BIBEL- KOMPAKTE WEISHEIT FÜR DEN ALLTAG
BIBEL-2022.03.21
„Der Mund des Toren bringt ihm sein Verderben, und seine Lippen bringen ihn zu Fall.“
Spr 18, 7
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Geschichten über den Alltag, kurz, in der Sprache des Alltags. Erzählform: überwiegend aus der Perspektive des personalen Erzählers.
BIBEL-2022.03.21
Spr 18, 7
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ALLTÄGLICHES-22.03.14
SALOMOS SPRÜCHE – 19,8
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ALLTÄGLICHES-22.03.12
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ANNA-2022.03.11
Was bisher war:
Schwester Beate hatte sich noch nicht entschieden, was die Leitung der Tagespflege anbetraf.
Sie konnte sich allerdings immer mehr mit diesem Gedanken anfreunden.
Anna musste für kurze Zeit ins Krankenhaus, weil sie an einer Unterzuckerung litt.
Anna verwechselte Herbert mit Wilhelm Sturm, ihrem verstorbenen Mann.
Als sie wieder aus dem Krankenhaus entlassen worden war, telefonierte sie mit ihrer Tochter und sagte, dass es ihr gut ginge. Sie hatte schon wieder vergessen, dass sie überhaupt ins Krankenhaus eingeliefert worden war.
Anna saß noch immer auf ihrem Lieblingsplatz in der Küche und beobachtete weiter, was um sie herum vor sich ging.
Sie fühlte sich wohl, erzählte mit Herbert, der gerade an den Tisch gekommen war.
Sie war in ihrem neuen Zuhause angekommen und hatte längst vergessen, dass sie mal eine eigene Wohnung über 60 Jahre bewohnt hatte.
„Du, Mutti spricht gar nicht mehr von ihrem ehemaligen Zuhause, davon, wie schön der Ausblick auf den Stralsunder Hafen war“, sagte Klara zu Peter, als dieser sie nach dem letzten Telefonat mit Anna fragte.
„Wie hast du sie denn erlebt, als ihr miteinander gesprochen habt?“, bohrte Peter weiter.
„Sie klingt fröhlich, fühlt sich umsorgt und spricht vor allem über ihre Kindheit, über Oma Heide“, antwortete Klara.
Sie wusste selbst nicht, wie sie es deuten sollte. Einerseits war sie froh, dass Anna nicht nach ihrer Wohnung fragte, andererseits war sie aber auch traurig, weil es ein sicheres Zeichen dafür war, wie die Demenz weiter fortschritt.
Als Lukas Anna besuchte und er von da aus gemeinsam mit ihr bei Klara anrief, da erzählte Anna Klara, dass sie mit Lukas im Garten am Kaffeetisch sitzen würde.
Klara versuchte das Positive daraus zu entnehmen, die Tatsache, dass Anna versorgt war und sich um nichts mehr kümmern musste.
Schwester Beate war inzwischen bei Ulrike gewesen.
„Ich werde die Tagespflege übernehmen und freue mich auf diesen Job“, sagte sie zu Ulrike.
„Wunderbar!“, antwortete Ulrike hocherfreut.
Sie wusste, dass Beate alles für ihre Tagesgäste tun würde.
„Wir sprechen noch ausführlicher“, sagte Beate, „aber ich muss jetzt nach oben und fragen, wer am Liedernachmittag teilnehmen will.“
Ulrike nickte und Beate ging fast beschwingt wieder zurück, in die Küche, da wo Anna saß.
„Anna, wir wollen heute Nachmittag schöne alte Volkslieder singen. Möchtest du mitmachen?“, fragte Beate sie.
„Oh ja“, rief Anna sofort.
„Ich liebe doch so meine Heimat an der Ostsee und die Lieder darüber“, sagte Anna.
„Herbert, kommst du auch mit?“, fragte Beate ihn, der am Tisch Anna immer noch gegenübersaß.
„Natürlich kommt Herbert mit!“, sagte Anna fast im Befehlston, so dass Herbert nur blieb, zustimmend zu nicken.
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SCHREIB-ALLTAG-22.03.09
Der Krieg in der Ukraine stellt die Welt auf den Kopf. Sie bringt auch deine eigene ins Wanken.
Da ist die Frage was es bedeutet, im Angesicht großer Ängste und Sorgen im Alltag durchzuhalten, sich trotzdem auf das eigene Leben zu konzentrieren.
Das ist besser möglich und intensiver zu veranschaulichen, wenn es anhand von erzählten Geschichten passiert. Der Schriftsteller James
N. Frey hat dazu einmal geschrieben:
„Während Sie mit Ihren Figuren ringen und versuchen, sie zu verstehen, zu motivieren und sie so echt und glaubwürdig wie möglich zu machen, ihnen wirklich Mut und Selbstgefühle zu geben, werden Sie feststellen, dass Sie beginnen, die Welt mit anderen Augen zu sehen und Sie werden eine neue positive Seite an sich entdecken.“ (1)
‚Die Welt mit anderen Augen sehen‘- ja, das will ich tatsächlich.
Aber es fällt schwer, angesichts der Bilder über den Krieg, das Leiden, den Tod und die Angst der Menschen, einfach zu überleben.
Wer hätte schon gedacht, dass wir uns noch einmal mit dem auseinandersetzen müssen, was unsere Eltern und Großeltern erfahren haben.
Nie wäre es mir in den Sinn gekommen, zu erleben, weinende Kinder, schreiende Mütter, alte Frauen im Fernsehen zu sehen und zu begreifen, dass dies nicht handelnde Personen in einem Film sind, sondern in der Wirklichkeit, mitten in Europa.
Das alles zu verarbeiten, zu erfahren, wo man selbst in dieser Zeit, welche Erfahrungen und Erinnerungen durch den eigenen Kopf gehen – das kann man am besten, indem man schreibt.
Schreiben heißt, über dein Leben nachzudenken
Dieses Schreiben zwingt dich, konzentriert zu sein. Es schärft einfach deinen Verstand, und es steigert auch dein Vermögen, Erlebtes zu verarbeiten und niederzuschreiben.
Du bekommst das Gefühl, etwas Gutes zu tun, dein Leben und vielleicht das des einen oder anderen Lesers zu verändern.
Das bedeutet natürlich auf der anderen Seite, tief in sich selbst hineinzublicken, Erinnerungen wachzurufen, zu überlegen, wie man das alles zu Papier bringt.
Das beginnt bei dem, woran ich zurzeit arbeite – bei ‚Thure aus Schebsand‘ – mit dem Gedanken, wieviel ‚Thure‘ von dir selbst in der Figur sein soll.
Wie löst du es, dass du zwar in der Gegenwart schreibst, aber in die Vergangenheit der Figuren blickst, überlegst, wie du beides miteinander verbinden kannst, ohne dass die geschilderten Ereignisse zu häufig hin- und herspringen.
Ich habe lange überlegt, aus welcher Erzählperspektive heraus ich schreibe – der des ‚Ich-Erzählers‘ oder doch eher aus der Sicht des personalen Erzählers in der ‚Er-Form‘?
Davon soll der nächste Beitrag handeln.
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MEIN FREUND, DER ALLTAG-2022.02.12
ERKENNTNIS WÄCHST DURCH INNERE EINSICHT UND NICHT DURCH ÄUSSEREN GLAMOUR
DIETLINDE HOKE-KÜCHENPROFI AUS WRIEZEN, VOR ALLEM ABER EIN MENSCH, DEM DU GERN BEGEGNEST
DU BRAUCHST AM TAG EINEN MOMENT DER STILLE, UM EINEN STABILEN INNEREN HALT ZU BEKOMMEN
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BIBEL-2022.02.01
So habe ich das auch noch nicht gesehen. Gut, dass ich diesen Spruch in der Bibel gefunden habe.
Und ich wollte mir schon die Haare färben lassen.
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BIBEL-2022.01.23
„Wer auf das Wort merkt, der findet Glück; und wohl dem, der sich auf den Herrn verlässt!“ SPR 16,20
Dieser Satz brachte mich zurück in die Welt meiner vierjährigen Enkelin.
Sie ist so glücklich, wenn ich mit meinen Worten, unsortiert und ungeschliffen, über eine klapprige Scheune erzähle, in der ein Esel zu Hause ist, die Katze ‚Penni‘ und der Hund ‚Bobby‘.
Und durch den Schornstein kommt ‚Pipeva‘ geflogen, der kleine freche Spatz, der mit Ruß bedeckt aus dem Kamin klettert.
Krümel liebt diese Welt, die ich für sie beim Frühstück erschaffe.
Wie sehr sie darin lebt, in dem Moment jedenfalls, das merke ich, wenn sie sagt: „Erzähl‘ weiter, Opa.“
Als wir sie nach Hause fahren, da ruft sie von der Rückbank: „Opa, du musst anhalten und das Fenster herunterkurbeln, ‚Penni‘ will noch mitfahren.
Also halte ich an, öffne das Fenster und frage: „Ist ‚Penni‘ drin?“
„Ja, Opa, du kannst weiterfahren“, antwortet sie fröhlich.
Das sind die kleinen Augenblicke des Glücks für Krümel, ausgelöst durch einfache beschreibende Worte, und das macht mich wiederum glücklich.
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ALLTÄGLICHES-2022.01.22
MANCHMAL IST NUR REDEN ZU WENIG https://uwemuellererzaehlt.de/2022/01/17/bibel-2022-01-17/
MANCHES ÄNDERT SICH EBEN DOCH NICHT https://uwemuellererzaehlt.de/2022/01/18/anna-2022-01-18/
PFLEGEN, BETREUEN, HELFEN - SIND NICHT NUR WORTHÜLSEN FÜR DEN CURA VERDE PFLEGEDIENST AUS ORANIENBURG https://uwemuellererzaehlt.de/2022/01/19/menschen-2022-01-19/
SENIORENHILFE GOTHA - EIN TEAM, DAS IN DIESE ZEIT PASST https://uwemuellererzaehlt.de/2022/01/21/menschen-im-alltag-2022-01-21/
ANNA-2022.01.18
Dieser Beitrag stammt aus dem vergangenen Jahr, aus Januar 2021.
Hätte ich ihn auch zu Beginn dieses Jahres, also 2022, schreiben können?
Schon komisch, man sagt, die Welt verändert sich. Aber Manches bleibt wohl doch gleich, oder es wiederholt sich nur unter anderen Bedingungen.
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ANNA-2022.01.14
WAS BISHER WAR:
Schwester Ulrike hatte Beate angeboten, künftig die Leitung der Tagespflege zu übernehmen.
Beate sträubte sich zunächst gegen diesen Gedanken. Sie scheute die Verantwortung, traute sich nicht zu, für alles zuständig zu sein.
Sie hatte sich bei Ulrike Bedenkzeit ausgebeten.
Annas Demenz schritt weiter voran, langsam und dennoch unerbittlich.
Klara machte sich Sorgen, wie es mit ihr weitergehen sollte.
Beate schlief seit einigen Tagen nicht gerade gut und auch nicht viel.
Sie stand nachts auf, schlurfte in die Küche, machte lustlos die Kühlschranktür auf und schaute, was sie noch essen konnte um die Zeit, kurz vor Mitternacht.
Sie entdeckte einen Schokoladenpudding, nahm ihn heraus und setzte sich an den Küchentisch. Sie setzte sich nicht richtig, nur halb. Sie wollte nicht lang verweilen, sie wollte einfach nur müde werden, um wenigstens noch ein paar Stunden schlafen zu können.
Sie riss die Abdeckung vom Schokoladenpudding auf, leckte den ersten Pudding mit herausgestreckter Zunge von der Innenseite des Deckels, tauchte anschließend einen Plastiklöffel in den Pudding und steckte ihn in den Mund.
Der Schokoladenpudding schmeckte gut, aber Beate ärgerte sich schon, dass sie nicht standfest geblieben war, um nicht noch weiter zuzunehmen.
Was solle sie nur tun? Dem Angebot von Ulrike zustimmen und die Leitung der Tagespflege übernehmen?
Sie wusste es nicht. Sie wollte eigentlich nicht mehr Verantwortung übernehmen, sich mit den Kolleginnen herumstreiten oder vor dem Computer sitzen und die Planung für die nächsten Wochen aufstellen.
Aber sie hätte auch ihr eigenes Königreich, könnte sich verwirklichen, den Menschen aus dem Heim ein paar schöne Stunden am Tag bereiten.
Tat sie das nicht jetzt schon, den Tagesgästen Freude bereiten?
Schließlich hatte sie gerade Knut von der Insel Rügen für den Liederabend gewinnen können.
Sie sollte ihn fragen, was er davon hielt, dass sie künftig die Chefin der Tagespflege sein würde.
Beate schaute auf die Küchenuhr, die an der Wand hing und deren Ticken etwas Beruhigendes hatte.
Es war inzwischen kurz nach zwei Uhr Mitternacht. Beate erhob sich vom Suhl und ging aus der Küche zurück in ihr Schlafzimmer.
Sie legte sich hin, wälzte sich noch ein paar Mal umher und schlief schließlich ein.
Der Wecker machte einen ohrenbetäubenden Lärm und Beate schrak hoch, schnellte geradezu aus dem Bett?
Hatte sie verschlafen?
Ihr war, als wäre sie gerade erst eingenickt.
Es war bereits nach fünf Uhr und Beate hatte Frühdienst.
Sie machte sich hastig fertig und ging ohne Frühstück aus dem Haus.
Den Gedanken an die Tagespflege verdrängte sie und konzentrierte sich auf den Beginn des Tages mit den Bewohnern.
Als sie im Haus ankam und den Schlüssel heraussuchte, ging die Tür von innen auf und der Hausmeister kam ihr mit einem fröhlichen ‚Guten Morgen‘ entgegen.
„Schon so früh am Wirken?“, versuchte Beate lustig zu sein.
„Wie schnell ist Nacht und nichts gemacht“, erwiderte der Hausmeister und wünschte ihr noch einen schönen Tag.
‚Na, ich bin froh, wenn ich ihn überstehe, ohne irgendwo einzuschlafen‘, dachte Beate im Stillen.
Im Flur saß Anna, ungekämmt, ungewaschen und noch im Nachthemd.
„Anna, was ist los?“
„Ach, ich konnte nicht schlafen und da habe ich mich ein wenig hier hingesetzt und schaue zu, wie der Hausmeister gesaugt hat. Aber der kann ja arbeiten, so schnell und so sauber“, sagte sie.
„Na, dann wollen wir dich mal zurückbringen und dich gleich fertigmachen“, antwortete Beate.
Jetzt kam sie richtig in Stress. Sie müsste eigentlich sofort mit den Vorbereitungen für das Frühstück beginnen. Aber Anna war erst einmal wichtiger.
Irgendwie war Beate in ihrem Element. Die Müdigkeit war verflogen.
Anna war frisch gekämmt, gewaschen und mit einem bequemen Kleid angezogen, das Beate ihr rausgelegt hatte.
Während Beate sich um das Frühstück kümmerte, saß Anna bereits wieder vorn, diesmal nicht im Flur, sondern in der Küche.
Sie konnte zusehen, wie die Pflegekräfte hin – und herliefen und die ersten Bewohner in der Küche eintrafen, um sich an ihren Platz zu setzen.
Das Telefon klingelte und Beate rief Anna zu:
„Deine Tochter Klara möchte dich sprechen.“
„Klara, wieso?“ Anna schien nicht zu wissen, wer mit ihr telefonieren wollte.
Dann wurde es ihr klar und ihr Gesicht hellte sich auf.
„Sturm“, sagte sie etwas förmlich, so als würde nicht ihre Tochter am anderen Ende der Leitung sein, sondern eine fremde Person, die mit ihr etwas Sachliches besprechen wollte.
„Wo bist du gerade?“, fragte Klara.
„Ach, ich sitze in der Drogerie auf der Treppe, auf der Offizierstreppe, weißt du?“, antwortete Klara.
Beate drehte sich verblüfft vom Herd um und schaute Anna fragend an.
Wusste Anna etwa nicht, dass sie im Heim war?
Klara aber ließ sich nicht beirren, sie wusste, wo Anna in Wirklichkeit war – in der Küche auf dem Stuhl vor ihrem Frühstückstisch.
Sie realisierte schnell, dass ihre Mutter in ihrer ganz eigenen Welt war. Sie wähnte sich auf Arbeit, in der Drogerie, in der sie mit 16 Jahren angefangen hatte und mit 60 Jahren ausgeschieden war.
Was sollte Klara davon halten?
Sollte sie traurig sein, dass ihre Mutter nicht mehr wusste, wo sie war?
Klara entschloss sich, es gut zu finden.
Wahrscheinlich fand Anna es aufregend, in der Küche zu sitzen und den Schwestern zuzusehen, wie sie umherliefen, Pillen verteilten und den Blutdruck überprüften.
„Habt ihr denn schon mit dem Frühstück angefangen?“, fragte Klara weiter.
„Nein, heute gibt es nichts“, sagte Anna.
„Natürlich gibt es gleich was zum Frühstück“, sagte Beate jetzt laut in Annas Telefonat hinein.
Sie war empört, dass Anna so etwas behauptete.
Was sollte die Tochter von Anna denken? Dass ihre Mutter nicht richtig verpflegt wurde?
Zur gleichen Zeit hätte Beate sich am liebsten auf die Zunge gebissen.
Für einen Augenblick hatte sie ebenfalls vergessen, wie dement bereits Anna war.
„Und habt ihr denn viel zu tun, auf Arbeit?“, fragte Klara nun ihre Mutter.
„Naja, hier ist ganz schön was los“, sagte jetzt Anna.
„Mutti, gib‘ mir doch mal bitte Schwester Beate“, sagte Klara nun.
„Schwester Beate, guten Morgen, Frau Gerber. Entschuldigen Sie, aber das ist mir eben so rausgerutscht.“
„Ja, ich kann sie verstehen. Ich bin ja selbst so schockiert, dass Mutti manchmal schon so abwesend ist. Wie klappt es denn sonst?“
„Ach, Frau Gerber, wir haben hier alle ihre Mutti gern. Sie geht jetzt viel umher, fragt nicht mehr nach ihrer Wohnung und spricht gern mit anderen Bewohnerinnen. Nur mit dem Waschen, besser dem Duschen, da haben wir so unsere Schwierigkeiten.“
Klara seufzte anstelle einer Antwort.
Sie musste sich zurückerinnern, wie es war, als sie die letzten Mal ihre Mutter in der Wohnung besucht hatte und wie störrisch Anna da bereits gewesen war, wenn es darum ging, sich einmal gründlicher zu duschen oder gar zu baden.
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ANNA-2022.01.13
(ANNA-2021.07.21)
„Wie ist das Wetter bei euch da oben?“, fragte Peter Anna.
Es war das übliche Telefongespräch am Vormittag, es war diesig und es schien keine Sonne, Wind war aber auch nicht.
Das war gestern so, vorgestern ebenfalls.
Anna hätte also sagen können: „Das Wetter ändert sich seit Tagen nicht, es ist gleichgeblieben.“
Doch diese gedanklichen Fäden konnte Anna nicht mehr ziehen.
„Der Himmel ist grau, die Sonne scheint nicht, aber es ist auch kein Wind“, sagte Anna stattdessen.
„Prima“, antwortete Peter. Er war irgendwie froh, dass er über dieses stets wiederkehrende Thema den Gesprächsfaden mit Anna knüpfen konnte.
Klara hat einen Stollen für Anna gebacken
„Heute Nachmittag fahren wir zur Post. Klara hat einen Stollen eingepackt und den schicken wir dir“, redete Peter weiter.
„Ach, wie kann ich dir nur danken?“, fragte Anna.
„Naja, ich habe damit nichts zu tun. Nur, dass ich den vorhergehenden mit aufgegessen habe, nachdem Klara ihn gebacken hatte.“
Anna verstand diese Art von Humor nicht mehr.
„Ja, das ist so schön, ich freue mich. Wie kann ich euch nur eine Freude machen?“
„Ach, mir würde eine ganze Menge einfallen“, antwortete Peter und bereute zugleich, dass er es überhaupt gesagt hatte.
Anna kommt nicht mehr darauf, anderen eine Freude zu bereiten, wo sie das früher doch so gern getan hat
„Ja, was denn?“, fragte Anna nach einer Weile.
Flasche Sekt, warme Socken, Kasten Mon Cherie, Puppe für Krümel, das könnte er antworten. Es schoss ihm geradezu ein, während Anna die Frage noch gar nicht zu Ende formuliert hatte.
Sagte er davon was? Natürlich nicht. War es schlimm, dass Anna nicht mehr auf das kam, was sie früher in solchen Momenten tat? Überhaupt nicht.
„Schade nur, dass Anna sich um die Glücksgefühle brachte, die sie früher überkamen, wenn sie anderen eine Freude machte“, dachte Peter in diesem Moment.
Doch dafür konnte sie nicht. Die Demenz ließ das nicht mehr zu, nahm ihr Stück für Stück diese Empathie.
Das war das eigentlich Schlimme – vor allem für Anna. Umso mehr mussten sich Klara, Laura und Peter bemühen.
Und das taten sie ja auch.
Der Kreis der Möglichkeiten, Anna eine Freude zu bereiten, wurde kleiner; der Stollen passte da noch rein
„Wenn dir der Stollen schmeckt, dann ruf doch KIara an. Sag ihr, dass er gut gelungen ist.“
„Das mach ich ja sowieso“, sagte Anna, so als hätte Peter auf etwas hingewiesen, was doch selbstverständlich war. Nun wurde er noch von Anna der Begriffsstutzigkeit überführt.
Trotzdem: Für den Moment hatte er Anna ein paar unbeschwerte Momente bereitet, so schien es jedenfalls.
Und wenn das Paket mit dem Stollen ankam, dann würde sich das wohl wiederholen. Immerhin. Der Kreis der Möglichkeiten, eine Freude zu bereiten, wurde kleiner.
Sie intensiver zu nutzen, das war wohl jetzt die Aufgabe.
Peter griff wieder zum Hörer, um Klara zu informieren: alles im grünen Bereich.
ANNA-2021.12.18
Anna saß in der Tagespflege ‚Du lebst im Moment‘.
Sie lauschte den Klängen des Akkordeons.
Irma sang besonders laut mit.
Laut und falsch. Sie saß direkt hinter Anna, die sich empörte, dass Irma alle übertönte.
„Ist die ‚mall’?“, raunte sie Herbert zu, der neben ihr auf dem Stuhl Platz genommen hatte.
„Ein bisschen“, sagte der leise und griente sie an.
„So wie wir alle eben. Sie ist nur schon ein wenig weiter“, schob er noch hinterher.
Anna schaute ihn empört an. „Wieso sind wir ‚mall‘? Also ich nicht, ich will damit nichts zu tun haben.“
Knut, der ‚Hamburger‘, spielte gerade die Melodien von Freddy Quinn und alle im Saal schunkelten und sangen mit.
‚Seemann, deine Heimat ist das Meer‘, sang Knut mit tiefer Stimme und Anna seufzte mehr dazu, als dass sie mitsang.
Anna wollte nicht, dass Herbert seinen Arm um ihre Schultern legte und drohte mit einem Kinnhaken von Wilhelm
„Ach, ist das schön!“, sagte sie und knüllte ihr Taschentuch zusammen, das sie in den Händen hielt. Herbert neben ihr rückte näher an sie heran und umfasste mit seinem linken Arm ihre Schulter.
Anna sah ihn fragend und verständnislos an.
„Wenn du nicht gleich loslässt, dann sage ich Wilhelm Bescheid, der kommt gleich wieder.“
Herbert zog erschrocken seinen Arm zurück und murmelte eine Entschuldigung.
„Bitte versteh‘ mich nicht falsch, ich wollte dich nur ein wenig trösten, du sahst so traurig aus.“
„Traurig, ich?“ Anna zog die Stimme hoch, sodass es pikiert klang.
„Du, wenn das Wilhelm sieht, dann bekommst du einen Kinnhaken, das hat er schon einmal gemacht mit seinem besten Freund, der sich an mich heranmachen wollte.“
„Kinnhaken?“, Herberts Gesichtszüge nahmen einen rätselhaften Ausdruck an.
„Wann soll das denn gewesen sein“, fragte er.
„Na beim Handball.“
„Aber das muss doch über sechzig Jahre her sein.“
Herbert ließ nicht locker.
„Ja, wir können ihn fragen, wenn er wieder hereinkommt.“
Herbert räusperte sich, kam mit dem Oberkörper ein Stück auf Anna zu und flüsterte fast, während Anna sich ein Stück in die andere Seite mit ihrem Oberkörper neigte.
„Anna“, sagte er, während sein Gesicht gefährlich nah an Anna herankam, „der Wilhelm, der ist doch längst tot.“
Beate war mit Herz und Verstand bei ihren Patienten
Anna sah ihn an und wurde schnippisch: „Na, das werden wir ja nun sehen. Warte es nur ab, er kommt gleich wieder. Wo er nur bleibt!“
Anna ließ sich nicht beirren und schaute wieder auf Knut, der inzwischen ‚Auf der Reeperbahn, nachts um halb eins, ob du ein Mädel hast oder auch keins…‘ intonierte.
Anna laut mit und übertönte mit ihrer Stimme sogar Irma.
Schwester Beate saß in der hinteren Reihe des Saals, während Knut vorn Akkordeon spielte und die Bewohner dazu hingebungsvoll mitsangen und mitschunkelten. Sie konnte hinten nicht viel sehen, aber sie spürte, wie glücklich Anna und all die anderen waren.
Sie musste an ihren Dozenten denken, der ihr gesagt hatte, was das Wichtigste am Umgang mit an Demenz erkrankten Menschen sei:
„Wir wollen den Menschen dabei helfen, mit ihrer Demenz umzugehen. Sie sollten alles aus sich herausholen können, was in ihnen drin ist, was sie nutzen können, um den Moment zu genießen.“
Beate ist eine ausgebildete ‚Vollblutschwester‘
Schwester Beate ist 1,65 cm groß, ein wenig übergewichtig, aber immer noch gutaussehend.
Sie hatte ihre brünetten Haare nach hinten gekämmt und dort zusammengebunden, so dass es ihr eine gewisse Strenge im Aussehen verlieh.
Beate hatte ihren Beruf von der Pike auf gelernt. Beate absolvierte die Schwesternschule, die direkt am Sund gelegen war und machte ihr Praktikum im Sund-Krankenhaus.
Sie war geschieden und hatte einen Sohn und eine Tochter, die beide verheiratet und nach Hamburg gezogen waren.
Beate war manchmal einsam, aber ihr Beruf nahm sie voll in Anspruch.
Sie war Jahrzehnte als OP-Schwester tätig gewesen und wollte vor einigen Jahren noch einmal etwas Neues beginnen, eine Tätigkeit ausüben, die sie mit mehr Menschen zusammenbrachte.
Schwester Beate qualifizierte sich zur staatlich anerkannten Altenpflegerin weiter.
Später hängte sie noch eine Weiterbildung für die Betreuung von demenzkranken Menschen ran.
Nun war sie schon für ein paar Jahre in der Senioreneinrichtung ‚Sörensen‘, im Bereich des ‚Betreuten Wohnens‘.
Immer mehr wurde sie auch in der Tagespflege eingesetzt.
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ALLTÄGLICHES-2022.01.08
WARUM ÜBER MENSCHEN IN DER PFLEGE SCHREIBEN https://uwemuellererzaehlt.de/2022/01/02/menschen-im-alltag-2022-01-02/ MENSCHEN IM ALLTAG-2017-2021 https://uwemuellererzaehlt.de/2022/01/02/menschen-im-alltag-2017-2021/
LAURA BILDET SICH MAL WIEDER WEITER https://uwemuellererzaehlt.de/2022/01/08/alltaegliches-2022-01-08-2/
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ANNA-2022.01.07
Was bisher war:
Knut, der ‚Hamburger‘ spielte die Lieder von Freddy Quinn und alle im Saal schunkelten mit.
Herbert, ein Mitbewohner, saß neben Anna und versuchte, sich ihr anzunähern.
Anna wies ihn brüsk zurück. „Wenn das Wilhelm sieht, dann bekommst du einen Kinnhaken…“
Nur das Wilhelm, der Mann von Anna, schon über 20 Jahre tot war.
Schwester Beate saß in der hinteren Reihe des Saals, während Knut auf dem Akkordeon spielte und die Gäste mitsummten.
Beate konnte nicht viel sehen, aber sie spürte, wie glücklich die Gäste in der Tagespflege waren, wenn sie für ein paar Stunden, dem ‚Betreuten Wohnen‘ entrinnen konnten.
Die Veranstaltung mit Knut, dem ‚Hamburger‘ war zu Ende und die Gäste klatschten begeistert Beifall.
Beate saß immer noch auf ihrem Stuhl und war gerührt, weil die Bewohner aus dem Haus ‚Sörensen‘ so eine schöne Abwechslung genießen konnten. Sie war froh, dass sie den Seemann Knut angesprochen hatte.
Herbert ging hinter Anna, als sie den Saal der Tagespflege verließen. Herbert war noch betroffen von dem Vorgang im Saal. War er tatsächlich zu weit gegangen, als er versucht hatte, den Arm um Anna zu legen?
Dabei wollte er doch nur ein wenig Gemütlichkeit aufkommen lassen, mit Anna schunkeln und Freude haben. Oder redete er sich das nur ein, und er verfolgte in Wirklichkeit mehr?
Er wusste es selbst nicht so richtig.
„Herbert, wo bleibst du denn?“, ertönte es vor ihm. Anna hatte sich zu ihm im Gehen umgedreht und rief den Namen Herbert so, als sei in Wahrheit ihr Wilhelm gemeint. Sie hatte den Vorgang von vorhin bereits wieder vergessen.
Herbert blieb vorsichtshalber doch hinter ihr. Wer wusste das schon, wie es gemeint war. Vielleicht kam Wilhelm doch noch um die Ecke und verpasste ihm einen Kinnhaken. Es passierten ja so viele merkwürdige Dinge.
„Hallo, ihr Lieben!“, rief Schwester Ulrike, die an der Tür stand, „war es schön?“
„Ach ja, so schön“, antwortete einige, während sie auf sie zugingen.
Schwester Ulrike blieb noch an der Tür stehen und wartete, bis Schwester Beate auftauchte.
„Beate, kannst du mal in mein Zimmer kommen?“, sprach Ulrike sie an.
„Ist irgendetwas passiert?“, fragte Beate sie verblüfft.
„Nein, nein, ich will mit dir nur in Ruhe etwas besprechen.“
„Ist gut, ich komme gleich, ich will nur sehen, dass alle wieder gut auf ihre Zimmer kommen“, sagte Beate noch.
Schwester Ulrike nickte und verschwand auf der Etage in ihrem Büro.
Sie hatte ihren Schreibtisch so gestellt, dass sie direkt auf den Sund schauen konnte, wenn sie daran saß und etwas erarbeiten musste.
Sie blickte hinaus und sah in der Ferne ein kleines weißes Schiff, das offensichtlich langsam vor sich hin tuckerte. Wahrscheinlich war es die Fähre, die die Leute nach Hiddensee brachte.
Sie sah viele weitere Boote, die aber eher wie kleine schwarze Punkte von ihrem Zimmer aus zu erspähen waren. Kleine Anglerboote, die auf dem Wasser schaukelten und auf Hering aus waren.
Es klopfte und Ulrike schreckte hoch.
„Ja bitte“, sagte sie etwas förmlich, obwohl sie wusste, dass es nur Beate sein konnte.
Sie kannten sich schon aus früheren Zeiten, eigentlich schon aus der Zeit, als beide noch im Sund-Krankenhaus als Krankenschwestern arbeiteten.
Sie mochten sich und sie respektierten sich gegenseitig, aber eine wirkliche Freundschaft war zwischen ihnen nicht entstanden.
Es war vielleicht besser so, denn nun war Ulrike die Vorgesetzte von Beate.
Ulrike war mehr die Macherin, die Managerin, die Abläufe planen und organisieren konnte, die es verstand, Menschen für sich einzunehmen.
Und Beate war immer eher auf der fachlichen Seite gewesen. Sie fühlte sich vor allem gern in Menschen ein, versuchte ihnen auch in ungewohnter Umgebung ein Gefühl von einem ‚Zuhause‘ zu geben.
Beate war froh, dass sie aus dem medizinischen Bereich des Krankenhauses in die Pflege gewechselt war, den Patienten noch näher sein konnte, nicht nur pflegerisch, sondern auch menschlich.
Ulrike schrak aus ihren Gedanken hoch, als es an ihrer Tür klopfte.
„Ja, bitte.“
„Da bin ich“, sagte Beate und trat vorsichtig ins Zimmer ein. Obwohl sich beide gut kannten, fühlte sich Beate nie ganz wohl, wenn sie zu ihrer Pflegedienstleitung gerufen wurde.
Es war in ihr drin, dieser Respekt, den sie nun mal vor jemandem hatte, der eine Leitungsfunktion ausübte.
„Bitte setz‘ dich doch, Beate“, sagte Ulrike freundlich.
„Kaffee?“
„Ja gern.“
Ulrike holte die bereitgestellten Tassen vor und goss aus der Thermoskanne den Kaffee ein.
„Danke“, sagte Beate, nachdem sie die Kaffeetasse entgegengenommen hatte.
Sie setzte an, um einen Schluck zu trinken und stellte fest, dass der Kaffee noch vom Morgen übriggeblieben sein musste.
Er hatte einen schalen Geschmack und war nicht mehr heiß.
Sie schluckte ihn runter, wie etwas, dem man nicht ausweichen konnte.
„Den Bewohnern schien es gut gefallen zu haben, mit dem ‚Hamburger‘ Knut?“
„Oh ja, ich habe ja hinten gesessen und konnte dadurch nicht alles erkennen, aber die Gäste haben mitgesungen, mitgeschunkelt und einige haben sich sogar untergehakt.“
„Wunderbar.“
„Das müssten wir des Öfteren veranstalten, und nicht nur das, sondern das Konzept für die Tagespflege erweitern.“
„Hm“, sagte Beate kurz und schaute Ulrike unentwegt an.
‚Worauf willst du hinaus?‘, schien sie zu denken.
„Sie hat mich doch nicht hierhergebeten, um mir das allzu Offensichtliche zu erklären, schoss es Beate durch den Kopf.
„Ich brauche dich als Leiterin der Tagespflege“, riss Ulrike sie aus ihren Gedanken.
„Mich?“
„Nein!“
„Doch!“, blieb Ulrike dabei.
Plötzlich war es still im Raum.
Ulrike ließ nicht den Blick von Beate und die wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.
„Aber es gibt doch so viele gute und talentierte Kräfte, die außerdem noch viel jünger sind, als ich es bin“, wich Beate aus.
„Das mag schon sein, aber ich brauche dich als ein Fels in der Brandung, jemand, der entschlossen anpackt und auch die Richtung vorgeben kann.“
„Und das soll ausgerechnet ich sein?“, versuchte Beate, sich aus der Schlinge herauszuziehen.
„Beate, du bist kreativ, du hast für uns den Abend mit den Seemannsliedern organisiert. Die Leute spüren, dass du es ehrlich meinst mit ihnen. Sie fühlen sich bei dir geborgen.“
Das hatte Beate nun davon, dass sie sich wie ein Familienoberhaupt um ihre Gäste in der Tagespflege kümmerte und dabei noch vielen ihrer Kolleginnen im Stress zur Seite stand.
„Wir werden mehr tun müssen, was die fachgerechte Planung und Dokumentation anbetreffen.
Du siehst ja selbst, wie viel Zeit dafür draufgeht.
Und wir müssen umfangreiche Vorlagen und Materialien erarbeiten, die es uns erlauben, die Gäste noch individueller zu betreuen.“
Beate schwieg. Was sollte sie tun?
„Ich brauche Bedenkzeit“, sagte sie schließlich.
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ALLTÄGLICHES-2022.01.04
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BIBEL-2022.01.03
#BIBEL FÜR DEINEN ALLTAG
Anmerkung: „Der an einem Wasserlauf stehende Baum ist ein einprägsames Bild für das stets fruchtbringende Leben eines Menschen, der von der nie versiegenden Quelle des göttlichen Wortes getränkt wird.“ Vgl.: Der Psalter (Die Psalmen); Einführung, S. 658 Stuttgarter Erklärungsbibel mit Apokryphen, Die Heilige Schrift nach der Übersetzung Martin Luthers, mit Einführungen und Erklärungen; Deutsche Bibelgesellschaft. ISBN 978-3-438-01123-7 Neuausgabe mit Apokryphen © 2005 Deutsche Bibelgesellschaft Zweite, verbesserte Auflage 2007, 10.2016.
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LERNEN BIS ANS LEBENSENDE? SCHON, ABER AUSGERECHNET DIESE VOKABELN?
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ALLTÄGLICHES-2021.12.24
LIES ALICE MUNRO, DENN DAS BRINGT DICH WEITER – ALS LESER, ALS SCHREIBER, ALS MENSCH
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ANNA-2021.12.18
Was bisher war: Anna saß in der Tagespflege ‚Du lebst im Moment'. Sie lauschte den Klängen des Akkordeons. Irma sang besonders laut mit. Laut und falsch. Sie saß direkt hinter Anna, die sich empörte, dass Irma alle übertönte. „Ist die ‚mall’?“, raunte sie Herbert zu, der neben ihr auf dem Stuhl Platz genommen hatte. „Ein bisschen“, sagte der leise und griente sie an. „So wie wir alle eben. Sie ist nur schon ein wenig weiter“, schob er noch hinterher. Anna schaute ihn empört an. „Wieso sind wir ‚mall‘? Also ich nicht, ich will damit nichts zu tun haben.“
Knut, der ‚Hamburger‘, spielte gerade die Melodien von Freddy Quinn und alle im Saal schunkelten und sangen mit.
‚Seemann, deine Heimat ist das Meer‘, sang Knut mit tiefer Stimme und Anna seufzte mehr dazu, als dass sie mitsang.
„Ach, ist das schön!“, sagte sie und knüllte ihr Taschentuch zusammen, das sie in den Händen hielt. Herbert neben ihr rückte näher an sie heran und umfasste mit seinem linken Arm ihre Schulter.
Anna sah ihn fragend und verständnislos an.
„Wenn du nicht gleich loslässt, dann sage ich Wilhelm Bescheid, der kommt gleich wieder.“
Herbert zog erschrocken seinen Arm zurück und murmelte eine Entschuldigung.
„Bitte versteh‘ mich nicht falsch, ich wollte dich nur ein wenig trösten, du sahst so traurig aus.“
„Traurig, ich?“ Anna zog die Stimme hoch, sodass es pikiert klang.
„Du, wenn das Wilhelm sieht, dann bekommst du einen Kinnhaken, das hat er schon einmal gemacht mit seinem besten Freund, der sich an mich heranmachen wollte.“
„Kinnhaken?“, Herberts Gesichtszüge nahmen einen rätselhaften Ausdruck an.
„Wann soll das denn gewesen sein“, fragte er.
„Na beim Handball.“
„Aber das muss doch über sechzig Jahre her sein.“
Herbert ließ nicht locker.
„Ja, wir können ihn fragen, wenn er wieder hereinkommt.“
Herbert räusperte sich, kam mit dem Oberkörper ein Stück auf Anna zu und flüsterte fast, während Anna sich ein Stück in die andere Seite mit ihrem Oberkörper neigte.
„Anna“, sagte er, während sein Gesicht gefährlich nah an Anna herankam, „der Wilhelm, der ist doch längst tot.“
Anna sah ihn an und wurde schnippisch: „Na, das werden wir ja nun sehen. Wart’s nur ab, er kommt gleich wieder. Wo er nur bleibt!“
Anna ließ sich nicht beirren und schaute wieder auf Knut, der inzwischen ‚Auf der Reeperbahn, nachts um halb eins, ob du ein Mädel hast oder auch keins…‘ intonierte.
Anna laut mit und übertönte mit ihrer Stimme sogar Irma.
Schwester Beate saß in der hinteren Reihe des Saals, während Knut vorn Akkordeon spielte und die Bewohner dazu hingebungsvoll mitsangen und mitschunkelten.
Sie konnte hinten nicht viel sehen, aber sie spürte, wie glücklich Anna und all die anderen waren.
Sie musste an ihren Dozenten denken, der ihr gesagt hatte, was das Wichtigste am Umgang mit an Demenz erkrankten Menschen sei:
„Wir wollen den Menschen dabei helfen, mit ihrer Demenz umzugehen. Sie sollten alles aus sich herausholen können, was in ihnen drin ist, was sie nutzen können, um den Moment zu genießen.“
Schwester Beate ist 1,65 cm groß, ein wenig übergewichtig, aber immer noch gutaussehend.
Sie hatte ihre brünetten Haare nach hinten gekämmt und dort zusammengebunden, das ihr eine gewisse Strenge im Aussehen verlieh.
Sie hatte ihren Beruf von der Pike auf gelernt. Beate absolvierte die Schwesternschule, die direkt am Sund gelegen war und machte ihr Praktikum im Sund-Krankenhaus.
Sie war geschieden und hatte einen Sohn und eine Tochter, die beide verheiratet und nach Hamburg gezogen waren.
Beate war manchmal einsam, aber ihr Beruf nahm sie voll in Anspruch.
Sie war Jahrzehnte als OP-Schwester tätig gewesen und wollte vor einigen Jahren noch einmal etwas Neues beginnen, eine Tätigkeit ausüben, die sie mit mehr Menschen zusammenbrachte.
Schwester Beate qualifizierte sich zur staatlich anerkannten Altenpflegerin weiter. Später hängte sie noch eine Weiterbildung für die Betreuung von demenzkranken Menschen ran.
Nun war sie schon für ein paar Jahre in der Senioreneinrichtung ‚Sörensen‘, im Bereich des ‚Betreuten Wohnens‘.
Immer mehr wurde sie auch in der Tagespflege eingesetzt.
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ANNA-2021.12.11
WAS BISHER WAR: Anna hatte in der Nacht unruhig geschlafen, der Sturm war heftig gewesen und hatte mit unbändiger Kraft an den Fenstern und Rollläden des Hauses gerüttelt. Sie war aufgestanden, auf dem Flur umhergegeistert und schließlich wieder eingeschlafen, nachdem sie von der Nachtschwester zurück ins Bett gebracht worden war. Am nächsten Tag wusste sie von alledem nichts mehr. Sie ging nach dem Frühstück gemeinsam mit Herbert, einem Mitbewohner, hinunter zur Tagespflege.
Anna fühlte sich in eine andere Welt versetzt. Sie hörte von Weitem die Klänge des Akkordeons und tanzte auf dem Weg zu ihrem Platz ein wenig mit.
Dazu hatte sie die Arme angehoben und schwang sie leicht hin- und her, so als wolle sie dem Spieler den Takt vorgeben.
Am Akkordeon war Knut intensiv damit beschäftigt, die Melodie des Liedes „An der Nordseeküste …“ zu spielen.
Knut wurde von allen der ‚Hamburger‘ genannt. Dabei stammte er ursprünglich aus Schwerin, hatte dort in seiner Jugend die Schule und Ausbildung absolviert und sich später in den Westen abgesetzt.
Er heuerte als Leichtmatrose auf einem Frachtschiff an und schaffte es auf der Karriereleiter bis zum Bootsmann.
Seine Frau Helene stammte von Rügen und so zog er nach der Wende nach Saßnitz.
Als sie starb, fiel er in ein tiefes Loch, bis Schwester Beate von der Tagespflege ihn ansprach.
Sie hatte ihn in einer Kneipe in Alt-Saßnitz spielen hören.
Knut gefiel ihr. Nicht nur, weil er Seemannslieder spielte, sondern auch, weil er aussah wie ein Seebär.
Ein kantiges Gesicht, das von einem weißen Bart eingerahmt war, breite Schultern und Hände, die nicht vermuten ließen, dass er überhaupt die Tasten am Akkordeon erwischen konnte und noch dazu die richtigen Töne herausbrachte.
Beate überzeugte ihn, einmal in der Woche in der Tagespflege in Stralsund zu spielen.
Für Knut war das eine willkommene Abwechslung. Und so fuhr er mit seinem alten Opel donnerstags nach Stralsund, in die Pflegeeinrichtung ‚Sörensen`, besser gesagt, in die angeschlossene Tagespflege ‚Du lebst im Moment‘.
Für Schwester Beate ging damit ein langgehegter Wunsch in Erfüllung. Sie wollte ihren Tagesgästen nicht nur Spiele und Bastelarbeiten bieten, sondern auch Unterhaltung.
Die Frauen und Männer, die auf den Stühlen saßen und dem Seemann zuhörten, summten und schunkelten mit.
Irma sang besonders laut mit.
Laut und falsch. Sie saß direkt hinter Anna, die sich empörte, dass Irma alle übertönte.
„Ist die ‚mall’?“, raunte sie Herbert zu, der neben ihr auf dem Stuhl Platz genommen hatte.
„Ein bisschen“, sagte der leise und griente sie an.
„So wie wir alle eben. Sie ist nur schon ein wenig weiter“, schob er noch hinterher.
Anna schaute ihn empört an. „Wieso sind wir ‚mall‘? Also ich nicht, ich will damit nichts zu tun haben.“
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ANNA-2021.12.03
Der orkanartige Sturm hatte in der Nacht an den Fenstern von Annas Zimmer gerüttelt.
Es war unheimlich, die Windböen heulen zu hören, die über den Strelasund rasten und bis zum Pflegeheim herüberkamen.
Anna schlief unruhig. Sie wälzte sich im Bett umher, stand schließlich auf und begab sich in den Flur der Einrichtung.
„Anna, wo wollen Sie denn hin?“, fragte die Nachtschwester, die Schritte gehört hatte und nun Anna entgegenkam.
„Wo sind wir hier?“
„Sie sind hier in der Einrichtung ‚Sörensen‘, Anna.“
„‘Sörensen‘?, kenn‘ ich nicht. Anna blickte verwirrt und mürrisch die Schwester an.
Ja, ihre Mundwinkel zeigten einen störrischen, widerwilligen Ausdruck, so als wolle sie sagen: ‚Was soll das hier alles, wieso bin ich nicht in meiner Wohnung?“
„Anna, ich bringe Sie jetzt mal zurück zu Ihrem Zimmer“, sagte die Schwester und Anna ließ sich ohne Gegenwehr zurückbegleiten. Am nächsten Morgen wusste Anna nicht mehr, was überhaupt passiert war.
„Na, Anna, das war aber eine unruhige Nacht heute“, sagte die Schwester, die dabei war, das Frühstück vorzubereiten. Ihre Kollegin hatte ihr bei der Übergabe von dem nächtlichen Ausflug berichtet.
„Unruhig?“, fragte Anna zurück.
„Ich hab‘ nichts gehört. Ich lag doch in meinem Bett und habe geschlafen.“
Die Schwester ging nicht auf Annas Erwiderung ein.
„Wenn Sie gut geschlafen haben, dann ist ja alles bestens“, sagte sie stattdessen.
Aber Anna ließ nicht locker.
„Warum sollte denn irgendetwas nicht in Ordnung gewesen sein?“
„Sie sind in der Nacht ein bisschen spazieren gegangen, hier auf unserem Flur“, sagte die Schwester nun doch.
„Was ist denn das für ein Quatsch, auf dem Flur spazieren gehen? Hier kann man doch nicht wandern“, entgegnete Anna widerborstig.
Die Schwester aber, die ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
Sie stellte stattdessen eine Kaffeekanne vor Anna hin.
„Die Brötchen kommen auch noch gleich und ihre Lieblingsmarmelade.“
„Ja, die Himbeer-Marmelade, die esse ich doch so gern.
Anna nahm sich ein Brötchen aus dem Korb, griff zum Messer und teilte es damit in zwei Hälften, die sie aufklappte.
Das alles geschah für einen Außenstehenden, der zufällig hereinschauen würde, gefühlt in Zeitlupe, aber Anna hatte ja Zeit. Nichts hatte sie soviel wie die Zeit in dem Pflegeheim.
„Möchten Sie auch einen frischgepressten Orangensaft?“, fragte die Schwester weiter.
„Ja, da kann man ja wohl nicht nein sagen.“
„Gut, Anna, kommt sofort“, sagte die Schwester.
Anna biss währenddessen in das Brötchen und schaute sich in dem kleinen Speisesaal um.
Ihr gegenüber am Tisch saß Herbert. Er war noch ziemlich fit und auch sehr redegewandt.
„Guten Appetit, Frau Sturm“, sagte er.
Er traute sich nicht, sie mit dem Vornamen anzureden, obwohl sie schon einander vorgestellt wurden.
„Ich bin Anna und wer sind Sie“, fragte Anna ihn.
„Ich bin der Herbert“, sagte er und schaute sie an, ob sie sich nun wegen des Vornamens vielleicht empören würde.
Aber nichts dergleichen geschah.
„Und ich bin Anna“, sagte sie daraufhin.
„Aber was machst du in meiner Küche, Herbert? Warst du zu Besuch heute Nacht hier?“
„Anna, der Herbert wohnt doch in dem Zimmer nebenan“, griff die Schwester ins Gespräch ein.
Anna schaute irritiert.
„Dann bin ich wohl falsch?“, sagte sie.
„Nein, nein, Sie sind genau richtig hier bei uns. Und nach dem Frühstück gehen Sie runter in die Tagespflege, da wartet schon der Seemann aus Hamburg, der auf dem Akkordeon spielt.“
„Der Seemann aus Hamburg, hier wirst du nicht schlau“, sagte Anna.
„Anna, wir gehen nachher zusammen runter. Das wird bestimmt schön.“
Herbert schaute sie freundlich an.
„Ich kann doch nicht mit dir mitgehen, ich geh‘ doch mit meinem Mann, Wilhelm Sturm“, sagte Anna.
Herbert schaute betreten nach unten, so als wäre dort etwas Aufregendes zu sehen.
„Anna, der Wilhelm ist doch über 20 Jahre tot“, sagte die Schwester.
„Tot, über 20 Jahre? Und warum sagt mir das keiner?“
Herbert schwieg und die Schwester auch. Es war eine bedrückende Stimmung, die auf einmal aufkam. Keiner wusste, was er sagen sollte.
Vor allem wusste keiner der Anwesenden, was schlimmer war – dass Annas Mann schon viele Jahre nicht mehr lebte, oder dass Anna das vergessen hatte.
Als Anna und Herbert in Richtung Tagespflege gingen, da hörten sie bereits das Akkordeon des singenden Seemanns.
„An der Nordseeküste…“
„An der Ostseeküste…“, summte -Anna nun mit und tänzelte weiter in die Richtung, aus der die Akkordeonklänge drangen.
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2021.08.26-SCHREIB-ALLTAG
Es gibt in der Technik des Schreibens Eckpfeiler, die man stets beachten sollte. Dazu gehören: die richtigen Informationen und Notizen auszuwählen, sie zu gliedern und schließlich daraus ein Thema strukturiert zu entwickeln.
Lässt du dieses Handwerkszeug außer Acht, um vermeintlich schneller und bequemer ans Ziel zu kommen, so machst du letztlich Umwege und verstrickst dich in einer Vielzahl von Verästelungen.
Selbst wenn ich Themen des Alltags wähle, so will der Leser ja nicht von meinen hin- und herspringenden Gedanken gefesselt oder besser verwirrt werden.
Nein, er will, dass ich einen Gedankengang nach dem anderen entwickle.
Nur so kann ich die Botschaften verständlich transportieren, in die Worte gießen, die mir wichtig sind.
Im Urlaub habe ich kürzlich meiner Enkelin morgens nach dem Frühstück kleinere Geschichten erzählt.
Und obwohl ich das frei formulierte, habe ich dabei fieberhaft überlegt, was zuerst gesagt werden sollte, was danach kommen könnte, kurzum, wie die Geschichte gegliedert und aufgebaut werden musste.
Und wenn Krümel dazu meine linken Zeigefinger mit ihrer kleinen Hand fast zerquetschte, dann wusste ich, dass ich es geschafft hatte, nämlich sie zu fesseln.
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ANNA-2021.07.21
RÜCKBLICK AUF TEXT – 2018.11.28
Anna hatte keine Freude mehr am Schenken.
„Wie ist das Wetter bei euch da oben?“, fragte Peter Anna.
Es war das übliche Telefongespräch am Vormittag, es war diesig und es schien keine Sonne, Wind war aber auch nicht.
Das war gestern so, vorgestern ebenfalls.
Anna hätte also sagen können: „Das Wetter ändert sich seit Tagen nicht, es ist gleichgeblieben.“
Doch diese gedanklichen Fäden konnte Anna nicht mehr ziehen.
„Der Himmel ist grau, die Sonne scheint nicht, aber es ist auch kein Wind“, sagte Anna stattdessen.
„Prima“, antwortete Peter. Er war irgendwie froh, dass er über dieses stets wiederkehrende Thema den Gesprächsfaden mit Anna knüpfen konnte.
„Heute Nachmittag fahren wir zur Post. Klara hat einen Stollen eingepackt und den schicken wir dir“, redete Peter weiter.
„Ach, wie kann ich dir nur danken?“, fragte Anna.
„Naja, ich habe damit nichts zu tun. Nur, dass ich den vorhergehenden mit aufgegessen habe, nachdem Klara ihn gebacken hatte.“
Anna verstand diese Art von Humor nicht mehr.
„Ja, das ist so schön, ich freue mich. Wie kann ich euch nur eine Freude machen?“
„Ach, mir würde eine ganze Menge einfallen“, antwortete Peter und bereute zugleich, dass er es überhaupt gesagt hatte.
„Ja, was denn?“, fragte Anna nach einer Weile.
Flasche Sekt, warme Socken, Kasten Mon Cherie, Puppe für Krümel, das könnte er antworten. Es schoss ihm geradezu ein, während Anna die Frage noch gar nicht zu Ende formuliert hatte.
Sagte er davon was? Natürlich nicht. War es schlimm, dass Anna nicht mehr auf das kam, was sie früher in solchen Momenten tat? Überhaupt nicht.
„Schade nur, dass Anna sich um die Glücksgefühle brachte, die sie früher überkamen, wenn sie anderen eine Freude machte“, dachte Peter in diesem Moment.
Doch dafür konnte sie nicht. Die Demenz ließ das nicht mehr zu, nahm ihr Stück für Stück diese Empathie.
Das war das eigentlich Schlimme – vor allem für Anna. Umso mehr mussten sich Klara, Laura und Peter bemühen.
Und das taten sie ja auch.
„Wenn dir der Stollen schmeckt, dann ruf doch KIara an. Sag ihr, dass er gut gelungen ist.“
„Das mach ich ja sowieso“, sagte Anna, so als hätte Peter auf etwas hingewiesen, was doch selbstverständlich war. Nun wurde er noch von Anna der Begriffsstutzigkeit überführt.
Trotzdem: Für den Moment hatte er Anna ein paar unbeschwerte Momente bereitet, so schien es jedenfalls.
Und wenn das Paket mit dem Stollen ankam, dann würde sich das wohl wiederholen. Immerhin. Der Kreis der Möglichkeiten, eine Freude zu bereiten, wurde kleiner.
Sie intensiver zu nutzen, das war wohl jetzt die Aufgabe.
Peter griff wieder zum Hörer, um Klara zu informieren: alles im grünen Bereich.
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ANNA-2021.07.09
Was bisher war:
Peter hatte sich mit dem Verwaltungsmitarbeiter von Annas Vermietergesellschaft angelegt, weil der unnachgiebig und störrisch war und nicht die Bescheinigung zur Vorlage bei der neuen Einrichtung vorzeigen wollte.
Anna wohnte fast sechzig Jahre in ihrer Wohnung und die Vermieterbescheinigung diente dazu, der neuen Gesellschaft den Nachweis darüber zu erbringen, dass Anna stets ihre Miete bezahlt hatte.
Schwester Ulrike hatte sich mit Beritt in einem Eiscafé getroffen, aber nichts über Olaf und dessen Sympathie für Schwester Saskia im Pflegeheim gesagt.
Einführung:
Klara ist nach Stralsund gefahren und wollte sich vor Ort anschauen, wie das Zimmer im ‚Betreuten Wohnen Sörensen‘ am Strelasund aussah, in das Anna im Herbst einziehen sollte.
„Ich glaube, ich muss da selber hinfahren, um zu wissen, was auf Mutti zukommt“, sagte Klara zu Peter.
„Willst du mitkommen?“, fragte sie ihn noch.
„Ich würde gern mit dir zusammen nach Stralsund fahren, aber ich habe gar keine Zeit, weil so viele Interviews anstehen.
Ich könnte sie natürlich auch verschieben, aber du weißt, wie schwer das wieder neu zu terminieren ist.“
„Ich weiß, ich mach‘ das mit Lukas zusammen.“
„Was sagt Lukas eigentlich zur Situation?“
„Du weißt doch, dass es ihm sehr schwerfällt, sich mit dieser Situation anzufreunden.“
„Ja, ich weiß, und ich verstehe ihn sehr gut. Immerhin ist es seine Mutter, die ihn zwar ab und an nervt, wenn sie alles vergisst oder schlechte Laune hat.
Aber für ihn ist alles mit dieser Wohnung verbunden, aus der nun Anna raus soll, um in ein Heim zu ziehen.“
„Mir geht es genauso“, sagte Klara.
„Wir haben die ganze Kindheit dort verbracht. Anna hat dort ihre glücklichsten Jahre gehabt, und nun ist alles vorbei.“
„Wir müssen uns der Realität stellen. Wir helfen Anna nicht damit, dass wir sie vielleicht davor bewahren wollen, dass sie in ein Heim muss.
Wenn sie noch ein paar schöne und möglichst sorgenfreie Jahre verleben will, dann braucht sie Hilfe, und zwar rund um die Uhr.“
Klara seufzte nur.
Am nächsten Tag war Klara früh in den Zug nach Stralsund gestiegen. Sie hatte viel vor.
Lukas stand schon auf dem Bahnhof, als der Zug aus Berlin einfuhr.
„Na, wollen wir gleich zur Besichtigung fahren?“, fragte Lukas Klara ohne Umschweife.
„Ja, lass uns da sofort hinfahren. Weißt du, wie du da hinkommst?“
Lukas sah Klara an, so als hätte sie ihn gefragt, ob er aufrecht laufen könnte.
„Klaaara“, sagte er stattdessen und zog das ‚a‘ absichtlich lang.
„Schon gut, ich wollte nur sicher sein.“
Lukas und Klara fuhren sofort los und beide schwiegen, obwohl sie sich ein paar Wochen nicht gesehen hatten.
Auf beiden lastete das alles wie ein zentnerschweres Gewicht, das sie nicht mehr von der Brust bekamen.
„Hier sollte doch eine Schranke sein und wo steht jetzt der Name der Einrichtung?“, fluchte Lukas und kurvte nun schon das zweite Mal um die Häuserblocks, die in der angegebenen Straße standen.
„Betreutes Wohnen Sörensen, Olaf Knaspe, was kann ich für Sie tun?“, ertönte eine dunkle Stimme, nachdem Klara die Telefonnummer gewählt hatte, die auf ihrem Zettel stand.
„Ja, Herr Knaspe, Klara Gerber hier, wir haben heute einen Besichtigungstermin für das Zimmer, in das meine Mutter einziehen soll“, sagte Klara.
„Wie ist denn der Name Ihrer Mutter?“, fragte Olaf, ohne sich groß zu bemühen. Er hätte es wissen müssen, dass es Anna Sturm war.
„Wieso fragen Sie denn? Wir beide haben doch den Termin miteinander für heute ausgemacht!“
„Ach so ja.“
„Ja, bis gleich“, antwortete Olaf wieder.
„Moment, wir finden den Eingang zum Gebäude nicht“, sagte Klara. Ihre Stimme überschlug sich nun schon fast, denn in ihr stieg allmählich der Ärger über so viel Gleichgültigkeit hoch.
„Das ist doch ganz einfach zu finden“, antwortete Pfleger Olaf.
„Wissen Sie, wenn Sie dort jeden Tag mehrfach ein- und ausgehen, dann ist es einfach. Ja. Aber wir kommen heute das erste Mal zu Ihnen.“
„Warten Sie, ich drücke mal einen Knopf, dann geht ein Tor auf und Sie können dort durchfahren.“
Olaf drückte auf den Summer.
„Da!“, rief Lukas, „siehst du die Flügeltüren, die sich gerade öffnen?“
„Fahr bloß schnell durch, bevor sie wieder zugehen“, sagte Klara, die sich noch immer über die halb schnoddrige Art des Pflegers ärgerte.
Lukas parkte das Auto auf dem dafür vorgesehenen Platz, stieg aus und streckte sich.
„Hallo, was macht ihr denn hier“, rief aus dem Fenster Berta Hoffmann.
„Das ist doch jetzt nicht wahr“, sagte Lukas.
Charly und Berta Hoffmann waren Freunde von Anna und Wilhelm Sturm.
Sie hatten sich am Strelasund eine Wohnung gesucht, in der sie auch bleiben konnten, wenn sie mal Pflege und Betreuung in Anspruch nehmen wollten.
„Ach, wir schauen hier nur mal, ob das was für Mutti ist“, antwortete Klara, immer noch verdattert, dass ausgerechnet in dem Moment Berta aus dem Fenster sah.
Wahrscheinlich tat sie das sehr oft am Tag.
„Kommt doch mal hoch zu uns“, rief jetzt Charly, der hinter seiner Frau stand.
„Wir haben leider ganz wenig Zeit“, sagte nun Lukas.
„Komm‘ lass uns verschwinden, sonst kommen wir hier nicht wieder weg“, flüsterte er Klara zu.
Die nickte stumm. Sie winkten beide nach oben und ging schnurstracks auf eine andere Eingangstür zu.
Im Flur erwartete sie Schwester Ulrike. Olaf hatte ihr Bescheid gesagt. Er selbst stand hinter Ulrike und schien ein schlechtes Gewissen zu haben.
„Herzlich willkommen, Familie Gerber“, sagte Ulrike.
„Ich bin Klara Gerber, geborene Sturm, und das hier ist mein Bruder, Lukas Sturm. Mein Mann konnte heute nicht mitkommen“, sagte Klara ein wenig verlegen.
„Aha, sehr angenehm. Wollen wir gleich zum Zimmer gehen?“
Ulrike sah die beiden erwartungsvoll an.
„Ja, gern“, sagte Klara.
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ANNA-2021.07.07
Was bisher war:
Schwester Ulrike hatte mit ihrer Freundin Beritt telefoniert, aber nichts darüber gesagt, dass sich Olaf auf der Arbeit antriebslos verhielt.
Beide wollen sich in einem Café am Markt treffen.
Klara und Peter verzweifeln, weil sie unendlich viele Anträge für Anna stellen müssen, damit die Aufnahme im Heim rechtzeitig vonstattengehen konnte.
Peter legte sich mit einem Verwaltungsmitarbeiter an und bekam zum Schluss die Vermieterbescheinigung.
Einführung:
Ulrike und Beritt trafen sich am Eiscafé, um ein paar Momente gemeinsam zu genießen, wie früher.
Schwester Ulrike hatte sich ein paar Stunden freigenommen und war früher vom Heim losgefahren, um rechtzeitig zum Treff mit Beritt zu kommen.
Beritt saß bereits in dem Eiscafé am Markt, indem sie schon vor vielen Jahren mit Ulrike gewesen war.
Sie hatte vor dem Café einen Tisch gefunden. Sie liebte diesen Platz mit dem Blick auf die große Kirche gegenüber.
Touristen schlenderten an ihr vorbei, die Sonne schien und Beritt fühlte sich in ihre Jugendzeit zurückversetzt, in der vorbeilaufende junge Matrosen mit ihr geflirtet hatten.
So hatte sie auch Olaf kennengelernt, der damals seinen Bundeswehrdienst als Zivildienstleistender absolvierte und in dem Pflegedienst aushalf, in dem auch Beritt und Ulrike ihre Arbeit nach der Ausbildung begonnen hatten.
Beritt nippte an ihrem Glas Wasser, das sie sich zur Überbrückung bestellt hatte.
Obwohl sie trank, behielt sie die Umgebung im Blick und erkannte sofort, dass hinter der Kirche Ulrike mit straffem Schritt auf sie zusteuerte.
Beritt winkte und erhob sich von ihrem Platz. Sie küssten sich, als Ulrike vor ihr stand und sie freuten sich beide ehrlich, dass sie Zeit füreinander gefunden hatten.
„Ich hab‘ uns schon zwei Eisbecher mit Schlagsahne und Eierlikör bestellt. Du weißt schon, fast wie früher“, sagte Beritt.
„Ach Gott, ich muss doch ein bisschen auf meine Figur achten, sonst kriege ich ja gar keinen mehr ab“, scherzte Ulrike.
Sie war noch immer ledig und auch wieder ungebunden. Aber sie fühlte sich so wohl und konnte sich voll auf ihre Arbeit konzentrieren.
„Erinnerst du dich noch daran, wie wir manchmal bis Mitternacht gesessen haben, anschließend zurück zur Schwesternschule gelaufen sind und dann noch nackt im Sund baden waren und die Matrosen mit uns ins Wasser wollten?“
„Na klar erinnere ich mich daran“, sagte Beritt.
„Es war eine schöne Zeit, die kommt nie wieder“, stimmte Ulrike zu.
„Wie läufts mit Olaf?“
„Ist er noch so fürsorglich wie früher?“
Beritt ließ sich Zeit mit ihrer Antwort.
„Ich weiß nicht, aber irgendwas ist anders. Olaf ist schweigsamer geworden, redet mit mir nicht mehr so viel.
Zum Beispiel die Sache mit Frieda Möller, die hat er mir gegenüber verschwiegen.“
Ulrike überlegte, ob sie Beritt etwas zu Saskia sagen sollte, aber sie entschied sich anders.
„Weißt du, die Arbeit in der Pflegeeinrichtung, die schlaucht alle, insbesondere jetzt in der Corona-Zeit.
Jeder arbeitet bis zum Anschlag, erholt sich nicht mehr so richtig während des Urlaubs, im Gegenteil, er nimmt die Probleme mit in seine Freizeit.“
„Das stimmt, das geht mir genauso. Wir kommen im Sund-Krankenhaus ebenfalls nicht vor Arbeit aus den Augen gucken.
Und wahrscheinlich zerrt das an den Nerven, macht uns reizbarer, wenn wir zusammen sind“, sagte Beritt mehr zu sich als zu Ulrike.
Ulrike schaute Beritt an. Sie sah nicht gut aus im Gesicht, wirkte angespannt, trotz des Urlaubs, der erst ein paar Tage her war.
Sie beschloss nichts zu sagen, schon gar nicht darüber, dass sie das Gefühl hatte, dass sich Saskia und Olaf immer näherkamen, über das normale Arbeitsverhältnis hinaus.
„Wie geht es der Kleinen?“, fragte sie stattdessen.
„Ach, die ist köstlich. Sie ist unser Sonnenschein“, sagte Beritt und blühte gleich wieder auf.
„Wollen wir einen kleinen Sekt trinken?“, fragte Ulrike.
„Oh ja, lass uns anstoßen auf die alten Zeiten“, nickte Beritt freudig.
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JEEPY-2021.07.02
‚Jeepy‘, der kleine rote Jeep erzählt seiner kleinen Freundin Krümel über seine Erlebnisse mit seinem Fahrer, der gleichzeitig der Opa von Krümel ist.
Was bisher war:
Jeepy und sein Fahrer haben Krümels Oma zum zweiten Impftermin ins Impfzentrum nach Eberswalde gefahren.
Auf dem Rückweg haben sie alle im Dorf Zerpenschleuse gehalten und ein Eis gegessen.
Bis auf Jeepy. Der stand in der Sonne und hat geschwitzt.
Hallo Krümel,
hier ist Jeepy, dein bester Freund.
Jetzt hat dein Opa, also mein Fahrer, auch die zweite Spritze erhalten. Du weißt schon – gegen Corona.
Du kannst ja dieses Wort schon selber aussprechen.
Der Fahrer war so was von aufgeregt. Dabei ging es doch nur um einen kleinen Pieks in den Arm.
Aber dein Opa hat daraus wieder ein umständliches Drama gemacht.
„Ich werde mal über die Dörfer nach Eberswalde fahren“, hat er zu deiner Oma gesagt.
Die hat nur die Augen verdreht.
„Muss das denn sein?“
„Ja, du weißt doch, dass beim letzten Mal Stau auf der Autobahn war. Ich will nicht riskieren, dass ich zu spät komm‘.“
Krümel, dann hat er mich schon mittags losgescheucht, obwohl er erst kurz vor vier Uhr nachmittags dran war.
Aber der Fahrer hatte Glück. Es war leer im Impfzentrum und er durfte gleich reingehen.
Vorn am Eingang, da musste er seinen Ausweis zeigen, damit alle wussten, dass es sein Impfausweis war.
Den Personalausweis hat der Fahrer in die ehemalige Hülle vom kleineren iPhone gesteckt.
Da bist du vorn drauf zu sehen, Krümel.
Die Frau, ein Feldwebel der Bundeswehr. musste lächeln.
Da hat dein Fahrer natürlich gleich sein größeres Handy gezeigt, vielmehr die Hülle, wo ihr beide drauf zu sehen seid.
Der Fahrer und du, ihr beide sitzt oben auf seinen Schultern. Das war auf Kap Arkona.
Erinnerst du dich daran? Wahrscheinlich nicht. Aber dafür erzähle ich dir das ja jetzt, damit du es später mal nachlesen kannst.
Die Ärztin war freundlich zu deinem Fahrer.
„Die war richtig nett und gesprächig“, hat er mir hinterher erzählt.
Und während sie sich unterhielten, da hatte sie ihn auch schon das zweite Mal gespritzt.
Hinterher musste er noch eine Viertelstunde warten.
Er hat nach oben geschaut, an die Decke.
Das ist ja eine Sporthalle, Krümel, die jetzt nur zeitweise als Impfzentrum dient.
„Mal sehen, ob der Fußball dort oben noch festklemmt“, hat er zu sich selbst gesagt.
Und du glaubst es nicht, Krümel, der Ball war dort oben immer noch eingequetscht.
Wahrscheinlich wird der dort wohl noch eine Weile so bleiben.
Jedenfalls hat sich der Fahrer über das ‚Wiedersehen‘ mit diesem Ball gefreut.
„Na, gar nicht zur Fußball-Europameisterschaft mitgefahren?“, hat er gefragt, während er nach oben schaute.
Hinter deinem Opa saß eine ältere Frau, die mit dem Kopf schüttelte und sagte: „Ja, so fing es bei meinem Mann auch an.“
Aber dein Opa war schon wieder mit den Gedanken ganz woanders.
Er las sich durch, wie man in seinem Handy verfolgen konnte, dass er bereits zweimal geimpft worden war.
Na, es dauert nicht mehr lange, dann kannst du das alles deinem Opa erklären und mir auch Krümel, denn ich bin ja dann ebenfalls schon älter geworden.
Aber jetzt mach’s erst einmal gut, lieber Krümel. Ich weiß, du warst am Wochenende auf einem Erdbeerhof und bist in genauso einem Jeep gefahren, wie ich einer bin. Der war nur kleiner, für Kinder eben, und elektrisch fuhr er ebenfalls schon. Naja, das kommt bei mir noch alles.
So, jetzt mache ich erst einmal eine Pause. Aber sei nicht traurig, denn bald fahren wir ja in den Urlaub an die Ostsee. Und da erleben wir alles gemeinsam, ja.
Also, ich freu‘ mich drauf.
Dein Jeepy
RÜCKBLICK – ANNA-2017.10.05
„Ich denke, dass Anna schon noch mitbekommt, dass sie stets dasselbe fragt. Nur, dass sie eben die Antwort darauf nicht mehr kennt“, sagte Peter.
„Das mag ja alles so sein“, entgegnete Klara knapp. Sie mochte nicht mehr darüber reden. Annas Krankheit, die Sorge darum, was noch alles passieren konnte, das belastete alle ziemlich stark und Klara am meisten.
Irgendwie zog sich das durch sämtliche Gedankengänge. Manchmal sprachen sie schon morgens, 05.00 Uhr beim Frühstück, was Anna am Tag zuvor von sich gegeben hatte.
„Wenn wir in Stralsund wohnen würden und wir hätten ein Haus, und deine Mutter in diesem Haus auch eine Wohnung, dann wäre alles einfacher“, sagte Peter und biss in sein Brötchen.
„Entweder du erzählst morgens schon über Politik oder über meine Mutter und ihre Krankheit.“ Klara war noch nicht bereit überhaupt zu sprechen.
Peter sagte nichts mehr. Er schlug die Zeitung auf und las einen Artikel darüber, warum die AFD in Ostdeutschland so stark geworden war.
‚Die Ossis lebten vierzig Jahre in einer Diktatur, und nun gingen sie rechtsextremen Positionen auf den Leim.‘
Das war der Tenor eines Leitartikels.
„Der Autor macht es sich mal wieder einfach“, sagte er, knüllte die Zeitung zusammen und nahm den Sportteil zur Hand.
„Wovon redest du?“
Klara schaute ihn an.
„Ach nichts. Ich möchte bloß mal wissen, wieviel Mühe sich manche Journalisten machen, um Ursachen von bestimmten Stimmungen tatsächlich auf den Grund zu gehen.
Die haben doch ihre Vorurteile im Kopf, wissen, was der Chefredakteur lesen will und bedienen diese Pauschalannahmen mit Fakten, die in Wirklichkeit nur in deren Köpfen existieren.“
Peter konnte sich darüber aufregen. Aber er würde nichts ändern. Er müsste sich selbst bewegen, einmischen. Vielleicht sollte er das auch tun.
Seine Geschichte erzählen, die er kennt, wo er der Kapitän ist, und wo ihm keiner sagen kann: „Das war ganz anders.“
Er hat ein Bild im Kopf von Ost und West, gespeist aus seinen eigenen Erfahrungen, das gar nicht so grau aussah. Eher bunt.
Würde man sich mehr gegenseitig die eigenen Lebensgeschichten erzählen, dem Anderen zuhören, dann wäre vieles einfacher, glaubte Peter.
„Und was hat das alles mit meiner Mutter zu tun?“, fragte Klara.
Peter sah von der Zeitung auf, in die er hineingemurmelt hatte, ohne zu wissen, dass Klara ihm zuhörte.
„Im Prinzip wenig. Es hat nur etwas mit unserem Leben zu tun, das nicht nur aus der Sorge um Anna besteht“, sagte Peter.
Aber es war gut, dass sie sich kümmerten, um Anna.
Dafür war Peter vor allem Klara sehr dankbar.
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ANNA-2021.06.23
Was bisher war: Klara und Peter müssen schnell handeln. Schwester Ulrike von der Einrichtung ‚Betreutes Wohnen Sörensen‘ hat Peter angerufen und ihm in Aussicht gestellt, dass Anna ein Zimmer bekommen könnte. Und trotzdem, Klaras Gedanken wandern zurück zum Telefonat mit Schwester Kathleen von der ambulanten Pflege in Stralsund, die Anna nun schon seit einigen Jahren kennen.
Es waren schon wieder fast drei Wochen vergangen, seitdem Peter Klara angerufen hatte.
„Du sollst dich mal in der Pflegeeinrichtung melden, irgendetwas ist mit Mutti vorgefallen“, sagte er zu Klara.
„Ist gut, aber nicht mehr heute.“
Klara war auf der Arbeit, als Peter sie anrief und sie wollte nicht, dass ihre Kolleginnen alles mitbekamen.
Am nächsten Tag hatte sie Homeoffice und konnte so ihre privaten Angelegenheiten besser organisieren.
Klara versuchte weiterzuarbeiten, aber es gelang ihr nicht. Ihr wollte nicht aus dem Kopf gehen, was die Schwester ihr wohl über ihre Mutter sagen wollte.
„Du glaubst gar nicht, wie aggressiv Mutti teilweise geworden ist“, sagte Klara zu Peter, als sie von Stralsund zurückgekommen war.
„Ich kann das nicht so richtig glauben. Ich kenne deine Mutter stets als eine sehr sensible und fürsorgliche Frau, die eher schwieg, als dass sie ein falsches Wort herausbrachte.“
Doch Peter wusste natürlich auch, dass Anna im Wesen verändert war, die Krankheit sie weiter veränderte.
Sie war ungeduldiger geworden, konnte sich nichts mehr merken und wurde auch mal laut gegenüber Klara. Und das wollte was heißen, denn sie hatte stets auf ihre Tochter gehört.
Klara hielt es nicht mehr aus. Sie wählte die Telefonnummer der ambulanten Pflege in Stralsund.
„Schwester Kathleen am Apparat. Was kann ich für Sie tun?“
„Ich sollte mich heute bei Ihnen melden. Ist denn etwas mit meiner Mutter vorgefallen?“, fragte Klara.
„Nein, nein, um Gottes willen, Frau Gerber. Wir machen uns nur Sorgen darüber, wie es weitergehen soll.“
„Wie meinen Sie das?“
„Naja, Frau Gerber, nachdem sie wieder abgereist waren, da fiel Ihre Mutter regelgerecht in sich zusammen. Sie wollte nicht einmal mehr aufstehen. Sie ließ sich nur unter Aufbietung aller Überredungskünste spritzen.
Es ist, als wäre sie in eine Art Schockstarre verfallen.“
Es herrschte Stille am Telefon. Klara musste erst einmal verarbeiten, was die Schwester ihr gesagt hatte.
„Was sollen wir denn tun?“, fragte Klara. Ihre Stimme klang verzweifelt.
„Frau Gerber, wir müssen uns mittelfristig darauf einstellen, dass wir Ihre Mutti nicht mehr unbeaufsichtigt lassen können.“
„Das heißt, ich sollte mich um einen Heimplatz kümmern, oder?“
„Ja, Frau Gerber, wir werden nicht darum herumkommen.“
„Gut, ich habe bereits Kontakt mit der Einrichtung für ‚Betreutes Wohnen Sörensen‘ aufgenommen, mit einer Schwester Ulrike.“
„Ja, Schwester Ulrike kenne ich gut, da sind Sie in sehr guten Händen“, reagierte Schwester Kathleen munter.
„Ja, den Eindruck hatte ich ebenfalls bei unserem Gespräch. Aber Schwester Ulrike hat meine Erwartungen gedämpft, denn es sind zur Zeit keine Zimmer frei“, sagte Klara.
„Aber wir sind jetzt in der Dringlichkeitsstufe ganz oben“, schob sie noch nach.
„Das ist doch wunderbar!“, sagte Schwester Kathleen fröhlich.
„Wichtig ist, dass wir den Prozess anschieben“, sprach sie weiter.
„Ja, den Prozess anschieben“. Klara atmete schwer und seufzte.
„Schwester Kathleen, ich melde mich, wenn wir etwas in Aussicht haben“, beschloss Klara das Gespräch.
Drei Wochen später. Schwester Ulrike hatte Peter die Kontaktdaten von der Firma „Am Boddenbauen“ gegeben. Ein Olaf Knaspe sollte für die Vermietung der Zimmer zuständig sein.
Klara versuchte Olaf Knaspe zu erreichen. Es dauerte eine Weile, bis er ans Telefon ging.
„Ja bitte“, sagte eine Stimme lustlos ins Telefon.
‚Na das geht ja gut los‘, schoss es Klara durch den Kopf.
Aber sie musste sich zusammenreißen. Es ging um die Betreuung Ihrer Mutter.
„Schönen guten Tag, mein Name ist Gerber und ich rufe an, weil wir von Schwester Ulrike informiert wurden, dass ein Zimmer im ‚Betreuten Wohnen‘ frei geworden ist.
„Hm“, brummte an der anderen Seite Olaf Knaspe.
„Sind Sie noch dran und sind Sie der richtige Ansprechpartner, wenn es um die Vermietung geht?“. Klara hatte in den Angriffsmodus umgeschaltet. Sie wollte sich nicht abwimmeln lassen.
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JEEPY-2021.06.17
Einführung: Jeepy ist traurig. Er vermisst seine Freundin Krümel und ihre freudige Rufe, ‚Jiiipi‘, wenn der kleine Jeep um die Ecke biegt.
Hallo Krümel, ich bin‘s, Jeepy.
Krümel, weißt du was?
Ich bin so allein und mein Fahrer, dein Opa, der hat überhaupt keine Zeit mehr für mich.
Er sitzt den ganzen Tag am Schreibtisch, und er wird immer fauler.
Naja, er schreibt nur noch, wie eintönig!
Aber mittags, da hat er jetzt eine ganz neue Idee.
Er fährt mit mir in die Schorfheide. Bei dem Wetter, Krümel.
Dreißig Grad im Schatten.
„Jeepy, wir fahren jetzt in den Wald und treiben Sport. Wie findest du das, Jeepy?“
Wie soll ich das wohl finden? Ich find’s langweilig.
Ich muss doch unter einem Baum stehenbleiben und eine Stunde warten, bis dein Opa zurück ist.
Er stampft so stark mit seinen Füssen auf den Boden, dass die Wurzeln von den Bäumen Angst kriegen, er würde sie kaputttreten, wenn er über sie hinwegstampft.
Und stell‘ dir mal vor, wie er angezogen ist: Trainingshose, Schuhe – nein Winterstiefel, dicker Pullover und Mütze.
Und wenn deine Oma ihn ansieht, dann sagt er: „Im Wald ist es kühl und außerdem sind dort Mücken.
Davor muss ich mich schützen. Deine Oma, Krümel, die dreht sich nur weg, damit dein Opa nicht sieht, wie sie sich kaum vor Lachen halten kann.
„Jeepy, du bleibst hier stehen, bis ich zurück bin“, sagte mein Fahrer, als wir im Wald angekommen waren.
Was soll ich auch tun? Wenn ich doch bloß schon auf das automatische Fahren umgestellt wäre, aber dein Fahrer redet nur davon. Das war’s dann auch schon.
„Hier ist es schön und kühl“, hat er noch gesagt, bevor er loslief.
Doch es waren kaum zehn Minuten vergangen, da war ein ohrenbetäubender Lärm zu hören und ich bekam richtig Angst, Krümel.
Ein Traktor mit riesigen Rädern fuhr mit brüllendem Motor an mir vorbei und auf dem Anhänger, da waren große Getreideballen zu sehen.
Von wegen ruhig und kühl. Der dünne Sand vom Waldweg wirbelte hoch und bedeckte mich mit dickem Staub, so dass ich kaum noch etwas sehen konnte.
Als der Traktor endlich an mir vorbei war, da sauste das gelbe Postauto auf mich zu und bog kurz vor mir rechts ab, in einen anderen Weg.
Von wegen, schön ruhig und kühl und keiner ist da.
Endlich, da kam der Fahrer und strahlte mich an: „Ach Jeepy, war das schön!“
Ja schönen Dank auch. Es war laut, staubig und langweilig.
Na, bis Morgen Krümel, da erzähle ich mal weiter.
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