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SONNTAGVORMITTAG IM WALD AM LIEPNITZSEE
Es war kurz nach elf Uhr.
Ich hockte halb auf der Konsole meines Kofferraumes und stützte mich mit den Beinen ab.
Links neben mir stand ein Plastikbehälter, auf dem wiederum solch ein weiterer Behälter lag, nur zusammengeklappt.
Darauf befanden sich zwei Kugelhanteln, je 6 Kg schwer.
Ich hatte bereits die meisten Übungen absolviert.
Es war Sonntag und es war so einiges los, auf dem Parkplatz am Liepnitzsee.
Einige Autos drehten wieder ab, nachdem sie mitbekommen hatten, dass sie ein Park-Ticket lösen müssten.
Ich hatte mir die App ‚Mobilet‘ runtergeladen und konnte so recht bequem eine Stunde einstellen.
Nicht gleich, denn vorher hatte ich gebraucht, um das alles zu begreifen.
Ausserdem stellte ich mich jetzt hier schon dreissig Jahre hin.
Alle meine Autos haben diesen Parkplatz gesehen.
Früher lag dort Papier rum, heute immer noch, nur, dass ich nun für den Anblick bezahlen musste
Ich liebte die Ruhe, wenn ich ganz für mich sein konnte.
Heute, am Sonntag, war alles anders.
Gegenüber vom Parkplatz trainierten Hundebesitzer ihre Lieblinge.
Zu mir drang die schneidende Stimme des Hundetrainers rüber.
Er schrie, gab Kommandos und mir bereitete er schlechte Laune.
Ich drehte mich um und wollte noch kurz austreten, bevor ich in den Wald stürmte.
Von rechts näherte sich ein Mann mit Fahrrad, das er schob.
Er blieb alle paar Meter stehen beugte sich runter, um Gras vom Rand zu pflücken und es in seinen dreckigen Plastikbeutel zu tun.
‚Na, du wirst ja wohl gleich vorübergehen‘, dachte ich.
Er blieb genau vor mir stehen, schaute mich mit seinen traurigen Augen an, die fast hinter seiner Mütze verschwanden. Er sagte nichts, ich sagte nichts.
Endlich, er war weitergelaufen.
Jetzt wollte ich zum Baum gehen.
Inzwischen war ein weiteres Auto angekommen.
Ein Mann stieg aus, machte die Kofferklappe auf und ein riesiger Boxer hüpfte lustlos heraus.
Er schien antriebslos, bis er mich sah.
Der Hund stürmte auf meinen Baum zu, und ich schaffte es gerade noch, wieder alles zu verpacken.
Der Boxer blieb stehen, schaute mich an und ich schaute ihn an.
Bis ein scharfer Pfiff ertönte und er zu seinem Herrchen zurückstürmte.
Wieder alles von vorn.
Als ich fertig war, schnallte ich die Nordic-Walking-Stöcke um und lief langsam los.
Hinter mir hörte ich Stimmen.
Ich drehte mich um und sah zwei Frauen, die in Joggingkleidung hinter mir liefen.
‚Na hoffentlich, laufen die nicht die gleiche Strecke, wie ich es vorhabe‘, dachte ich bei mir.
Ich zog im Tempo sofort an, um meine Wegbegleiterinnen loszuwerden.
Sie schnatterten, lachten und hatten offensichtlich trotzdem keinerlei Mühe, mit mir mitzuhalten.
Ich lief noch schneller, aber ich hatte keine Chance, sie ließen sich nicht abschütteln.
Ich keuchte, stampfte mit den Beinen auf den Waldboden, stach die Stöcke in das Laub, ich gab alles.
Ich wollte nur, dass sie zurückblieben. Dann würde ich wieder langsamer laufen, die Bäume genießen, die Stille, den Sauerstoff, den ich einsog.
Doch die Stimmen kamen näher.
Vorn, da ging es bergab und ich war überzeugt, sie würden die andere Strecke nehmen.
Aber nein: Sie kamen auch da hinter mir her.
Ich gab auf, blieb stehen, denn ich wollte sie vorbeilassen.
„Hallo“, sagte ich, als sie nahe genug gekommen waren.
„Wir wollten sie nicht stressen“, flötete die eine Dame.
„Alles gut“, antwortete ich, vielmehr, ich presste es heraus, während ich versuchte, den keuchenden Atem zu unterdrücken.
Ich hatte noch fünf Minuten in die eine Richtung zu laufen. Aber ich drehte um, ich wollte nicht genau hinter ihnen hinterherlaufen.
Jetzt gönnte ich mir einen langsameren Laufstil und allmählich konnte ich auch wieder ruhig atmen.
Irgendwie war es doch schön, das alles zu erleben, zu spüren, dass man am Leben war, Menschen beobachten konnte.
Ich freute mich auf die Rückfahrt und das anschließende Mittagessen.
Danach konnte ich mich auf die Couch legen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.
Schließlich war ich ja durch den Wald gejagt.
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