MENSCHEN IM ALLTAG-2017.03.01
Eva Hillebrecht, Inhaberin des Pflegedienstes Danz Consult in Kassel
Das Interview wurde am 24.02.2016 geführt
Frau Hillebrecht, Sie haben über zweieinhalb Jahrzehnte im medizinischen Dienst gearbeitet, bevor Sie in die Pflege gewechselt sind.
Welche Erfahrungen aus diesem Bereich haben Ihnen später in der Pflege besonders genutzt?
Ich habe im Laufe der Jahre auf verschiedenen Stationen gearbeitet – Allgemeinchirurgie, Unfallchirurgie, HNO, Augen, Urologie und Orthopädie. Meine Erfahrung war, dass der Patient nicht wirklich im Mittelpunkt des Interesses stand. Das klingt hart, war aber so.
Können Sie das mal näher erläutern?
Ja. Ich erinnere mich an einen Fall, da ging es um einen Patienten, der Krebs hatte.
Er wollte sehr gern nach Hause, um die letzte Zeit im Kreise seiner Lieben zu verbringen. Da es sich um ein urologisches Leiden handelte, musste täglich gespült werden.
Angeblich ging das nur im Krankenhaus auf der Station. Doch ich erkundigte mich und fand heraus, dass es einen 5- Liter Beutel für diese Zwecke gab.
Die Spülung für den Patienten hätte also auch von Zuhause aus bewerkstelligt werden können. Als ich dies dem Chefarzt vortrug, fuhr dieser mir über den Mund: „Sie verstehen als Schwester davon nichts!“
Hier sprachen „Götter in Weiß“ und ich hatte keine Chance, dagegen anzugehen. Es ging ja gar nicht um mich: Auf der Strecke blieb der sehnlichste Wunsch des Patienten, nämlich die ihm verbleibende Zeit im häuslichen Umfeld zu verleben.
Und ein weiteres Beispiel: Ein betagter Patient, um die 90 Jahre, sollte operiert werden. Das bedeutete aber eine relativ intensive Nachbehandlung, die eine Selbstbeobachtung durch den Patienten einschloss.
Bei einem Menschen in diesem Alter war das insgesamt aus meiner Sicht ein sehr riskantes Unterfangen. Also ging ich zum Chefarzt und machte ihn auf mögliche Komplikationen aufmerksam. Das alles brachte nichts.
Denn: In der Operation sollte eine neue OP- Technik zum Einsatz kommen. Eine Methode, die sich in der Praxis bewähren sollte. Das ist soweit in Ordnung.
Nur: Ich hätte mir gewünscht, dass die individuelle Situation des Patienten mehr ins Kalkül gezogen worden wäre.
Sie haben in einer Übergangszeit sowohl im Krankenhaus gearbeitet und ebenfalls in einem ambulanten Pflegedienst, ist das richtig?
Ja, 1989 gab es eine Zeit, wo wir ein Haus zu finanzieren hatten. Da brauchte ich das Geld.
Also machte ich eine Frühschicht im Krankenhaus und eine Spätschicht in einem ambulanten Pflegedienst.
War das überhaupt zu schaffen für Sie?
Ja, das war es. Aber es war auch sehr anstrengend.
Sie hatten doch in dieser Zeit einen direkten Vergleich, oder?
Auf jeden Fall. Das hat auch meinen Entschluss gefördert, ganz in die Pflege zu gehen.
Ich konnte mich im unmittelbaren Vergleich davon überzeugen: Im Pflegedienst stand der Patient, der zu Pflegende viel stärker im Fokus des täglichen Handelns.
Wie beurteilen Sie die Tatsache, dass die Ausbildung zum Altenpfleger und Krankenpfleger generalistisch erfolgen soll?
Ich finde das gut. Ich glaube, die Spezialisierung wird ohnehin in den späteren Jahren eine immer währende Herausforderung sein.
Da wird wohl keiner in seinem Berufsleben drum herum kommen. Doch zunächst sollten die gleichen Grundlagen gelehrt werden.
Gibt es irgendwas, was mehr beachtet werden sollte in der Ausbildung?
Ich denke, die ethische Bildung sollte einen noch viel größeren Stellenwert einnehmen. Zu sehen, was ein Pflegebedürftiger für Wünsche und Bedürfnisse hat, das kann man nur, wenn man nicht wegschaut oder weghört.
Im Gegenteil: Sich in den anderen Menschen hineinversetzen, emphatisch sein – ich glaube, das muss in die Ausbildung miteinfließen.
Wie entspannen Sie sich?
Ich habe meinen Hund. Das ist ein Golden Retriever. Eine Hündin und ihr Name ist Nila. Nila lenkt mich ab auf meinen Spaziergängen und macht mir auch so sehr viel Freude.
Des Weiteren: Ich fahre gern in Wellness – Urlaube und entspanne mich. Ich möchte in einen längeren Urlaub fahren, eine Fernreise machen. Ich glaube, das ist auch mal wieder wichtig.
Übrigens: Ich komme aus dem Roten Kreuz, war dort Krankenschwester. Meine damalige Oberin hat etwas gesagt, womit sie meine Frage nach einer Lohnerhöhung zu unterdrücken versuchte: „Der Lohn meiner Arbeit ist, dass ich arbeiten darf!“
Inzwischen sehe ich diesen Satz als etwas sehr Positives an: Mein größtes Glück ist es tatsächlich, für andere Menschen zu arbeiten und ihnen zu helfen. Das steht für mich im Vordergrund. Ich glaube, dass ich damit sicher einer aussterbenden Spezies angehöre.
Danz-Consult – da ist das Wort Beratung enthalten. Worauf kommt es Ihnen in der Beratung an?
Die Patienten und die Angehörigen möchten viel Hintergrundwissen. Also, wie das alles zu finanzieren ist, was Sie im Detail für Leistungen bekommen. Das liegt mir sehr am Herzen, nämlich das Optimale für den Einzelnen zu konzipieren.
Und läuft das stets problemlos?
Natürlich nicht. Gerade wenn es um die Finanzen geht.
Manchmal höre ich den versteckten Vorwurf: ‚Sie planen mit unserem Erbe‘
Und was sagen Sie dazu?
Naja, die Leistungsinhalte sind ja im Sozialgesetzbuch genau beschrieben.
Und wenn jemand privat darüber hinaus noch Betreuung möchte, ja dann sind das eben Privatleistungen. Und die müssen auch bezahlt werden. Ich muss ja meine Mitarbeiter ebenfalls dafür entlohnen. Doch sind das Ausnahmen.
Da hilft das offene und ehrliche Gespräch. Und danach kann man ein Paket schnüren, mit dem dann alle leben können.
Außerdem: Inzwischen gibt es ja mit dem Pflegestärkungsgesetz I seit Januar 2015 die Möglichkeit, weitere Betreuungs- und Entlastungsleistungen anzubieten, die über die Pflegekasse abgerechnet werden können.
Alles redet über individuelle Pflege. Woran machen Sie das fest?
Das ist das Schwerste, hier die richtigen Antworten zu finden. Im neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff ist ja einiges dazugesagt.
Für mich ragt ein Grundsatz heraus: Die Kunden haben ein Recht darauf, so zu sein wie sie sind.
Das ist ein gutes Schlußwort. Frau Hillebrecht, ich danke Ihnen für das Gespräch.
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