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Es war ein Freitag, ich saß am Schreibtisch, formulierte an einem Text und das Telefon klingelte. Klara war dran.
„Du kannst mich abholen, ich geh‘ zur Kasse“, sagte sie zu mir.
Klara wusste, dass ich es hasste, mit in den Supermarkt zu kommen, und so fuhr ich sie hin und ich verschwand auch wieder,, damit Klara in Ruhe durch die Regale schlendern und einkaufen konnte.
Ich war in der Zeit lieber wieder im Arbeitszimmer. In Trainingshosen, bequem eben. Sonst konnte ich nicht denken.
Und in dieser Kleidung holte ich Klara auch wieder ab. Sie hasste es, wenn ich so schlampig daherkam. Aber ich machte mir daraus nichts.
Bis auf diesen Tag, als mir von Weitem ein Ehepaar zuwinkte, das auf mich zukam und sich dabei angeregt mit Klara unterhielt.
Ich stöhnte innerlich auf, ich wollte mich nicht unterhalten, ich wollte wieder zurück an meinen Schreibtisch.
Als die drei vor mir standen, da erkannte ich sie. Es waren Bekannte, die ich lange nicht gesehen hatte.
„Und, wie geht’s dir?“, fragte Walter mich, während er aufmerksam an mir heruntersah.
Walter war sehr gut gekleidet, leger, aber man erkannte, dass er Wert darauflegte, wie er rüberkam.
‚ICH BIN JETZT TRAUERREDNER‘
Ich dagegen stand ihm in meinen schlottrigen Trainingshosen gegenüber.
An der rechten Hosentasche klebte noch etwas Zahnpasta und ich hätte vor Scham in den Erdboden versinken mögen.
„Mach‘ die Zahnpasta von deiner Hose ab“, hatte Klara mir noch an dem Morgen gesagt.
„Ja, wenn ich zurück bin“, erwiderte ich.
Ich hatte es schlichtweg vergessen und dafür lieber meine Planung für die Woche überarbeitet.
Nun war es zu spät.
„Du, ich kann nicht genug klagen“, antwortete ich halb im Scherz auf Walters Frage.
„Und selbst?“, fragte ich ihn.
„Wir kümmern uns um die Enkel, denn unser Sohn ist ja viel beschäftigt. Er ist Vorstandsmitglied geworden.“
„Oho!“, gab ich zurück und schwieg.
„Bist du noch als freier Journalist in deiner schreibenden Gilde unterwegs?“, fragte Walter mich und ich meinte einen mitfühlenden Ton herauszuhören.
„Nein, dafür habe ich keine Zeit mehr. Ich schreibe nur noch ab und zu auf meinem Blog, aber keine Business-Texte mehr über andere Unternehmen“, entgegnete ich.
„Ich bin jetzt Trauerredner“, fügte ich trocken an.
Walter riss die Augen auf, wich einen Schritt zurück und überlegte wohl, welche Fluchtwege ihm offenstanden.
Walter war Professor, hatte Physik studiert. Wir trafen uns vor Jahren das erste Mal in einer Unternehmensberatung, wo ich als Manager anfing und er bereits einen Fachbereich leitete – in der Abteilung, die ich künftig übernehmen sollte.
Er hatte das nie so richtig verwunden, dass er nicht der Manager geworden war. Aber so war es nun mal. Ich wusste davon auch zunächst nichts, denn ich war von außen in das Unternehmen geholt worden.
Jetzt aber schien Walter wirkliches Mitleid mit mir zu haben.
„Soweit bis du also unten angelangt“, schien mir seine Mimik zu sagen.
Er schaute zu seinem nagelneuen BMW hinüber, der unweit von uns stand, und dann wieder zurück auf meinen kleinen Jeep, der von hinten auch noch aussah, als wäre es ein kleiner Renault Twingo.
Also selbst das hatte das Leben in Walters Augen wohl zurechtgerückt, denn er kannte mich nur, dass ich in einem 7er BMW saß und damit gehetzt durch die Gegend bretterte.
Was sollte ich Walter sagen: Dass ich nun viel glücklicher war, einen Beruf gefunden hatte, der hart war, aber der mir die Erfüllung im Leben gab, die ich selbst auf der höchsten Stufe meiner Karriereleiter nie gefühlt hatte?
Es würde an Walter abprallen. Ich könnte zu ihm nicht durchdringen.
Also verabschiedeten wir uns nach einem Small-Talk und stiegen wieder ins Auto.
„Du hast ja nicht einmal die Zahnpasta von deiner Hose abgemacht. Hast du nicht gesehen, wie Walters Frau immer näher an dich heranrückte und auf den Fleck starrte?“, fragte Klara mich entrüstet.
„Weißt du, ich bin ich einfach glücklich“, sagte ich, ohne auf Klaras Vorwurf einzugehen.
„Dass du so schlampig umherläufst, das macht dich glücklich? Das fällt doch auf mich zurück!“, schimpfte Klara weiter.
„Nein, dass ich eine Tätigkeit gefunden habe, der mir einfach Spaß macht“, antwortete ich.
Klara sah mich an und nickte. Sie sah es genauso und sie wusste, dass es schwer war, dieses Glücksgefühl anderen Menschen zu vermitteln.
Ja, ich war Trauerredner und liebte inzwischen meinen Beruf.
Es ist zwanzig Jahre her, als ich meinen Vater besuchte und ihn fragte, ob er noch arbeiten würde.
Er war Jahrzehnte ordentlicher Professor an der TU in Dresden gewesen und wohnte nun in einer Wohnung, die ohne Weiteres dem betreuten Wohnen zugerechnet werden konnte.
„Ich halte Trauerreden“, sagte damals mein Vater trocken und schnörkellos.
„Bist du wahnsinnig! Du schadest deinem Ruf“, sagte ich zu ihm.
„Für meinen Ruf und meine Titel gibt es die Brötchen trotzdem nicht umsonst beim Bäcker“, antwortete er mir.
Auf der Rückfahrt von Dresden sagte ich zu Klara: „Wenn der das macht, dann verdient der auch gut, und dann macht es ihm auch Spaß. Der fasst nichts an, wo er keinen Beifall erhält“, fügte ich noch an.
Klara schmunzelte und nickte.
DU KANNST DOCH DIE REDE FÜR KLARAS TANTE HALTEN
Die Jahre vergingen. Wir waren im Urlaub an der Ostsee.
Wir nutzten den Aufenthalt, um einen Verwandten aufzusuchen, dessen Frau gerade verstorben war. Es war Klaras Tante. Klara hatte sie besonders gern gemocht, und ich mochte sie ebenso.
„Wir redeten ein wenig und plötzlich fing Klaras Onkel an, mir zu erzählen, wie die Trauerrednerin bei ihm gewesen war und was sie alles in der Rede sagen wollte.
„Aber das sind doch Worthülsen, die zwar gut klingen, wahrscheinlich irgendwo sogar abgeschrieben wurden. Aber sie haben doch nichts mit dem zu tun, was deine Frau ausgemacht hat, was Klara an ihrer Tante so schätzte und mochte.“
Der Onkel schaute mich an, stimmte mir zu und fragte mich, ob ich nicht die Rede übernehmen wollte.
Ich wollte nicht. Wir waren im Urlaub, ich hatte keine Ahnung, wie man so etwas anging.
„Nein, auf keinen Fall“, sagte ich.
„Und außerdem hast du doch schon eine professionelle Rednerin.“
„Naja, du wärst mir lieber“, sagte er zu mir.
„Wenn einer reden kann, dann du“, schob er noch hinterher.
„Ja, das stimmt“, nickte Klara.
Ich sträubte mich, denn ich wollte mir diese Bürde nicht aufhalsen.
Jetzt redeten beide auf mich ein.
„Wenn das dein Vater kann, dann kannst du es auch“, sagte Klara überzeugt.
Sie wusste, wie ich meine Vorlesungen ausgearbeitet, und wie ich sie vor Studenten gehalten hatte. Das war aber schon wieder eine Weile her.
Das entscheidende Argument, was mich schließlich überzeugte, kam von Klaras Onkel selbst.
„Im Grunde genommen bin ich so traurig, dass Hedwig die Rede nicht halten kann, denn sie ist zurzeit sehr krank“, sagte er.
Ich kannte Hedwig und ich wusste, dass sie Pfarrerin in Berlin war. Sie konnte exzellent reden und auch schreiben. Vor allem aber wusste sie, wie man die Geschichte eines Menschen erzählt.
Hinzukam: Hedwig kannte Klaras Tante von Jugend an.
Ich verstand nun, dass ich gar nicht die erste Wahl war für die Rede.
Aber an zweiter Stelle zu stehen – auf der Wunschliste von Klaras Onkel, und nur noch diese großartige Pfarrerin vor mir zu haben, das überzeugte mich.
„Gut, ich werde das machen“, sagte ich und ich überlegte, ob ich das wirklich hinbekommen konnte. Ich war zweifelte und ich wusste vor allem nicht, wie ich es angehen sollte.
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Was bisher war: Wir standen vor der Tür der Wohnung, in die wir gleich hineingehen wollten. Wir konnten nicht mit Straßenschuhen die Räume betreten, also mussten wir uns etwas über die Schuhe ziehen. Der Verkäufer kam wieder, mit ein paar Überziehern in der einen Hand und einem Stuhl in der anderen. „Hier können Sie sich draufsetzen, dann fällt es Ihnen leichter, sich die Überzieher über die Schuhe überzustreifen“, sagte er zu Klara. „Setz du dich hin, du schaffst es doch kaum, dir die Schnürsenkel im Stehen zuzubinden“, sagte Klara. Ich kochte innerlich, setzte mich hin, und ich meinte ein feines Lächeln im Gesicht des Verkäufers zu entdecken.
Endlich, ich hatte es geschafft. Ächzend und schnaubend erhob ich mich vom Stuhl, wobei ich nicht wusste, ob es eher die Anstrengung war, oder die Wut, die in mir hochkochte, weil ich dastand, wie ein alter Trottel, der nicht einmal die Schonbezüge für die Wohnung, also die Überzieher über seine Schuhe übergestülpt bekam.
Es war, als würde meine Mutter vor mir stehen, die mir vorher eine Spange in die gekämmten Haare gesteckt hatte, darauf eine rote Baskenmütze setzte, eine Mütze, die ich als zehnjähriger Junge hasste. Und zum Schluss zog meine Mutter oft noch ein Taschentusch aus der Jackentasche, befeuchtete es mit ihrer Spucke und rieb es mir über die Wange, weil dort vielleicht noch ein Marmeladenfleck vom Frühstück übriggeblieben war.
Ich war entschlossen, passiven Widerstand zu leisten, mich ausdrücklich zu der Wohnung zu freuen, und nicht Klara zu folgen, die nur die größere Wohnung, über 100 qm im Dachgeschoß im Kopf hatte.
Der Verkäufer öffnete die Tür und wir blickten in einen langen Flur. Das erinnerte mich an die Wohnung in Stralsund, in die wir vor über dreißig Jahren gezogen waren.
Der Flur war über 12 Meter lang und abends sagte Klara zu mir: „Wenn du noch etwas aus der Küche haben willst, dann sag es gleich. Noch mal werde ich dort nicht hingehen.“
Aber das war lange her und wir hatten dort auch nicht sehr lange gewohnt, denn danach wanderte ich nach Essen und Bochum aus, um Arbeit zu finden und wir landeten schließlich in unserem Dorf in Brandenburg, aus dem wir nun nach über 25 Jahren rauswollten.
„Oh, der Flur sieht ja toll aus“, sagte ich voller Entzücken. Es war gespielt und Klara merkte mir meine Übertreibung an und stimmte nicht mit in den Lobesgesang ein. Sie schwieg eisern.
Wir kamen am Bad vorbei.
„Was für eine großzügig eingerichtete Dusche. Das sieht ja alles edel aus“, sagte ich, während Klara hinter mir weiter nichts sagte.
„Ja, da haben sich die Architekten wirklich etwas einfallen lassen“, stimmte mir der Verkäufer zu, während wir ins Wohnzimmer gelangten.
„Na, das nenn‘ ich doch mal großzügig“, sagte ich.
„Und hier, liebe Klara, trennt sogar eine Wand die Küche vom Wohnzimmer ab“, sagte ich weiter und drehte mich zu ihr um.
Klara schaute mich mit dem Blick an, der da meinte: ‚Du musst hier gar nicht rumschleimen. Mich kriegst du sowieso nicht rum.‘
„Da passt nichts rein“, antwortete Klara trocken.
Ich ließ mich nicht beirren.
„Hier die Loggia“, zeigte der Verkäufer auf den Balkon.
„Der ist viel zu klein für uns“, antwortete Klara vor mir.
„Ja, unsere beliebten Stehbanketts im Freien werden wir hier nicht durchführen können“, sagte ich und bekam einen tadelnden Blick von Klara, der hieß, ‚hör auf, diesen Schwachsinn zu erzählen‘.
Ich ließ mich aber nicht abbringen von meiner gewählten Art, begeistert zu sprechen.
„Schau mal, du kannst ja sogar von zwei Seiten auf den Balkon“, wandte ich mich wieder an Klara.
„Du kannst da von drei Seiten raufgehen. Trotzdem ist er zu klein“, antwortete Klara knapp und mit leicht genervtem Unterton.
Der Verkäufer war mittlerweile aus der Situation, die Besichtigung in der Hand zu haben. Er kam nicht gegen mich an und schon gar nicht gegen Klara.
Wir besichtigten noch das Schlafzimmer und mein mögliches Arbeitszimmer, in das ich wohl nicht einziehen würde, wenn es einzig nach Klara ging, aber ich war entschlossen, meinen passiven Widerstand fortzusetzen und meine Frau so doch noch auf meine Seite zu ziehen.
„Können wir noch die große Wohnung im Dachgeschoß sehen?“, fragte Klara den Verkäufer.
Der zögerte, gab aber schließlich nach.
„Wir können es versuchen, aber die Wohnung ist längst noch nicht so weit, wie die hier.“
„Das macht nichts, wir wollen nur mal einen Überblick haben“, sagte Klara.
Wir zogen die Überzieher aus, stiefelten mit dem Stuhl in das Dachgeschoß, und ich setzte mich sofort auf den Stuhl, ohne abzuwarten, dass Klara sagte, dass ich mich hinsetzen solle, weil ich ja ohnehin nichts im Stehen zustande brachte, schon gar nicht die Plastiktüten über die Schuhe zu streifen.
Wütend riss ich an dem Schonbezug für meinen rechten Schuh und schon war es geschehen, er war in der Mitte aufgerissen. Der Verkäufer schaute mich an, Klara seufzte tief und atmete wieder schwer aus.
Ich kam mir vor, als hätte ich gerade meine Hosen verloren. Dabei waren es nur ein paar Schuhüberzieher, noch dazu aus umweltschädlichem Material gefertigt, die ich beschädigt hatte.
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BIBEL-2022.04.14
Jeder von uns sucht nach Antworten für ein sinnerfülltes Leben, nach dem Glück im Alltag. Die Bibel kann dieses Streben befördern – mit Lebensweisheiten, die über die Jahrhunderte hinweg erzählt und später auch dokumentiert wurden.
Ein kompakter Ausdruck dafür ist die Bibel selbst.
Weisheit und Weisheitsliteratur – diese Begriffe sind überliefert aus einer Sammlung von Schriften, die durch die Jahrhunderte hindurchgehen. Sie stammen von Israel, den benachbarten Völkern und von den ägyptischen Weisheitsschriften.
Die Weisheitslehre lässt sich in vier Phasen einteilen:
Erstens – in das sogenannte vorliterarische Stadium der Weisheit, in der man danach strebte, grundsätzlich in den Fragen des Lebens weise zu sein. Dazu zählen die Sammlungen des Königs Salomon als dem ‚beispielhaften Weisen‘ (1)
Zweitens in die Weisheitslehre, die vor allem in der Erziehung und Bildung eingesetzt wurde.
„Damit folgte Israel alten Vorbildern in Ägypten und Babylonien. Es bildeten sich Lehrüberlieferungen, deren Träger in erster Linie am Königshof zu suchen sind; denn ein König und seine Ratgeber mussten sich besonders durch Weisheit auszeichnen…“ (2)
Drittens: Später wurden die Weisheitssätze systematisiert und theologisiert. Gott, das göttliche Prinzip werden in den Mittelpunkt gestellt. (3)
Und schließlich viertens:
Die Weisheit wurde als Antwort auf die Fragen des Lebens genutzt. Sie sollte den Optimismus für das Leben fördern, der aber auch eine kritische Auseinandersetzung mitbeförderte.
In der Stuttgarter Erklärungsbibel heißt es hierzu:
„Diese Entwicklung forderte die kritische Auseinandersetzung heraus, wie sie uns im Buch des Predigers überliefert ist und in den Wechselreden des Buches Hiob einen besonders spannenden Ausdruck gefunden hat (vgl. die Einführungen zu Prediger und Hiob).“ (4)
(1) Vgl. dazu auch: Stuttgarter Erklärungsbibel mit Apokryphen, Die Heilige Schrift nach der Übersetzung Martin Luthers, mit Einführungen und Erklärungen; Deutsche Bibelgesellschaft. ISBN 978-3-438-01123-7 Neuausgabe mit Apokryphen © 2005 Deutsche Bibelgesellschaft Zweite, verbesserte Auflage 2007, 10.2016, S. 769 (2) Ebenda (3) Ebenda (4) Ebenda
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Was bisher war: Klara und ich wussten, dass wir etwas verändern mussten. Wir wurden nicht jünger und wir wollten ein neues Zuhause suchen. Der Gedanke war da, der Entschluss war gefasst. Im Herzen aber, da fiel es uns schwer, diese Veränderungen wirklich in Angriff zu nehmen. Schließlich griff ich doch zum Hörer, um einem Bauträger einen Besichtigungstermin zu vereinbaren.
„Sie können noch in dieser Woche zur Besichtigung vorbeikommen“, sagte die Mitarbeiterin des Bauträgers am Telefon.
„Das klingt gut“, sagte ich und vereinbarte einen Termin für den Donnerstag in der gleichen Woche, in der ich angerufen hatte.
Wir waren bereits an einem Sonntag auf der Baustelle gewesen, auf der die neuen Häuser errichtet wurden.
„Siehst du, da ist die Wohnung im achten Stock, keiner über uns und mit einer Wohnfläche von fast 100 qm.
Eine Terrasse gibt es auch. Sie geht über die gesamte Breite der Wohnung. Siehst du das?“, fragte Klara mich eindringlich, so als ob ich nicht sehen könnte und zum ersten Mal auf der Baustelle die Wohnung sah, die sie bereits für sich im Kopf beschlagnahmt hatte.
Aber Klara hatte sich tatsächlich bereits alle Grundrisse im Internet angesehen, im Gegensatz zu mir, der sich nicht festlegen wollte auf Projekte, die vielleicht utopisch waren. Die Wohnung hatte eine herausragende Lage, sie war bestimmt schon die erste, die weg war. Doch das sagte ich nicht laut.
Laura hatte Klara dabei geholfen und beide hatten die Zimmer bereits virtuell eingeräumt, während ich im Nebenzimmer am Schreibtisch saß und mich mit den Belegen für die Steuer herumplagte.
„Wenigstens trennt hier eine Wand die Küche vom Wohnzimmer ab“, hörte ich Klara sagen.
Sie mochte die Varianten der amerikanischen Küchen überhaupt nicht. Früher, da gab es in jeder noch so kleinen DDR-Wohnung einen abgetrennten Raum, in der die Küche war. So hatte ich es jedenfalls in Erinnerung.
Doch nun war es anders, jetzt gab es überwiegend die Grundrisse bei den neu errichteten Wohnungen, bei der die Küche in den Wohnraum integriert war.
Der Tag der Besichtigung war da und wir warteten aufgeregt vor dem Bauzaun, um von einem Mitarbeiter abgeholt zu werden.
„Ich gehe nach rechts, da kommt der Verkäufer bestimmt“, sagte Klara.
„Du musst strategisch denken“, entgegnete ich, „der Verkäufer kommt unter Garantie hier, an der Hauptachse und lässt uns rein.“
Während ich das sagte, war Klara bereits ein paar Meter weiter nach rechts gegangen.
Wenige Augenblicke später kam der Verkäufer. Auf der Seite, auf der Klara stand.
Ich lief verdrossen nach rechts und begrüßte den Mitarbeiter, der mich kaum wahrnahm, weil er bereits in einem angeregten Gespräch mit Klara war.
Sie gingen beide vor mir, während ich hinterhertrottete.
Der Verkäufer lief zielstrebig an dem Haus vorbei, in der sich unsere ‚Traumwohnung‘ befand.
Bauarbeiter eilten achtlos an uns vorüber und hinter uns hupte ein Bagger, um sich seinen Weg zu bahnen.
Ich musste an Krümel denken, der ich abends noch das Buch von der ‚Baggerfahrerin Annette Kuhn‘ vorlesen musste.
Hier, auf der Baustelle, da war das alles nicht so lustig.
Klara blieb plötzlich stehen. „Die Dachgeschoßwohnung, die noch frei ist, die ist doch in dem Haus daneben, oder?“
„Ja, das ist richtig, aber sie ist nicht mehr frei, sondern in der Zwischenzeit reserviert“, sagte der Verkäufer, ohne sich weiter umzudrehen. Er konnte deshalb nicht Klaras enttäuschte Gesichtszüge sehen.
„Was werden wir denn besichtigen?“, fragte ich, um das Schweigen zu überbrücken.
„Eine sehr schöne 3-Raum-Wohnung im 2. Obergeschoß“, sagte der Verkäufer und zeigte auf das Haus neben unserer Traumwohnung.
Klara schwieg beharrlich weiter. Wir gingen in den Eingang und der Verkäufer bat uns zu warten.
„Ich hole für uns noch etwas zum Überziehen für die Schuhe, denn das Parkett ist bereits verlegt“, sagte er.
„Oh“, sagte ich und wollte meine Bewunderung über diese Vorsichtsmaßnahme zum Ausdruck bringen.
Klara schwieg. Als der Verkäufer die Treppe runtergegangen war, da sagte Klara kurz und knapp: „Ich will diese Wohnung nicht.“
„Lass sie uns wenigstens ansehen, absagen können wir immer noch.“
Der Verkäufer kam wieder, mit ein paar Überziehern in der einen Hand und einem Stuhl in der anderen.
„Hier können Sie sich draufsetzen, dann fällt es Ihnen leichter, sich die Überzieher über die Schuhe überzustreifen“, sagte er zu Klara.
„Setz du dich hin, du schaffst es doch kaum, dir die Schnürsenkel im Stehen zuzubinden“, sagte Klara.
Ich kochte innerlich, setzte mich hin, und ich meinte ein feines Lächeln im Gesicht des Verkäufers zu entdecken.
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Schreiben strukturiert deine Gedanken und Gefühle. Ich schreibe über das, was direkt vor meiner Nase liegt – mein Leben im Alltag. Besser das Alltägliche beobachten, wahrnehmen, erleben, als auf die große Inspiration zu warten.
Ich schöpfe vor allem aus der eigenen Erfahrung, wenn ich ein geeignetes Thema suche.
Vieles, was ich selbst erlebe, wahrnehme oder im Gespräch erfahre ist es zunächst wert, dass ich es auf dem Papier oder digital festhalte.
Klar, manchmal reizt es mich schon, Geschichten aufzuschreiben, die fantasievoll sind und mit fiktionalen Figuren ausgestattet werden.
Doch es ist einfach trügerisch, nur darauf zu warten, die großen Sensationen aufzuschreiben.
Und deshalb: Das Alltägliche bleibt für mich am spannendsten.
Ich beobachte gern, frage Menschen nach ihren Geschichten und schreibe sie dann auf.
Für mich steht weniger im Vordergrund, womit ich am meisten Leser anziehe.
Nein, ich will aus dem inneren Gefühl herausschreiben, dass ich an dem, was ich notiere, auch sehr nah dran bin.
In Gesprächen oder in Interviews mit anderen Personen sehe ich oft, dass derjenige, mit dem ich über sein Leben spreche, erst in dem Moment selbst bewusster, intensiver wahrnimmt, dass er eigentlich ebenfalls ein tolles Leben führt.
Dieses aufsteigende Glücksgefühl bei anderen Menschen zu erleben, das ist eine große Motivation für mich.
Das Schreiben bleibt die Grundlage dafür, dass du nicht nur strukturierst denkst, nein, du kannst danach auch viel besser über deine Beobachtungen, Gefühle, Erfahrungen reden.
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ALLTÄGLICHES-2022.06.02
Wir werden sterben. Das wissen wir. Den Gedanken daran schieben wir dennoch weg.
Der Kelch geht an uns vorbei, möglichst lange, so hoffen wir jedenfalls.
Diese Tatsache ist ja auch ziemlich brutal. Und gerade deshalb wollen wir es nicht so richtig glauben.
Der Augenblick, in dem diese unumstößliche Wahrheit aber dein Bewusstsein, dein Fühlen und Denken erreicht, kann auch etwas Positives bewirken, nämlich – dir das Wertvolle an deinem Alltag vor Augen zu führen, dich an den kleinsten Dingen zu freuen.
Vielleicht eine Blume, die du gerade siehst.
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ALLTÄGLICHES-2022.05.25
Geschäftliche Aufträge, Business-Texte schreiben, Broschüren lektorieren, all das bindet aktuell meine Kraft.
Ich muss meine Energie bündeln, um meine Ziele zu erreichen.
Aber irgendwann taucht ‚Thure‘ wieder auf, versprochen.
Für alle Leserinnen und Leser einen schönen Vatertag, Herrentag, ‚Christi Himmelfahrt‘ oder einfach ein paar Stunden, um die Füße hochzulegen.
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Thure sah vom Küchenfenster aus, wie die Wiesen noch von einem Nebelschleier bedeckt wurden und das Gras noch feucht vom Morgentau war.
In der Ferne beobachtete er einen roten Streifen am Himmel.
Es würde wohl schön werden, an diesem Tag, und so beschloss Thure, nach dem Frühstück einen Spaziergang durch das Dorf zu machen, vielleicht Jakub Zlobinski, dem Besitzer des Gasthofes vorbeizuschauen.
Thure war in Schwerin geboren und er war nun bereits im siebzigsten Lebensjahr.
„Wenn ich mit 70 einmal so aussehen sollte, wie Sie, dann freue ich mich“, sagte ein Bestatter zu ihm, mit dem er etwas über das Marketing besprach.
„Das ist sehr nett“, hatte Thure geantwortet.
„Aber über kurz oder lang kriegen Sie mich trotzdem in ihre Hände“, schob Thure noch nach.
In Thure schossen Erinnerungen aus der Kindheit hoch
Thure erinnerte sich gern an seine Kindheit. Wie er im Schweriner Schloss herumgetobt war, da, wo heute das Parlament saß.
„Woran denkst du?“, fragte Maria ihn, die gerade das Frühstück zubereitete.
Thure drehte sich zu Maria um und setzte sich auf die Holzbank am Fenster, Emma war nicht da und so konnte er ein Bein ausgestreckt auf die Bank legen, das Kissen hinter sich im Rücken verkeilen und die Gedanken schweifen lassen.
„Ach weißt du, ich denk‘ gerade zurück“, wie glücklich wir in Schwerin als Kinder waren.
Vor allem, dass wir uns um nichts kümmern mussten“.
„Ja“, seufzte Maria, „das stimmt.“
Thure war nun in Fahrt gekommen.
„Eines Tages lief meine Mutter mit einem griesgrämigen Gesicht umher, und wir durften sie nicht ansprechen, weil sie nach der Arbeit ihre Ruhe wollte“, erzählte Thure.
Er kam ins Schwelgen: „Wir haben Oma Mathilde gefragt, warum Mama so schlecht Laune habe.“
„Und, was hat sie geantwortet?“, fragte Maria nach, obwohl sie die Antwort kannte.
„Oma Mathilde hat gesagt, dass unsere Mama so viele Sorgen hätte.
Irgendwie wollten wir Kinder dann auch Sorgen haben“, erinnerte sich Thure weiter.
Oma Mathilde war für die Kinder immer da, für Thure, seinen Bruder Thorben und seine Schwester Gabriella.
Sie kam jeden Morgen bereits kurz nach sechs Uhr aus ihrer Wohnung auf dem Obotriten Ring in die ‚Straße der Nationalen Einheit‘, wie sie in den 50 er und 60 Jahren noch hieß.
Im Winter kniete sie sich als erstes vor den Ofen im Kinderzimmer und spaltete mit dem Küchenmesser Holzscheite, knüllte die Zeitung ‚Neues Deutschland‘ zusammen und stopfte sie in den Ofen.
Dann zündete sie das Papier an und allmählich war das Knacken der Holzscheite zu hören und es roch ein wenig nach dem Rauch, der im Ofen aufstieg.
Maria unterbrach Thures Kindheitserinnerungen abrupt
„Wir wollten nicht aufstehen, aber daran führte kein Weg vorbei“, schwelgte Thure weiter in Erinnerung.
„Das Frühstück ist fertig und steht vor dir“, unterbrach ihn Maria.
Sie wollte in der Küche weiterkommen, schnell nach dem Frühstück das Geschirr abräumen und später im Dorf Einkaufen fahren.
Nur widerwillig hörte Thure auf, in seinen Erinnerungen zu kramen. Er biss in ein Brötchen und schwieg.
Er dachte an Emma, seine Enkelin. Würde sie ebenfalls eines Tages so gern an ihren Opa denken, wie er sich an seine Oma zurückerinnerte?
Das war nicht klar, aber er hatte in ihr bereits in seinen Tagen einen guten und aufmerksamen Zuhörer in ihr.
„Opa, erzähl über die Scheune“, sagte sie zu ihm. Dann durfte Thure auch sein Bein weiter bei ihr auf der Bank über ihre kleinen Beinchen legen.
Emma liebte es, wenn Thure dabei stets die gleichen Figuren agieren ließ.
Da waren die Katze Benni, der Hund Bobby, der Spatz Pipeva, und Emma halbe Kita, die mit am Tisch saßen- Bauzu, Viki, Piatessa.
Ganz hinten im Stall war der Esel la der an einer Möhre kaute.
Thure hatte schon überlegt, ob er nicht Esel anschaffen sollte.
„Ein Esel reicht in der Familie“, hatte Maria das aber trocken abgeschmettert.
Thure drückte sich vor der Hausarbeit
Thure erhob sich von der Holzbank und wollte sich aus der Küche verdrücken.
„Du kannst auch ruhig mal das Geschirr in den Spüler räumen“, sagte Maria zu ihm.
„Da ist es zu eng für zwei“, sagte Thure trocken und verschwand im Flur.
„Ich dreh‘ mal ne Runde im Dorf“, sagte er.
Thure zog sich die Jacke über und ging aus der Tür. Es roch nach frischem Gras. In der Ferne strebte der glutrote Ball der Sonne dem Himmel entgegen.
Thure streckte die Arme und entschloss sich, einen Blick in die Gaststube von Jakub Zlobinski zu werfen.
„Wo willst du hin?“, fragte Maria ihn, die plötzlich in der Haustür stand.
„Ach nur mal ein paar Schritte auf der Straße entlanggehen, Richtung Gaststube“, antwortete Thure knapp.
„Aber nicht, dass du da zu Jakub reingehst und einen Kaffee trinkst. Du weißt, dass dies nicht gut ist für deinen Blutdruck“, sagte Maria zu ihm.
„Nö, nö“, brummte Thure und machte sich von dannen.
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THURE-22.04.08
Was bisher war:
Thure wachte aus seinem schrecklichen Albtraum auf. Er saß auf den Schienen, mitten auf einer freien Zugstrecke und war an Händen und Füssen an die Gleise gefesselt.
Seine Frau Maria erlöste ihn aus seinem Traum.
Thure erinnerte sich daran, wie er kürzlich mit Emma von der Couch aus ‚Angeln‘ gespielt hatte.
„Los Opa, noch mal, feuerte sie Thure an, der die in seiner Hand vermeintlich befindliche Angel drehte.
Thure hatte zu seinem Dorf eine ‚Hass-Liebe‘ entwickelt.
Er lebte nun schon fast dreißig Jahre dort, fühlte sich einerseits zu Hause und andererseits wiederum fremd.
Schebsand befand sich am Rand von Berlin, im Norden von Brandenburg.
Es war ein Katzensprung nach Buch und auch bis Berlin-Mitte waren es lediglich 20 Minuten.
„Da kannst du auch mit dem Lastenfahrrad hinfahren“, meinte Thure oft im Scherz.
Thure hasste es inzwischen, in den Prenzlauer Berg hineinzufahren, weil ihm der Stadtteil inzwischen zu gekünstelt vorkam.
Manchmal musste er dorthin, um sich beim Frisör die Haare schneiden zu lassen.
Aber anschließend freute er sich umso mehr, wenn er wieder in sein Dorf flüchten konnte, das er in solchen Momenten besonders liebte.
Thure hatte herausgefunden, dass es sich bei Schebsand um ein Platzkerndorf handelte, das sogar den Dreißigjährigen Krieg überstanden hatte
„Das sind eben Ossis aus Stahl und mit Herz“, sagte Thure.
„Die Ossis gab es doch damals noch gar nicht“, wendete dann seine
Tochter Jette ein, was Thure aber nicht gelten ließ.
„Schebsand lag schon immer im Osten“, brachte er das Totschlagargument an.
Aber viel wichtiger war ihm, dass es im Dorf einen Dorfteich gab, wo er sich auf eine Bank setzen konnte und von wo aus er auch das Geschrei der Kinder vom Spielplatz aus der Kita hörte.
„Du darfst jetzt aber nicht ‚oh, oh‘ sagen, wenn ich hier meine Übungen mache“, drang manchmal das dünne, aber energische Stimmchen von Emma zu ihm herüber.
Dann war für Thure die Welt in Ordnung.
Im Osten grenzte Schebsand an riesige Flächen von Weideland, die der ehemaligen LPG gehörten, die sich nach der Wende in eine Genossenschaft umgewandelt hatte.
Thures Haus lag im Süden von Schebsand. Er hatte damals eine Scheune miterworben, in der sich besonders gern Emma aufhielt und spielte.
Einige hundert Meter entfernt von Thures Grundstück war ein See zu sehen, von dem stets eine frische Prise herüberwehte.
Thures Kummer war, dass vor seinem Haus noch zwei weitere Häuser standen, sodass er keinen freien Blick auf den See hatte.
Dafür liebte er sein Haus umso mehr. Es war über 100 Jahre alt, und so manches war überholungsbedürftig, wenn man es mit modernen Standards der heutigen Zeit verglich.
Der Fußboden im Flur bestand immer noch aus den alten braunen Fliesen, über die ein Teppich gelegt war und die nur noch an den Seiten zu sehen waren. Am Ende des Flurs stand eine alte Bauerntruhe, auf der ein weißes Fell lag.
Die Küche befand sich auf der rechten Seite des Hauses. Sie war geräumig und bildete den Mittelpunkt des Familienlebens. An der Fensterseite stand ein langer Holztisch, den Thure extra für die Küche hatte anfertigen lassen.
Auf beiden Seiten des Tisches waren Sitzgelegenheiten vorhanden. Am Fenster konnte man auf einer Holzbank sitzen, die ebenfalls der Länge des Tisches angepasst war.
Auf der gegenüberliegenden Seite standen Korbstühle, die mit blau-weißen Sitzkissen ausgestattet waren.
An den Fenstern hingen Übergardinen, ebenfalls in den Farben blau-weiß.
An der Stirnseite der Küche war noch ein alter Kohleherd zu sehen. Er wurde nicht mehr benutzt und Maria hatte ihn mit vielen kleineren Gegenständen dekoriert.
Zur Zeit standen dort bereits die ersten Osterhasen und eine Vase mit einem Strauch, an dem Ostereier hingen.
Das alles verlieh dem Ganzen eine gemütliche Atmosphäre, sodass sich die Familie oft länger in der Küche aufhielten und Maria beim Zubereiten des Essens zusahen.
Thure und Emma saßen oft auf der Holzbank zusammen. Thure legte manchmal sein Bein auf die Bank und über die Knie von Emma.
„Opa, nimm den Fuß runter“, sagte die Vierjährige dann.
„Das ist mein Erzählfuß, und der muss oben bleiben, sonst kann ich dir keine Geschichten erzählen“, sagte Thure in solchen Momenten zu ihr.
Emma überlegte kurz und sagte dann: „Komm Opa, leg deinen Fuß ruhig hier drauf.“
„Erzähl von der Scheune“, sagte sie weiter und Thure begann sich eine Geschichte von der Scheune auszudenken, in der der Esel ‚Ia‘ lebte, die Katze ‚Benny‘, der Spatz ‚Pipeva‘ und Emmas Kita-freundinnen.
Thure war wie so oft früh aufgestanden. Er wollte weiterkommen mit dem Schreiben und auch einige seiner Kunden anrufen, um zu fragen, ob die Firmenporträts auf dem Blog verlängert werden sollten.
Er hatte einen guten Draht zu seinen Kunden. Es war mehr freundschaftlich, als geschäftlich, was sicher daherkam, dass er so über so manche Firma und Unternehmer schon viele Jahre schrieb.
Thure fand es immer noch spannend, dass er auf einem Hof saß und trotzdem mit der Welt da draußen kommunizierte.
Unvorstellbar zu DDR-Zeiten, in der es nicht mal in jedem Haushalt ein Telefon gab.
Und nicht auszudenken, wie sein Vater reagierte.
„Du kannst doch nicht in diesem Kuhdorf dein Leben wegwerfen“, hatte er oft zu ihm gesagt.
Aber für Thure war es genau andersherum. In Schebsand, so fand er, hatte sein wahres Leben erst begonnen.
Er saß auf der Holzbank in der Küche, hatte seinen Tee vor sich. Es war kurz nach halb fünf Uhr früh.
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SCHREIB-ALLTAG-22.04.07
DAS HANDWERK DES ERZÄHLENS AUS MEINER PERSPEKTIVE: Warum überhaupt den Stift zur Hand nehmen, die Tastatur des Computers quälen, Stunde um Stunde mit Sätzen und Worten ringen? Ist Schreiben eine Krankheit, weil du nicht aufhören kannst, oder ist sie auch so etwas wie Medizin? Techniken – Erfahrungen und Lücken; im Rhythmus bleiben – schreiben, lernen, üben, schreiben und wieder schreiben; Ergebnisse – Geschriebenes und Verworfenes; Emotionen- ‚himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt‘; von der Unvernunft, mehr von der Leidenschaft zu zehren als von den Einnahmen.
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ALLTÄGLICHES-2022.04.06
Man muss nicht alles mögen und teilen, was Friedrich Nietzsche gesagt und geschrieben hat. Seine Ideen zu lesen und zu kennen allerdings schärft deinen Blick für den Alltag, bringt dich zum Nachdenken über eigene Positionen, Einstellungen und Handlungen. Und das allein ist schon ein Wert an sich.
NIETZSCHE ÜBER DIE SCHWELGEREI DER RACHE
„Grobe Menschen, welche sich beleidigt fühlen, pflegen den Grad der Beleidigung so hoch als möglich zu nehmen und erzählen die Ursache mit stark übertreibenden Worten, um nur in dem einmal erweckten Hass- und Rachegefühl sich recht ausschwelgen zu können.“ (1)
(1) Friedrich Nietzsche, Gesammelte Werke, Anaconda Verlag GmbH Köln, ISBN 978-3-86 647-755-1, S.163, (62)
SCHREIB-ALLTAG-22.04.05
SCHREIB-ALLTAG IM TELEGRAMMSTIL (1)
DAS HANDWERK DES ERZÄHLENS AUS MEINER PERSPEKTIVE: Techniken – Erfahrungen und Lücken; im Rhythmus bleiben – schreiben, lernen, üben, schreiben und wieder schreiben; Ergebnisse – Geschriebenes und Verworfenes; Emotionen- ‚himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt‘; Von der Unvernunft, mehr von der Leidenschaft zu zehren als von den Einnahmen; warum man weitermacht, obwohl der Job wenig Früchte einbringt.
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BIBEL-22.04.04
Spr 18,21
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ALLTÄGLICHES-22.04.03
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THURE-22.04.01
Thure Hansen saß auf den Schienen, mitten auf einer freien Zugstrecke. Er war an Händen und Füssen mit Eisenketten an die Gleise gefesselt und konnte sich kaum bewegen.
Es regnete und es schien, als würden sich Bäche von herabstürzendem Wasser auf ihm ergießen.
Aus der Ferne ertöntes ein schrilles Signal, das Thure zusätzlich erschaudern ließ.
Die Lichtkegel der herannahenden Lokomotive stachen durch die Dunkelheit hindurch und nahmen eine gespenstische Größe an, je näher sie kamen.
„Hilfe, bitte helft mir“, schrie Thure. Aber niemand hörte ihn.
Und so kam, was kommen musste. Der Zug kam näher und Thure fügte sich in sein unausweichliches Schicksal.
Als die Waggons mit unbarmherziger Härte heranratterten, da bewegten sich hinter ihm die Weichen mit einem knackenden und quietschenden Geräusch und schoben den herandonnernden Zug auf die parallel verlaufenden Gleise.
Die Waggons schossen an Thure mit einem ohrenbetäubenden Lärm vorbei, wie von einer unsichtbaren Kraft geleitet.
Thure spürte plötzlich eine Hand, die auf ihm lag.
„Warum schreist du so?“, fragte Maria ihn, nachdem er schweißgebadet aufgewacht war.
„Ach nichts!“, murmelte Thure.
„Die Drogenmafia hat mich auf den Gleisen angekettet. Es gab kein Entrinnen.“
„Du guckst zu viele brutale Filme“, sagte Maria zu ihm, drehte sich um und versuchte weiterzuschlafen.
Thure war froh, dass seine Frau ihn aus diesem Albtraum erlöst hatte.
Er stand auf und schlurfte ins Bad, um sein Gesicht ein wenig zu benetzen.
Obwohl es erst kurz nach drei Uhr war, wollte er aufbleiben.
Bei Thure, im Grunde genommen froh, dem vermeintlichen Unglück entronnen zu sein, stellte sich dennoch keine wirkliche Freude ein.
Ihm kam der Krieg in der Ukraine wieder ins Bewusstsein.
War die Realität etwa noch schlimmer als das, was er gerade geträumt hatte?
Er versuchte an etwas Schönes zu denken.
Gestern hatte er mit Emma, seiner vierjährigen Enkelin auf dem Sofa gesessen und sie hatten Angeln gespielt.
Thure sollte für Emma mit der Angel eine Krone aus dem Wasser fischen, die sie dort verloren hatte.
„Opa, du musst an der Kurbel drehen“, rief Emma. Sie war mit Energie und Phantasie bei dem Spiel.
‚Was für ein glücklicher Moment‘, dachte Thure.
Er hatte für die Kleine einen Strand aus Worten gemalt, mitten auf seiner Lieblingsinsel Rügen, und sie tauchten die Angel in das Wasser, um die Krone zu finden und vielleicht sogar eine Kiste mit Gold.
„Oh, das wird ja immer schwerer. Schau mal, wie sich die Angelschnur biegt. Hoffentlich reißt sie nicht“, schnaufte Thure.
„Mach schnell, Opa!“
Emma hielt es nicht mehr auf der Couch. Sie kroch vom Sitz herunter und kletterte auf die Seitenwand, um sich nach vorn zu beugen, so, als würde sie an der Angelschnur mitziehen können.
„Ach du lieber Gott“, fluchte Thure.
„Es ist ein alter, dreckiger und stinkender Teppich. Wer hat denn den da reingeschmissen?“
Thure spielte seine Enttäuschung so echt, dass Emma in glucksendes Lachen ausbrach.
Ihre Zähne blitzen, ihre Augen funkelten und sie klatschte vor Begeisterung in die Hände.
„Los Opa, noch mal“, feuerte sie Thure an, der die vermeintliche Angel in der Hand drehte und mit noch größerem Schwung und unter großem Beifall von Emma wieder in das Wasser warf.
„So Emma, wir müssen nach Hause fahren“, sagte Emmas Mama, die unbemerkt ins Wohnzimmer gekommen war.
„Ich bleib’ bei Opa. Wir müssen noch die Krone finden“, sagte Emma und spornte Thure an.
„Machen wir weiter, Opa.“
Thure musste nun schmunzeln, als er sich an die schönen Momente mit Emma erinnerte und gleich wieder traurig wurde. Es könnte alles so schön sein. Wäre da nur nicht dieser furchtbare Gedanke an den Krieg in der Ukraine.
Schon ein wenig munterer befeuchtete Thure weiter seine Lippen und die Augen mit ein paar Spritzern Wassern.
‚Warum stand er so früh auf, war es etwa senile Bettflucht?‘, schoss es ihm durch den Kopf, als er sein zerknittertes Gesicht im Spiegel betrachtete.
Nein, das war es wohl nicht. Er fühlte sich von etwas Unsichtbarem getrieben, etwas, das ihn sein ganzes Leben in Trab gehalten hatte – der ungläubige Wille, noch etwas Sinnvolles zu schaffen.
„Ich muss um vier Uhr aufstehen, sonst schaffe ich mein Pensum nicht“, sagte er zu seiner Frau, die nur die Augen verdrehte.
„Du bist Rentner“, versuchte sie ihn auf den Boden der Tatsachen zu holen, aber davon wollte Thure nichts wissen, und so prallten die Worte an ihm ab.
Thure machte Sport. Fast jeden Tag lief er früh durchs Dorf, genau dann, wenn die anderen Bewohner noch schliefen und nicht sehen konnten, wenn er seine Stöcke in den Boden rammte und dabei schnaufte, als würde er eine Lokomotive hinter sich her schleifen.
Morgens war es für ihn am schönsten. Er konnte in die Wiesen schauen, auf denen noch der Nebel lag und nur langsam aufstieg, und er lief an den Häusern vorbei, in denen nur selten bereits Licht brannte.
Thure liebte sein Dorf und manchmal hasste er es auch, obwohl er nun schon fast dreißig Jahre dort wohnte.
Es war so ein Gefühl, dass er nicht wirklich dazugehörte, sich woanders hinsehnte, nach Schwerin zum Beispiel oder nach Rügen, seine geliebte Insel.
Aber nun war er in Brandenburg, wurde dort wahrscheinlich begraben und die Dorfbewohner würden auf der Beerdigungsfeier wahrscheinlich sagen, dass er eigentlich gar nicht von hier war, ein Fremder eben.
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JEEPY-22.03.31
JEEPYS FAHRER WEISS MAL WIEDER ALLES BESSER, DENKT ER JEDENFALLS
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ALLTÄGLICHES-22.03.30
Ich habe ein paar Tage mit dem Laufen ausgesetzt.
Am Montag, ja da wollte ich wieder anfangen, aber ich hatte abends zu lange vor dem Fernseher gesessen, eigentlich schon gelegen – vor dem kleineren Apparat, auf der Ersatzbank eben, im Schlafzimmer.
Also hatte ich keine Lust, am nächsten Tag gegen vier Uhr aufzustehen und loszulaufen.
Aber am Dienstag, ja da war ich bereit für den Start in das dunkle Dickicht am Liepnitzsee.
Als ich auf dem Parkplatz angekommen war, konnte ich kaum etwas erkennen.
Ich stülpte mir die Lampe fürs Laufen über den Kopf, schnallte meine Stöcke um und lief todesmutig los. In der Ferne schrie ununterbrochen eine Eule.
Oder war das vielleicht doch ein ‚verkappter Wolf’?
Naja, wer weiß das schon, morgens im dunklen Wald. Wenn es rings herum um dich duster ist und du den Lichtkegel auf den Boden richtest, damit du nicht über eine Wurzel stolperst.
Dann kriegst du schon mal Angst. Ich jedenfalls war auf alles gefasst.
Aber würden die Wölfe sich einen fetten Happen, wie ich einer war, entgehen lassen?
Ich musste der Wahrheit ins Auge blicken- höchstwahrscheinlich nicht.
Im Ernstfall hatte ich ja meine Stöcke.
Außerdem kannte ich bis jetzt Wölfe nur aus dem Wildpark Schorfheide.
‚Wieso also sollten sie gerade hier auftauchen?‘, versuchte ich mich zu beruhigen.
Ich lief weiter und versuchte die durchdringenden ‚Uhu-Schreie‘ zu ignorieren.
Der Wind strich durch das dürre Geäst der Bäume, das zu beängstigend knarrte.
Ein Stück weiter lag ein Baum vor mir, mitten auf dem Weg.
‚Wieso liegt der hier? Und war ich von der Strecke abgekommen?‘
Vorsichtshalber lief ich ein paar Meter zurück.
Hier irgendwo musste doch das Loch sein, in das ich regelmäßig hineinstolperte und mir fast schon den Knöchel gebrochen hatte.
Dieses Loch war für mich schon vor Jahren ein Fluch. Als ich es jetzt tastend wiederfand und einen der Nordic-Walking-Stöcke hineinstoßen konnte, da erfasste mich so etwas wie ein verhaltenes Glücksgefühl. Ich war nicht vom Weg abgekommen.
Ich suchte eine Möglichkeit, durch das Gestrüpp hindurchzukommen, um den Baumstamm zu umgehen.
Ansonsten hätte ich beim Klettern die Stöcke abschnallen müssen, weil der Stamm zu hoch lag.
Ein Zweig peitschte mir ins Gesicht. Ich hatte ihn nicht auf mich zukommen sehen. Ich war zu sehr damit beschäftigt, den riesigen Baum zu betrachten, der einfach nur so umgeknickt war. In der Mitte schien er durchgebrochen zu sein.
Die Enden hingen noch aneinander, so wie ein Streichholz, das man knickte, aber nicht glatt durchgebrochen bekam.
Ein riesiger Wurzelverbund hing am Ende des Baumes in der Luft, bedeckt von Erde.
‚Was, wenn der Baum gerade dann umgeknickt wäre, wenn ich an der Stelle hätte vorbeilaufen wollen?‘
Umgestürzte Bäume, die Schreckensschreie des Uhus, das Knarren der Bäume – dieser Wald wurde mir unheimlich, zumal ich lediglich seine Umrisse erkennen konnte.
Das Band der Lampe schnürte mir den Kopf zusammen. Ich hatte es wohl etwas zu eng gestellt.
Dann kam der nächste Baum und dann noch einer.
„Wieso waren die alle umgestürzt?“
Ich hasste es, wenn nicht alles an seinem Platz war. Wieder musste ich durch das Gebüsch hindurch, auf Wurzeln treten und Zweige aus dem Gesicht nehmen.
Ich blieb stehen und schaute auf die Uhr. Das war nicht so einfach. Ich hatte noch Handschuhe an, damit die Riemen von den Stöcken nicht so auf den Händen scheuerten.
Ich hob den rechten Stock an, der nun in der Luft hing und versuchte gleichzeitig mit der vom Handschuh eingesperrten Hand die beiden dicken Pulloverenden vorn am Arm zurückzuziehen.
Als ich das geschafft hatte, sah ich nichts und musste den Lichtkegel auf das Ziffernblatt lenken.
„Wie viel Helden gab es eigentlich in der Republik, die kurz nach fünf Uhr Hindernislauf im Wald übten?“, fragte ich mich.
„Nur einen, und zwar dich. Aber du bist kein Held, sondern irgendwie nicht richtig verdrahtet“, würde Klara sagen.
Ich lief weiter und stoppte. War ich noch auf der richtigen Strecke? Wieso führte der Weg jetzt eigentlich in eine Senke?
Und wann wurde es endlich etwas heller?
Ich fluchte auf die Sommerzeit.
Ich lief immer tiefer in einen Waldweg hinein, der mir zunehmend unheimlich wurde.
Plötzlich stand ich auf dem asphaltierten Weg, der direkt zum See hinunterführte.
Jetzt war es klar: Ich hatte mich völlig verlaufen.
Sollte ich zurückgehen, wieder über die vielen Wurzeln stolpern oder auf dem sicheren Weg weiterlaufen und dafür den harten Asphalt in Kauf nehmen?
Ich mochte es nicht, auf diesen befestigten Wegen zu laufen. Und meine Knie schon überhaupt nicht.
Ich bewunderte die Schauspieler in den amerikanischen Filmen, die morgens durch New York joggten, einen Stöpsel im Ohr hatten, an den zur Arbeit hastenden Menschen vorbeiliefen, stets locker und leichtfüßig in der Bewegung.
Anschließend sah man diese Protagonisten meist in einer durchgestylten Küche stehen und sich einen Saft zusammenmixen, mit der neuesten Maschine natürlich.
Damit konnte ich mich nicht messen. Ich stampfte durch den Wald, schnaufte, tastete die Gegend nach bekannten Merkmalen ab und hörte auf mögliche herannahende heulende Wölfe.
Nach einer Stunde hatte ich das Auto wieder auf dem Parkplatz erreicht.
Ich schnallte die Stöcke ab und versuchte die Handschuhe abzustreifen. Die Befestigung für den rechten Walking-Stock rutschte dabei aus der Halterung. Ich blieb stehen und fummelte es an Ort und Stelle wieder ein.
Auf der Rückfahrt bedrängten mich zur Arbeit rasende Autos mit ihren schlecht gelaunten Fahrern am Steuer, während ich den morgendlichen Walking-Tripp wenigstens ruhig ausklingen lassen wollte.
Zuhause angekommen, stieg ich aus dem Auto, setzte mich auf die Bank und hörte den Vögeln zu, die in Scharen in den Bäumen Krach machten.
Ich überlegte, ob ich Krümel per Audio erzählen sollte, dass ich gerade ‚Piepeva‘, den kleinen Spatz, gesehen hatte.
Ich griff zum Handy und macht die App für die Sprachmemos an.
‚Nein Opa, Piepeva ist doch bei mir‘, wird Krümel wahrscheinlich sagen, wenn ihre Mama es ihr später vorspielt.
Jetzt war ich glücklich.
Und Morgen? Ja, da würde alles wieder von vorn beginnen. Ich kannte jetzt wenigstens schon die drei dicken Baumstämme, die auf dem Laufweg herumlungerten.
ALLTÄGLICHES-2022.03.30
Man muss nicht alles mögen und teilen, was Friedrich Nietzsche gesagt und geschrieben hat. Seine Ideen zu lesen und zu kennen allerdings schärft deinen Blick für den Alltag, bringt dich zum Nachdenken über eigene Positionen, Einstellungen und Handlungen. Und das allein ist schon ein Wert an sich.
„Man muss ein gutes Gedächtnis haben, um gegebene Versprechen halten zu können.
Man muss eine starke Kraft der Einbindung haben, um Mitleid haben zu können. So eng ist die Moral an die Güte des Intellekts gebunden.“ (1)
(1) Friedrich Nietzsche, Gesammelte Werke, Anaconda Verlag GmbH Köln, ISBN 978-3-86 647-755-1, S.162, (59)
IANA-22.03.29
https://uwemuellererzaehlt.de/ueber-menschen-erzaehlen/iana-salenko-primaballerina/
BIBEL-22.03.28
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THURE-22.03.25
Zusammenfassung (1) + (2):
‚Thure aus Schebsand‘ ist eine Erzählung, die ihre Themen im Alltag findet.
Thure erzählt von sich und den Menschen, die er liebt, denen er begegnet – mit all ihren Hoffnungen, Träumen, ihrem Glück und auch Leid.
Autobiographische Züge vermischen sich mit fiktionalen Erzählungen, mit fiktiven Figuren, über die der Hauptprotagonist erzählt.
Das Dorf Schebsand ist ebenfalls fiktiv.
Der Autor wählt die ‚Er-Perspektive‘ der personalen Erzählweise.
Der Vorteil: Man kann ein Ereignis schildern und gleichzeitig von außen auf das Geschehen schauen.
Der letzte Teil der Einführung fasst die wichtigsten Motive und Vorgehensweise noch einmal zusammen. Daraus entsteht die Prämisse der Geschichte.
Die Prämisse, die sich hinter der Geschichte von ‚Thure aus Schebsand` verbirgt, ist die Botschaft, das Leben im ‚Hier und Jetzt‘ zu leben.
Thure hat Jahre und Jahrzehnte damit verbracht, zu studieren, zu promovieren, die Karriereleiter zu erklimmen.
Bis die Wende kam und er sich neu orientieren musste. Vieles von dem, was er gelernt hatte, war nichts mehr Wert, wurde nicht mehr nachgefragt.
Wieder begann für ihn eine Jagd nach Jobs, Einkommen und Ansehen.
Thure erkämpfte sich vieles neu, verlor wiederum viel und schließlich saß er morgens auf der Holzbank vor seinem Haus, sah in die Wiesen seines Dorfes und fragte sich, worauf es im Leben überhaupt ankam.
Er war immer wieder verblüfft, wenn er feststellte, dass es die winzigsten Momente waren, die ihm das größte Glück bescherten. Da war Emme, seine kleine Enkelin, über die Maßen frech, die zu ihm sagte: „Komm‘ Opa, gehen wir spielen!“, und nur dieser kleine Satz erfüllte ihn mit einem großen Glücksgefühl, obwohl er sich oft gar nicht von seinem Sessel erheben mochte.
Oder die Gespräche mit dem Bäcker Hennes Hurnchen, den er gern ‚Hörnchen‘ nannte.
Der Wechsel aus Beobachtungen, Erlebnissen, Erinnerungen von Thure, gepaart mit Konflikten und humorvollen Dialogen – das ist der Kern, der Geschichte ‚Thure aus Schebsand‘
Thure ist dabei der Hauptprotagonist, die Erzählstimme.
Die Figur ist fiktional. Sie ist von mir, dem Autor, geschaffen worden.
Es gibt sie nicht im wahren Leben.
Schön und gut, wird mancher sagen, der den Erzähler kennt.
Aber hast du nicht auch im wahren Leben, dir deinen Hintern plattgedrückt auf den Schulbänken, hast jahrelang in Hörsälen herumgelungert, drei Diplome hinter dich gebracht, um schließlich wieder vor dem ‚Nichts‘ zu stehen?
Ja, das stimmt schon. Insofern gibt es Parallelen, Erfahrungen, die aus dem ‚echten Leben‘ mit hineinspielen.
Keiner, der schreibt, sei es nun der große Schriftsteller oder der gegen die Großen der Literatur schmächtig und blass wirkende Autor eines Blogs, der auf der Tastatur herumstochert, um den richtigen Buchstaben zu finden oder verzweifelt draufhaut, weil ihm nichts einfällt – sie alle haben eines gemeinsam: Jeder von ihnen stützt sich auf das, was er kennt, was er erlebt hat.
Insofern geht es immer auch um Autobiographisches. Der Unterschied zur sachlichen Erzählung, dem Begründen und Erklären besteht vor allem darin, dass der Autor in der belletristischen Erzählweise eher auf die Emotionen setzt, etwas beschreibt, bevor er nur nüchtern die Fakten darlegt.
Im Amerikanischen gibt es dafür einen Satz: „Show it, don’t tell it.“
Etwas zu zeigen und nicht nur darüber zu reden, ich denke, das ist der größte Unterschied, vielleicht auch die schwierigste Seite des Erzählens.
„Ich ging in den Garten und fand es schön, was ich sah“, das ist schnell geschrieben.
„Thure atmete die klare Luft am Morgen ein, während er auf der Holzbank saß und beobachtete, wie sich der Tau noch in den Blättern hielt und die Katze von nebenan ihn im Vorbeilaufen ansah und zu fragen schien: ‚Was machst du eigentlich hier draußen um diese Zeit?“, das erfordert schon vom Erzähler, sich intensiver in die Details hineinzubegeben.
Die Beweggründe hinter bestimmten Erlebnissen und Ereignissen zu beschreiben, die Figuren in ihren Dialogen lebendig werden zu lassen und so die Leserinnen, den Leser mit auf die Reise zu nehmen, das treibt mich als den Autor an.
Wird das alles gelingen? Das ist schwer zu sagen. Wird es harte Arbeit werden? Wahrscheinlich.
Trägt es dazu dabei, Geschichte und Geschichten von Menschen ein Stück lebendig werden zu lassen?
Ich glaube schon. Und das ist Motivation genug, nun mit den kleinen Geschichten zu beginnen.
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SCHREIB-ALLTAG-22.03.24
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ALLTÄGLICHES-22.03.23
„Ich habe es geschafft, lieber Alltag, ich konnte mich wieder aufraffen und eine halbe Stunde Nordic Walking machen“, sagte ich freudig und energiegeladen, nachdem ich frisch geduscht am Schreibtisch saß.
„Donnerwetter, dass du dich überwinden konntest, da staune ich. Wann bist du denn aufgestanden?“, fragte mich der Alltag.
„Kurz vor fünf Uhr. Danach habe ich mir die kleine Lampe über die Mütze gezogen – du weißt schon, damit ich wenigstens ein bisschen was sehe, ja und dann bin ich losgelaufen.“
„Wie, du bist, ohne dich umzuziehen, nur mit einer Lampe und den Stöcken losgelaufen?“
„Alltag, frag‘ doch nicht so blöd. Natürlich habe ich mich angezogen. Anschließend musste ich mich noch in die neuen Laufschuhe quälen.
Klara hatte mir welche gekauft.“
„Und, hast du dich gefreut?“
„Also, wenn ich ehrlich bin, dann muss ich ‚nein‘ sagen.
„Warum?“, fragte der Alltag erstaunt.
„Naja, erst einmal liebe ich meine ausgelatschten Schuhe, die oben leicht eingerissen sind. Aber genau darum kann ich ja besser in die Schuhe reinrutschen, weil sie schon so kaputt sind.“
„Und nun?“
„Jetzt musste ich mich mit dem Schuhanzieher quälen. Als ich die Schuhe endlich anhatte, da drückte eine Seite am linken Fuß. Aber ich war zu faul, sie aufzumachen und alles von vorn zu schnüren.“
„Hat dich der Schuh stark gedrückt?“
„Und wie!“
„Außerdem, lieber Alltag, hat Klara gleich zwei Paar Schuhe gekauft.“
„Das ist doch schön. Ich hoffe, du hast dich bedankt.“
„Ja, schon. Ich habe ihr aber auch gesagt, dass sie lieber ein paar Schuhe hätte kaufen sollen und dafür Bessere, so richtig gute.“
„Was hat Klara gesagt?“
„Das nächste Mal, da kaufst du dir deine dämlichen Schuhe alleine.“
„Und, machst du das?“
„Nö, ich hab‘ ja jetzt erst einmal welche, sogar zwei.“