mit zwei Rädern schon auf dem anderen Parkplatz. „Wahrscheinlich ist die gerade von der Arbeit gekommen und muss noch was für die Familie einkaufen.

Einfach haben die es ja nicht gerade“, dachte Peter versöhnlich. Peter hatte nichts zu lesen mitgenommen.

Er mochte nicht mitgehen, wenn sich Klara von einem Wühltisch zum anderen hangelte und ihre Begeisterung nicht zu bremsen war, wenn sie wieder mal ein paar Babysachen hochhielt.

So stellte sich Peter die Hölle vor: eine Menschentraube an den Wühltischen und keinen Stuhl zum Hinsetzen, wo man wenigstens die Leute beobachten konnte.

Das machte Peter dann schon mal gern. Jemanden beobachten, ihn einschätzen, was er wohl beruflich machte oder was das überhaupt für ein Mensch war, der vor ihm stand und in den Sachen herumfingerte.

Diesmal wartete Peter also im Auto. Er wählte die Nummer von Anna.

„Sturm!“, ertönte die Stimme von Lukas.

„Stör‘ ich?“, fragte Peter.

„Ich liege gerade auf dem Boden und repariere das Radio von Mutti.“

„Oh, dann will ich dich nicht weiter davon abhalten, wir können ja später telefonieren.“

„Ja“, antwortete Lukas. Peter drückte auf die rote Taste am Telefon. Bei Anna schien wieder der Teufel los zu sein.

Lukas hatte seine schlechte Laune am Telefon kaum verbergen können.

Klara war mit dem Einkauf fertig und steuerte auf das Auto zu. „Na, Dach auch eingepackt?“

„Guck doch mal, wie niedlich!“ Klara reagierte gar nicht auf die Frage von Peter.

Sie hielt ihm eine Baby-Decke vor die Nase, auf der lauter niedliche Tiere zu sehen waren.

„Mensch, die haben heute Sachen, da kann man nur staunen“, sagte Peter.

Jetzt war er auch begeistert und sah schon vor seinem Auge Krümel auf der Decke liegen. Er würde sie sogar windeln.

Das hatte er sich fest vorgenommen. Das war bei Laura noch anders.

„Ich habe Rückenschmerzen“, hatte er damals immer gesagt.

Doch nun war es anders. Er wollte für seine Enkelin von Anfang an da sein.

„Ich wollte deine Mutter anrufen“, sagte Peter und drehte den Zündschlüssel um.

„Und?“

„Dein Bruder war dran. Er ächzte und keuchte, lag wohl auf dem Boden wegen dem Radio deiner Mutter.“

„Schon wieder?“ Klara war entsetzt.

Gerade hatte Lukas ihr gesagt, dass er das Radio wieder hinbekommen hatte, nachdem Anna alles rausgerissen hatte. Sie fuhren schweigend nach Hause.

Abends rief Lukas zurück.
„Ich krieg noch einen zu viel“, stöhnte er sofort los.

„Warum?“, fragte Klara ihn.

„Mutti hört nicht zu. Sie lässt sich nicht erklären, was sie falsch gemacht hat und fragt ständig dazwischen. Du wirst wahnsinnig. Sie lässt sich nichts sagen, hört nicht zu, ist aufgeregt. Zum Schluss habe ich ihr gesagt, dass ich es nicht mehr aushalte.“

„Und was hat sie geantwortet?“

„Du brauchst hier nicht pampig zu werden, Lukas. Das wird noch schlimmer.“

Klara war still. Dann fing sie an zu lachen und Lukas stimmte ein.

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PETERS MUTTER ERKRANKTE IMMER MEHR AN DEMENZ

ANNA-2017.09.20

Peter regte sich über seinen Vater auf, der es nicht ertrug, dass seine Frau an Demenz erkrankt war.

„Und ich will ihn nicht verstehen“, entgegnete Peter.
„Aber du weißt doch, wie es bei meiner Mutter ist. Irgendwann verlierst du die Nerven, wenn sie dich immer wieder das gleiche fragt.“

„Das ist mir schon klar, doch bei meinem Vater ist das etwas völlig anderes. Er denkt nach wie vor, dass sich alles um ihn drehen muss und er es besonders schwer hat.

Dabei hat meine Mutter genauso unter ihrer Krankheit zu leiden und zusätzlich kommt eben ihre Demenz hinzu.“

„Ja schon“, Klara ließ nicht locker, „du weißt selbst wie es ist, wenn du hintereinander, immer und immer dasselbe gefragt wirst.“

„Es gibt einen Unterschied“, sagte Peter, nämlich, den, dass du irgendwann genervt bist. Das kann ich verstehen. Aber bei meinem Vater kommt noch etwas hinzu, etwas sehr Entscheidendes.

Mein Vater will die volle Aufmerksamkeit für sich und ansonsten in Ruhe gelassen werden. Solange Mama ihm alles besorgt hat, da war sie gut genug, durfte ihm das Essen kochen, die Wäsche waschen und das ganze Gedöns im Haushalt bewerkstelligen.“

„Ja, ja, das ganze Gedöns, so denkst du auch!“, erwiderte Klara.
„Also immerhin sauge ich am Freitag, fege den Carport und habe alles im Blick.“ Peter hatte keine Lust, darauf einzusteigen.

„Weißt du, mein Vater hat mir schon als vierzehnjährigem Jungen bei einem Ausflug in Leipzig gesagt, dass er mich nicht mehr sehen kann. Kannst du dir vorstellen, wie weh das tut, wenn dein Vater so etwas zu dir sagt?“

„Ja und wie bist du von Leipzig nach Dresden gekommen?“, fragte Klara.

„Mit dem Zug natürlich. Der Schnellzug fuhr damals schon in knapp zwei Stunden nach Dresden. Ich brauchte aber fünf Stunden.“

„Warum?“ „Ich war in den falschen Zug gestiegen, in den, der wirklich an jedem Dorfbahnsteig hielt und die Milchkannen mitnahm.“

„Und was hat das jetzt mit deiner Mutter zu tun?“, Klara blickte ihn fragend an.

„Heute, im Pflegeheim, wenn meine Mutter ihn in seinem Zimmer besucht, dann sagt er, dass sie wieder auf ihr Zimmer gehen soll, verstehst du, was mich wütend macht?“

Klara schwieg, sie wusste, es hatte jetzt keinen Sinn weiterzureden. Zu tief waren die Wunden und sie schmerzten wieder, weil sein Vater sich mal wieder in seiner unnachahmlichen Art zeigte.

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PETER IST ALLEIN

ANNA

2017.06.04

Peter war nicht mitgefahren, zu Dr. Silberfisch nach Stralsund. Er konnte nicht von seinem Schreibtisch weg.

Er wollte noch einige Artikel fertigstellen. Trotzdem: Er war es nicht gewohnt, allein zu sein.

Dann musste er ja alles selber machen – das Frühstück, abwaschen und was eben sonst noch so im Haushalt anfiel.

Peter war nicht faul. Er schrieb, arbeitete ununterbrochen. Na gut, auf jeden Fall fühlte es sich so für ihn an.

Und wenn er jetzt vor dem Schreiben noch etwas tat, was körperlich anstrengend war, so fiel er danach erschöpft auf seinen Schreibtischstuhl und mochte nicht mehr arbeiten.

Die Kreativität ist dann weg, bildete er sich ein. Er pflanzte sich in dem Fall schon lieber vor den Fernseher, sah sich eine Talkshow an und fluchte über die, die meinten, das Leben, die Politik und die Menschen zu verstehen.

„Du kannst aufhören, in den Fernseher hineinzureden, denn dich hört keiner“, pflegte Klara zu sagen, wenn sie zufällig dabei war.

Heute musste Peter eine Entscheidung treffen – gleich an den Schreibtisch oder zuerst die ungeliebten Arbeiten im Haus?

Peter gab sich einen Ruck. Er ging in den Garten, holte den Rasenmäher heraus und wollte Klara mit einem frisch gemähten Rasenstück überraschen.

Also rollte er das Kabel von der Trommel und steckte den Stecker in die Steckdose am Rasenmäher. So, jetzt konnte es ja gleich losgehen. Doch es bewegte sich nichts.

Peter schlurfte in den Schuppen und schaute, ob er dort einen Schalter umlegen musste.

Er probierte es und knipste den Hebel auf die andere Seite. Aber jetzt. Peter ging schwungvoll zurück. Er drückte auf den Knopf am Mäher. Wieder nichts.

Hatte er etwa den falschen Hebel umgelegt? Davon waren ja zwei an der Steckdose. Peter probierte es noch einmal. Wieder nichts. Verdammt, Klara hatte bestimmt irgendeinen Trick, den sie ihm nicht verraten hatte.

Eigentlich wollte Klara gar nicht, dass Peter den Rasen quälte. Er mähte ihr immer zu viel vom Rasen weg, und außerdem mussten auch ein paar Blumen daran glauben, wenn er sich ans Werk machte.

Aber das kam ja nicht allzu oft vor. Peter kam nicht weiter, der Mäher sprang nicht an, obwohl er nun schon gefühlt einen kleinen Marathon zurückgelegt hatte – zwischen der Steckdose im Schuppen und dem Rasenmäher.

Peter überlegte. Kurzerhand schloss er die Wohnungstür auf, schleifte das Kabel hinter sich her und steckte es in die Steckdose im Gäste–WC. Die Kabeltrommel platzierte er im Waschbecken. Klara sah das ja nicht.

Der Mäher sprang sofort an und schnurrte. Peter konnte beginnen. Doch dann sah er die beiden Liegestühle.

Verdammt, die mussten auch noch beiseite geräumt werden. Schließlich kam er vorwärts und mähte entschlossen Streifen für Streifen.

Als er an den Kirschbaum kam, stieß er sich den Kopf und fluchte. Er hatte sich das nicht so vorgestellt. Eine kleine Rasenfläche und tausend Hindernisse. Peter vergaß, die Fläche hinter dem Baum zu mähen.

Er stellte die Liegestühle wieder an ihren Platz und begutachtete sein Meisterwerk.

Jetzt bemerkte er es: Er hatte eine kleine Ecke vergessen. Das Stück genau hinter dem Baum. Aber nun war der Mäher schon weggestellt, das Kabel aufgerollt.

Das ist nicht so schlimm, sagte sich Peter. Aber es ärgerte ihn trotzdem. Abends rief Klara an. „Na, wie hast du den Tag verbracht?“
„Och, ich habe den Rasen gemäht.“

„Was, das solltest du doch gar nicht!“ „Und ich dachte, du freust dich.“
„Ja, ich freue mich schon“, lenkte Klara ein.

„Aber, sag mal“, fragte Peter, „wo ist der Hebel für den Strom?“
„Welcher Hebel und welcher Strom?“ „Na, damit der Mäher anspringt, wenn ich das Kabel in die Steckdose am Schuppen stecke.“

„Da musst du im Wohnzimmer, hinter der Gardine den einen Schalter anmachen. Dann geht es.“

„Stimmt ja“. Jetzt ärgerte sich Peter, dass er nicht allein darauf gekommen war. „Und wie war es bei Dr. Silberfisch?“
„Das erzähle ich dir morgen.

 

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ANNA

 

WIEDER MAL BEI DR. SILBERFISCH

ANNA

2017.06.03

 Klara war bei Dr. Silberfisch, gemeinsam mit ihrem Bruder Lukas.
Sie erzählte dem Arzt von Anna letzten Bankbesuch.

„Ich habe es auch schon bemerkt, dass Ihre Mutter nicht immer mehr auf der gedanklichen Höhe ist.“

Ja, da hatte er recht. Klara fuhr fort: „Herr Doktor, Sie müssen vielleicht ein paar Dinge wissen, die für uns eindeutige Zeichen einer beginnenden Demenz sind.“

„Was meinen Sie genau?“, hakt Dr. Silberfisch nach.
„Da war die Sache mit der Bank. Meine Mutter ist dort über Jahrzehnte Kundin. Eigentlich schon zu Ostzeiten.

Nur dass die Bank damals anders hieß und eine andere war.“
Dr. Silberfisch schaute sie schweigend an. Man merkte ihm an, dass er sich auf das konzentriert, was nun kam.

„Also um es kurz zu machen – meine Mutter hatte sich nach einer Beratung damit einverstanden erklärt, dass ihr gesamtes Erspartes in verschiedenen Fonds angelegt wird; insgesamt mehrere Tausend Euro.“

„Wirklich?“ „Ja, wirklich.“
„Können Sie sich vorstellen, wie geschockt wir waren?“
„Ja, durchaus.“ „Aber wie haben das denn die Berater angestellt?“

„Herr Doktor“, Klara blickte den Arzt fest an:  „können Sie sich vorstellen, wie sich ein älterer Mensch fühlt, dem eine Mitarbeiterin mit entschlossener Energie einen Fonds verkauft, und sie ihr zudem versichert, dass es das Beste für meine Mutter sei, was sie mit Geld anstellen könnte?“

„Ja, schon. Ich kann mir das vorstellen. Aber da gibt es doch eine ethische Komponente.“

„Sehen Sie Herr Doktor, da sind wir ganz einer Meinung. Aber meiner Mutter haben sie gesagt, dass es für eine große und auch ziemlich sichere Sache sei, wenn sie das Geld in verschiedene Aktien – und Immobilienfonds geben.“

„Was hat denn Ihre Mutter geantwortet?“
Sie meinte: „Na gut, dann machen Sie das.“

Und während die Mitarbeiterin die Anträge ausfüllte, da hat meine Mutter ihr erzählt, dass ihr Vater früher in der gleichen Bank gearbeitet hätte, und sie wüsste, was für eine schwere Arbeit die Mitarbeiterin jetzt beim Ausfüllen der Anträge leisten müsste.“
Dr. Silberfisch sagte nichts. Er war sprachlos.

ANNA

 

ANNA IM HAFEN

2017.05.30

KRISTINA MÜLLER – GASTBEITRAG

In Anna kommen die Erinnerungen hoch, wenn sie im Hafen ist.

Anna saß auf einer Bank im Hafen und schaute gedankenverloren auf die Schiffe, die träge auf dem Wasser schaukelten.

Touristen in kurzen Hosen, Röcken und T-Shirts liefen an ihr vorbei und machten hier und dort ein Foto, während andere sich an einem der letzten Kutter ein Fischbrötchen holten.

Hier am Wasser war es bei der Hitze noch am ehesten auszuhalten, da immer etwas Wind ging. Doch Anna beachtete die vielen Menschen gar nicht.

Sie schwelgte in Erinnerungen an ihre Kindheit, als es hier noch viele Kutter und kleine Fischerboote gab, die früh morgens auf die Ostsee schipperten und mit mehr und manchmal weniger Beute zurückkehrten.

Ihr Stiefvater Wolf und ihr Onkel Gottfried waren Fischer. Auf dem Hof ihres Onkels und ihrer Großmutter, nur Öming genannt, war Anna aufgewachsen und spielte oft in dem alten Schuppen, wo Gottfried die Netze für die Ausfahrten aufbewahrte.

Sie erinnerte sich zu genau an den Geruch und ein zufriedenes Lächeln umspielte ihre Lippen.

Ihre Mutter Heide und Öming saßen im Hof an eben solchen warmen Sommertagen wie heute und nahmen die Fische aus, welche nicht in den direkten Verkauf gingen.

Allein für den Zweck gab es einen Tisch, der nach all den Jahren auch nach gründlicher Reinigung immer wieder Spuren von Blut und Schuppen aufwies. Andere Kinder hätte solch ein Anblick vielleicht verstört, aber Anna war so aufgewachsen und daher behielt sie solche Details in guter Erinnerung.

Sie hatte trotz Kriegszeiten und dem Weggang ihres Vaters eine wirklich schöne Kindheit ohne viele Sorgen verbracht, an die sie zu gern zurück dachte.

Sie seufzte leicht und ließ den Blick wandern, ehe er an einem Eisverkäufer hängen blieb. Sie nickte innerlich und erhob sich von ihrem Ausguck.

Langsam ging sie zu dem Stand und ließ sich ein Leckeis, wie sie es nannte, geben.

So konnte sie der Hitze wenigstens etwas entgegen wirken, ehe der kalte Ostwind in ein paar Monaten wieder Schnee und Eis in den Hafen wehte.

DIE ANZEICHEN MEHREN SICH

2017.05.29

Werbebriefe, die nimmt Anna für bare Münze, denkt, sie müsse diese unbedingt beantworten. Dort stand ja: „Liebe Frau Sturm, wir freuen uns auf Sie.

Schicken Sie die  Rückantwort noch heute ab. Ein wunderschönes Gratis-Geschenk wartet darauf, von Ihnen in Empfang genommen zu werden, liebe Frau Sturm!“

„Da muss man doch antworten“, meint Anna. Und sie wird böse, wenn man ihr nicht zustimmt.

Klara geht in das Hauptpostamt in der Friedrichstrasse und schildert ihre Situation. „Meine Mutter gibt ununterbrochen Geld aus, kauft eine Bluse nach der anderen.  Was soll ich nur tun?“

„Ich weiß genau, wovon Sie sprechen.“ Die Schalterangestellte zeigt viel Verständnis.

„DIE MACHT DER GUTEN GEFÜHLE: WIE EINE POSITIVE HALTUNG IHR LEBEN DAUERHAFT VERÄNDERT“
(FREDRICKSON/NUBER/HÖLSKEN)

„Mein Vater hat die Post versteckt. Er hat keine Briefe, keine Mahnungen mehr geöffnet.  Nur durch Zufall kamen wir dahinter.

Und das nur deshalb, weil uns der Stromanbieter informiert hat, dass sie den Strom bei ihm abstellen wollen.“

„Und was haben Sie daraufhin getan?“

„Wir haben uns von meinem Vater eine Vollmacht geben lassen, dass wir die Post zu uns umleiten können und ihm danach die Briefe aushändigen.“

„Was hat er gesagt?“
„Ihr wollt mich alle betrügen und ruinieren. Wenn das eure Mutter noch erlebt hätte! Schämt euch!“ Klara schaute ungläubig. „Das ist ja furchtbar.“

„War es auch. Schließlich aber hat er eingewilligt“, sagt der Postbeamte.

IM WARTEZIMMER VON DR. SILBERFISCH

ANNA

ANNA-2017.05.28

Klara fährt nächste Woche nach Stralsund. Sie will es ihrer Mutter vorher nicht sagen.

Sondern: Sie will – gemeinsam mit ihrem Bruder Lukas – zu Dr. Silberfisch.

Sie wollen ihn um Rat fragen, was sie tun können wegen ihrer Mutter Anna, wie es weitergehen soll, wie lange sie noch in ihrer Wohnung bleiben kann.

Die Praxis von Dr. Silberfisch steht bei Anna hoch im Kurs.
Das liegt nicht nur am Arzt, wenngleich sie schon lange Patientin bei ihm ist.

Da, wo die Praxis heute ist, da war früher eine Drogerie, Annas ehemaliger Arbeitsplatz.

Für Anna ist es schon deshalb ein Höhepunkt, wenn sie in die Praxis gehen kann.

Sie kennt sich dort immer noch gut aus.
Und Anna kommt heute noch ins Schwärmen.

Sie fängt gleich im Wartezimmer an zu erzählen, was dort früher war und wie die einzelnen Räume aufgeteilt waren.

„Und da oben, da haben wir immer Mittag gemacht, Schwester.“
„Ach ja?“, fragt Schwester Erika und verdreht die Augen verstohlen zu ihrer Kollegin.

Anna weiß nicht, dass sich die Schwestern heute Praxishelferinnen nennen.

Und das stört sie auch nicht im Geringsten.
„Manchmal, da haben wir dort auch Kaffee getrunken und Kuchen gegessen“, fährt Anna unbeirrt fort.

„Ach, das war schön.
Und die Kunden, die in die Drogerie hineinkamen, die mochten uns“, meinte sie.

„Frau Sturm, der Doktor wartet jetzt auf Sie. Bitte gehen Sie doch durch.“

„Ja, das mach‘ ich doch glatt.“
Anna ist im Arztzimmer verschwunden.

„Sooo…“, sagt Schwester Erika – also die Praxishelferin Erika.
„Das hätten wir jetzt wieder. Na ja, wer weiß, wie wir mal werden.“
„Meinst du?“, fragt ihre Kollegin.
„Na ja“, seufzt Erika, „wer kann das heute schon wissen?“

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ANNA

BERTA HAT AUFGELEGT

Anna kann sich die Namen ihrer Freunde und Bekannten nicht mehr merken.

Anna ruft an: „Es war schön gestern bei der Diamantenen Hochzeit.“
Anna hatte vergessen, dass Klara zur Arbeit gefahren war und dachte, sie träfe sie am Telefon an.

Jetzt musste sie mit ihrem Schwiegersohn vorlieb nehmen.

„Hattet ihr denn auch Musik?“, fragte Peter.
„Ja, Berta hat aufgelegt.“ „Oh, Donnerwetter!“, staunte Peter und musste schmunzeln.

Aufgelegt – war das nicht ein Begriff, der längst vergangen war? Oder ist er gerade hip, wenn man an die heutigen Veranstaltungen denkt, wo der DJ auflegt?

Jedenfalls: Anna sprach und dachte modern.
Trotzdem: Wahrscheinlich war das ein ganz normaler Recorder, auf dem die Musik spielte und zwischendurch die CD’ s gewechselt wurden.

Und das tat eben Berta. Sie war die beste Freundin von Anna, schon von Kindesbeinen an, und so wusste Berta auch, welche Musik Anna mochte.

„Waren denn Gäste da, die wir kennen?“, fragte Peter weiter. Anna überlegte kurz und sagte: „Nein, keine.“

Da war er wieder, der Gedächtnisverlust. Peter und Klara kannten bestimmt über die Hälfte derjenigen, die dort Gäste waren.

„Wie heißt noch gleich die Tochter von Berta, ich komme einfach nicht drauf“, fragte Peter jetzt.

„Na, Cornelia, das musst du doch wissen?“, sagte Anna vorwurfsvoll.
Ja, Anna hatte Recht. Peter musste und konnte es wissen.

Anna konnte es im ersten Anlauf nicht wissen, dass es jemand war, den Peter und Klara kannten, und sie musste es vielleicht auch nicht mehr.

Wie sollte man das alles werten?
War es ein schlechtes Zeichen, dass Anna erst nach dem zweiten Anlauf auf die Namen kam?

Oder sollte man es so nehmen, wie es eben war. Anna fiel es schwerer, auf die Namen von Freunden zu kommen, selbst auf die der engsten Freundin?

Peter und Klara entschlossen sich, es positiv zu sehen und Anna dabei zu helfen, sich zu erinnern.

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ANNA

 

SIE HABEN GEWONNEN, FRAU STURM

Anna hält einen Werbebrief in der Hand, in dem ihr 8000 Euro Gewinn versprochen werden. Klara gelingt es nicht, Anna davon abzuraten, an die Firma eine Antwort zu schicken. 

„Ich hab‘ da vielleicht wieder eine Aufregung“, sagt Anna.

Sie hat Klara angerufen, eben wie immer täglich, gegen Abend.
„Was denn für eine Aufregung?“, fragt Klara. „Na, ich habe schon wieder 8000 Euro gewonnen.“

Prof. Dr. med. Silke Heimes hat ein Programm entwickelt, indem es um das Schreiben geht, darum, dass man sich gesund schreibt: „ich schreibe mich gesund – Mit dem 12-Wochen-Programm zu Gesundheit und Ausgeglichenheit“

„Mutti, du hast nicht gewonnen. Das ist ein Werbebrief. Und wenn du weiter unten liest, dann siehst du, dass du die Chance hast, zu gewinnen.  Eventuell. Aber das ist eher unwahrscheinlich.“

„Ich lese dir jetzt mal vor, was hier steht.“
Anna fängt an, den Werbebrief vorzulesen: „Liebe Frau Sturm, freuen Sie sich! Sie haben gewonnen…
Schicken Sie die Antwort noch heute zurück, und: Vergessen Sie nicht, den beiliegenden Bestellschein auszufüllen… Sobald wir Ihre Rückantwort erhalten haben, sind Sie mit dabei – bei der großen Verlosung für den Hauptgewinn in Höhe von 8000 Euro…Also schicken Sie den Brief noch heute ab, liebe Frau Sturm.“

Klara hat bis zum Schluss gewartet. Sie war dem Rat von Peter gefolgt und hatte ihre Mutter nicht unterbrochen.
Doch es fiel ihr schwer, ruhig zu bleiben, zuzuhören, nicht hineinzureden.

Doch nun platzte es aus ihr heraus: „Mutti, wir haben doch schon so oft darüber gesprochen.
Das ist ein Werbe-Gag. Du bist eine von Tausenden, die wie du diese Post erhalten haben.  Der Brief erfüllt nur einen einzigen Zweck: Du sollst wieder eine Bluse bestellen, verstehst du das?“

„Ja, aber hier steht, ich habe gewonnen.“
„Mutti, jetzt zerreiß den Brief, und wirf‘ ihn in die Tonne!“
„Meinst du wirklich?“ „Ja!“
Klara konnte nicht mehr.

„Du erreichst nichts, wenn du auf diese Art mit deiner Mutter sprichst.  Anna hat doch jetzt nur ein schlechtes Gefühl, weiß aber nicht so richtig warum und wird dir beim nächsten Mal gar nichts mehr erzählen.“

Peter versuchte Klara zu erklären, dass sie so nicht weiterkam.

„Du hast gut reden. Du redest ja nicht jeden Abend mit ihr.“
Klara war bedient.

EINEN SATZ NACH DEM ANDEREN SAGEN

ANNA-2017.05.23

AUDIO: https://uwemuellererzaehlt.de/2021/05/25/anna-2021-05-25/
EINFÜHRUNG:
Laura ist zu Besuch. Peter versucht Laura zu erklären, warum Anna nicht mehr alles versteht.

Sonntagabend.

Klara hatte noch einmal bei Anna angerufen. Sie wollte nicht, dass ihre Mutter nun vielleicht durcheinander war, weil Laura ihr am Telefon nicht richtig erklärt hatte, dass sie unverhofft aus Berlin zu Besuch gekommen war.

Es war für keinen leicht, mit der Demenz von Anna umzugehen. Nicht für Klara, für Peter nicht und auch nicht für Laura.

„Du musst mit Oma gehirngerecht kommunizieren.“

„Papa, was ist das für ein Quatsch?“, protestierte Laura.

„Ja, wahrscheinlich hast du Recht. Was ich damit sagen will: Oma kann nicht mehrere Informationen gleichzeitig verarbeiten. Das verwirrt sie.“

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BETTINA TIETJEN:
‚Unter Tränen gelacht: Mein Vater, die Demenz 
und ich‘

„Was meinst du?“, fragte Laura.

„Nun, du gehst an unser Telefon. Für Oma müsste jetzt Mama am Hörer sein. Stattdessen hört sie deine Stimme. Für sie wohnst du in Berlin und bist jetzt auch in Berlin.

Wir wiederum sind für sie da, wohin sie jetzt auch anruft, im Dorf in der Nähe von Berlin. Also solltest du erst einmal sagen, dass du bei uns spontan zu Besuch bist, in Brandenburg.“

„Spontan zu Besuch?“, fragte Laura dazwischen.

„Das versteht sie doch erst recht nicht.“

„Aber stell dir vor, du würdest die Informationen per Rohrpost versenden – ein Satz folgt auf den anderen, und sie gehen alle in die gleiche Richtung.

Da kannst du ja auch nicht mit dem letzten Satz anfangen, sondern du schiebst den ersten Satz zuerst durch.“

„Na gut Papa, das ist mir zu blöd.“ Peter schwieg. Laura lag vermutlich richtig.

Er war eben auch nicht trainiert auf die Kommunikation mit demenzkranken Menschen.

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